METAPOLIS: eine inter- und transdisziplinäre Plattform für eine nachhaltige Entwicklung der Stadt-Land-Beziehungen in Niedersachsen POSITIONSPAPIER 03/2015 LEBENSWERTE ORTE FÜR ALLE! BLAU-GRÜNE REGION Als Impulsgeber für einen breit angelegten gesellschaftlichen Diskurs zur künftigen Entwicklung Niedersachsens bzw. seiner Städte, Regionen und Orte schlagen wir drei Initial-Visionen vor, die aktuelle Aspekte einer nachhaltigen (städtebaulichen) Entwicklung in allgemein verständlicher Sprache und Bildern für repräsentative, konkrete Orte bündeln. Die Visionen werden über die Projektlaufzeit weiterentwickelt, indem sie mit verschiedenen AkteurInnen diskutiert, überarbeitet und sukzessive mit Erkenntnissen aus dem metapolis-Projekt abgeglichen werden. Zum Ende der Projektlaufzeit werden sie in konkrete Projektvorhaben, Maßnahmen bzw. Strategien und Werkzeuge übersetzt. LEBENSWERTE ORTE FÜR ALLE adressiert Fragen des demografischen Wandels, der Diversifizierung von Lebensstilen und -ansprüchen, der Gründe für Zu- und Abwanderung (Flüchtlinge, Fachkräftemangel, Re- und Desurbanisierung etc.), der Barrierefreiheit, gleichwertiger Lebenschancen und demokratischer Teilhabe aller an den Errungenschaften der Gesellschaft. Die Vision „Lebenswerte Orte für Alle“ begegnet widerstreitenden Raumnutzungsinteressen sowie sich ändernden Bedürfnissen der Bevölkerung nicht mehr, indem sie störende Funktionen ins Umland auslagert und so zur Zersiedelung der Landschaft beiträgt, sondern indem sie auf den heute bereits besiedelten Flächen zwischen den verschiedenen Ansprüchen mit Hilfe neuer Planungswerkzeuge vermittelt. „Lebenswerte Orte für Alle“ verdichten sich selbst. Sie tun dies auch, um Ressourcen zu sparen und gesellschaftliche, kulturelle, städtebauliche und architektonische Innovation zu beschleunigen. Die wichtigste Ressource der „Lebenswerten Orte für Alle“ ist der urbane oder dörfliche gemeinschaftlich genutzte Raum. Die Vision schließt daher die Neuversiegelung von Flächen aus und fixiert bzw. definiert die Grenzflächen zur umgebenden unbebauten Landschaft neu. Im Ergebnis werden die „Lebenswerten Orte für Alle“ durch ihre Mischung an neuen Wohn- und Arbeitsformen, neuartigen, interkulturellen Stadt- u. Landschaftsräumen und hybriden Nutzungsformen geprägt sein. So werden sie der immer breiteren Diversifizierung der Gesellschaft mit ihren vielfältigen Nutzungsansprüchen gerecht, ohne die zur Aufrechterhaltung ihrer Lebenssysteme notwendige Landschaft zu überbauen. Die „Lebenswerten Orte für Alle“ transformieren Bestehendes und integrieren Neues. Sie sind ressourcensparend, indem sie bereits gebundene Energien und Ressourcen wiederverwenden. Die Vision „Lebenswerte Orte für Alle“ bedeutet damit auch, neue Planungsinstrumente und -verfahren zu entwickeln, die durch Partizipation und Mitgestaltung die gender- und diversitätsspezifischen Bedürfnisse in den Blick nehmen und die Ansprüche heutiger Generationen an ihr Lebensumfeld mit denen zukünftiger Generationen in Einklang bringen. Die BLAU-GRÜNE REGION ist eine Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels, der Verwendung erneuerbarer Energien und Ressourcen, des Erhalts der Gesundheit, der biologischen Vielfalt und wohnortnaher Erholungsräume sowie der landschaftsbedingten Iden- 5 MINUTEN STADT tität eines Ortes - sei es eine Stadt, eine Siedlung oder ein Dorf. „Blau“ steht dabei für Gewässersysteme und Wasserkreisläufe; „Grün“ steht für das System vernetzter Freiräume und Grünflachen. Die Vision der „Blau-Grünen Region“ zeigt im Sinne eines Maximalszenarios auf, welches Potenzial den unbebauten Flächen inner- und außerhalb von Siedlungen innewohnt. „Blau-Grüne Region“ heißt, dass jede Fläche (seien es Dachflächen, Fassaden, Brachen) genutzt wird als Kohlenstoffsenke, zur Versorgung mit Frischluft, Wasser und Nahrungsmitteln, zur Erzeugung von Energie, zur Erholung – und bestenfalls allem gleichzeitig. Die „Blau-Grüne Region“ schreibt somit auch ein Kapitel in der Stadtentwicklung weiter, indem diese Vision erkundet, welche Funktionen der Landschaft in den Siedlungsraum eingeschrieben werden könnten. Sie wird als multifunktionale Landschaft der Befriedigung verschiedenster Bedürfnisse der Bevölkerung gerecht werden, indem unbebaute Flächen bewahrt und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung von Stadt und Land gestaltet, aufgewertet und miteinander vernetzt werden. Die 5-MINUTEN-STADT fokussiert auf ressourcensparende, sozial gerechte, ökonomisch realisierbare Mobilität im Sinne der Versorgung mit alltäglichen Gütern, Dienstleistungen und gesellschaftlicher Teilhabe. Die Vision der „5-Minuten-Stadt“ bedeutet, dass alle Bedürfnisse des täglichen Lebens innerhalb eines 420 m-Radius von der Haltestelle eines kollektiven Transportsystems aus befriedigt werden können – entsprechend der Strecke, die ein Fußgänger mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 5 km/h in fünf Minuten zurücklegt. Dies schließt sowohl die Versorgung mit offenen und/oder Grünräumen, mit Waren des täglichen Bedarfs als auch die medizinische, soziale u. kulturelle Grundversorgung (Arzt, Apotheke, Kita, Schule, Bibliothek etc.) ein. Um diese Vision zu realisieren, müssen die Bedürfnisse der Menschen differenziert nach subjektiven individuellen Merkmalen wie Geschlecht, Alter und körperlicher Verfassung erhoben und Maßnahmen des Mobilitätsdesigns (ggf. Optimierung von Fahrrouten/-plänen, Bereitstellung von Mobilitätsoptionen wie Bürgerbusse oder mobile Arztpraxen), die Erschließung alternativer Transportformen (z.B. Fahrradschnellwege, Wasserbusse, Carsharing), die städtebaulich-funktionale Verdichtung einzelner Orte (Funktionsmischung) und Governance-Maßnahmen integriert werden. Ziel ist der regionale Erhalt von Mobilitätsoptionen bei gleichzeitiger Reduktion des mobilitätsbezogenen Ressourcen & Zeitverbrauchs u. somit der regionsübergreifende Erhalt der Lebensqualität. In der Kombination ergeben die drei Visionen erste normative und sektorenübergreifende Ansätze für eine nachhaltige Entwicklung, die sukzessive vertieft und detailliert werden können. Am Ende des Projektes stehen weit über eine Legislaturperiode hinausreichende, robuste Szenarien einer zukünftigen Entwicklung, die zusammen mit verschiedenen AkteurInnen erarbeitet wurden und somit geeignet sind, Handlungsstränge zu bündeln, (politische / verwaltungstechnische) Entscheidungen & Budgets zu optimieren sowie einen strategischen Planungshintergrund zu liefern. METAPOLIS: eine inter- und transdisziplinäre Plattform für eine nachhaltige Entwicklung der Stadt-Land-Beziehungen in Niedersachsen THEMA Städte sind hot spots und treibende Kräfte des globalen Wandels (Grimm et al. 2008). Gleichzeitig bieten sie große Chancen für sozialökologischen Wandel und Transformation in Richtung Nachhaltigkeit (Bott et al. 2013, Jansson 2013). Aber eine nachhaltige Entwicklung von Städten ist – besonders im Flächenland Niedersachsen – ohne die Einbeziehung des Umlands nur eingeschränkt und lokal möglich, weil vielfältige Wechselwirkungen, gegenseitige Abhängigkeiten und räumliche Kopplungen bestehen und die Grenzen zwischen städtischen und ländlichen Räumen und Lebensweisen fließend sind (Tacoli 2006). Für eine nachhaltige Transformation der urbanen Zentren und des ländlichen Raums spielen genau deren funktionale Wechselwirkungen – so die Hypothese unseres Projekts – eine entscheidende Rolle. Städte sind nicht nur räumlich kompakte, hoch verdichtete, kulturell aufgeladene Orte, sondern schließen ihr Umland räumlich-funktional mit ein (Rees & Wackernagel 1996, Güneralp et al. 2013). Entsprechend sind Dörfer nicht mehr abgelegene Orte, sondern u.a. auch Wohnsitz für in der Stadt Tätige. Diese sind zugleich Dienstleistende für und Konsumierende von städtischen Angeboten, wie Kultur oder höherer Bildung. Wenngleich auch die städtische Landschaft Ökosystemleistungen bereitstellt (Haase et al. 2014), nutzt die städtische Bevölkerung wesentliche Teile der im Umland bereitgestellten Ökosystemleistungen, z.B. als Retentionsräume für Hochwasser, als Erholungsraum oder die dort produzierten Nahrungsmittel. Die intensive räumlich-funktionale Kopplung eher städtisch und ländlich geprägter Gebiete birgt Potentiale für eine nachhaltigere Entwicklung, die größtenteils noch identifiziert und quantifiziert werden müssen, und sie eröffnet Möglichkeiten, in Kooperation mit verschiedenen AkteurInnen neue Ansätze für eine nachhaltige Entwicklung zu erarbeiten und umzusetzen. ZIELSETZUNG Vor diesem Hintergrund werden im metapolis-Projekt Stadt und Land nicht voneinander isoliert, sondern als wechselseitig abhängige Elemente eines urban-ruralen Beziehungsgeflechts betrachtet – der metapolis (Ascher 1995). Die Perspektive der metapolis umfasst Netzwerke großer, mittelgroßer und kleiner Orte in einer land- und forstwirtschaftlich genutzten Matrix, die durch Verkehrs-, Waren- und Datenströme sowie alltagsweltliches Handeln ihrer Bevölkerung verbunden sind. Die Analyse der metapolis bedarf einer integrierten, holistischen und skalenübergreifenden Betrachtung der Stadt-Land-Beziehungen. Aufgrund der engen wechselseitigen Abhängigkeiten von Stadt und Land ist eine solche Perspektive zentral für eine nachhaltige Entwicklung in Niedersachsen. Wir analysieren und quantifizieren wesentliche Nachhaltigkeitsaspekte in der metapolis - auch im Hinblick auf mögliche Wechselwirkungen, BETEILIGTE INSTITUTE PROF. DR. BORIS SCHRÖDER-ESSELBACH Institut für Geoökologie Abteilung Umweltsystemanalyse TU BRAUNSCHWEIG PROF. DR. SUSANNE ROBRA-BISSANTZ Institut für Wirtschaftsinformatik Lehrstuhl Informationsmanagement TU BRAUNSCHWEIG PROF. DR. NILS BANDELOW Institut für Sozialwissenschaften, Lehrstuhl für Innenpolitik TU BRAUNSCHWEIG PROF. DR. STEPHAN WEBER Institut für Geoökologie Klimatologie und Umweltmeteorologie TU BRAUNSCHWEIG BEGRÜNDUNG In Niedersachsen leben lediglich 19% der Bevölkerung in Großstädten, 35% in Mittelstädten, 46% im kleinstädtischen, suburbanen und ländlichen Raum. Insbesondere in der Nähe der Ballungszentren ist die regionale Entwicklung durch gleichzeitige Schrumpfungs- und Wachstumsprozesse in enger geografischer Nähe gekennzeichnet, die sich laut Bevölkerungsprognosen auch künftig fortsetzen werden (Nds. MELV 2012). Diese Entwicklung führt zu wirtschaftlich, sozial und ökologisch divergierenden Räumen mit weitreichenden Auswirkungen auf Ressourcenverbrauch, Lebensqualität und -chancen (Nds. Sozialministerium 2013). Einerseits verursacht dies überdurchschnittlich hohe Flächenversiegelung u. Pendlerströme, andererseits sind weite Teile des ländlichen Raumes charakterisiert durch Bevölkerungsrückgang, Arbeitsplatzabbau u. Versorgungsengpässe hinsichtlich sozialer, kultureller und infrastruktureller Dienstleistungen. Gleichzeitig fallen ungenutzte Industrie- und Agrarflächen brach, und Wohnraum steht leer (LGLN 2015). Gemessen an den Kriterien der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung (2002) ist die in Niedersachsen zu beobachtende unausgewogene Entwicklung eher städtisch bzw. ländlich geprägter Gebiete u.a. aufgrund ihres erhöhten Energie-, Ressourcen- u. Flächenverbrauchs, sowie sozialer Disparitäten nicht nachhaltig. PROJEKTPARTNER PROF. DR. VANESSA MIRIAM CARLOW Institute for Sustainable Urbanism TU BRAUNSCHWEIG PROF. DR. THOMAS SIEFER Institut für Verkehrswesen, Eisenbahnbau und -betrieb TU BRAUNSCHWEIG Synergien und Zielkonflikte. Dabei betrachten wir städtebaulich-stadtplanerische Voraussetzungen einer künftigen Entwicklung im Zusammenhang mit Ökosystemleistungen und Biodiversität (ökologischer Aspekt), Ressourcen, Energie und Mobilität (ökonomischer Aspekt), Social Capital und Lebensstile (sozialer Aspekt) sowie die Bewertung der Umsetzbarkeit von Nachhaltigkeitskonzepten durch politische und gesellschaftliche AkteurInnen (politisch-institutioneller Aspekt). Bei der Konzeption von Visionen, Projekten u. Strategien zur nachhaltigen Transformation Niedersachsens ziehen wir frühzeitig die Bedürfnisse und Präferenzen von BürgerInnen, zivilgesellschaftlichen u. politischen AkteurInnen mit ein, um sie zu PartnerInnen der Transformation zu machen und die Chancen der Akzeptanz und Umsetzung der entwickelten Konzepte zu erhöhen. Die interaktive Visualisierung von Entwicklungsszenarien und Zukunftsvisionen ermöglicht, verschiedene Vorstellungen der Zukunft zu diskutieren, abzuwägen und mit den Zielen einer nachhaltigen Entwicklung abzugleichen. Dies erlaubt uns, partizipativ legitimiert wichtige Stellschrauben für eine nachhaltige Entwicklung zu identifizieren, Handlungsoptionen aufzuzeigen und Lösungsansätze für eine nachhaltige Transformation zu entwickeln und dabei verschiedene Akteursebenen einzubinden. Damit liefern wir eine wesentliche Grundlage für die Erfüllung des Verfassungsgebots, in allen Landesteilen gleichwertige Lebensverhältnisse zu gewährleisten. PROF. DR. INSA NEUWEILER Institut für Strömungsmechanik und Umweltphysik im Bauwesen LEIBNIZ UNIVERSITÄT HANNOVER PROF. DR. NORBERT FISCH Institut für Gebäude- und Solartechnik TU BRAUNSCHWEIG LITERATUR Ascher F. 1995. Métapolis ou l’Avenir des Villes. Paris: Editions Odile Jacob. Bott H, Grassl G, Anders S. 2013. Nachhaltige Stadtplanung. München: Edition Detail. Bundesregierung D. 2012. Nationale Nachhaltigkeitsstrategie: Fortschrittsbericht 2012. Berlin Grimm NB et al. 2008. Global change and the ecology of cities. Science 319: 756–760 Güneralp B, Seto KC, Ramachandran M. 2013. Evidence of urban land teleconnections and im-pacts on hinterlands. Current Opinion in Environmental Sustainability 5: 445–451. Haase D, Haase A, Rink D. 2014. Conceptualizing the nexus between urban shrinkage and ecosystem services. Landscape Urban Plan 2014 132: 159-169. SAMTGEMEINDE BARNSTORF SAMTGEMEINDE ELM-ASSE ALLIANZ FÜR DIE REGION SAMTGEMEINDE BERSENBRÜCK STADT NIENBURG (WESER) BUNDESSTIFTUNG BAUKULTUR GEMEINDE VECHELDE DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR NACHHALTIGES BAUEN STADT VERDEN (ALLER) STADT WOLFSBURG STADT BRAUNSCHWEIG FREIE HANSESTADT BREMEN STADT BREMERHAVEN STADT WITTINGEN FLECKEN BROME LANDKREIS WOLFENBÜTTEL LGLN 2015. Baulücken- und Leerstandskataster Jansson A. 2013. Reaching for a sustainable, resilient urban future using the lens of ecosystem services. Ecol Econ 86: 285-291. Moore J, Kissinger M, Rees WE. 2013. An urban metabolism and ecological footprint assessment of Metro Vancouver. J Env Manage 124, 51-61. Nds. Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und Nds. Institut für Wirtschaftsforschung. 2012. Regionalmonitoring Niedersachsen – Regionalreport 2012: Positionierung und Entwicklungstrends ländlicher und städtischer Räume. Hannover. BÜRGERINITIATIVE WOLFSHAGEN IM HARZ 2030 ZWECKVERBAND GROSSRAUM BRAUNSCHWEIG Nds. Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung. 2013. Handlungsorientierte Sozialberichterstattung Niedersachsen. Bericht 2013. Hannover. Rees W, Wackernagel M 1996. Urban ecological footprints: why cities cannot be sustainable and why they are a key to sustainability. Environ Impact Assess Rev 16, 223-248. Seto K, Reenberg A, Boone C, Fragkias M, Haase D, Langanke T, Marcotullio P, Munroe D, Olah B, Simon D. 2012. Urban land teleconnections and sustainability. PNAS 109, 7687-7692. Statistisches Bundesamt. 2013. Großstädte in D. nach Bevölkerung am 31.12.2011. Wiesbaden Tacoli C (Ed.). 2006. The Earthscan Reader in Rural-Urban Linkages. London.
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