Malerblatt 08|15 - Interview - Sto

meinungsstark • fundiert • multimedial
08 | August 2015
Farbkonzepte
Oberflächen
Fußbodenbeschichtung
■ Brandschutz
■ Kastenwagen
■
Aus- & Weiterbildung
Startrampe oder
Abstellgleis?
Ist der Fachkräftemangel bei Malern und Lackierern hausgemacht? Welche Chancen zum Aufstieg
bietet das Handwerk eigentlich? Seit zehn Jahren engagiert sich die gemeinnützige Sto-Stiftung
in der Ausbildungsförderung junger Maler und Lackierer. Bewusst wird dabei über ein Stipendienprogramm der Schulterschluss mit den Berufs- und Fachschulen gesucht. Für das Malerblatt
diskutieren Hanna Müller (Direktorin der Berliner Wilhelm-Ostwald-Schule), Sandra Böhm (Lehrerin
für Fachpraxis und ehemalige Stipendiatin), Konrad Richter (Stiftungsrat Handwerk) und Björn
Grüßer (angehender Techniker für Farb- und Lacktechnik) Situation und Perspektiven.
Klagen über den Fachkräftemangel
sind in Deutschland zum Allgemeinplatz geworden, gleichzeitig gehen
die Ausbildungszahlen seit Jahren zurück. Frau Müller, wie stellt sich die
Lage an Europas größter Berufsschule
für Maler und Lackierer dar? Hanna
Müller: Da kann ich wohl auch für die
Kollegen in anderen Regionen sprechen. Wir in Berlin vollziehen eine
Entwicklung nach, die zwei Seiten hat.
Einerseits müssen wir ganz nüchtern
konstatieren – Maler und Lackierer ist
schon lange nicht mehr Erstausbildungswunsch. Zu uns kommen auch
immer mehr junge Menschen, die noch
nicht ausbildungsreif sind. Zudem wurden in Berlin aus finanziellen Gründen
in den letzten Jahren zahlreiche freie
Träger eingespart, die Jugendlichen mit
Ausbildungshemmnissen eine Perspektive vermittelt haben. Diese Jugendlichen fehlen jetzt, in erster Linie natürlich den Betrieben. Auf der anderen
Seite sehe ich große Erfolge und wachsende Chancen bei denjenigen, die
durchhalten. Vor allem den Absolventen unserer Fachschule stehen mit dem
Technikerabschluss viele Türen offen.
Frau Böhm ist dafür ein tolles Beispiel.
Bitte beschreiben Sie doch Ihren Werdegang. Sandra Böhm: Eigentlich komme ich aus der Gastronomie. Durch die
54
Geburt meiner Tochter entschied ich
mich vor gut sechs Jahren für eine zweite Berufsausbildung als Malerin. Der
Schichtdienst war als alleinerziehende
Mutter nicht mehr zu bewältigen. Nach
einem sehr guten Berufsabschluss wurde mir die Chance auf das Technikerstudium geboten, als Stipendiatin der
Sto-Stiftung. Das waren nochmal zwei
intensive Jahre. Mit dieser Qualifikation
konnte ich vor einem halben Jahr hier
an der Ostwald-Schule als Lehrerin für
Fachpraxis anfangen.
Sind Sie zufrieden? Sandra Böhm:
Sehr! Ich hab meine Werkstatt, die
Schüler kommen in Malerklamotten
hier an und probieren sich an den
großen Platten aus und ich zeige ihnen,
wie man den Pinsel richtig hält. (lacht)
Auch von den Kollegen bin ich ganz toll
aufgenommen worden.
Herr Richter, als langjähriger Direktor
eines Berufskollegs kennen Sie die
Branche. Wie beurteilen Sie die Entwicklung in der Ausbildung? Konrad
Richter: Hanna Müller hat völlig recht.
Die Probleme sind in erster Linie hausgemacht, so selbstkritisch müssen wir
sein. In guten Jahren wurden bundesweit 12.000 Maler und Lackierer ausgebildet, heute sind wir bestenfalls bei der
Hälfte. Unser Handwerk hat leider
keinen guten Ruf – körperlich anstrengend, häufig schlecht bezahlt, wenig
Perspektive ...
Was schlagen Sie vor? Konrad Richter:
Wenn wir dauerhaft Maler und Lackierer aus Deutschland wollen, braucht es
im Großen den Schulterschluss von
Politik, Bildungswesen und Betrieben.
Vor allem letztere müssen wieder mehr
Ausbildungsplätze bereitstellen. Der
Nachwuchsmangel lässt sich doch sonst
gar nicht anders lösen, als mit Beschäftigten aus dem Ausland. Andere Gewerke, zum Beispiel die Stuckateure, halten
das doch schon so. Aber im Kleinen
kommt es auf Perspektiven an – warum
sonst bricht die Hälfte der Auszubildenden die Lehre ab? Gut die Hälfte der Gesellen will später gar nicht im Beruf
bleiben, warum? Individuelle Unterstützung ist eminent, so wie wir sie mit der
Sto-Stiftung betreiben. Wer gut, motiviert und wirtschaftlich förderungsbedürftig ist, kann auf uns zählen. Zu
Anfang mit hochwertigem Werkzeug
und Fachliteratur, später mit Stipendien
für Technikerausbildung und sogar ein
Hochschulstudium. Wichtig ist mir dabei die Partnerschaft mit den Schulen.
Sie kennen ihre Schüler einfach am
besten, wissen, wer für eine Förderung
infrage kommt, aber auch, wo es in
Theorie und Praxis „klemmt“.
www.malerblatt.de
Malerblatt 08/2015
Aus- & Weiterbildung
Foto: Sto-Stiftung
Hanna Müller, Björn Grüßer,
Sandra Böhm und Konrad
Richter (v.l.n.r.)
Herr Grüßer, Sie gehören zum neuen
Jahrgang der Stipendiaten. Wie sind
Sie dazu gekommen und was erwarten Sie? Björn Grüßer: Bei mir war das
ähnlich, wie bei Frau Böhm. Maler wollte ich eigentlich gar nicht werden.
Wenn es da nicht einen Freund der
Familie gegeben hätte – ich weiß nicht,
wo ich heute wäre. Denn ganz selbstkritisch, ich war mit 17 Jahren nicht mal
ansatzweise so weit, dass ich eine Ausbildung hätte absolvieren können. Familie, Betrieb und auch die Berufsschule
haben mich sehr unterstützt, sodass ich
2006 den Gesellenbrief erhalten habe.
In der Technikerschule sind Sie seit
2014, das sind gut acht Jahre bis zur
Entscheidung für die Weiterbildung.
Warum so lange? Björn Grüßer: Ich
bin von Hause nicht der Typ für Schulbank und Theorie. Ich wollte erstmal
praktisch arbeiten, bevor ich mir das
theoretische Rüstzeug aneigne. Aber
mein berufliches Ziel habe ich in den
Jahren nie aus den Augen verloren,
denn ich sehe meine Zukunft nicht als
Betriebsinhaber. Ich möchte eigentlich
in die Industrie, vielleicht in die Entwicklung von Farben oder in die Automobilindustrie.
Hanna Müller: Auch das gehört zu dem
Trend, den wir seit Jahren beobachten.
Meisterbrief und der eigene Betrieb
Malerblatt 08/2015
www.malerblatt.de
sind für immer weniger Absolventen
attraktiv. Hoch qualifizierte, verhältnismäßig sichere und meist sehr gut
bezahlte Jobs in der Industrie steigen
dafür in der Gunst. Unser Technikerstudium mit seinem akademischen
Ansatz und der starken Orientierung
auf Betriebswirtschaft, Personalführung
oder EDV bietet dafür auch die passenden Module. Wenn ich so selbstbewusst
sein darf – im Unterschied zur klassischen Meisterschule.
Worauf müssen sich Interessenten
denn an der Fachschule einstellen?
Hanna Müller: Ganz knapp – ein selbst
zu finanzierendes Vollzeitstudium.
40 Wochenstunden Präsenz sowie umfangreiche Vor- und Nachbereitung des
Stoffs. Die vier Semester umfassen fast
1.700 Stunden theoretischen und praktischen Unterricht. Das erledigen Sie
nicht einfach „nebenbei“ oder in der
Abendschule. Dafür erlangen unsere
Absolventen zusätzlich zum Abschluss
als staatlich geprüfter Techniker die
Berechtigung zum Hochschulstudium
und haben vielfältige berufliche Perspektiven.
Frau Böhm, hat sich die Mühe gelohnt? Welchen Rat haben Sie für potenzielle Interessenten? Sandra Böhm:
Das Studium hat sich definitiv ausge-
zahlt. Es hat mich erst in meinen
Wunschberuf gebracht. Natürlich gab es
zwischendurch auch Phasen, in denen
es mühsam war. Und natürlich liegt
einem nicht jedes Fach. Aber, wenn ich
vom Sinn überzeugt bin, heißt es einfach durchhalten. Insofern rate ich
jedem – setz Dich vorher mit den Inhalten auseinander. Es lohnt sich sehr,
aber geschenkt wird einem nichts.
Konrad Richter: Das ist die richtige Einstellung. Unser Stipendium bietet sechs
Plätze und ist inzwischen im fünften
Durchgang. Ich bin sehr stolz darauf,
dass von den 30 Stipendiaten keiner
vorzeitig aufgegeben hat. Denn letztlich
kommt es auf jeden selbst an.
PRAXISPLUS
Die Investition in die Ausbildung der
jungen Generation ist eine Investition
in die Zukunft unserer Gesellschaft.
Aus diesem Grund unterstützt die
Sto-Stiftung junge Menschen in ihrer
handwerklichen und akademischen
Ausbildung. Neben der fachlichen Kompetenz soll dabei auch die Persönlichkeit
und die soziale Verantwortung der Geförderten ein breites Fundament erhalten.
sto-stiftung.de
55