- Io senza te

Magazin
Mittwoch, 9. September 2015
25
«Man muss Kitsch aushalten können»
MUSICAL Der Zürcher Autor Domenico Blass (49) ist
Chef-Gagschreiber der Satiresendung «Giacobbo/Müller».
Gemeinsam mit Regisseur Stefan Huber schrieb er die Geschichte
zum Musical «Io senza te» mit Liedern von Peter, Sue & Marc.
Morgen feiert das Stück im Zürcher Theater 11 Premiere. Ein
Gespräch über Denkmäler, Kitsch und Pointen.
Herr Blass, wie fügt man
einzelne Lieder zu einer
Geschichte zusammen?
Domenico Blass: Lieder haben im
Musical eine Funktion, mit ihnen
drücken die Figuren ihre Gefühle
aus, oder sie reflektieren eine
Handlung. Handlung und Figuren von «Io senza te» sind aus
dem Songrepertoire von Peter,
Sue & Marc entstanden, aus der
Welt, die da besungen wird. Wir
haben eine Geschichte geschrieben, die zu den Themen in den
Liedern passt und diese aufnimmt. Zum Teil mussten wir
aber die Songtexte der Geschichte anpassen. Es sind über weite
Strecken die Originaltexte, aber
es gibt auch Songs, deren Texte
wir komplett neu geschrieben haben. Ziel war von Anfang an, dieser Musik ein Denkmal zu setzen.
Wenn aus Songs eine Geschichte
gebastelt wird, kann doch nur
ein Flickwerk entstehen. Ist da
eine Handlung mit Tiefe überhaupt möglich?
Ich denke, dass die Geschichte
überzeugt und auch ohne die Musik interessant ist. Ob das tatsächlich so ist, muss das Publikum beurteilen. Aber natürlich
wirkt die Musik wie ein Katalysator auf die Geschichte und verstärkt die thematisierten Gefühle
um ein Vielfaches. Und selbst
wenn man die Figuren langweilig
finden sollte und die Geschichte
seicht, ist da immer noch die Musik, die unglaublich berührt.
Was hat Sie an der Aufgabe gereizt, ein Musical zu schreiben?
Ich war vorher kein ausgesprochener Musicalfan. Gerade deshalb hat es mich gereizt, und ich
wusste, dass ich mit Co-Autor und
Regisseur Stefan Huber einen
ausgewiesenen Musicalkenner an
meiner Seite habe. Mittlerweile
bin ich ein Fan dieses Genres geworden. Da kommt so vieles zusammen, es gibt eine Geschichte,
Musik, und es wird getanzt. Zudem fasziniert mich die Grösse
des Ensembles, man hat meistens
über 20 Darsteller, dazu ein Orchester, das ergibt einen richtigen
Unterhaltungsdampfer!
«Ich war vorher
kein Musicalfan.
Gerade deshalb hat
es mich gereizt.»
«Mittlerweile bin ich ein Fan dieses Genres»: Der Autor Domenico Blass schrieb den Text zum Musical «Io senza te».
Enthält die Handlung auch
Wahres aus dem Leben von
Peter, Sue & Marc?
Es ist kein biografisches Musical. Erlebnisse, Stimmungen
und Konfliktsituationen von Peter, Sue & Marc sind zwar miteingeflossen, es werden aber
keine konkreten Erlebnisse
nacherzählt. Es gibt zwei Handlungsstränge: Der eine erzählt
die Beziehungskrise eines alternden Ehepaares, der andere
die Geschichte einer jungen
Band.
Waren Sie während der
Entstehungsphase mit den
Bandmitgliedern in Kontakt?
Mit Peter Reber als Vertreter der
Band haben wir eng zusammengearbeitet. Es ist immerhin Teil
seines Lebenswerks, und es war
immer unsere Absicht, dass Peter, Sue & Marc an der Premiere
glücklich sind. Sie haben uns gesagt, welche Songs ihnen wichtig
sind, und Inputs zur Handlung
gegeben, uns sonst aber freie
Hand gelassen.
Wann ist Ihre Arbeit als Autor
beendet?
Das ist das Schöne, wenn man für
die Bühne schreibt: Man ist viel
näher an der Produktion dran als
etwa beim Film. Ich bin bei den
wichtigsten Proben dabei, feile
an einzelnen Pointen und formuliere um, sogar noch während der
laufenden Show. Ob ein Dialog
oder eine Pointe funktioniert,
weiss man erst mit Sicherheit,
wenn man ein Publikum hat, das
entsprechend reagiert.
Musicals sind oft kitschig. Haben
Sie als Musicalneuling versucht,
den Kitschfaktor bei «Io senza
te» klein zu halten?
Nein, gar nicht. Kitsch muss ja
nichts Negatives sein. Die Musik
BAND, MUSICAL & BUCH
34 Jahre nach dem allerletzten
Auftritt des Berner Trios kommen
die Hits von Peter Reber, Sue
Schell und Marc «Cuco» Dietrich
alias Peter, Sue & Marc erneut auf
die Bühne. Das Musical «Io senza
te» soll den Hits des Trios ein
Denkmal setzen (siehe Interview).
Die drei Musiker werden nicht
selber auftreten, dafür wird ausschliesslich Musik des Trios gespielt. Regie führt Stefan Huber,
der 2011 für die Thunerseespiele
«Gotthelf» inszenierte. In den
Hauptrollen von «Io senza te»
spielen unter anderem Ritschi
und Anja Haeseli.
Das kürzlich erschienene, reich
illustrierte Buch «Peter,
Sue & Marc» erzählt die Geschichte des erfolgreichen Berner Trios.
Es enthält Noten der bekanntesten Hits, Liedtexte, eine Best-ofCD und eine DVD. mk
Premiere: Do, 10. 9., 19.30
Uhr, Theater 11, Zürich. Bis
1. 11., www.ticketcorner.ch. Buch:
«Peter, Sue & Marc – das Buch»,
175 S., inkl. CD + DVD, Weltbild.
Ex-Press/Flurin Bertschinger
von Peter, Sue & Marc hat auch
einen gewissen Kitschfaktor, in
dem Sinn, dass sie Emotionen
überhöht. Dem als Autor entgegenwirken zu wollen, wäre kontraproduktiv und sinnlos. Man
muss Kitsch schon aushalten
können, wenn man sich dieses
Stück ansieht (lacht).
Sie sind Chef-Gagschreiber der
Satiresendung «Giacobbo/Müller». Da erwartet man natürlich
auch im Musical jede Menge
Gags und Pointen.
In «Io senza te» herrscht nicht
dieselbe Gagdichte wie bei «Giacobbo/Müller» (lacht). Es gibt
Pointen, aber die entstehen aus
den Figuren und zielen nicht auf
politische oder gesellschaftliche
Missstände. Aber da Musicals in
der Regel eher ernst sind, ist das
Stück für ein Musical schon überdurchschnittlich lustig.
Wann ist denn etwas lustig?
Wenn man lachen muss (lacht).
Der Empfänger entscheidet, ob
etwas lustig ist, nicht der Absender. Natürlich gibt es gewisse Me-
chanismen, wie Humor entsteht,
aber letztlich bleibt es Geschmackssache.
Wie geht man als Autor vor,
wenn etwas lustig sein soll?
Grundsätzlich gilt: Wenn ein
Stück oder eine Sendung für ein
breites Publikum lustig sein soll,
ist es immer gut, wenn man eine
möglichst grosse Bandbreite an
Humor abdeckt. Vom feinen Humor über den Schenkelklopfer
bis hin zum schwarzen Humor
und Zoten, von allem etwas.
Sie geben Workshops zum
Thema «Handwerk des Pointenschreibens» – kann man das
wirklich lernen?
Es gibt gewisse Werkzeuge, wie
man guten Stoff für eine Pointe
erkennen kann, und Rezepte, wie
man daraus eine Pointe bauen
kann, zum Beispiel mit Übertreibung. Aber natürlich gehen nicht
alle aus dem Kurs und sind plötzlich total lustig. Aber jene, die das
Talent dazu haben, sind danach
definitiv witziger.
Interview: Maria Künzli
Dichter und Musiker Raphael
Urweider, der in der Jury des
Wettbewerbs sitzt, kommentieren die Werke. Sie gewähren
auch Einblicke in die Arbeit der
vielköpfigen und -sprachigen
Jury, die die Finalisten in etlichen Sitzungen bestimmt hat.
Das Duo ist gut aufgelegt. Urweider etwa meint zu «A», dass der
Text zum Glück leicht verständlich sei. «Auch ein nicht
schweizstämmiger Fussballer
sollte sie sich merken können.»
Und Niederberger bemerkt, die
Tatsache, dass sämtliche
Finalisten sehr nahe an
der alten Hymne
sind,
sei
dem
Schweizer Milizsystem geschuldet. «Vielleicht
verdienen
wir
die
Langeweile.»
Das Lied bekommt im Progr keinen Applaus.
Möglich aber, dass das am
kommenden Samstag schon wieder ganz anders aussieht. Bis um
18.45 Uhr kann man auf www.nationalhymne.ch für einen der
drei Vorschläge abstimmen. In
der SRF-Show «Potzmusig unterwegs» vom Volksmusikfest in
Aarau wird wenige Minuten später das siegreiche Lied verkündet, das die SGG den Bundesbehörden als neue Nationalhymne
vorschlagen will.
Dann wird auch bekannt, wer
das Stück geschrieben hat und
wie es richtig heisst. «A», «B» und
«E» heissen die Finalisten bis dahin ganz geheimnisvoll, weil laut
SGG alle Aufmerksamkeit auf
Text und Melodie liegen soll.
Fabian Sommer
Welche Hymne verdient die Schweiz?
NATIONALHYMNE Der Wettbewerb für eine neue Schweizer
Hymne geht in die entscheidende Phase. Am Samstag wird der
Sieger gekürt. Schon jetzt haben sich die drei Finalisten am Nationalhymnen-Jam dieser Zeitung, der Camerata Bern und des
Berner Ensembles Ardent dem Praxistest gestellt.
Der Applaus ist laut, das Resultat
damit klar. Das Publikum im
Berner Kulturzentrum Progr
kürt jenen Vorschlag für eine
neue Nationalhymne zum Sieger
des Abends, der am wenigsten
nach dem alten Schweizerpsalm
klingt. «Variante E» gewinnt,
knapp vor «Variante A».
«E» bewegt sich zwischen
Licht und Dunkel, das Lied beginnt kokett tänzelnd und fällt
dann ins Melancholische. Im Refrain wird die Melodie der bestehenden Hymne aufgenommen.
Der Text ist zeitgemäss: «Wir
alle, wir stehen, unser Land anzusehen und wahren in uns den
Traum: dass jeder gestalten, in
Freiheit sich entfalten, Geborgenheit finden kann.»
«E» ist einer von drei aus ursprünglich über 200 Vorschlägen, die es ins Finale des von der
Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) lancier-
ten (und nicht unumstrittenen)
Wettbewerbs für eine neue Nationalhymne geschafft haben.
Am «vermutlich ersten und letzten Nationalhymnen-Jam der
Geschichte», wie Oliver Meier,
Redaktor dieser Zeitung und Moderator, sagt, stellen sich die drei
Beiträge am Montagabend im
Rahmen des Musikfestivals Bern
dem Praxistest. Musiker der Camerata Bern und Sänger des
Berner Ensembles Ardent
interpretieren die drei
Varianten. So soll die
Frage geklärt werden, welche Nationalhymne unser
Land verdient.
Verständlich
Lukas Niederberger,
Geschäftsleiter der
SGG und Initiant des Wettbewerbs, sowie der Berner
Aus voller Kehle: Singen
Schweizer Sportfans bald
eine neue Hymne? abl
Langweilig
Richtig langweilig ist offensichtlich
«Variante B», zumindest
für das Berner Publikum.
Welche Variante finden Sie am
besten? Schauen Sie sich die Videos
vom Berner Nationalhymnen-Jam
an und stimmen Sie ab!
www.bernerzeitung.ch
Potzmusig unterwegs:
Sa, 12. 9., 18.10 Uhr, SRF 1.