Ansprache am Anlass "Waldbrand Waffenplatz St. Luzisteig 1985

R E G IE R U N G
D ES FÜ R S TEN TU M S LIEC H TEN S TEIN
M IN IS TER IU M FÜ R
IN N ER ES ,JU S TIZ U N D W IR TS C H A FT
Ansprache
von Regierungschef-Stellvertreter Dr. Thomas Zwiefelhofer,
Minister für Inneres, Justiz und Wirtschaft
am Anlass
"Waldbrand Waffenplatz St. Luzisteig 1985,
30 Jahre erfolgreiche Zusammenarbeit Schweiz-Liechtenstein"
Freitag, 9. Oktober 2015
Waffenplatz St. Luzisteig
2/5
Sehr geehrter Herr Bundesrat, lieber Ueli,
Geschätzte Gäste
10 Jahre nach dem Waldbrand auf St. Luzisteig titelte eine Liechtensteiner Tageszeitung:
"Die Wiederherstellungsarbeiten dauern noch weitere 20 Jahre." Diese 20 Jahre sind nun
um. Ein standortgerechter Mischwald ist auf den ehemals kahlen Flächen
herangewachsen. Die Wunden, die der Waldbrand der Natur zugefügt hatte, sind verheilt.
Wenn wir uns an die damalige Katstrophe zurückerinnern, dann erinnern wir uns nicht
nur an die bedrohliche Situation; an die Bewältigung des Waldbrandes; an die
Wiederaufbauarbeiten; sondern wir gedenken und würdigen im Besonderen auch die im
wahrsten Sinne des Wortes "feuererprobte" Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen
der Schweiz und Liechtenstein. Man könnte auch sagen: Die Schrammen, die sich die
Partnerschaft unserer beider Länder durch den Waldbrand zugezogen hat, sind ebenfalls
verheilt.
Der Waldbrand im Dezember 1985, ausgelöst durch Schiessübungen des Schweizer
Militärs, hat die Beziehungen zwischen der Schweiz und Liechtenstein auf den Prüfstand
gestellt. Die Beziehungen haben den Test nicht nur bestanden, sondern sie sind gestärkt
daraus hervorgegangen. Der Waldbrand auf St. Luzisteig und die nachfolgenden
Verhandlungen haben uns vor Augen geführt, wie Partnerschaft funktioniert: Es braucht
von beiden Seiten Besonnenheit, Verständnis, lösungsorientiertes Handeln und den
Willen, zum Gelingen der Partnerschaft bestmöglich beizutragen.
Ich freue mich, dass wir heute aus Anlass des 30-jährigen Gedenkens an den Waldbrand
die Partnerschaft und die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Liechtenstein
würdigen können. Viele unter Ihnen haben den Waldbrand damals hautnah miterlebt. In
den Zeitungen, in Zeitschriften und Büchern wurde der Waldbrand aufgearbeitet als
wichtiger Teil unserer gemeinsamen Geschichte.
Wenn wir die Geschehnisse von damals in der Rückschau betrachten, dann sind einige
Punkte sehr augenfällig. Ganz besonders beeindruckend sind der unermüdliche und
teilweise lebensgefährliche Einsatz der Feuerwehrleute, die aus der ganzen Region nach
Balzers kamen, das selbstlose Engagement vieler freiwilliger Helfer, und vor allem die
riskanten Löschflüge des Balzner Helipilots David Vogt, der sein Leben bei jedem
einzelnen seiner unzähligen Flüge aufs Spiel setzte. Die Militärpiloten hatten wegen des
starken Föhns Flugverbot. Eine Liechtensteiner Tageszeitung schrieb denn auch im Jahr
2005, 20 Jahre nach der Katastrophe, in einem Rückblick folgendes: "1'200 Hilfskräfte und
ein Held".
Wie dramatisch und bedrohlich die Situation für die Leute von Balzers war und welch
enorme Leistung die Bekämpfung des Feuers allen Helfern abverlangte, zeigt das EinsatzProtokoll des damaligen Balzner Feuerwehrkommandanten Ferdinand Vogt, das mit dem
Eingang des Alarms um 15.15 Uhr beginnt.
Um 20.00 Uhr, alle Liechtensteiner Gemeinde- und Betriebsfeuerwehren, die
benachbarten Schweizer Feuerwehren und der Rheinheli sind seit Stunden im
Grosseinsatz, heisst es im Protokoll: "(…) Rheinheli fliegt pausenlos. Helipilot meldet:
3/5
'Unter den Felswänden starker Fallwind, fliegen wird immer schwieriger.' Kommandant:
'Es muss geflogen werden, sonst ist alles umsonst.'"
24.00 Uhr: "Wind dreht von Süd nach Süd-West, starker Fallwind, Rheinheli stellt Flüge
ein."
3.12 Uhr: "Meldung über Funk, Feuer noch 30 Meter von Wohnhäusern entfernt."
3.13 Uhr: "Kommandant verständigt Rheinhelipilot, er meldet, ich kann nicht mehr
fliegen, zu starker Wind; ich melde: 'Du musst fliegen, jetzt geht's ums Dorf.' (…) Heli
fliegt pausenlos bis Tagesanbruch."
"Feuer noch 30 Meter von Wohnhäusern entfernt." - Ich kann Ihnen sagen, das möchte
ich nicht erleben. Ich kann nachempfinden, dass diese bedrohliche Lage bei den
Menschen in Balzers Angst und Panik auslöste: Angst um ihr Haus, Angst um das Leben
ihrer Familien.
Ich kann auch nachvollziehen, dass sich zu dieser Angst ein grosser Zorn auf das
Schweizer Militär gesellte, das unvorsichtigerweise und in Unkenntnis der örtlichen
Gegebenheiten bei einem Föhnsturm Schiessübungen durchgeführt hatte.
Denn die Balzner sind sturmerprobt und geübt im Umgang mit einem der ältesten
Liechtensteiner, dem Föhn, dessen Gewalt sie von allen Liechtensteiner Gemeinden am
heftigsten zu spüren bekommen. Der ehemalige Balzner Vorsteher Mane Vogt schreibt
denn auch in seinem Buch "Mier z Balzers": "Der Föhn ist ein Balzner. Balzers ohne Pföö
ist nicht vorstellbar, er gehört zum Charakter unseres Dorfes. Man sagt uns ja auch
'Pföötschingga'."
Und etwas weiter unten: "Föhn und Feuer kommen oft zusammen. Das ist für uns Balzner
wohl die grösste Naturgefahr. (…) für jede einzelne Person waren ein spezielles Verhalten
und entsprechende Vorkehrungen selbstverständlich. Bei Föhn durfte im Freien nicht
geraucht werden. Früher wurde dies sogar bestraft."
Kein Wunder, dass die Balzner beim Militär immer wieder die Waldbrandgefahr durch die
Schiessübungen anmahnten, jedoch ohne Erfolg. Auch wenn bereits seit 1969
Vereinbarungen über den Betrieb des Waffenplatzes zwischen der Schweiz und
Liechtenstein abgeschlossen wurden und eine Arbeitsgruppe von Brandsachverständigen
eingerichtet wurde, muss man aus heutiger Sicht sagen, dass die Verantwortlichen in
beiden Ländern die Brandgefahr unterschätzten, die von den Schiessübungen ausging.
Es gab denn auch immer wieder kleinere Waldbrände auf dem Waffenplatz, mit
Brandflächen von einer bis zu neun Hektaren, doch keiner war auch nur annähernd mit
dem Waldbrand von 1985 vergleichbar, der über 100 Hektaren Schutzwald vernichtete.
Es ist auch nachvollziehbar, dass sich der Zorn der Liechtensteiner auch in harschen
Worten gegenüber der Schweiz entlud. Der Aufmacher im Blick vom 7. Dezember 1985
lautete denn auch: "Nach dem 'Feuer-Überfall' - Ganz Liechtenstein ist wutentbrannt."
Und "Die Ostschweiz" gab einem Kommentar den Titel "Liechtenstein mit Recht
entrüstet."
4/5
Der damalige Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz entschuldigte sich umgehend telefonisch
bei der Regierung und versprach, dass die Schweiz für die Katastrophe zu 100 %
geradestehen werde. Die Liechtensteiner Regierung schickte eine "Protestnote" an das
Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten und kommentierte darin
den Waldbrand mit deutlichen Worten. Um solche Katastrophen zukünftig zu verhindern,
stellte die Regierung unmissverständliche Forderungen.
Trotz der nachvollziehbaren Emotionen waren die Schweiz und Liechtenstein sichtlich
darum bemüht, die kommenden schwierigen Verhandlungen auf der Basis der
bestehenden, sehr guten Beziehungen und des seit Abschluss des Zollvertrags
aufgebauten gegenseitigen Vertrauensverhältnisses zu führen. Denn der Abschluss des
Zollvertrags hatte es Liechtenstein nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ermöglicht, die
damaligen enormen wirtschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen.
Die engen Beziehungen zu der Schweiz trugen massgeblich dazu bei, dass Liechtenstein in
der Folge auch den Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich und politisch beinahe unbeschadet
überstehen konnte. Der wirtschaftliche Aufschwung Liechtensteins seit den 1950erJahren und die Anbindung an die europäische Union über den EWR wären ohne die
Unterstützung und das aktive Mitwirken der Schweiz nicht denkbar gewesen.
Der einzige "Schönheitsfehler", den die Partnerschaft zwischen der Schweiz und
Liechtenstein hatte, waren die strategisch-militärischen Interessen der Schweiz an der
Südgrenze Liechtensteins. 1949 hatte die Gemeinde Balzers das Ellhorn an die Schweiz
abgetreten, damit die Schweiz die Festung Sargans im geplanten Umfang ausbauen
konnte.
Diese vom Liechtensteiner Landtag trotz massiven Widerstands der Balzner beschlossene
Grenzmutation belastete die Zusammenarbeit im Grenzgebiet. Es erstaunt deshalb auch
nicht, dass die Balzner dem seit 1938 betriebenen Waffenplatz auf St. Luzisteig kritisch
gegenüberstanden. Und die immer wieder angemahnte Waldbrandgefahr wurde 1985 zur
schrecklichen Realität.
Die Schweiz und Liechtenstein nahmen nach dem Waldbrand gemeinsam die
Schadenregulierung einerseits und die Neuorganisation des Waffenplatzes andererseits
an die Hand. Der Bundesrat sicherte Liechtenstein zu, die vollen Kosten für die
Wiederherstellung des Balzner Schutzwaldes zu übernehmen, und alle notwendigen
Vorkehrungen zu treffen, damit es nie wieder eine solche Katastrophe geben wird.
Es gingen dennoch einige Jahre ins Land, bis am 10. August 2011 die Schweiz und
Liechtenstein eine Vereinbarung unterzeichnen konnten, eine Vereinbarung, die die
Neuorganisation des Waffenplatzes einvernehmlich regelt und die der Waldbrandgefahr
beim Betrieb des Waffenplatzes den eingeforderten Stellenwert beimisst.
Heute, 30 Jahre nach dem Waldbrand und nach erfolgreicher Wiederaufforstung, gibt es
diesen "Schönheitsfehler" in der Partnerschaft zwischen der Schweiz und Liechtenstein
nicht mehr. Die heute vorliegenden Resultate sind ein Zeichen dafür, dass die
Partnerschaft unserer beider Länder nicht nur funktioniert, sondern auch Belastungen
standhält. Der Waldbrand 1985 hat dazu beigetragen, diese besondere Partnerschaft zu
festigen.
5/5
Möge der Waldbrand 1985 und das dadurch initiierte grenzüberschreitende
Zusammenwirken Symbol und Vorbild für die Regelung künftiger Herausforderungen sein,
die immer Teil einer gelebten und lebendigen Partnerschaft sein werden.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.