Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) Examinatorium SB 3 Europäisches und deutsches Kartellrecht (nach Fallbericht Bundeskartellamt vom 05.03.14; Alexander, Fälle zum Kartellrecht, 2014) HRS betreibt das elektronische Hotelportal HRS.de, das neben den Hotelportalen von Booking und Expedia zu den führenden Hotelportalen in Deutschland gehört. In den AGB der HRS befindet sich eine sog. Bestpreisklausel, nach der Hotelunternehmen verpflichtet sind, (jedenfalls auch) über HRS den jeweils niedrigsten Hotelzimmerpreis, die höchstmögliche Zimmerverfügbarkeit und die jeweils günstigsten Buchungs- und Stornierungskonditionen im Internet anzubieten. Diese AGB befinden sich auch in den Individualverträgen der HRS mit den einzelnen Hotelunternehmen. 1. Wie ist die Bestpreisklausel kartellrechtlich zu bewerten? 2. Abwandlung: Wie ist die Klausel zu bewerten, wenn HRS und die Hotelunternehmen vereinbaren, dass letztere der HRS stets die gleichen (günstigen) Konditionen gewähren müssen wie konkurrierenden Buchungsportalen? Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 #2 Europäisches und deutsches Kartellrecht I. Verstoß gegen § 1 GWB „Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.“ + Spürbarkeit Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 #3 Europäisches und deutsches Kartellrecht Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 #4 Europäisches und deutsches Kartellrecht 1. Unternehmen Funktionaler Unternehmensbegriff Jede, eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Eine Gewinnerzielungsabsicht ist nicht erforderlich. Keine Unternehmenseigenschaft liegt hingegen bei rein hoheitlichen Tätigkeiten, dem ausschließlich privaten Verbrauch sowie bei weisungsabhängigen Arbeitnehmern vor. Sowohl HRS wie auch die Hotelunternehmen sind Unternehmen i.S.d. § 1 GWB Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 #5 Europäisches und deutsches Kartellrecht 2. Vereinbarung, Beschluss oder abgestimmtes Verhalten Hier: Vereinbarung Jede Verständigung – im Sinne einer übereinstimmenden Äußerung des Willens zu einem bestimmten Marktverhalten Es reicht auch bereits tatsächliche Bindungswirkung („gentlemen‘s agreement“) auch AGB in Individualverträgen trotz Vorformulierung ist kartellrechtliche Vereinbarung Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 #6 Europäisches und deutsches Kartellrecht 3. Beschränkung des Wettbewerbs Beeinträchtigungen der wettbewerblichen Handlungsfreiheit von Anbietern und/oder Nachfragern im Marktgeschehen. Gebundener Hotelpartner hat keine Preisgestaltungsfreiheit nach unten gegenüber Dritten Wettbewerb zwischen Hotelportalen über niedrigere Provisionen verhindert Hohe Marktzutrittsschranke, weil individuelle Preisgestaltung als Wettbewerbsoption auf dem Markt der Hotelportale wegfällt Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 #7 Europäisches und deutsches Kartellrecht 4. Bezwecken oder Bewirken der Wettbewerbsbeschränkung Bezwecken: Subjektiver Ansatz: Vorstellung der Parteien H.M. Objektiver Ansatz: innewohnende wettbewerbsbeschränkende Tendenz Bewirken: Gesamtwirkung, unabhängig von ex ante-Tendenz Eingehende Marktanalyse erforderlich Hier bereits „Bezwecken“ gegeben Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 #8 Europäisches und deutsches Kartellrecht 5. Spürbarkeit Ausschluss von Bagatellverstößen: Eignung, die Verhältnisse auf den Märkten mehr als nur in unbedeutendem Umfang zu beeinflussen. Bekanntmachung Nr. 18/2007 des Bundeskartellamtes über die Nichtverfolgung von Kooperationsabreden mit geringer wettbewerbsbeschränkender Bedeutung („Bagatellbekanntmachung“) vom 13. März 2007 10% der gehaltenen Marktanteile von den an einer horizontalen Vereinbarung beteiligten Unternehmen insgesamt auf dem relevanten Markt bei Horizontalvereinbarungen 15 % der gehaltenen Marktanteile von jedem an einer nicht-horizontalen Vereinbarung beteiligten Unternehmen auf keinem der betroffenen Märkte (voroder nachgelagert) bei Vertikalvereinbarungen Vorliegend Marktanteil > 30%, Spürbarkeit (+) Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 #9 Europäisches und deutsches Kartellrecht Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 # 10 Europäisches und deutsches Kartellrecht 6. Freistellung, §2 GWB Gruppen-FSVOen Typisierte Betrachtung von Verhaltensweisen zur Förderung der Rechtssicherheit und der schnelleren Rechtsanwendung Unwiderlegbare Vermutung für das Vorliegen der Freistellungsvoraussetzungen Einzelfreistellung Auch bei Ablehnung von Gruppen-FSVO möglich, aber in Praxis sehr selten Einzelfallgerechtigkeit Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 # 11 Europäisches und deutsches Kartellrecht a. Freistellung nach § 2 Abs. 2 GWB i.V.m. Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisender („Vertikal-GVO“) aa. Anwendbarkeit der Vertikal-GVO Vertikalvereinbarung nach Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 lit. a) Vertikal-GVO Vertikalbeschränkung nach Art. 2 Abs. 1, Art. 1 lit. b) Vertikal-GVO Parteien nehmen wechselseitig Leistungen in Anspruch Beschränkung in der Wettbewerbsfreiheit des A (s.o.) Anwendbarkeit Vertikal-GVO (+) Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 # 12 Europäisches und deutsches Kartellrecht bb. Marktanteilsschwelle, Art. 3 Abs. 1 Vertikal-GVO Freistellung nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO nur dann, wenn „der Anteil des Anbieters an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder dienstleistungen anbietet, und der Anteil des Abnehmers an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder -dienstleistungen bezieht, jeweils nicht mehr als 30 % beträgt.“ Hier an sich (-) bei enger Marktbetrachtung; BKartA prüft aber als obiter dictum weiter Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 # 13 Europäisches und deutsches Kartellrecht cc. Keine Kernbeschränkung, Art. 4 Vertikal-GVO Hier möglicherweise Art. 4 lit. a) Vertikal-GVO Wortlaut an sich nicht erfüllt. Aber Klausel entfaltet eine Wirkung ähnlich einer Mindestpreisbindung, weil Unterschreiten scharf und angesichts Marktstellung HRS empfindlich sanktioniert Zwischenergebnis: Freistellung nach § 2 GWB i.V.m. Vertikal-GVO (-) Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 # 14 Europäisches und deutsches Kartellrecht 2. Einzelfreistellung nach § 2 Abs. 1 GWB (-) Voraussetzungen nicht erfüllt, z.B. keine überwiegenden Effizienzvorteile (str.) da Auch ohne Bestpreisklausel Anreiz zu Qualitätsinvestitionen Kein Trittbrettfahrerproblem Endergebnis: Verstoß gegen § 1 GWB (+) ohne Freistellungsmöglichkeit II. Verstoß gegen § 20 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB (+) III. Verstoß gegen Art. 101 AEUV bei Annahme eines grenzüberschreitenden Bezuges (+) Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 # 15 Europäisches und deutsches Kartellrecht (nach Fallbericht Bundeskartellamt vom 05.03.14; Alexander, Fälle zum Kartellrecht, 2014) HRS betreibt das elektronische Hotelportal HRS.de, das neben den Hotelportalen von Booking und Expedia zu den führenden Hotelportalen in Deutschland gehört. In den AGB der HRS befindet sich eine sog. Bestpreisklausel, nach der Hotelunternehmen verpflichtet sind, (jedenfalls auch) über HRS den jeweils niedrigsten Hotelzimmerpreis, die höchstmögliche Zimmerverfügbarkeit und die jeweils günstigsten Buchungs- und Stornierungskonditionen im Internet anzubieten. Diese AGB befinden sich auch in den Individualverträgen der HRS mit den einzelnen Hotelunternehmen. 1. Wie ist die Bestpreisklausel kartellrechtlich zu bewerten? 2. Abwandlung: Wie ist die Klausel zu bewerten, wenn HRS und die Hotelunternehmen vereinbaren, dass letztere der HRS stets die gleichen (günstigen) Konditionen gewähren müssen wie konkurrierenden Buchungsportalen? Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 # 16 Europäisches und deutsches Kartellrecht I. Verstoß gegen § 1 GWB (+) Dem A ist es verwehrt zwischen H und anderen Portalbetreibern zu differenzieren II. Freistellung nach § 2 GWB 1. § 2 Abs. 2 GWB i.V.m. Vertikal-GVO a) Anwendbarkeit und Marktanteilsschwellen (+)/obiter dictum b) Anwendbarkeit Kernbeschränkung, Art. 4 lit. a) Vertikal-GVO? ConArg.: A ist nicht gehindert von Konditionen abzuweichen, er muss lediglich in einem zweiten Schritt gleiche Konditionen gewähren ProArg.: Im Endeffekt dennoch ähnliche Wirkung wie eine Mindestpreisbindung 2. § 5 Vertikal-GVO (-) III. Endergebnis: Verstoß gegen § 1 GWB, da keine Freistellungsmöglichkeit (a.A. vertretbar) Dr. Peter Picht, LL.M. (Yale) 01.06.2015 # 17
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