Marvin Wiegand ist Landtagskandidat der Linken Marvin Wiegand (links) im Gespräch mit Julian Singler (rechts) Foto: Ettl Im Interview spricht der 18-jährige über seine politische Laufbahn, persönliche Ziele, die Drogenpolitik, das Schul- und Bildungssystem sowie die Flüchtlingsdebatte VS-Villingen. Er ist jung, ehrgeizig und voller Tatendrang. Marvin Wiegand kandidiert 2016 für die Linke bei der Landtagswahl im Wahlkreis Villingen-Schwenningen. Sein politisches Engagement begann Ende 2011, als er gemeinsam mit einem Freund gegen eine Neonazi-Kundgebung in Offenburg demonstrieren wollte. „Der Aufmarsch wurde kurzfristig abgesagt. Es gab dann aber trotzdem eine Gegenkundgebung der SPD, der Jusos und den Gewerkschaften. Eine HolocaustÜberlebende erzählte dort, wie wichtig es sei, sich gegen rechtsextreme Weltanschauungen einzusetzen“, so der gebürtige Villinger. Daraufhin beteiligte sich Wiegand an der Initiative „Kein Bock auf Nazis“, indem er die dazugehörige Zeitschrift in der Stadt und vor Gemeinderatsitzungen in Villingen verteilte. Nun wurden Zeitungen auf den Gymnasiasten aufmerksam und „von da an ging alles Schlag auf Schlag. Es begann natürlich, wie bei vielen, klassisch mit Engagement gegen rechts“, antwortet Wiegand auf die Frage, woher sein politisches Interesse stamme. 2013 lernte er Mitglieder der Linksjugend ['solid] bei einer Kundgebung in Karlsruhe kennen, seit Anfang 2014 ist er dort Mitglied. Im selben Jahr gründete er dann selbst mit zwei Bekannten die Linksjugend ['solid] Villingen-Schwenningen. „Wir versuchen, Veranstaltungen zu organisieren und am politischen Diskurs teilzunehmen“, erklärt Wiegand. Dieses Jahr konnte ein Ortsverband der Linken gegründet werden, nachdem sich einige Mitglieder dafür ausgesprochen hatten. „Bis September ging es hin und her. Wir wussten, dass es Mitglieder hier im Kreis gibt. Es ging darum, ob man diese zum Mitmachen bewegen kann oder es nur Karteileichen sind“, so Wiegand. Nach der Gründung des Ortsverbandes wurde dann ein Landtagskandidat gesucht. „Zuerst wollte es ein Freund von mir machen, der aber dann wegen der anstehenden Abiturprüfungen abgesagt hatte. Da ich mit der Schule fertig war, habe ich statt ihm zugesagt. Irgendjemand muss es ja tun“, schmunzelt Wiegand. Wiegand lernte die Partei als unabhängig und offen kennen. „Natürlich gibt es in jeder Partei verschiedene Flügel und Strömungen, die dann mal mehr und mal weniger offen sind. Die Linksjugend ['solid] ist ein eigenständiger Verband, der von der Partei als parteinahe Jugendorganisation anerkannt wird“. Kritisch sieht er die Altersstruktur der Partei. „Natürlich sind höhere Positionen durch die ältere Generation besetzt, die die Führung ungern abgibt. Damit muss man einfach rechnen, wenn man überlegt, in eine Partei einzutreten. Für Jugendliche ist deshalb in der Regel der Jugendverband der Einstieg“. Wiegand selbst wollte lange Zeit kein Parteimitglied werden. „Bei Parteien hatte ich immer dieses Klischee, da sitzen die alten Herren am Stammtisch, trinken ihr Bier und pöbeln rum“, erinnert er sich. Durch persönliche Erfahrungen lernte er dies bei der Linken anders kennen und wurde schließlich doch Parteimitglied. „Auch die Linke hat ihre Fehler, sie ist nicht perfekt, doch sie ist die Partei, der ich aufgrund des Programms am nächsten stehe“, so Wiegand weiter. Auf die Frage, wie er zum Thema Links- und Rechtsextremismus steht, hat Wiegand eine klare Antwort. Der Statistik des Verfassungsschutzes zum Links- und Rechtsextremismus steht er kritisch gegenüber, da für ihn die Definitionen fehlerhaft sind. „Was ich an dieser Statistik bemängle, ist zum Beispiel, wenn man bei einem Naziaufmarsch den Weg des zivilen Ungehorsams, also der Sitzblockade, wählt, rausgezogen und des Platzes verwiesen wird. Dies sehe ich anders als der Verfassungsschutz nicht als linksextreme Straftat, sondern als ein legitimes Mittel. Wenn auf der anderen Seite aber ein sogenannter „besorgter“ Bürger aus „Angst“ das Asylbewerberheim in der Nachbarschaft anzündet, zählt das nicht automatisch als rechtsextreme Straftat, sondern es wird in alle Richtungen ermittelt“. Laut Wiegand muss ganz klar zwischen Links- und Rechtsextremismus differenziert werden. Während linke Bewegungen emanzipatorische Ansprüche verfolgen, zielt das rechte Spektrum auf ein reaktionäres Weltbild ab. Ebenfalls distanziert sich der Landtagskandidat von der staatlichen Extremismustheorie, die als Hufeisenmodell bekannt ist. In der Mitte ist das „Normale“, also die Demokratie, während rechts der Rechtsextremismus und links der Linksextremismus dargestellt wird. „Diese Gegenüberstellung soll zeigen, dass beides gleich schlimm ist, was ich absolut nicht teilen kann. Beide Weltanschauungen sind verschieden, diese Gleichstellung geht nicht.“, erklärt Wiegand. „Wer Drogen nehmen möchte, soll das Recht auf seinen Rausch haben“. Mit dieser Aussage polarisiert Wiegand in Sachen Drogenpolitik. Freiheit bedeute auch Freiheit zur Destruktivität (=Selbstzerstörung). Er setzt sich für die Legalisierung von Drogen ein und bezieht sich dabei nicht nur auf Cannabis. „Ich finde es sinnlos, einen Unterschied zwischen harten und weichen Drogen zu machen. Es gibt bei jeder Droge Menschen, die sie konsumieren möchten“, erklärt er. Zuerst müsse es eine Entkriminalisierung aller Drogen geben, da dadurch eine bessere Suchtberatung stattfinden könne sowie eine erfolgreichere Hilfe. Im nächsten Schritt müsse dann die Legalisierung folgen. „Das größte Problem bei Drogen sind doch nicht die Drogen an sich, sondern der Schwarzmarkt“, sagt Wiegand. „Jeder Dealer will auf dem Schwarzmarkt Profit machen. Dies führt dazu, dass Drogen gestreckt werden, um diesen Profit zu steigern. Man muss dem Schwarzmarkt die Drogen entziehen und ihn verkleinern“, positioniert er sich klar. Für Marihuana gibt es zum Beispiel die Idee der sogenannten Cannabis Social Clubs, in denen Erwachsene selbst anbauen und konsumieren dürfen. Hier gibt es Richtlinien, an die man sich zu halten hat. Durch diese Regelung verliert der Schwarzmarkt an Einfluss und Macht. Ebenfalls nötig ist eine Qualitätsprüfung, um zu gewährleisten, dass die Streckmittel in den Drogen keine Nebenwirkungen verursachen. „Der Schwarzmarkt kann keine Qualität versprechen und interessiert sich nicht für den Jugendschutz. Dem Dealer ist es egal, ob du 13 oder 39 bist, Hauptsache er verdient sein Geld“, hält das Parteimitglied der Linken fest. „Natürlich kann man auch bei einer staatlichen Regelung nicht versprechen, dass die Drogen an Minderjährige weiter gegeben werden, doch das ist auch beim Alkohol so. Würde Alkohol illegal sein, würde es auch hier einen Schwarzmarkt geben“, ist sich Wiegand sicher. „Voraussetzung ist eine frühkindliche Prävention in Schulen“, so Wiegand weiter. Das Klischeedenken, was Drogen angeht, müsse abgeschafft werden. „Klar, man kann es übertreiben und sich zum Beispiel kaputtkiffen, doch gerade deshalb muss es früh eine richtige Aufklärung geben.“ Er spricht die Drugscouts an, die er in Sachsen kennengelernt hat. Diese Organisation klärt beispielsweise durch Broschüren über Drogen und deren psychischen und körperlichen Auswirkungen auf. „Am besten solle man gar keine Drogen nehmen, doch wenn man es doch tut, dann verantwortungsbewusst und vorsichtig“, so Wiegand über die Drugscouts. Des Weiteren werden Konsumenten hier mit dem richtigen Equipment versorgt. „Solche Organisationen müssen staatlich unterstützt und gefördert werden“, fordert der Jungpolitiker. Zudem verlangt er eine bessere Einbindung der Drogenprävention in den Schulunterricht. „Es kann jedem Menschen passieren, dass ihm Drogen angeboten werden. Wenn man dann aber nicht weiß, was passieren kann und was die Gefahren beziehungsweise Auswirkungen sind, ist das schlecht“. In der Schul- und Bildungspolitik kritisiert er die Ungleichbehandlung, die es in Deutschland gibt. „Es wird immer gesagt, dass die Chancen für alle gleich sind, doch es entscheidet leider oft der Geldbeutel“, bilanziert Wiegand. Er ist ein Freund des finnischen Schulsystems, das Freiheit und persönliche Entfaltung vermittelt. „Dort gibt es ein Gesamtschulsystem, bei dem man selbst entscheiden kann, ob man nach der gemeinsamen Zeit in der Klasse weitermacht oder etwas fachspezifisches lernt“, erklärt er. Wiegand fordert auch für Deutschland dieses Gesamtschulsystem und ist ein Verfechter der Gemeinschaftsschulen. „Unser Schulsystem bringt einen Leistungsdruck mit sich, der bereits in der Grundschule beginnt“, sagt er. Weiterhin ist Wiegand der Meinung, „dass es faktisch zwar die Grundschulempfehlung nicht mehr gibt, ein Schubladendenken jedoch trotzdem existiert. Wer etwas von sich hält, geht auf das Gymnasium. Alle, die in die Hauptschule gehen, sind sozial abgeschrieben und fühlen sich weniger wertgeschätzt“. Wiegand fordert die Abschaffung dieser Vorurteile und wirbt für ein offenes, zielgerichtetes Schulmodell. Auch beim Thema Flüchtlinge positioniert sich Wiegand klar. Er ist gegen eine staatlich festgelegte Obergrenze und sieht die Missstände im deutschen Volk, nicht bei den Flüchtlingen. „Das große Problem in Deutschland ist der Rechtsextremismus. Es brennen tagtäglich Asylunterkünfte“, mahnt er. „Diese Menschen fliehen vor Krieg, Verfolgung, Armut und Hunger. Sie haben ein Recht darauf, sicher zu leben. Es ist unsere Pflicht“, ist sich Wiegand sicher. Was die Zukunft angeht, sieht er sich auch weiterhin in der Politik. „Ich habe Lust auf mehr“, lacht Wiegand. Man darf also durchaus gespannt sein, wie es mit dem Villinger weitergeht. Julian Singler
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