Alle wollen Freiheit, aber niemand will eine Ausbildung.

Alle wollen Freiheit,
aber niemand
will eine Ausbildung.
Dominique Perret
48 Snowactive Februar 2016 I S T A l a n c i e r t n e u e s A u s b i l d u n g sp r o g r a m m
Für besseren Schutz
vor Lawinen
Die International Snow Training
Academy (ISTA) will Freeridern den
Umgang mit Gefahren ausserhalb der
Pisten beibringen. Initiator ist der
Westschweizer Dominique Perret,
der einst als bester Freerider des
20. Jahrhunderts ausgezeichnet
wurde.
 Frischer Pulverschnee auf unberührten
Hängen, das Glitzern der Schneekristalle im
Sonnenlicht – davon träumen derzeit wieder
Zehntausende von Freeridern, Snowboardern
und Skitouren-Fans. Die Aussicht auf Abfahrten im jungfräulichen Weiss wecken seit jeher
Emotionen, Begehrlichkeiten, Gefühle von
Freiheit, Unabhängigkeit und Abenteuer. Pulverschnee ist hipp, Pulverschnee macht Lust
auf mehr – zumal in einem Winter wie diesem,
der so lange auf sich warten liess.
Auch die Trends zielen klar in eine Richtung.
Der Skimarkt stagniert, doch das Geschäft mit
breiten Off-Piste-Latten, Lawinenverschüttetensuchgeräten (LVS) und Lawinen-Airbags
boomt. Allein im letzten Winter wurden in der
Schweiz 180 000 LVS und 60 000 Lawinen-Airbags verkauft. Die einstigen Nischenprodukte
sind längst zu Massenartikeln geworden. Und
so bewegen sich immer mehr Menschen in ungesicherten Gebieten abseits der Pisten. Ein
risikoreiches Abenteuer: Jährlich sterben in
der Schweiz durchschnittlich 25 Personen in
Lawinen. 90 Prozent der Lawinen werden
durch die Sportler selbst ausgelöst.
Fotos: zVg. / B&S, Stockimage
Freerider ungenügend ausgebildet
Besonders Freerider, die innerhalb der Skigebiete ihren Kick suchen, haben nicht den besten Ruf. Passiert ein Unfall und verschüttet
eine Lawine auch noch eine Piste, rufen Kritiker schnell nach Verboten. Das aber stellt ein
breit abgestütztes Prinzip infrage: den freien
Zugang zum Berg, die Aussicht auf das letzte
Stück Freiheit.
Das Problem der ahnungslosen Freerider und
des Rufs nach Verboten hat der Westschweizer
Freeride-Profi Dominique Perret erkannt. «In
Gesprächen mit Politikern und Leuten aus der
Versicherungsbranche musste ich mir immer
wieder anhören, wie verantwortungslos Freerider sich in den Bergen bewegen», sagt Perret,
«das brachte mich zum Nachdenken und zum
Entschluss, mehr Struktur und Sicherheit in
diesen wunderbaren Sport zu bringen.» Der
Pulverschnee ziehe laufend mehr Leute an.
«Alle wollen Freiheit, aber niemand will eine
Ausbildung», sagt Perret. Er spielt damit auf
die Einstellung vieler Wintersportler an, die
sich zwar gerne im freien Gelände bewegen,
von Schneeverhältnissen und Risiken aber
nicht viel verstehen – oder nicht viel halten.
Zahlreiche Unfälle in den Bergen hätten mit
Ignoranz zu tun, sagt Perret. Das soll sich ändern. Der 53-Jährige, der zum besten Freerider
des 20. Jahrhunderts gewählt worden ist, will
seine Vorbildfunktion nutzen und seine Erfahrung gemeinsam mit über 40 anderen internationalen Experten in Form eines neuen Ausbildungsprogramms weitergeben. «Wir dürfen
nicht nur über Unfälle und Rettung sprechen,
sondern müssen endlich die Prävention fördern», fordert Perret.
28 Standorte in der Schweiz
Bisher war das Schulungsangebot im Bereich
Freeride vor allem für Profis bestimmt. Das
neue Programm, das im letzten Winter von
Bergführern und Skilehrern in Verbier und
Zermatt getestet wurde, richtet sich nun an
Skifahrer, Snowboarder, Tourenfahrer und Heliskier. Seit Mitte Dezember bieten Instruktoren an 28 Standorten in der Schweiz und an 15
Standorten im italienischen Aostatal Kursmodule an. Diese sollen die Teilnehmenden befähigen, mit Risiken umzugehen, statt nur auf
ihre Ausrüstung zu vertrauen.
«Rettungsgeräte vermittelten oft ein falsches
Sicherheitsgefühl», sagt der ehemalige Snowboard-Weltmeister und passionierte Freerider
Ueli Kestenholz, der sich ebenfalls in den
Dienst von ISTA stellt. Im nächsten Winter
sollen Ausbildner in Deutschland, Österreich
und Spanien hinzukommen. Das Angebot soll
nach der mehrjährigen Einführungsphase
weltweit anerkannt sein.
Taucher als Vorbild
Initiator Perret hat sich ein Beispiel an den
Tauchern genommen. PADI (Professional Association of Diving Instructors) heisst das weltweite Ausbildungssystem, an dem sich die
Tauchschulen orientieren. Der Vorteil: Dank
Dominique Perret
standardisierter Module lässt sich eine Taucherausbildung zum Beispiel auf den Philippinen beginnen und in der Karibik fortführen.
Das gleiche Prinzip schwebt Perret vor: Zertifikate sollen den Wissensstand der Kursteilnehmer weltweit belegen.
Ausbildung wird belohnt
Diese Standardisierung ist ein wichtiger Bestandteil des ISTA-Programms, denn die Ausbildung ist so konzipiert, dass der erste Kurs
beispielsweise in der Schweiz absolviert, die
nächste Stufe aber auch an einem Standort im
Ausland in Angriff genommen werden kann.
Ein Anfängerkurs kostet hierzulande 229 Franken. Dieser Betrag wird dem Absolventen nach
dem Kurs gutgeschrieben. Damit soll er sich
günstiger ein Paar Ski, einen Lawinenrucksack
oder sonstige Ausrüstungsgegenstände kaufen
können. «So belohnt die Freeride-Industrie die
Wintersportler für deren Ausbildung», sagt
Perret – in der Hoffnung auf einen allgemein
bewussteren Umgang mit den Gefahren in den
Mac Huber
Bergen. ISTA ist ein internationales Lawinenausbildungsprogramm, das die Freiheit, den Spass und die Sicherheit der Fahrer abseits der Piste steigern will,
indem es Risiken in den Bergen verringert. Zahlreiche Branchenvertreter (Ausbildung, Tourismus, Industrie) haben sich für dieses Projekt zusammengefunden. Dominique Perret, der als Freerider
mehrere Weltrekorde aufgestellt und in mehr als 20
Filmen eine tragende Rolle spielte, hat das Startup
safe mountain AG gegründet, um ein Ausbildungsprogramm zu entwickeln. Die Firma hat ihren Sitz
seit ihrer Gründung im Jahr 2014 in Lausanne und
zählt fünf Mitarbeitende.
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