AFA ARCHITEKTUR MAGAZIN DAS SPIEL MIT FARBE 7. AFA-Architektenveranstaltung „Brandschutz & Sicherheitstechnik“ am 03.11.2015, Anmeldung auf Seite 31 Games Architecture Heilige Hallen im neuen Licht Architektenhotels ab Seite 72 Offizielle Mitgliederinformationen des BDB.NRW Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure e. V. Landesverband Nordrhein-Westfalen Seite 47–70 AFA 2015 n° 03 4,90 € Die wohl größte Schwierigkeit liegt dabei in der Bereitstellung von Unterkünften, die nicht nur schnell verfügbar sein muss, sondern auch als menschenwürdig eingestuft und in großer Anzahl vorhanden sein sollte. Auch die Finanzierung einer solche Unterkunft muss sichergestellt werden. Zeltstädte scheinen zunächst eine gute Alternative zu bieten, da sie schnell und kostengünstig zu errichten sind. Doch zeigt sich am Beispiel Ungarn, dass viele Flüchtlinge sich dort unwohl fühlen, da in solchen Massenunterkünften wenig Raum für Privatsphäre bleibt und auch die Sauberkeit und die Hygienebedingungen häufig zu wünschen übrig lassen. Ein weiteres Problem stellen die Jahreszeiten dar. Im Sommer ist es in den Zelten zu warm, im Winter zu kalt. Eine vernünftige Raumtemperierung ist undenkbar. 36 AFA | Architekturmagazin für Architekten Neben anderen sozialpolitischen und ökonomischen Problemen wie Integration und multikulturelle Interessen definiert sich die Flüchtlingskrise auch über Wohnraum. Schaffung von Wohnraum unter ökologischen sowie ökonomischen Gesichtspunkten zählt zu den Hauptaufgaben eines Architekten. So liegt der Schluss nahe, dass nicht nur Politiker, Soziologen und Wirtschaftsfachleute sich mit dem Thema auseinandersetzen, sondern vielmehr auch Fachleute, nämlich die Architekten, an der Diskussion beteiligt werden sollten. Durch einen höheren gestalterischen Ansatz und intelligent geplante Raumstrukturen können nicht nur kosteneffizientere Konzepte umgesetzt, sondern auch die Akzeptanz der Bevölkerung gesteigert werden. Damit ist nicht gemeint, dass zukünftig Luxusimmobilien für Flüchtlinge geplant und realisiert werden sollen. Menschenwürdig darf nicht mit Luxus verwechselt werden und entbindet die Bewohner nicht von ihren Mitwir- © Architekten BDA Feldschnieders und Kister Flüchtlingskrise in Europa und die Rolle der Architektur Übergangswohneinrichtung in Bremen Walle kungspflichten; übrigens eine wichtige Grundvoraussetzung für Integration! Sauberkeit beispielsweise ist ein Gut, was jedem kostenfrei zur Verfügung steht, sofern man ein wenig persönlichen Einsatz zeigt. Vielmehr steckt die Idee dahinter die Fachkompetenzen eines Architekten zu nutzen aus den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten kostengünstige, intelligente, Raumkonzepte zu erschaffen, die als temporärer Wohnraum genutzt werden können. Auch kann es nicht die Lösung sein einen Teil der Flüchtlinge in eigens dafür gebaute Mehrfamilienhäuser in Wohngebieten unterzubringen. Zwar ist diesen auserwählten Asylsuchenden in erster Linie gut geholfen, aber dafür tauchen an anderer Stelle ganz andere Probleme auf. Wer darf in die Wohnung im Wohngebiet und wer muss mit einer Unterbringung im Zelt vorlieb nehmen? Zählt die Reihenfolge des Asylantrages oder das Herkunftsland? Sollen dort nur Familien wohnen dürfen oder haben auch Einzelpersonen einen Anspruch? Man sieht deutlich, dass eine solche Lösung zwar gut gemeint, aber alles andere als gut gemacht ist. Eine Ausgrenzung und Stigmatisierung der Flüchtlinge untereinander ist die Folge — also genau das Gegenteil von dem was erreicht werden soll, nämlich: Eine Willkommenskultur, die alle gleichberechtigt willkommen heißt. Auch die Nachhaltigkeit eines solchen Konzeptes ist durchaus fragwürdig. Was passiert mit den Gebäuden, wenn eine Flüchtlingsunterkunft in dem Maßen nicht mehr vonnöten ist? Wer finanziert gegebenenfalls einen Rückbau? Kann das verwendeten Baumaterial recycelt werden? Interessante Lösungskonzepte kommen beispielsweise von den Bremer Architekten Stefan Feldschnieders und Tobias Kister, die aus einem herkömmlichen Wohncontainersystem eine menschenwürdige Unterkunft geschaffen haben. Durch geschicktes arrangieren der Container wurden nach dem Vorbild der Hof- und Atriumhäuser Innenhöfe geschaffen, die je nach Standpunkt AFA | Architekturmagazin für Architekten 37 © Architekten BDA Feldschnieders und Kister Einrichtung in Bremen Hemelingen mehr oder weniger öffentliche Einblicke gewährt. Dadurch ergibt sich ein fließender Übergang von introvertiert zu extrovertiert, der bei den derzeitigen Bewohnern auf großen Anklang stößt. Alleine durch das architektonische Verständnis von Raumgestaltung wird hier aus einem kostengünstigen Containerdorf mit einem sonst eher mäßigen Image eine gute und realistische Alternative geboten, bei der alle notwendigen Aspekte berücksichtigt wurden. Ein solches Containerdorf kann schnell und kostengünstig auch auf kleinen Flächen errichtet werden. Es bietet den Bewohnern sowohl die Möglichkeit ihre Privatsphäre zu wahren als auch mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und ist zudem mit geringem Aufwand und wenig Müll wieder zurückzubauen. Auch ist es in seiner Umfangsgestaltung sehr flexibel und an keinen festen Standort gebunden. So kann im Einzelfall das vorhande- 38 AFA | Architekturmagazin für Architekten nen Platzangebot auf den konkreten Bedarf abgestimmt werden. Durch die Änderung des Baugesetzbuches in Bezug auf die Belange von Flüchtlingen und Asylbegehrende dürfte die temporäre Nutzung von freien Grundstücksflächen auch in Gewerbegebieten und im Außenbereich deutlich einfacher durchzusetzen sein. Auch in Hamburg gibt es ein ähnliches Wohnprojekt. Unter dem Motto „fördern und wohnen – Zukunft menschlich gestalten alle mitnehmen – keinen vergessen“ werden Immobilien in verschiedensten Standards an unterschiedlichen Stadtteilen für die Nutzung als Erstunterbringung oder Folgeunterbringung bereitgestellt. Dabei sind sowohl Gemeinschaftsunterkünfte vorhanden, als auch abgeschlossene Wohnungen, die je nach Aufenthaltsdauer verteilt werden. Im Nord-Westen von Hamburg befindet sich das Pavillondorf „Holsteiner Chaussee“ mit neun Häuser in Holzbauweise, in denen jedoch nicht ausschließlich Flüchtlinge und Asylsuchende untergebracht sind. Das Konzept sieht auch die Unterbringung von Wohnungs- und Obdachlosen, Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen, psychischen oder psychosozialen Beeinträchtigungen sowie Suchterkrankungen vor. Ein vollkommen integratives System, in dem erste Sprachbarrieren überwunden und Hemmschwellen untereinander abgebaut werden können. Ergänzt wird der Ansatz durch ein vielfältiges Betreuungsangebot sowohl von Freiwilligen und Ehrenamtlichen als auch von Angestellten der Organisation durch Hausaufgabenbetreuung, Deutschkurse oder Freizeitangebote. Das Angebot eines gemeinsamen Gartenprojekts, bei dem die Bewohner zusammen die vorhandenen Grünflächen bepflanzen und pflegen wird besonders gut angenommen. An solchen Konzepten wird deutlich, dass Architektur nicht nur durch äußerliche Gestaltung überzeugen sollte. Eine zentrale Aufgabe von Architektur ist die Raumgestaltung sowohl im ursprünglichen Sinne, als auch im weiteren Kontext der Stadtraum- und Landschaftsgestaltung. Gerade in Extremsituation wie der Unterbringung von Migranten, wo viele Nationen, diverse Wertevorstellungen und unterschiedliche Zielvorgaben auf engstem Raum aufeinandertreffen, kann eine gute architektonische Planung der entscheidende Faktor sein, der eine erfolgreiche Integration maßgeblich unterstützt. Autorin: Dipl.-Ing. FH Arch. Sarah Zietek AFA | Architekturmagazin für Architekten 39
© Copyright 2024 ExpyDoc