Wenn Kinder erstmals ihre eigene Stimme hören

Wenn Kinder erstmals ihre eigene Stimme hören
Kinderwelt des Hörens in Ostafrika
Ein privates Hilfsprojekt von Heike Nörenberg zwischen Glück und Traurigkeit
Es begann 2009 mit einem Urlaub in Afrika. Ich war berührt vom Schicksal zweier Albino-Mädchen,
eine davon schwerhörig, die ein Leben am Rande der Gesellschaft führten: behindert, gehänselt und
ausgegrenzt. In mir reifte der Entschluss zu helfen, zu unterstützen. Durch meinen Beruf als
Hörgeräteakustikmeisterin bin ich auf das Thema *Hören* sensibilisiert. Ich war zu tiefst erschüttert,
wie viele Kinder das Schicksal *Nicht-hören-können* teilen und wie wenig Hilfe vor Ort verfügbar ist.
Es mangelt an Hörgeräten, aber vor allem auch an Fachkräften, die Hörgeräte individuell anpassen
können und dann mit den Kindern trainieren. Auch gibt es kaum HNO Ärzte.
In ganz Uganda gibt es gerade mal 4 Audiologen. Für mich war nach meiner Rückkehr 2009 klar, dass
ich hier helfen möchte. Ich startete das Projekt: Hörgeräte für Kinder in Ostafrika. Es ist das erste
nachhaltige Projekt in dieser Region.Ich begann zu recherchieren und knüpfte Kontakte zu den
Schulen in Kampala und Bukoba. Es erfolgte ein reger und interessanter Austausch per e-mail.
Unbehandelte Mittelohrentzündungen, Malaria, falsche und fehlende Medikamente und auch
häusliche Gewalt, sind Hauptursachen für viele Schwerhörigkeiten. Auf dem Land gibt es keinerlei
Fördereinrichtungen für ertaubte und schwerhörige Kinder. Aus Unwissenheit und mangelnder
Aufklärung wird *Nicht-hören* und Dummheit gleichgestellt. Die meisten schwerhörigen Kinder
werden nicht in die Grundschule aufgenommen, damit ist auch der Weg zu einer Berufsausbildung
und später wirtschaftlicher Selbständigkeit versperrt. Schwerhörige Menschen bleiben somit oft ihr
Leben lang von ihrer Familie abhängig. Ist die Familie sehr arm und nicht in der Lage, jemanden
lebenslang zu versorgen, leben schwerhörige Menschen oft in größter Armut und sozial insoliert.
In Afrika werden schwerhörige Kinder meist nicht gefördert. Einige „Glückskinder“ werden jedoch in
den von mir betreuten Gehörlosenschulen aufgenommen. Hier werden die Kinder aufgefangen und
ganzheitlich betreut und beschult. Sie erlernen jedoch zusätzlich die Gebärdensprache, da sie Ihre
Schwerhörigkeit nicht allein mit Hörgeräten ausgleichen können. Es gibt kaum Hörgeräte. Somit
lernen diese Kinder auch meist nicht sprechen.
Nach vielen intensiven Projektbetreuungen schweifen meine Gedanken täglich nach Kampala
(Uganda) und Bukoba (Tansania) zu den liebenswürdigen Menschen dort. Ich bin emotional sehr
berührt, denn so nah war ich den Menschen in Ostafrika, mit all ihren Sorgen und Nöten, aber auch
den vielen schönen Seiten ihres Lebens, noch nie. Als Tourist bekommt man nie und nimmer
solchintensiveEindrücke. Erst zurück in Deutschland begreife ich nach und nach viel Dinge und
Begebenheiten.
Mit war von Beginn an klar, dass es nicht damit getan ist, Hörgeräte für die Kinder zu beschaffen.
Hörgeräte müssen nicht nur exakt auf den Hörverlust des jeweiligen Kindes eingestellt werden,
sondern Hörgeräte müssen laufend gewartet werden. Batterien müssen regelmäßig(alle 10-12 Tage)
gewechselt werden. Schallschläuche am individuellen Ohrstück getauscht und kleinere Reparaturen
durchgeführt werden. Kinderohren wachsen, so müssen bei den kleinen Kindern alle 6 Monate die
Ohrstücke (Anmerkung: ein Ohrstücksitzt im Ohr und wird nach Abdruck individuell gefertigt)
erneuert werden.
2012 unternahm ich dann meinen ersten Projektbesuch. Ich reistenach Uganda und auch nach
Tansania in 2 Gehörlosenschulen, von denen ich vorab gehört hatte:Ntinda School in Kampala und
nach Bukoba (Tansania) in die Mugeza Schule. An beiden Schulen arbeiten 2 ausgebildete
Audiologen, die in der Lage waren individuelle Audiogramme zu erstellen, um den Hörverlust bzw.
das Resthörvermögen der Kinder zu ermitteln.
Beide Schulen (Ntinda und Mugeza) kooperieren schon seit Jahren miteinander, was
außergewöhnlich fortschrittlich ist. Der Direktor der Ntinda Schule in Kampala Herr Jackson Mbuusi,
und der Sonderpädagoge in Bukoba, Herr Amin Said, sind audiologisch gut ausgebildet. Das ist ein
sehr wichtiger Aspekt für die Nachhaltigkeit des Projekts.
Eckdaten zu den beiden unterstützten Schulen:
Ntinda School Kampala
gesamt 215 Schülerinnen und Schüler
198 Schülerinnen und Schüler und 17 Kinder in der Frühförderung
Die Eltern zahlen 3x/Jahr eine Schulgebühr von 403,- Dollar
Die ugandische Regierung zahlt einen kleinen Beitrag, aber leider nicht regelmäßig
Heike Nörenberg mit ihrem Projekt unterstützt mit Hörgeräten/Zubehör/Manpower
Die Schüler sind zwischen 4-15 Jahre alt.
Sie haben eine kleine Krankenanstalt, in der es Medikamente gegen Malaria, Husten,
Hautinfektionen, sowie Antibiotika und Schmerzmittel gibt.
Es gibt eine HNO-Arzt Versorgung
Die Schule arbeitet mit dem Mulago Hospital dem größten Krankenhaus in Uganda zusammen.
Das Krankenhaus überweist 90% aller Kinder in die Schule. Die anderen 10% senden Freunde und
Familien der Kinder, die bereits an der Schule Ntinda unterrichtet wurden.
Mugeza School ( ländliche Schule)
Gesamt derzeit 127 Schülerinnen und Schüler (42 Mädchen und 85 Jungen)
Die Schule wird von der Tansanianischen Regierung finanziert.
Die Eltern tragen teilweise zum Schulgeld bei. Die Schüler sind zwischen 7 und 20 Jahre alt.
Bukoba hat 8 Schulstufen und Sonderförderung für mehrfach behinderte Kinder und Frühförderung.
Medizinische Versorgung erhalten die Kinder von der Schule.
Hörgeräte erhalten sie aus der Initiative von Heike Nörenberg und aus kleinen Regierungsspenden.
Im Juni 2012 habe ich 80 Hörgeräte inkl. Individuellen Ohrstücken angepasst und gefertigt.
Begeistert und bewegt kam ich damals zurück. Ich habe viele liebenswürdige Menschen
kennengelernt, die alle engagiert sind ihr Wissen zu erweitern für das Wohl der schwerhörigen
Kinder. Von dem Augenblick an war ich fest davon überzeugt, dass mein Projekt Nachhaltigkeit
besitzen wird. Mein Wunsch und Ziel war und ist es, dass die Kinder in beiden Schulen mit
Hörgeräten versorgt werden, auch wenn ich nicht da bin.
Ich trainierte die Sonderpädagogen bis in die späten Abendstunden. Sie mussten otoskopieren und
tamponieren für die dann folgenden individuellen Ohrabdrucknahme. Außerdem zeigte ich Ihnen die
Anfertigung von individuellen Ohrstücken (Ausarbeitung mit einem Handfräser).
Theoretisch förderte ich die Pädagogen in Anatomie und Krankheitslehre. Es gab ja auch so viel zu
beachten. Den Lehrern und auch mir war natürlich bewusst, dass alles Schritt für Schritt aufgebaut
werden muss.
Wir audiometrierten alle Kinder in der Schule und werteten die Audiogramme aus. Besprachen die
Ergebnisse und legten die jeweiligen Hörgeräte passend für den Hörverlust des jeweiligen Kindes
fest. Hörgerätekunde gehörte natürlich auch zum Programm. So habe ich die Lehrer intensiv geschult
und praktisch trainiert. Wir hatten viel Spaß, denn alle waren mit Freude und Engagement dabei.
Es ist unbeschreiblich wenn mich die Kinder mit ihren großen, braunen Äugelein anschauen und sie
damit zu verstehen geben, dass sie nun hören. Sie hören zum ersten Mal ihre eigene Stimme… Das
ist Gänsehautfeeling und so überwältigend. Ich musste weinen vor Glück - und vor Traurigkeit.Es sind
Momente die werde ich in meinem Leben nie vergessen. Die kleine Alicia oder Nabhani wiederholten
die Laute *babababa* hielten inne und freuten sich unbeschreiblich-sie konnten die Laute hören!!
Wie wundervoll…
Ich möchte den Kindern in Kampala und Bukoba von ganzem Herzen und mit meiner ganzen Kraft
mit Hörgeräte ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen.
Es fehlen natürlich Hörgeräte (wir benötigen vor allemPower-Hörgeräte) für
hochgradighörbehinderte Kinder. Diese Hörgeräte könnten das Leben der Kinder schlagartig
verändern.
Außerdem werden ständig Materialien zur Ohrabdrucknahme benötigt und ohne Batterien
funktionieren die Hörgeräte auch nicht. Eine Hörgeräteversorgung ist mit vielen Wartungen und
kleineren Reparaturen verbunden, es ist auch das Klima vor Ort zu beachten.
Bei meinem Besuch 2013 im Herbst übergab ich eine Messeinrichtung zur Programmierung von
digitalen Hörgeräten.Nun können die Hörgeräte individuell auf den jeweiligen Hörverlust des Kindes
programmiert und eingestellt werden. Ich erweiterte mit Hilfe von Sponsoren die technische
Ausstattung der Schulen um einen sehr wichtigen Arbeitsplatz zur Programmierung von Hörgeräten.
Programmierbare Hörgeräte ( es sind mittlerweile schon mehr als 400 Hörgeräte) direkt vor Ort
anzupassen ist ein großer Fortschritt und auch ein sehr wichtiger Schritt zur Nachhaltigkeit, auf die
ich sehr großen Wert lege. Ich habe die Audiologen Amin Said (Bukoba) und Jackson Mbuusi geschult
und praktisch eingewiesen.Audiologische Hintergründe, sowie in die Handhabung der verschiedenen
Programmiermodule und die Auswahlkriterien der Hörgeräte nach akustischen Parametern standen
hierbei im Vordergrund.
Somit wurde die Qualität der Hörgeräteversorgungen wesentlich verbessert. Außerdem bewunderte
ich die Ohrstücke die in der Zeit meiner Abwesenheit eigenständig angefertigt wurden.
Ich war begeistert und voller Lob. Diesmal hatte ich auch einige gespendete Hörgeräte meiner
Hörgerätekunden aus Hagenow im Gepäck. Es ist sehr berührend, wie die Bevölkerung in
Deutschland mich unterstützt, indem sie ihre älteren, aber noch gebrauchsfähigen Hörgeräte
spenden. Dafür bedanke ich mich sehr herzlich.
Ich bin überglücklich und stolz auf die Sonderpädagogen. Sie leisten eine hervorragende Arbeit.
Durch die digitalen Medien stehen wir in ständiger Verbindung. Hier können wir Fragen klären und
Tipps austauschen.
Seit Beginn meines Projekts habe ich über 450 Kindern in Tansania und Uganda spezielle Hörgeräte
zur Verfügung gestellt und angepasst. Mit Rückblick auf die ersten sechs Jahre meiner Unterstützung
kann ich bereits eine positive Bilanz ziehen, denn nicht nur die direkte Hilfe bei den Kindern durch
speziell angefertigte Hörgeräte kommt an, sondern auch die Zusammenarbeit und Unterstützung von
Fachkräften und Sonderpädagogen vor Ort funktioniert immer besser. Wartungen und kleinere
Reparaturen können nun ebenfalls direkt vor Ort durchgeführt werden. Das ist großartig – und
nachhaltig. Die Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe macht uns große Freude. Jeder ist mit
Engagement und viel Liebe dabei Ich habe nach meinen letzten Workshops große Zuversicht, dass
unsere gemeinsame Aufgabe im Dienste hörbehinderter Kinder immer mehr Gestalt annimmt und
das Projekt in ein paar Jahren selbstständig vor Ort laufen wird. Natürlich werde ich weiterhin als
unmittelbare, fachliche Ansprechpartnerin einmal im Jahr vor Ort sein.
Im Oktober 2015 war ich wieder in Uganda und auch Tansania. Im Gepäck hatte ich
Verbrauchsmateralien, Reinigungsmittel, Trockengeräte, 150 Hörgeräte, einen neuen Laptop zur
Programmierung der Hörgeräte, eine Fräsmaschine für die Herstellung von individuellen Ohrstücken,
Otoskope zur Begutachtung des Ohres und vieles mehr. Der Besuch verlief erfolgreich. Es wird
Nachhaltigkeit gelebt, was mich besonders stolz macht. Die Kinder tragen ihre Hörgeräte täglich.
Sie berichten uns von vielen schönen und sehr berührenden Erlebnissen, die sie durch das Tragen der
Hörgeräte erfahren haben. Es ist wundervoll. Genauso habe ich es mir vorgestellt. Ein Projekt was
wirklich lebt und wo die Hilfe auch ankommt.
Die Sprachentwicklung wird weiter entwickelt und wird step by step gefördert, was sehr wichtig ist.
Robert Ameco (Sonderpädagoge für taubblinde Kinder) bringt sich hier sehr engagiert ins Projekt mit
ein. Er führt Sprachtraining durch.
Diesmal liegt mir Eric sehr am Herzen. Eric hat ständig ein laufendes und entzündetes Ohr. Er muss
dringend am Ohr operiert werden. Er ist hochgradig schwerhörig. Ich kenne Eric seit 2011. Er ist mir
sehr ans Herz gewachsen. Das Hörgerät verstärkt schon bis zur Leistungsgrenze. Auf dem erkranktem
Ohr darf er jedoch momentan kein Hörgerät tragen. Die OP ist für Eric lebensnotwenig. Sein
Gesundheitszustand hat sich nun wesentlich verschlechtert. Er leidet zusätzlich noch an starkem
Drehschwindel.
Seine Eltern können sich eine Operation mit anschießender Nachsorge nicht leisten…
Dank einer großzügigen Spende von Round Table kann Eric nun 2015 operiert werden.
Ich danke allen Spendern von ganzem Herzen.
Herzliche Grüße,
Ihre Heike Nörenberg ( HÖRakustik Nörenberg)
und die Kinder aus den Schulen Ntinda und Mugeza.