Leseprobe

Leseprobe der Geschichte „Die unzufriedene Margerite“
Zauberfee Line lag gemütlich, die Beine überkreuzt, in der bunt blühenden Sommerwiese. Gut
gelaunt summte sie vor sich hin und beobachtete die Schäfchenwolken, die am Himmel ihre Bahn
zogen.
„Du hast lang genug meinen Nektar geschlürft, Wespe, such dir gefälligst eine andere Blume. Und du
Ameise, unterstehe dich und krabble an mir hoch!“
Unwillig beendete Line ihr fröhliches vor sich hin Summen, das sie schon eine ganze Weile
unterhalten hatte und horchte auf. Als die Stimme aus der Ferne wieder schimpfte: „Willst du wohl
anderswo Rast machen, Schmetterling!“
Ungehalten ihre Stirn runzelnd wegen der anhaltenden Störung, setzte sich Line auf und blickte über
die Wiese. Sie wollte die nörgelnde Stimme ausfindig machen, die dem einträchtigen Zusammenspiel
auf der Wiese verbot sich fortzusetzen.
„Und du, Erdfloh, hüpf wo du willst, aber nicht auf mir herum!“
Nach wiederholtem rundherum Sehen hatte Line entdeckt: eine groß gewachsene Margerite war es,
die ihr den sonnigen Sommertag verdarb, indem sie unentwegt vor sich hin giftete. Nicht bereit, das
länger mit anzuhören, stand sie auf, trat auf die Margerite hinzu und tadelte streng: „Was meckerst
du immerzu herum? Freu dich lieber deines Lebens, damit würdest du dir einen großen Gefallen
tun.“
Mit dieser Weisheit kam sie der Margerite gerade recht. „Leicht gesagt, du Naseweis. Aber wie kann
ich mich meines Lebensfreuen, wenn ich nie meine Ruhe habe, immerzu jemand etwas will von mir!“
„Sei doch froh, dass du begehrt bist und du nicht einsam zu sein brauchst“, entgegnete Line.
„Kann mir schöneres vorstellen“, motzte die Margerite.
„Hmmm“, überlegte Line. „Du willst also deine Ruhe haben, ja?“
Die Margerite bog sich im Wind und seufzte: „Es wäre das Beste, was mir passieren könnte.“
„Kannst du haben“, meinte Line. Sie schwang ihren Zauberstab und eins, zwei, drei, stülpte sich über
die Margerite eine unsichtbare Glocke, die wie eine Wand wirkte und die Margerite von allem, was
sich außerhalb befand, abschirmte. Eine Weile wartete Line ab, dann fragte sie: „Na, wie findest du
das, Margerite?“
Die hatte gar nicht richtig begriffen, was geschehen war und schrie erschrocken: „Ich spür den Wind
nicht mehr! Wie soll ich ohne Wind, der mich täglich in den Schlaf wiegt , einschlafen können?!“
Daraufhin ließ Line die unsichtbare Glocke wieder verschwinden.
Die Margerite hatte Lines Zauber mitbekommen und war beeindruckt.
„Wie ich merke, gehörst du dem Volk der Zauberfeen an, denen nichts unmöglich ist“, flötete sie.
„Ich wär dir sehr dankbar, wenn du mich auf den Hügel dort oben hinzaubern würdest. Mir scheint,
das wäre gerade der richtige Standort für mich. Damit würdest du mich zur glücklichsten Margerite
der Welt machen.“
Line konnte sich nicht vorstellen, was für die Margerite auf dem Hügel im Gegensatz zur Wiese
anders sein sollte, wog diese Bitte aber ab, mit: „Hörst du dann auf zu meckern?“
„Dazu werde ich dann keinen Grund mehr haben“, antwortete die Margerite so überzeugt, dass Line
ihr den Gefallen tat. Sie hob den Zauberstab, kreiste ihn in der Luft und schwuppdiwupp
verwirklichte sich auf das kurze Blitzen in der Luft, das nur Line wahrnehmen konnte, dass die
Margerite verschwand und genau dort auftauchte, wo sie gewollt hatte. Nach dem für sie ungewohnt
raschen Ortswechsel sagte die Margerite erst einmal gar nichts, blickte auf dem Hügel stehend nur
um sich, um dann umso kräftiger zu quieken: „Iiiihhh, dieser Sturm hier oben ist kaum auszuhalten,
der bläst mir noch meine Blütenblätter weg!“
„Du meckerst also doch wieder“, stellte Line fest.
„Ich konnte doch nicht wissen, dass hier oben der Wind so stark bläst. Viel lieber würde ich unter
dem schattigen Baum dort unten wachsen, der würde mir vor dem Wind Schutz geben.“
Daraufhin hob Line ihren Zauberstab und wünschte die Margerite an diesen Platz.
„Ist es dir recht so, Margerite? Gefällt es dir hier?“
Die Margerite sah zur majestätisch wuchtigen Baumkrone über ihr hoch, daraufhin zur Erde und da
sie nicht antwortete, dachte Line schon, dass es so wäre, als sie hörte: „Wie kann es mir hier gefallen,
wo durch die Blätter des Baumes fast keine Regentropfen durchdringen und der Boden staubtrocken
ist. Wenn ich hier länger verweile, werde ich verdursten müssen. Besser dran wäre ich neben dem
Strauch dort drüben, denke ich.“
Line hob ihren Zauberstab und erfüllte den Wunsch der Margerite abermals.
„Ich hoffe, du bist nun zufrieden“, sagte sie, müde geworden. Das Zaubern strengte an.
„Zufrieden?!“, schrie die Margerite, „wie kann ich zufrieden sein, wo ich hier kaum Sonnenlicht
bekomme, der Strauch steht im Weg!“ Sie blickte um sich. „Wenn ich neben dem Teich dort wachsen
würde, hätte ich genug Wasser und ausreichendes Sonnenlicht.“
Wieder kreiste Line ihren Stab und Abrakadabra, stand die Margerite neben dem Teich.
„Es ist schön hier, nicht“, meinte Line auf den See blickend, worin sich die Sonne spiegelte. Kleine
Wasserpunkte, die sich zu milden, kreisförmigen Wellen ausbreiteten, verrieten, dass emsiges Leben
darin herrschte.
Und als die Margerite wiederum zu gängeln begann: „Schön findest du die Mückenschwärme in der
Luft, die nur nervös machen! Und das viele Wasser zu meinen Wurzeln …, soviel kann ich nicht
trinken, es ertränkt mich!“, da fand Line, es reichte. Entschieden hob sie ihren Zauberstab, murmelte
ihren Zauberspruch und sogleich war die Margerite da, wo sie eh und je gestanden hatte. Mitten auf
der bunt blühenden Wiese. Die verwirrte Margerite plärrte: „Was soll das? Hier habe ich vor den
Insekten keine Ruhe. das habe ich dir doch laut und deutlich gesagt!“
„Trotzdem wirst du hier nun stehen bleiben, bis ans Ende deiner Tage. Ich rühre keinen Finger mehr
für dich, du unzufriedene Blume“, wetterte Line drauf los.
„Ach, liebste Zauberfee, ein einziges Mal nur kreise deinen Zauberstab noch für mich. Zaubere mich
ans Ende dieser Wiese. Dort gibt es bestimmt keine Insekten, die meine Ruhe stören, dort habe ich
genug Sonne, nicht zu viel Wind und die Erde wird die richtige Nässe haben. Gewiss wäre es der
ideale Platz für mich.“
Linz zog unentschlossen ihre Nase kraus. „Das sagst du nur so, danach fängst du wieder an zu
nörgeln. Dir kann man eben nichts recht machen.“
Ende der Leseprobe