UN T E R NEH M EN & M Ä R K T E Japans Energieversorgung: Vom Monopol zum freien Markt Die Strommarktliberalisierung geht voran. Zwar steht die Rückkehr zur Kernkraft außer Frage. Doch auch Erneuerbare sollen weiter ausgebaut werden. Für Energiedienstleister bieten sich zukünftig Chancen. flickr/TANAKA Juuyoh Von Marcus Schürmann D ie Schlagzeilen im September 2015 waren geprägt von der Rückkehr zur Atomkraft: Erstmals seit September 2013, als die letzten Atomreaktoren in Japan abgeschaltet wurden, ging ein japanisches AKW wieder ans Netz. Die Betreibergesellschaft Kyushu Electric Power Company (Kyuden) fuhr den 31 Jahre alten Atomreaktor Sendai 1 wieder an. Ein zweiter Reaktor soll ebenfalls bald wieder den Betrieb aufnehmen. Zuletzt hatte Kyuden vor einem Jahr Schlagzeilen gemacht, als die Betreiberfirma als erste der zehn Monopolunternehmen ein Moratorium bezüglich der Annahme von Netzanschlussanträgen für Photovoltaikanlagen verhängte. Einige andere Unternehmen folgten. Die Aktion wurde vor allem damit begründet, dass das Stromnetz für die großen Mengen an erneuerbaren Energien ungeeignet sei. In der japanischen Energiewirtschaft ist sie seither als „Kyuden Schock“ bekannt. Fliegen „auf Sicht“ Japans Energieversorger befinden sich seit der Dreifachkatastrophe im März 2011 im Grunde genommen auf „Sichtflug“. Sie müssen sich sowohl mit der Versorgungssituation als auch mit der Strommarktliberalisierung auseinandersetzen und Lösungen finden. Auch die Regierung ist von diesen Fragen sehr in Anspruch genommen, wie die zahlreichen Arbeitsgruppen und Kommissionen zum Thema Energie zeigen. Dabei wird dieser Prozess weniger von der Atomlobby bestimmt, als von anderen, grundsätzlichen Fakten. Bis zur Dreifachkatastrophe hatte Japan durch Wasserkraft und Atomkraft laut Daten der Internationalen Energieagentur (IEA) und Weltbank eine Energieselbstversorgung von circa 20 Prozent. Derzeit liegt diese bei 6 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland erreicht sie mehr als 30 Prozent, in den USA gar 80 Prozent. Offizielles Ziel der japanischen Regierung ist es daher, bis 2030 eine Selbstversorgung von 20 bis 25 Prozent zu erreichen, und zwar durch einen Mix aus 10 bis 11 Prozent Atomkraft und 13 bis 14 Prozent Strom aus Erneuerbaren. Die verschiedenen Arbeitsgruppen 22 J A PA N M A R K T Oktober 2015 des Wirtschaftsministeriums METI sind in den vergangenen 12 Monaten zu dem Ergebnis gekommen, dass dies realistisch sei. Darüber, dass die derzeitige Abdeckung der Grundlast durch Kohle- und vor allem Gaskraftwerke aufgrund der hohen Kosten langfristig nicht tragbar ist, sind sich alle Experten einig. Weiterer Ausbau von Erneuerbaren Entsprechend hält die japanische Regierung durchaus am Ausbau der Erneuerbaren Energien fest, auch wenn die AKW-Schlagzeilen vom September 2015 einen anderen Eindruck erwecken mögen. Seit Einführung der Einspeisetarife im Juli 2012 hat sich der Anteil grünen Stroms an Japans Stromerzeugung von 1,4 Prozent auf 3,2 Prozent gesteigert, ausgenommen Wasserkraft. Der Hauptanteil fällt auf Solarstrom. Allein zwischen April 2014 und März 2015 wurden 9,3 Gigawatt an neuer Leistung in Betrieb genommen. Mitte September von der Japan Renewable Energy Foundation publizierte Daten zeigen aber auch ein Problem mit der derzeitigen Gesetzteslage zu erneuerbaren Energien: Die Zulassungen belaufen sich im gleichen Zeitraum mit 21,9 GW auf mehr als das Doppelte. Das ist zwar weitaus weniger als die 40,6 GW des Vorjahreszeitraums. Es verdeutlicht aber, dass die „Goldgräberstimmung“, die die hohen japanischen Einspeisetarife ausgelöst haben, zwar gedämpft aber noch nicht abgeflaut ist. Zum 1. April 2015 und nochmals zum 1. Juli 2015 wurden die Einspeisetarife für Solarstrom gesenkt, auf 36 und dann 33 Yen für Anlagen unter 10 kW, sowie auf 27 Yen für Anlagen über 10 kW. Bei der Einführung im Juli 2012 lag der Solarstromeinspeisetarif noch bei 42 Yen. Angesichts sinkenden Tarife und Verfügbarkeit geeigneter Flächen kühlt der Solarmarkt weiter ab. Das zeigt sich auch in rückläufigen Auslieferungszahlen von Solarpanelen. 2012 und 2013 lag das Hauptaugenmerk am Energiemarkt noch auf der Stromerzeugung. Doch der rasante Ausbau der Erneuerbaren und die volle Projektpipeline haben die Aufmerk- Deutschland wird das als Eingriff in den Markt gesehen und abgelehnt. Japans Regierung könnte sich auch deswegen für das stärker reglementierte US System entschieden haben, weil die Stromerzeuger in den USA trotz der niedrigen Energiepreise wesentlich weniger unter finanziellem Druck stehen als die vergleichbaren Unternehmen in Deutschland. Auch die Einsetzung von OCCTO, der Organization for Cross-regional Coordination of Transmission Operators, hat als Grundmodell das amerikanische System. Es scheint, dass sich Japan zwar auf der technischen Seite weiter sehr stark an Deutschland orientiert. In Bezug auf die Strommarktreform aber schaut man immer mehr über den Pazifik. samkeit zwangsläufig auf das Thema Netzausbau gelenkt. Neben dem Alter der japanischen Netzinfrastruktur ist das Fehlen neuer, geeigneter Steuerungs- und Planungssysteme eine große Herausforderung. Dazu kommt, dass als Teil der Strommarktreform nun Erzeugung, Netzbetrieb und Vertrieb getrennt werden. Das bedeutet, die Monopolstellung der zehn Betreiberfirmen wird nicht nur in Bezug auf die Erzeugung, sondern auch auf den Betrieb der Netze aufgelöst. Allerdings dürfen Stromerzeugerfirmen Tochterfirmen gründen, die auf Netzbetrieb spezialisiert sind; ähnlich wie das in Deutschland der Fall ist. Was jedoch das damit einhergehende Regelsystem für Netzentgelte und Infrastrukturbetrieb sowie deren Ausbau angeht, scheint die japanische Regierung eine striktere Kontrolle als in Deutschland anzustreben. So nahm zum 1. September 2015 eine neue METI-Kommission zur Überwachung des Energiemarktes ihre Arbeit auf. Aufgaben, Befugnisse und Struktur der Kommission ähneln dabei im Ansatz wesentlich mehr der U.S.-amerikanischen Federal Energy Regulatory Commission (FERC) als beispielsweise der deutschen Bundesnetzagentur. Gleiches gilt für die Festsetzung der Netzentgelte, die die zehn Monopolunternehmen jetzt beim METI zur Genehmigung beantragt haben. Die Beantragung der Netzgebühren ist ein Beispiel, wie Japan den US-Weg geht – und nicht den deutschen wo etwa Einspeisetarife und Einspeisepriorität hoch reguliert sind, nicht aber Strommarktpreise und Infrastrukturkosten, sowie deren Verteilung. So werden in den USA die Netzentgelte von den Aufsichtsbehörden festgelegt, während in Deutschland eine Gesamterlösobergrenze pro Jahr gilt. Dies gibt dem Netzbetreiber Spielraum bei der Gestaltung der Preisstrukturen. In den USA wird dagegen die Tarifstruktur so gesteuert, dass es für Verbraucher Obergrenzen bei gleichzeitig ausreichender Gewinnspanne für die Erzeuger und Netzbetreiber gibt. In Statt reinen Energieversorgern werden in Zukunft die Energiedienstleister das Geschäft machen. Das Marktsegment ‚Bedarfsplanung‘ erlebt ein nie gekanntes Interesse. Freier Markt ab April Ab April 2016 werden sich japanische Kunden den Stromversorger frei aussuchen können. So sieht es die Strommarktreform vor. Diese Perspektive hat zu einer großen Zahl von neuen Firmengründungen geführt, sowohl im Erzeugerbereich als auch im Anbieterbereich. Laut Tokyo Shoukou Research (TSR) hat sich die Zahl der Unternehmen im Energiesektor von 66 im Jahr 2011 auf 3.283 in 2014 erhöht. Wie viele davon „Goldgräber“ sind, ist zu diesem Zeitpunkt schwer zu sagen. Klar ist jedoch, dass vor allem die großen Konzerne begriffen haben, dass auch in Japan in Zukunft vor allem die Energiedienstleister das Geschäft machen werden. Unternehmen wie NEC stellen ihre Einspeiseplanungssysteme vor. Überhaupt erlebt das Marktsegment „Bedarfsplanung“ ein nie gekanntes Interesse. So hat eRex, ein japanisches Unternehmen, an dem Toshiba und Hitachi die Hauptanteile halten, im September sein neues Joint Venture mit Spark Energy aus den USA bekanntgegeben. Spark Energy bringt hier vor allem Know-how ein, wie man auf der Grundlage sorgfältig berechneter Nachfrageprojektionen Strom zu niedrigen Preisen kauft und dann dem Endkunden anbietet. Chancen ergeben sich in der Folge in Japans Energiemarkt auch für deutsche Unternehmen. Das Marktdesign und die sich daraus ergebenen Anforderungen an Technologielösungen sind aber immer noch in der Entwicklung. Das macht den Markt relativ komplex. n Operative und geplante Energie aus Erneuerbaren seit Einführung der Einspeisevergütung (in GW) 50 45 40 35 43,88 Kapazität der operationalen erneuerbaren Energie unter FiT Kapazität der registrierten erneuerbaren Energie unter FiT 30 25,16 25 18,63 20 15 7,19 10 5 9,8 1,77 Marcus Schürmann Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Japan 0 Jul. 2012 - Mär. 2013 (9 Monate) Apr. 2013 - Mär. 2014 (12 Monate) Apr. 2014 - Mär. 2015 (12 Monate) E-Mail: [email protected] Quelle: Japan Renewable Energy Foundation 2014 1 Die „Goldgräberstimmung“, die die hohen japanischen Einspeisetarife ausgelöst haben, ist zwar gedämpft, aber noch nicht abgeflaut. Oktober 2015 J A PA N M A R K T 23
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