Orchester A. Das Orchester I. Herleitung und - MGG

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b. Literatur V. Helfert, F. V. Míča, Prag 1925 A. Buchner, Hudební
sbírka E. Troldy (Die Musikslg. von E. Trolda), ebd. 1954, 21 E. Tomandlová,
Sepolcra J. I. Linka (Die Sepolcri des J. I. Linek), Diplomarbeit ebd. 1958 (mschr.)
J. Bužga, Die Gattungen des Musiktheaters in den böhm. Ländern im 17. Jh., in:
Kgr.Ber. IMS Ljubljana 1967, Ljubljana/Kassel 1970, 126-133 Ders., Einige Quellen zur Gesch. der Osteror. in Prag und Brno (Brünn) und der Ostermelodramen aus Olomouc
(Olmütz) im 18. Jh., in: De musica disputationes Pragenses, Bd.1, Prag 1972, 151171 Ders., Die Volksmusik im Zeitalter des Barock in den böhm. Ländern, in: Kgr.Ber.
IMS Berkeley 1977, Kassel u.a. 1981, 39-45 W. Reich, J. D. Zelenka, Dresden
A. Das Orchester
I. Herleitung und Begriffsbestimmung
Das Wort Orchester stammt aus dem Griechischen (zur Etymologie 씮 Orchestra I.; zur Begriffsgeschichte im Überblick s. M. Staehelin 1981). In der Antike bezeichnete es den halbrunden Tanzplatz
des Chores vor der Szene des Theaters (proskenion), später ganz allgemein die Bühne. Durch Tacitus ist die identische Bedeutung auch für
das spätrömische Theater gesichert; in diesem Sinn wird es z.B. zu
Beginn des 7. Jh. von Isidor von Sevilla benutzt: »Orchestra autem pulpitus erat scenae« (Etymologiae sive origines XVIII, S. 44). Während des Mittelalters ging der Begriff verloren. 1589 gebraucht Th. Arbeau den
Wortstamm erstmalig wieder im Titel seines Werkes über die Tanzkunst, Orchésographie (Langres 1589). Die Ansicht (s. RiemannL), der
Terminus Orchester sei bei der Wiederbelebung der antiken Tragödie
zu Ende des 16. Jh. auf den Raum übergegangen, läßt sich nicht belegen. Die Anwendung des Begriffs Orchester in diesem Sinne ist erst für
die Zeit nach 1700, und zwar nur für den deutschen Bereich, gesichert. Joh. Mattheson formuliert in seinem Neu-eröffneten Orchestre
(Hbg. 1713, S. 34): »Nachdem aber in den neuern Zeiten das parterre nicht
mehr wie vor Alters der vornehmste Platz geblieben [...] so hat man den Ort,
harte vors Theatre, wo die Herren Symphonisten ihre Stelle haben, mit dem
Namen Orchestre oder Herren-Sitz beehren wollen«. Die Verwendung des
Wortes im modernen Sinn ist Mattheson ungeläufig. Der im Titel
drei seiner Lehrschriften begegnende Terminus »Orchestre« (nicht
»Orchester«, wie häufig angegeben), nach Mattheson »eine noch nicht
sehr gemeine . . . Expression«, ist als Terminus generalis zu verstehen,
welcher »beides Kirchen- und Theatral- so-wol Vocal- als InstrumentalMusic begreiffen möchte«. Dieser enzyklopädische Sinngehalt des Wortes
ist nur für Mattheson zutreffend. In seinem Musicalischen Patrioten
von 1737 (S. 125f.) wird das Wort Orchestra auch im antiken Sinne als
Raum definiert. In dieser Bedeutung ist die Definition von WaltherL
(1732) und auch Johann Heinrich Zedler (Großes vollständiges Universal-Lexicon. . ., Bd. 25, Lpz. und Halle 1740 Sp. 1751) übernommen worden: »Jetziger Zeit heisset derjenige Platz die Orchestra, wo die Musicanten
sitzen, und auf ihren Instrumenten spielen, wenn eine Oper abgesungen, oder
ein Ball gehalten wird«. Selbst um die Jahrhundertmitte hat sich der
Begriff Orchester im modernen Sinne noch nicht allgemein durchgesetzt. Während ihn z.B. Joh. J. Quantz (1752) und C. Ph. E. Bach (Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, Bln. 1762, S. 316) bereits als
bekannt voraussetzen, gebrauchen ihn Theoretiker wie Joh. A. Scheibe,
L. Mizler, Fr. W. Marpurg (1757) und selbst J. Adlung (1758) noch
nicht. Auch in Italien läßt sich die Bezeichnung im 17. Jh. nicht nachweisen. J. Peri nennt im Vorwort zu Euridice (1600) nur Einzelinstrumente, auch G. Caccini kennt keinen zusammenfassenden Ausdruck.
M. Gagliano spricht im Vorwort zu La Dafne (1608) von den »concerti di
voci e di strumenti«, ähnlich wie A. und G. Gabrieli (Vdg. 1587) ihrer
Drucksammlung den Titel »Concerti [ . . . ] per voci, & stromenti musicali..«
gaben. Immer noch ist aber mit diesen Benennungen das Zusammen- und Gegeneinanderwirken von Einzelinstrumenten gemeint.
Wie es den Anschein hat, ist das Wort Orchester im modernen
Sinne erstmalig in Frankreich angewendet worden. Im März 1683 findet sich im Mercure galant eine Wendung, die hierfür der früheste
bekannte Beleg ist: »Le Manche des Theorbes de l’orchestre cache toujours
quelque chose la veüe«. Daß hier nicht der Raum, sondern das Instrumentalkorpus gemeint ist, beweist die etwas spätere unmißverständliche Formulierung des Abbé Fr. Raguenet (P. 1702, S. 104), wo es
heißt: »Pour moi, la première fois que j’entendis l’Orchestre de nôtre Opéra«.
Hier ist wirklich zum ersten Male der Klangkörper in seiner Gesamtheit bezeichnet. Während in Band 11 der von Denis Diderot herausgegebenen Encyclopédie (1765, S. 578) das Orchester traditionsgemäß
noch als die »kleine dürftige Versenkung vor dem Theater« bezeichnet
wird, definiert J. J. Rousseau in seinem Dictionnaire (Bd. 2, 1768, S. 6771) den Begriff bereits im heute geläufigen Sinn als feste Vereinigung
1985, 29.
Zu VIII. (vgl. auch zu III.b.) T. Livanova, Sovetskaja tema v novych kantatach i
oratorijach (Das sowjetische Thema in den neuen Kantaten und Or.), in: Sovetskaja muzyka 1950, H. 3, 14-23 A. Chochlovkina, Sovetskaja oratorija i kantata
(Sowjetische Or. und Kantaten), M. 1955 I. Remezov, Kantaty i oratorii Šaporina
(Die Kantaten und Or. Šaporins), M. 1960 R. Zechlin, Gedanken zum Kantatenund Oratorienschaffen in unserer Republik, in: MuG 11, 1961, 206-209 G. Roncaglia,
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Besonderheiten der Or. »Lenin v serdce narodnom« und »Poetorija« von R. Šče
drin), in: Muzykal’nyj sovremennik 1979, H. 3, 172-181 A. Sochor, Muzykal’naja dramaturgija vokal’no-simfoničeskich proizvedenij Sviridova (Die mus. Dramaturgie in den vokal-sinfonischen Werken von Sviridov), in: dass. 1979, H. 3, 146-171
D. Möller, J. Cocteau und I. Strawinsky. Unters. zur Ästh. und zu »Oedipus Rex«, Hbg.
1981 (= Hamburger Beitr. zur Mw. 24) H. D. Voss 1983 (s. zu III.b.: A. Honegger) M. Nyffeler, Kl. Huber: »Erniedrigt – Geknechtet – Verlassen – Verachtet«, in:
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S. Walsh, Stravinsky: Oedipus rex, Cambridge 1993 C. Lehnigk, P. Hindemiths Or.
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Motz, Konstruktion und Ausdruck. Analytische Betrachtungen zu »Il Canto sospeso« (1955/
56) von L. Nono, Saarbrücken 1996 L. Lauer, Creatio ex nihilo – Das sowjetische Oratorium, in: Fs. T. Kneif, hrsg. von H.-W. Heister u.a., Hbg. 1997, Dr.i.Vorb. S. Leopold/U. Scheideler (Hrsg.), Metzler Oratorien- und Chormusikführer, Dr.i.Vorb.
günther massenkeil
juliane riepe
dorothea mielke-gerdes
ulrich leisinger
martin geck
frank reinisch
barbara mohn
jaroslav bužga
hans åstrand
lucinde lauer
christian thorau
Orchester
inhalt: A. Das Orchester. I. Herleitung und
Begriffsbestimmung. – II. Historische Entwicklung. –
III. Zusammensetzung. – IV. Besetzungen. –
V. Organisation. 1. Solo- und Ripieno-Spieler. 2. Kapellmeister,
Konzertmeister, Musikdirektor. 3. Probenarbeit. –
VI. Aufstellung. – VII. Neuere Entwicklungen. –
B. Das außereuropäische Orchester. I. Definition. –
II. Formen und Funktionen des orchestralen Zusammenspiels.
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von Instrumentalisten zu einem Klangkörper: »Aujourd’hui ce mot s’applique plus particulièrement à la musique, & s’entend . . . tantôt de la collection de tous les Symphonistes: c’est dans ce dernier sens que l’on dit de l’exécution de musique que l’Orchestre étoit bon ou mauvais, pour dire que les Instrumens étoient bien ou mal joués«. Für die ältere Zeit bedeutet das Fehlen
eines die Ganzheit des Instrumentalkorpus charakterisierenden Terminus keinen Mangel; es kennzeichnet vielmehr das ganz anders
geartete Klangbewußtsein: Nicht das Ganze, sondern das Einzelne
wurde empfunden und bezeichnet (›Spaltklang‹). Auch J. B. Lullys
Musiker wurden offiziell nicht als Orchester bezeichnet, sondern noch
traditionsgemäß Les 24 violons du roi genannt (씮 Kapelle III.; als analoge Erscheinung in London ist die King’s band zu erwähnen). Mit der
Übertragung der Bezeichnung Orchester auf eine größere Vereinigung
von Instrumentalisten kündigt sich zugleich ein neues Hören an:
Nicht mehr die Summe der Einzelinstrumente, sondern die Ganzheit
des orchestralen Klanges steht im Mittelpunkt des Bewußtseins
(›Schmelzklang‹). Auf die Bedeutung, die die gleichschwebende Temperatur (씮 Stimmung und Temperatur) für diesen Prozeß hatte,
kann hier nur verwiesen werden.
Wenn im populären Sprachgebrauch »jede Vereinigung einer größeren Zahl von Instrumental-Spielern« (RiemannL) als Orchester angesprochen wird, so trifft diese Definition lediglich ein äußerliches Merkmal. Eine große Anzahl sich zusammenfindender und gemeinsam
musizierender Instrumentalisten ist noch kein Orchester. Darüber,
wie der Begriff Orchester zu definieren ist, herrscht in der Literatur
keine einheitliche Meinung. Die Uneinheitlichkeit der Gegebenheiten und der Praktiken in den verschiedenen Zeitepochen bilden hierbei eine der Schwierigkeiten. Ohne Anspruch auf allgemeine Geltung
wird im folgenden für die Zeit etwa ab 1700 unter Orchester verstanden: Eine verhältnismäßig zahlreiche und nach Gruppen (Streicher,
Holz- und Blechbläser, Schlagzeug) geordnete Vereinigung von
Instrumentalisten, die institutionell und hierarchisch gegliedert ist,
in der normalerweise mindestens einige Stimmen mehrfach besetzt
sind, deren ›Kern‹ das Streichquartett zuzüglich Kontrabaß bildet
und der in der Regel ein musikalischer Leiter (zumeist ein Kapelloder Konzertmeister) vorsteht. In der Geschichte des Orchesters stellen die Jahre von 1700 bis 1850 einen ziemlich klar begrenzten,
zusammenhängenden Zeitraum dar. Um 1700 ist die Entwicklung
vom instrumentalen Ensemble zum Orchester – vollzogen durch
zunehmende Gruppenbildung der Instrumente, Bevorzugung der
Streichinstrumente und Festlegung von Instrumentarium und Ausführung – weitgehend abgeschlossen (씮 Kapelle III.). Damit verbunden war eine schwerwiegende und tiefgreifende Umdisponierung des Instrumentalkorpus. Die Buntheit und Besetzungsvielfalt
verlor an Interesse, um einem genormteren Klang zu weichen. In der
zentralen Gruppe der Streichinstrumente kam bis zum letzten Drittel des 18. Jh. den Baßinstrumenten in Verbindung mit einem
Tasteninstrument (Cembalo, Orgel) eine besondere Bedeutung zu.
Um 1850 sind schließlich die Verhältnisse ›innerhalb‹ des Orchesters
gefestigt (s. hierzu u.a. R. Wagner 1849, Ausg. 1872). Bis zu diesem
Zeitpunkt hat sich in Organisation, Instrumentarium und Besetzung
eine Norm herausgebildet, die später durch den Wegfall des Generalbaßinstrumentes geringfügig verändert wird. Die Gruppe der Holzund Blechbläser gewann an Selbständigkeit in Folge zunehmender
Erweiterung und Differenzierung des musikalischen Satzes und der
Instrumentation, nicht zuletzt auch wegen der technischen Weiterentwicklung des Instrumentariums. Im 20. Jh. wurde vor allem die
Schlagzeuggruppe durch Hinzunahme neuer Instrumente erheblich
erweitert (neu ist auch die Verwendung elektronischer Instrumente
in der Musik des 20. Jahrhunderts). Die Beibehaltung der Bezeichnung Kapelle (z.B. Meininger Hofkapelle, Dresdner Staatskapelle) für ein
Orchester hat ausschließlich lokaltraditionelle Gründe. Wie unterschiedlich das Orchester im Verlauf der Jahrhunderte eingeschätzt
wurde, spiegeln die musikalische Berichterstattung und die Musikkritik wider. Im 18. Jh. druckte man mit Vorliebe Orchester- bzw.
Besetzungslisten ab, nannte die führenden Musiker der einzelnen
Orchester und ihre besonderen Fähigkeiten, gab biographische Hinweise, kurz, man sah ein Orchester gleichsam als eine Vereinigung
von Einzelspielern an, von denen die meisten zugleich auch als Solisten eingesetzt werden konnten. Dagegen wurde das Orchester im
19. Jh. zunehmend als eine Gesamtheit dem Einzelnen, dem Virtuosen, entgegengesetzt. Es wurde in der Folgezeit mehr und mehr als
Kollektiv aufgefaßt, dessen Mitglieder weitgehend anonym waren.
Ab 1829 wird z.B. in der AmZ das Orchester in Besprechungen nur
noch als Ganzes genannt; etwa ab 1837 tritt an die Stelle differenzierter Aussagen über Orchester die Angabe von Konzertprogrammen.
II. Historische Entwicklung
Das Orchester ist historisch durch die Funktionen, die es innerhalb der Gesellschaft zu erfüllen hat, verschiedenen Bereichen zugeordnet. Diese – oft nicht scharf gegeneinander abgegrenzt, sondern
sich eher überschneidend – sind im wesentlichen folgende: Hof, Kirche, Stadt und Militär, oder allgemeiner der höfische und der außerhöfische Bereich. Der spätere Übergang vom höfischen in den bürgerlichen Bereich vollzieht sich zeitversetzt im 19. Jh., vorbereitet durch
eine Anzahl von ›Dilettanten-Vereinen‹ in größeren Städten. Nun trat
die ›Öffentlichkeit‹, d.h. vornehmlich eine aus dem Adel (besonders
aus dem niederen, z.B. im Offizierskorps vertretenen Adel) und dem
Bürgertum zusammengesetzte Gesellschaft, an die Stelle des Hofes. E.
Hanslick beschreibt die Entwicklung folgendermaßen: »Auf die Blütenzeit (!) der fürstlichen Capellen folgte die eigentliche Periode der Dilettanten-Concerte. Die Aristokratie theilte ihr Musikprivilegium mit dem gebildeten Mittelstand, den bürgerlichen Kunstfreunden, und trat es bald vollständig
an Letztere ab« (Gesch. d. Concertwesens in Wien, Wien 1869, S. 53; 씮 Konzertwesen). Nahezu parallel dazu verlief die Entwicklung zum reinen
Berufsorchester, wie wir es heute kennen. Die zunächst noch mitwirkenden Dilettanten zogen sich immer mehr zurück; sie mußten ausgebildeten, fachlich geschulten Kräften weichen. Auch dieser Vorgang war um 1850 abgeschlossen. Ebenfalls weitgehend abgeschlossen war die Umstellung der Orchester auf eine einheitliche Stimmung nach den Stimmtonkonferenzen in Stuttgart 1834 bzw. in Paris
1858, wobei erhebliche Kosten durch die Neuanschaffung insbesondere der Blechblasinstrumente entstanden.
An den Höfen wurde die Musik als ein notwendiger Bestandteil
einer Hofhaltung angesehen. Dies macht Veit Ludwig von Seckendorff (1626-1692) in dem Abschnitt Von Bestellung und Verfassung einer
Fürstl. und dergleichen Hof=Statt seines Werkes Teutscher Fürsten-Staat
(1656, zitiert nach Aufl. Genua 1754, 3. Theil. S.630) deutlich: »So gehöret auch so wohl zum gottesdienst, als fürstlicher belustigung bey den mahlzeiten, tänzen, aufzügen und comödien, eine music von stimmen und instrumenten, da darzu ein capell=meister, Hofcantor, und so viel personen, als zu bestellung der vocal= und instrumental=music nöthig, wie auch trompeter und heerpaucker, unterhalten werden«. Zu den Standardsymbolen eines Hofstaates gehörte nicht zuletzt eine möglichst hohe Qualität des Orchesters. Dabei wußte man durchaus zwischen großen und kleinen Residenzen zu unterscheiden. Zahlreiche ›Privatkapellen‹ wurden etwa in
den fürstlichen und gräflichen Häusern Wiens im 18. Jh. gehalten so
wie die »ganz aus Konzertisten bestehende [ . . . ] Privatkapelle« des Kaufmanns Bernard in Offenbach, die Ende 1799 aufgelöst wurde (s. AmZ
2, 1799, Sp. 239.) Der Unterschied zwischen großen und kleinen Residenzen machte sich vor allem in Besetzung und Größe der Hofkapellen bemerkbar. Läßt man die Hoftrompeter und -pauker außer acht,
so kann man jede Art von Besetzung, vom einfachen Streichquartett
bis hin zum großen Orchester, antreffen. Hatte an den kleinen Residenzen das Orchester den gesamten Musikdienst zu versehen, so
stand an den großen Residenzen für den Dienst in der ›Kammer‹ –
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d.h. für die ›privaten‹ Bedürfnisse des Regenten und seines engeren
Hofstaates – in der Regel eine kleine Gruppe von besonders qualifizierten Musikern (›Kammermusiker‹) zur Verfügung. Ein weiterer
Unterschied zeigte sich in der personellen Zusammensetzung und
im Anstellungsmodus der Musiker: Nur große Residenzen konnten
sich ein eigens der Hofmusik zur Verfügung stehendes Personal leisten; in kleinen und auch in mittleren Hofhaltungen waren höchstens die Kapellmeister und die Konzertmeister oder besonders tüchtige Instrumentalisten als Hofmusiker angestellt. Die übrigen Mitglieder dieser Hofkapellen standen in doppelter beruflicher Funktion: Entweder waren sie musikalische Lakaien oder Lakaiendienste
verrichtende Musiker; auch mit anderen Hofämtern wurden sie bisweilen betraut. Im allgemeinen war es ferner üblich, die Hofkapellen
durch Stadtmusikanten, Militärmusiker (Oboisten sowie Trompeter
und Pauker) und – zumindest bis zu Beginn des 19. Jh. – auch durch
Liebhaber zu verstärken. Die Aufgaben, die von Hoforchestern oder
von einzelnen ihrer Gruppen, z.B. den Bläsern, erfüllt werden mußten, waren überaus vielfältig (Dienst in der Kirche, bei der Tafel, in
der ›Kammer‹, im Konzert, in Oper und Schauspiel, bei festlichen
Gelegenheiten; bei Serenaden, Unterhaltung und Tanz; Begleitung
auf Reisen etc.). Der Nachwuchs für diese Orchester wurde häufig
›vor Ort‹ ausgebildet, wobei die Altersgrenze verhältnismäßig niedrig
lag (Hofmusici im Alter von 16/17 Jahren waren keine Seltenheit).
In späterer Zeit kamen zum Wirkungsbereich Benefiz- und
Abonnementskonzerte hinzu, die die Orchester in eigener Regie und
in eigenem Interesse, sei es zugunsten einer ›Wittwen- und WaisenKasse‹, eines ›Pensionsfonds‹ oder einzelner Musiker, durchführten.
Zusätzlich zu diesen Diensten konnten die Orchestermusiker
schließlich freiwillig bei Konzertveranstaltungen mitwirken. Die
musikalischen Vorführungen des Hoforchesters – von Konzerten im
eigentlichen Sinne kann man wohl für die damalige Zeit noch kaum
sprechen – dienten in der Regel der Unterhaltung. Unter welchen
Bedingungen Kapellmeister und Orchester gelegentlich musizieren
mußten, schildert L. Spohr anschaulich in seinem Bericht über die
Konzerte bei der Herzogin von Braunschweig (s. Selbstbiographie,
Bd. 1, Kassel/Gtg. 1860, S. 11): »Diese Hofconcerte bei der Herzogin fanden
in jeder Woche ein Mal Statt und waren der Hofkapelle im höchsten Grade
zuwider, da nach damaliger Sitte während der Musik Karten gespielt wurde.
Um dabei nicht gestört zu werden, hatte die Herzogin befohlen, daß das
Orchester immer ›piano‹ spiele. Der Kapellmeister ließ daher Trompeten und
Pauken weg und hielt streng darauf, daß nie ein ›forte‹ zur Kraft kam. Da dies
in Symphonien, so leise auch die Kapelle spielte, nicht immer ganz zu vermeiden war, so ließ die Herzogin auch noch einen dicken Teppich dem Orchester
unterbreiten, um den Schall zu dämpfen. Nun hörte man das ›ich spiele, ich
passe‹ u. s. w. allerdings lauter, als die Musik«.
War das höfische Orchester bis gegen Ende des 18. Jh. fest im
Hofverband verankert, so begann mit dem 19. Jh. das Bestreben der
Orchester, Veranstaltungen in eigener Regie und zum eigenen Nutzen durchzuführen. Öffentliche Konzerte der Hofkapellen wurden,
unter welchen Namen sie auch immer veranstaltet wurden – ob als
Konzert, Akademie, Symphonie-Soirée, Abonnementskonzert u.a. –, zur
Selbstverständlichkeit. Ein zentraler Gesichtspunkt war für die Musiker bei all ihren Bemühungen die Frage der Alters- und Hinterbliebenen-Versorgung. Die Reingewinne dieser Konzerte wurden daher in
entsprechende Kassen eingezahlt, aus denen die Mitglieder eines
Hoforchesters selbst und ihre Familien bei Invalidität oder Tod versorgt wurden. Auch der Gedanke, durch diese Konzerte eine musikalische Bildung zu vermitteln, begann, vor allem um die Mitte des 19.
Jahrhunderts, eine Rolle zu spielen. Außer dem Hof verfügten das
Militär und die Städte über Gruppen von Musikern, die ein Orchester
bilden konnten: Die ›Hautboisten‹ und die Stadtmusikanten. Beide
Gruppen standen in enger Verbindung sowohl zum Hof als auch
zum Bürgertum; sie wurden zu einem Bindeglied zwischen diesen
gesellschaftlichen Bereichen. Die Hoforchester rechneten bis ins
19. Jh. hinein mit einer Unterstützung durch die Militärmusiker
(Spohr mußte beispielsweise auf etwa Zweidrittel der Orchestermusiker verzichten, als der Kurfürst im Herbst 1850 seine Residenz von
Kassel nach Hanau verlegte). Für Städte ohne Hofhaltung konnte das
Fehlen von Militärmusikern (d.h. vor allem der Blasinstrumente),
nicht zuletzt im Hinblick auf die Unterstützung von Liebhaberorchestern, zum Problem werden. Die zunftmäßig organisierten Ratsoder Stadtmusikanten nahmen zwischen Hof und Stadt einen wichtigen Platz ein. Bis zur Mitte des 18. Jh. war es keine Seltenheit, daß in
städtischen Diensten stehende Musiker an kleinen Residenzen
zugleich als Hofmusiker tätig waren (so z.B. in Arnstadt, Schwerin,
Schleswig etc.; s. hierzu auch Art. Stadtmusikus, in: H. Chr. Koch, Musikalisches Lexikon, Ffm. 1802: ». . .wie auch viele derselben, die sich durch
Genie und Geschicklichkeit auszeichnen, als Mitglieder der Hofkapellen angenommen werden. . .«; zu großen Opernaufführungen am Stuttgarter
Hof wurden z.B. die Stadtmusikanten von Esslingen und Leonberg
mit ihren Gesellen zur Mitwirkung verpflichtet). Den Stadtmusikanten kam außerdem eine besondere Bedeutung bei der Ausbildung des
Musikernachwuchses zu. Mancher spätere Hofmusiker hatte sein
›Handwerk‹ in einer Stadtpfeiferei erlernt (vgl. den Lebenslauf von
Quantz). Das enge Zusammenwirken von Hof- und Stadtmusik lokkerte sich im Laufe des 19. Jh. zunehmend und fand schließlich ein
Ende. Bei sogenannten ›Liebhaberkonzerten‹ wirkten Orchester in verschiedenster Zusammensetzung (Berufsmusiker, Dilettanten etc.)
mit, wobei der Begriff lediglich als eine Verständigungsmarke für die
Vielfalt der Erscheinungsformen musikalischer Veranstaltungen
steht, die außerhalb des engeren höfischen Bereichs stattfanden und
für jedermann, meist gegen entsprechende Bezahlung, zugänglich
waren. Während in den Residenzen ein stehendes und in der Regel
gutes Orchester für die Produktionen von Opern zur Verfügung stand,
finden sich bei den reisenden Theater- und Operntruppen die unterschiedlichsten Lösungen, die von der Überlassung der Hofkapelle bis
zu eigens von den Truppen engagierten Orchestern reichen. Hier
konnten ebenfalls wiederum Stadt- und Militärmusiker mitwirken,
gelegentlich sogar selbst das Orchester stellen (z.B. in Schwerin, s. Cl.
Meyer, Gesch. der Mecklenburg-Schweriner Hofkapelle, Schwerin 1913).
Im 19. Jh. bildete sich neben den institutionalisierten Orchestern
eine Anzahl von ›Privatorchestern‹ heraus, bei denen der musikalische Leiter zugleich auch der ›Unternehmer‹ war. Hierzu gehören z.B.
die Orchester von Joh. Strauß (Vater), Jos. Gungl (1843 in Berlin und
1864 in München), Carl Liebig (1843 in Berlin), Ph. Musard (Paris um
1835, Concerts-Musard) u.a., die Konzerte und ›Tanzunterhaltungen‹ in
eigener Regie, aber zu wesentlich günstigeren Eintrittspreisen veranstalteten, was sich auf die Zusammensetzung des ›Publikums‹ auswirkte. Die Einkommen der Musiker dieser Orchester waren mindestens denjenigen der etablierten Orchester gleichgestellt, lagen zum
Teil sogar darüber. Ausdrücklich wird erwähnt, daß sich diese Orchester vor allem auch der ›zeitgenössischen Musik‹ verstärkt annahmen
(z.B. Signale für die mus. Welt 5, 1847, S. 138).
Orchester wurden häufig auch aus besonderen Anlässen, meist in
großen Besetzungen, zusammengestellt (Reichstage, Kaiserkrönungen,
Amtsantritte, Geburtstage, Hochzeiten, Benefizkonzerte und vor allem
Musikfeste insbesondere des 19. Jh.). Höfische und kirchliche Feste
wurden seit jeher zum Anlaß genommen, um eine Vielzahl von Instrumentisten zusammenzuführen (z.B. O. Benevolis Einweihungsmesse
für den Salzburger Dom 1628). Die umfangreiche Besetzung des Orchesters bei den Akademien der 1771 in Wien gegründeten TonkünstlerSocietät – Vorläuferin der 1812 gegründeten Gesellschaft der Musikfreunde –
, einer Vereinigung von Berufsmusikern, rührt daher, daß jedes Akademiemitglied zur Mitwirkung bei den Konzerten verpflichtet war (hieraus erklärt sich z.B. die außergewöhnlich starke Orchesterbesetzung,
von der Mozart dem Vater in einem Brief vom 11. April 1781 [s. Mozart,