KV-Blatt 10/2015 - Titelthema I: Therapie bei Transidentität

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Titelthema
Die Idee eines Geschlechtswechsels ist alt. Schon die
griechische Mythologie kennt die Figur des blinden
Sehers Teiresias, der zunächst als Mann, dann als Frau
und letztlich wieder als Mann lebte. Doch sollte es bis
zum 20. Jahrhundert dauern, bis der körperliche Wechsel des Geschlechts mitsamt der Übernahme der dazu
gehörenden sozialen Rolle Realität werden konnte,
ganz ohne göttlichen Beistand wie noch bei ­Teiresias.
Von Beginn an war die Medizin in diesem Prozess
federführend, von der Definition einer behandlungsbedürftigen Krankheit bis zur Bereitstellung geeigneter hormoneller und chirurgischer Therapien. In Berlin werden Patient*innen 1 mit dem Drang nach einem
Geschlechtswechsel von niedergelassenen Hausärzten,
Gynäkologen, Urologen und Endokrinologen behandelt.
Während die heute so genannte Transidentität langsam
im Alltag der Gesellschaft ankommt, wird die Frage
nach ihrem Krankheitswert neu gestellt.
KV-Blatt 10.2015
Titelthema
KV-Blatt 10.2015
Therapie bei Transidentität
Geschlecht im Kopf
Die Antwort auf die Frage, ob man weiblich oder männlich ist, sich als Frau
oder Mann fühlt, ist für die allermeisten Menschen derartig selbstverständlich, dass sie sich die Frage gar nicht
stellen – es ist einfach so. Bei ihnen
„passen“ das anatomisch-biologische
Geschlecht, wie es bei der Geburt per
Augenschein festgestellt wird, und das
geschlechtliche Zugehörigkeitsempfinden zusammen. Bei anderen Menschen
hingegen fallen das sichtbare und das
erlebte Geschlecht auseinander, ohne
organische Ursachen, ausgedrückt in
der populären Formel einer weiblichen
Seele in einem männlichen Körper (und
vice versa). Sie streben meist danach,
den „fremden“ Körper der „vertrauten“
Seele anzugleichen. Sie sind transsexuell. In Deutschland fällt die Behandlung transidenter resp. transsexueller 2
Menschen in den Leistungsbereich der
Gesetzlichen Krankenversicherung. Der
Katalog der ICD-10 kodiert „Transsexualismus“ unter der Nummer F64.0
als Störung der Geschlechtsidentität
und erlaubt dergestalt die Abrechnung
medizinischer Leistungen über die GKV.
Nach § 116 b SGB V gilt „Transsexualismus“ als eine „seltene Erkrankung“ (i. e.
bis zu fünf Patient*innen auf 10.000
Personen), die ambulant spezialfachärztlich versorgt wird.
Dr. med. Christoph Schuler ist niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und behandelt seit 1998
Patient*innen mit transidenter Symptomatik. Im Erstgespräch, das in der
Regel eine halbe Stunde dauert, erstellt
er eine komplette Anamnese, fragt
nach biografischen Daten und Brüchen, insbesondere nach dem erstmaligen Auftreten des Wunsches nach
einem Geschlechtswechsel (ob bereits
in der Kindheit oder Jugend oder erst
im Erwachsenenalter). Mögliche bestehende Partnerschaften und die Jobsituation werden in die Anamnese mit
einbezogen, ebenso das Motiv, gerade
jetzt den Weg in eine A
­ rztpraxis zu nehmen. Wichtig ist die Frage nach bereits
eigenmächtig eingenommenen Hormonen, bei Trans*männern auch die nach
der Pille. Schließlich geht es um die
Perspektive der Veränderung – wie weit
soll sie gehen, was wird gegebenenfalls offen gelassen oder auch ausgeschlossen? Eine Psychotherapie sollte
begonnen sein, sie muss nicht exakt
ein Jahr laufen, wie Dr. S
­ chuler hervorhebt, lediglich ein Gespräch aber wäre
zu wenig. Zentral sei für ihn dabei die
Einschätzung der externen Psychologin, dass es sich um eine „innere Stimmigkeit“ beim Wunsch nach einem
Geschlechtswechsel handele, bei
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Titelthema
KV-Blatt 10.2015
Fortsetzung von Seite 13­
gleichzeitiger Klarheit der Patient*in
über die Reichweite und ­Konsequenzen
der angestrebten Transformation. Vor
der Hormontherapie erfolgen dann
eine körperliche Untersuchung inklusive einer Ultraschalluntersuchung des
Bauchraums, eine Blutuntersuchung
inklusive des Hormonstatus sowie eine
humangenetische Untersuchung, um
eine Intersexualität auszuschließen.
Gravierende Wirkungen der Hormone
Bei Trans*männern unter Testosteron
setzt die Menstruation aus, der Haarwuchs an Beinen, Armen und der Brust
sowie im Gesicht wird stimuliert, das
Hautbild wird gröber, eine Pubertäts­
akne kann sich entwickeln, ein Muskelwachstum setzt ein, ein nachgeholter Stimmbruch lässt die Stimmlage
absinken, auf Dauer ist möglicherweise mit einer männlichen Glatzenbildung zu rechnen. Bei Trans*frauen
unter Östrogen setzen Erektion und
Ejakulation aus, die Haut wird weicher,
vorhandene Behaarung der Beine und
der Brust geht merklich zurück, ein
gewisses Busenwachstum kann erwartet werden, die Silhouette wird kurviger, am Po und an den Oberschenkeln
setzt sich Körperfett an. Bei beiden
Geschlechtern ändert sich der Körpergeruch recht schnell; gerade der Beginn
einer Hormontherapie führt zu einer
psychischen Beruhigung und Entspannung, Phasen der Euphorie sowie der
Depression können sich abwechseln. Je
früher (vom Lebensalter) eine Hormontherapie beginnt, desto bessere Ergebnisse im Sinne eines überzeugenden
Erscheinungsbildes sind zu erwarten.
Der Off-Label-Use der zu verabreichenden Medikamente 3 macht Dr. Schuler
keine Schwierigkeiten, da eine im versicherungsrechtlichen Sinne „behandlungsbedürftige Krankheit“ vorliege, es
keine Alternativpräparate gebe und er
zudem über eine Praxisbesonderheit
verfüge; ihm wurde aber von Gynäkologen berichtet, die Trans*männer in der
Behandlung ablehnen würden, da sie
keine Leistungen für Männer abrechnen dürften.
Foto: Bronstering
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Gedenksäule für Magnus Hirschfeld vor seinem ehemaligen Wohnhaus gegenüber dem
Rathaus Charlottenburg
Die Langzeitbehandlung transidenter
Menschen ist sicher, wie Dr. Schuler
hervorhebt; weder werden sie früher alt
als die Normalbevölkerung noch sterben sie früher. Östrogen und Testosteron kommen in jedem menschlichen
Körper vor (wenn auch in unterschiedlicher Konzentration), beide sind Steroidhormone, die sich in ihrer biochemischen Zusammensetzung nur minimal
unterscheiden. Bei Trans*frauen ist das
Risiko einer Thrombose erhöht, deshalb
sei ein Rauchverzicht geboten und ein
ideales bis normales Gewicht anzustreben und zu halten. Ab dem 50. Lebensjahr würden sie überdies von ihrer
Krankenkasse (bei erfolgter Personenstandsänderung) alle zwei Jahre zum
Mammografie-Screening eingeladen.
Bei Trans*männern hingegen könne es
zu einer Erhöhung des Risikos kardiovaskulärer Erkrankungen kommen. Bei
ihnen könne gerade am Beginn einer
Testosteronbehandlung eine Polyglobulie auftreten. Bei einer jahrelangen Gabe
von Testosteron sollte im Rahmen einer
Krebsvorsorge an den Uterus sowie die
Ovarien gedacht werden, sofern diese
nicht entfernt worden seien. Um die
generelle Belastung der Leber durch die
Hormone zu minimieren, gebe es die
Darreichungsform als Pflaster und als
Gel; die über die Haut (oder über die
Mundschleimhaut bei Tabletten) aufgenommenen Hormone gingen direkt ins
Blut und würden unter Umgehung des
Magen/Darm-Traktes verstoffwechselt.
Die Pionierarbeit Magnus Hirschfelds
Die medikamentös-operative Therapie
der Transidentität begann in ihrer Vorform in den 1910er-Jahren in Wien. Hier
experimentierte der Anatom Eugen Steinach mit Ratten, denen er gegengeschlechtliche Keimdrüsen ihrer Artgenossen transplantierte. Die während des
I. Weltkriegs aufgekommene plastische
Chirurgie zur Rekonstruktion verletzter
Genitalien wurde zur Grundlage späterer Operationen an Transidenten. In den
1920er-Jahren gelang es der Bayer AG,
menschliches Östrogen und Testosteron zu s­ ynthetisieren. Am 1919 gegrün-
Titelthema
KV-Blatt 10.2015
deten, privaten Institut für Sexualwissenschaft in Berlin setzte sich der Arzt
Magnus Hirschfeld intensiv mit dem
von ihm „Transsexualismus“ genannten
Phänomen des Wunsches nach einem
Geschlechtswechsel auseinander 4. An
dieser weltweit einzigartigen Ambulanz
behandelten Hirschfeld und seine Kollegen aus der Gynäkologie, der Psychia­trie,
der Chirurgie und der Endokrinologie
erste Patient*innen mit einem intensiven Wunsch nach einer Angleichung des
somatischen Geschlechtes an das seelische. 1930/31 kam es zur ersten „vollständigen“ Geschlechtsanpassung; eine
dänische Patientin mit Namen Lili Elbe
wurde von Hirschfeld untersucht und
in Dresden an der dortigen Frauen­klinik
vom Gynäkologen Kurt ­Warnekros genital operiert. Sie erhielt von der däni-
schen Botschaft einen neuen weiblichen
Namen und veröffentlichte im Jahr darauf die erste Autobiografie einer Transidenten. 1933 wurde das Institut für
Sexualwissenschaft von den Nationalsozialisten verwüstet und geschlossen;
Hirschfeld, der bei der Machtübernahme
der Nazis im Ausland war, starb 1935
in Nizza. Die Forschungen zum Thema
Transidentität kamen über Jahrzehnte
zum Erliegen, durch das Wüten der
Nazis verlor Deutschland seine führende
Rolle auf diesem Gebiet.
Auf der Suche nach einer lebbaren
Lösung
Dr. Renate Försterling ist seit 2009
niedergelassene medizinische Vertragspsychotherapeutin in Berlin, sie
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praktiziert zusätzlich privat als Internistin, zuvor arbeitete sie in gleicher
Funktion in Karlsruhe. Sie begleitet
Patient*innen mit transidenter Symptomatik und verfasst Bescheinigungen sowie Gutachten für die Krankenkassen und das Amtsgericht. Ziel ihrer
psychotherapeutischen Arbeit ist es,
dass es ihren Patient*innen „auf Dauer
besser geht“, dass eine nachhaltige,
lebbare Lösung gefunden wird; wichtig ist ihr die ­„informierte Entscheidung“ der Klient*innen. Dazu gehört
in ihren Augen auch das Akzeptieren
der persönlichen Grenzen einer somatischen Behandlung; nicht jeder könne
aussehen wie Balian Buschbaum 5,
auch ein international gefeierter Operateur habe schon miese Ergebnisse
produziert. Dr. Försterling hat in ihren
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Titelthema
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sechs Berliner Jahren mehrere Hundert
Patient*innen behandelt und begutachtet; sie wird dabei häufig mit einer aversen, nicht ausgereiften Beziehung zum
eigenen Körper konfrontiert. Sie beobachtet zwischenzeitlich eine Veränderung der Klientel, queere 6 Lebensweisen
seien auf dem Vormarsch, gleichzeitig
werde die Gesellschaft insgesamt toleranter. Bei Kindern und Jugendlichen sei
Transidentität geradezu im Kommen;
Zwischenlösungen würden erprobt,
nicht immer müsse eine solche medikalisierbar sein. Zudem sieht sie eine
Verschiebung von der Homosexualität
zur Transidentität; Thailand etwa habe
die höchste Trans*rate weltweit, möglicherweise aufgrund einer extremen
Homophobie, sodass Trans* nolens
volens als gangbare Alternative gewählt
werde (siehe auch Iran, wo Schwule
mit der Todesstrafe bedroht werden,
Trans*OPs hingegen akzeptiert sind). In
Deutschland stünden die Zeichen eher
auf Diversity und Queer. Bei den Krankenkassen allerdings sieht sie Angst am
Werk sowie schlicht fehlende Informationen bei deren Mitarbeitern. Sie schätzt,
dass überdies etwa 10 % der Aufträge
an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Prüfung der
Voraussetzungen auf Leistungsgewährung dort einfach „verschwinden“.
Management eines Geschlechts­
wechsels
Das routinierte Management eines
Geschlechtswechsels unter der Regie
der Medizin begann in den 1950erJahren 7. 1953 sorgte der Fall Christine
Jorgensen für Aufsehen; die Patientin
wurde in New York von Harry Benjamin, einem Schüler Magnus Hirschfelds,
hormonell behandelt und zur Weiterversorgung nach Kopenhagen überwiesen. Hier wurde ihr im ersten Schritt
das Skrotum amputiert, in einem zweiten Schritt eine Neovagina angelegt;
diese Transformation vom männlichen
zum weiblichen Genitale geschah eher
aus Ratlosigkeit der Ärzte heraus, wie
ihrer Patientin am besten zu helfen sei,
und war weniger geplant und strategisch vollzogen. Ab 1956 operierte der
französische Gynäkologe Georges Burou
in Casablanca „nebenbei“ Trans*frauen
auf privatärztlicher Basis 8. Bis zu Beginn
der 1970-er Jahre war die Klinik Burous
für tausende Trans*frauen weltweit die
einzige Anlaufstelle, das Prinzip seiner
Operationstechnik zur Formung einer
Neovagina gilt bis heute als Goldstandard 9. Ende der 1960-er Jahre wurde im
US-amerikanischen Baltimore ein Programm etabliert, das Trans*frauen und
-männer unter strengen Auflagen ins
gewünschte Geschlecht führte. 1972 verabschiedete Schweden als erstes Land
weltweit ein Gesetz zur Änderung der
Vornamen und des Personenstandes
nach erfolgter Geschlechtsanpassung.
Mari Günther ist systemische Therapeutin bei QUEER LEBEN, einer Berliner Beratungsstelle für Inter*- und
Trans*personen, sie ist Mitglied im
von der Ärztekammer anerkannten
Qualitätszirkel Transidentität. Ihre
Kolleg*innen und sie führen etwa 500
Gespräche im Jahr; es kommen Betroffene auf der Suche nach Informationen,
Menschen nach einer Operation mit
dem Wunsch einer Bilanzierung. W
­ eiter
Die medizinischen Prämissen
Im Katalog des ICD-10 ist „Transsexualismus“ unter der Nummer F64.0
kodiert und wie folgt definiert: „Der
Wunsch, als Angehöriger des a­ nderen
Geschlechtes zu leben und anerkannt
zu werden. Dieser geht meist mit Unbehagen oder dem Gefühl der Nichtzugehörigkeit zum eigenen anatomischen Geschlecht einher. Es besteht der
Wunsch nach chirurgischer und hormoneller Behandlung, um den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit
wie möglich anzugleichen.“ Vor Erbringung medizinischer Leistungen beauftragen die Gesetzlichen Krankenkassen
nach § 275 SGB V den Medizinischen
Dienst der Krankenversicherung (MDK)
zu prüfen, ob nach Art, Schwere, Dauer
und Häufigkeit der Erkrankung die
medizinischen Voraussetzungen für die
beantragte Leistung vorliegen. Es wird
geprüft, ob die Diagnose Transsexualität gesichert ist und eine begleitende
psychotherapeutische Behandlung nach
den Regeln in vorgegebenem Umfang
durchgeführt wurde. Darüber hinaus
werden komorbide, insbesondere psychische Störungen ausgeschlossen.
Im so genannten Alltagstest sollen
Patient*innen zudem über mindestens
ein Jahr erproben, inwieweit ihre Vorstellungen vom Leben in der ersehnten
Rolle realistisch sind. Ein entscheidendes Kriterium für das Vorliegen einer
Transsexualität ist ein relevanter krankheitswertiger Leidensdruck. Er kann
unter Berücksichtigung der weiteren
Voraussetzungen begründen, warum
transidente Patient*innen nicht ausschließlich mit konservativen, sondern
mit hormonellen und chirurgischen Mitteln behandelt werden können.
red
Titelthema
KV-Blatt 10.2015
Rollenvorbilder schwer zu bewältigen
sei, gerade wenn die Zahl der Betreffenden sehr gering sei 10. Darüber hinaus
kritisiert Günther die Zunft der Ärzte
und Therapeuten, die – möglicherweise aus einem verborgenen Impuls
zur Angstabwehr – durchaus unbewusst
Genuss an einer Machtposition empfänden und diese nicht immer achtsam
reflektierten. Sowie Trans*menschen
sich aus dem geschützten Raum einer
Praxis, die an derlei Klientel gewöhnt
sei, in ärztliche Behandlung begäben,
müssten sie mit Übergriffen seitens
des medizinischen Personals rechnen:
Ärzte lehnten Trans*patienten schon
mal rundweg ab, es käme zu Namensproblemen beim Aufruf im Wartezimmer, abfällige Bemerkungen und verweigerte Behandlungen seien nicht
selten. Als Folge schlechter E
­ rfahrungen
mit dem medizinischen Versorgungssystem komme es zu v­ erschleppten,
chronifizierten Erkrankungen bei
Trans*menschen, die sich nach Diskriminierungen zurückzögen. Nicht zuletzt
deswegen bietet QUEER LEBEN Fortbildungen für Ärzte, Psychologen und Therapeuten zum Thema an.
Behandlungsbedürftige Krankheit oder
besondere Lebensform? Genügsame
Anzeigen
erscheinen Paare, die zu Beziehungen
resp. Trennungen Rat suchen; nicht
zuletzt kommen Eltern, Großmütter,
Hebammen, Sozial-Pädagogen und Psychotherapeutinnen. Günther moniert,
dass es im Psychologie- und Medizinstudium keine Auseinandersetzung mit
dem Thema Trans* gebe. In ihrer Beratungspraxis erlebt sie das klassische
Coming-out der Erwachsenen, p
­ arallel
dazu gebe es eine neue Generation
von Trans*-Kindern und Jugendlichen,
die nie anders als „so“ gelebt hätten
und keinen „Wechsel“ mehr vollziehen
müssten. Gerade ihnen hülfen pubertätsverzögernde Medikamente, wie sie
etwa am Klinikum Hamburg-Eppendorf
verabreicht würden. Gelegentlich meldeten sich auch Ärzte, die vor allem Ratlosigkeit äußerten. Das Dilemma, das
Günther sieht, ist das Bild einer Störungsorientierung bei Transidentität.
Der seit 150 Jahren gefestigte Anspruch
der Medizin der Normierung des einen,
richtigen Geschlechtes wirke so weiter.
Sie hofft auf die für 2017 angekündigte
Neuauflage der ICD, dann in der elften
Version, die dem Vernehmen nach ein
eigenes Kapitel für Trans* haben und
den Begriff der „Geschlechtsinkongruenz“ einführen soll – und damit sprachlich anerkennt, dass Trans*menschen
nicht zwingend gestört sind, sondern
ein klares Bewusstsein ihrer – abweichenden – Identität haben.
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Ein Recht auf Behandlung
Die Debatte um die Entpathologisierung von Trans*, die in Teilen der
Trans*bewegung seit 20 Jahren läuft,
sieht sie entspannt. Sie glaubt, dass
sich die Gesellschaft eine medizinische
Nichtversorgung partout nicht leisten
könne, auch nach einem möglichen
Streichen von Trans* als Krankheit; zu
sehr seien dabei Menschenrechtsfragen
sowie ein Recht auf Behandlung und
Intimsphäre berührt. Günther sieht eine
Parallele zur Schwangerschaft, die keine
Krankheit sei, aber ohne jeden Zweifel
behandlungswürdig. Das Entwickeln
einer Geschlechtsidentität sei ein systemischer Prozess, so Günther, der ohne
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Titelthema
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Fortsetzung von Seite 17­
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Patienten oder fordernde Konsumenten medizinischer Leistungen? Ärzte als
Herren des therapeutischen Verfahrens
oder als achtsame Begleiter? In jedem
Fall ein weites Feld, das ausreichend
Platz bietet für das Hinterfragen liebgewonnener Selbstverständlichkeiten.
Dr. Schuler sieht bei manchen Kollegen
eine Verunsicherung in der möglichen
Therapie transidenter Patient*innen.
Das liege zum einen an einer fehlenden
verbindlichen S3-Leitlinie für behandelnde Ärzte, die etwa zu Angst vor
möglichen Behandlungsfehlern führe;
zum anderen an der Komplexität des
Themas, das psychologische, sexualmedizinische, internistische, rechtliche
und endokrinologische Dimensionen
habe. Zusätzlich gehe es oft um Überweisungen an Psychotherapeuten, Hilfe
bei der Suche nach einem geeigneten
Operateur und um Stellungnahmen
vor Gericht. Da müsse jeder Mediziner
seine Ressourcen nüchtern einschätzen
und sich bewusst auf die Dynamik einer
Behandlung transidenter Patient*innen
einlassen.
Andrea Bronstering
Der rechtliche Rahmen
Seit 1980 gibt es in Deutschland
das „Gesetz über die Änderung der
Vornamen und die Feststellung der
Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen“ (aka Transsexuellengesetz
(TSG)). Die sogenannte kleine Lösung
erlaubt das Ändern des Vornamens
und damit die Umschreibung zivilrechtlich bedeutsamer Papiere (Führerschein, Mietvertrag, Bankverbindung);
die sogenannte große Lösung die
Änderung des Personenstandes, inklusive der Neuausstellung der Geburtsurkunde. Die Entscheidung darüber trifft
das zuständige Amtsgericht auf Antrag.
Es stützt sich bei seiner Entscheidung auf zwei Gutachten einschlägiger Sachverständiger, deren Kosten
vom Antragsteller zu tragen sind. Die
Sachverständigen müssen zum Ergebnis kommen, dass (a) beim Antragstel-
ler „eine transsexuelle Prägung“ vorliegt, also eine Identifizierung mit dem
„anderen“ als dem Geburtsgeschlecht,
und dass (b) dieses Zugehörigkeitsempfinden seit mindestens drei Jahren besteht und höchstwahrscheinlich
persistent ist. Das Verfahren vor dem
Amtsgericht kann von der Antragstellung bis zur Rechtskraft des Urteils gut
ein Jahr dauern. Das TSG ist in zentralen Punkten durch diverse Urteile
des Bundesverfassungsgerichtes als
arg reformbedürftig skizziert worden;
so hat das oberste deutsche Gericht
sowohl das im Gesetz festgeschriebene Kriterium der (durch Hysterektomie resp. Hodenamputation herbeigeführten) Fortpflanzungsunfähigkeit
als auch jenes der Ehelosigkeit für eine
Personenstandsänderung bereits vor
Jahren für unwirksam erklärt.
red
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