Rassismuskritische Lehre und Emotionen

Rassismuskritische Lehre und Emotionen
Berlin, Dezember 2015
Jule Bönkost
IDB | Institut für diskriminierungsfreie Bildung
Zusammenfassung
Anknüpfend an die Diskussion im US-amerikanischen Raum gehe ich in diesem Beitrag
der Frage nach, inwiefern die Ebene der Emotionen für eine rassismuskritische Hochschullehre in Deutschland bedeutsam ist. Hierfür werden die emotionalen Reaktionen weißer
Lernender thematisiert. Der Beitrag hat zum Ziel aufzuzeigen, dass es für rassismuskritische akademische Lehre wesentlich ist, die vielfältigen rassismusrelevanten Gefühle
unter Berücksichtigung von Positionierung im Zusammenhang mit der Wirkweise von
Rassismus und mit ihren Folgen für rassismuskritische Bildungsprozesse in den Blick zu
nehmen.
1 Einleitung
„Many educators who desire to transform the hierarchies of race, class, gender, and
other forms of oppression in their classrooms often focus on altering the content of their
curriculum rather than on the process by which that curriculum is developed in the
classroom space.“ (O’Brien 2006: 68, Herv. i. O.)
Rassismus ist ein emotional besetztes Thema: „[T]here is not an emotional distance
when the issue is race that there may be with other less loaded topics.“ (hooks 2010:
77) Selbst kritische Auseinandersetzungen mit rassistischer Diskriminierung gehen mit
tief greifenden Gefühlen einher. Dabei handelt es sich nicht bloß um individuelle Befindlichkeiten. Die durch das Sprechen über Rassismus hervorgerufenen Emotionen gehören
selbst zu den komplexen Strukturen des Rassismus (z. B. Lorde 2007; hooks 2010: 7783). Sie sind machtvoller Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse. Individuell erzeugt
stehen sie im Zusammenhang mit kollektiven Interessen. Emotionen sind damit nicht
nur Effekt von Rassismus, sondern gehen ihm auch voraus: Rassismus fußt auch auf
Emotionen, die als menschliche Bedingung das Denken und Handeln entscheidend beeinflussen. Für Rassismuskritik ist der Einbezug des Aspektes Emotionen deshalb elementar: „Racism must be dealt with on two levels, personal and societal, emotional
1
and institutional.“ (Yamato 1990: 23) In den USA wird die Bedeutung von Gefühlserleben im Zusammenhang mit rassismuskritischem Lehren und Lernen mit verschiedenen
Schwerpunkten diskutiert (z. B. O’Brien 2006; hooks 2010; Spanierman/Cabrera 2015).
Beispielsweise beschäftigen sich Theorien über Identitätsentwicklung im Kontext von
Rassismus damit, wie rassismusrelevante Emotionen in Abhängigkeit von den durch
Rassismus geschaffenen Positionen und verschiedener Stadien der Identitätsentwicklung
unterschiedlich ausfallen (z. B. Helms 1990). Diese Überlegungen wurden auch von
der US-amerikanischen Auseinandersetzung um rassismuskritische Pädagogik aufgegriffen und im Hinblick auf ihre Bedeutung für Rassismus kritisierende Bildung diskutiert
(z. B. Tatum 1992). Viele Grundannahmen der englischsprachigen Beiträge haben auch
für den deutschen Kontext Relevanz.
Anknüpfend an die Diskussion im US-amerikanischen Raum sollen im Folgenden aus
weißer Perspektive einige Aspekte dazu betrachtet werden, inwiefern die Ebene der
Emotionen für eine rassismuskritische Hochschullehre in Deutschland bedeutsam ist. In
diesem Zusammenhang möchte ich exemplarisch von einer meiner Lehrveranstaltungen
berichten und die mir vertrauten emotionalen Reaktion weißer Lernender thematisieren.
2 Lernen über Rassismus als emotionaler Lernprozess
Erkenntnisse hängen nicht nur von der ihnen zugrunde liegenden Logik ab, sondern
auch von den Emotionen der Erkennenden. Erkenntnistheoretisch fatal wäre es deshalb,
bei einer auf Erkenntniszuwachs angelegten universitären Lehrveranstaltung die emotionalen Aspekte der Interaktionen zu vernachlässigen. Besonders weitreichende Folgen
hat das für Lehre zum Gegenstand Rassismus.
Rassismus ist in universitären Lehrveranstaltungen unabhängig von den jeweils behandelten Themen wirksam. Denn auch die Hochschule befindet sich nicht außerhalb des
Diskurses Rassismus, der sich in diesem Raum unter anderem institutionell niederschlägt
(Kilomba 2009). „Walls of whiteness“, die Studierende und Lehrkräfte an der Hochschule
umgeben, beschützen weiße Lernende und Lehrende davor, Rassismus hinterfragen zu
müssen (Brunsma/Brown/Placier 2013). Auch vom Emotionserleben aufgrund von Rassismus ist Hochschullehre nicht ausgenommen (vgl. z. B. Ladson-Billings 1996; Reddy
2002): Rassismus prägt beispielsweise die – auch von Gefühlsausdrücken wesentlich bestimmte – Unterrichtsdynamik. In Lehrveranstaltungen, die Rassismus thematisieren,
findet sich der besprochene Gegenstand deshalb z. B. in der Art und Weise des Diskussionsverlaufes selbst wieder: „[U]nlike courses that do not make race, gender, class, and
sexuality explicit, courses that address systemic oppression have to consider that the
classroom dynamics are an essential part of the course content.“ (Appleblaum 2007:
336, Herv. i. O.; vgl. dazu auch Mecheril [u. a.] 2013) Weil Rassismus Teil der
Lebensrealität aller Menschen ist, betrifft das Emotionserleben aufgrund von Rassismus
sowohl Lernende als auch Lehrende unabhängig von Positionierung (vgl. Tatum 1992;
Reddy 2002; Tuitt [u. a.] 2009; hooks 2010). In Abhängigkeit der Positionierung kommt
2
den von Rassismus ausgelösten und damit an Machtungleichheit geknüpften Gefühlen
allerdings eine unterschiedliche Bedeutung für Rassismus zu (vgl. z. B. Tatum 1992;
O’Brien 2006): Rassismus ist ein spezifisch weißes Projekt, zu dem weiße Lernende und
Lehrende als Bildungsgegenstand folglich einen spezifischen Zugang haben. Deshalb ist
wenig überraschend, dass rassismuskritische Pädagogik seitens weißer Lernender und
Lehrender eine besondere Herausforderung darstellt, bei der auch emotionale Reaktionen eine wesentliche Rolle spielen. Denn weiße Personen wissen – zugespitzt formuliert
– nicht, wie sie Rassismus kritisch begegnen können, denn sie haben es nicht gelernt.
Im Gegenteil, von klein auf an lernen sie unbewusst, erworbene weiße Privilegien zu
erhalten (olsson 2011).
Für weiße Personen bedeutet die kritische Auseinandersetzung mit Rassismus eine
Infragestellung des wahrgenommenen Normalen bzw. verinnerlichter Denk- und Handlungsmuster bei gleichzeitigem Aufbrechen der eigenen weißen Komfortzone. Die Rassismusforscherin Robin DiAngelo (2011) beschreibt Rassismuskritik in diesem Zusammenhang als Stressfaktor für weiße Menschen. Er sei an einen Zustand geknüpft, den
das Gewöhnt-Sein an die Normalität des Rassismus seitens weißer Personen in einer von
Rassismus strukturierten Gesellschaft hervorrufe. Diesen Zustand bezeichnet DiAngelo
als „White Fragility“:
„White Fragility is a state in which even a minimum amount of racial stress becomes
intolerable, triggering a range of defensive moves. These moves include the outward
display of emotions such as anger, fear, and guilt, and behaviors such as argumentation,
silence, and leaving the stress-inducing situation. These behaviors, in turn, function to
reinstate white racial equilibrium. Racial stress results from an interruption to what is
racially familiar.“ (DiAngelo 2011: 57)
Weiße Lernende lassen Rassismuskritik regelhaft „nicht an sich heran“. Das breite
Repertoire an Mechanismen und Strategien weißer Personen, einer Reflexion der eigenen Verstrickung in Rassismus zu entgehen und Kritik am Rassismus abzuwehren, ist
vielfach dokumentiert worden, auch mit deutschen Beiträgen (z. B. Pech 2006; olsson 2011). Aufgezeigt wurde, dass auch intentional angelegte rassismuskritische Bildungsprozesse reflexhafte Abwehrreaktionen kennzeichnen, die im Zusammenhang mit
emotionalen Aspekten von Lernwiderstand stehen (z. B. Tatum 1992; Hytten/Warren
2003; Applebaum 2007; Beeman 2015). Weil rassismuskritische Pädagogik die Normalität des Rassismus hinterfragt, fordert sie Dominanz absichernde Reaktionen geradezu
heraus. Denn damit gehören zu ihr auch die kritische Reflexion der für Rassismus
relevanten gewohnten Wahrnehmung von Selbst und Welt weißer Lernender sowie die
Kritik an weißen Privilegien. Verunsicherungen stellen für sich genommen keinen Störfaktor rassismuskritischer Bildungsprozesse dar. Sie bilden vielmehr einen wesentlichen
Bestandteil dieser: „Working with white students on unlearning racism, one of the principles we strive to embody is the value of risk, honoring the fact that we may learn
and grow in circumstances where we do not feel safe“ (hooks 2003: 64; vgl. dazu auch
3
Hoffarth/Klingler/Plößer 2013). Verunsicherungen können jedoch auch zu – häufig unbewussten – Reproduktionen der problematisierten vertrauten Selbst- und Weltbilder bzw.
einer Verteidigung der durch Rassismus erzeugten Vorteile führen, zu Bemühungen, um
die Sicherheit als ebenfalls vertrautes Emotionsmuster wiederherzustellen. Ricky Lee
Allen formuliert in diesem Zusammenhang, dass rassismuskritische Pädagogik das Auslösen einer Identitätskrise weißer Lernender bedeutete, die zu verändertem Denken und
Handeln führen könnte: „[C]rical educators need to create an environment of dissonance
that brings white students to a point of identity crisis.“ (Allen 2004: 133) Auch Allen
knüpft an Theorien zur Identitätsentwicklung im Kontext von Rassismus mit dem Hinweis darauf an, dass weiße Personen ihr weiß -Sein – den bevorzugten Zugang zu Macht
und Privilegien – nicht überwinden könnten. Weil sie sich nicht jenseits von weiß -Sein
positionieren könnten, ergänzt er: „[W]hites must be shown other ways of being white“
(Allen 2004: 133).
Zu den Emotionen, die das Lernen über Rassismus seitens weißer Lernender auslöst,
gehören außerdem z. B. Schuld, Scham, Wut oder Verzweifelung (Tatum 1992). Je
nachdem, wie die Empfindungen kanalisiert werden, können sie rassismuskritische LehrLernprozesse produktiv unterstützen oder diese erschweren. Wenn sie jedoch unbeachtet
bleiben, können sie einen rassismuskritischen Bildungsprozess beeinträchtigen, selbst in
Lehrveranstaltungen mit einer Lektüreliste, die Weißsein dezentriert. Beispielsweise können sie Teilnahmslosigkeit, Passivität, Themen- bzw. Problemverschiebung oder besserwisserisches Verhalten als Normalisierungsversuche nach sich ziehen. Für die empfundenen Gefühle bzw. die Verhaltensweisen, in die sie einmünden, spielt schließlich auch
die Positionierung der Lehrkraft eine wesentliche Rolle (vgl. dazu z. B. TuSmith/Reddy
2002; Beeman 2015). Lisa Spanierman und Nolan Cabrera (2015: 23) halten fest, dass
die erwartbaren Emotionen pädagogisch genutzt und in die richtigen Bahnen gelenkt
werden müssten, „toward the more productive racial emotions such as productive guilt
and empathy, and ultimately toward a stance of pro-racial justice.“ Wie sie anmerken,
werden Emotionen auch im Zusammenhang mit rassismuskritischer Bündnisarbeit eine
entscheidende Rolle zugeschrieben (Spanierman/Cabrera 2015: 9). Diese Diskussion ist
hilfreich, um Ziele rassismuskritischer Bildung für Lernende auszumachen; denn diese
Ziele sind – z. B. mit Blick auf Subjekt- bzw. Persönlichkeitsbildung – keinesfalls geklärt.
3 Rückmeldungen der Studierenden
Das Thema rassismuskritische Bündnisse war auch Gegenstand eines von mir im
Sommersemester 2015 an der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführten MasterSeminars. In der Lehrveranstaltung haben wir verschiedene Konzepte des VerbündetSeins aus der Geschlechter- und Rassismusforschung daraufhin untersucht, welche Ideen
von Gemeinschaft, Solidarität und „Wir“ ihnen zugrunde liegen und wie dabei Subjektivität, Differenz und Handlungsfähigkeit gedacht werden. Zum Abschluss des Seminars,
4
dessen elf Teilnehmer*innen bis auf eine Person weiß positioniert waren1 , wurde der
Seminarverlauf gemeinsam im Plenum und mit einem von mir erstellten Fragebogen
evaluiert. Dabei wurde auch auf die eigenen Emotionen eingegangen.
In vielen Fällen kamen die Studierenden mit Befürchtungen und Ängsten in das Seminar. Die Gefühle bezogen sich zum einen auf die Stimmung und Atmosphäre im Seminar
und zum anderen auf den eigenen Beitrag zur Veranstaltung. „Ich hatte im Vorhinein
Sorge, dass die Stimmung im Seminar sehr angespannt sein wird bei so einem brisanten
Thema,“ hält eine Person fest. Es wurden verschiedene Facetten weißer Angst ausgedrückt. Dabei herrschte die Angst vor, im Seminar etwas „falsch“ zu machen und selbst
rassistische Handlungen zu reproduzieren bzw. für diese von anderen Personen negativ beurteilt und kritisiert zu werden (vgl. Pech 2006: 81). „Manchmal hatte ich das
Gefühl, ich trau mich nicht wirklich alles zu sagen oder zu fragen, aus Angst irgendwie
was falsch zu machen oder mich als eine zu outen, die schon Behandeltes nicht verinnerlicht hat.“ Im Nachhinein beschrieben viele Studierende die Veranstaltung dennoch
als fehlerfreundlichen Ort und auch die Lernatmosphäre wurde von der Mehrzahl der
Studierenden als positiv bewertet. Heißt das, das ich mit der Lehrveranstaltung einen
Wohlfühl- bzw. Schonraum geschaffen habe, in dem es sich die weißen Studierenden
gemütlich machen konnten? Sollte nicht gerade eine rassismuskritische Pädagogik für
weiße Lernende unbequem sein und diese aus ihrer Komfortzone herausholen? Wo sind
die tief greifenden Gefühle und produktiven Konflikte geblieben, die rassismuskritische
Lehre auslöst und auch auslösen soll (vgl. z. B. Reddy 2002; TuSmith 2002; O’Brien
2006)? „[C]ritical race pedagogy is inherently risky, uncomfortable, and fundamentally
unsafe (Lynn 1999), particularly for whites“, bringen Zeus Leonardo und Ronald Porter
(2010: 139) auf den Punkt. Dem fügen sie hinzu: „This does not equate with creating
a hostile situation but to acknowledge that pedagogies that tackle racial power will be
most uncomfortable for those who benefit from that power.“ (Leonardo/Porter 2010:
139-140, Herv. i. O.)
Im Bündnisse-Seminar stand das aus diskurstheoretischer Sicht Rassismuskritik kennzeichnende Spannungsverhältnis zwischen Destabilisierung und Stabilisierung von Rassismus im Mittelpunkt (vgl. Bönkost 2013). Mit diesem Zugang zum Seminarthema
gerieten auch die eigene Verwobenheit in rassistische Herrschaftsverhältnisse sowie die
Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Kritik am Rassismus explizit in den Fokus – ob
seitens der Dozentin oder der Studierenden, ob als Wissenschaftler*in oder Aktivist*in.
Die eingenommene Perspektive lud dazu ein, auch die eigenen Emotionen beim Lernen
über Rassismus im Seminar in den Blick zu nehmen sowie aus dieser Perspektive neu
zu betrachten und neu zu bewerten. Zu der Frage, was sie im Bündnisse-Seminar über
sich selbst gelernt habe, hält eine weiße Person fest: „Besonders wichtig war für mich zu
1
Die Studierenden studierten acht verschiedene Studiengänge, darunter Geschlechterstudien/Gender
Studies, Kommunikation und Sprache/DaF, Erziehungswissenschaft und Politikwissenschaft, und
besuchten die Veranstaltung mehrheitlich als Wahlpflichtveranstaltung. Die meisten brachten ein
Vorwissen zum Thema Rassismus mit, hatten sich aber noch nicht mit dem Thema Bündnisse in
diesem Zusammenhang beschäftigt.
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verstehen, dass ich mich niemals aus dem Spannungsfeld, das der rassistische Diskurs
eröffnet, entfernen kann. Auch dann nicht, wenn ich in unzähligen Bündnissen aktiv
bin und ich mich weitgehend mit dem Thema auseinandergesetzt habe.“ In der Lehrveranstaltung ging es dabei nicht primär darum, Verstrickung aufzuzeigen. Das kann zu
unproduktiven Gefühlen von Hoffnungslosigkeit (Hytten/Warren 2003: 83-84) führen,
wie Beverly Daniel Tatum treffend formuliert: „Heightening student awareness about
racism without also providing some hope for social change is a prescription for despair.“
(Tatum 1994: 465) Mit der Analyse der Chancen und Erfolge sowie der sich abzeichnenden Risiken und Probleme der verschiedenen theoretisch-konzeptionellen Ansätze von
Bündnisarbeit haben wir uns vor allem mit der Frage befasst, wie Kritik an rassistischer
Diskriminierung trotz unumgehbarer Widersprüchlichkeiten bestmöglich wirken kann.
In der abschließenden schriftlichen Befragung brachten die weißen Studierenden zum
Ausdruck, dass sie die Inhalte des Seminars stark emotional berührt hätten. Im Laufe
des Semesters hätten die Themen viele negative Gefühle hervorgerufen. Genannt wurden
Angst, Schuld, Enttäuschung, Wut, Verzweiflung, Irritation, Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit, Schwäche, Pessimismus, Stress, Ratlosigkeit, Hemmung und Ohnmacht. Das
weist darauf hin, dass nicht nur offen ausgetragene zwischenmenschliche Konflikte, die
mit Normalisierungsversuchen weißer Lernender einhergehen, Anzeichen dafür sind, dass
Rassismus in universitären Lehrveranstaltungen wirkmächtig ist. Auch in scheinbar konfliktarmen und harmonisch wirkenden Seminaren ist Rassismus aktiv, z. B. indem seine
kritische Thematisierung zu weniger sichtbaren, aber deshalb für Lernprozesse nicht
weniger bedeutsamen emotionsbedingten inneren Konflikten führt. Schließlich sind die
Gefühle, die von Rassismus ausgelöst werden, auch in Lehrveranstaltungen präsent, die
Rassismus nicht zum Thema machen. Denn auch hier ist Rassismus wirksam: „[I]t [race]
is actually present in every classroom. [...] We can choose to acknowledge it or ignore it
but it is still there.“ (Maxwell 2006: 159)
4 Fazit
Für rassismuskritische akademische Lehre ist es wesentlich, die vielfältigen rassismusrelevanten Gefühle und deren Äußerungen unter Berücksichtigung von Positionierung
im Zusammenhang mit der Wirkweise von Rassismus und mit ihren Folgen für rassismuskritische Bildungsprozesse zu erkennen. Es kommt darauf an, im Sinne der
Förderung rassismuskritischer Lehr-Lernprozesse mit ihnen umgehen zu lernen. Von
der Art und Weise, wie den von Rassismus geprägten Emotionen in Lehrveranstaltungen begegnet wird, hängt – möglicherweise mehr als von der Auswahl der Themen
oder der besprochenen Texte – ab, wie das unumgehbare Wirken des Rassismus in
Hochschulveranstaltungen ausfällt sowie wie und wofür es pädagogisch genutzt wird.
Weil Emotionen für Lernen zum Thema Rassismus bedeutungsvoll sind, sollten sie
in universitären Bildungszusammenhängen, die sich dem Entgegenwirken rassistischer
Strukturen verschreiben und Rassismus thematisieren, kritisch reflektiert bzw. als für
Lehr-Lernprozesse besonders relevant anerkannt und in diese mit einbezogen werden.
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„[D]ealing with classroom dynamics“, wie Barbara Applebaum (2007: 338, Herv. i. O.)
es formuliert, „is part of the course content.“
7
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