bz, Es wird modern werden, 21.1.2016

BASEL-STADT 25
BASEL | BASELLANDSCHAFTLICHE
DONNERSTAG, 21. JANUAR 2016
Ballett von den Strassen Kubas
Ballet Revolución Die Tanzsensation aus Kuba gastiert in Basel – und besticht durch ihre Kontraste
VON CÉLINE FELLER
Der Scheinwerfer geht an, setzt ein
Paar in Szene, das rund um einen einfachen, schwarzen Holzstuhl sinnlich
tanzt. Ihre Kleider sind schwarz,
schlicht, kaum der Rede wert. Ihr Tanz
hingegen ist so ausdrucksstark, faszinierend und perfekt ausgeführt, dass
man kaum wegsehen kann. Im Hintergrund ist leise ein Gitarrenspiel zu hören. Die sanften Klänge vermischen
sich mit der dominierenden Melodie
der Trompete.
Im Vordergrund geht der Scheinwerfer wieder an. Ein anderes Paar umgarnt sich im Tanz, leidenschaftlich
und gleichzeitig anmutig und elegant.
Schnitt. Die Paare verschwinden, zu Ushers Welthit «DJ got us fallin’ in love
again» versucht sich ein Tänzer als Michael-Jackson-Kopie. Von der Sinnlichkeit ist keine Spur mehr zu erkennen.
Viel mehr versprüht der Tänzer Energie, Explosivität, Power.
Dies ist der Anfang der zweiten Hälfte der kubanischen Tanzsensation Ballet Revolución. 19 Tänzerinnen und
Tänzer aus dem karibischen Inselstaat
präsentieren momentan auf der Bühne
des Musical Theaters Basel, was ihre
Heimat ausmacht: die Heissblütigkeit
und die Energie, die Leidenschaft für
die Musik und die unwiderstehliche
Sinnlichkeit und Lebensfreude. Und natürlich der Tanz, mit dem sie sich besser ausdrücken können als mit irgendetwas anderem. In wenigen Ländern ist
der Tanz wichtiger, vielfältiger und
emotionaler als in Kuba. Und genau
dies spiegelt sich in der gut zweieinhalbstündigen Show wieder.
David Guetta trifft Ballett
Die Tänzer kommen allesamt aus Kuba und haben dort an der Escuela Nacional de Arte die Kunst des klassischen Balletts und die Bewegungen des
modernen und folkloristischen Tanzes
gelernt. Doch wer deshalb nur traditionelle kubanische Tänze gepaart mit
den klassischen Sprüngen und Pirouetten eines Balletts erwartet, liegt falsch.
Zum «Ballet Revolución» gehört das kubanische Volkslied «El Panadero» genauso dazu wie Rihannas Welthit «We
Im Hintergrund
Hip-Hop – im Vordergrund klassisches Ballett. Genau das ist die
Charakteristik der
kubanischen
Tanzshow «Ballet
Revolución». ZVG
found love». Jeweils gesungen und gespielt von einer siebenköpfigen Liveband, die den Tänzerinnen und Tänzern in Talent und Emotionen kein
bisschen nachsteht, wechseln sich Tradition und Trend immer wieder ab.
Während in der Musik die Übergänge
fast unvermeidbar zu erkennen sind,
fliessen bei den Tänzen die Bewegungen nahtlos über von Ballett zum Jazz,
zum Salsa, Rumba, Hip-Hop bis hin
zum Breakdance. Denn all diese Tanzstile finden genau so Platz wie der klassische Tango.
Doch die Tanzstile werden nicht
analog zu den Musikstilen getanzt,
sondern vermischt. So wird zu den
modernen Clubhits David Guettas, Beyoncés und Jennifer Lopez’ klassisches
Ballett und zum klassischen «Mambo
Time Machine» auch mal Breakdance
getanzt. Mit Spitzenschuhen und hautengen Leggins statt Turnschuhen und
Hosen mit tiefem Schritt. Immer mit
der Absicht, dem Zuschauer die Geschichte des Songs zu vermitteln.
So bekommt man bei Ushers «DJ got
us fallin’ in love again» tatsächlich das
Gefühl als würden sie «dance, dance like it’s the last, last time of your life» –
das letzte mal also, dass sie in ihrem
Leben tanzen. Die Stimmung aber ist
nicht bedrückt, sondern vermittelt
den Eindruck, mitten an einer riesigen
Party im Herzen Havannas zu sein, die
scheinbar nie enden will.
«Ballet Revolución» ist nicht pompös
inszeniert, weil dies einfach nicht nötig ist. Weil diese Virtuosität der Tänze
und die fantastischen Choreografien
für sich selber sprechen. Das Bühnenbild und die Kleider sind nicht überladen oder ausgefallen. Sie machen fast
den Anschein, als wäre bei dieser
Show weniger Wert darauf gelegt worden als bei anderen. Vielleicht einfach,
weil ihre Simplizität in der Extravaganz der Tänze ohnehin unter- und
vergessen geht. Vielleicht aber auch,
weil «Ballet Revolución» einfach anders ist. Es ist ein Ballett, bei dem der
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NACHGEFRAGT
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Bass den Boden zum Vibrieren bringt.
Es ist ein Ballett, zu dem Pirouetten
gleichermassen gehören wie Breakdance, Spitzenschuhe genau so wie
löchrige Shirts und Man Buns ebenso
wie Tutus. Es ist ein Ballett, das man
gesehen haben muss. Auch wenn man
kein Ballett-Fan ist. Oder eben genau
dann.
Ballet Revolución bis Sonntag, 24. 1.,
im Musical Theater. Do–Sa, 19.30 Uhr, Sa
zusätzlich 15 Uhr, So 14 und 18 Uhr.
Mehr Bilder von der Show
finden Sie online.
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«Es wird modern werden»
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Herr Gröflin, Sie sind zum ersten
Mal Regisseur des Drummeli. Was
wird jetzt anders?
Laurent Gröflin: Ich denke, dass mein
Humor vielleicht etwas leiser, melancholischer und poetischer ist. Es sind die stillen und besinnlichen Momente, die mich
an der Fasnacht immer wieder berühren.
Es ist das, was ich mag und was im
Drummeli mehr vorhanden sein wird.
VON SIMON ERLANGER
Zehn Tage vor der Premiere laufen die
Proben für die 110. Ausgabe des Drummeli auf Hochtouren. Viel will der neue
Regisseur Laurent Gröflin an der gestrigen Medienkonferenz nicht verraten:
«Es gibt weniger Raamestiggli. Diese
werden aber nicht kürzer, sondern erhalten eine andere Form», so Gröflin.
Der 36-jährige Regisseur und Theatermann hat als aktiver Fasnächtler selber
mehrmals am Drummeli teilgenommen. Sein Motto ist die Erneuerung des
Drummeli. Es soll offenbar anders werden als die erfolgreichen Ausgaben unter seiner Vorgängerin Bettina Dieterle.
Dieser «Relaunch» ist vom Fasnachts-Comité durchaus so gewollt, wie
André Schaad, der Drummeli-Verantwortliche des Comités gegenüber der
bz bestätigt: «Wenn wir schauen, was in
den Cliquen passiert, dann ist das kritisch, innovativ und modern. Und was
ist das Drummeli denn anderes als die
Fortsetzung der Cliquen? Diese haben
den Weg in die Neuzeit geschafft, warum können wir das nicht auch?», so
Schaad. Doch auch auf Kontinuität wird
gesetzt. So sind mit Susanne Hueber,
Daniel Buser und SKELT! drei bisherige
Ernste Raamestiggli: Der Tod (Daniel Buser, 1. v. l.) wird von einer Empfangsdame
(Susanne Hueber, 2. v. l.) am Betreten eines Pharmakonzerns gehindert. JURI JUNKOV
Ensemblemitglieder mit dabei. Philippe
Graff und Sarah Speiser kommen neu
dazu. Patrick Gusset ersetzt HugoBuser, der dieses Jahr ausfällt.
Zeitgemässe Raamestiggli
Neu aufgestellt wurde auch das Autorenteam. «Wir bringen zu den älteren
Autoren jüngere hinzu. Diese stammen
aus anderen Ecken, zum Beispiel aus
der Slam-Poetry. So entstehen dann andere Stücke. Die werden zeitgemäss inszeniert, situiert in einem neuen Bühnenbild mit viel Raum und Licht. «Es
wird modern werden.» Und auch be-
sinnlich, was den ernsten Zeiten angemessen sei. Denn diese wolle man
nicht ausblenden. «Es gibt aber auch
Stücke, die lustig werden», so Schaad.
Zum Beispiel das Raamestiggli über die
Selbsthilfegruppe all derer, die nicht im
Drummeli präsent sein können. Wie
immer treten natürlich in den Cliquen
rund 1300 aktive Fasnächtler auf. Mit
dem Verkauf der rund 11 000 Tickets
hapert allerdings noch etwas (bz vom
Dienstag). Mittlerweile seien aber rund
85 Prozent der Plätze verkauft. Und
auch die letzten Plätze sollten bis zur
Premiere am 30. Januar weg sein.
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«Wir wollen näher am zeitgenössischen Theater sein»
INTERVIEW: SIMON ERLANGER
Drummeli Die älteste Basler
Vorfasnachtsveranstaltung
will sich unter dem neuen
Regisseur Laurent Gröflin fast
völlig neu erfinden.
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Sie sprachen vor den Medien von
einem zeitgenössischen Drummeli,
von Modernität ohne Verletzung
der Tradition. Was meinen Sie damit? Was bedeutet «zeitgemäss»?
Gute Frage! Was heisst das? Ich glaube,
dass wir ästhetisch eine andere Richtung
einschlagen. Wir wollen näher am zeitgenössischen Theater sein. Wir haben auch
ein anderes Bühnenbild, das mehr Spielmöglichkeiten erlaubt, variabel einsetzbar ist und kein Thema in den Vordergrund stellt, sondern die Ästhetik.
Das tönt doch etwas elitär. Nun
denken viele, dass das Drummeli
massentauglich sein muss. Fahren Sie da mit der neuen Ästhetik nicht einen Hochrisiko-Kurs?
Nein, ich glaube nicht. Alle, die sagen,
dass die Masse der Zuschauer nur
Schenkelklopfen will, der unterschätzt
ihn. Der Zuschauer hat sowohl Freude
an kritischen Momenten, als auch an
melancholischen und stillen. Ich glaube, dass die genauso unterhaltsam
sind. Aber der einfachere Weg ist es, si-
cher möglichst viele Lacher einzubauen. Das stimmt!
Im Rahmenstück, das sie als Kostprobe präsentierten, geht es um
den Tod, der an der Pforte eines
Pharma-Unternehmens Einlass begehrt. Ein ernstes Thema in ernster
Zeit?
Das ist sicher so. Das Drummeli und die
Fasnacht sind auch ein Spiegel des letzten Jahres und unserer Zeit. Aber wir wol✴
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LAURENT GRÖFLIN
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Fasnächtler,
Theatermann
und neuer
DrummeliRegisseur
len nicht nur schwere Themen. Wir wollen auch unterhaltsam sein.
Sie haben junge Künstler, Schauspieler und Texter ins Boot geholt. Ein Generationenwechsel?
Ich sagte von Anfang an, dass ich mit allen arbeite, die schon lange mit dabei
sind. Aus privaten und beruflichen Gründen machten dann einige nicht mehr mit.
Das gab mir die Möglichkeit, neue Leute
zu holen. Wir haben auch den Wunsch,
ein jüngeres Publikum fürs Drummeli zu
begeistern. Aber es ist kein Bruch. Wir
haben niemanden rausgeworfen.
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