EINLEITUNG bOON VON HORVATH: ErN 'GEBORENER OUTSIDER' In seinem beriihmten Essay "The Outsider" beschreibt Colin Wilson den Outsider wie folgendermaBen: because he stands for Truth" 1 "He is an Outsider und dann weiter: "For the Outsider, the world is not rational, not orderly. When he asserts his sense of anarchy in the face of the bourgeois' complacent acceptance, it is not simply the need to cock a snook at respectability that provokes him; it is a distressing sense (that truth must be told at all costs), otherwise there can be no hope for an ulti~ate restoration of order. Even if there seems no room for ho?e, truth must be told . Outsider is a man who has 2wakened to chaos. ... The He may have no reason to believe that chaos is positive, the germ of life ... i inspite of this, truth mus-=: be told, chaos must be faced." 2 (hervorgehoben ~on mir) Horvath ist durchaus im Si-~e Wilsons ein AuBenseiter, der des durnrnen, kitschigen und des liignerischen Lebens gewahr geworden ist, und deshalb in der Randbemerkung zu seinem Volksstiick 'Glaube Liebe Hoffnung' der. Zweck seiner schriftstellerischen Tatigkeit wie folgt formuliert: "Ich habe nur zwei Dinge, gegen die ich schribe das ist die Dummheit und die Luge. Und zwei wofur ich eintrete, das ist die Vernunft und die Aufrich1:igkeit. Meine Absicht ist also das Leben zu zeigen, und das Leben ist kitschig. Und zwar nicht nur in seinen Sprachen und XuBerungen, -ii- sondern sogar die GefUhle der Menschen sind verkitscht, das heiBt sie sind verniedlicht und verfi:ilscht. Aus Bequemlichkeit ... ,,3 Auf diese Stelle aus der Randbemerkung wird spi:iter nochmalsvielleicht mehrere Male- einzugehen seini hier dient sie, Horvath als einen Outsider darzustellen, der die Unordnung des Lebens in ihrer Totalitat sieht und absolut keine Moglichkeit sieht, sich in irgendeiner Weise mit ihr zu identifiziereni ihm ist die sogennante Ordnung, die sogenannte VernUnftigkeit des Lebens total fremd. Und es ist dieses totale Beobachten und deshal~blehnen dessen, was ist, und wie es ist, das ihn zu einem totalen Outsider macht. Aber rein politisch geographisch gesehen ist sein Leben auch ein ewiges Hin und Her. Er hat keine Heimat und sieht die Unsicherheit einer Heimatlosigkeit durchaus positiv an: "Sie fragen mich nach meiner Heimat, ich antworte: ich wurde in Fiume geboren, bin in 'Belgrad, Budapest, Pre Bburg, Wien und MUnchen aufgewachsen und habe einen ungarischen PaB- aber: "Heimat"? Kenne ich nicht. Ich bin eine typisch alt-6sterreichischungarische Mischung: magyarisch, meine Muttersprache ist deutsch. Ich spreche weitaus am besten Deutsch, schreibe nunmehr nur Deutsch, geh6re also dem deutschen Kulturkreis an, dem deutschen Volke. Allerdlngs: der Begriff 'vaterland', nationalistisch gefalscht, ist mir fremd. ~ein Vaterland ist das Volk. Also, wie gesagti Ich habe keine Heimat und leide natlirlich nicht darunter, sondern freue mich meiner Heimatlosigkeit denn sie -iii- befreit mich von einer unnotigen Sentimentalitat." 4 Es ist diese Heimatlosigkeit, die bei seiner Auseinandersetzung mit seiner Wirklichkeit, bei seiner Analyse der Anatomie einer kollektiven Psyche am Rande einer totalen Annahme des Faschismus, den Outsider Horvath irnrner begleitet. Horvath schreibt - diesmal Uber seine Generation - : "Meine Generation ist bekanntlich sehr miBtrauisch und bildet sich ein, keine Illusionen zu haben. Auf aIle FaIle hat sie bedeutend weniger als diejenige, die uns herrlichen Zeiten entgegengeflihrt hat. Wir sind in de~ glUcklichen Lage, glauben zu dUrfen, illusionslos leben zu konnen. Und das dUrfte vielleicht unsere' einzige Illusion sein. rch weine dem alten osterreich- Ungarn keine Trane nacho Was morsch ist, 5011 zusarnrnenbrechen, und icn morsch, wUrde ich selbst zusarnrnenbrechen und i~h wa~e glaube, ich wlirde mir keine Trane nachweinen." 5 (hervorgehoben von mir) "Mein Leben beginnt mit der Kriegserklarung. Und es widerfuhr mir das groBe GlUck erkennen zu dUrfen, daB die Ausrottung der nationalistischen Verbrechen nur durch die vallige Umschichtung der Gesellschaft ermoglicht werden wird ... ~orauf es an~?mmt ist die Bekampfung des Nationalisrnus zum Besten der Menschheit.,,6 (hervorgehoben von mir) In der autobiographischen Notiz (GW. Bd. 5, S.8) bekommen wir eine weitere Einsicht in das weltbild dieses Heimatlosen, der, obwohl seine Muttersprache Deutsch war, den ersten -iv- deutschen Satz erst mit vierzehn Jahren schrieb: "Wahrend meiner Schulzeit wechselte ich viermal die Unterrichtssprache und besuchte fast jede Klasse in einer anderen Stadt. Das Ergebnis war, daB ich keine Sprache ganz beherrschte. Als ich das erste Mal nach Deutschland kam, konnte ich keine Zeitung lesen, da ich keine gotischen Buchstaben kannte, ... ,,7 Man kann sich vorstellen - oder vielleicht gar nicht -, wie unsicher die Struktur eines solchen Weltbildes gewesen sein muB, das standig anders artikuliert werden muBte. Kein Wunder, das eine Kindheit wie die Horvaths und das spatere stets Hinundherreisen wahrend seiner Exilszeit dazu beigetragen haben, daB er an nichts - weder an Vaterland, Heimat, an eine bestimmte Ideologie, eine bestimmte Philosophie oder an eine bestimmte Traditiongebunden war, und frei sein konnte von jeglicher Bindung: . "Wir hatten verroht, fuhlten weder Mitleid noch Ehrfurcht. Wir hatten weder Sinn fur Museen noch die Unsterblichkeit der See Ie und als die Erwachsenen zusammenbrachen, blieben wir unversehrt. In uns ist nichts zusammengebrochen, denn wir hatten nichts.,,8 (hervorgehoben von mir) Wir hatten bislang nur zur Kenntnis genommen. "Wir haben zur Kenntnis genommen - und werden ·.nichts vergessen. ~ie. Sollten auch he ute einzelne von uns das Gegenteil behaupten, dennsolche Erinnerungen konnen unbequem werden, so lligen sie eben." Damit solI ein weiterer Gesichtspunkt angeschnitten werden der fur unsere Beschaftigung mit dem Werk Horvaths von Bedeutung sE~in wird, namlich: Horvaths Weltbild ist ein immer -v- gegenwartiges. Sein literarisches Schaffen ist keine Auseinandersetzung mit einer Vergangenheit, sondern eine mit seiner unmittelbaren Gegenwart, mit dem ewigen 'jetzt'. Es ist, als ob man hineingeworfen ware in das 'jetzt' des Lebens und nicht anders konnte, als das wahrzunehmen, was ist. (Jean-Claude Francois macht in: Horvath in der Geschichte" "HorvAth und die Geschichte - (Sprachkunst, 1989, S. 154) die interessante Bemerkung, daB bei Horvaths Werk die Abwesenheit der mythologischen Themen auffallt, obwohl seine Zeitgenossen wie Brecht, Hasenclever - diese zu diversen Zwecken benutzten.) Dieter Hildebrandt infor~iert in seiner HorvAth-Monographie tiber die Kindheit Horvaths: Fiume, wo Horvath am 9 Dezember 1901 geboren wurde, ist eine "Hafenstadt an der Adria, das heutige Rijeka, geh0rte camals zur ungarischen Reichsh~lfte des Konigreiches Kroatien une Slavonien. Horvaths vater stammte aus Slavonien und gehorte dec ungarischen Kleinadel an. Das 'Horvath' hinter dem 'T' des NamenE Horv~th signalisiert im Ungarischen das Adelspradikat. Dr. Gc5n Josef von Horvath war im diplomatischen Dienst und damals dem ungarischen Gouverneur von Fiume unterstellt. Die Mucter, Maria Hermine von Hvrv~th, geborene Prehnal, kam aus einer ungarisch-deutschen k.u.k. Militararztfamilie." 9 1909 wird Horvaths Vater nach Mtinchen versetzt; der Achtjahrige wird jedoch nach Budapest zurtickgeschickt, wo er frtiher b~i einem Hauslehrer Privatunterricht gehabt hatte und besucht dort das Erzbischofliche Konvikt. 1913 kommt er -v±.- dann nach Mlinchen zu seinen Eltern. In Munchen besucht er das Kaiser Wilhelm Gymnasium, wo er sich als ein fleiBiger Schuler erweist und "in den meisten F~chern bei anerkennens- wertem FleiBe genugende Fortschritte erzielte". 10 Seine Oeutschkenntnisse, besonders hinsichtlich der Gramrnatik und Orthographie, werden als 'unsicher' bezeichnet, wobei seine Leistungen 'an der Grenze des Genugens' gefunden werden. 1916 wird Horvath auf eine ungarische Schule nach PreBburg geschickt - wie Hildebrandt schreibt -, "weil er .•• sich nicht recht der Oisziplin unterwerfen wollte. Selbst als Flinfzehnjahriger solI Horvath angefangen haben, "mit einem groBen Fuller, mit hellblauer Tinte ... auffallend schnell in seine Schulhefte (zu schreiben)" 11 Er las aus seinen 'Werken' vor, sprach ungarisch mit einem deutschen Akzent und weigerte sich, sich irgendeinem Zwang zuunterwerfen. Oas Gefuhl, daB er als AuBenseiter geboren war, scheint Horvath von Anfang an begeleitet zu haben. Ohne Freiheit konnte er nicht leben, auch als Jugendlicher nicht. Oiese Freiheit druckte sich in seinem Orang zum Schreiben, Sichausdrucken wollen, aus. Horvath machte sich bei seinem Religionslehrer unbeliebt, berichtet Hildebrandt, bei seinem Geschichtslehrer. aber auch. Oer spatere Hauptgedanke in dem Werk Horvaths, daB, wenn man uberhaupt unzufrieden ist mit seiner Situation und sie deshalb ~ndern will, man mit sich selbst anfangen muS; sich selbst erkennen muB, erwachen muS zu seinem eigenen Chaos, -vii- findet seinen ersten Niederschlag in einer kleinen Skizze dieses Jugendlichen, die sich mit 'einer neuen Holzgewinnungsmethode' befaBt und die sich auf den biblichen Satz sttitzte: 'Du siehst den Splitter im Auge des Nachsten, aber den Balken im eigenen nicht!' Hildebrandt schreibt darliber: "Die Pointe bestand darin, den Balken im eigenen zu bemerken, herauszunehmen, zu zerhacken und zu verwerten." 12 Dies legt Hildebrandt als Horvaths Talent zum Epigrammatischen, zur kurzen pointierten Form, wie er sie bald darauf in den Sportmarchen pflegen sollte." 13 Am Ende des Ersten weltkriegs befindet sich Horva~h mit seiner Familie in Budapest, schlieBt im darauffolgenden Jahr sein Abitur in Wien ab und zieht 1919 mit seinen Elter~ wo er sich an der Universitat immatrikulieren laB~ nach Mlinchen, und sein Germanistikstudium anfangt. Oiese Mtinchener Zeit Horvaths stellt nach Horvaths Bruder Lajos zitiert, eine Hildebr~ndt, der mer~Ntirdige M~schung von produktiver sowie zerstorerischer Energie in diesem jungen Schriftsteller dar. Einerseits sehen wir einen un'jeduldigen Orang zum Sichausdrlicken, andererseits ist aber die Unzufriedenheit mit dem Ausgedrticketen so groB, daB der Ausdruck so fort vernichtet wird. Der ProzeB des Suchens hatte angefangen; jene Reise, die den Suchenden auf den Weg zur sollte, wobei der einzige Wegweiser d~e Selbster~ennung fiiliren schonungslose Beobachtung des Seienden sein wtirde. Spater sollte Horvath -viii- in der Pandbemerkung zu seinem "Glaube Liebe Hoffnung" schreiben: "Wie in allen meinen StUcken versuchte ich auch diesmal, moglichst rUcksichtslos gegen Dummheit und LUge zu sein, denn diese RUcksichtslosigkeit dUrfte wohl die vornehmste Aufgabe eines schongeistigen Schriftstellers darstellen, der sich manchmal einbildet, nur deshalb zu schreiben, damit die Leut sich selbst erkennen. Erkenne dich bitte selbst! (hervorgehoben von mir) Auf daB du dir jene Heiterkeit erwirbst, die dir deinen Lebens- und Todeskampf erleichtert, indem dich namlich die liebe Ehrlichkeit gewiB nicht ~ber dich (denn das ware Einbildung) , doch neben und unter dich stellt, so daB du dich immerhin nicht vcn droben, aber von vorne, hinten, seitwarts und von drunten betrachten kannst!" Dieses stete Beobachten bildet den roten Faden, der durch Horvaths ganzes Werk durchlauft; und deshalb wirj auf diese SchlUsselstelle aus der Randtemerkung ofters Die zufallige z~rUckzugreifen Bekannts~haft Kallenberg bietet Hor~th "dichterischen Mission" sein. mit dem Komponisten Siegfried die allererste Gelegenheit, mit seiner 15 einen Anfang zu machen. Er entscheidet sich, auf Kallenbergs Aufforderung hin, fUr ihn eine Pantomime zu schreiben, seinem "eigentUmlichen Orang", etwas zu schre iben, nachzuger.en, und den Gedanken, daB er "doch eigentlich Schriftstel:er werden" konnte, zu verwirklichen. Furcht vor offentlicher Meinung kennt er nicht, denn es ist ihm eiqentlich gleichgUltig, "was die Leute Uber (ihn) denken"; und -ix- so kommt die Pantomime "Das Buch der Tanze" im Jahre 1920 zustande. Am 7. Februar 1922 wird sie in Mlinchen gelesen, spater am 20. Februar 1926 in Osnabrlick szenisch aufgeflihrt. Nach der Lesung in Mlinchen ist die Reaktion absolut negative Das Werk wird als eine "Schmach" bezeichnet.Horvath laBt sich dadurch aber nicht storen. 1926, jedoch, nach der Aufflihrung, kauft er mit Hilfe seines Vaters samtliche Exemplare des Werkes auf, versucht durch allerlei Mittel all existierenden Exemplare zu bekommen, urn diese zu vernichten. Die schonungslose Aufrichtigkeit ist sehr frlih am Werk, sie kennt keine Skrupel, auch sich selbst gegenliber nicht. "Was morsch ist, soll zusammen brechen, und ware ich morsch, wlirde ich selbst zusammenbrechen, und ich glaube, ich wlirde mir keine Trane nachweinen." 16. Der Kampf gegen jede Art von Heuchelei unterscheidet nicht zwischen dem Innen und dem AuBen; der ganzheitliche Blick unterwirft beide Bereiche einer genauen Prlifung. Ende 1924 kommt Horvath mit seiner Familie nach Berlin, jener Stadt, die Heinrich Mann "Menschenwerkstatt" genannt hat. 17 In der autobiographischen Bemerkung "Flucht aus der Stille (GW Bd. VIII S. 657-658) erklart Horvath namlich den Grund, weshalb er nach Berlin gezogen ist. Die GroBstadt biete ihm mehr Eindrlicke, er konne dort mehr und wichtigeres sehen fUr seine Zeit als auf dem Lande. Gleichzeitig anerkennt Horvath die Unentbehrlichkeit der materiellen Seite des schriftstellerischen Lebens. Als -x- Schriftsteller konne man nicht auf dem Lande leben, sondern nur in der Stadt; nur Berlin sei in der Lage, einem freien Schriftsteller eine Existenz anzubieten. Er liebt Berlin. "Die Sportmarchen", die am 21. November 1924 in "BZ am Mittag" erscheinen, stellen die ersten Versuche dieses jungen Schriftstellers dar, in Berlin PuB zu fassen. Nach Hildebrandt ist der Standort dieser Sportmarchen im Werk Horvaths ve~- gleichbar mit der Stellung der 'Geschichten von Herrn Keuner' im literarischen Schaffen Brechts. Es ware nicht fehl am Platze, hier den kurzen Text des Sportmarchens 'Start und Ziel' zu wiedergeben (Er ist bei Hildebrand namlich auch zu finden, obwohl mit einer etwas anderen Interpretation-) und eine kleine Interpretatio~ weil wir meinen, daB dieser Text in Horvaths zu versuchen, '~nders'-artigen Denkens vielleicht eine Einsicht bieten konnte. Manchmal plaudern Start und Ziel miteinander. =5 sagt das Ziel: "Stande ich nicht hier - war-est du =iellos!" Und der Start sagt: "Das ist schon richtig; doch denke: ware ich ziellos was dann?" "Ras ware mein Tod". Da lachelt der Start: "Jaja - so ist das Leben, Herr vetter!" Das Marchen fangt mit der eitelen Ignoranz des Zieles, das die Notwendigkei~ der beiden Zusarnmengehorigkeit libersieht. Der Start ist sich dagegen ihrer gegenseitigen Abhangigkeit bewuBt. Aus dem !1archen geht hervor, daB, wenn 'Ton einem Spiel die -xi- Rede sein 5011, die Regeln des Spiels, seine besondere Strukturalitat respektiert werden werden mUssen. Fehle entweder der Start oder das Ziel, so wUrde die Struktur des Spiels zusarnrnenbrechen. Oiese Einsicht in das Wesen des Spieles wird bei Horvath tibertragen auf das Leben an sich, das einzig und allein in Beziehungen sich vorstellen laBt. Ich existiere als ein Ich lediglich in einer Vielzahl von Ich-Ou, Ich-Es etc. Beziehungen. Oas Chaos, zu dem der AuBenseiter aufwacht, beruht letzten Endes auf einem brutalen und rUcksichtslosen Egoismus des Einzelnen, der sich als eine von den anderen Mitmenschen unabhangig existierende Entit~t auffaBt und anfangt, den Anderen ffu" seine egoistischen Zwecke, fUr die ErfUllung jener " asoz ialen Tr:ebe", von denen Horvath in seiner Gebrauchsanweisung schreibt G\'l (1~. Sd., VIII, S. 661) auszubeuten. Oas ERwachen zu diesem Chaos heiBt, aufzuhoren, den Anderen als Mittel zum eigenen Zweck zu gebrauchenj jene falsch betonte Trennung aufzuheben, ni:::ht theoretisch, sondern im eigenen Inneren j. zur eigentlichen Orenung zu gelangen. Hatten beide - Start und Ziel - auf Trennung statt Zusarnrnengehorigkeit bestanden, hatte es nur Chaos gegeben, das der Wirklichkeit des Spieles und der zwischenmer.schlichen Beziehungen ihren Tod versprechen hatte. Mar. konnt~ argumentieren, daB die Metapher sich auf die Menschheitsgeschichte - samt ihren Mann-Frau-, Mensch-Natur-, Mensch-Tier-. bis auf den kolonialen Diskurs hin - Ubertragen 13.=.t. -xii- Vermag ihre Lekture "aIle vertrautheiten unseres Denkens (aufzurutteln)?, des Denkens unserer Zeit und unseres Raumes, das aIle geordneten Oberflachen und aIle Plane erschuttert, die fur uns die zahlenmtiSige Zunahme der Lebewesen klug erscheinen lassen und un sere tausendjtihrige Handhabung des Gleichen und des Anderen (du Mime et de l'Autre) schwanken laSt und in Unruhe versetzt!" 19 Diese metaphorische Trennung des Ich und des Du, die Varianten der Unmoglichkeit bzw. der Moglichkeit ihrer Aufhebung, durchziehen das ganze Werk Horvaths, das ein Umdenken des Denkens akzentuiert. Das, was es verlangt, ist - im Colin Wilsonischen Sinne - eine Redefinition der Religion: "The first step in redefining religion is to knock some of the fungus off the old values, and try to discern their shapes as they existed for the men who made them." 20 Diese 'andere' Religiositat ist verbunden nach Colin Wilson mit clem Problem der Identittit des Outsider: "Who am I? - This is the Outsier's final problem. Well, who precisely is he? 'Man is a bourgeois ~ompromise; a half-way house. But a half-way house towards what? The superman? ..• " 21 . Auf der Suche nach Selbsterkennung gestaltet Horvath, der Outsider, in seinen Werken verschiedene Outsiderfiguren, deEen drei wir im Laufe dieser Arbeit naher kennenlernen werden. Diese stellt Horvath im Zusammenhang mit seinen SpieBertypen dar, deren Identat, urn mit Colin folgt aussieht: ~Vilson sie zu beschreiben, wie -xiii- "An increasing point, this; for what is identity? These men travelling down to the City in the morning, reading their newspapers or staring at advertisements above the opposite seats, they have no doubt who they are. Inscribe the placard in place of the advertisement for corn-plasters, Eliot' lines: We are the hollow men We are the stuffed men Leaning together Newman (Wilson is refering here to J.H. Newman's Apologia) confirmed that, when he looked at the world, he c?uldn't see the slightest evidence for t~e existence of God. are in prison: that is the O~tsider's ( ... ) These men verdict. They are quite contented in prison - caged a.nimals who have never known freedom. And the Outsider? He is _n a prison too ... but he knows His desire is to escape. a prison-break is not an Bu~ it~ e~sy matter; you must know all about your prison, otherwise you might spend years in tunneling, li~e the Abbe in The Count of Monte Cristo, and only find yourse::"£ in the next cell. ( . .:...:.1 (hervor- ,-, gehoben von mir) The Outsider's first business is to know himself." 22 Wilson beschaftigt sich u.a. mit Gurdjeffs BewuBtseinsanalyse in dem Kapitel 'Breaking ~he Circuit' und beschreibt seine 'dritte BewuBtseinsstufe' als einen 'anderen' Beobachtungsakt: "To express it in the Outsider's way: we identify ourselves with our personalities; our 1dentities are like the pane of a -xiv- window against which we are pressed so tightly that we cannot feel our seperateness from it. SelfremembeE~ng is like standing back (hervorgehoben von mir), so you can see 'yourself' window pane) and (the the outside world, distinct from 'you'." 23 Diese objektive Beobachtungskunst (J. Krishnamurti) flihre zur Selbsterkenntnis des Outsider durch einen ProzeB der 'Entbindung': (Wilson zitiert hier Gurdjeff):" (Man) is attached to everything in his life; attached to his imagination, attached to his stupidity, attached even to his suffering SUFFERING more than anything else. attachment. 'POSSIBLY TO HIS He must free himself from Attachment to things, identification with things keeps alive a thousand 'I's in a man. These 'I's must die in order that the big I may be born. But how can they be made to die? ... It is at this point that the possibility of awakening comes to the rescue. To awaken means to realize one's nothingness, that is, to realise one's complete and absolute helplessness ... So long as a at himself, he knows no~hing ma~ is not horrified about himself." 24 (hervorgehoben von mir) Dies Gewahrwerde- des eigenen Selbst, wie es ist, ist eng verbunden mit Aufrichtigkeit, fur die Horvath sich einsetzt, und ist nach Whitehead Religion seIber: (Wilson zitiert \,o,Jhitel"ead in "Religion and the Rebel", London, 1957, s. 308) "Religion is force of belief cleansing the inward parts. For this reason the primary religions virtue is sincerity, a -xv- penetrating sincerity ... Religion is the art and the theory of the internal life of man ... " 25 DaB eine solche Religionskonzeption eine Sensibilitat - und nicht Religion als Institution - impliziert, bringen des Philosophen, J. Krishnamurtis Diskurse hervor: "Do you know what it is to be religious? It has nothing to do with temple bells, though they sound nice in the distance, nor with Pujas, nor with the ceremonies of the priests and all the rest of the ritualistic r.onsense. to reality. To be religious is to be se~sitiye Your total being - body, mind and heart - is sensitive to beauty and to ugliness, to the donkey tied to a post, to the poverty and filth in this town .. , From this sensitivity for the whole of existence springs goodness, love; and without that sensitivity there is no beauty tiber die Sensibilitat des Geistes schreibt Krishnamurti etwas, was auf Horvath zutrifft: "A mind that does not belor:g to any nation, group or society, that has no authority, that is not motivated by ambition or held by fear - such a mind i3 always flowering in love and goodness. Because it is in the movement of reality, it knows what beauty is; being sensitive to both the ugly and the beautiful, it is a creative mind, it has limitless understanding." 27 Fur Krishnamurti ist die Suche nach Whahrheit die einzig wahre Religion, und daB ein solcher nach Wahrheit suchender Geist -xvi- gleichzeitig ein Outsider ist, betont Krishnamurti weiter: "The search for truth is true religion, and the man who is seeking truth is the only religious man. Such a man, because of his love, is outside of society, and his action upon society is therefore entirely different from that of the man who is in society and concerned with its reformation. can never create a new culture. The reformer What is necessary is the search of the truely religious man, for this very search brings about its own culture and it is our only hope. search for truth gives an explosive creativeness You see, the to the mind, which is true revolution, because in this search the mind is uncontaminated by the edi=ts and sanctions of society. Being free of all that the religious man is able to find out what is true; and it is the discovery 0: what is true from moment to moment that creates a new cultur2." 28 Eine ahnliche Hoffnung au= eine andere Kultur drlickt das Gedicht Horvaths aus, das auf einer Zigarettenschachtel in seinem Mantel gefundeu wu=de, als er starb: Und die Leute .erden sagen In fernen blauen Tagen Wird es einmal recht Was falsch ist und was echt Was falsch ist, wird verkornrnen Obwohl es heut regiert. Was echt ist, das soll komrnen Obwohl es heut krepiert. 29 In den folgenden drei Kaplteln werden wir versuchen, auf die hier hervorgehobenen Themen naner einzugehen. Diese drei Kapitel stellen ein 2Ll'lnliches Aufbauprinzip dar, das sie jeweils -xvii- in zwei Teile einteilt. Der erste Teil ist ein 'Close-Reading' des Textes, wahrend der zweite 'Der Text irn Kontext' betitelt ist, und der diverse Lesearten des jeweiligen Textes libersichtlich zu prasentieren bernliht ist. Urn an Horvaths kurze Bernerkung, die er seinern Ewigen SpieBer (Bd. 12 der flinfzehnbandigen Werkausgabei a.a.O. S. 131) vorausschickt, vorsichtig etwas "herurnzubasteln": liEs 5011 nun versucht werden, irn Laufe der nachsten Seiten, einige Beitrage zurn Mechanisrnus Horvaths Religiositat zu liefern. Der Verfasser wagt natlirlich nicht zu hoffen, daB er durch diese Seiten ein gesetzrnaBiges Weltgeschehen beeinfluBen konnte, jedoch imrnerhin.~ -xviii- ANMERKUNGEN 1. Wilson, Colin: The Outsider", London, 1956 (1963), S. 23. 2. Ebd., S. 2 5 3. Materialien zu Odon von Horvaths 'GLH', Hrsg von T. Kriscke, Frankfurt/M; 1973, S. 75 4. Gesammelte Werke (Achtbandige Werkausgabe Hrsg. von T. Krischke u. D. Hildebrand, Frankfurt/M; 1972, Bd. 5, s. 9) vgl. Carl Arnerys: "An der grunen Isar - Ein Versuch tiber O.V.H". In: Materialien zu O.v.Hs. Kasimir und Karoline; Hrsg. von T, Krischke S. 8 - "Ja, in gewissem Sinne war er der geborene Emigrant ... Eines ist allerdings vollstandig richtig: Warme irgendeines Mutterbodens hat O.v.H nirgends eingesaugt." -vgl. dazu auch Benno von \·aese: Frankfurt/M; 1981, S. 9. "O.v.H"; Hrsg. von T. Krischke, -vgl. auch Hansjorg Schneic:er: "Der Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft" In: "UbE.-r (i.v.H." Hrsg. von D. Hilderbrandt und T. Krischke, Frankfurt/!V1; 1972(1979) S. 59. " So wenig wie er den Vielvolkerstaat zw~schen Donau und Theiss als seine eigentliche Heimat betracttete, so wenig hat er sich jemals als osterreicher im stren~ nationalen Sinne geftihlt . . . . und so war es ihm rnoglich, vo~rteilslos und ohne belastende Bindungen einen Weg einzu5chlagen, an dessen Anfang zunachst eine Negation steht .. " -vgl. hierzu die Bemerkunge~ Todorovs in seinem Epilog (Die Eroberung Amerikas - Das Froblern des Anderen" Frankfurt/M; 1982 (1985»). Diese sind fur u~seren Zusammenhang des Outsiderness. Er spricht hier an Hand vcn Beispielen von dem 'modernen Exilierten ' , der seinerseits fur eine Tendenz unserer Gesellschaft steht: "Dieses Wesen, das seine oeimat verloren hat, ohne eine neue zu finden, das in doppeltem Sinne ein AuBenstehender ist. Der Exilant verkorpert heute am besten, allerdings unter Verlagerung seiner ursprlinglichen Bedeutun9, das Ideal des Hugo von St. Victor, das dieser im 12. Jh. folgendermaBen forrn·li ierte: 'Von zartem Gemlit ist, wer seinE~ Heimat suB findet, stark dagegen jener, den jeder Boden Heimat ist, doch nur der ~st vollkommen, dem die ganze Welt ein fremdes Land ist' (ich, ein Bulgarer, der in Frankreich lebt, ubernehme dieses Zitat von Edward Said, einem palastinensel der in den Vereinigten Staaten lebt, und der hat es seinerseits bei Erich ~uerbach qefunden, einem.Deuts-h~n im.ttirkischen E:~i~.) (S. 294) W~e treffender k3.IU1 man die traur~g-he~tere Komple}:~tat des sog. interkulturellen Inter-Disklirses charakterisieren? -xix- 5 • Ebd., S . 10 6. Ebd., S. 10 7. Ebd., S. 8 vgl. dazu Jean-Claude Francois: "Horvath und die Geschichte Horvath in der Geschichte" In: Sprachkunst, 1989. insbs. die Seiten 150-51. Er zitiert auch diese AuBerung Horvaths und interpretiert sie als eine 'skeptische' und 'spottische' AuBerung tiber 'die mytische Bindung zwischen Boden-GeburtRasse und Sprache-Geist-GefUhl' vgl. dazu auch Eva Kuns: "Die Komodie des Menschen" Oder Horvath und Ungarn. In: Sprachkunst, 1989: "Man folgte dem Weg Horvaths ab 1933 aus Deutschland nach Ungarn auf Schritt und Tritt. Den Weg des jungen Horvath in umgekehrterRichtung hat man lediglich registriert und zur Kenntnis genommen, daB er in Deutschland zunachst Sprachschwierigkei te'n hatte. DaB die Ubersiedlung von Budapest 1919-20 - via Wien, inklusive Abitur - nach Suddeutschland seelische Konflikte und Anpassungsschwierigkeiten hatte auslosen konnen, damit hat man sich nicht beschaftigt." (S. 2) Kun weist auf die gegenseitigen Klischee-vorstellungen der europaischen Volker und fragt in diesem Kontext der soziopsychologischen Analyse Horvaths Outsiderness: "Wie 5011 ein junger ~ann fur eines dieser Volker ein festes Zugehorigkeitsgefuhl entwickeln konnen? - Hinzukommen noch Schwierigkeitel eine vielleicht nicht ganz akzentfreie Aussprache. All dies verleitet viele 'Eingeborene' zu der Annahme, der andere sei nicht nur 'fremd', sondern auch taub, blind, nicht fur voll zu nehmen. Altosterreichische Mixturen, Mischlinge liberhaupt, reagieren sehr empfindlich, wenn einer ihrer 'Bestandteile', zu Recht oder auch zu Onrecht, kritisiertoder ausgelacht wird. Als Reaktion darauf versucht man, die Ursache des MiBfallens oder des unfreiwilligen Lacherfolgs zu verdrangen. Eine andere Meglichkeit, seine Selbstachtung zu wahren, besteht in der Flucht in Uberheblichkeit und Arroganz, in eine Position des 'vornehmen Fremden, des distanzierten Beobachters .. 1m Falle Horvaths belegen Seine Stucke und seine Prosa, die bittere Entlarvung des deutschen Kleinblirgers als Mitlaufer in spe, diese seine Position." (S. 3) 8. Ebd., S. 8 9. Hildebrandt, Dieter: Horvath, Frankfurt/Mj 1975, 1978, 1981, S. 12. -xx- 1 o. Ebd., S. 1 6 11. Ebd., S • 20 - 2 1 1 2. Ebd., S • 2 1 13. Ebda. 14. Materialien zu GLH. a.a.O., S. 75 15. Gesamrnelte Werke in acht Banden, a.a.O., Bd. 1. S. 9 ode auch Hildebrand S. 27. 16. GW Bd. V. S. 10 (achtbandige Ausgabe) 17. GW Bd. VIII S. 657-658 18. GW Bd. VIII S. 661 19. Foucault Nicel: 20. Colin Wilson. : a.a.O. , S. 285 21. Ebd. , S. 166 22. Ebd. , s. 166-167 23. Ebd. , S. 28 24. Ebd. , S. 282-283 25. \'lilson Colin: "Religion and the Rebel" London. 1957, S. 308. - Ian Huish schreibt ahnlich tiber Horvaths Wer~ " "Denn Gott ist die Wahrheit" ... this ... s-:.atement taken , with Horvaths own pronouncement on writing "g=gen Lu~e und Dummheit" is the closest that he comes to def.:...ning a religious creed. Where so many previous works had used God as a scapegoat or a financial deus ex machine, JOG offers a simple, unambigiuous belief in the power of truth" (In Horvath: A Study, London, 1980, s. 91) 26. Krishnamurti, J.: Penguin Krishnamurti Reader. Ed. Mary Lutyens, 1 964, S. 1 51 2 7. Ebd., S . 1 5 1 - 1 52 2 8 • Ebd., S. 16 4 29. GW Bd. 8 s. 688 30. GW flinfzehnbandige Werkausgabe, a.a.O., S. 131
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