Zusammenfassung der Vorlesung Topologie Hagen Knaf Studiengang Angewandte Mathematik Hochschule RheinMain SS 2015 1 2 Kompaktheit In diesem Abschnitt wird häufig mit Familien (Ui )i∈I von Mengen gearbeitet. Für jede Teilmenge J ⊆ I der Indexmenge wird die Familie (Uj )j∈J als Teilfamilie von (Ui )i∈I bezeichnet. Ist J endlich, so spricht man von einer endlichen Teilfamilie. Definition 42: Es sei K eine Teilmenge des topologischen Raums X. Eine offene Überdeckung von K ist eine Familie (Ui )i∈I offener Mengen mit der Eigenschaft [ K⊆ Ui . i∈I Man sagt auch: Die Familie (Ui )i∈I überdeckt K. Definition 43: Die Teilmenge K des topologischen Raums X heißt kompakt, wenn jede offene Überdeckung von K eine endliche Teilfamilie besitzt, die K überdeckt. Satz 44: Die Teilmenge K ist genau dann kompakt, wenn sie folgende Eigenschaft besitzt: Für jede Familie (Ai )i∈I abgeschlossener Mengen derart, dass für jede endliche Menge J ⊆ I \ Aj ∩ K 6= ∅ j∈J gilt, gilt auch \ Ai ∩ K 6= ∅. i∈I Beweis: Die Richtigkeit des Satzes folgt unmittelbar aus folgender Beobachtung: Eine Familie abgeschlossener Teilmengen (Ai )i∈I besitzt die im Satz genannte Eigenschaft genau dann, wenn die Familie (Ui := X \ Ai )i∈I offener Mengen die folgende Eigenschaft besitzt: Gilt für jede endliche Menge J ⊆I [ K 6⊆ Uj , j∈J so gilt auch K 6⊆ [ Ui . i∈I 2 Satz 45: Jede abgeschlossene Teilmenge einer kompakten Menge ist kompakt. Beweis: Es sei K kompakt und A ⊆ K abgeschlossen. Es sei (Ui )i∈I eine offene überdeckung von A. Da X \ A offen ist, ist [ K ⊆ (X \ A) ∪ Ui i∈I eine offene Überdeckung von K. Da K kompakt ist, existiert eine endliche Menge J ⊆ I mit der Eigenschaft [ K ⊆ (X \ A) ∪ Uj . j∈J Folglich überdeckt die endliche Teilfamilie (Uj )j∈J die Menge A. 2 Definition 46: Der topologische Raum X heißt T2 - oder HausdorffRaum, falls zwei verschiedene Punkte x, y ∈ X stets disjunkte Umgebungen besitzen. • In einem Hausdorff-Raum besitzen zwei verschiedene Punkte stets auch disjunkte, offene Umgebungen. • Jeder metrische Raum (X, d) ist ein Hausdorff-Raum: Sind x, y ∈ X und ist 0 < r < d(x, y), so sind die Kugeln B(x, r) und B(y, r) disjunkte, offene Umgebungen der beiden Punkte. • Es sei X eine unendliche Menge und O die koendliche Topologie auf X. Dann ist (X, O) kein Hausdorff-Raum: Die offenen Mengen haben endliches Komplement, womit sich zwei offene Mengen stets schneiden. Satz 47: Jede kompakte Teilmenge eines Hausdorff-Raums ist abgeschlossen. Beweis: Es sei X ein Hausdorff-Raum und K ⊆ X kompakt. Wir zeigen, dass jeder Punkt x ∈ X \ K eine offene Umgebung U ⊆ X \ K besitzt. Zu jedem y ∈ K gibt es nach Voraussetzung über X offene Umgebungen Uy ∈ U(x), Vy ∈ U(y) mit der Eigenschaft Uy ∩ Vy = ∅. Die so entstehende Familie (Vy )y∈K ist eine offene Überdeckung von K. Da K kompakt ist, gibt es eine endliche Menge L ⊆ K derart, dass die Teilfamilie (Vy )y∈L die Menge K überdeckt. T Die Menge U := Uy ist eine offene Umgebung von x. Es gilt U ∩Vy = ∅ y∈L für alle y ∈ L, also auch U ∩ K = ∅. 2 Ohne Voraussetzungen an X sind kompakte Mengen nicht notwendig abgeschlossen, wie das folgende Beispiel zeigt: Ist (X, O) eine unendliche Menge mit der koendlichen Topologie, so ist jede offene Menge U kompakt: Ist nämlich (Ui )i∈I eine offene Überdeckung von U , so ist U \ Ui für jedes i ∈ I endlich. Wählt man also ein beliebiges Ui1 und ein x ∈ U \ Ui1 , so gibt es ein Ui2 mit x ∈ Ui2 , und U \ (Ui1 ∪ Ui2 ) ist endlich und um mindestens ein Element kleiner als U \Ui . Nach endlich vielen Schritten bricht dieses Verfahren mit einer endlichen Teilfamilie, die U überdeckt, ab. Die abgeschlossenen Mengen in X sind endlich, womit U nicht abgeschlossen ist. Satz 48: Ist f : X → Y eine stetige Abbildung topologischer Räume und K ⊆ X kompakt, so ist auch f (K) kompakt. Beweis: Es sei (Vi )i∈I eine offene Überdeckung von f (K). Dann ist (f −1 (Vi ))i∈I eine offene Überdeckung von K. Da K kompakt ist, gibt es eine endliche Teilfamilie (f −1 (Vj ))j∈J , die K überdeckt. Dann überdeckt die endliche Teilfamilie (Vj )j∈J die Menge f (K). 2 Satz 49: Ist f : X → Y eine stetige Abbildung des kompakten Raums X in den Hausdorff-Raum Y , so gilt: 1. f ist abgeschlossen. 2. Ist f injektiv, so ist f eine Einbettung. 3. Ist f bijektiv, so ist f ein Homöomorphismus. Beweis: Zu 1.: Es sei A ⊆ X abgeschlossen. Nach Satz 45 ist A dann kompakt. Nach Satz 48 ist f (K) kompakt und damit nach Satz 47 abgeschlossen. Zu 2.: Es ist zu zeigen, dass die durch f gegebene Abbildung f : X → f (X), wobei f (X) die Unterraumtopologie trägt, ein Homöomorphismus ist. Dazu ist nach dem Einbettungskriterium ?? nur noch zu zeigen, dass f eine offene Abbildung ist. (Es sei hier nochmals auf den subtilen Punkt hingewiesen, dass f (x) = f (x) für alle x ∈ X gilt, dass man aber einen anderen Bildbereich mit entsprechend anderer Topologie betrachtet.) Sei also U ⊆ X offen. Dann ist X \ U abgeschlossen und damit nach dem bereits bewiesenen Punkt 1 die Bildmenge f (X \ U ) ebenfalls. Da f injektiv ist, gilt f (X \ U ) = f (X) \ f (U ), folglich ist f (U ) offen in f (X). (Man beachte: f (X \ U ) ist abgeschlossen in Y und damit auch in f (X), während f (U ) durchaus nicht offen in Y sein muss.) Zu 3.: Die Aussage folgt direkt aus Punkt 2 unter Berücksichtigung von f (X) = Y . 2 Satz 50 (Tychnonoff): Das Produkt Q Xi einer Familie (Xi )i∈I topolo- i∈I gischer Räume ist kompakt genau dann, wenn sämtliche Xi kompakt sind. Wir beweisen diesen Satz hier nicht. Immerhin sei angemerkt, dass die Q Implikation ⇒ aus Satz 48 folgt: Die Projektionen pk : Xi → Xk sind i∈I nämlich stetig und surjektiv. Satz 51: Jede kompakte Teilmenge eines metrischen Raums ist abgeschlossen und beschränkt. Beweis: Es sei (X, d) ein metrischer Raum und K ⊆ X kompakt. Da metrische Räume Hausdorff-Räume sind, folgt die Abgeschlossenheit von K aus Satz 47. Es sei nun r eine beliebige, positive reelle Zahl. Dann ist die Familie (B(x, r))x∈K eine offene Überdeckung von K. Es gibt also endlich viele Elemente x1 , . . . , xr derart, dass die Teilfamilie (B(xi , r))i∈{1,...,r} die Menge K überdeckt. Es sei R := max(d(x1 , xi ) : i ∈ {1, . . . , r}) + r; nach der Dreiecksungleichung ist dann K ⊆ B(x1 , R). 2 Satz 52: Ist f : X → R eine stetige Abbildung des topologischen Raums X in die reellen Zahlen mit der Standardtopologie, so besitzt f auf jeder kompakten Teilmenge K ⊆ X ein Minimum und ein Maximum. Beweis: Nach Satz 48 ist f (K) ⊆ R kompakt und damit nach Satz 51 abgeschlossen und beschränkt, da die Standardtopologie auf R durch eine Metrik erzeugt wird. Beschränkte Teilmengen von R besitzen ein endliches Infimum und Supremum. Wegen der Abgeschlossenheit liegen Infimum und Supremum in der Menge f (K) selbst. 2 Zur Formulierung des nächsten Satzes benötigt man den Durchmesser einer Teilmenge A eines metrischen Raums (X, d): diam(A) := sup(d(x, y) : x, y ∈ A). Satz 53 (Cantor): Es sei (X, d) ein vollständiger metrischer Raum und (Ak )k∈N eine Familie abgeschlossener Teilmengen mit folgenden Eigenschaften 1. ∀k ∈ N Ak ⊇ Ak+1 , 2. lim diam(Ak ) = 0. k→∞ Dann gilt: \ Ak = {x}. k∈N Beweis: Wir konstruieren mit Hilfe der Mengen Ak eine Cauchyfolge (xi )i∈N in X, deren Grenzwert x gerade den Schnitt der Mengen Ak darstellt. Es sei (i )i∈N eine streng monotone fallende Nullfolge positiver reeller Zahlen. Zu jedem i ∈ N existiert dann nach Voraussetzung über die Durchmesser ein Index ki mit der Eigenschaft ∀l ≥ ki diam(Al ) < i . Man wählt nun für jedes i ∈ N ein Element xi ∈ Aki . Behauptung: Die Folge (xi )i∈N ist eine Cauchyfolge. Denn: Zu > 0 gibt es einen Index n mit n < . Sind dann i ≥ n und j ≥ n, so gilt nach Voraussetzung über die Mengen Ak : xi , xj ∈ Akn und damit d(xi , xj ) ≤ diam(Akn ) < n , womit die Cauchybedingung erfüllt ist. Da X vollständig ist, besitzt die konstruierte Cauchyfolge einen Grenzwert x ∈ X. Für jedes i ∈ N liegt die gekürzte Folge (xi , xi+1 , . . .) in Aki . Da sie ebenfalls denT Grenzwert x besitzt und Aki abgeschlossen ist, folgt x ∈ Aki und damit x ∈ Ak . k∈N Der Schnitt aller Ak kann andererseits höchstens ein Element enthalten, da wegen der Voraussetzung über die Durchmesser der Ak jedes Element im Schnitt von x den Abstand 0 besitzt. 2 Satz 54 (Heine-Borel): Eine Teilmenge K des metrischen Raums (Rn , dp ), p ∈ N∪{∞}, ist kompakt genau dann, wenn sie abgeschlossen und beschränkt ist. Beweis: Ist K kompakt, so folgt die Behauptung aus Satz 51. Sei nun also K eine abgeschlossene und beschränkte Menge. Unabhängig davon, welche der Metriken dp man betrachtet, sind die Koordinaten der Punkte einer beschränkten Menge selbst beschränkt. Die Menge K liegt also in einem Würfel W = [a1 , b1 ] × [a2 , b2 ] × . . . × [an , bn ] ⊂ Rn , bk − ak = ` für alle k ∈ N. Mit Hilfe von W führen wir die Annahme, dass K nicht kompakt ist, zu einem Widerspruch. Es sei (Ui )i∈I eine offene Überdeckung von K, die keine endliche Teilfamilie enthält, mit der man K überdecken kann. Man unterteilt W in 2n Teilwürfel der Kantenlänge 2` . Dann gibt es mindestens einen Teilwürfel W1 ⊂ W mit der Eigenschaft, dass sich K ∩ W1 nicht mit einer endlichen Teilfamilie von (Ui )i∈I überdecken lässt. Die Anwendung des selben Verfahrens auf den Würfel W1 liefert einen Teilwürfel W2 ⊂ W1 für den sich K ∩W1 nicht mit einer endlichen Teilfamilie von (Ui )i∈I überdecken lässt. Per Induktion erhält man eine Folge W1 ⊃ W2 ⊃ W3 ⊃ . . . von Teilwürfeln, für die sich K ∩ Wi jeweils nicht mit einer endlichen Teilfamilie überdecken lässt. Die Würfel Wk sind abgeschlossene Teilmengen des Rn und ihr DurchmesserTkonvergiert gegen 0. Die Anwendung von Satz 53 liefert einen Punkt x ∈ Wk . Dieser Punkt ist in einer Menge Uj , j ∈ I, enthalten. Da Uj k∈N offen ist, gibt es eine Kugel B(x, r) ⊂ Uj . Da die Durchmesser der Wk gegen 0 konvergieren, gibt es ein n ∈ N mit Wn ⊆ B(x, r). Also überdeckt die offene Menge Uj die Menge K ∩ Wn , im Widerspruch zur Wahl von Wn . 2 Satz 55: 1. Es sei K eine kompakte Teilmenge eines metrischen Raums. Dann besitzt jede Folge (xk )k∈N in K eine konvergente Teilfolge mit Grenzwert in K. 2. Es sei K eine Teilmenge des metrischen Raums (Rn , dp ), p ∈ N ∪ {∞}, mit der Eigenschaft: Jede Folge (xk )k∈N in K besitzt eine konvergente Teilfolge mit Grenzwert in K. Dann ist K kompakt. Beweis: Zu 1.: Zu einer Folge (xk )k∈N in K gilt für die abgeschlossenen Mengen Ak := {xk , xk+1 , . . .} die Inklusion Ak ⊇ Ak+1 für alle k ∈ N. Weiter haben diese Mengen die Eigenschaft Ak ∩ K 6= ∅, woraus folgt, dass für jede endliche Teilmenge J ⊂ N die Schnittbedingung \ Ak ∩ K 6= ∅ k∈J aus Satz 44 erfüllt ist. Folglich liefert dieser Satz die Existenz eines Elements \ x∈ Ak ∩ K. k∈N Sei nun (k )k∈N eine streng monoton fallende Nullfolge positiver reeller Zahlen. Für jedes k ∈ N ist x ∈ Ak und daher ist B(x, k ) ∩ {xk , xk+1 , . . .} 6= ∅. Sei xik jeweils ein Element in diesem Schnitt. Dann ist die Teilfolge (xik )k∈N konvergent mit Grenzwert x, denn nach Wahl der xki gilt d(x, xik ) < k . Zu 2.: Wir nehmen an K sei nicht kompakt. Nach Satz 51 ist dann K entweder nicht abgeschlossen oder nicht beschränkt. Fall: K nicht abgeschlossen. Es sei x ∈ K \ K. Es gibt dann eine Folge (xk )k∈N in K mit Grenzwert x. Nach Voraussetzung hat diese Folge eine konvergente Teilfolge mit Grenzwert in K. Da jede Teilfolge einer konvergenten Folge konvergent ist und denselben Grenzwert wie die Folge selbst besitzt, folgt der Widerspruch x ∈ K. Fall: K nicht beschränkt. Sei x1 ∈ K beliebig und r1 eine beliebige positive reelle Zahl. Dann gibt es ein x2 ∈ K \ B(x1 , r1 ). Es sei r2 > d(x2 , x1 ). Dann gibt es ein x3 ∈ K \ B(x1 , r2 ). Durch induktives Fortsetzen dieses Verfahrens erhält man eine Folge (xk )k∈N in K, die keine konvergente Teilfolge besitzt, da die Distanzen d(xk , xk+1 ) gegen ∞ streben. Wieder erhält man einen Widerspruch. 2
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