Abdij O.L.Vr. van Koningshoeven, Tilburg Abdij O.L.V. van Koningsoord, Berkel-Enschot 19 maart 2006 die Familie Löb DIE TRAGISCHE LEBENSGESCHICHTE UNSERER JÜDISCHEN MITSCHWESTERN UND MITBRÜDER Einleitung Am 2. August 1942 werden ungefähr zweihundert niederländische katholische Bürger von jüdischer Abstammung im Auftrag der deutschen Besetzer verhaftet. Eine kleine Anzahl von ihnen sind Ordensleute. In dieser Nacht werden drei Trappisten und zwei Trappistinnen aus den Abteien Koningshoeven und Koningsoord über Tilburg und Amersfoort ins Sammellager Westerbork gebracht. Von hier aus werden sie am 7. August nach Ausschwitz verladen, wo sie später den Tod finden. Die Familie Löb Die Familie Löb stammt aus dem Gebiet westlich des Rheins, das zwischen Köln und Trier liegt. Die Großeltern unserer Mitbrüder und –schwestern wohnen in Euskirchen in der Eifel und ziehen 1882 nach Den Haag in den Niederlanden. Einmal in den Niederlanden lassen sie ihre alten jüdischen Gebräuche großenteils fahren. Sie nehmen Abstand von den strengen orthodoxen Vorschriften sowohl aus ökonomischer Notwendigkeit als auch aus religiöser Überzeugung. Sie entscheiden sich bewußt dafür, als niederländische Bürger zu leben, und erziehen auch ihre Kinder in diesem Geist. Gewisse religiöse und rituelle Gebräuche pflegen sie noch. Zum Beispiel bleibt der Freitagabend ein Abend der Familie. An großen Festen besucht Großvater Nathan die Synagoge; aber seine übrige Teilnahme am jüdischen Gottesdienst ist gering. Seine Kinder läßt er später zwar beschneiden, und diese verrichten auch die „bar mitswa“; doch besuchen sie öffentliche und sogar christliche Schulen. Am 16. November 1881 wird in Euskirchen noch kurz vor dem Umzug nach Den Haag Sohn Ludwig (Lutz) geboren. Lutz, der Vater unserer Mitbrüder und –schwestern, wird zunächst mit dem Ziel ausgebildet, ins Geschäftsleben zu gehen. Nachdem er drei Jahre lang auf einer weiterführenden Schule war, besucht er die Handelsschule in Amsterdam. Hier kommt er in Berührung mit jungen Menschen aus dem gesamten Land und schließt Freundschaften mit Personen, die nach seinem Gefühl aus einer anderen Welt stammen. Er wird mit materialistischen Auffassungen konfrontiert, gegen welche er heftig protestiert. Nach seinem Studium schickt ihn sein Vater in die Lehre bei der Familie Benjamin Wolff in Brussel. Hier lernt Lutz den Sozialismus, den Marxismus sowie den Katholizismus kennen. Nach seiner Lehrzeit in Brüssel geht er zurück nach Den Haag und tritt in das Geschäft seines Vaters ein. Jedoch wird dies kein Erfolg; das Geschäfte machen, so wie dies praktiziert wird, stößt ihn ab. Er erhält die Erlaubnis, in Delft ein Studium als Bergbauingenieur aufzunehmen. Hier beginnt seine weltanschauliche Suche. Dabei ist sein Tutor Herr Beekman eine der Schlüsselfiguren, sowie auch der Studentenpfarrer Pater H. Ermann SJ. Lutz ist ein eifriger Sucher mit einer deutlichen Neigung zu Askese und mystischer Betrachtung. Auch folgt er seinem Bedürfnis nach rationaler Vertiefung der Glaubenslehre mittels eines ausgebreiteten Literaturstudiums. Dies bedeutet für ihn zugleich eine Wiederentdeckung und Vertiefung die Familie Löb 1 seiner jüdischen Wurzeln. Er empfindet, dass diese Wurzeln innerhalb seiner Familie und auch innerhalb des Judentums zu wenig ernst genommen werden. Die Folge davon ist, dass er sich hinsichtlich seiner Auffassungen und seinem Lebensstil von dem Milieu entfremdet, aus dem er stammt. Er kauft die sogenannte Kanisiusbibel (NT) und diese wird ihm zu einer Offenbarung. Während seiner früheren Ausbildung in Amsterdam hat er seine zukünftige Frau kennengelernt. Jansje (Jenny) van Gelder ist ein jüdisches Mädchen, wurde hingegen zu Hause nicht den Grundsätzen der jüdischen Religion gemäß erzogen. Sie ist sehr musikalisch und besucht in Amsterdam das Konservatorium. Durch ihren Verlobten läßt auch sie sich für die christliche Botschaft begeistern, und zusammen bereiten sich beide auf die Taufe vor. Diese empfangen sie am 2. Oktober 1907 durch den Studentenpfarrer in Delft. Dieser Schritt bedeutet einen teilweisen Bruch mit den Herkunftsfamilien der beiden. Wegen des möglichen Ärgernisses, welches dies vor allem in der Familie Löb auslösen könnte, erhalten sie die Erlaubnis, ohne öffentliche Bekanntmachung als Katholiken zu leben. Im selben Monat findet ihre bürgerliche Eheschließung statt; einer der Zeugen ist der Vorsänger der jüdischen Gemeinde. Es ist nicht bekannt, ob auch eine jüdische Eheschließungszeremonie stattgefunden hat. Während ihrer Hochzeitsreise wird ihre Ehe im geheimen in einem Kloster durch Pater Ermann im Beisein zweier Mitbrüder eingesegnet. Es ist auffallend, dass der Übergang der Familie Löb zum Katholizismus nicht zu einem Bruch mit der jüdischen Tradition führte. Lutz sieht den Katholizismus als Erfüllung der messianischen Verheißung. Für ihn bedeutet das Judentum eine vorbereitende Phase. Darum verschweigt er auch niemals seine jüdische Abstammung. So, wie er selbst bekehrt worden ist, möchte er auch andere bekehren. Seine Glaubenshaltung ist sowohl radikal als auch aktiv. Lutz vertritt die Auffassung: „Jeder Jude, der seine Religion wirklich kennt und dem Geist folgend mit allen Konsequenzen bekennen will, muss meiner Meinung nach katholisch werden.“ Er hat eine Anzahl Artikel und Broschüren verfasst, in denen er seine Bekehrungsgeschichte beschreibt. Auch Mutter Jenny hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie sich dem jüdischen Volk und seiner Tradition verbunden fühlt. Der Freitagabend erhält noch stets eine festliche Atmosphäre, indem man Kerzen entzündet. Zugleich steht sie mit beiden Beinen in der katholischen Kirche und ist dort auch aktiv engagiert. Ihr religiöser Einfluss auf ihre Kinder ist sicherlich ebenso groß gewesen als der ihres Mannes. Die Familie wächst Im März 1908 wird in Rijswijk das erste Kind Lien geboren. 1909 folgt George, der in Hoensbroek geboren wird. Beide Kinder werden im Geheimen getauft; George wird zudem beschnitten. 1910 kommt Robert in Den Haag zur Welt. Auch er wird beschnitten und im Geheimen getauft. 1911 werden in Sawa Loenta auf Sumatra die Zwillinge Louise (Wies) und Dorothea (Door) geboren und noch am selben Tag getauft. 1913 wird in Sawa Loenta Ernst geboren; er wird nicht mehr beschnitten und am 15. Januar 1914 getauft. 1916 wird in Sawa Loenta Hans geboren, der ebensfalls nicht beschnitten ist und am 22. Oktober 1916 getauft wird. die Familie Löb 2 1918 folgt als letzte Paula. Auch sie ist in Sawa Loenta geboren und wird am 26. Dezember 1918 getauft. Die Familie verbleibt von 1910 bis 1919 in Indonesien. Danach beginnt Vater Löb ein Abenteuer in Spitzbergen, wo er nach Möglichkeiten sucht, um dort ein Bergwerk zu betreiben. Dies misslückt allerdings (1921). Danach arbeitet er in den Jahren 1922 bis 1936 als Chemielehrer an einer weiterführenden Schule in Bergen op Zoom. Dort macht die Familie Bekanntschaft mit dem triumphalistischen Elan des römisch-katholisch Lebens in den südlichen Niederlanden der dreißiger Jahre. Hier müssen sie nicht länger geheime Katholiken sein, sondern können nun öffentlich zu ihrer kirchlichen Bindung stehen und engagiert in den zahlreichen kirchlichen und gesellschaftlichen Organisationen mitarbeiten. Vater Löbs apostolischer Eifer zeigt sich in Bergen op Zoom in seiner leitenden Rolle bei der örtlichen Abteilung der Erneuerungsbewegung „Eucharistischer Kreuzzug“, einer Bewegung, die sich besonders der liturgisch-katechetischen Bildung von Erwachsenen widmet. Seine Frau Jenny, die zu einer kontemplativen Frömmigkeit tendiert, pflegt vor allem eine innige Verehrung der heiligen Theresia von Lisieux. Beide haben in Bergen op Zoom zahlreiche Kontakte mit kirchlichen Personen. So ist u. a. Kaplan Anton van Dijk ein vertrauter Gast in dieser kirchlich engagierten und bewusst gläubigen katholischen Familie, in der noch stets die jüdischen Wurzeln auf eine recht persönliche Weise lebendig bleiben. „Ich bin mit Herz und Seele ein Kind Jesu, ich liebe das jüdische Volk und fühle mich mit ihm verbunden, mein jüdisches Blut werde ich niemals verleugnen.“ Jenny bestimmt die häusliche Atmosphäre und weiß, Glaubensernst mit warmer Herzlichkeit, kultureller Bildung und soziale Kontakten zu verbinden. Schulbildung Die Kinder von Lutz und Jenny werden eins nach dem anderen zu einer katholischen weiterführenden Schule geschickt. Für die Mädchen gibt es keine große Auswahl, was die darauf folgende Berufsausbildung betrifft. Der Lehrberuf sowie die Krankenpflege stellen zu dieser Zeit die einzigen Möglichkeiten dar. Dies sind Ausbildungen, die vornehmlich unter der Leitung von Ordensleuten stehen. Die Zwillinge sind nicht stark genug und können ihre Ausbildung nicht abschließen. Die beiden Mädchen kehren nach Hause zurück und bleiben dort einige Jahre, bevor sie in die Abtei „Notre Dame de la Paix“ in Chimay eintreten. Für die Jungen bestehen mehr Möglichkeiten. So besucht George zunächst eine Schule, die unter der Leitung der Väter vom Heiligen Herzen steht. Danach wechselt er zum St. Bernarduskolleg in Echt, welches von Trappisten geführt wird und wo er seine Ausbildung abschließt. Am 27. August 1926 tritt er in die Abtei Koningshoeven ein. Rob besucht zunächst eine von Maristen geleitete Schule. Da er für das Studieren nicht besonders begabt ist, tritt er danach als Brudernovize bei den Kapuzinern ein. Am 25. März 1928 tritt er jedoch bei den Trappisten von Koningshoeven in Berkel-Enschot ein. Ernst geht sofort zum Bernarduskolleg in Echt und tritt danach am 20. August 1929 in Koningshoeven ein. Auch Hans besucht wie vor ihm Ernst direkt das Bernarduskolleg in Echt. Da ihm die Klosteratmosphäre dort nicht zusagt, kehrt er nach Bergen op Zoom zurück und schließt dort seine weiterführende Schullaufbahn ab. Kontakt mit den Trappisten und Trappistinnen In Bergen op Zoom unterhält die Familie Löb, wie bereits berichtet wurde, enge Kontakte mit Kaplan Anton van Dijk. Dieser tritt am 25. April 1925 bei den Trappisten in Koningshoeven ein und erhält den Namen Leo. die Familie Löb 3 Dies führt zur ersten Kontaktaufnahme mit dieser Abtei. Lutz macht dort ab 1926 jährlich Exerzitien, wodurch er die Bekanntschaft mit Abt Dom Simon Dubuisson macht. Dieser Kontakt war von großem Einfluss auf alle Mitglieder der Familie Löb. Im Jahre 1923 beginnt Dom Sinmon damit, Jungen im Alter von 12 bis 15 Jahren, die Chormönch werden möchten, zum St. Bernarduskolleg in Echt zu schicken. Falls notwendig ist er bereit, die Kosten dafür zu tragen. Diese jugendlichen Schüler sind ihm wichtig. Während der Ferien verbringen diese Jungen einige Tage in der Abtei und vergnügen sich dort bestens. Dom Simon entpuppt sich dann als eine Vaterfigur. So lehrt auch Lien Löb die Trappisten kennen und fragt Dom Simon, ob so etwas auch für Mädchen bestünde. Schon lang hat Dom Simon den Plan, ein Trappistinnenkloster in den Niederlanden zu gründen; die Annalen vermelden, dass Dom Simon in der Berufung von Lien ein Zeichen der Vorsehung zu erkennen meint und dass er sie zur Ausbildung der Kommunität der Abtei Notre Dame de la Paix anvertraut. Auf diese Weise nimmt diese Abtei ihren Anteil an der Verwirklichung der Pläne von Dom Simon wahr, indem sie für die Ausbildung junger niederländischer Schwestern sorgt. Dom Simon organisiert regelmäßig eine kurze Reise nach N. D. de la Paix für Mädchen, die Interesse am Leben als Trappistin zeigen. Die Zwillinge der Familie Löb gehören auch zu diesen Mädchen und treten beide ein, Door am 12. April 1929 und Wies am 3. Mai 1930. Dadurch wächst diese Abtei sehr schnell zu einer Kommunität von 98 Schwestern. Inzwischen widmet sich Dom Simon dem Bau der Abtei Koningsoord. 1937 kommen die niederländischen Schwestern nach Berkel-Enschot, um dort das monastische Leben zu beginnen. Mutter Gertrudis Demarrez, Äbtissin von N.D. de la Paix, kommt auf Bitten von Dom Simon mit in die Niederlande, um die junge Kommunität zu leiten. Der Krieg Im Mai 1940 geraten auch die Niederlande in die Kriegshandlungen. In kurzer Zeit hat der Besetzer die Niederlande besiegt. Nach den ersten schweren Tagen scheint das Alltagsleben wieder normal zu verlaufen; wohl werden die Niederlande der deutschen Verwaltung unterstellt. Schritt für Schritt wird die jüdische Bevölkerung in den Niederlanden entrechtet, isoliert, in die Enge getrieben und letztendlich deportiert. Im Januar 1941 werden alle Juden verpflichtet, sich registrieren zu lassen. Im Jahr darauf wird der Personalausweis von Juden mit einem J. versehen. Anfang Mai 1942 folgt die Einführung der Verpflichtung, außerhalb der eigenen Wohnung auf der Kleidung den Judenstern zu tragen. Die Trappisten und Trappistinnen lassen sich registrieren und kaufen danach den Judenstern. Innerhalb des Klosters tragen sie ihn nicht. Bruder Hans weigert, den Judenstern zu tragen, und taucht unter. Im Juli desselben Jahres beginnen die Besetzer mit der Deportation von niederländischen Juden. Die Kirchen wollen die Deportation der jüdischen Landesgenossen nicht so einfach hinnehmen und richten ein scharfes Protestschreiben an Reichskommissar Seyss-Inquart. Die Bischöfe lassen diese Eingabe am 26. Juli als Kanzelbotschaft in den Kirchen vorlesen. Eine Woche darauf, am 2. August 1942, gibt Generalkommissar Fritz Schmidt, der wichtigste Vertreter der nationalsozialistischen Partei in den Niederlanden, Antwort: „Wenn die katholische Geistlichkeit auf diese Weise erkennen läßt, dass sie sich den getroffenen Vereinbarungen nicht verpflichtet fühlt, sehen wir uns unsererseits gezwungen, die katholischen Juden als unsere schlimmsten Feinde zu betrachten und für ihren unmittelbaren Abtransport in den Osten zu sorgen.“ Im Nachhinein wird deutlich, dass SeysInquart schon am 17. Juli in einer sogenannten Chefsitzung davon sprach, dass er keineswegs plane, die getauften Juden von der Deportation auszunehmen. die Familie Löb 4 So werden am 2. August 1942 ungefähr zweihundert niederländische katholische Bürger von jüdischer Abstammung im Auftrag der deutschen Besatzung verhaftet. Unter ihnen sind auch mehrere Ordensangehörige. In dieser Nacht werden auch die drei Trappisten und zwei Trappistinnen der Familie Löb aus den Abteien Koningsoord und Koningshoeven festgenommen. Unsere Mitschwestern und –brüder wurden also nicht wegen des Briefes der Bischöfe deportiert. Die Namen und Adressen der zu deportierenden Juden liegen schon längst im „Emigrationsamt“ der Deutschen bereit. Ob dies für unsere Mitbrüder und – schwestern gänzlich unerwartet kam, scheint unwahrscheinlich. Denn die Kanzelbotschaft von Kardinal de Jong wurde bei den Mönchen im Kapitelsaal vorgelesen. Aber auch die Reaktion von Schwester Hedwige: „Ich habe alles geordnet. Ich bin bereit wegzugehen. Allein diese Bücher möchte ich mitnehmen (Brevier, Missale,Neues Testament, Nachfolge Christi), damit habe ich genug“, macht deutlich, dass sie ahnte, abgeholt zu werden. Während des Nachtoffiziums vom 2. August wird durch Polizisten angeläutet. Die Schwestern Hedwige und Maria-Theresia werden aus dem Chor gerufen. In der Krankenabteilung des Klosters empfangen sie von Pater Bavo van der Ham, dem Rektor des Klosters, die heilige Kommunion als „eine Wegzehrung auf ihrem Weg zum Himmel“. Es bleibt weder Zeit, um Abschied zu nehmen, noch für ein ermutigendes Wort. In einem gepanzerten Wagen fährt man von Koningsoord nach Koningshoeven. Schwester Veronica wird nicht mitgenommen. Geschieht dies, weil sie krank ist? Es scheint, dass auch nicht nach ihr gefragt wurde. Kommt dies dadurch, dass Frau Dr. Lisamaria Meirowsky, eine Jüdin von deutscher Abstammung, die in Koningsoord einen Unterschlupf gefunden hatte, mitgenommen wird? Diese Frage bleibt unbeantwortet. Der Abstand zwischen Koningsoord und Koningshoeven beträgt nur wenige Kilometer. In Koningshoeven wird wiederum an der Pforte geläutet. Die Brüder Löb werden aus dem Nachtoffizium geholt und gehen zusammen mit dem Abt zur Klosterpforte. Die Überlieferung will, dass die Brüder nicht flüchten, weil sie in diesem Fall Repressalien für das gesamte Kloster fürchten. Pater Anselmus, der Chronist des Klosters, erzählt, dass man in diesem Fall 10 Mönche erschießen würde. Dom Simon hat noch Kontakt mit der Bistumsleitung aufgenommen, um zu beraten, was er tun solle. Wahrscheinlich bekam er als Antwort, die Mönche gehen zu lassen. Außerhalb der Pforte angekommen findet ein herzliches Wiedersehen zwischen den Brüdern und Schwestern statt, die sich mehrere Jahre lang nicht gesehen oder gesprochen haben. Für die Polizisten ist diese heitere Stimmung unbegreiflich. Alle fahren, ohne sich zu widersetzen, mit nach Tilburg und danach nach Den Bosch. Die inhaftierten Juden werden von Den Bosch nach Amersfoort transportiert. Von Amersfoort aus werden sie ins Sammellager in Westerbork gebracht. (Auf der Liste für Westerbork stehen Sr. Hedwige als Nr. 25 und Sr. M. Theresia als Nr. 24 verzeichnet, die Mönche von Koningshoeven unter den Nummern 27, 28, 29.) Von hier aus werden sie am 7. August 1942 nach Ausschwitz in Polen abtransportiert. In Amersfoort trieben die Bewacher ihr Spiel mit den Mönchen. Die drei Brüder Löb werden vor das Exekutionskommando gebracht, und im Beisein ihrer Schwestern und vieler anderer werden Gewehre auf sie gerichtet. Dies betrachtet man dort als einen Scherz. (Sr. Emerentia in: „Als een brandende toorts“ S. 160; Kempner S. 129). Sr. Judith Mendes da Costa, eine Schicksalsgenossin, erzählt über ihren Aufenthalt in Westerbork: „Die Trappistenpatres kamen am Nachmittag zu unserer Baracke und liefen draußen mit ihren Schwestern auf und ab. Von einem der Patres, der Novizenmeister war, die Familie Löb 5 bekam ich den Segen.“ (Als een brandende toorts S. 161). Bei Pater Peters lesen wir: „Die beiden Patres mussten noch viel Beichte hören, die Schwestern waren tröstende Engel für ihre Umgebung“ (Kempner S. 129). Von Westerbork aus schreibt Sr. Hedwige am 5. August eine Postkarte, um einige Dinge zu erbitten, die sie und ihre Brüder benötigen, u.a. Kleidung und Schreibutensilien. Haben sie diese Dinge wohl noch erhalten??? In der Nacht vom 6. zum 7. August werden die meisten katholischen Juden zusammen mit anderen jüdischen Lagerinsassen „in den Osten“ nach Ausschwitz verladen. Dies ist der neunte Transport aus Westerbork mit insgesamt 987 Personen. Bei der Ankunft in Ausschwitz werden 464 von ihnen ausgewählt, um zu arbeiten; die übrigen werden direkt vergast. In unseren Klöstern hat man nach dieser Postkarte vom 5. August nichts mehr von den Geschwistern Löb vernommen. Über ihr Schicksal und ihren Tod ist trotz der Nachforschungen nichts bekannt geworden. Bis 1950 gibt eine keine Nachrichten über unsere Mitbrüder und –schwestern. Am 27. April 1950 wird in einer Beilage der niederländischen Staatszeitung (Nederlandse Courant Nr. 82) der Tod von Sr. Hedwige, Sr. Maria-Theresia und Br. Linus bekannt gegeben. Ernst und George sind wenige Tage, nachdem sie von Westerbork nach Ausschwitz gekommen waren, umgekommen. Ihr Todestag ist der 19. August 1942; Sr. Hedwige und Sr. Maria-Theresia sterben einige Wochen später – zugleich mit ihrem Bruder Linus – am 30. September. Inzwischen geht Sr. Veronica in Koningsoord ihren eigenen Leidensweg. Sie ist ernstlich krank und macht sich viele Sorgen über ihre Brüder und Schwestern. Jedoch wird sie am 28. August aufgerufen, sich in Den Bosch zu melden. Sie kommt sehr traurig nach Hause zurück. In den Bosch hatte sie gesehen, wie ihr Bruder Hans in ein Polizeiauto stieg. Bei einem Versuch, nach Belgien zu entkommen, war er an der Grenze festgenommen worden. Am 16. Oktober muss sie sich erneut melden, dieses Mal in Amsterdam, um an einem sogenannten Arbeitseinsatz teilzunehmen. Man hält sie aber für zu krank und schickt sie wieder zurück. Auch am 22. März 1942 muss sie sich melden und wird wieder nach Hause geschickt. Im Anschluss daran wird sie kurze Zeit später nach Westerbork zitiert. Hier verbleibt sie eine Woche lang in Unsicherheit über ihr Schicksal. Währenddessen werden Aktionen unternommen, um die Besetzer davon zu überzeugen, dass sie zu Unrecht im Lager festgehalten wird. Sie trifft in Westerbork viele Verwandte und sieht, wie diese in den Osten abtransportiert werden. Ihr Leidensweg ist damit noch nicht am Ende. Körperlich sehr geschwächt leidet sie auch seelisch unter der Unsicherheit bezüglich ihrer Zukunft. Im August wird sie wiederum aufgefordert, nach Westerbork zu kommen. Dieses Mal entspricht die Äbtissin der Aufforderung nicht, sondern lässt Sr. Veronica mit Hilfe von Menschen aus dem Widerstand untertauchen. Zu Silvester 1943 kommt sie zurück nach Koningsoord und wird im Pfortengebäude versteckt; jedoch ist dies kein sicheres Versteck. Unter Mithilfe von Menschen aus der Widerstandsbewegung wird sie am 29. Januar in Zivilkleidung ins St. Elisabeth-Krankenhaus nach Tilburg gebracht. Im Juli 1944 ist sie so krank, dass man fürchtet, dass sie in Tilburg sterben werde. Sie wird totkrank nach Hause gebracht. Es ist eine andere Sr. Veronica, die nach Koningsoord zurückkommt: gereift und geläutert durch all das Leiden der zurückliegenden Jahre, voll Hingabe für alles, was der Wille des Herrn mit ihr ist. Sie selbst hofft, dass sie sich wieder erholen wird; aber Gottes Pläne lauten anders. Am Abend des 1. August stirbt Sr. Veronica um 23.00 Uhr und wird auf dem Friedhof der Abtei begraben. die Familie Löb 6 So endet die tragische Lebensgeschichte unserer jüdischen Mitschwestern und Mitbrüder. Sie taten niemandem etwas zu Leide; aber sie durften nicht leben, weil sie jüdisch waren. „In diesem Leben hatten sie sich gegenseitig lieb, darum wurden sie auch im Tod nicht geschieden“ (aus der Liturgie). Schwester Hedwige (Lien) Löb ocso Geburts- und Taufnamen: Rufnamen: Klosternamen: Lina Lien Hedwigis Geboren in Rijswijk: Getauft: Eintritt in N.D. de la Paix: Einkleidung: Zeitliche Profess: Ewige Profess: Umzug nach Koningsoord: Verhaftet durch die Deutschen: Gestorben in Ausschwitz: 03-03-1908 03-03-1908 18-04-1928 04-11-1928 04-05-1930 04-05-1933 15-07-1937 02-08-1942 30-09-1942 Sr. Hedwigis ist die erste niederländische Trappistin. Bei ihrem Eintritt ist sie 20 Jahre alt. Dom Simon sagt zu ihr: „Für Dich werde ich ein Kloster bauen“. Beim Ankauf des Grundstückes in Koningsoord im Jahre 1930 ist Sr. Hedwigis eine von den Unterzeichnern des Kaufvertrages. Dies ist etwas sehr außergewöhnliches, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch keine ewigen Gelübde abgelegt hat. Sie hat ihre Musikalität von ihrer Mutter geerbt und spielt Mandoline. Man kennt sie als eine kreative, fröhliche und spontane Frau. Auch für’s Zeichnen hat sie ein Talent. In der Abtei erfüllt sie die Aufgaben der Pförtnerin und Bibliothekarin. Sie möchte ihr Leben im Kloster für ein großes Anliegen hingeben: für die Bekehrung der Juden (Bromberg, 22. Januar). Der Totenzettel der Abtei charakterisiert sie mit den Worten: „Mutter Hedwigis, die mütterlich sorgende, voll von froher Herzlichkeit, begabt mit Opfer- und Gebetsgeist.“ Pater Ignatius (Georg) Löb ocso Geburts- und Taufnamen: Rufnamen: Klosternamen: George George Ignatius Geboren in Hoensbroek: Im Geheimen getauft: Eintritt in Koningshoeven: Einkleidung: Zeitliche Profess: Ewige Profess: Priesterweihe: Abreise nach N.D. Bonnecombe: Zurück nach Koningshoeven: Verhaftet durch die Deutschen: 25-09-1909 25-09-1909 02-10-1923 25-09-1926 30-09-1928 30-09-1931 06-06-1936 20-07-1936 01-09-1939 02-08-1942 die Familie Löb 7 George möchte zunächst gerne Missionar werden und besucht darum die Schule der Väter vom Heiligsten Herzen. Doch tritt er nach drei Jahren bei den Trappisten ein. Er ist der erste aus der Familie Löb, der sich für das Trappistenleben entscheidet. Kurz nach seiner Priesterweihe wird er von Dom Simon in die Abtei N.D. de Bonnecombe geschickt, um dort den Konvent zu verstärken. Pater Ignatius ist ein praktischer Mann. Er trägt in gewisser Weise das Talent eines Ingenieurs in sich. Im Jahre 1939 wird er nach Koningshoeven zurückgerufen. Geschieht dies wegen der drohenden Kriegsgefahr? Seine Aufgabe in der Abtei ist unter anderem die des Kantors; er spielt auch Violoncello; auch George hat die Musikalität von seiner Mutter geerbt. Von P. Ignatius ist bekannt, dass er ein Mann von starkem Glauben und tiefer Frömmigkeit ist, mit einer besonderen Verehrung für seinen Schutzengel. Der Totenzettel der Abtei beschreibt ihn mit den Worten: „Pater Ignatius, der herzliche und stürmische Mönch, stets in der besonderen Freude der Kinder Gottes.“ Bruder Linus (Robert) Löb ocso Geburts- und Taufnamen: Rufnamen: Klosternamen: Robert Rob br. Linus Geboren in Den Haag: Getauft in Padang (Sumatra): Eintritt: Einkleidung: Zeitliche Profess: Erneuerung der zeitlichen Profess: Ewige Profess: Verhaftet durch die Deutschen: Gestorben in Ausschwitz: 15-10-1910 22-01-1911 25-03-1928 29-09-1928 19-03-1931 11-03-1934 19-03-1937 02-08-1942 30-09-1942 Rob ist ein sehr lebenslustiger Junge, der allzeit zu Lausbubenstreichen aufgelegt ist. So blieb er auch als Laienbruder; dies war der Grund, warum er seine zeitliche Profess erneuern musste. Als Laienbruder arbeitete er vornehmlich in der Landwirtschaft. Er ist kreativ und technisch begabt. Am Beginn des Krieges baut er im Geheimen ein Radio, was ihm den Tadel des visititierenden Abtes einbringt. Seine Mitbrüder beschreiben ihn wie folgt: „Br. Linus hat eine heitere und fröhliche Natur und macht am liebsten über alles einen Scherz. Als Vorbild der klösterlichen Observanz kann man ihn nicht bezeichnen; doch ist er ausdauernd und treu, und darauf kommt es schließlich an.“ Aus Amersfort schreibt er noch einen kurzen Brief an die Kommunität, wo er um Vergebung für den Anstoß bittet, den er häufig der Kommunität gab; auch hofft er, dass er in Zukunft noch vieles wieder gutmachen kann. Der Totenzettel der Abtei charakterisiert ihn mit den Worten: „Bruder Linus, der heitere und unbesorgte, der hingegen tief in seinem Herzen Jesus auf rührende Weise treu war“. die Familie Löb 8 Schwester Maria-Theresia (Door) Löb ocso Geburts- und Taufnamen: Dorothea Rufnamen: Door Klosternamen: Maria-Theresia Geboren in Sawah Loento (Sumatra): Getauft: Eintritt in N.D. de la Paix in Chimay: Einkleidung: Zeitliche Profess: Ewige Profess: Umzug nach Koningsoord: Verhaftet durch die Deutschen: Gestorben in Ausschwitz: 22-10-1911 22-10-1911 12-04-1929 20-10-1929 21-04-1931 13-05-1934 15-07-1937 02-08-1942 30-09-1942 Die Gesundheit von Door ist nicht stark, und das Trappistinnenleben muss für sie ziemlich schwierig gewesen sein. Doch harrt sie in ihrer Berufung als Chorschwester aus und setzt sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften ein. Ihre Aufgaben sind die Schneiderei sowie die Pflege der Blumen. Sie besitzt die Frömmigkeit und den starken Glauben ihrer Eltern. Auch sie möchte ihr Leben für die Bekehrung der Juden geben. Der Totenzettel der Abtei beschreibt sie mit den Worten: „Mutter Maria-Theresia, ein frommes Marienkind, voll Eifer für die Verehrung der Muttergottes“. Pater Nivardus (Ernst) Löb ocso Geburts- und Taufnamen: Klosternamen: Ernst Nivardus Geboren in Sawah Loento (Sumatra): Getauft: Eintritt in die Abtei Koningshoeven: Einkleidung: Zeitliche Profess: Erneuerung der zeitlichen Profess: Ewige Profess: Priesterweihe: Verhaftet durch die Deutschen: Gestorben in Ausschwitz: 29-10-1913 15-01-1914 20-08-1929 27-09-1929 30-09-1931 21-10-1934 29-09-1935 03-06-1939 02-08-1942 19-08-1942 Pater Nivardus ist als Assistent des Novizenmeisters sehr beliebt. Er weiß Ernst und Humor miteinander zu verbinden. Ein ehemaliger Novize charakterisiert ihn als den ‚tiefgründigsten’ aus der Familie Löb. Er berichtet auch, dass P. Nivardus von Jugend an das Verlangen hatte, Märtyrer zu werden. Scheinbar hat er einmal die Bemerkung gemacht, dass es für Gott nicht besonders schwierig sei, aus einem Trappisten einen Märtyrer zu machen. Der Totenzettel der Abtei schreibt über ihn: „Pater Nivardus, der ernste, Mönch mit Fleisch und Blut, stets intensiver in Gottes Gedanken eintauchend und in Jesus’ übergroße Liebe.“ die Familie Löb 9 Schwester Veronica (Louise) Löb ocso Geburts- und Taufnamen: Rufnamen: Klosternamen: Louise Wies Veronica Geboren in Sawah Loento (Sumatra): Getauft: Eintritt in N.D. de la Paix in Chimay: Zeitliche Profess: Ewige Profess: Umzug nach Koningsoord: Gestorben in Berkel-Enschot: 22-10-1911 22-10-1911 03-05-1930 12-05-1932 12-05-1935 15-07-1937 01-08-1944 Schwester Veronica ist eine von den Zwillingen. Von Anfang an war sie nicht besonders stark. Dies ist der Grund, warum sie noch ein Jahr mit ihrem Klostereintritt gewartet hat. In Chimay wird sie darauf vorbereitet, in Koningsoord das Amt einer Küsterin auszuüben. Dies hat sie mit Liebe und Sorgfalt getan, solang es ihre Kräfte erlaubten. Auch erfüllt sie Tiparbeiten mit der Schreibmaschine. Sie hat ihrem Namen alle Ehre gemacht. Sie trägt das Leiden Jesu in ihrem Körper. Doch steht sie treu in ihrer Berufung; durch Krankheit und Leiden ist sie geläutert und schenkt sich voll Hingabe in die Hände des Herrn; er darf über sie verfügen. So geht sie hinüber in das volle Leben, wo sie mit ihren Brüdern und Schwestern wieder vereint wird. Ein Leben, gezeichnet durch Treue, Mut und tiefen Glauben, gereift im Leiden durch Krankheit und Trauer um ihre Familie und ihre jüdischen Brüder und Schwestern. „Es ist vollbracht.“ Quellen und Literatur (nur auf Niederländisch) • Bromberg, I.: Trappisten met een Davidsster, De Bazuin, januari 1955 • Kempner, R, Edith Stein und Anne Frank, Zwei von Hunderttausend : Die Ermordung der ‘nichtarischen’ Mönche und Nonnen, pag. 129 • Mohr, Anne en Prégardier, Elisabeth: Passion in August, 2-9 augustus 1942 • Terstegge, A.: Honderd Jaar Monnikenleven in Koningshoeven, 1981 • Terstegge, A.: Ter herinnering aan onze Joodse medebroeders, s.d. • Archive der Abteien Koningsoord und Koningshoeven, Berkel-Enschot • Archive Abtei Koningsoord: Brief von Sr. Judith Mendes da Costa an Äbtissin Gertrudis Demarrez von 23-08-1942; nr. 435 en 436 • Als een brandende toorts, pag. 202-207 Berkel-Enschot, 19 maart 2006 Schwester Gertrudis van der Donck Abtei Koningsoord Berkel-Enschot die Familie Löb Bruder Korneel Vermeiren Abtei Koningshoeven Tilburg 10
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