Sergej Rachmaninow Klavierkonzert Nr. 3 d

Sergej Rachmaninow
Klavierkonzert Nr. 3 d-Moll op. 30
Außerdem auf dem Programm
Ludwig van Beethoven
„Die Geschöpfe des Prometheus“ Ouvertüre aus
der Ballettmusik op. 43
Igor Strawinsky
„Der Feuervogel“ Ballettsuite (1945)
Freitag, 27. November 2015, 20 Uhr
19 Uhr Konzerteinführung
Liederhalle Stuttgart, Beethoven-Saal
Denis Kozshukhin, Klavier
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Leitung: Aziz Shokhakimov
Empfohlen ab Klasse 8
Erstellt von Anja Renczikowski
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Inhalt
I. Sergej Rachmaninow – Pianist, Komponist und Dirigent ........................................................ 3
II. Rachmaninows Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 d-Moll op. 30................................. 5
III. Der Starpianist und sein Leben und Ruhm in den USA ......................................................... 9
IV. Ausführende ........................................................................................................................ 11
Denis Kozhukhin ................................................................................................................... 11
Aziz Shokhakimov ................................................................................................................. 12
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR......................................................................... 13
V. Quellen ................................................................................................................................. 15
VI. Unterrichtsmaterial ............................................................................................................. 17
Ein Leben in Stichworten ...................................................................................................... 17
Daten zum Werk ................................................................................................................... 18
VII. Unterrichtliche Hinweise.................................................................................................... 19
1. Sergej Rachmaninow und der Starkult den USA. ............................................................. 19
2. Bilder von Sergej Rachmaninow ....................................................................................... 22
3. Kritiker und Kritiken .......................................................................................................... 24
4. Sergej Rachmaninows bewegtes Leben als Komponist und Pianist ................................. 25
5. Der Solist Denis Kozshukhin - Vorbereitung eines Interviews.......................................... 30
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I. Sergej Rachmaninow – Pianist, Komponist und Dirigent
„Die Musik muss aus dem Herzen kommen und zu Herzen gehen. (…) Musik zu schreiben ist
für mich ein ebenso essentieller Bestandteil meines Daseins wie das Atmen oder das Essen; es
ist eine für mich lebensnotwendige Funktion. (…) Was ich zu unternehmen versuche, wenn ich
Musik schreibe, ist, all das direkt und einfach zu sagen, was gerade mein Herz erfüllt. Ob es
Liebe, Bitterkeit, Trauer oder religiöses Empfinden ist: all diese Stimmungen gehen in meine
Musik ein.“ 1
Alles war für Sergej Rachmaninow Musik. So war er auch nicht nur ein wunderbarer Komponist, sondern auch Pianist und Dirigent. Nie konnte er sich entscheiden, was seine wahre Berufung sein sollte und so war diese Dreifachbegabung für ihn ein lebenslanger innerer Konflikt. Welchen Weg sollte er einschlagen, welche Karriere verfolgen? Wenn andere Zeitgenossen oder auch junge Leute heute froh sind, eine Begabung zu entdecken, eine Leidenschaft oder eine Richtung, in die sie beruflich gehen wollen, standen dem jungen Rachmaninow gleich mehrere Wege offen. Und doch schimmert in dem Zitat durch, dass für ihn Musik
lebensnotwenig war, wie das „Atmen“ oder das „Essen“, also in erste Linie das Schaffen von
Musik als Komponist. Doch davon konnte er nicht leben. Viel zu oft fühlte er sich der negativen Kritik ausgesetzt. Eine gute Alternative war das Leben als Pianist. Sein Talent dafür wurde schon früh entdeckt. Geboren auf einem russischen Landgut, musste der junge Sergej mit
seinen Eltern schon früh die ländliche Idylle verlassen. Der finanzielle Ruin des Vaters zwang
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Andreas Wehrmeyer (Hamburg 2000)
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die Familie in St. Petersburg einen Neuanfang zu wagen. Die Eltern trennten sich und der
jungen Rachmaninow war faul, lustlos und ging statt zum Musikunterricht lieber zum Schlittschuhlaufen. Erst nachdem er versuchte sein Zeugnis zu fälschen, war Schluss mit dem leichten Leben. Sergej Rachmaninow war talentiert, nur eben nicht sehr fleißig und so wurde er
an das Moskauer Konservatorium geschickt und gleichzeitig in einer Art „Klavier-Pensionat“
aufgenommen, das sich durch strenge Disziplin auszeichnete. Mit der „Großen Goldmedaille“ – also mit besonderer Bravour – schloss Rachmaninow sein Studium vorzeitig ab.
Doch Rachmaninow wollte mehr. Er nahm Auftragskompositionen an und begann zu unterrichten. Richtig gut leben konnte er davon nicht. Als seine erste Sinfonie bei der Kritik durchfiel, war Rachmaninow am Boden zerstört. Überhaupt war Rachmaninow ein Mensch mit
wenig Selbstvertrauen. Immer wieder litt er in seinem Leben an depressiven Phasen. Schaut
man sich die Bilder und Fotos des Komponisten an, so ist auffällig, dass er nie wirklich lächelt
oder glücklich wirkt. Stets zweifelte er an seiner Arbeit und fragte sich immer wieder nach
deren Sinn. Rachmaninow war erst Mitte Zwanzig und fühlte sich schon außerstande, weiter
zu komponieren. Seine Hoffnung als freischaffender Komponist leben zu können, gab er auf.
Erst drei Jahre später entstand 1900 als kreativer Befreiungsschlag sein 2. Klavierkonzert.
Dann verliebte er sich und komponierte „wie ein Besessener“, um Geld für seine Hochzeit zu
verdienen. Er versucht sich auch als Dirigent am Bolschoi-Theater und reist nach London
oder Dresden, später auch in die USA, wo er dann vor allem als Pianist Erfolge feierte.
Sergej Rachmaninow ist nicht der einzige Musiker, der sich zwar immer schwer tat, sich für
das eine oder andere zu entscheiden, sich oft hin- und hergerissen zwischen seinen Talenten
fühlte. Ein berühmtes Beispiel war Wolfgang Amadeus Mozart oder auch andere Komponisten-Musiker wie Franz Liszt, Frédéric Chopin oder viele andere. Sie glänzten als Virtuosen
und führten ihre eigenen Werke gleich auf.
Lange sorgten Rachmaninow Geldprobleme. 1917, nach der Oktoberrevolution, ging er mit
seiner Frau und seinen beiden Töchtern ins Exil. Wie viele russische Intellektuelle und Künstler emigrierte er und machte sich auf in eine ungewisse Zukunft. Zunächst ging es nach
Schweden, dann in die USA. Hier konnte er seine Pianistenkarriere ausdehnen. Das Komponieren trat in den Hintergrund. Vielleicht fiel es ihm besonders schwer sich Neuem zu widmen, denn er vermisste seine russische Heimat. In den USA schuf er sich eine Art russisches
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Refugium. So aß er russisch, las russische Literatur, hatte russische Angestellte und ging bevorzugt zu russischen Ärzten. Nie beherrschte er die englische Sprache richtig gut. Immer
wieder kehrte er auch als Gast nach Europa zurück. Als Pianist verfügte er über eine außerordentlich präzise Technik und eine legendäre Gestaltungskraft. Nachdem er Russland verlassen hatte, komponierte er zunächst nur noch wenig. Erst der finanzielle Wohlstand, dem
ihm der Erfolg als Pianist bescherte, gab ihm nun auch wieder Zeit zum Komponieren. So
entstanden meist auf Gastreisen in Europa weitere Meisterwerke, darunter das 4. Klavierkonzert g-Moll op. 40, die Variationen über ein Thema von Corelli op. 42, die 3. Sinfonie und
die Symphonischen Tänze op. 45. Sie zeigen, wie groß sein Können auch auf diesem Gebiet
war. Einprägsame und ausdrucksstarke Themen wie ein großartiger Melodienreichtum und
eine ausgefeilte spätromantische Orchestration sind hier zu hören. Es verwundert auch
nicht, dass seine Musik oft an amerikanische Filmmusik, die in jener Zeit populär war,
erinnert. 1934 komponiert er in der Schweiz eine „Rhapsodie über ein Thema Paganinis“. Europa und seine geliebte Heimat sollte er nicht mehr wiedersehen. Aufgrund der politischen
Situation blieb er ab 1939 endgültig in den USA. Seine letzte große Komposition und zugleich
die einzige in Amerika entstandene, die „Symphonischen Tänze“, bezeichnete er als „eine Erinnerung an das, was war und was hätte sein können“. Sergej Rachmaninow starb am 28.
März 1943, kurz vor seinem 70. Geburtstag, in Beverly Hills an Lungenkrebs. Obwohl er sich
eine Beisetzung in der alten Heimat so gewünscht hatte, wurde er in der Nähe von New York
beerdigt.
II. Rachmaninows Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 d-Moll op. 30
Den Sommer 1890 verbrachte der 17-jährige Rachmaninow gemeinsam mit Verwandten auf
ihrem Landgut Iwanowka, 500 Kilometer südwestlich von Moskau. Hier fand er die Ruhe und
Abgeschiedenheit, die er zum Komponieren benötigte. Rachmaninow liebte diesen Ort, mit
dem er sich am stärksten verbunden fühlte und wohin er immer wieder gerne zurückkehrte.
Auch den Sommer 1909 verbrachte er dort, um sich auf eine Amerika-Tournee vorzubereiten. Im Spätherbst sollte es dorthin gehen und aus diesem Grund komponierte er für sich innerhalb weniger Wochen sein 3. Klavierkonzert in d-Moll. Ein Mammutwerk, dass vom jedem Pianisten Kraft, Ausdauer, aber auch Geschmeidigkeit und Eleganz abverlangt. Obwohl
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er es sich quasi auf den Virtuosen-Leib geschrieben hatte, widmete Rachmaninow das Konzert dem polnischen Pianisten Josef Hofmann, einem Schüler des berühmten Anton Rubinsteins. Der hat es jedoch nie gespielt hat. Selbst für den technisch versierten Pianisten Rachmaninow, stellte die Aufführung eine Herausforderung dar. Noch während der Überfahrt auf
dem Atlantik, übte er auf einem „stummen“ Klavier. Unter der Leitung von Walter Damrosch
kam das Werk am 28. November 1909 in New York zur Uraufführung. Der Erfolg stellte sich
jedoch erst mit einer folgenden Aufführung im Januar 1910 ein; diesmal auch wieder in New
York, doch unter dem Dirigat von keinem Geringeren als Gustav Mahler. Dieser war selbst
auch Komponist und arbeite in den USA – ähnlich wie Rachmaninow – als Dirigent, um seine
eigenen, aber auch Werke anderer einem interessierten Publikum nahe zu bringen. Er wusste, was für ein gewaltiges Werk er vor sich hatte und setzte wesentlich mehr Proben für das
Orchester an, um sich und den Musikern die Möglichkeit zu geben, sich intensiv mit der Musik zu beschäftigen.
Ein sehr bekannter Pianist, der es kurz nach der Uraufführung spielte, war auch Wladimir
Horowitz. Rachmaninow war sehr kritisch, nicht nur sich selbst, sondern auch anderen Musikern gegenüber. So war es eine große Ehre, dass er behauptete, Horowitz spiele es sogar
besser als er selbst. Inzwischen ist das 3. Klavierkonzert ein Standardwerk und wird auch
gerne bei Klavierwettbewerben wie dem Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb gespielt.
Aufgrund der technischen Anforderungen ist das Konzert eine Klasse für sich. Der Solopart
ist eine harte Prüfung für jeden Pianisten. Die reiche Orchestrierung mit ihren zahlreichen
Instrumentalsoli hat den Charakter eines sinfonischen Bravourstücks. Die melancholischen
Untertöne und eine leidenschaftliche Traurigkeit durchziehen das gesamte Werk und sind sicherlich auch der Schlüssel zu der enormen emotionalen Kraft, die jeden Zuhörer in ihren
Bann zieht.
Wie schon in den ersten beiden Klavierkonzerten beginnt auch das dritte Klavierkonzert sehr
charakteristisch. Eine schlichte, volkstümliche Melodie trägt das Hauptthema.
Notenbeispiel /Hörbeispiel 1:
Es wurde vermutet, dass es aufgrund seiner Anmut und Schlichtheit aus der russischen
Volks- oder Kirchenmusik stammt. Rachmaninow widersprach jedoch:
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„Das Thema meines Dritten Konzerts ist weder Volksliedformen noch kirchenmusikalischen
Quellen entlehnt. Es wurde einfach ‚von selbst geschrieben‘ (…) Wenn ich beim Komponieren
des Themas irgendwelche Pläne hatte, so waren es reine Klangvorstellungen. Ich wollte auf
dem Klavier eine Melodie ‚singen‘, so wie es Sänger tun, und dazu eine passende, oder genauer, den Gesang nicht übertönende Orchesterbegleitung finden. Das ist alles. (…) Gleichzeitig denke ich aber, dass das Thema, unabhängig von meiner Absicht, einen lied- oder kirchenliedhaften Charakter enthalten hat.“2
Wie in fast allen Orchesterwerken des Komponisten liefert auch im 3. Klavierkonzert das
thematische Ausgangsmaterial des ersten Satzes die Grundlage für die weiteren Sätze.
Das Hauptthema, unisono vom Klavier vorgetragen, ist außerordentlich lang und von einer
bemerkenswerten Enge im Tonumfang gekennzeichnet. Die einzelnen Abschnitte des Themas bewegen sich oft lediglich im Rahmen einer Quarte und pendeln um einen Zentralton,
der sich langsam „hochschraubt“.
Nach der Vorstellung des Themas kehren sich die Rollen um. Das Orchester übernimmt nun
die Melodie und das Klavier begleitet mit Akkordzerlegungen.
Notenbeispiel / Hörbeispiel 2:
Dieser Teil endet in einer stürmischen Kadenz, der dem zweiten musikalischen Gedanken des
Satzes folgt, der sehr rhythmusbetont ist.
Notenbeispiel / Hörbeispiel 3:
Der Satz endet mit einer großen Solokadenz, die Rachmaninow in zwei verschiedenen Versionen komponiert hat. Er selbst bevorzugte in seiner Einspielung die schlichtere Fassung.
Heute wird meist die erste komplexere Version gespielt.
Der zweite Satz, ein Intermezzo, beginnt orchestral. Ein zurückhaltender, gesanglicher Ton
schwingt sich zu kraftvollen Tönen auf, welche das Klavier erst nach gut 30 Takten aufnimmt.
Formal wirkt der Satz fast wie eine Improvisation, die spieltechnisch jedoch auch hohe Anforderungen stellt. Harmonisch komplex gestaltet sich hier das einfache Ausgangsmaterial in
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Ewald Reder (Gelnhausen 2001)
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vielschichtige Variationen. Überraschend ist die Schlussvariation – eine Art Walzer, elegantbeschwingt und virtuos.
Notenbeispiel / Hörbeispiel 4:
Attacca – also nahtlos – geht das Intermezzo in das Finale über. Es beginnt filigran und fast
schon heiter. Entwickelt sich dann doch sehr emphatisch und zu hochromantischer Fülle. In
die weiträumigen Steigerungen greifen immer wieder lyrische Episoden ein. Der Schluss mutet feierlich-hymnisch an.
Notenbeispiel / Hörbeispiel 5:
Mit dem 3. Klavierkonzert erreichte Sergej Rachmaninow quasi den Gipfel- wie Endpunkt des
romantischen Klavierkonzerts. Auch im Hinblick auf die pianistische Virtuosität scheint es
nicht mehr steigerungsfähig. Einerseits steht der Solist im Mittelpunkt und doch kommt dem
Orchester weit mehr als nur „begleitende“ Funktion zu. Oft wurde dieses Konzert daher auch
als „Klaviersinfonie“ bezeichnet.
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III. Der Starpianist und sein Leben und Ruhm in den USA
Bewusst hatte sich Sergej Rachmaninow für eine Pianistenkarriere entschieden. Sein erstes
großes Engagement in den USA, wo auch sein 3. Klavierkonzert uraufgeführt wurde, war ein
großer Erfolg. Er merkte schnell, dass er damit finanziell abgesichert war. Zudem konnte er
sich auf dem Instrumente frei entfalten. Rachmaninow liebte das Klavierspielen und im Gegensatz zu dem Leben als Dirigent gab ihm das Pianistendasein auch viele Freiheiten. Er
konnte spielen wann er wollte und war nicht an ein großes Orchester gebunden. Dabei hatten sich seine Fähigkeiten als Dirigent auch in Amerika herumgesprochen. 1924 dachte man
daran, die neu zu besetzende Stelle des Chefdirigenten des Boston Symphony Orchestra mit
ihm zu besetzen. Schließlich aber erhielt Sergej Kussewizkij diesen Posten. Als Pianist reihte
er sich bald in den Star-Kult der damaligen Zeit ein. Damals wurden Solisten der klassischen
Musik wie heutige Popstars gefeiert. Einige Jahre nach Rachmaninows Tod sollte etwa der
Pianist Van Cliburn, der als erster Nicht-Russe den Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau
1958, zu Zeiten des Kalten Krieges zwischen Ost und West gewann, mit großem Autokorso
bei seiner Rückkehr in die USA gefeiert werden. Seine Einspielung mit Tschaikowskys Klavierkonzert war quasi ein „kulturelles Muss“ in jedem patriotischen Haushalt der USA. Rachmaninow gelang nie, sich ganz darauf einzulassen. Die russische Kultur versuchte er auch in der
neuen Heimat weiter zu leben. Er respektierte das Land und die Leute, doch die hektische
Geschäftigkeit bliebe ihm fremd. Für ihn war es vor allem das Land, das er als Reisender
kennenlernte, getrieben von Konzertterminen. Dabei war er im Inneren seines Herzens eher
menschenscheu. Auch die Sprache lernte er nie vollständig. Meist wirkte er einsilbig und
steif. Die beliebten Bankette und Empfänge der amerikanischen Gesellschaft der 1930er und
-40er Jahre mochte er nicht. Die amerikanische Staatsbürgerschaft nahm er erst kurz vor
seinem Tod an, vor allem um seiner Familie Komplikationen in Fragen der Erbschaft zu ersparen. Was er jedoch liebte, war der Luxus, dem ihm sein Erfolg ermöglichte. Rachmaninow
lebte einen großbürgerlichen Stil, ganz im Sinne der vergangenen „Belle Époque“ mit Küchenpersonal, Chauffeur und Sekretär. Dennoch blieb er bescheiden und stets respektvoll.
Luxus bedeutete für ihn, den großgewachsenen Mann, eine gewisse Eleganz in der Erscheinung. Dazu trug er gerne Anzüge von englischen Schneidern. Zudem liebte er das Auto und
interessierte sich für die neusten und teuersten Modelle. 1912 gönnte sich der Autofreak ei9
nen Mercedes. Spötter behaupteten einmal, er habe einige Stücke nur komponiert, um sich
das kostspielige Auto-Hobby leisten zu können. Äußerst luxuriös war die Tatsache, dass er
sein Automobil, aber auch seinen Steinway-Flügel gerne auf seine Reisen durch Europa mitnahm. Der zurückhaltende Komponist war aber in bestimmten Dingen sehr empfindlich. Sicherlich hätte er sich über die heutige Konzertkultur mit Hustenbonbons im Foyer und
freundlicher Ansage vor dem Konzertbeginn mit dem Hinweis, das Mobiltelefon auszuschalten, gefreut. Denn das Husten im Publikum störte ihn sehr.
Seine Arbeit als Pianist wollte er jedoch besonders gut machen. Auch wenn er oft gestresst
war, das Reisen und die Menschen als Last sah, bereitet er sich akribisch auf jedes Konzert
vor. „Man muss jedes Schräubchen untersuchen damit sich alles zu einem Ganzen formt“,
sagte er einmal. Dass schon damals das Konzertleben durch Werbung und Konkurrenzkampf
bestimmt war, erkannte er schnell. Eine gute Agentur kümmerte sich um seine Belange und
bald wurde er als „Amerikas neuer Künstler“ gepriesen. „Hände, die Millionen wert sind“,
hieß es in einem Slogan eines Fotografen. Sein Publikums-Schlager, das Prelude c-Moll,
op. 3 Nr. 2, ließ ihn schon zu Lebzeiten eine Legende werden. Es gab kaum ein Auftritt, ohne
dass das Publikum nach diesem „Prelude“ verlangte. Bald schon war das kurze Stück Segen
und Fluch zugleich. Dass er von der Fachwelt oft weniger beachtet wurde und für seine „sentimentale“ Musik wenig gute Kritik erntete, dafür als hochvirtuoser Pianist gefeiert wurde,
machte ihm oft zu schaffen.
So umjubelt er war – der Star Rachmaninow mochte nicht von Autogrammjägern oder Paparazzi verfolgt werden. Seinen Verehren und Verehrerinnen wich er lieber aus. Dass er das
Idyll seines Landhauses Iwanowka liebte, wo er oft als Einsiedler lebte und wohin er sich mit
seiner Familie gern zurückzog, machte ihn nicht nur zum Einzelgänger, sondern in Verbindung mit seiner Musik, die keineswegs den Bruch mit der Tradition suchte, zu einem der
„letzten Romantiker“. Seine lebenslange Melancholie ist immer in seiner Musik zu hören.
1932 gab er auf die Frage „Was ist Musik?“ die Antwort: „Eine ruhige Mondnacht; Das Rauschen der Blätter; Entferntes Abendläuten; Das, was von Herz zu Herz geht; Die Liebe; die
Schwester der Musik ist die Poesie – ihre Mutter: Die Schwermut!“3
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Andreas Wehrmeyer (Hamburg 2000)
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IV. Ausführende
Denis Kozhukhin
1986 in Nizhni Novgorod, Russland, in eine Musikerfamilie geboren, erhielt Denis Kozhukhin
seinen ersten Klavierunterricht im Alter von vier Jahren von seiner Mutter. An der Balakirev
Musikschule wurde er anschließend von Natalia Fish unterrichtet. Von 2000 bis 2007 studierte er an der Reine Sofia Musikschule in Madrid bei Dimitri Bashkirov und Claudio MartinezMehner. Sein Diplom als bester Student seines Jahrgangs und Gründer des zweifach als bestes Kammermusikensemble ausgezeichneten Cervantes Trio wurde ihm von der spanischen
Königin persönlich überreicht. Nach seinem Studium in Madrid wurde Kozhukhin eingeladen,
an der Klavierakademie am Comer See zu studieren, wo er Unterricht unter anderem bei Fou
Ts’ong, Stanislav Yudenitch, Peter Frankl, Boris Berman, Charles Rosen und Andreas Staier
erhielt. Er schloss sein Studium bei Kirill Gerstein an der Musikhochschule Stuttgart ab.
Kozhukhin gewann 2009 den ersten Preis des Vendôme Wettbewerbs in Lissabon und 2006
den 3. Preis beim Leeds Internationalen Klavierwettbewerb.
Kammermusikalisch hat Kozhukhin mit u. a. Leonidas Kavakos, Renaud und Gautier Capuçon,
Vadim Repin, Julian Rachlin, Michael Barenboim, dem Jerusalem Quartett.
Denis Kozhukhin errang internationalen Bekanntheitsgrad, als er 2010 im Alter von 23 Jahren
den ersten Preis des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs in Brüssel gewann. Seitdem ist er bereits bei vielen renommierten Festivalen und Konzerthäusern, u. a. beim Verbier Festival, wo
er 2003 den Prix d’Honneur gewann, Progetto Martha Argerich in Lugano, Klavier-Festival
Ruhr, Rheingau Musik Festival, Jerusalem Internationales Kammermusikfestival, Santander
Internationales Festival, Carnegie Hall, Gewandhaus Leipzig, Herkulessaal München, Phil11
harmonie Köln, Tonhalle Zürich, De Doelen Rotterdam, Concertgebouw Amsterdam,
Auditorio Nacional Madrid, Accademia Nazionale di Santa Cecilia Milan, Palau de la Musica
Valencia, Théâtre du Châtelet und Auditorium du Louvre Paris aufgetreten.
Aziz Shokhakimov
Der Dirigent Aziz Shokhakimov wurde 1988 in Taschkent (Usbekistan) geboren und lernte als
Sechsjähriger zunächst Violine und Bratsche, später kam eine Dirigentenausbildung bei Vladimir Neymer hinzu. Bereits im Alter von 13 Jahren gab er vor dem Nationalen Symphonieorchester Usbekistan sein Dirigentendebüt, ein Jahr später leitete er erstmals eine Vorstellung von „Carmen“ (Bizet) in der Usbekischen Nationaloper. Weitere Engagements führten
Aziz Shokhakimov zum Nationalen Jugendorchester Usbekistan sowie zum Russian National
Orchestra, wo er 2005 auch in das von Vladimir Spivakov geleitete DirigentenNachwuchsförderprogramm aufgenommen wurde. Von 2006 - 2012 war Aziz Shokhakimov
Chefdirigent des Nationalen Symphonieorchesters Usbekistan, bei dem er bereits seit 2001
als Assistenzdirigent engagiert war. Seit dem Gewinn des Zweiten Preises beim internationalen Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerbs der Bamberger Symphoniker 2010, debütierte
Shokhakimov bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden, der Kammerphilharmonie Bremen,
den Düsseldorfer Symphonikern, der Filarmonica del Teatro Comunale di Bologna und dem
Orchestra Filarmonica della Fenice sowie dem Houston Symphony Orchestra, dem Pacific
Symphony und dem Oregon Symphony Orchestra. Anstehende Debüts hat er u. a. auch beim
Radiosinfonieorchester Stuttgart, dem hr-Sinfonieorchester Frankfurt, dem DSO-Berlin, beim
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Orchestre de Chambre de Lausanne sowie dem London Philharmonic Orchestra. Zuletzt leitete Shokhakimov in Bologna eine Neuproduktion von „Eugen Onegin“ (Tschaikowsky). Seit
der Spielzeit 2015/16 ist Aziz Shokhakimov als Kapellmeister an der Deutschen Oper am
Rhein engagiert. Schlagartig rückte Aziz Shokhakimov im Jahr 2010 ins internationale Rampenlicht, als er - erst 21 Jahre alt - den Zweiten Preis des angesehenen Internationalen Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerbs der Bamberger Symphoniker gewann.
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR - gegründet 1945 - ist einer der bedeutendsten musikalischen Botschafter des Landes. Hauptaufgabe ist einerseits die Pflege des großen
klassisch-romantischen Repertoires der sinfonischen Tradition, zum anderen setzt sich das
Orchester mit Nachdruck für die zeitgenössische Musik und selten gespielte Werke und
Komponisten ein. Viele bedeutende Komponisten, darunter Strawinsky, Hindemith, Henze,
Penderecki, Kagel, Ruzicka, Eötvös und Pintscher, haben ihre eigenen Werke in RSOKonzerten dirigiert, weit mehr als 500 Kompositionen hat das RSO Stuttgart bislang uraufgeführt.
Pro Saison spielt das RSO rund 80 Konzerte in Stuttgart und im Sendegebiet des SWR; es gastiert in nationalen und internationalen Musikzentren und weltweit bei Festspielen, darunter
seit über 50 Jahren bei den Schwetzinger SWR Festspielen. Ergänzt wird die Konzerttätigkeit
durch zahlreiche Studioproduktionen für Radio und Fernsehen sowie für den Tonträgermarkt. Auf dem Label SWRmusic sind die Ergebnisse der Arbeit aus Gegenwart und Vergangenheit umfangreich dokumentiert und mehrfach mit renommierten Preisen ausgezeichnet
worden, u. a. mit dem ECHO Klassik 2012, mehrmals mit dem "Preis der Deutschen Schallplattenkritik" und mit dem französischen "Diapason d'or".
Die Förderung junger Künstler gehört zum Selbstverständnis des Radio-Sinfonieorchesters
Stuttgart. Konzerte mit internationalen Preisträgern und die RSO Orchesterakademie der
Musikhochschule Stuttgart stehen beispielhaft für dieses Tätigkeitsfeld. Ein ganz zentrales
Anliegen des RSO ist die Erschließung anspruchsvoller Musik für ein junges Publikum. Mit
dem auf Nachhaltigkeit angelegten Musikvermittlungsprogramm SWR Young CLASSIX bietet
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das RSO ein umfangreiches und vielfältiges Angebot für alle Altersstufen und Publikumsschichten. Innovative Formate wie z. B. "Mittagskonzerte" sprechen neue Publikumsschichten an.
Seit der Saison 2011/12 ist der Franzose Stéphane Denève Chefdirigent beim RadioSinfonieorchester Stuttgart des SWR. Er ist damit Nachfolger von Sir Roger Norrington, der
seit 1998 in gleicher Position das RSO Stuttgart leitete und nun Ehrendirigent des RSO ist.
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V. Quellen
Wo gibt es mehr?
Hörtipps:
Von Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 3 d-moll op. 30 gibt es sehr viele Aufnahmen.
Jüngst erschien eine mit der jungen Pianistin Yuja Wang mit dem Simon Bolivar Symphony
Orchestra unter Leitung von Gustavo Dudamel (Deutsche Grammophon).
Ebenfalls noch ein junger Pianist ist Nikolai Tokarev, der das Konzert mit dem National
Philharmonic Orchestra of Russia unter Leitung von Vladimir Sovakov bei Sony eingespielt
hat.
Der norwegische Pianist Leif Ove Andsnes hat bei EMI gemeinsam mit dem London
Symphony
Orchestra
unter
dem
Dirigat
von
Antonio
Pappano
aufgenommen.
Ein Klassiker ist die Einspielung mit Vladimir Horowitz aus dem Jahr 1951, die noch bei Naxos
erhältlich ist.
Unter James Levine hat der Pianist Arcadi Volodos mit den Berliner Philharmonischen Orchester bei Sony aufgenommen.
Alle vier Klavierkonzert hat Vladimir Ashkenazy bei Decca mit dem Concertgebow Orchestra
mit dem Dirigenten Bernard Haitink bei Decca Mitte der 1990er Jahre aufgenommen.
Und es gibt eine historische Aufnahme mit Sergej Rachmaninow als Pianisten mit dem Philadelphia Orchestra unter Leitung von Eugene Ormandy aus dem Jahr 1939.
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Literatur:
Eine umfangreiche Biografie von Maria Biesold vermittelt ein komplexes Bild über Rachmaninows Lebensstationen sowie einen analytischen Überblick über seine Musik, angereichert
mit vielen Bildern und Zitaten. Ein gutes und genaues Porträt des Komponisten.
Maria Biesold: Sergej Rachmaninoff 1873–1943. Zwischen Moskau und New York. Eine
Künstlerbiographie. Weinheim u. Berlin: Beltz/Quadriga 1991.
Der Autor Ewald Reder hat in sehr lebhafter Sprache die bislang aktuellste Biografie über
Rachmaninow geschrieben. Sie enthält zahlreiche Dokumente zu Leben und Werk, dazu Analysen der Werke und einen ausführlichen Anhang. In diesem umfangreichen Opus findet der
Leser nahezu alles, was er über Rachmaninow wissen möchte.
Ewald Reder: Sergej Rachmaninow – Leben und Werk (1873–1943). Biografie. Mit umfassendem Werk- und Repertoireverzeichnis. Gelnhausen: TRIGA 2001.
Ein kleines Musikerporträt mit vielen Abbildungen und Zitaten hat Andreas Wehrmeyer verfasst. Es integriert auch kurze, anschauliche Werkanalysen. Als Einstiegslektüre sehr empfehlenswert, da ein guter Einblick in das Leben des Komponisten präsentiert wird.
Andreas Wehrmeyer: Sergej Rachmaninow Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2000.
Weblinks:
Es gibt einige interessante Websites über Rachmaninow, darunter: www.rachmaninoff.de.
Hier findet der Interessierte neben Biografie, Werkverzeichnis und einer Bildergalerie auch
News und Links. Weiterklicken kann man sich auf die englischsprachige Seiten der Rachmaninoff Society www.rachmaninoff.org oder der Seite des Verlags Boosey & Hawkes:
www.boosey.com/pages/cr/composer/composer_main.asp?site-lang=de&sitelang=de&composerid=2861&ttype=BIOGRAPHY&ttitle=Biography,
wo es neben einer Werkliste auch Informationen zu aktuellen Aufführungen gibt.
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VI. Unterrichtsmaterial
Ein Leben in Stichworten
1873: Sergej Wassiljewitsch Rachmaninow wird am 1. April (nach dem damals in Russland
noch gebräuchlichen julianischen Kalender am 20. März) als viertes von sechs Kindern auf
dem Gut Semjonowo bei Nowgorod geboren.
1877: Er erhält ersten Klavierunterricht von seiner Mutter.
1882: Die Familie zieht nach St. Peterburg; Rachmaninow wird am Konservatorium
aufgenommen.
1885/86: Er wird Schüler im „Klavierpensionat“ von Nikolaj Swerjew und studiert am Moskauer Konservatorium.
1890: Das 1. Klavierkonzert entsteht, er schließt sein Studium ab und schreibt u. a. die Oper
„Aleko“, das Prélude cis-Moll und die Tondichtung „Der Fels“; obwohl er einen Verleger findet, leidet er unter finanzieller Not und arbeitet als Musiklehrer.
1897: Die 1. Sinfonie gerät zum Fiasko, was eine dreijährige Schaffenskrise auslöst. Er nimmt
eine Stelle als Dirigent an einer Privatoper in Moskau an.
1899: Erster Auftritt als Pianist und Dirigent in London.
1900: Nach psychiatrischer Behandlung und mit neuem Selbstvertrauen komponiert
Rachmaninow sein 2. Klavierkonzert, das ein internationaler Erfolg wird.
1902: Er heiratet seine Cousine Natalja, mit der er zwei Töchter haben wird.
1904: Er wird Dirigent am Bolschoi-Theater. Es entstehen die Opern „Der geizige Ritter“ und
„Francesca da Rimini“. Er erhält den „Glinka-Preis“ für sein 2. Klavierkonzert op. 28
1906: Neben Reisen verbringt er die Wintermonate in Dresden und schreibt die 2. Sinfonie.
1909: Er komponiert „Die Toteninsel“. Rückkehr auf sein Landgut Iwanowka in Russland; erfolgreiche erste Amerika-Tournee mit der Uraufführung des 3. Klavierkonzerts op. 30 in New
York
1910: Aufführung des 3. Klavierkonzerts op. 30 in New York unter Gustav Mahler; umfangreiche Konzertreisen in Europa.
1912: „Vokalises“ op. 34/14, ein Gesangsstück ohne Worttext entsteht.
1913: Beendet die Sinfonie „Glocken“ op. 35
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1917: In den Wirren der Oktoberrevolution flüchtet er für immer aus Russland, zunächst
nach Schweden, dann in die USA; hier widmet er sich seiner Pianistenkarriere und macht
Plattenaufnahmen. Den Sommer verbringt er in Europa.
1919: Erste Schallplatten- und Rollenaufnahmen für mechanische Klaviere.
1922: Rachmaninow konzertiert wieder in Europa.
1926: Rachmaninow beginnt wieder, zu komponieren (u. a. das 4. Klavierkonzert), und konzertiert weiter in Europa und Amerika; am Vierwaldstätter See baut er sich die Villa „Senar“.
1927: Uraufführung des 4. Klavierkonzerts op. 40.
1931: Boykott seiner Werke in der Sowjetunion bis 1933. Es entstehen die „CorelliVariationen“, die „Paganini-Rhapsodie“ und die 3. Sinfonie.
1936: Uraufführung der 3. Sinfonie op. 44 in Philadelphia.
1939: Aufgrund der politischen Situation verlässt er endgültig Europa (sein letztes Konzert in
Europa findet bei den Luzerner Festspielen mit Beethoven 1. Klavierkonzert und der „Paganini-Rhapsodie“ op. 43 statt. Fortan lebt er in den USA.
1941: Uraufführung seiner letzten Komposition, die „Sinfonischen Tänze“.
1943: Rachmaninow nimmt die amerikanische Staatsbürgerschaft an; am 28. März stirbt er
in Beverly Hills an Krebs.
Daten zum Werk
3. Klavierkonzert d-Moll op. 30
Entstehung: Herbst 1909
Uraufführung: Die Uraufführung fand am 28. November 1909 in New York statt. Nach dieser
Aufführung unter der Leitung von Walter Damrosch fand im Januar 1910 eine Aufführung
unter dem Dirigat von Gustav Mahler statt, der kompromissloser und mit zäher Probenarbeit
an dieses komplexe Werk ging.
Besetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Waldhörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauke, Becken, Große Trommel, Tamburin, Klavier und Streicher.
Sätze: I. Allegro ma non tanto - II. Intermezzo (Adagio) - III. Finale (Alla breve)
Dauer: ca. 45 Minuten
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VII. Unterrichtliche Hinweise
1. Sergej Rachmaninow und der Starkult den USA.
In den USA war Sergej Rachmaninow vor allem als Pianist hoch angesehen. Für seine umfangreichen Tourneen wurde extra ein Salonwaggon bereit gestellt mit Küche und Koch. Ein
Steinway-Flügel wurde auch in den Zug oder auf seinen Überfahrten zwischen Amerika und
Europa zur Verfügung gestellt. Wie war der „Starkult“ damals im Vergleich zu heute.
M.1.
a.)
Ein Manuskript über den Ruhm des texanischen Pianisten Van Cliburn, der in den 1950er
Jahren in Zeiten des Kalten Krieges als erster Amerikaner in Moskau den TschaikowskyKlavierwettbewerb gewann.
www.koelnklavier.de/texte/interpreten/cliburn.html
b.)
Wie ging Sergej Rachmaninow mit dem Bekanntheitsgrad um. Er selbst war eher schüchtern
und zurückhaltend. Die offene amerikanische Art war ihm fremd. Manchmal floh er lieber
vor seinen Fans, so berichtet Fjodor F. Schaljapin, ein Freund Rachmaninows:
Seinen Ruhm ließ sich Rachmaninow nicht zu Kopfe steigen, eher im Gegenteil: Ich hatte sogar den Eindruck, er war ihm peinlich. Er versuchte, dem Ganzen auszuweichen. Er war kein
Wichtigtuer und ging seinen Verehrern und deren Lobesbekundungen stets aus dem Wege.
1917 hatte Rachmaninow, kurz bevor er Russland für immer verließ, in Jalta mitten am Tage
ein Konzert im Stadtpark. Mein Bruder Boris und ich begleiteten ihn zu seinem Auftritt und
waren fürchterlich stolz darauf (wie beide waren damals 12 und 13 Jahre alt). Als wir dann
nach dem Konzert wieder gemeinsam durch den Park nach Hause gingen (Rachmaninow war
damals Gast in unserem Hause), wurde Sergej Wassiljewitsch von einigen Spaziergängern erkannt, die ihm Ovationen darbringen wollten. Rachmaninow nahm uns beide an die Hand
und rannte so schnell zum Parktor, dass wir beide kaum mithalten konnten. Auf diese Weise
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entkamen wir den Verehrern und die Ovationen fielen aus. Dasselbe Bild bot sich mir noch
viele Jahre: Rachmaninow versuchte stets unbemerkt aus dem Saal oder dem Theatergebäude durch einen anderen Ausgang zu entkommen, sehr zum Ärger der Fangemeinde, die sich
am Eingang zum Künstlerzimmer versammelt hatte. Diese Bescheidenheit gehörte zu den
herausragenden Zügen seines Charakters.4
c.)
Das Leben als Künstler betrachtete Sergej Rachmaninow durchaus kritisch. Wie sieht es heute aus? Was braucht ein Musiker/Künstler neben Talent und Können noch? Wie werden sie
heute „vermarktet“? Gibt es große Unterschiede zwischen der so genannten E- und UMusik?
In einem Londoner Interview von Lyle Watson (20. Mai 1928) berichtet Rachmaninow über
den Konkurrenzkampf im Konzertleben der Neuen Welt:
„Halten Sie die Amerikaner für musikalisch?“ „Natürlich, sie sind gute Kenner der Musik. Sie
haben aber auch die besten Künstler in ihrem Land. Und sie haben das nötige Geld, um diese
Künstler auch im Lande halten zu können.“ „Es ist dort nicht leicht, sein Brot zu verdienen,
besonders für Künstler?“ „Richtig! Nur die größten und besten von ihnen können Erfolg haben. Und dieser Konkurrenzkampf wird schärfer und schärfer! Die Dinge – Konzerte und Klavierabende – müssen in einem großen Rahmen stattfinden, denn Impresarios sind nicht an
kleinen Dingen interessiert. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Ein Agent bat mich, ihm einen
guten Sänger zu empfehlen. Ich erfüllte den Wunsch und verlangte ein Honorar von 300 Dollar für diesen. Der Agent lehnte ab und sagte: „Bringen Sie mir jemanden, der 3.000 Dollar
haben will, und es wird sich für mich auszahlen.“ Die Tatsache war einfach, der Agent wollte
oder konnte keine gute Vorarbeit leisten und nur bei einer todsicheren Sache mit einem
großen Künstler und großem Aufwand seinen Profit einstreichen.“
4
Aus: Fjodor F. Schaljapin: Der Ruhm war ihm eher peinlich. In: Andreas Wehrmeyer (Hg.): Rachmaninow aus
der Nähe. Erinnerungen und kritische Würdigungen von Zeitgenossen. Aus dem Russischen und Englischen
übersetzt von Hans-Joachim Grimm, Ernst Kuhn und Andreas Wehrmeyer (= musik konkret, Bd. 13). Berlin:
Ernst Kuhn 2003, S. 269 - 281, hier S. 275. © Mit freundlicher Genehmigung des Ernst Kuhn Verlags, Berlin.
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Ich bemerkte hierzu: „Sie (die Amerikaner, Anm. E. R.) verwechseln offensichtlich Künstler mit
Geschäftspartnern?“ Hierauf gab Rachmaninow keine klare Antwort. Ich fragte ihn bezüglich
der Orchester: „Das Philadelphia Orchestra unter Stokowski ist vielleicht das Beste. Sie spielen wie aus einem Guss!“ Er bejahte begeistert. Dann, bei diesem Punkt, ohne ersichtlichen
Grund, kamen wir auf einige wohlbekannte Einzelerscheinungen in unserem Konzertleben zu
sprechen, die „Proms“, eine Serie von Konzerten, für die er ebenso wie für deren Organisator
das lebhafteste Interesse zeigte, obwohl er nie innerhalb dieser Reihe auftrat oder auch nur
den Wunsch verspürte, dieses zu tun. Aber er betrachtete sie als Barometer, als wichtigen
Faktor im Musikleben unseres Landes. An anderer Stelle sagte er: „Es ist schwierig für einen
Künstler in Amerika, viel schwerer als hier.“ „Sie meinen die geographischen Entfernungen?“
„Ja.“ „Ist Ihr Publikum in Amerika auch so dankbar wie das gestrige in der Queen’s Hall?“ –
„Vier Zugaben waren erbeten und gegeben worden, und wenn es möglich gewesen wäre,
würden sie jetzt noch das Podium umlagern.“ „O ja, sie sind für gute Musik sehr dankbar.“
„Welche Gesellschaftsschichten sind dort am dankbarsten?“ Rachmaninow dachte eine Weile
nach, ehe er antwortete: „Ich will Ihnen ein Beispiel von mir selbst erzählen und von einem...
anderen großen Künstler, keinem Pianisten mit weltbekanntem Namen, der aber ein sehr enger Freund von mir ist. Bei meinen Klavierabenden sind die billigsten Plätze sofort vergriffen,
und dann schrittweise die nächst teueren, die teuersten zuletzt. Bei... ist es genau umgekehrt;
die teuersten sind zuerst vergriffen. Am Ende sind beide ausverkauft. Aber für mich ist dies
sehr angenehm.
Ich will mich nicht selbst rühmen, aber es ist sehr schön zu wissen, dass die wirklichen Musikliebhaber, für die es oft schon schwer genug ist, den billigsten Platz zu bezahlen, so schnell
Karten für mein Konzert kaufen.“
„Sie meinen“, sagte ich, „dass hier wie dort Musik oft nichts anderes ist, als ein Amusement
der Wohlhabenderen, der leistungsbewussten Klasse?“ Er gab mir darauf keine Antwort, lächelte aber geheimnisvoll. Ich gab eine Bemerkung von Mme. de Greef zum Besten, die mir
einst antwortete, als ich sie fragte, wo ich sie wohl bei den Promenaden („Proms“) finden
würde: „Unten auf der Promenade natürlich; zwischen den wirklichen Musikliebhabern!“
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Rachmaninow war sehr erheitert darüber und stimmte voll mit der Ansicht überein. Musikgenuss war für ihn klassenlos, ebenso echtes Musikverständnis!5
2. Bilder von Sergej Rachmaninow
Was sagen die Bilder/Fotos über die Persönlichkeit eines Menschen? Sergej Rachmaninow
lebte in einer Zeit, wo es durchaus üblich war, schon viele Fotos von Künstlern zu veröffentlichen. Die meisten Bilder zeigen ihn ernst, fast niemals lächelt er.
Eine weitere Idee wäre, dass die Schüler/-innen ein eigenes Plakat entwerfen. Wie könnte es
aussehen? Wie könnte man es gestalten, dass es Lust auf das Konzert macht?
M.2.
a.)
Die Schüler/-innen können sich einige Fotos anschauen und über die Bilder diskutieren. Wie
stellen sich Künstler heute dar? Wie wichtig sind Fotos? Wie sind die eigenen Erfahrungen im
Zeitalter von „Selfies“ und Handyfotos, Youtube und Facebook? Hier finden sich einige Fotos
von Sergej Rachmaninow:
www.rachmaninoff.org/gallery.html
5
Zitiert nach: Ewald Reder: Sergej Rachmaninow – Leben und Werk (1873–1943). Biografie. Mit umfassendem
Werk- und Repertoireverzeichnis. Gelnhausen: TRIGA 2001, S. 424f.
22
b.)
Sehr bekannt ist das Gemälde6 von Boris Schaljapin, das im Zentralen Staatlichen GlinkaMuseum für Musikkultur hängt.
Eine kurze Bildanalyse von Dietrich Erben:
Auf Long Island malte Schaljapin im Sommer 1940
auch das Bildnis des Komponisten. Rachmaninow ist
im Profil in extremer Nahsicht und das Format füllend
in den Blick genommen. Der Komponist senkt die Augen zu den Händen, die einen volltönenden Akkord
greifen. Im Hintergrund wird der Bildraum durch die
Brettervertäfelung geschlossen, auf die als einziges
perspektivisches Element die Tastatur des Flügels
fluchtet. Die Konzentration auf da Spiel scheint in der
streng kalkulierten Komposition des Bildes ein Äquivalent zu finden. Wie im Goldenen Schnitt ist es durch
die waagrecht geführten Hände im unteren Drittel
unterteilt. Die vertikale Strukturierung des Hintergrundes durch die Bretterfugen findet bei der Figur in
der linken Armbeuge und im Augenwinkel, durch den sich die Mittelachse des Gemäldes
zieht, eine Resonanz. Die Bilddiagonale ist durch den Hemdkragen exakt aufgenommen. Bilden das bläuliche Hemd und der rötlich warm getönte Hintergrund zwar farblich einen Kontrast, so werden durch die Schraffuren in den Hemdfalten und durch die rückwärtige Maserung gleichwohl Formkorrespondenzen hervorgerufen, durch die die Gestalt des Pianisten mit
dem Hintergrund verwoben ist. Auch die Altersfalten im Gesicht werden in den Jahresringen
des Holzes nachgezeichnet.
Der Ausdruck ruhiger Konzentration lässt an die Schilderung von Zeitgenossen denken, die
Rachmaninow beim Klavierspielen zu Hause und beim Üben zugehört haben. Sie waren befremdet vom Ausdruck höchster Versachlichung der Musik, die Rachmaninow durch eine ext6
Abbildung auf der Umschlagseite der Monographie von Wehrmeyer;
siehe auch: http://www.rowohlt.de/taschenbuch/andreas-wehrmeyer-sergej-rachmaninow.html
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reme Verlangsamung erreichte. Oftmals war dadurch das Stück nicht mehr zu identifizieren.
Durch das langsame Durchspielen gerade schwieriger Stellen konnte ein „zufälliger Hörer
eher an eine Adepten als an einen großen Pianisten denken:“ Offenbar machte es sich Rachmaninow zur Regel, im Hinblick auf Sorgfalt und innere Anspannung gleichsam unter Aufführungsbedingungen zu spielen. Auch beim Üben sei „sein Gesicht ernst und strenge – wie beim
einem Konzertauftritt“ gewesen. Das Bild scheint als ein visueller Bericht von einer solchen
Übungssituation. Wie der Musiker zur Musik so hält auch der Maler zum Modell Distanz.7
3. Kritiker und Kritiken
Sergej Rachmaninow musste mit guten wie schlechten Kritiken in der Presse leben. Zwar
wurde er von seinen Zuhörern geliebt, doch das Fachpublikum kam oft zu vernichtenden Urteilen, vor allem was seine Arbeit als Komponist betraf. Die Schüler/innen könnten nach dem
Besuch des Konzerts selbst eine Konzertkritik schreiben. Welche Gedanken sollte sie sich vor
dem Konzert machen und worauf während des Konzerts achten?
M.3.
Eine Kritik in der New Yorker „Sun“ beschäftigte sich mit der Uraufführung des 3. Klavierkonzerts am 28. November 1909:
„Das Konzert war zu lang, und ihm fehlte rhythmischer und harmonischer Kontrast zwischen
dem 1. Satz und dem Rest des Konzerts. Das Eingangsthema in d-Moll ist mit Melancholie gefärbt, von einer Art, die für die späteren Jahre einer beträchtlichen Menge russischer Musik
typisch ist. Dies ist die Melancholie der Untätigkeit, von der die Resignation oder Unterwerfung oder auch das Misstrauen der eigenen Kraft gegenüber herstammen mag. Sie erhebt
sich nicht wie bei Tschaikowski auf den Gipfeln der brandenden Leidenschaft oder hohen Tragödie. Rußlands gegenwärtige Komponisten sind bis jetzt damit belastet worden, dass sie unter dem Druck wiederkehrender Perioden der politischen und sozialen Unruhe versagten.
Rachmaninoff ist unter den jüngeren Komponisten als derjenige erachtet worden, der nach
Glasunow für das Ausland am ehesten nationale Idee und Ausdruck verkörpert. In diesem
Konzert kommt das nicht zum Ausdruck, es sei denn, die Außenwelt befindet sich im Irrtum
7
Aus: Sergej Rachmaninow in: Komponistenporträts – von der Renaissance bis zur Gegenwart von Dietrich Erben, Stuttgart: Philipp Reclam jun., S. 162 © Mit freundlicher Genehmigung des Reclam Verlags, Stuttgart.
24
über Russland. Das neue Konzert mag denn als rein persönliche Äußerung des Komponisten
genommen werden. Es hat zuweilen den Charakter eines Impromptus, so natürlich und formlos ist sein Redefluss, wobei es allerdings auch zur Wiederholung tendiert.“8
4. Sergej Rachmaninows bewegtes Leben als Komponist und Pianist
Zeitzeugen, Freunde und Begleiter des Komponisten beschreiben ihre Eindrücke. Es gibt einige sehr persönliche Einblicke in das Leben von Sergej Rachmaninow. Welches Bild haben
die Schüler/-innen von dem Komponisten? In wieweit beeinflusst seine Persönlichkeit sein
Werk und sein Leben als Pianist?
M.4.
a)
Am 8. Mai 1912 schreibt Rachmaninow an seine „Seelenverwandte“, die junge Schriftstellerin Marietta Schaginjan, die er stets „Re“ nannte, über sein mangelndes Selbstvertrauen.
8. Mai 1912
„... Neben meinen Kindern, der Musik und den Blumen liebe ich dich, meine liebe „Re“, und
deine Briefe. Ich liebe dich, weil du klug, interessiert und keinesfalls exzentrisch bist, Haupteigenschaften für jedermann, um in meinen Augen „akkreditiert“ zu sein. Deine Briefe liebe ich,
weil ich sie einerseits lieb finde, andererseits sie als Balsam für meine Wunden empfinde. Du
analysierst mich bemerkenswert korrekt, trotz gewisser Anzeichen von Furcht und Unsicherheit. Woher kennst du mich so genau? Ich kann nicht aufhören, mich darüber zu wundern.
Von nun an, wann immer ich von mir sprechen sollte, kann ich immer auf dich zurückgreifen
und aus deinen Briefen zitieren ... Ich meine dies ganz ernsthaft. Allerdings eines ist nicht so
gut: Seit du zweifelst, ob das Bild, das du dir in deiner Vorstellung von mir gemacht hast, dem
Original auch wirklich so ähnelt wie zwei Wassertropfen, suchst du in mir etwas, das es gar
8
Aus: Maria Biesold: Sergej Rachmaninow 1873 - 1943. Zwischen Moskau und New York. Eine
Künstlerbiographie. Weinheim u. Berlin: Beltz/Quadriga 1991, S. 218 - 219.
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nicht gibt, und du willst mich als etwas sehen, das ich – wie ich glaube – niemals sein werde.
„Mein kriminell niedriges geistiges Niveau“ (aus den Briefen von „Re“) ist unglücklicherweise
sehr offensichtlich und „mein Ruin basiert auf der dürftigen Mittelmäßigkeit und dem ›Philistertum‹, das mich umgibt“ (wieder aus Briefen von „Re“). All dies ist leider wahr, und wahr ist
es, weil ich kein Selbstvertrauen besitze. Lehre mich es zu erwerben, meine liebe „Re“! Vielleicht gerade nur halb so viel von dem Vertrauen, das du in mich setzt! Falls ich jemals Selbstvertrauen hatte, so war es vor einer langen, langen Zeit - in meiner Jugend. ... Es geschah
nicht ohne Grund, dass für die letzten 20 Jahre meine einzigen Ärzte der Hypnotiseur Dr. Dahl
und meine zwei Cousinen waren, von denen ich eine vor 10 Jahren geheiratet habe, und die
ich beide sehr liebe, und ich bitte dich, ihre Namen auf die Liste der liebsten Personen von mir
zu setzen. Alle diese Leute, oder besser gesagt, Doktoren, lehrten mich nur zwei Dinge: hart
zu sein und Selbstvertrauen zu besitzen. Manchmal gelingt es mir. Aber meine Krankheit sitzt
so tief in mir und hat sich im Laufe der Jahre immer tiefer eingegraben. Es wäre daher vielleicht eher verständlich, wenn ich das Komponieren aufgeben würde und entweder Pianist,
Dirigent oder Gutsbesitzer, vielleicht sogar Rennfahrer würde…“ 9
b)
G. N. Iwanowa, die Haushälterin der Familie Rachmaninow, erinnert sich an die letzten Jahre
des Komponisten:
„Ich trat meine Stelle bei den Rachmaninows während der Abwesenheit von Sergej
„Wassiljewitsch an. Die Begegnung mit ihm beunruhigte und ängstigte mich, weil meine
Freunde, die Sergej Wassiljewitsch ebenso wie ich nur einmal von weitem gesehen hatten,
mir erzählten, dass er ein mürrischer, menschenscheuer und strenger Mensch sei, dem man
nur schwer etwas recht machen könne. Später allerdings beneideten sie mich sogar! Ein russischer Künstler sagte mir folgendes: “Wie glücklich sind Sie, weil Sie jeden Tag Sergej Wassiljewitsch spielen hören können, und ich bekomme nicht einmal immer ein Karte für sein Konzert“.
9
Zitiert nach: Ewald Reder: Sergej Rachmanino – Leben und Werk (1873-1943). Biografie. Mit umfassendem
Werk- und Repertoireverzeichnis. Geinhausen: TRIGA 2001, S. 309f.
26
Schon verlor ich völlig den Mut, als ich vor meinem Dienstantritt ein Gespräch mit Natalja
Alexandrowna, der Frau von Sergej Wassiljewitsch, führte und sie mir sagte: „Meinerseits ist
alles in Ordnung, aber Sergej Wassiljewitsch ist launenhaft und im Essen wählerisch. Er arbeitet sehr viel und muss unbedingt gut essen, deshalb muss man ihn zufriedenstellen“.
Damals hatte ich schon beschlossen, keinesfalls in diesem Haus zu bleiben. Sergej Wassiljewitsch war noch in der Datscha, und ich flehte Gott jeden Tag an, seine Ankunft noch ein
bisschen hinauszuzögern. Und dann kam Sergej Wassiljewitsch unerwartet am 5. Oktober an,
tagsüber, als ich allein zu Hause war, und ich sah ihn tatsächlich so vor mir, wie ich ihn mir
nach der Beschreibung meiner Freunde vorgestellt hatte. Doch als ich seine ruhige, ein wenig
müde Stimme hörte, verflog meine Angst. Wahrhaftig, ich habe in meinem ganzen Leben
noch keinen Menschen getroffen, bei dem die äußere Erscheinung so wenig seinen inneren
Eigenschaften entsprach. Dieser Mensch, dem Aussehen nach mürrisch, als könne er niemals
lächeln, besaß ebensoviel gesunden Humor wie die Fähigkeit, treffende und geistreiche Bemerkungen zu machen, so dass ich mich, wenn ich im Nebenzimmer arbeitete, manchmal nur
mit Mühe beherrschen konnte, um nicht laut loszulachen, wenn ich irgendeine seiner Bemerkungen hörte. Einige Jahre lang konnte ich Sergej Wassiljewitsch einen guten halben Tag
lang hören und sehen. Damals dachte ich auch darüber nach, wie man sich doch in einem
Menschen täuschen kann, wenn man ihn nur nach dem Aussehen beurteilt.
Einmal waren wir alle über den Gesundheitszustand von Sergej Wassiljewitsch besorgt und
beschlossen mit Natalja Alexandrowna, ihm Kaffee ohne Koffein zu geben, da Sergej Wassiljewitsch sehr gern Kaffee trank und manchmal Missbrauch damit trieb. Ich kochte Kaffee,
und ich gab mir wahrhaftig viel Mühe und brachte ihn Sergej Wassiljewitsch. Alle saßen am
Tisch außer Natalja Alexandrowna, die gerade telefonierte. Ich kam gar nicht dazu, zur Tür
hinauszugehen, da hörte ich schon Sergej Wassiljewitsch mit klagender, beleidigter Stimme
sagen: „Galina Nikolajewna, weswegen beleidigen Sie mich? Was habe ich Ihnen denn angetan? Was für eine Brühe haben Sie mir denn da gebracht? Geben Sie mir richtigen Kaffee“.
Ich brachte den Kaffee herein, am Tisch saß nun auch Natalja Alexandrowna und fragte Sergej Wassiljewitsch: „Nun, hast du den Kaffee schon ausgetrunken? Hat er geschmeckt?“ Sergej Wassiljewitsch antwortete ruhig:
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„Selbstverständlich habe ich ihn ausgetrunken. Er hat sehr gut geschmeckt.“ Darauf fragte
Natalja Alexandrowna: „Für wen ist denn dieser Kaffee?“ Und Sergej Wassiljewitsch antwortete: „Für mich, ich werde ihn trinken. Eine Tasse für die Gesundheit und die andere für das
Vergnügen.“ Sergej Wassiljewitsch aß gerne. Er aß nicht gerne viel - sein Appetit war sehr
mäßig - aber er mochte es, wenn viele verschiedene Speisen auf dem Tisch standen. Jedesmal
vor dem Frühstück oder Mittagessen kam er ins Esszimmer, musterte den Tisch und
sagtezufrieden: „Oje, viel zu viel zu essen!“
Noch eine Begebenheit ist mir in Erinnerung geblieben. Ein Fotograf sollte kommen, und die
drei Tage bis zu seiner Ankunft brummte Sergej Wassiljewitsch und äußerte sein Missfallen
darüber. „Wozu soll das gut sein, muß das denn sein, kann man es nicht aufschieben?“ Der
betreffende Tag kam heran, man wartete auf den Fotografen, aber aus irgendeinem Grund ich weiß nicht mehr, warum - verspätete er sich. Sergej Wassiljewitsch war überaus zufrieden. Auf seinem Gesicht lag die Freude des Schülers, der das Glück hatte, keine Schulaufgaben hersagen zu müssen. Schnell, im Laufen den Mantel anziehend, blickte Sergej Wassiljewitsch durch das Küchenfensterchen ins Wohnzimmer, ob der Fotograf da sei und ging durch
den dunklen Gang hinaus.“ Wenn der Fotograf kommt, sagen Sie, dass ich gewartet habe
und er nicht kam“.
Ich erinnere mich auch daran, wie mich Sergej Wassiljewitschs Aufmerksamkeit bewegte.
Immer wieder habe ich zu meinen Kindern gesagt: „Ihr seid die Meinen, aber ihr fragt mich
nie, ob ich müde bin oder ob ich es geschafft habe, etwas zu essen.“ Wenn aber Sergej Wassiljewitsch merkte, dass ich früher als üblich zur Arbeit kam, fragte er immer:
„Galina Nikolajewna, Sie sind heute ein wenig früh. Haben Sie zu Hause Kaffee getrunken?“
Fast jeden Tag erkundigte er sich, ob meine Kinder gesund und alle Angehörigen wohlauf seien. Was heißt das für einen so großen, weltbekannten Menschen mit seinen wichtigen Angelegenheiten und Sorgen, auch noch um mich, meine Kinder und meine unbedeutenden Angelegenheiten besorgt zu sein! Dabei äußerte er so viel natürliche Herzlichkeit, soviel Güte und
28
Feingefühl gegen seine ganze Umgebung, seinen Angehörigen wie auch Fremden gegenüber.“10
c)
Nikolaj Medtner war nicht nur selbst Komponist, sondern auch ein enger Freund Rachmaninows. Er bezeichnete den Freund als „Musiker von Gottes Gnaden“ und gibt seiner Wertschätzung in diesem Text Ausdruck:
Über Rachmaninow zu sprechen ist schwer, und zwar weil er berühmt ist. Für eine große
Mehrheit vermischt sich sein Ruhm mit anderen »Gerüchten«, und deshalb muss in erster
Linie gesagt werden, dass es nicht nur um seinen Ruhm geht, sondern auch um den Ruhm
seiner Kunst. Das Banner unserer Kunst bestimmt seine »Berühmtheit«. Diese in unserer Zeit
seltene Beziehung zwischen seinem persönlichen Ruhm und dem Ruhm unserer Kunstrichtung zeugt von der Echtheit seiner Inspiration und seiner Berufung. Die Kontinuität dieser
Verbindung des ganzen Wesens mit der Kunst selbst zeigt sich in jeder seiner Berührungen
mit dem Ton. Sein Ton ist dadurch ebenso wie auch sein Anschlag, niemals neutral, indifferent oder nichtssagend, er unterscheidet sich von anderen Tönen wie die Glocke vom Straßenlärm durch unvergleichliche Intensität und durch aufflammende, reiche Schönheit...
Rachmaninow ist ein Musiker von Gottes Gnaden, abgesehen von seiner außerordentlichen
Begabung und seinem riesigen Talent. Das ist nur das Begleitende, das aus seiner musikalischen Seele kommt... Uns ist nicht allein sein natürliches Verhältnis zur musikalischen Materie wertvoll, sondern hauptsächlich seine Verbindung mit dem wesentlichen Sinn der Musik,
ihren Bildern und ihrem ganzen Wesen.
In gleichem Maße als Komponist, Pianist und Dirigent ein großer Musiker, verblüfft er uns
bei allen seinen Auftritten vor allem durch die Vergeistigung der Töne und die Lebendigkeit
der musikalischen Elemente. Die einfachste Tonleiter, die schlichteste Kadenz, mit einem
Wort, jede beliebige von seiner Hand gespielte Form, findet ihren ursprünglichen Sinn. Hören wir ihn im Konzert oder erinnert er sich zu Hause am Instrument an Opern und Sinfo-
10
Zitiert nach: Erinnerungen an S. W. Rachmaninow 1873 - 1943. Aus dem Russischen übersetzt von Gertraude
Bambauer, Ernst Gadow, Heinrich-Michael Knechten. Wesel: Verlag der Buchhandlung Dambeck 1993,
S. 62 - 64.
29
nien, die er früher dirigierte, so frappieren uns nicht sein Gedächtnis, nicht seine Finger, die
kein einziges Detail des Ganzen überspringen; uns erstaunt gerade dieses Ganze, jene hinreißenden Bilder, die er vor uns erstehen lässt.
Seine gigantische Technik, seine Virtuosität dienen nur der Präzisierung dieser Bilder und
können daher eigentlich nur von Spezialisten und Kennern gewürdigt werden. Sein Rhythmus, die Bewegung der Töne, zeichnet sich durch den gleichen rezitativen Ausdruck und
durch Klarheit aus, wie jeder einzelne Ton seines Anschlags. Nicht alle verstehen und schätzen das Rachmaninow’sche Rubato und Espressivo, indessen befindet es sich immer im
Gleichgewicht mit dem Grundrhythmus und dem Tempo in Verbindung mit der Grundbedeutung des Werkes. Sein Rhythmus - ebenso wie der Ton - ist immer in seiner musikalischen Seele eingeschlossen, so als wäre es sein lebendiger Pulsschlag.
Seine Interpretationen anderer Komponisten vermitteln manchmal die Illusion, er selbst habe das Werk komponiert. […].
Montmorency, April 193311
5. Der Solist Denis Kozshukhin - Vorbereitung eines Interviews
Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, mit dem Solisten ein kurzes Gespräch zu führen? Wie hat
er sich auf das Konzert vorbereitet? Wie hat er das 3. Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow für sich entdeckt/erarbeitet? Was denkt er über den damaligen Pianisten-Starkult?
M.5.
Informationen über den Pianisten gibt es auf seiner Internetseite: www.deniskozhukhin.com
Ein Interview gab es vor ein paar Jahren in der Zeitschrift „Piano News“:
www.pianonews.de/index.php/ausgaben/2011
Foto von Denis Kozshukhin:
http://deniskozhukhin.com/photos/#!prettyPhoto´#
Foto Aziz Shokhakimov:
http://www.rbartists.at/images/database/tn_26441Shokhakimov_01_web.jpg
11
Zitiert nach: Erinnerungen an S. W. Rachmaninow 1873 - 1943. Aus dem Russischen übersetzt von Gertraude
Bambauer, Ernst Gadow, Heinrich-Michael Knechten. Wesel: Verlag der Buchhandlung Dambeck 1993,
S. 47 - 48.
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