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Die USA und der Krieg in Südostasien
Wie die USA in Vietnam gegen das Völkerrecht verstoßen haben
(Felix Klickermann) Beitrag zum Friedenspolitischen Ratschlag, Universität Kassel, 2012 (aktualisiert 2015)
Kasseler Schriften zur Friedenspolitik, Bd. 20
Der Vietnamkrieg gehört zu den bewaffneten Konflikten der Superlative. Er war der längste Krieg im 20.
Jahrhundert (rechnet man den Französischen Kolonialkrieg und den Bürgerkrieg hinzu), es sind mehr als
doppelt so viele Bomben gefallen wie im Zweiten Weltkrieg, und nirgendwo sonst haben sich die
Vereinigten Staaten bislang so erfolglos festgebissen wie in Südostasien. Es war ein heißer Krieg im
Kalten Krieg. Und der Widerstand gegen diesen Krieg war das Element, das die unterschiedlichen
Bewegungen der Achtundsechziger miteinander verband.
Inwiefern ist den USA wegen ihres militärischen Vorgehens in Südostasien aber völkerrechtswidriges
Verhalten zuzurechnen, welche Wiedergutmachungspflichten sind sie Vietnam noch schuldig und wie
kam es zum Abschluss des Vertrages von Paris zwischen Nord- und Südvietnam sowie den USA vor nun
gut 40 Jahren, am 27. Januar 1973, der den militärischen Einsatz beendete? Mit diesen Fragen
beschäftigt sich dieser Aufsatz. Das völkerrechtswidrige Verhalten von Nord- und Südvietnam soll hier
weitgehend unbeleuchtet bleiben1.
Normverstöße
Der ersten Frage, der nachgegangen werden soll, ist, ob der militärische Einsatz der USA gegen das
völkerrechtliche Gewaltverbot verstieß. Das Gewaltverbot findet seine Ausprägung in Art. 2 Ziff. 4 der
Charta der Vereinten Nationen und ist gewohnheitsrechtlich anerkannt2, das heißt, es gilt sowohl für
Mitgliedstaaten der Charta der Vereinten Nationen wie auch für Nichtmitgliedstaaten. Das
Gewaltverbot kennt zwei Ausnahmefälle: zum einen die Ermächtigung zu militärischen Maßnahmen
durch den Weltsicherheitsrat3 und zum anderen das Selbstverteidigungsrecht4.
Eine Befugnis durch den Weltsicherheitsrat hat es jedoch nie gegeben, denn eine solche Ermächtigung
bedingt die Zustimmung aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates5, zu denen damals auch die
Sowjetunion gehörte, die die Demokratische Republik Vietnam (Nordvietnam) im Krieg unterstützte.
Frankreich als weiteres ständiges Mitglied stand der militärischen Operation der USA ebenfalls
skeptisch gegenüber. So flog Charles de Gaulle 1965 nach Südvietnam (Republik Vietnam) und plädierte
für den sofortigen Abzug der US-Truppen. Die Republik China als drittes von fünf ständigen Mitgliedern
hätte einer Ermächtigung wohl zugestimmt, denn bis 1971 vertraten die antikommunistischen
Nationalchinesen (Taiwan) China im Weltsicherheitsrat anstelle der Volksrepublik China. Letztlich bleibt
festzuhalten, dass die militärische Intervention der USA nicht durch eine Sicherheitsratsresolution
gedeckt war.
Griff für den Militäreinsatz der USA das Selbstverteidigungsrecht? Es wird ausgelöst durch einen
bewaffneten Angriff. Es gibt ein individuelles wie auch ein kollektives Selbstverteidigungsrecht.
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Zum Unrecht Nordvietnams sind insbesondere Maßnahmen im Zuge der Landreformen 1953-1956 (Cải
cách ruộng đất tại miền Bắc Việt Nam), Massaker wie zum Beispiel 1968 in Huế (Thảm sát tại Huế Tết
Mậu Thân) und die Einrichtung von Umerziehungslagern (Học tập cải tạo / Trại Tập Trung Cải Tạo) zu
nennen. In Bezug auf die Umerziehungslager empfiehlt sich etwa die völkerrechtliche Dissertation von
Huyen Linh Nguyen von der Freien Universität Berlin (Arbeitstitel: Die Unrechtsaufarbeitung des
kommunistischen Regimes in Vietnam am Beispiel der Umerziehungslager, Erscheinungsdatum: 2016).
IGH, Nicaragua-Fall, Ziff. 188 ff., Fischer, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 1072 Rn. 10.
Art. 39, 42 UN-Charta.
Art. 51 S. 1 UN-Charta.
Art. 27 Abs. 3 UN-Charta.
1
Das individuelle Selbstverteidigungsrecht könnte vorliegend durch den Tonkin-Zwischenfall
hervorgerufen worden sein. Dabei kam es nach Angaben der USA im August 1964 zu einem direkten
Beschuss des Zerstörers USS Maddox durch nordvietnamesische Schnellboote. Später stellte sich aber
heraus, dass dieser Angriff nicht stattgefunden hatte. Der ehemalige Kongressabgeordnete George
McGovern berichtete dazu: „Wir wissen heute, dass eine solche Aggression nie stattgefunden hat. […]
Wir erfuhren später […] dass keines der Schiffe beschädigt worden war.“6 Zudem ist zu bezweifeln, dass
der Beschuss (Torpedobeschuss ohne Verletzte und ohne ernsthaften Materialschaden), wenn er denn
stattgefunden hätte, die Anforderung des „bewaffneten Angriffs“ erfüllt hätte. Im Art. 51 der VN-Charta
heißt es „bewaffneter Angriff“ und nicht nur „Gewalt“ wie im Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta, was für eine
gesteigerte Intensität spricht. Der Internationale Gerichtshof bestätigte diese Ansicht im Nicaragua-Fall
und definierte die Anforderung des bewaffneten Angriffs dabei als „most grave forms of the use of
force“7. Aber auch wenn nun ein bewaffneter Angriff durch Nordvietnam vorgelegen hätte, so wäre die
Reaktion darauf nicht mehr verhältnismäßig gewesen8. Zur Vergeltung fand ein Luftangriff (Operation
„Pierce Arrow“) mit 64 Einsätzen gegen vier Stützpunkte und ein Öl-Depot statt. Dabei wurden 25
Torpedoboote zerstört und das Öl-Depot fast komplett vernichtet. Dieser Angriff markiert den Beginn
einer massiven Ausweitung des militärischen Engagements der USA auf mehrere Jahre. Auf das
individuelle Selbstverteidigungsrecht konnten sich die USA also ebenfalls nicht berufen.
Es könnte nun das kollektive Selbstverteidigungsrecht einschlägig gewesen sein. So schlossen mehrere
antikommunistische Staaten, darunter die USA, Thailand, die Philippinen und Australien 1954 einen
multilateralen Vertrag zur kollektiven Verteidigung (Southeast Asia Collective Defense Treaty), der nach
Art. IV Abs. 1 besagt: „Each Party recognizes that aggression by means of armed attack in the treaty
area against any of the Parties […] would endanger its own peace and safety, and agrees that it will in
that event act to meet the common danger“9. Südvietnam, Kambodscha und Laos waren keine
Vertragsstaaten, da sie nach Art. 5 und , Art. 16, Art. 17 und Art. 19 der Genfer Abkommen von 1954
weder ausländische Militärbasen noch ausländische Truppen im Landesinneren zulassen durften
beziehungsweise keiner militärischen Allianz mit Beistandspflichten beitreten durften. Über ein
Zusatzprotokoll zum Southeast Asia Collective Defense Treaty weiteten die Vertragsparteien aber den
Schutz des Art. IV auch auf Südvietnam, Laos und Kambodscha aus und umgingen damit das Genfer
Abkommen. Zumindest für Kambodscha und Laos galt diese Ausweitung während der militärischen
Aktivitäten der USA aber nicht, denn Kambodscha lehnte den Schutz ab10 und für Aktivitäten in Laos
fehlte das Einverständnis der weiteren Vertragsparteien des Verteidigungspaktes Großbritannien und
Frankreich. Und so kam es, dass die USA ihre Militäroperationen in Laos heimlich durchführten11. Laos
hat noch heute mit den Folgen (Blindgänger) der Operationen zu kämpfen. Für das militärische
Vorgehen der USA in Kambodscha und Laos ist somit nicht das kollektive Selbstverteidigungsrecht
einschlägig gewesen sein und ein Verstoß gegen das Gewaltverbot liegt vor.
In Bezug auf Vietnam ist nicht ersichtlich, dass ein bewaffneter Angriff von Nordvietnam auf
Südvietnam vor den Bombardements nach dem Tonkin-Zwischenfall stattgefunden hat. Und auch wenn
man die Unterstützungsaktivitäten durch Nordvietnam für die Aufständischen (Nationale Front für die
Befreiung Südvietnams oder auch „Vietcong“) als bewaffneten Angriff qualifizieren könnte (dazu hätte
unter anderem über die bloße Unterstützung eine “effektive Kontrolle“ über die Aktivitäten der
Aufständischen vorliegen müssen12), so würde es trotzdem an dem Zusammenhang zu der Maßnahme
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Schneider, Wolfgang in: Apokalypse Vietnam, 2001, S. 200 f.
IGH, Nicaragua-Fall (Nicaragua ./. USA), Ziff. 195.
Im Oil-Platforms-Fall (2003) befand der IGH beispielsweise, dass die Zerstörung von zwei Ölplattformen
(im Rahmen der US-Operation „Praying Mantis“) als Reaktion auf die schwere Beschädigung eines
Kriegsschiffes ohne Tote nicht verhältnismäßig wäre (IGH, Ölplattformen [Iran ./. USA], Ziff. 77.).
Die USA betonten in einer Auslegungserklärung, dass sie den Art. IV Abs. 1 dahingehend verstehen, dass
er nur auf „kommunistische Aggressionen“ anzuwenden sei.
Siehe auch: Art. 36 Abs. 1 S. 2 WVK.
Siehe dazu nur: Amerikas geheimer Krieg in Laos (Dokumentarfilm, NDR/arte/WDR, 2008).
Siehe auch: IGH, Nicaragua-Fall (Nicaragua ./. USA), Ziff. 115.
2
fehlen. Für das militärische Vorgehen der USA zumindest in Nordvietnam ist das kollektive
Selbstverteidigungsrecht deshalb ebenfalls nicht einschlägig gewesen.
Durch das militärische Vorgehen der USA in Südvietnam hat letztgenannter Staat zudem gegen seine
Vertragspflicht aus dem Genfer Abkommen von 1954 verstoßen und somit Völkervertragsrecht verletzt.
Schon 1961 beteiligten sich die ersten amerikanischen Militärberater an Kampfhandlungen gegen die
Aufständischen. So wurde der erste Einsatz der US-Operation „Ranch Hand“, die die Versprühung von
Herbiziden beinhaltete, am 10. August 1961 im Landkreis Dac To (Provinz Kontum) in der Nähe der
Grenze zwischen Vietnam, Kambodscha und Laos durchgeführt13. Insgesamt hielten sich während dem
Vietnamkrieg mehrere Millionen ausländische Soldaten auf Seiten der Republik Vietnam in Südvietnam
auf. Aber auch Nordvietnam ließ zehntausende sowjetische und chinesische Soldaten zur Luftabwehr,
Militärberatung und für Bauaufgaben ins Land. Diese Aktivitäten begannen aber erst um den Juni 1965,
nachdem sich schon die ersten regulären US-amerikanischen Truppen in Südvietnam aufhielten und
Südvietnam die Vertragsverletzung begangen hatte14. Die durch Südvietnam verletzte Bestimmung
kann als wesentlich angesehen werden, sodass daraus für Nordvietnam ein Vertragsrücktrittsrecht
erwuchs15.
Als Ergebnis der vorausgegangenen Analyse lässt sich also festhalten, dass die USA durch ihre
militärischen Aktivitäten in Südostasien gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot verstoßen haben.
Ein wesentliches Merkmal des militärischen Einsatzes der USA waren Flächenbombardements, vor
allem mit den Langstreckenbombern B52. Der B52 kann 32 Tonnen Bomben tragen, und seine
Zerstörungsfläche beträgt mehrere Quadratkilometer. Zu nennen sind etwa die Operationen „Rolling
Thunder“, Linebacker I und „Linebacker II“ in Nordvietnam. Bei der Operation „Linebacker II“ (“The
Christmas Bombings“ oder „12 ngày đêm“ [Zwölf Tage und Nächte]) im Dezember 1972 wurde
vorrangig mittels B52 u. a. die Innenstadt von Hanoi bombardiert, besonders die dicht besiedelte
Gegend um die über einen Kilometer lange Kham-Thien-Straße und das Bach-Mai-Krankenhaus. Es war
offensichtlich erkennbar und den USA auch bewusst, dass es sich hierbei nicht um militärische Ziele
handelte. In Hanoi starben während dieser Operation ungefähr 2200 Menschen. Lediglich 12 % der
insgesamt 3500 Einsätze galten militärischen Zielen16.
Das erste Zusatzprotokoll der Genfer Konvention über den Schutz der Opfer internationaler
bewaffneter Konflikte verbietet in Art. 51 Abs. 2 ausdrücklich den Angriff auf die Zivilbevölkerung,
insbesondere unterschiedslose Angriffe17. Zudem ist zu bemerken, dass der Angriff auf
Zivilkrankenhäuser auch nach dem vierten Genfer Abkommen zum Schutze der Zivilpersonen in
Kriegszeiten von 1949 strikt verboten ist18. Diese Bestimmung reflektierte während des Vietnamkriegs
auch Gewohnheitsrecht und war somit uneingeschränkt anwendbar. Da es sich bei dem Vietnamkrieg
um einen nicht-internen bewaffneten Konflikt handelt, sind diese wie auch die nachfolgenden
Regelungen hier uneingeschränkt gültig gewesen.
Grundsätzlich sind Flächenbombardements wegen ihrer unkontrollierbaren Wirkung nach dem
Völkerrecht verboten19. Trotzdem haben die USA Flächenbombardements immer wieder als Mittel der
Kriegsführung eingesetzt.
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Minh Quang, Võ in: Hoạt Động của Hội Nạn nhân chất độc da cam/đioxin tỉnh Đồng Nai từ ngày thành
lập., Nỗi Đau Còn Lại, 2011, S. 16.
Jian, Chen in: China's Involvement in the Vietnam War, 1964-69, The China Quarterly 142, 1995, S. 371 ff.
Siehe auch Art. 60 Abs. 3 b WVK.
Greiner, Bernd in: Krieg ohne Fronten – Die USA in Vietnam, 2007, S. 73.
Art. 51 Abs. 4 b ZP der IV. GK (zuvor gewohnheitsrechtlich).
Art. 18 GK (IV.).
Art. 51 Abs. 4 b, c ZP der IV. GK.
3
Ähnliche Verbote gelten für Brandbomben, im vorliegenden Fall Napalm. Die Haager
Landkriegsordnung von 1907 ist hier einschlägig, so verbietet sie den Gebrauch von Waffen, die
geeignet sind, unnötig Leiden zu verursachen20. Der Einsatz von Napalm war in seiner Wirkung nicht nur
unkontrollierbar, denn das explosive Feuer verbreitete sich in alle Richtungen und saugte die Luft in der
Umgebung der Brandherde so stark auf, dass der Erstickungstod eine typische Folge war. Er verursachte
auch schwere Brandwunden, die oftmals krebsartig ausarteten. Die damit verbundenden lebenslangen
Schmerzen sind als unnötiges Leiden zu qualifizieren. Das humanitäre Völkerrecht wurde von den USA
hier in seinem Kern verletzt.
Während des Vietnamkriegs kam es durch die USA wiederholt zu Massakern21. Zu nennen sei hier als
Beispiel jenes von My Lai nahe der Stadt Quang Ngai am 16. Mai 1968, bei dem ca. 400 Zivilisten
umgebracht worden sind22. Die USA können sich bei Verbrechen wie diesem der völkerrechtlichen
Verantwortlichkeit nicht mit der Argumentation entziehen, dass die US-Soldaten, die das Massaker
verübten, im konkreten Fall weisungswidrig handelten. Das Völkerrecht rechnet den Staaten das
Verhalten seiner Bediensteten nämlich selbst dann zu, wenn diese außerhalb der Befugnisse oder
entgegen der Anweisungen handeln23. Dieser Grundsatz war während dem Vietnamkrieg und auch
schon davor24 gewohnheitsrechtlich anerkannt. Während dem Massaker kam es zu zahlreichen
Folterungen und Vergewaltigungen. Auf das Alter der Betroffenen wurde keine Rücksicht genommen.
Verbrechen wie diese erfüllen schwere Verstöße gegen das Genfer Abkommen zum Schutze von
Zivilpersonen in Kriegszeiten25.
Im Kampf gegen organisierten Widerstand der Aufständischen in den Tunnelsystemen setzte das USamerikanische Militär CS-Gas ein, das in die Tunnel gepumpt wurde26. Der Einsatz kann dazu führen,
dass Betroffene an ihrem eigenen Erbrochenen ersticken. Auf dieses Vorgehen trifft das Protokoll über
das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von
bakteriologischen Mitteln im Kriege von 1925 zu. Gegen dieses haben die USA mit dem Einsatz klar
verstoßen.
Eine Taktik der US-Armee lautete „search and destroy“ (sichten und vernichten). Damit wurden die USSoldaten angewiesen, Verdächtige zu erschießen, unabhängig davon, ob sie sich bereits ergeben hatten
oder nicht. Dieses Vorgehen verstieß gegen den gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Abkommen von
1949, welcher unter anderem die Tötung von Kriegsgefangenen verbietet. Ähnliches gilt für die
Einrichtung von „Free-Fire zones“, das die Tötung von Menschen in bestimmten Gebieten sogar ohne
Identifizierung, also unabhängig von ihrem Status als Kombattanten oder Zivilpersonen, anwies.
Der Einsatz von Herbiziden zwischen 1961 und 1971 hatte und hat verheerende Folgen, da das in den
Herbiziden enthaltene Dioxin schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen hat.
Bezüglich einer möglichen Völkerrechtswidrigkeit des Herbizid-Einsatzes ist hier u. a. Art. 23a der
Haager Landkriegsordnung von 1907 zu nennen, der die Verwendung von Gift oder vergifteten Waffen
untersagt. Die Herbizide wurden sowohl zur Aufspürung der gegnerischen Soldaten als auch zur
Erntevernichtung eingesetzt. Ihr Einsatz sollte zur gezielten Schwächung des Gegners führen. Sie sollten
einen militärischen Nutzen herbeiführen und sind somit in dieser konkreten Verwendungsform als
Waffen nach der Haager Landkriegsordnung zu qualifizieren. Vor den gesundheitsschädigenden Folgen
des Einsatzes wurde während des Vietnamkriegs immer wieder gewarnt, die Toxizität des Dioxins
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Art. 23 e HLKO.
Allein zwischen April 1968 und Ende 1970 soll es zu 21 Massakern durch US-amerikanische
Bodentruppen mit über 6.500 getöteten Zivilisten gekommen sein – Greiner, Bernd in: Krieg ohne
Fronten, 2009, S. 365 ff.
Ebd., S. 308.
Art. 7 der Articles of States Responsibility.
Siehe etwa Youmanns-Schiedspruch, 116; Caire-Schiedsspruch, 530.
Etwa Art. 3 Abs. 1, 27, 32 GK IV.
Rottman, Gordon L. in: Viet Cong and NVA Tunnels and Fortifications of the Vietnam War, 2006, S. 46 ff.
4
wurde zum Beispiel 1966 durch Tierversuche in den USA belegt27. Neben Art. 23 a der Haager
Landkriegsordnung ist zudem auch Art. 23 e einschlägig, nach dem der Gebrauch von Waffen, die
geeignet sind, unnötiges Leiden zu verursachen, verboten ist.
Das zwischen den USA, Nord- und Südvietnam geschlossene Abkommen über die Beendigung des
Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam vom 27. Januar 1973 markierte den
endgültigen Rückzug der USA aus dem Vietnamkrieg. Ohnehin waren zum Zeitpunkt des
Vertragsschlusses nur noch 23.500 US-Soldaten in Südvietnam stationiert; der größte Teil wurde ab
1968 abgezogen, dem Jahr in dem die Verhandlungen begannen. Diese zogen sich auch deshalb so sehr
in die Länge, weil die nordvietnamesische Regierung den Friedensprozess nicht vollständig nutzte, da
innerhalb der Regierung nach internen politischen Säuberungsaktionen 1967 (Vụ án Xét lại Chống Đảng)
endgültig der radikale Flüge um Lê Duẩn und Lê Đức Thọ in Nordvietnam dominierte, welcher eine
militärische Konfrontation ohne Rücksicht auf die Opferzahlen befürwortete28. In Hinblick auf das
Verhalten der USA ist die völkerrechtliche Gültigkeit des Pariser Abkommens jedenfalls zu verneinen.
Wie bereits erwähnt, begang das US-amerikanische Militär 1972 die Operation „Linebacker II“ vom 18.
Dezember bis zum 29. Dezember, also kurz vor dem Vertragsschluss. Mit dieser Operation übten die
USA einen Zwang in Form einer Gewaltanwendung zum Vertragsschluss auf die nordvietnamesische
Regierung aus. Mehrere Städte wie Hanoi und Haiphong wurden direkt und ohne Rücksicht auf Schäden
auf der Zivilseite angegriffen. Nur vier Wochen liegen zwischen dieser Operation und dem
Vertragsschluss. Ein Vertragsschluss, der durch Zwang erlangt wird, führt ganz allgemein dazu, dass der
zugrundeliegende Vertrag ungültig ist29.
Kurz nach dem Krieg wurde die ENMOD-Konvention verabschiedet, um eine Rechtslücke zu schließen.
Nachdem die USA in Vietnam mit der Operation „Popeye“ das Wetter beeinflussten, indem sie Wolken
impften und indirekt Regen produzierten, um den Zugang zum Ho-Chi-Minh-Pfad zu erschweren, wurde
das Abkommen zum Verbot der Nutzung von Einflüssen der natürlichen Umwelt als Waffe in die Wege
geleitet und von mittlerweile 77 Staaten – darunter auch die Vereinigten Staaten von Amerika –
ratifiziert30.
Aufarbeitung
Nach mehreren Dekaden der Untätigkeit31 wurde im Jahr 2007 die „U.S.-Vietnam Dialogue Group on
Agent Orange/Dioxin“ gegründet. Ein internationaler Fonds wurde eingerichtet, um den von dieser
Gruppe erarbeiteten Action-Plan 2010-2019 zu realisieren. Die Planungen sehen zum einen die
Umsetzung der Dekontamination von mit Dioxin schwer verseuchten Gebieten (z. B. in Danang) und
zum anderen die direkte Unterstützung betroffener Vietnamesen vor. Das ist insoweit ein Novum, als
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Siehe zu dieser Thematik nur Sandermann, Wilhelm in: Dioxin – Die Entdeckungsgeschichte des 2,3,7,8
Tetrachlordibenzo-p-dioxins (TCDD, Dioxin, Sevesogift), Naturwisenschaftliche Rundschau 1984 (5), S.
173-177.
Dazu: Asselin, Pierre in: A Bitter Peace: Washington, Hanoi, and the Making of the Paris Agreement,
2002.
Siehe auch: Art. 52 WVK.
United Nations, Treaty Series , vol. 1108, p. 151.
Im Hinblick auf die Schuldentilgung hat sich dagegen die Sozialistische Republik Vietnam als
Rechtsnachfolger der Republik Vietnam (Südvietnam) im Jahre 1997 dazu bereit erklärt, die Abbezahlung
derer Schulden in Höhe von mindestens 90 Mio. Dollar an die USA vorzunehmen: Kempster, Norman in:
Hanoi to Pay S. Vietnam’s Debts to U.S., Los Angeles Times, 11.3.1997 (http://articles.latimes.com/1997
03-11/news/mn-37025_1_united-states, Abgerufen am: 15.2.2013); siehe auch Davies, Nick in: Vietnam
40 years on: how a communist victory gave way to capitalist corruption, The Guardian, 22.4.2015
(http://www.theguardian.com/news/2015/apr/22/vietnam-40-years-on-how-communist-victory-gaveway-to-capitalist-corruption).
5
dass die USA lange Zeit den Zusammenhang zwischen dem Herbizideinsatz und dadurch ausgelösten
Krankheiten offiziell bestritt. Das US-amerikanische Institute of Medicine, welches schon seit über 20
Jahren eine Langzeitstudie über die Auswirkungen des Herbizideinsatzes auf US-amerikanische
Veteranen führt, nahm etwa erst 2008 mehrere Krankheiten in die Kategorie der „Limited evidence of
an associaton between exposure to herbicides and health outcomes“ auf, darunter auch erstmals eine
Erkrankung bei der Folgegeneration von Betroffenen (Spina bifida)32. Mit dieser Studie, die im direkten
Auftrag der US-Regierung unternommen wird33, ist das Potenzial für weitere Entschädigungszahlungen
nun riesig. Zur Realisierung des Action-Plans ist bislang eine Bedarfssumme von 300 Mio. US-Dollar
vorgesehen. Dafür wurde ein internationaler Fonds eingerichtet, in den bereits 91,2 Mio. US-Dollar
eingezahlt worden sind (Stand: 03/2012). Davon haben die USA 60,1 Mio. US-Dollar beigetragen. Den
Rest steuerten andere Staaten wie Kanada, Tschechien oder die Niederlande sowie Stiftungen wie die
Ford-Stiftung und als internationale Organisation die Vereinten Nationen bei34.
Die vietnamesische Regierung hat indessen ihr eigenes Hilfsprogramm aufgebaut. Von den geschätzt
4.8 Mio. Betroffenen in Vietnam wurden bereits 600.000 staatlich anerkannt. Davon bekommen bislang
wiederum 236.000 Personen Hilfszahlungen in Höhe von maximal 2 Mio. VND im Monat (etwa 70 Euro).
Dabei ist zu erwähnen, dass die vietnamesische Regierung noch heute nur solche Betroffene als
taugliche Zahlungsempfänger anerkennt, die sich im Krieg an dem gewaltsamen Umsturz Südvietnams
beteiligt haben. Dieser politische Unterscheidungsgrundsatz schlägt sogar auf die Kinder von Betroffen
durch, Art. 26 f. der Verordnung ‘26/2005/PL-UBTVQH11‘ des ständigen Ausschusses der
vietnamesischen Nationalversammlung35. Auch eine Reform des Gesetzes durch den ständigen
Ausschuss mit der Verordnung ‘04/2012/UBTVQH13‘ im Jahr 2012 brachte keine flächendeckende
Änderung, sondern nur eine Konkretisierung und Ausweitung der Hilfen für den bereits 2005
festgelegten Adressatenkreis. Dieses grundlegende Problem wurde von Mitgliedern des
Vietnamesischen Verbands der Opfer von Agent Orange (VAVA) öffentlich kritisiert, etwa in der
vietnamesischen Abgeordnetenzeitung36. Die vietnamesische Agent Orange-Politik muss als
verfassungswidrig angesehen werden. Laut Art. 16 Abs. 1 der Vietnamesischen Verfassung sind „alle
Menschen vor dem Gesetz gleich.“ („Mọi người đều bình đẳng trước pháp luật.“). In Art. 16 Abs. 2 heißt
es weiter „Niemand darf im politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen
Leben unterschiedlich behandelt werden.“ (Không ai bị phân biệt đối xử trong đời sống chính trị, dân
sự, kinh tế, văn hóa, xã hội). Auch die 2014 von Vietnam ratifizierte UN-Behindertenkonvention enthält
Gleichbehandlungsgebote und Fürsorgepflichten, etwa in Art. 5 und in Art. 9. Bislang ist Vietnam diesen
Pflichten nicht nachgekommen.
Es ist davon auszugehen, dass die Zahlungen noch weiter steigen werden. Abzuwarten bleibt, ob sie
nach dem Erreichen der Zielmarke von 300 Mio. Dollar eingestellt werden. Im Action-Plan wird von 28
Gebieten ausgegangen, in denen hohe bis unbekannte Risiken für schwere Verseuchungen bestehen37.
Angesichts der kostenaufwendigen Dekontamination und der Anzahl der Betroffenen ist die Zielsumme
verhältnismäßig gering. Hier ist eine aufmerksame Öffentlichkeit gefragt, die dafür sorgt, dass die USA
ihren Reparationspflichten nachkommen und dass auch andere Staaten, aus denen die Herbizide bzw.
deren Zwischenprodukte exportiert haben (wie etwa aus der Bundesrepublik Deutschland38), finanziell
zur Aufarbeitung der entstandenen Schäden beitragen.
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Veterans and Agent Orange (Summary), Update 2010, S. 8.
Zur Sicht der vietnamesischen Regierung auf Krankheitszusammenhänge: BO Y TE, So: 09/2008/QD-BYT.
Declaration and Plan of Action, Aspen Institute, Second Year report, Mai 2012, S. 25.
Abrufbar auf der Onlinepräsenz des vietnamesischen Justizministeriums (Bộ Tư pháp Việt Nam):
http://www.moj.gov.vn/vbpq/Lists/Vn%20bn%20php%20lut/View_Detail.aspx?ItemID=17768
Báo điện tử Đại biểu nhân dân: ĐBQH Nguyễn Văn Rinh: àng triệu nạn nhân chất độc da cam/dioxin đang
chờ đợi được thụ hưởng chính sách ưu đãi, 10.8.2012
(http://www.daibieunhandan.vn/default.aspx?tabid=144&NewsId=254871, Abgerufen am 15.2.2013).
Declaration and Plan of Action, Aspen Institute, Second Year report, Mai 2012, S. 12.
Schnibben, Cordt in: Der Tod aus Ingelheim, Spiegel 32/1991 (5.8.1991), S. 106-120.
6
Der schrittweise Wandel der US-Außenpolitik in den letzten Jahren ist nicht unbedingt auf die
Gutherzigkeit der USA zurückzuführen. Die Hilfe für Vietnam erscheint insbesondere angesichts der
Tatsache fragwürdig, dass für Laos und Kambodscha bislang kaum etwas getan wurde, obwohl auch
diese Staaten noch immer mit den Folgen des Krieges zu kämpfen haben. Die neue Annäherung zu
Vietnam kann auch als Teil einer neuen geopolitischen Strategie der US-Regierung verstanden werden.
Durch das stetig an Macht gewinnende China, das immer offener mit seinen Anreinerstaaten über
Souveränitätsansprüche über Inselgruppen und Ausbeutungsrechte im Süd- und Ostchinesischen Meer
streitet, steigt das Konfliktpotenzial weiterhin39. Die sich zuspitzende Lage wird durch Aufrüstungen
insbesondere der jeweiligen Seestreitkräfte auf allen Seiten deutlich. Im Südchinesischen Meer ist die
Konkurrenz um Fische und Rohstoffe groß40. Die Seewege sind von großer Bedeutung. Beteiligte
Konfliktparteien sind hierbei neben China und Taiwan auch die Philippinen, Malaysia, Brunei und eben
Vietnam.41 Und die Beziehungen zu Staaten im Pazifikraum zu stärken gehört zur Agenda der ObamaAdministration. Für die von den Kriegsfolgen Betroffenen in Vietnam bestehen gerade darin enorme
Chancen, in Zukunft noch mehr Zuwendungen durch die USA zu erhalten.
Schlussbemerkungen
Vietnam, Laos und Kambodscha haben zahlreiche Ansprüche gegen die USA, die noch nicht erfüllt
worden sind. Um in der Zukunft einen völkerrechtskonformen Zustand zu erreichen, müssen die USA
die Wiedergutmachungsleistungen noch erheblich steigern beziehungsweise damit beginnen,
Leistungen zu stellen. Die Articles on States Responsibility der UN-Völkerrechtskommission halten unter
anderem folgende Rechtsfolgen als konkrete Handlungsmöglichkeiten hierfür bereit: Garantie der
Nichtwiederholung, volle Wiedergutmachung des verursachten Schadens, Geständnis der Verletzung
und eine förmliche Entschuldigung42.
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Felix Klickermann, geboren 1988 in Berlin, arbeitete nach dem Abitur während eines sozialen Jahres mit Kriegsgeschädigten im Dorf der
Freundschaft in Hanoi (www.dorfderfreundschaft.de). Seit seiner Rückkehr studiert er Rechtswissenschaften an der Europa-Universität
Viadrina in Frankfurt (Oder) im Schwerpunkt Internationales Recht. Daneben betreut er verschiedene soziale Projekte, unter anderem den
Dokumentarfilm „Lighter Than Orange – The Legacy of Dioxin in Vietnam“ (www.lighterthanorange.com) von Matthias Leupold.
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42
Im Südchinesischen Meer wird vor allem um die Paracel-Inseln und die Spratly-Inseln gestritten, im
Ostchinesischen Meer geht es um die Senkaku-Inseln. Im Südchinesischen Meer etwa wird ein
Rohstoffvorkommen von 11 Mrd. Barrel Öl und über 5 Mio. Kubikmeter Gas vermutet (EIA Report fort he
South Chinese Sea, February 7, 2013 [http://www.eia.gov/countries/regions-topics.cfm?fips=SCS,
abgerufen am 15.2.2013]).
Im März 2009 kam es im Südchinesischen Meer zu einer Konfrontation, als dort ein US-amerikanisches
Überwachungsschiff (die USNS Impeccable) operierte. Das Schiff befand sich nach Auffassung Chinas in
dessen ausschließlicher Wirtschaftszone und wurde daraufhin von chinesischen Schiffen bedrängt und
letztlich zum Verlassen der Region gebracht. Der Vorfall ereignete sich ganz in der Nähe vom Golf von
Tonkin.
Sérra, Regine in: Begehrte Inseln im Südchinesischen Meer, Atlas der Globalisierung 2012, S. 138.
Art. 30 ff. Articles on States Responsibility; sowie Art. 3 HLKO und Art. 91 ZP (1) GK IV.
7