Rückert und Platen

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Am 21. August 1820 besucht August von Platen seinen Dichterkollegen
Friedrich Rückert in Ebern
Poetisches Gipfeltreffen
In der Rückschau ist der 21. August 1820 ein denkwürdiger Tag für Ebern. An
diesem Tag lernen sich zwei der bekanntesten deutschen Dichter zum ersten Mal
persönlich kennen: Der in der Rittergasse bei seinen Eltern wohnende Friedrich
Rückert (1788-1866) hat Besuch: Der Gast kommt aus Erlangen, es ist August
von Platen (1796-1835).
Die Begegnung markiert den Beginn einer lang währenden Freundschaft. Als
Poeten und Stückeschreiber haben die zwei die gleichen Vorlieben, Interessen
und Ideen. Das sind zum einen Motive und Stoffe aus der deutschen
Nationalgeschichte, die vornehmlich in ihre Theaterstücke einfließén. Lorbeeren
ernten sie damit nicht. Rückerts Schauspiele fallen restlos durch. Platen findet
zwar zeitweise mehr Beachtung, aber heutzutage kommt jeder Spielplan ohne
seine Stücke aus. Mehr Anerkennung bringt beiden das Verseschreiben ein. Bis
in die Gegenwart gehört ihr lyrisches Schaffen zum Besten, was die deutsche
Dichtung zu bieten hat.
Beide begeisterten sich für die Dichtung aus dem Morgenland und eiferten ihr
nach. Goethe hatte es mit seinem „West-östlichen Divan“ vorgemacht. Doch
was dem auf die 70 zugehenden deutschen Klassiker eher ein frivoler
Zeitvertreib – er hatte sich gerade wieder mal in eine wesentlich jüngere Frau
verliebt –, war Rückert und Platen mühevolles und zähes Studium. Goethe,
darin ganz mandarinhafter Pascha, machte es sich bequem und ließ sich von
Übersetzungen inspirieren. Platen und Rückert wollten das Original kapieren.
Diese erste Begegnung in Ebern hing allerdings an einem seidenen Faden.
Zeitlebens ein wankelmütiger und zerrissener Charakter, war Platen auch in
Ebern unschlüssig, wollte die Stadt schon wieder verlassen, bevor er es sich
doch anders überlegte. In seinem Tagebuch ist es nachzulesen. In Bamberg war
er mit einem Freund zu diesem Fußmarsch nach Ebern aufgebrochen: „Wir
verließen das schöne Bamberg und wandten uns gegen Rentweinsdorf zu. Mein
Herz schlug, als wir den schönen Grund nach Rentweinsdorf hinunterstiegen, als
wir erst zur Rechten mit seiner Buschinsel den schönen Teich, dann das Dorf
und das Rothansche Schloß erblickten. Wir gingen zuerst in die Gartenanlagen.“
Ermüdet von der langen Wanderung legt er sich ins Gras und schläft ein. Der
alte Rotenhan entdeckt und weckt ihn. Platen kennt dessen Sohn, aber der ist
unterwegs. Da er nicht eingeladen wird zu bleiben, speist er mit seinem
Reisebegleiter in einem Gasthaus. Im Tagebuch heißt es weiter: „Nach Tische
wandten wir uns gegen Ebern, wo Friedrich Rückert wohnt, eine halbe Stunde
von Rentweinsdorf. Wir hatten noch hier ein Gedicht von ihm gelesen, Die drei
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Quellen. Doch kam mich ein Eigensinn an, ihn nicht zu besuchen. Ich wollte
wieder nach Bamberg, doch reute mich’s vor dem Thor von Ebern, ich kehrte
um und eilte zu Rückert. Seinen Äußeren nach ist er sehr groß und stark, er sieht
etwas finster, und durch eine schwere Krankheit im vorigen Winter, etwas
gealtert aus. Er ließ mir durch sein offenes, mildes, ungeschminktes Betragen
eine sehr angenehme Erinnerung zurück. Es versteht sich, daß unsere
Unterhaltung meist Literatur und Poesie betraf. Nun hat er sich meist mit dem
Persischen beschäftigt, wovon wir auch viel zusammen sprachen.“
Platen übernachtet in Ebern und macht sich am nächsten Tage wieder auf die
Rückreise nach Bamberg. Man bleibt in Kontakt. Briefe wechseln. Rückert ist
gerade dabei, seinen Wirkungskreis nach Coburg zu verlagern. In der dortigen
herzoglichen Bibliothek kann er sich mit orientalischer Literatur versorgen. In
Coburg lernt er auch seine zukünftige Ehefrau kennen, die er bald heiratet.
Rückert braucht jetzt materielle Sicherheit, einen festen Arbeitsplatz. Immer
noch steht er bei seinem Verleger Cotta in der Kreide, der ihm 1817 eine
Italienreise finanziert hatte. Ähnlich trübe ist Platens finanzielle Lage. So helfen
und fördern sie sich gegenseitig. Rückert, der sich seit einigen Jahren als Autor
und Redakteur periodisch erscheinender Almanache einige Taler verdient,
bemüht sich, Gedichte von Platen unterzubringen. Platen macht in Erlangen,
seinem Wohnort, Werbung für Rückert, der an der dortigen Universität einen
Lehrauftrag ergattern will.
Sehr begehrt sind übrigens diese neuartigen Taschenkalender Anfang des 19.
Jahrhunderts insbesondere bei der Frauenwelt, deren Emanzipation sie
voranbringen, bieten sie doch Stoff für anspruchsvolle Gespräche, die sich nicht
nur um Heim und Herd und um Kind und Kegel drehen. Unter den Autoren
findet man alles, was in der deutschen Literatur Rang und Namen hat. Und so
nutzen auch Rückert und Platen dieses Forum, um das Neueste aus ihrer
Schreibwerkstatt unter die Leute zu bringen und auf sich aufmerksam zu
machen.
Rückert ist in dieser Dichterfreundschaft der Stetigere, der mit nie erlahmender
Präzision und Ausdauer den arabischen Schriftzeichen auf die Schliche kommen
will. Schier endlos muss sich Platen in den Briefen anhören, was dieses oder
jenes Zeichen eigentlich doch zu bedeuten hätte und wird ermahnt, nicht zu
hudeln und zu sudeln. Mit Halbwahrheiten gibt Rückert jedenfalls sich nicht
zufrieden. Er will ins Wesen und in den Geist der fremden Sprache vordringen.
Platen hingegen sind strenge Form und artistische Formulierung das einzig
Wahre. Im Sprachwissenschaftlichen weniger tiefgründig, kommt er jedoch
schneller voran. In kurzen Abständen erscheinen zwei Bände mit Gedichten in
Gestalt von Ghaselen (persisches Reim- und Versmuster). Beim Publikum
kommen sie besser an als Rückerts „Östliche Rosen“, die 1822 erscheinen. Den
wurmt’s. Rückert klagt gegenüber einem Freund, dass Platen „etwas
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selbstsüchtig mir die Ehre der ersten Einführung der persischen Liederform
(Ghasele) weggenommen hat, hat mich Anfangs etwas gekränkt“.
Hält Rückert sich in Erlangen auf, trifft er Platen. Da wird dann eifrig
nachgeholt, auf was er in Coburg verzichten muss. Im Oktober 1823 schreibt er
Platen: „Es ist hier keine Seele, mit der ich ein Wort über Poesie sprechen
möchte.“ Rückert macht Platen überdies Mut, weiter als Theaterautor aktiv zu
bleiben. 1825 schreibt er ihm: „Nun Glück auf. Sie müssen nun wenigstens alle
6 Monate ein neues Stück herausfördern.“ Zuspruch und Ermunterung
verpuffen.
1826 geht Rückerts Berufswunsch in Erfüllung. Er wird – nachdem er
unterdessen auch ein Gesuch an den bayerischen König gerichtet hat – Professor
für Orientalistik in Erlangen. Doch da ist Platen bereits auf dem Absprung.
„Dies Land der Mühe, dieses Land des herben / Entsagens werd’ ich ohne
Seufzer missen, / Wo man bedrängt von tausend Hindernissen / sich müde quält
und dennoch muß verderben“, dichtet er. Es zieht ihn nach Italien. In
Deutschland sieht er für sich keine Zukunft mehr. „Ich werde nie zu etwas
kommen und aus dem Leben gerade so fremd gehen, als ich hineingeraten“,
heißt es im Tagebuch, das er als „fortlaufende Geschichte meiner
Empfindungen“ versteht. Selbstzweifel, Melancholie, Todesverlangen,
unerfüllte Sehnsüchte quälen ihn. Um darüber zu kommunizieren, ist der
häuslich orientierte und sesshaft gewordene Rückert kein geeigneter Brief- und
Gesprächspartner mehr.
Platen verliert sich im Süden und endet auf tragische Weise 39-jährig in
Syrakus. „Mir, der ich bloß ein wandernder Rhapsode, / Genügt ein Freund, ein
Becher Wein im Schatten, / Und ein berühmter Name nach dem Tode.“ Ein
Wunsch, der sich erfüllt. Berühmt wird der eine wie der andere.
Hubert Fromm