Umsponnen Vernetzt Und Gekämmt

© 2011 SCHOTT GlasMuseum Jena und Autor
Herausgeber:
Förderverein SCHOTT GlasMuseum e.V., Jena
Idee und Konzept: Volkmar Schorcht, Jena
Texte, Fotografie und Layout: Volkmar Schorcht, Jena
Organisation und Lektorat:
Dr. Angelika Steinmetz-Oppelland, Jena
Druck: Druckhaus Gera
Front rechts: Vase »Phänomen Gre 356« von Johann
Lötz Witwe zur Weltausstellung Paris 1900,
Entwurf: Franz Hofstötter (Kat.-Nr. 22).
Rückseite: Drei Gläser mit Zuschreibung an die Raffinerie und Glasfabrik Fitz Heckert, um 1900
(Kat.-Nrn. 122-124).
und
Klappe vorn: Montierte Vase mit Libellen, Johann Lötz
Witwe, um 1900 (Kat.-Nr. 7).
Umsponnen, Vernetzt
Front links: Kleiner Pokal mit Silberfuß. Kristallglasfabrik Benedikt von Poschinger, Oberzwieselau,
Entwurf: Georg Carl von Reichenbach, 1906-10
(Kat.-Nr. 99).
Gekämmt
Umschlagabbildungen:
Klappe hinten: Zwei Hyazinthenvasen mit plastischen
Fadennetzen, Glasfabrik Elisabeth, Wilhelm Habel,
um 1900 (Kat.-Nrn. 64 und 66).
ISBN 978-3-9813035-7-5
Die Herausgabe des Katalogs wurde ermöglicht
durch die Unterstützung der Heimstätten-Genossenschaft Jena e.G., des Fördervereins SCHOTT GlasMuseum e.V., des Druckhauses Gera und des Autors.
Umsponnen
Vernetzt und
Gekämmt
Glasfäden auf Kunstgläsern
des Jugendstils aus einer
Jenaer Privatsammlung
SCHOTT GlasMuseum
Die Jenaer Privatsammlung stellt ein breites Spektrum
an hüttenfertigen Gläsern des Jugendstils vor, die auf
unterschiedlichste Art und Weise mit Glasfäden dekoriert sind. Sie konzentriert sich auf Erzeugnisse des
böhmischen, schlesischen und bayerischen Raums,
den Zentren der mitteleuropäischen Glasproduktion
um die Wende zum 20. Jahrhundert.
Der Katalog zur Ausstellung mit 131 Gläsern bietet
einen unvergleichlichen Überblick über die Dekortechniken des Umspinnens, Vernetzens und Kämmens
vor dem Ofen.
Die mit großer Sorgfalt und Liebe gemachten Fotos
sämtlicher Gläser der Ausstellung dienen nicht allein
der Dokumentation, sie sind von augenscheinlicher
Ästhetik. So will der Katalog nicht nur eine Zusammenstellung bieten, sondern zugleich ein Bildband
sein, eine Augenweide für Freunde der Glaskunst
und des Jugendstils und eine Orientierungshilfe für
Sammler, Kunsthändler und Museen.
Der Sammler selbst stellt die Gläser aus seinem persönlichen Blickwinkel vor, stellt sie in den kunsthistorischen Kontext und betrachtet auch die Techniken.
Herausgekommen ist ein Buch über den Fadenzauber
im Lüsterglanz.
38
Argusaugen
Der Dekor »Argus« (Gre 2/351) vereint Silberfaden und Silbertupfen. Das Glas ist mit einem
hell- bis dunkelbraun verlaufenden Farbton über­
fangen, darauf sitzt eine deckende Schicht hellgrüner Krösel. Die blaumetallisch schimmernden
Fäden und Tupfen beschränken sich auf die obere
Partie des Gefäßes. Der dünn umsponnene Silberfaden ist partiell auf- und abwärts gekämmt, teilweise auch zu Spiralen verzogen. Die silbergelben
Tupfen – farblos geädert – verteilen sich in Reihen
oder versetzt zueinander über dem Fadendekor.
Die Komposition von Verlaufsüberfang, Kröselaufschmelzung, Fadenumwicklung und Tupfenapplikation gehört zu den komplizierten und
damit teuren Phänomen-Genres. Offensichtlich
tat dies dem Erfolg des Dekors keinen Abbruch.
Auf einer Vielzahl an Formen zu finden, zählt er
heute wieder zu den beliebtesten auf Lötzgläsern.
Der Dekorname ist wahrscheinlich von Argus
(oder Argos) abgeleitet, dem hundertäugigen
Ungeheuer der griechischen Mythologie. Er deutet
auch auf die beabsichtigte Wirkung hin. Augen
versprühen Vitalität und ziehen den Blick an. In
Abwandlungen finden sich die „Augen“ auch auf
anderen Phänomen-Dekoren wie dem eng verwandten Genre 3/430 mit gelben und rötlichen
Unterfängen. Als Vorstufen des »Argus«-Dekors
gelten die viel selteneren Phänomen-Varianten
Meisterliche Fäden – Johann Lötz Witwe
1/215 und 1/696.37 Hier fehlen noch Farbverlauf
und Kröselschicht und der Dekor aus wirr bzw. regelmäßig eng umsponnenen Fäden und verteilten
Silbertupfen ist flächendeckend.
Zarte Spiralfäden in Silbergelb winden sich
auf zahlreichen Phänomen-Dekoren. Sie sind zu
Federn gestreckt, auf- und abwärts gekämmt, zu
Spiralen verzogen und manchmal auch zu irregulären Netzwerken versponnen. In den frühen
Genres sind sie das bestimmende Gestaltungselement. Dann treten sie mehr in den Hintergrund
und verschmelzen mit den silbrig glänzenden Bändern, Fäden und Tupfen des Hauptdekors.
37 Abbildungen
in Lötz 2003, S. 122, Nrn. 74 und 75
23 Kleine Vase »Argus«
Johann Lötz Witwe, Klostermühle, 1902. Signiert:
„Loetz Austria“, graviert in der Bodenkugel.
Farbloses Glas, braun verlaufend überfangen.
Bedeckt mit hellgrünen Kröseln. Obere Hälfte eng
mit dünnem silbergelben Faden umsponnen. Die
Fadenreihung unregelmäßig verzogen. Über den
Fäden zwei Reihen radial grün gestreifter, silbergelber Tupfen. Lüstriert und irisiert. H 8,5 cm.
24 Kleine Vase
»metallrot Phänomen Gre 3/430«
Johann Lötz Witwe, Klostermühle, 1903.
Rotorange verlaufend unterfangen, grüngelbe Kröselaufschmelzung. Obere zwei Drittel des Gefäßes
mit parallel aufgesponnenen Silbergelbfäden, mit
dem Haken verzogen. Darüber verteilt angeordnete,
silbergelbe, farblos radial geäderte Tupfen.
Lüstriert und irisiert. H 10 cm.
23
24
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»Aeolus« und »Antigon«
Plastische Fäden durchziehen weitere Lötz­
dekore des Jugendstils. Zeitgleich mit »Formosa«
gestaltete die Lötzhütte Gläser mit einem Wel­
lendekor, bezeichnet mit »Aeolus«. Die Wellen
formen sich aus einem silbergelben Faden, der
eng und gleichmäßig umwickelt ist. Sie sind
perfekt aufgereiht und entstanden durch Einblasen
des umsponnenen Külbels in eine Vorblasform
aus senkrechten Metallstreben. Lötz verwendete
hierfür ausschließlich rosa- (»camelienrot«) und
orangefarbene Unterfänge. Die flächendecken­
den Fadenwellen mit ihrem zarten perlmutter­
nen Glanz scheinen auf der Gefäßoberfläche
wie ein Wasserschwall eingefroren zu sein. Die
kräftige Lichtbrechung an den silbrigen Fäden
unterstreicht den Charakter vom Wind geformter
Wellen. Vielleicht rührt daher auch der Name.
„Aeolus“ ist die latinisierte Form von „Aiolos“,
dem griechischen Gott der Winde.
Der Aeolus-Dekor befindet sich überwiegend
auf Formen mit fließenden Konturen, zum Teil mit
mehrfachen Eindrücken oder Ausbuchtungen.
Die Gefäße verströmen eine unterschwellige
Harmonie mit den schwingenden Fäden auf ihrer
Oberfläche, gerade so, als wären sie selbst aus
der Begegnung mit einer stürmigen Naturgewalt
hervorgegangen. Wie erfolgreich die Serie war,
ist schwer zu beurteilen. Heute kommen diese
Meisterliche Fäden – Johann Lötz Witwe
Gläser nicht sehr häufig vor. Auf einem Muster­
schnitt ist eine dem »Aeolus« entsprechende grüne
Version (»creta mit creta festoniert«) mit »Antigon«
bezeichnet. Die Vase 31 ist das einzige bislang
dokumentierte Glas mit diesem Dekor. Vermutlich
blieben »Aeolus« und »Antigon« nur kurze Zeit im
Fertigungsprogramm.
29 Vase »camelienrot Aeolus«
Johann Lötz Witwe, Klostermühle, um 1902,
Prod.-Nr. 2/597 (Mündung variiert). Helllachsfarbener Opalunter­fang, mit plastischem silbergelben
Faden umsponnen, zu Wellen im Rippenmodel
verzogen. Lüstriert und irisiert. H 15 cm.
30 Balustervase »orange Aeolus«
Johann Lötz Witwe, Klostermühle, um 1902.
Orange unterfangen, farblose Deckschicht mit plastischem silbergelben Faden umsponnen, zu Wellen
im Rippenmodel verzogen. Lüstriert und irisiert.
H 17,5 cm.
31 Vase »Antigon, creta mit creta festoniert«
Johann Lötz Witwe, Klostermühle, 1902.
Grünes Glas mit plastischem silbergelben Faden
umsponnen, zu Wellen im Rippenmodel verzogen.
Lüstriert und irisiert. H 12 cm.
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Weitere Dekortechniken mit Fäden
Gläser mit „Schuppen“ ist die wohl nahe
liegendste Beschreibung für einen unverwechselbaren Dekortypus mit farblosen Fäden. Die im
Optikmodel zu Wellen geformten und stark verdrehten Fäden konturieren die Schuppen aus stark
lüstrierenden, dicht gepackten Kröseln. Unruhig
wie ein Wasserschwall auf einer Fensterscheibe
driften die Fäden im schrägen Zickzack über die
Oberfläche. Das Glas ist am häufigsten dunkelblau, seltener in Grün- und Gelbtönen gefärbt.
Eine beliebte Hüttenveredelung aus dem
Hause Kralik hat auf den ersten Blick nichts mit
Fadentechniken zu tun. Hier sind die Fäden,
genau genommen kleine Fadenstückchen, die
dekorative Zutat. Die Glasmacher verwendeten
gezogene Glasfäden, die sie nach dem Abkühlen
zu Splittern zerstießen. Auf die heiße Glasblase
brachten sie zunächst eine deckende Schicht
silberhaltiger Krösel auf und lüstrierten die Oberfläche. Erst dann wälzten sie das Werkstück über
eine Platte mit den darauf verteilten Fadensplittern
und bliesen es anschließend in ein Model, eine
Holz- oder Metallform. Zum Schluss setzten sie
das Gefäß kurze Zeit den Metalldämpfen in der
Irisiertrommel aus. Im Ergebnis kam ein Dekor
mit polarlichtartigem Lüster zum Vorschein. Ein
Farbenspiel, das dem Auge insbesondere in der
Ungeläufige Fäden – Wilhelm Kralik Sohn
blauen Version Vergnügen bereitet. Die eingewalzten Fadensplitter brechen im matten Lüster­
glanz hervor. Sie verlebendigen das Äußere,
geben dem Glas den Charakter von Flüchtigkeit
und Vergänglichkeit. Der Dekor war vermutlich
auch einer der erfolgreichsten aus Eleonorenhain.
51 Vase
Wilhelm Kralik Sohn, Eleonorenhain,
um 1900–1905.
Blaues Glas. Deckende Schicht aus silbergelben Kröseln. Farbloser Faden spiralförmig umsponnen und
im Rippenmodel zu Wellen verzogen und verdreht.
Lüstriert und irisiert. H 17 cm.
52 Vierpassige Vase
Wilhelm Kralik Sohn, Eleonorenhain,
um 1900–1905.
Olivgrün unterfangenes Glas. Deckende Schicht
silbergelber Krösel. Farbloser Faden spiralförmig
umsponnen, im Rippenmodel zu Wellen verzogen
und stark verdreht. Lüstriert und irisiert. H 9,5 cm.
53 Vierpassige Vase
Wilhelm Kralik Sohn, Eleonorenhain,
um 1900–1905.
Farbloses Glas, dicht mit Silbergelbkröseln bedeckt
und mit violetten Fadensplittern dekoriert.
Lüstriert und irisiert. H 9,5 cm.
54 Kännchen
Wilhelm Kralik Sohn, Eleonorenhain,
um 1900–1905.
Kobaltblaues Glas, dicht mit silbergelben und roten
Kröseln bedeckt und mit farblosen Fadensplittern
dekoriert. Nickelmontierung mit Scharnierdeckel
und Henkel. Lüstriert und irisiert. H 20,5 cm.
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Starke Fäden – Glasfabrik Elisabeth
Die unkonventionell expressiven Formen teilen
sich auch die Farbkombinationen aus gelbgrün
unterfangenem Glas und rubinrot geäderten Fäden. Gemeinsam mit den dunkel unterfangenen
Gläsern dürften diese plastischen Fadendekore zu
den beliebtesten der Elisabethproduktion gehört
haben. Dank der originellen Gefäßformen und
organisch verästelten Fadenabwicklungen gewinnt die handwerklich wenig aufwendige Technik
durchaus schöpferische Qualität.
Irisierte Glasgefäße mit lachsroter Färbung
und dunkelviolettem Fadennetz überzeugen
ebenfalls durch ihre Einzigartigkeit.16 Trotz vergleichbarer Fadentechnik unterscheiden sie sich
deutlich durch das lachsrot gefärbte, pockennarbige Grundglas. Über einem rosa- oder gelbopal
gefärbten Unterfang trägt der kräftige, farblose
Mantel eine dünne, lachsrosa oder bräunlichgelb
gefärbte Pulverschicht. Die Oberfläche ist mit
kleinen Bläschen genarbt, sie wirkt dadurch rau
und porös. Farbe und Struktur erinnern an Korallenstöcke. Wiederum bezaubern vornehmlich die
Entwürfe mit Naturformen und gewellten Mündungen, mit ausgezogenen Henkeln oder gestreckten
Gefäßteilen.
16 Pazaurek
oJ, S. 40-42, Abb. 29 und 30
63 Amorphe Vase »Koryntha«
Glasfabrik Elisabeth, Wilhelm Habel, Kosten,
um 1900–1905.
Hellgrün unterfangenes Glas. Mit rubinrot geäderten, plastischen Fäden netzartig und unregelmäßig
umsponnen. Lüstriert und irisiert. H 25 cm.
64 Große Hyazinthenvase »Koryntha«
Glasfabrik Elisabeth, Wilhelm Habel, Kosten,
um 1900–1905.
Hellgrün unterfangenes Glas. Mit rubinrot geäderten, plastischen Fäden netzartig und unregelmäßig
umsponnen. Lüstriert und irisiert. H 41 cm.
65 Öllämpchen »Koryntha«
Glasfabrik Elisabeth, Wilhelm Habel, Kosten,
um 1900–1905. Hellgrün unterfangenes Glas.
Unregelmäßig horizontal und vertikal aufgelegte,
halbplastische Fäden aus rubinrot geädertem Glas.
Lüstriert und irisiert. Brenner aus Gelbmetall mit
Schraubverschluss. H 12,5 cm.
66 Große Hyazinthenvase
Glasfabrik Elisabeth, Wilhelm Habel, Kosten,
um 1900–1905. Mit bräunlichem Gelbopal unterfangen und lachsfarbener Deckschicht. Unregelmäßiges Gitternetz aus dunkelvioletten, halbplastischen Fäden. Lüstriert und irisiert. H 41 cm.
67 Amorphe Vase
mit schnabelförmiger Öffnung
Glasfabrik Elisabeth, Wilhelm Habel, Kosten,
um 1900–1905. Mit Rosaopal unterfangen und
lachsfarbener Deckschicht. Unregelmäßiges Gitternetz aus dunkelvioletten Fäden.
Lüstriert und irisiert. H 41 cm.
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Silbergelbe Fäden
Von Rindskopf’s Söhne stammt ein sehr selten
zu findender Dekor mit Silbergelbbändern auf
violettem Grund, stark glänzend lüstriert und
irisiert. Die Bänder sind zu symmetrisch hängenden Bögen verzogen. Auch diese Variante der
verhaltenen, unverschnörkelten Fadenapplikation
und reduzierten Farbigkeit ist ansprechend und
verwandelt ein eintöniges Gefäß in einen edlen
Ziergegenstand.
Die Jugendstilgläser mit Fadendekoren der
Firma Rindskopf’s Söhne reichen summarisch
betrachtet, und sofern eine Zuschreibung möglich
ist, nicht an die Vielfalt und Originalität anderer böhmischer Glashütten heran. Sie sprechen
dennoch eine eigene Sprache und haben zumindest exemplarisch das Spektrum der böhmischen
Hüttengläser erweitert und bereichert. Die Einbeziehung einer farblosen Glasschicht in den Dekor
ist eine bemerkens- und achtenswerte Besonderheit. Die Ziergläser aus opakrot marmoriertem
Grundglas und die mit Aventurinfäden dekorier­
ten Gefäße sind offensichtlich auf ein großes
Kundeninteresse gestoßen und haben auch heute
noch ihren berechtigten Platz in Museen und
Sammlungen.
Seltene Fäden – Josef Rindskopf‘s Söhne
Auch wenn Umfang und Qualität der Kunstglasproduktion der Glasfabrik Josef Rindskopf‘s
Söhne nur in Ansätzen bekannt sind, können wir
sie zu den führenden böhmischen Produzenten
dekorativen Glases um 1900 rechnen. Ihr Interesse am Jugendstilglas ließ nach 1905 schnell
nach. Damit erstreckt sich die Blütezeit der Rindskopfschen Jugendstilgläser auf nicht einmal zehn
Jahre.
89 Schalenförmige Vase
Josef Rindkopf‘s Söhne, Teplitz-Schönau,
um 1900–1905.
Violett unterfangenes Glas, durch die Lüstrierung bronzefarben. Auf der Klarglasschicht glatt
eingearbeitete silbergelbe Fäden zu herabhängenden
symmetrischen Bögen verzogen.
Lüstriert und irisiert. H 22,5 cm.
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89
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Federn und Bogenmuster
Symmetrische Feder- und Bogenmuster gehören zu den vorzüglichsten Fadenkompositionen
auf Jugendstilgläsern. Sie schmücken auch die
Serienware der Glashüttenwerke Buchenau. Wenn
hier die Dekortechnik nicht so anspruchsvoll ist,
die Qualität der Ausführung ist stets von Güte.
Der mit Pfauenfedern assoziierte Dekor ist in
mehreren Farbvarianten auf farblosen und farbig
überfangenen Poschingergläsern zu entdecken.
Bestechend ist immer wieder die Präzision, mit
welcher der Faden umsponnen und das Federmuster gezogen wurde. In dieser Dekorvariante
sind die Fäden eingearbeitet und geglättet, nahezu ohne Relief.
Eine andere Gläsergruppe Poschingers mit
Bogenmustern besticht wiederum durch ihre Präzision. Die glatt mit der Oberfläche abschließenden
Fäden sind diagonal zu bogenförmigen Bändern
verzogen. Der Dekor ist dem »Phänomen Genre
7624« von Johann Lötz Witwe ähnlich, was häufig
zur falschen Zuschreibung führt. Nur verwendete
Poschinger statt silbergelben Fäden opalweiße,
farblos ummantelte.
Feine Fäden – Poschinger Glashüttenwerke Buchenau
Kräftige, dunkelrote Fäden auf dunkelviolettem
Glas prägen eine ausdrucksvolle Gruppe von
Luxusgläsern. Die roten (seltener opalweißen28)
Fäden kontrastieren wunderbar zum blauschwarz
schimmernden Untergrund. Ihre Strahlkraft erzielen sie durch einen farblosen Mantel um den
roten Kern. Sie sind gleichmäßig gesponnen und
vertikal nahezu über die gesamte Gefäßhöhe zu
Federmustern verzogen. Auf einer sehr seltenen
Variation dieser Technik erscheinen die Federmuster regelrecht zerzaust.29
28 Abbildung
29 Abbildung
in Fischer 2003, 142. Auktion, Los 608
in Sellner 1992, S. 56, Nr. 36
91 Vase mit Federmuster
Glashüttenwerke Buchenau, Ferdinand von
Poschinger, um 1900.
Farbloses, satiniertes Glas mit vierteiligen Federmustern aus braunen, zu Bändern aufgeschmolzenen Fäden. Matt lüstriert und irisiert. H 14 cm.
92 Kleine Vase
Glashüttenwerke Buchenau, Ferdinand von
Poschinger, um 1900. Dunkelviolettes Glas. Regelmäßiger, zu diagonalem Bogenmuster verzogener
Fadendekor aus opalisierenden, farblos ummantelten
Fäden. Irisiert. H 12,5 cm.
93 Kleine Vase
Glashüttenwerke Buchenau, Ferdinand von
Poschinger, um 1900.
Dunkelviolettes Glas mit dreiteiligen Federmustern
aus farblos ummantelten, roten Fäden.
Lüstriert und irisiert. H 12 cm.
103
91
92
93
140
Andererseits sind im Passauer Glasmuseum –
ebenfalls von Frau Zelasko kuratiert – formidentische Stücke, die sogar die gleichen Werkzeugspuren aufweisen, als Erzeugnisse von Fritz Heckert
ausgestellt.
Mit der Glasfabrik Fritz Heckert und der
Josephinenhütte gab es also zwei in Frage kommende Glasproduzenten, die nicht nur in der
Lage waren, die großen Serien hüttenfertiger
Jugendstilgläser zu produzieren, sondern dies
auch mit der entsprechenden Qualität und sogar
unter gegenseitiger Abstimmung konnten. Formübereinstimmungen mit kalt dekorierten Gläsern
von Heckert und von der Josephinenhütte gibt es,
aber nur wenige. Für den Sammler ergibt sich ein
Rätsel. Warum tauchen keine dieser zahlreichen
Gläser mit einem originalen Etikett oder einer Signatur auf? Warum gibt es in der zeitgenössischen
Literatur keine Abbildungen, die auf die Herkunft
der so zahlreichen fraglichen Gläser schlussfolgern ließen? Warum lassen sich so wenig Formparallelen mit emaillierten Gläsern finden? Hat
man zwar den Markt bedient, sich aber nicht mit
den unraffinierten Gläsern identifizieren wollen?
Welche Art der Kooperation zwischen der Josephinenhütte und der Hütte von Fritz Heckert gab
es im Zusammenhang mit den hüttenfertigen
Jugendstilgläsern?
Mit der gleichen Gläsergruppe lässt sich ein
unverwechselbarer Dekor in Zusammenhang
Vielfältige Fäden – Unbekannte Herkunft
bringen, bei dem die Kröselschicht über dem
Faden aufgebracht ist. Der Faden ist hauchdünn,
entweder blau oder rubinrot und halbtransparent
mit gelben Kröseln überdeckt. Er verleiht den
Vasen und Schalen eine gewisse Rhythmik, eine
Art pulsierenden Lebens. Das Gefüge aus Faden
und Glassplittern ist zusätzlich verzogen, als seien
Spuren einer Verästelung im Glas verewigt. Dieser
fein gewebte Dekor atmet den Geist des Art
Nouveau und ist ein Zeugnis einer hohen Glasmacherkunst.
122 Vierpassige Vase
Raffinerie und Glasfabrik Fritz Heckert, Petersdorf,
um 1900 (hypothetisch zugeschrieben).
Farbloses Glas, mit sehr feinem blauen Faden eng
umsponnen. Darüber lockere Schicht aus silbergelben Kröseln. Faden und Krösel fleckenweise verzogen. Goldgelb lüstriert und irisiert. H 16 cm.
Diese Vase besitzt die selbe Form einer mit Transparentemail und Poliergold bemalten Vase mit
Heckert-Signatur im Glasmuseum Passau, Prod.Nr. 535/5, Inv.-Nr. Hö 65941 (nicht publiziert).
123 Zierhenkelvase
Raffinerie und Glasfabrik Fritz Heckert, Petersdorf,
um 1900 (hypothetisch zugeschrieben).
Farbloses Glas, mit sehr feinem rubinroten Faden eng umsponnen. Darüber lockere Schicht aus
silbergelben Kröseln. Faden und Krösel fleckenweise
verzogen. Goldgelb lüstriert und irisiert. H 29 cm.
Eine formidentische Vase mit blauen Fäden (Inv.Nr. Hö 59097) ist im Glasmuseum Passau ebenfalls
der Glasfabrik Fritz Heckert zugeordnet.
124 Zierhenkelvase
Raffinerie und Glasfabrik
Fritz Heckert, Petersdorf, um 1900
(hypothetisch zugeschrieben).
Violettes Glas mit deckender Schicht
silbergelber Krösel und mit farblosen Fäden
locker umsponnen. Mehrfach zusammen mit
der Kröselschicht unregelmäßig, leicht spiralförmig verzogen. Lüstriert und irisiert.
H 29 cm.
123
122
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