Voneinander profitieren

KARRIERE
Hochschule
N Kombinierter Fernstudiengang
DREAMTEAM Student Marc
Fricke-Müller und Betriebsleiter Konstantin Preis ergänzen sich bei der
Arbeit perfekt.
„Richtige“ duale Studiengänge im Agrarbereich bieten zum Beispiel die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, die Hochschule für
Technik und Wirtschaft Dresden, die Hochschule Ostwestfalen-Lippe und die Universität Kassel an. Richtig deshalb, weil die Studenten während des Praxissemesters meist
in einem landwirtschaftlichen Betrieb eine
Berufsausbildung absolvieren.
Die Hochschule Anhalt bietet dagegen
noch ein anderes — sozusagen fast duales —
Modell an: den kombinierten Fernstudiengang „Agrarmanagement“. Genau dafür hat
sich letztlich auch Marc Fricke-Müller entschieden. Das Studienmodell ist in Deutschland bisher einzigartig. An der Universität
Göttingen und der Hochschule Osnabrück
gibt es aber bereits Überlegungen, vergleichbare Fernstudiengänge einzuführen.
Zahlreiche Vorteile
Die Studenten können sich aussuchen, ob
sie den Studiengang „Agrarmanagement“
als richtiges oder als kombiniertes Fernstudium machen wollen. Letzteres funktioniert
dann so: Während des Sommersemesters arbeiten die Studis in einem landwirtschaftlichem Betrieb und haben nur etwa einmal im
Monat einen Vorlesungsblock am Wochenende. Im Wintersemester sind sie dagegen
ganz „normale Studenten“, die in der Vorlesung dem Prof lauschen und in der Bibliothek oder in Lerngruppen für ihre nächste
Prüfung büffeln.
Katharina Marie Stephan, Studienkoordinatorin des Fachbereichs Landwirtschaft,
Ökotrophologie und Landschaftsentwick-
Voneinander profitieren
D
as Agrarstudium in Göttingen konnte
meine Erwartungen einfach nicht erfüllen, ich wollte mehr Praxisbezug“,
sagt Marc Fricke-Müller heute über
seine akademischen Anfänge. Wie er denken
viele Betriebsleiter und Personalverantwortliche im Agribusiness über den Nachwuchs
in der Landwirtschaft. Gut ausgebildet: ja —
praxiserprobt: nein. Die Statistik belegt den
Trend der Akademisierung. Im vergangenen
Wintersemester waren laut Statistischem
Bundesamt (Destatis) insgesamt 53.075 Studierende an einer Universität oder Hochschule in den „Agrar- und Ernährungswissenschaften“ eingeschrieben. Im Vergleich
zum Wintersemester 2010/11 hat die Zahl
der Agrarstudenten um mehr als 36 % zu-
98 agrarmanager September 2015 genommen. Im Gegensatz dazu ist die Zahl
der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge innerhalb der vergangenen fünf Jahre
um etwa 10 % auf 13.156 gesunken.
Gesucht und gefunden
Marc Fricke-Müller kann heute von sich behaupten, damals die richtigen Entscheidungen für seine berufliche Laufbahn getroffen zu
haben. Nach seinem Abitur am Wirtschaftsgymnasium Northeim und anschließender
landwirtschaftlicher Ausbildung, begann
er Agrarwissenschaften an der Universität Göttingen zu studieren. Aber zwei Semester haben gereicht, um zu realisieren,
dass es das nicht ist. Also machte er sich auf
die Suche nach Alternativen — es sollte ein
Bildungsweg sein, der seinem Anspruch,
Theorie und Praxis zu vereinen, gerechter
wird. Die Theorie, um alle Grundlagen zu
lernen, die es braucht, um später Betriebsleiter zu sein. Und die Praxis natürlich, um die
nötigen Erfahrungen zu sammeln und diesen Job auch gut ausfüllen zu können.
Eine Möglichkeit, die beides miteinander
kombiniert, sind duale Studiengänge. Was
in anderen Wirtschaftszweigen bereits seit
Jahren gängige Praxis ist, wird in der Landwirtschaft noch eher stiefmütterlich behandelt: Studenten verbringen ein Semester an der Uni oder Hochschule und lernen
die theoretischen Grundlagen ihres Berufs.
Und genau dieses Erlernte können sie wiederum im Praxissemester sofort anwenden.
FOTOS: BUTHUT (3), ANDREAS BARTSCH, HOCHSCHULE ANHALT
Zu wenig Praxiserfahrung — das wird dem landwirtschaftlichen Nachwuchs von Betriebsleitern
und Personalern im Agribusiness häufig attestiert. Doch Studienkonzepte, die Theorie und Praxis
vereinen, sind immer noch rar. Eine Lösung hat die Hochschule Anhalt in Bernburg parat.
AUSBLICK Marc Fricke-Müller
sammelt auf dem Ackerbaubetrieb in Duderstadt viele
praktische Erfahrungen.
lung der Hochschule Anhalt, betont: „Mit
dem kombinierten und dem direkten Fernstudium bieten wir Studierenden besondere
Formen für das Landwirtschaftsstudium an.
Mithilfe dieser Modelle können wir noch
stärker auf die individuellen Bedürfnisse der
Studenten eingehen. Das kombinierte Studienmodell ist besonders für junge Leute ge-
worden ist, gab es noch nie so viele Studenten wie im Wintersemester 2014/15.
Marc Fricke-Müller wurde durch den Berater seines Lehrbetriebes auf dieses Angebot aufmerksam gemacht. Und das Konzept
hat ihn schnell überzeugt. Nach den ersten
Monaten in Bernburg, wo alle naturwissenschaftlichen Studiengänge beheimatet sind,
„Das kombinierte Fernstudium macht
es möglich, die viel geforderte Praxis
während des Studiums zu bekommen.“
Marc Fricke-Müller, Fernstudent an der Hochschule Anhalt
eignet, die ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben, in einem Betrieb angestellt
sind und sich mit einem Studium weiterqualifizieren möchten. Somit kombiniert dieses gemischte Studienmodell die Vorteile
des klassischen Studiums und des Fernstudiums.“ Durch die Arbeit im Betrieb während des Sommersemesters hat es aber auch
Charakteristika des dualen Studiums.
Und das Konzept macht Schule: Aktuell
studieren 266 Fernstudenten in den verschiedenen Fachsemestern im Bachelor „Agrarmanagement“. Zwischen drei und sieben
Studierende schreiben sich wie Marc FrickeMüller für den kombinierten Fernstudiengang ein. In den letzten zehn Jahren hat sich
die Zahl der Fernstudenten von 27 auf 81 im
vergangenen Wintersemester verdreifacht.
Seitdem der Fernstudiengang 2001 eingeführt
fand Marc Fricke-Müller im Februar 2013
mithilfe des Betriebsberaters auch ein Agrarunternehmen, in dem er während des Sommersemesters arbeiten konnte: die Theodor
Preis & Konstantin Preis GbR in Duderstadt
— ein Ackerbaubetrieb mit knapp 400 ha
landwirtschaftlicher Nutzfläche. Für Konstantin Preis, Betriebsinhaber und -leiter, ist
die Sache glasklar: „Das System des kombinierten Fernstudiums ist optimal an meine
Betriebsabläufe angepasst. Wenn ich zur Erntezeit eine zusätzliche Arbeitskraft benötige,
ist Marc zur Stelle. Und im Wintersemester
bummelt er die Überstunden dann ab. Es ist
eine Win-Win-Situation für uns alle.“
Besonders begeistert sei er, dass mit Marc
Fricke-Müller jeden Sommer auch neue Erkenntnisse aus Forschung und Wissenschaft
nach Duderstadt einfliegen. „Das kommt
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LERNPAUSE In den Sommermonaten bekommt Marc Fricke-Müller den Campus in Bernburg nur
selten zu Gesicht. Diese Zeit verbringt er überwiegend auf dem Ackerbaubetrieb in Duderstadt.
AUF EINEN BLICK: So läuft das Fernstudium ab
An der Hochschule Anhalt werden unter anderem folgende landwirtschaftliche
Fernstudiengänge angeboten:
NNFernstudiengang Landwirtschaft/Agrarmanagement (Bachelor)
NNFernstudiengang Agrarmanagement für Führungskräfte (Master)
Direktes Fernstudium Landwirtschaft/Agrarmanagement:
NNsieben Semester Regelstudienzeit
NNVorlesungen in Bernburg an ca. sieben Wochenenden
(Freitag und Samstagvormittag)
NNzusätzliche Angebote wie Praktika und/oder Feldbegehungen am
Samstagnachmittag
Kombiniertes Fernstudium Landwirtschaft/Agrarmanagement:
NNsieben Semester Regelstudienzeit
NNSommersemester: Arbeit auf den Betrieben, Vorlesungen in Bernburg etwa
einmal monatlich am Wochenende
NNWintersemester: Vorlesungen, Konsultation, Praktika wie die klassischen
Direktstudenten
Zulassungsvoraussetzungen für das kombinierte Fernstudium:
NNeine Hochschulzugangsberechtigung
NNein landwirtschaftlicher Berufsabschluss
NNein Arbeitsvertrag mit einem Agrarbetrieb oder einer Firma des vor- oder
nachgelagerten Agrarbereichs
Abschluss im Fernstudiengang Landwirtschaft/Agrarmanagement:
Bachelor of Engineering (B.Eng.)
Website des Fernstudiengangs Landwirtschaft/Agrarmanagement:
http://flw.loel.hs-anhalt.de/
100 agrarmanager September 2015 unserer Betriebsentwicklung sehr zugute!“
Auch Studienkoordinatorin Katharina Marie
Stephan bescheinigt: „Der Vorteil eines sowohl kombinierten als auch direkten Fernstudiums ist die Weiterqualifizierung von
Arbeitnehmern parallel zum Job. Schon gebundene Arbeitnehmer können so für bestimmte Aufgaben im Betrieb gezielt ausgebildet werden.“
Auf der anderen Seite freue sich Konstantin
Preis aber auch darüber, dass sein Fernstudent möglichst praxisnah studieren könne.
Das zeigt sich auch bei Marc Fricke-Müllers
Bachelorarbeit: Ein Vergleich zwischen einer
herkömmlichen Zuckerrübensorte und einer
Bioenergiezuckerrübe hinsichtlich ihrer Biogastauglichkeit. Konstantin Preis hat ihm
dafür nur zu gern ein Versuchsfeld zur Verfügung gestellt — ihn interessieren die Ergebnisse mindestens genauso wie Marc Fricke-Müller. Preis ist mittlerweile von diesem
Konzept so überzeugt, dass er seinen Auszubildenden ebenfalls für ein kombiniertes
Fernstudium begeistern konnte.
Trotz allen Lobgesangs gibt es auch ein
paar Haken: Die Studenten im (kombinierten) Fernstudium müssen besonders im
Sommersemester viel Selbstmotivation aufbringen, um den Lernstoff durchzuarbeiten.
Das bestätigt auch Katharina Marie Stephan:
„Jeder Student entscheidet selbstständig über
die Tiefe der Aufbereitung des Stoffes in den
einzelnen Modulen. Der Anteil des Selbststudiums ist im Vergleich zu den Direktstudenten enorm hoch.“ Hinzu komme, betont
die Studienkoordinatorin weiter, dass dieser
Studiengang viel Selbstorganisation abverlangt, weil bestimmte Vorgaben der Direktstudenten nicht für die kombinierten Fernstudenten gelten und Arbeit sowie Studium
unter einen Hut gebracht werden müssten.
Und: Das kombinierte Fernstudium ist weniger für Arbeitskräfte in Tierproduktionsbetrieben geeignet, weil die Arbeitsspitzen
über das Jahr hinweg gleich verteilt sind.
Für Marc Fricke-Müller und Konstantin
Preis überwiegen insgesamt gesehen aber die
Pluspunkte — sie könnten sich ihre Zusammenarbeit, von der sie beide gleichermaßen
profitieren, nicht besser vorstellen. Tina Buthut, Redaktion agrarmanager