Luzern 29 Agrarpolitik 2014–17 schwächt die produzierenden Bauern ZOFINGER TAGBLATT FREITAG, 8. MAI 2015 Die Landwirtschaft ist durch die Agrarpolitik 2014–2017 unter Druck geraten. Kommen danach bessere Zeiten? SYMBOLBILD BETTINA HAMILTON IRVINE Wie viele Bauern hören noch auf? Kanton Die produzierenden Bauern bekommen weniger Direktzahlungen, die «Buntbrachen»-Bauern mehr VON ROLF VON ARX 2014 haben in der Schweiz zirka 1000 Bauern die Mistgabel an den Nagel gehängt. Statt zu produzieren, verlangt die Agrarpolitik (AP) 2014 bis 2017 von unseren Bauern vermehrt, Blumenwiesen (Buntbrachen) und Bäume anzupflanzen (Vernetzungsprojekte). Das heisst, Direktzahlungen erhalten vornehmlich diejenigen Bauern, welche ihr Ackerland aufgeben und dafür Buntbrachen ansäen. Also Blumenwiesen, die sie aber nicht nutzen dürfen. Die produzierenden Bauern hingegen schaffen Arbeitsplätze in der vor- und in der nachgelagerten Landwirtschaft (Baubranche, Käseherstellung, Fleischverarbeitung, Landwirtschaftsmaschinenproduktion). Am 23. April hat Kantonsrat Damian Müller (FDP) aus Hitzkirch beim Regierungsrat die Anfrage «Direktzahlungssystem für Landwirtschaftsbetriebe wirft Fragen auf» gemacht. Er möchte von der Regierung wissen, ob diese dem neuen Direktzahlungssystem zugestimmt hätte, wenn sie sich dem grossen Verlust für die Luzerner Bauern bewusst gewesen wäre. Die AP 2014–2017 fordert Landwirte auf, ökologische Massnahmen geradezu zu zelebrieren. Wie steht es um die produzierenden Bauern? Franz Burri-Meier: Vor 10 bis 15 Jahren dachte man, dass die Mutterkuhhaltung Zukunft hat. Jetzt gehöre ich auch zu den Verlierern. Im Berggebiet wie zum Beispiel im Jura und Graubünden sieht es zwar noch etwas besser aus, bei uns in Dagmersellen – im Talund voralpinen Hügelgebiet – hat die AP 2014–2017 aber dazu geführt, dass wir vom Staat erheblich weniger Direktzahlungen erhalten. Wegen der Agrarpolitik sind Sie als produzierender Bauer in Richenthal unter Druck geraten. Werden Sie sich bald einen neuen Job suchen müssen? Franz Joller: Ich hatte mein Pensum bei einer Melktechnikfirma bereits 2013 angepasst, als bekannt wurde, was im Rahmen der AP 2014–2017 auf mich zukommen wird. Tatsächlich ist bei uns im 2014 die Hälfte des Reineinkommens weggebrochen. Das ist das Ergebnis einer verfehlten Landwirtschaftspolitik und die Folgen der Globalisierung. Problematisch dabei ist, den Eigenversorgungsgrad zu halten. hält. Zusätzlich ist auch noch der Milchpreis seit dem ersten Quartal 2013 von 67 auf 54 Rappen gesunken. Dies führte 2014 auf unserem Betrieb zu einem weiteren Einnahmenminus von rund 20 000 Franken. Beat Feierabend: Der sinkende Milchpreis hat vor allem auch mit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses zu tun. Wenn dort der Milchpreis sinkt, geht er auch bei uns runter. Weshalb will die Schweiz vermehrt landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Milch und Getreide importieren? Franz Burri-Meier: Die Schweiz exportiert hochwertige Industriegüter, die armen Länder bezahlen oftmals mit billigen Lebensmitteln. So ist das System. Daher will Bundesrat Johann Schneider-Ammann so rasch als möglich Freihandelsabkommen unterzeichnen. Man könnte auch sagen, dass wir, wenn wir in der Schweiz aufhören zu produzieren, den Hunger in den armen Ländern verschärfen. Dies genau fördert die aktuelle Agrarpolitik. Ist allein die AP 2014–2017 daran schuld, dass Sie rund die Hälfte des Reineinkommens eingebüsst haben im letzten Jahr? Franz Joller: Nein. Schuld ist sie, dass mein Betrieb rund 12 000 Franken Raufutterbeiträge (Raufutter ist Gras, Mais und Heu; Anm. d. Red.) nicht mehr er- Aber so gibt es keine Zukunft für die produzierenden Bauern in der Schweiz. Werden Sie Ihren Betrieb bald mal schliessen? Beat Feierabend: Tatsächlich müsste die Politik dafür sorgen, dass die 2,2 Milliarden Franken Direktzahlungen, die pro Jahr an die Schweizer Bauern weitergegeben werden, wieder anders verteilt werden. Und zwar an die pro- Franz Burri-Meier Landwirt Dagmersellen Dadurch wurden unsere Erzeugnisse, die exportiert werden, 15 Prozent teurer. Hinzu kommt, dass die Milch in der EU zu tieferen Preisen gehandelt wird. DIE AGRARPOLITIK 2014–2017 WIRKT FÜR DIE PRODUZIERENDE LANDWIRTSCHAFT LÄHMEND. DIESE LANDWIRTE ÄUSSERN SICH: ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Franz Joller Beat Feierabend Franz Burri-Meier Franz Joller (56) führt seinen Betrieb in Richenthal seit 1994. 22 Milchkühe, 81 Mastschweine und 4500 Poulets leben in seinen Ställen. Joller hat 16,8 Hektaren nutzbares Land. Fehlende Direktzahlungen wegen der AP 2014–2017 und der schwache Milchpreis setzen der Betriebsrechnung zu. Joller: «Alte Maschinen wie ein Ladewagen und eine Heuerntemaschine ersetzen wir im Moment nicht. Wir werden sie notdürftig reparieren.» Beat Feierabend (50) führt mit Sohn Thomas Feierabend eine Betriebsgemeinschaft in Rickenbach. 70 Milchkühe, 600 Mastschweine, 50 Hektaren Land und eine Solaranlage bilden seinen Betrieb, den er 1990 übernommen hat. Ausser dem Sohn arbeiten zwei Lehrlinge und seine Ehefrau auf dem Betrieb. Bis vor drei Jahren konnte sich Beat Feierabend noch einen Schweizer Mitarbeiter leisten. Heute wäre das nicht mehr möglich. Franz Burri-Meier (49) kaufte 1990 zusammen mit seiner Frau einen Hof in Dagmersellen. 50 Mutterkühe sowie die Aufzucht von Jungtieren bilden seinen Betrieb (total 120 Tiere). Gemäss Burri sind von seinen 30 Hektaren wegen starker Hanglage zwei Drittel nicht befahrbar. Bei Burris ist der Sohn in Teilzeit, die Ehefrau sowie ein Lehrling tätig. Franz Burri arbeitet noch bei der Organisation «Mutterkuh Schweiz» in einem 20-%-Pensum als Experte. duzierenden Bauern. Lieber wäre mir allerdings, wenn keine Subventionen mehr fliessen würden. Stattdessen sollten wir einen Franken für die Milch bekommen, und zwar von den Konsumenten. Im Moment ist es auf unserem Betrieb so, dass die Schweinemast und die Solaranlage, die pro Jahr für rund 20 Haushaltungen Strom produziert, die 70 Milchkühe sowie 50 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche quersubventionieren. Aber das ist wie gesagt kein Zukunftsmodell. Sie haben auch Direktzahlungen wegen der AP 2014–2017 verloren? Beat Feierabend: 2014 waren es 25 000 Franken. Was spricht eigentlich dagegen, günstige Kartoffeln aus Ägypten zu importieren? Franz Burri-Meier: Die arme Bevölkerung dort hat zu wenig zu essen. Das führt zu Emigration. Man könnte auch sagen, dass wir, wenn wir in der Schweiz aufhören zu produzieren, den Hunger in den armen Ländern verschärfen. Dies genau fördert die aktuelle Agrarpolitik: Sie zwingt die Bauern dazu, Hektaren von Ackerland aufzugeben und dafür Blumenwiesen anzusäen, welche die Bauern aber nicht nutzen dürfen. Dadurch müssen wir das Getreide für das Brot, das der Bauer nicht erzeugen kann, importieren. Wird die Agrarpolitik 2018 bis 2021 ganz anders aussehen? Beat Feierabend: Da bin ich skeptisch, weil wir es mit einem globalen System zu tun haben. Dennoch erwarte ich von der Politik, dass sie es schafft, die 2,2 Milliarden Direktzahlungen wieder anders zu verteilen.
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