Auswertung Anfragen ALG I

Büro Kipping, Juni 2015
Arbeitslosenversicherung schützt bei weitem nicht vor Armut und deckt bei
weitem nicht die notwendigen Bedarfe – auch nicht bei einem Mindestlohn von
10 oder 12 Euro (Vollzeit, einkommensteuerfrei) !
Eine Auswertung der
Antwort der Bundesregierung zur Kleinen Anfrage zum Arbeitslosengeld I / SGB III
vom Katja Kipping (Drs. 18/4594)
der Antwort der Bundesregierung zur Schriftlichen Frage zum Arbeitslosengeld I /
SGB III vom Katja Kipping (Drs. 18/???, noch keine Nummer)
Zusammenfassung:
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Das derzeitige durchschnittliche ALG I liegt weit (rund 200 Euro) unter der
Armutsrisikogrenze und ist nicht bedarfsdeckend (mind. 1050 Euro).
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70% der ALG-I-Beziehenden haben heute ein ALG I unterhalb der
Armutsrisikogrenze, 61% der männlichen, 82% der weiblichen ALG-IBeziehenden.
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Frauen haben im Durchschnitt 250 Euro weniger ALG I als Männer.
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Bei einem Mindestlohn von 10 Euro (Vollzeit und einkommensteuerfrei !) läge
das ALG I mindestens 300 Euro unter der Armutsrisikogrenze, bei heutiger
Besteuerung sogar 370 Euro, Mindestbedarfe würden nicht gedeckt.
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Bei einem Mindestlohn von 12 Euro (Vollzeit und einkommensteuerfrei !) läge
das ALG I 150 Euro unter der Armutsrisikogrenze, bei heutiger Besteuerung
270 Euro, Mindestbedarfe würden nicht gedeckt.
1. Durchschnittlicher jährlicher Bestand an ALG-I-Beziehenden
- von 1.889.000 (2004) auf 888.000 (2014) gesunken, als rund 1 Million weniger
- Frauen: von 792.600 (2004) auf 391.200 (2014) gesunken, also die Hälfte weniger
- Männer: von 1.052.000 (2004) auf 496.500 (2014) gesunken, also auch die Hälfte
weniger
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Büro Kipping, Juni 2015
Der durchschnittliche jährliche Bestand an ALG-I-Beziehenden ist in den
letzten 11 Jahren um die Hälfte gesunken.
2. Durchschnittliche Anspruchshöhe ALG I monatlich
- von 766 Euro (2004) auf 862 Euro (2014) gestiegen, rund 100 Euro in 11 Jahren
- Frauen: von 618 Euro (2004) auf 728 Euro (2014) gestiegen, rund 110 Euro in 11
Jahren
- Männer: von 877 Euro (2004) auf 968 Euro (2014) gestiegen, rund 90 Euro in 11
Jahren
Frauen haben im Durchschnitt rund 250 Euro weniger ALG I. Daran hat sich im
Laufe der letzten 11 Jahre nichts geändert.
3. Armutsrisikogrenze, Warenkorbgrenze und ALG I
EU-Beschlüsse zum Verhältnis Armutsrisikogrenze und
Sozialversicherungsleistungen
a) "Das Europäische Parlament fordert den Rat auf, eine EU-Vorgabe für
Mindesteinkommenssysteme und beitragspflichtige
Ersatzeinkommenssysteme, die eine Einkommensstützung in Höhe von
mindestens 60% des nationalen Medianäquivalenzeinkommens leisten sollen,
sowie des Weiteren einen Zeitplan für die Einhaltung dieser Vorgabe in allen
Mitgliedstaaten zu vereinbaren." (Beschluss über die Förderung der sozialen
Integration und die Bekämpfung der Armut, einschließlich der Kinderarmut, in der
EU, 2008)
b) "Das Europäische Parlament ist der Ansicht, dass die Einführung von
Mindesteinkommenssystemen in allen Mitgliedstaaten – bestehend aus spezifischen
Maßnahmen zur Unterstützung von Menschen mit unzureichenden Einkommen
durch wirtschaftliche Zuwendungen und einen erleichterten Zugang zu Diensten –
eine der effizientesten Maßnahmen zur Armutsbekämpfung, zur Gewährleistung
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eines angemessenen Lebensstandards und zur Förderung der sozialen Integration
darstellt; vertritt die Auffassung, dass ein angemessenes Mindesteinkommen bei
mindestens 60 % des Medianeinkommens des jeweiligen Mitgliedstaats liegen
muss." (Beschluss zur Bedeutung des Mindesteinkommens für die Bekämpfung der
Armut und die Förderung einer integrativen Gesellschaft in Europa, 2010)
Europa-Wahlprogramm der Partei DIE LINKE zum Verhältnis Armutsrisikogrenze und
Sozialversicherungsleistungen
"DIE LINKE kämpft für verbindliche soziale Rechte für alle Menschen in der EU, so
für EU-weite armutsfeste Mindestlöhne, Mindestrenten und Mindesteinkommen.
In der gesamten EU muss gelten: Solidarität und soziale Mindeststandards sind eine
entscheidende Basis des Zusammenhalts, der Wettbewerb des Sozialdumpings
muss beendet werden."
"DIE LINKE unterstützt verbindliche Zielvorgaben für die Bekämpfung von Armut – so
brauchen wir eine EU-Vorgabe, die für Leistungen bei Arbeitslosigkeit und Rente im
Rahmen der Sozialversicherungen ein Einkommen in Höhe von mindestens 60
Prozent des mittleren Einkommens vor Ort (für Experten: »des mittleren
nationalen Nettoäquivalenzeinkommens«) gewährleisten soll."
Bemerkung: Damit ist die nationale Armutsrisikogrenze gemeint (60 % des nationalen mediangemittelten
Nettoäquivalenzeinkommens).
Fakten:
a) Das durchschnittliche ALG I im Einkommensjahr 2005 (771 Euro) war rund 110
Euro niedriger als die Armutsrisikogrenze des SOEP im Einkommensjahr 2005 (881
Euro).
b) Das durchschnittliche ALG I im Einkommensjahr 2008 (746 Euro) war rund 320
Euro niedriger als die Armutsrisikogrenze der EVS 20081 (1063 Euro), rund 250
Euro niedriger als die Armutsrisikogrenze des SOEP im Einkommensjahr 2011 (937
Euro).
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Die Ermittlung der Armutsrisikogrenze mit der Einkommens- und Verbrauchsstatistik (EVS) und mit dem
Sozioökonomischen Panel (SOEP) sind die beiden Ermittlungen, die sich an EU-Standards orientieren.
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c) Das durchschnittliche ALG I im Einkommensjahr 2011 (812 Euro) war rund 170
Euro niedriger als die Armutsrisikogrenze des SOEP im Einkommensjahr 2011 (980
Euro).
d) Gegenüber der durchschnittlichen Armutsrisikogrenze (EVS/SOEP) im
Einkommensjahr 2014/2015 (1050 Euro) liegt das durchschnittliche
Arbeitslosengeld I im Einkommensjahr 2014 (862 Euro) rund 200 Euro zu niedrig.
Das ALG I hat weder in der Vergangenheit noch heute vor dem
Einkommensarmutsrisiko geschützt. Das durchschnittliche ALG I ist derzeit
rund 200 Euro zu niedrig.
Rund 70 % der ALG-I-Beziehenden haben derzeit ein ALG I unterhalb der
durchschnittlichen Armutsrisikogrenze, 61% der männlichen, 82% der
weiblichen ALG-I-Beziehenden (vgl. Tabelle 2 in der Antwort auf die Kleine
Anfrage).
Das wird auch in Bezug auf die Warenkorbermittlung eines Existenzminimums, das
die notwendigen Bedarfe decken soll, bestätigt. Die jüngste Warenkorberhebung von
Lutz Hausstein für 20142: rund 734 Euro Bedarf ohne Wohnkosten, plus derzeit rund
300 Euro durchschnittliche angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung,
gesamt rund 1034 Euro. Auch hier kann festgestellt werden: Das durchschnittliche
Arbeitslosengeld I deckt nicht die notwendigen Bedarfe – es fehlen auch hier
rund 170 Euro.
4. Mindestlohn, Armutsrisikogrenze und ALG I
Bei einem Mindestlohn von 10 Euro (Vollzeit3 und einkommensteuerfrei !
/Beschlusslage Parteitag DIE LINKE in Bielefeld/, rund 1.600 Euro brutto, rund 1.250
Euro netto) würde das ALG I rund 750 Euro betragen. Es läge damit rund 300
Euro unter der durchschnittlichen Armutsrisikogrenze (1.050 Euro).
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Vgl. Blaschke 2015
160 Stunden im Monat.
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Bei heutiger Besteuerung liegt das ALG I mit 10 Euro Mindestlohn (Vollzeit !)
sogar nur bei 677 Euro, also rund 370 Euro unterhalb der durchschnittlichen
Armutsrisikogrenze. Mindestbedarfe würden nicht gedeckt.
Selbst bei einem Mindestlohn von 12 Euro (Vollzeit und einkommensteuerfrei !,
1.920 Euro brutto, 1.500 Euro netto) läge das ALG I bei rund 900 Euro, also rund
150 Euro unter der durchschnittlichen Armutsrisikogrenze.
Bei heutiger Besteuerung betrüge das ALG I bei 12 Euro Mindestlohn (Vollzeit !)
780 Euro, läge also rund 270 Euro unter der durchschnittlichen
Armutsrisikogrenze. Mindestbedarfe würden nicht gedeckt.
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