Dr. Tobias Hayer - AHG Allgemeine Hospitalgesellschaft

Pathologisches Glücksspiel –
Vom anfänglichen Vergnügen bis zum heimtückischen Verhängnis
Dr. Tobias Hayer
Institut für Psychologie und Kognitionsforschung
Universität Bremen
2. Südthüringer Suchtkonferenz „Sucht kennt keine Grenzen, wir müssen sie setzen“
Hildburghausen, 30.09.2015
Begriffsabgrenzung
spielen
„glücksspielen“
playing
gambling
dient dem Aufbau emotionaler,
kommunikativer, sozialer, kognitiver und
motorischer Kernkompetenzen
Primärer Spielanreiz: Geldgewinne
fördert die Persönlichkeitsentwicklung,
leistet einen wesentlichen Beitrag für das
kindliche Lernen
demeritorisches Gut
zweckfrei, Als-ob-Realität
Jugendschutzbestimmungen
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Formen des (Glücks-)Spiels in Deutschland
Glücksspiele
Geldgewinnspiele mit Glücksspielcharakter
 Lotto
 Keno
 EuroJackpot
 Rubbellotterien
 Klassenlotterien
 Roulette
 Black Jack
 Poker
 Glücksspielautomaten
 Geldspielautomaten*
 Sportwetten
 Glücksspiele im Internet
 Illegales Glücksspiel
 ...
 TV-Geldgewinnspiele
 Selbstorganisierte Spiele um Geldgewinne
 Börsenspekulationen
 ...
Sonstige Spiele mit/ohne Geldgewinn
 Gesellschaftsspiele
 Strategiespiele (z.B. Schach)
 Kreuzworträtsel
 Quizshows
 Computerspiele
 ...
* Rechtlich gesehen kein Glücksspiel (Recht der Wirtschaft / Gewerberecht)
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Money, Money, Money (I)
Pokerweltmeisterschaft 2011:
Pius Heinz aus Deutschland gewann als Sieger des Hauptturniers 8,7 Mio. $
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Money, Money, Money (II)
World Series of Poker 2007:
Jerry Yang gewann als Sieger des Hauptturniers 8,25 Mio. $
bei einem Einsatz von 225 $
... Jerry Yang ist Psychologe und Sozialarbeiter ...
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Der Spielanreiz beim Glücksspiel
Phase 1 – Entscheidung für eine Glücksspielteilnahme
Phase 2 – Geldeinsatz
Hoffen auf den Gewinn: Anspannung, Stimulation, Nervenkitzel
↳ Emotionsregulation (positive Verstärkung)
↳ Ablenkung von Belastungen (negative Verstärkung)
Phase 3a – Gewinnsituation
Glücksgefühl, Euphorie, Allmachtsphantasien, ...
Phase 3b – Verlustsituation
Frustration, Ärger, Niedergeschlagenheit, ...
Phase 4 – Weiterspielen
Befindlichkeitsveränderung, Verschiebung der Motivation
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Stimulation beim Glücksspiel
- Meyer et al. (2004) -
Herzraten vor, während und nach einer Glücksspielteilnahme:
Unterschiede zwischen Problemspielern und sozialen Spielern
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Stimulation beim Glücksspiel: Ein Beispiel
Erhöhung des Einsatzes (und Gewinn)
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
… Feldforschung …
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Umsätze in Mio. Euro
- Meyer (2015) -
Staatlich lizenziertes Glücksspiel
2013
Vergleich 2013 zu 2012 (%)
Spielbank
- Glücksspielautomaten, Roulette, Black Jack etc.
5.800
-2,2
Spielhalle / Gaststätte
- Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit
19.083
-0.7
Deutscher Lotto- und Totoblock
- Lotterien, Sportwetten etc.
7.024
+9,5
Klassenlotterien
- Nordwestdeutsche
- Süddeutsche
167
192
-7,2
-11,1
Fernsehlotterien
- ARD Fernsehlotterie
- ZDF Aktion Mensch
162
440
-5,7
+1,8
Sparkasse / Bank
- PS Sparen
- Gewinnsparen
270
232
-0,4
+4,3
Pferdewetten
- Totalisator
53
-4,7
33.423
+0,9
GESAMTUMSATZ
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Öffentliche Einnahmen in Mrd. Euro
- Meyer (2015) -
5
4,5
4,371
4,597
4,467
4,393
4,365
4,254
4,127
4
3,905
3,367
3,5
3,206
2,989
3,015
2010
2011
3
3,226
2,846
2,5
2
1,5
1
0,5
0
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2012
Zum Vergleich: In 2013 lagen die Alkoholsteuern bei 3,221 Mrd. Euro
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
2013
Spieler-Typologie
GlücksSpiel-Spaß
GlücksSpiel-Sucht
Erkennbare Probleme Schwere Probleme
Keine Probleme
...
Problem-Spieler
Gelegenheits- oder soziale Spieler
Primärprävention
Pathologische Spieler
Sekundärprävention
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Universität Bremen
Tertiärprävention
Glücksspielsucht – Historische Meilensteine
Zu den ältesten Süchten zählen:
Trunksucht, Morphinsucht und Spielsucht
1980:
Aufnahme des pathologischen Spielens als eigenständiges
Krankheitsbild in das Klassifikationssystems DSM-III
2001:
Verabschiedung spezieller Empfehlungen zur ambulanten und
stationären medizinischen Rehabilitation sowie Anerkennung des
Krankheitsbildes in seiner Eigenständigkeit durch bundesdeutsche
Kostenträger
2008/2012:
Inkrafttreten bzw. Modifikation des Glücksspielstaatsvertrages und
damit verbunden eine Stärkung des Spielerschutzes
2013:
Einordnung als erste Verhaltenssucht im DSM-5
„Gambling Disorder“ bzw. „Störung durch Glücksspielen“
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Universität Bremen
Gambling Disorder – Diagnostische Kriterien (DSM-5)
Gambling Disorder (GD) = Störung durch Glücksspielen
Andauerndes und wiederkehrendes fehlangepasstes Spielverhalten
indiziert durch mindestens 4 der folgenden 9 Merkmale (bezogen auf die letzten 12 Monate)
(1) Toleranzentwicklung
(2) Entzugsähnliche Erscheinungen
(3) Abstinenzunfähigkeit
(4) Starke Bindung an das Glücksspiel
(5) Glücksspielbeteiligung, um vor Problemen zu fliehen
(6) Chasing („Verlusten hinterherjagen“)
(7) Verheimlichung / Lügen
(8) Weiterspielen trotz negativer Folgen
(9) Bail-Out („Freikaufen“)
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Problemausmaß in Deutschland
Buth &
Stöver
(2008)
Bühringer
et al. (2007)
BZgA
(2008)
BZgA
(2010)
BZgA
(2012)
BZgA
(2014)
Meyer et al.
(2011)
Sassen et
al. (2011)
TNS
EMNID
(2011)
Erhebung
2006
2006
2007
2009
2011
2013
2010 (primär)
2009
2011
Stichprobe
(Alter)
7.981
(18 - 65)
7.817
(18 - 64)
10.001
(16 - 65)
10.000
(16 - 65)
10.002
(16 - 65)
11.501
(16 - 65)
15.023
(14 - 64)
8.006
(18 - 64)
15.002
(18 - ?)
Methodik
Telefonisch,
online
Schriftlich,
telefonisch
Telefonisch
Telefonisch
Telefonisch
Telefonisch
Telefonisch
Schriftlich,
telefonisch,
online
Telefonisch
Screening
Instrument
DSM-IV
DSM-IV-TR
SOGS
SOGS
SOGS
SOGS
DSM-IV-A
(CIDI)
DSM-IV-TR
DSM-IVTR
Pathologische
Spieler
0,56%
300.000
0,20%
103.000
0,19%
104.000
0,45%
242.000
0,49%
264.000
0,82%
436.000
0,38%
202.000
0,35%
193.000
0,31%
159.000
0,23%
n.v.
0,51%
275.000
0,68%
362.000
0,45%
239.000
0,31%
172.000
0,24%
123.000
0,21%
n.v.
Problemspieler
0,64%
340.000
0,29%
149.000
0,41%
225.000
0,64%
347.000
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Universität Bremen
Risikogruppen
Empirische Befunde aus Deutschland
Männliches Geschlecht
Junges Lebensalter
Niedriger Bildungsabschluss bzw. -status
Geringes Haushaltsnettoeinkommen
Migrationserfahrungen bzw. -hintergründe
Arbeitslosigkeit
Glücksspielproblematik bei Familienangehörigen
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Glücksspielverhalten Jugendlicher
Hurrelmann
et al. (2003)
Baumgärtner
(2009)
Duven et al.
(2011)
Walther et al.
(2012)
Ludwig et al.
(2012)
Müller et al.
(2014)
Stöver et al.
(2014)
Stichprobe
5.009 Schüler
(13-19 Jahre)
1.132 Schüler
(14-18 Jahre)
3.967 Schüler
(12-18 Jahre)
2.553
Schüler
(12-25 Jahre)
6.192 Schüler
(9./10.
Klasse)
5.976 Schüler
(12-19 Jahre)
1.401
Jugendliche
(14-17 Jahre)
Prävalenz
Lebenszeit
(%)
62,0
82
64,3
---
---
69,2
---
Prävalenz
12 Monate
(%)
39,9
20
(letzten 30
Tage)
41,2
33,4
44,3
43,7
40
Anteil
Problemspieler
(%)
2,96
DSM-IV-MR-J
---
2,2
DSM-IV-MR-J
1,3
SOGS-RA
---
1,7
DSM-IV-MR-J
0,7
DSM-IV
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Universität Bremen
… die besten Kunden …
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
… eine Ausnahme? …
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Universität Bremen
Glücksspiele: Erstkontaktalter
- Richmond-Rakerd et al. (2013) -
Prävalenz der Spielteilnahme in den USA (N=9.282)
Kohorte 1
(60-98 Jahre)
Kohorte 2
(45-59 Jahre)
Kohorte 3
(30-44 Jahre)
Kohorte 4
(18-29 Jahre)
LebenszeitPrävalenz (%)
71,5
82,1
82,4
77,3
Erstkontaktalter
(unter 18 Jahre; %)
13,8
19,7
25,7
40,2
Erstkontaktalter
(unter 15 Jahre; %)
7,6
10,7
14,4
18,3
Erstkontaktalter
(Jahre; M)
32,8
25,7
20,9
16,9
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Ausgewählte Folgen der Glücksspielsucht
Arbeitsplatz
-
Erschöpfung
Konzentrationsmängel
Leistungsabfall
Kündigung
Finanziell
-
Verarmung
Verschuldung
Kreditaufnahme
Privatinsolvenz
Rechtlich
Intrapsychische
-
Stress
Scham- und Schuldgefühle
Suizidalität
Schlechter Gesundheitszustand
Psychosomatische Beschwerden
Interpersonell
- Vernachlässigung von Bezugspersonen
- Zerrüttung von Partnerschaft und Familie
- Gewaltvorkommnisse
- Beschaffungsdelinquenz
- Inhaftierung
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Kinder von pathologischen Spielern (I)
- Hayer et al. (2006) -
„Mitten in der Nacht kam sie dann nach Hause, und ich brauchte ja auch
immer meinen Schlaf, und dann hörte ich meine Mutter, wie die mit ihrer
blöden Kugel da wieder mit diesem Roulette rumgespielt hat. Weil, das hat ja
einen Riesenkrach gemacht [...]. Also mit diesem Roulette hatte sie dann
auch immer gespielt, wenn sie kein Geld mehr hatte, und das war jeden
Abend dann, und das war dann immer sehr deprimierend, weil meine Mutter
dann immer brummte: ‚Jetzt hab ich kein Geld, jetzt habe ich hier heute so
eine Glückssträhne und kann nicht losfahren, so ein Mist!’. Dann saß sie
wirklich da in voller Montur, mit ihrem Kostümchen, so wie sie halt gerade
aus dem Kasino Hohensyburg ist, und spielte da auf dem Teppich dieses
Ding, da bin ich ausgerastet.“
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Sucht und Verschuldung
Hauptdiagnose und Verschuldung bei Klienten ambulanter Beratungs- und
Behandlungsstellen, Zugänge in 2013 (Braun et al., 2014)
Hauptdiagnose
Verschuldung (in Euro und %)
keine
bis 10.000
bis 25.000
bis 50.000
> 50.000
Alkohol (n=54.912)
73,7
17,2
4,7
2,4
2,0
Opioide (n=15.033)
42,5
42,5
9,7
3,4
1,8
Cannabinoide (n=16.337)
71,5
23,1
3,7
1,1
0,7
Sedativa/Hypnotika (n=896)
77,1
15,4
3,8
1,9
1,8
Kokain (n=1.944)
47,6
33,0
11,4
5,0
3,1
Stimulanzien (n=5.705)
55,8
33,9
6,7
2,4
1,1
Essstörungen (n=967)
92,1
6,0
0,6
0,5
0,7
Pathologisches Spielverhalten (n=6.395)
32,5
35,9
15,0
9,7
6,9
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Glücksspielsucht und Delinquenz
- Meyer et al. (1998) -
%
90
80
70
60
Spieler in Behandlung (n=300)
50
Gelegenheits-/Häufigspieler (n=274)
40
30
20
10
0
mind. 1 Straftat
(Lebensspanne)
mind. 1 Straftat
(letztes Jahr)
mind. 1
Polizeikontakt
mind. 1
Verurteilung
Abgesehen von Bagatelldelikten begehen Spieler in Behandlung häufig:
Betrug, Veruntreuung, Diebstahl am Arbeitsplatz und Diebstahl innerhalb der Familie
Aber: Nicht alle Delikte von pathologischen Spielern stehen im Zusammenhang mit der
Glücksspielsucht (im Sinne von Beschaffungsdelinquenz)
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Glücksspielsucht und Komorbidität
- Meyer et al. (2011) -
Allgemeinbevölkerung
(N=4.075)
Risikospieler
(1-4)
(N=150)
Pathologische
Spieler (5+)
(N=442)
25,8
63,3
89,9
Tabakabhängigkeit
20,9
47,3
78,2
Substanzabhängigkeit (exkl. Tabak)
4,1
31,3
44,3
12,3
44,0
63,1
11,5
41,3
57,2
6,5
24,7
37,1
5,8
18,7
23,8
Psychische Störung (insgesamt)
35,7
78,0
95,5
Persönlichkeitsstörungen (insgesamt)
n.v.
22,0
35,3
Lebenszeitprävalenz (%)
Störung durch Substanzkonsum (insgesamt)
Affektive Störung (insgesamt)
Depressive Störung
Angststörung (insgesamt)
Panikattacke
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Glücksspielsucht – Bedingungsgefüge
Individuum:
Persönlichkeit
Umfeld:
Psychische
Auffälligkeiten
Arbeits- und
Lebensverhältnisse
Genetik / Neurobiologie
Zukunftsperspektiven
Soziodemographische
Merkmale
Peer-Gruppe
Familiäre Situation
Selbstwert
Soziale Bindungen
Bewältigungsstil
...
Kognitionen
Glücksspiel:
Veranstaltungsmerkmale
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
...
Stress und glücksspielbezogene Probleme
- Grüsser & Albrecht (2007) -
Stresserleben
STRESS
- Stressauslöser
bestehen weiterhin
- Glücksspiel wird
zusätzlich zum
Konfliktherd
Exzessives Spielverhalten
als inadäquate Form der
Stressbewältigung
Positive und negative
Verstärkungsprozesse
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Glücksspiel
lässt Stress
vergessen
Entwicklungspfade – Typologie
- Blaszczynski & Nower (2002) -
Entwicklungspfad =
Muster im Entwicklungsverlauf eines Menschen, das sich von der
Verhaltensentwicklung anderer Menschen/Gruppen unterscheidet
- Verhaltenskonditionierte Problemspieler
Soziale Faktoren und Lernprozesse als primäre Ursachen
- Emotional-vulnerable Problemspieler
Aufweisen einer psychischen Störung vor Beginn des Zockens (z.B. Depression
oder Angststörung) oder bestimmter Vulnerabilitäten (z.B. mangelhaftes Coping)
- Antisozial-impulsive Problemspieler
Psychische und biologische Anfälligkeit im Vordergrund; frühes Erstkontaktalter;
schnelle Eskalation des Spielverhaltens
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Das Suchtpotenzial von Glücksspielen
- Analyseschema -
Veranstaltungsmerkmale von
Glücksspielen
Situational (kontextbezogen)
z.B. Verfügbarkeit, Werbung
Strukturell (spielmediumsbezogen)
z.B. Ereignisfrequenz, Gewinnmöglichkeiten
Primärwirkung:
Erleichterung des Zugangs
Primärwirkung:
Förderung einer regelmäßigen Teilnahme
Beurteilung des Gefährdungspotenzials
einer Glücksspielform
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Suchtpotenzial deutscher Glücksspielangebote
- Meyer et al. (2010) -
Rangreihe der Spielformen
Punktwert
- Glücksspielautomaten
- Geldspielautomaten
56,65
54,35
- Poker im Internet
- Live-Wetten im Internet
- Roulette in Spielbanken
46,30
43,55
42,40
- Rubbellose
- Festquotenwette
- Telegewinnspiele
38,15
36,05
35,95
- Keno
- Lotto „6aus49“
- Klassenlotterien (Internet)
- Klassenlotterien (Annahmestelle)
28,85
28,75
26,60
25,95
- Fernsehlotterien (Internet)
- Fernsehlotterien (Annahmestelle)
17,55
16,90
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Das Suchtpotenzial von Geldspielautomaten (I)
- Relevante Veranstaltungsmerkmale (modifiziert nach Hayer, 2010) -
Merkmal
Psychologische Effekte
Verfügbarkeit / Standorte
leichter Zugang, geringe Hemmschwellen,
Produktnormalisierung
Ereignisfrequenz
Veränderung des Erlebniszustandes,
Ausblendung von Verlusten
Auszahlungsintervall
sofortige Reinvestition der Gewinne
Gewinnhöhe
primärer Spielanreiz, Beträge mit Vermögenswert
stehen auf dem Spiel
Variable Einsatz- und
Gewinnmöglichkeiten
risikoreicheres Spielverhalten
Chasing-Verhalten
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Das Suchtpotenzial von Geldspielautomaten (II)
- Relevante Veranstaltungsmerkmale (modifiziert nach Hayer, 2010) -
Merkmal
Psychologische Effekte
Aktive Einbindung
Einflussnahme auf den Spielausgang wird nahegelegt,
Kontrollillusion
Ton-/Licht-/Farbreize
Konditionierungsprozesse, Sensibilisierung
Auszahlungsquote bzw.
Gewinnwahrscheinlichkeit
Lernprozesse, positive Verstärkung
Multilinien-Spiel
Gewinnanimation bei Nettoverlusten fördern
Fehlwahrnehmungen („die Geldbörse leer gewinnen“)
Fast-Gewinne
positive Erwartungshaltung, Erregung
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Psychologie des Glücksspiels: Fast-Gewinne
Fast-Gewinne fördern das Weiterspielen und lösen ähnliche Aktivierungsmuster im Gehirn
aus wie tatsächliche Gewinne (fMRI-Daten; Clark et al., 2009).
Fast-Gewinne rufen physiologische Veränderungen hervor, die im Wesentlichen mit dem
subjektiven Erlebniszustand von Erregung gleichzusetzen sind
(Herzraten und elektrodermale Aktivität; Clark et al., 2011).
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Ausgewählte kognitive Irrtümer
Gefangensein / Eingenommensein
starke Bindung an eine einmal eingeschlagene Spielstrategie
Flexible Attributionsmuster
dispositionale Faktoren wie z.B. eine ausgeklügelte Spielstrategie werden für
Erfolgserlebnisse verantwortlich gemacht; situationale Faktoren wie z.B. eine
Pechsträhne hingegen für Verlusterlebnisse
Klassischer Trugschluss des Glücksspielers
fehlerbehaftete Verknüpfung von tatsächlich unabhängigen Zufallsereignissen
Verfügbarkeitsfehler
Tendenz, die Realisierung eines subjektiv relevanten Ereignisses für umso
wahrscheinlicher zu halten, je leichter es aus dem Gedächtnis abrufbar ist
Fast-Gewinne
Verlusterlebnisse werden wegdiskutiert oder uminterpretiert
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Kognitive Vulnerabilität junger Menschen
- BZgA (2012, S. 93) -
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Exkurs: Sportwetten in Sportvereinen
N = 294 Mitglieder aus 21 Sportvereinen
Fußball und Handball; 83% männlich
Kriterium
Sportvereine
(Meyer et al. 2013)
Allgemeinbevölkerung
(Meyer et al., 2011)
12-Monats-Prävalenz
Sportwetten
52,4%
6,0%
Prävalenz problematisches
Spielverhalten (Lebenszeit)
5,3%
1,4%
Prävalenz pathologisches
Spielverhalten (Lebenszeit)
3,5%
1,0%
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Profisportler: Affinität zum Glücksspiel (I)
[…] Eike Immel pokerte schon wie ein Süchtiger.
Oft sah man, wie er aus seiner Brusttasche eine
Handvoll Geldscheine herauszog. Oder sah ihn,
wie er sich enttäuscht und völlig gerupft auf sein
Bett warf. Nicht selten wurde um 20 000 bis 30
000 DM gespielt. Andere bumsten bis zum
Morgengrauen und kamen wie nasse Lappen
zum Training gekrochen […]“ (S. 53)
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Profisportler: Affinität zum Glücksspiel (I)
„Ich habe gesoffen und Geld verzockt“
(Bild, 20.01.2012)
[…] Hamann blieb somit allein in England, begann aus
Verzweiflung zu trinken und zu wetten. Nicht auf
Fußball-Spiele, sondern auf eine besonders britische
Sportart: Cricket. ‚Ich interessierte mich immer mehr
für Cricket. Gab es irgendwo auf der Welt ein Spiel,
blieb ich wach und schaute es. Denn schlafen war
etwas, das ich nicht konnte.‘ Alkohol und Wetten – ein
teuflischer Mix. Hamann schaffte den Absprung nicht.
Bei einem Spiel zwischen Australien und Südafrika
verlor er umgerechnet unglaubliche 345.000 Euro. […]“
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Empirische Befunde aus Großbritannien
- Wardle & Gibbons (2014) -
Internetbasierte Befragung von 346 Profisportlern (Cricket, Fußball)
Profisportler
Allgemeinbevölkerung
(Männer ≤ 44 Jahre)
Spielverhalten
12-Monats-Prävalenz (%)
87
75
Spielverhalten
1-Monats-Prävalenz (%)
67
55
Riskantes Spielverhalten (%)
14
4
Problematisches Spielverhalten (%)
6
2
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Versorgungssystem im Überblick
Auf- und Ausbau des professionellen Hilfesystems
Diversifikation der Versorgungsangebote
Selbsthilfe, ambulante Beratung, ambulante Rehabilitation, stationäre
Behandlung, Telefon-Hotlines, Online-Beratung, Psychotherapie etc.
Zielgruppenspezifität
Migranten, Frauen / Männer, Senioren, Angehörige etc.
Aufklärungsmaßnahmen
Werbespots, Warnhinweise auf Spielscheinen, Unterrichtsmaterialien etc.
Optimierungsbedarf
Kurzinterventionen, Selbsthilfemanuale, ggf. medikamentöse Therapie etc.
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Zur Inanspruchnahme von professioneller Hilfe
- Hayer & Meyer (2010) -
Problemaufriss
Empirischen Befunden zufolge nehmen nur bis zu 10% aller Problemspieler ein formelles
Hilfeangebot wahr – zumeist in akuten Krisensituationen, im Falle totaler psychischer
Erschöpfung oder beim Vorliegen einer manifesten Suchtsymptomatik
 Belastungsgrad und externe Gründe als wesentliche Veränderungsmotivatoren!
Mögliche (Hinter-)Gründe
Glücksspielsucht als „verborgene Suchterkrankung“
Tendenzen der Bagatellisierung, Rationalisierung, Selbsttäuschung
Schuld- und Schamgefühle
Fehlende Krankheitseinsicht
Vorhaben, das Problem selbst lösen zu wollen
Unkenntnis über Hilfeangebote (Präsenz und Inhalte)
 40,5% der Spieler aus Facheinrichtungen gaben eine fünf- bis zehnjährige
Problemdauer an, bevor eine Kontaktaufnahme zum Hilfesystem realisiert wurde
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Das Internet als niedrigschwelliges Hilfeangebot
https://www.check-dein-spiel.de
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Exkurs: NRW-Hotline
- Füchtenschnieder-Petry & Hayer (2012) -
Variable
NRW-Hotline
(n = 2.722 Spieler)
BZgA – CDS
Online-Beratung
(n = 464)
Jonas et al. (2012)
Alter
M = 35,4 Jahre
M = 33,6 Jahre
M = 36,0 Jahre
Geschlecht
84,7% männlich
84,1% männlich
90,2% männlich
Problemdauer
M = 8,2 Jahre
M = 5,9 Jahre
M = 11,1 Jahre
Bevorzugtes
Glücksspiel
Geldspielautomaten:
71,4%
Geldspielautomaten:
68,5%
Geldspielautomaten:
72,3%
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Ambulante Beratung
(n = 6.078)
Suchthilfestatistik
2009
Selbsthilfegruppen
- Meyer (2015) -
250
200
181
150
150
144
147
2006
2007
188
199
206
204
2012
2013
157
130
116
100
76
50
0
2
1982
1989
1999
2004
2005
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
2008
2009
2010
2011
Nutzen ausgewählter Präventionsmaßnahmen (I)
- Williams et al. (2012) hoch
hoch-mittel
mittel
mittel-gering
Verhaltensprävention
Schulbezogene Prävention
X
Informations-/Aufklärungskampagnen
X
Responsible Gambling Information Centers
(X)
Verhältnisprävention
Begrenzung der generellen Verfügbarkeit
- Begrenzung der Anzahl der Spielstätten
X
- Begrenzung von gefährlichen Spielen
(X)
- Begrenzung der Anzahl der Spielformen
?
- Begrenzung des Convenience Gambling
?
- Örtliche Begrenzung von Spielstätten
X
- Begrenzung von Öffnungszeiten
?
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
gering
Nutzen ausgewählter Präventionsmaßnahmen (I)
- Williams et al. (2012) hoch
hoch-mittel
mittel
mittel-gering
Verhältnisprävention
Ausschluss bestimmter Personengruppen
- Jugendschutzbestimmungen
?
- Spielsperre
X
(Technische) Eingriffe in die Angebotsform
- Personalschulungen
X
- Früherkennung von Problemspielern
X
- Pre-Commitment
(X)
- Modifizierung von Spielparametern
X
- Beschränkung des Zugangs zum Geld
?
- Beschränkung Alkohol- / Tabakkonsum
X
- Werbebeschränkung
(X)
- Erhöhung der Kosten
?
Unabhängige Glücksspielaufsicht
?
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
gering
Spielerschutz – Reflexion
Es existiert eine Vielzahl an Präventionsmaßnahmen, deren Abstraktionsgrad
deutlich variiert (von der Regulation zur Manipulation einzelner Spielparameter)
Es ist zwischen der oftmals gut gemeinten Intervention „auf dem Papier“ und
deren tatsächlicher Umsetzung in der Praxis zu unterscheiden (z. B. Sperrwesen)
Grundsätzlich gilt folgende Faustformel: Die am häufigsten implementierten
Präventionsmaßnahmen haben sich bestenfalls als mäßig wirksam erwiesen.
Wirksame Prävention bringt bei bestimmten Interessengruppen ein
Akzeptanzproblem mit sich (z. B. auf Anbieterseite wegen Umsatzrückgängen
oder bei sozialen Spielern wegen der Reduzierung des Spielspaßes).
Eine glaubhafte Glücksspielpolitik muss sich als eine multidimensionale Aufgabe
verstehen, die sowohl verhaltens- als auch verhältnispräventive Maßnahmen
umfasst und nachhaltig umgesetzt wird.
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
... anstelle eines Fazits ...
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Institut für Psychologie und Kognitionsforschung
Grazerstr. 4
28359 Bremen
Tel. 0421 218-68708
E-Mail: [email protected]
Web: http://www.tobha.de
Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen