Jetzt setzt der Bundesrat im EU-Poker auf die Nachbarstaaten

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FRICKTAL
DONNERSTAG, 25. JUNI 2015
Nicolas Sarkozy
Der Ex-Präsident wurde
von der NSA bespitzelt
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Jetzt setzt der Bundesrat im
EU-Poker auf die Nachbarstaaten
Schweiz - EU Ein Chefunterhändler soll es richten – Misstrauensvotum gegen Yves Rossier
VON STEFAN SCHMID UND FABIAN FELLMANN
Die Verhandlungen zwischen Bern und
Brüssel sind schwierig. Viele Dossiers
sind blockiert. Jetzt versucht der Bundesrat, wieder etwas Schwung in die
festgefahrene Sache zu bringen. Neu
sollen mehrere Dossiers parallel verhandelt werden. Das ermöglicht Kompromisse übers Kreuz. Der Haken da-
bei: Die Schweiz ist an mehreren Fronten eher in der Defensive. Die Verhandlungsmasse ist klein.
Zweite Innovation: Ein neuer EUChefunterhändler soll her. Das ist ein
Misstrauensvotum gegenüber dem bisherigen Staatssekretär im Aussendepartement, Yves Rossier. Er leitete eine Arbeitsgruppe, die sich mit EU-Fragen beschäftigte. Jetzt soll es ein neuer Kopf
richten. Offenbar kommt dafür auch
Mario Gattiker, Staatssekretär für Migration, nicht infrage. Er führte bisher
die Gespräche mit Brüssel über Anpassungen bei der Personenfreizügigkeit.
Dritte Neuerung: Bern versucht, die
Nachbarstaaten direkt in die Gespräche
über die Personenfreizügigkeit zu involvieren. Dieser Versuch ist ein Hinweis
darauf, dass die EU der Schweiz kaum
entgegengekommen ist. In Berlin, Paris, Wien und Rom hofft die Schweiz
auf mehr Verständnis. Beobachter in
Brüssel halten es für wenig wahrscheinlich, dass sich die Schweizer Nachbarstaaten gegen die EU-Kommission stellen werden. Welche Optionen derzeit
konkret diskutiert werden, wollte der
Bundesrat gestern nicht sagen.
L
etztlich sind es Ablenkungsmanöver und Nebelpetarden, die
der Bundesrat da präsentiert:
Neue Verhandlungsstrategie,
neuer Chefunterhändler, Liebesgrüsse
nach Berlin, Rom und Paris inklusive –
die Regierung will sich noch nicht entscheiden, wohin die Reise gehen soll.
Die Teilnahme am EU-Binnenmarkt
setzt die Übernahme gewisser Regeln
von Stefan Schmid
voraus. Es ist wie am Familientisch:
Man kann nicht mitspielen, aber eigene
Würfel benützen. Oder aber die Schweiz
setzt auf Kontingente, Inländervorrang
und verweigert eine gemeinsame Gerichtsinstanz. Sie setzt damit ihren Zugang zum 500-Millionen-EU-Markt aufs
Spiel. Es ist unsere freie Entscheidung.
Der Stargeiger Daniel Hope spielte im
Rittersaal von
Schloss Lenzburg
zum Auftakt der
Lenzburgiade. Unter
den vielen prominenten Gästen war
auch der Aargauer
Regierungsrat in corpore. Die siebte Ausgabe des Musikfestivals wartet noch bis
zum Sonntag mit
weiteren hochkarätigen Konzerten auf.
Es spricht nichts dagegen, Verbündete
in Paris, Rom, Wien und Berlin zu suchen. Unsere Nachbarn haben tatsächlich ein vitales Interesse an geregelten
Beziehungen mit der Schweiz. Aber die
Personenfreizügigkeit werden auch sie
kaum auf dem Altar der nachbarschaftlichen Freundschaft opfern. Ein Ablenkungsmanöver ist die Absicht, einen
neuen EU-Chefunterhändler zu suchen,
der die magische Formel endlich finden
soll. War der bisherige Staatssekretär
Yves Rossier womöglich zu unangenehm? Er sagte jüngst an einer Veranstaltung in Genf: «Zwischen der EU und
der Schweiz geht es nicht mehr um Details. Es geht um die politische Grundsatzfrage.» Der Bundesrat weicht dieser
Frage aus und versucht sich durchzumogeln. Wo bleibt der Mut auf der
obersten Führungsetage? Wann schenkt
die Regierung dem Volk reinen Wein
ein? Vielleicht, wenn auch der nächste
Chefunterhändler gescheitert ist.
SEITEN 17,25
FOTO: CHRIS ISELI
@ [email protected]
Pensionskassen-Affäre
MEINUNGSSEITE
Mordprozess
Strafverfahren gegen Walter Dubler Urteil im Fall Willi M. fällt heute
INSERAT
Ablenkung
statt Führung
KOMMENTAR RECHTS, SEITEN 2/3
Lenzburgiade
Der Wohler Gemeindeammann gerät
immer stärker unter Druck: Nun hat
die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen Walter Dubler eröffnet. Dieser lässt sich seit anderthalb Jahren zu
hohe Pensionskassenbeiträge von der
Gemeinde bezahlen. Rechtsanwalt Markus Leimbacher geht davon aus, dass
KOMMENTAR
sich die Untersuchung um Amtsmissbrauch, ungetreue Amtsführung und
und qualifizierte Veruntreuung drehen
dürfte. Für den ehemaligen SP-Fraktionschef ist klar: Dubler muss zurücktreten. Der frühere Regierungsrat Peter
Wertli fordert Dubler auf, die Vertrauensfrage zu stellen. SEITEN 22/23
Vor gut drei Jahren wurde Willi M. aus
Brittnau brutal umgebracht. Sein mutmasslicher Mörder, ein 31-jähriger Asylbewerber aus Marokko, stand gestern
Mittwoch vor dem Bezirksgericht Zofingen. Der Staatsanwalt sowie die Vertreterin der Angehörigen von Willi M. plädierten auf Mord und forderten lebens-
längliche Haft für den Angeklagten.
Laut der Anklage hatte der Marokkaner
sein Opfer mit einem Holzscheit barbarisch erschlagen. Sein Anwalt bezeichnete die Tat als Notwehrexzess, dafür
seien dreieinhalb Jahre Haft angemessen. Heute um 17 Uhr gibt das Gericht
das Urteil bekannt. SEITE 23
Dagmar Heuberger zu Russlands
Nuklearstrategie
«Das offensive Verständnis muss dem Westen
Sorgen machen.»
SEITE 20
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