27.09., Mosaik-Gottesdienst zu Matthäus Alber, Pfarrerin Gilch

Predigt im Mosaik-Gottesdienst am 27. September 2015
in der Reihe: Menschen, die uns Mut zum Glauben machen
in der Kreuzkirche Reutlingen Pfarrerin Astrid Gilch-Messerer
Liebe Gemeinde,
1.1 In RT gibt es das Matthäus-Alber-Haus und eine Aulberstr.
Eine Statue von ihm steht im Chorraum der Marienkirche
Wer war Matthäus Alber?
Matthäus Alber stammt aus Reutlingen. Im Jahr 1495 wird er geboren.
Nach seinem Studium in Tübingen – er studiert bei Philipp Melanchthon – und
in Freiburg wird er im Jahr 1519 als katholischer Priester nach Reutlingen
berufen.
Der Bischof von Konstanz wird auf ihn aufmerksam, weil er reformatorisch
predigt und in Schriftauslegungen vor seinen Priesterkollegen Luthers
Gedanken verbreitet. Der Bischof verhängt über Alber in dessen Abwesenheit
den Kirchenbann, es folgen die Reichsacht für ihn und für die Stadt Reutlingen
und die Exkommunikation durch den Papst – eine gefährliche Situation.
Im Jahr 1524 heiratet Alber, der ja immer noch katholischer Priester und daher
dem Zölibat verpflichtet war.
Es sind unruhige Zeiten: In den Bauernaufständen und im Blick auf die
Täuferbewegung steht Alber fest auf der Seite Luthers. Er grenzt sich – wie
Luther- von den Anliegen der Bauern ab: Aus Sorge, dass die Sache der
Reformation mit den politischen Forderungen der Bauern vermischt und
scheitern würde.
Schließlich wird er vom Bischof nach Esslingen zum Verhör geladen.
Es war wohl so, dass viele der anwesenden Priester und Mönche darauf
spekulierten, dass Alber – wie gut 100 Jahre vor ihm Jan Hus – als Ketzer
überführt und auf dem Scheiterhaufen enden würde.
Ulrich Zwingli versucht, im Streit um das richtige Verständnis des Abendmahls
mehrmals, Alber auf seine Seite zu ziehen. Boten gehen zwischen Zürich und
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Reutlingen hin und her, und es werden Briefe gewechselt.
Doch auch hier bleibt Alber der Auffassung Luthers treu:
Das Abendmahl ist kein bloßes Erinnerungsmahl, sondern Christus selbst ist in
Brot und Wein gegenwärtig.
1.2 Die Situation in RT
In welche Verhältnisse hinein traf Matthäus Alber?
Alber war Reutlinger, und die Reutlinger vertrauten ihm als einer der
Ihren. Im Jahr 1524 kommt es zum sogenannten Reutlinger Markteid. Die
Bürgerschaft handelt mit dem Rat der Stadt aus, dass sie Alber vor Übergriffen
des Bischofs oder des Kaisers schützen muss.
Mit diesem Rückhalt aus der Bürgerschaft wagt Alber weitere Schritte:
Er teilt jetzt beim Abendmahl an alle Gläubigen, Brot und Wein aus, nicht nur
an die anwesenden Priester. Für uns ist es ja ganz normal, dass alle
Abendmahlsgäste Brot und Wein bekommen. Das Abendmahl in beiderlei
Gestalt ist eine Revolution, die wir heute kaum noch nachvollziehen können.
Übrigens weilt Alber im Jahr 1536 bei Martin Luther in Wittenberg, um den
Abendmahlsstreit mit Ulrich Zwingli beizulegen. Leider kann keine Einigung
erzielt werden.
Alber erarbeitet eine neue Kirchenordnung, die von Martin Luther schriftlich
gebilligt wird – es gibt einen Brief Martin Luthers „An die lieben
Reutlinger“.
Alber führt in Reutlingen die Gottesdienstform ein, die später in ganz
Württemberg übernommen wird und die wir heute noch haben:
Nicht die Messe, wie es lutherische Kirchen in Anlehnung an Martin
Luther in der Regel haben, sondern die Form des spätmittelalterlichen
Predigtgottesdienstes, den sogenannten Oberdeutschen Predigtgottesdienst.
Alber hat mit seinem reformatorischen Denken einen großen Rückhalt in
der Bürgerschaft, aber auch in Jos Weiß, einem der Ratsherrn und zeitweise
auch Bürgermeister in Reutlingen.
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Im Jahr 1530 unterzeichnet Jos Weiß als Vertreter der Freien Reichstadt
Reutlingen in Anwesenheit des Kaisers neben deutschen Fürsten die Confessio
Augustana, das bis heute wichtige „Evangelische“ Bekenntnis.
Als Freie Reichsstadt war neben Reutlingen nur Nürnberg vertreten. Es gibt
einen Kupferstich aus dem Jahr 1631, auf dem Jos Weiß inmitten der Fürsten
abgebildet ist.
1.3 Die Jahre nach Reutlingen
29 Jahre lang wirkt Matthäus Alber in Reutlingen.
Auf den Schmalkaldischen Krieg zwischen Protestanten und katholischen
Herrschern folgt im Jahr 1547/48 das sogenannte Augsburger Interim:
Bis zur Einberufung eines Konzils sind den Protestanten nur das Abendmahl in
beiderlei Gestalt und die schon geschlossenen Priesterehen gestattet. Alles
andere wird wieder katholisch.
Alber kann als Pfarrer damit nicht leben. Er wird an die Stiftskirche nach
Stuttgart berufen, wo er 15 Jahre lang mit der Ausbildung des
Pfarrernachwuchses betraut wird.
So ist er an einer wichtigen Schaltstelle: Er kann die jungen Theologen in
reformatorischen Theologie und Kirchenwesen schulen.
Im Jahr 1563 kommt er als Prälat an das Seminar im Kloster Blaubeuren, eine
Schule, an der angehende (evangelische)Theologen die für das
Theologiestudium notwendige Schulbildung erhalten sollen. Dieses Seminar
gibt es als evangelische Schule übrigens heute noch.
Im Jahr 1570 stirbt Matthäus Alber, kurz vor seinem 75. Geburtstag, ohne einen
Tag in Rente gewesen zu sein.
2. Matthäus Alber – einer, der uns Mut zum Glauben macht
Liebe Mosaik-Gemeinde,
Menschen wie Matthäus Alber haben Kirchengeschichte mitgestaltet.
Für mich ist beeindruckend, dass er ein Leben lang bei seiner Berufung
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geblieben ist: Gottes Wort zu verkündigen und dem kirchlichen Leben eine
Gestalt zu geben, die auf Gottes Wort basiert.
Vieles war glückliche Fügung: Dass er z.B. beim Verhör in Esslingen mit dem
Leben davon kam, lag zwar auch an seiner rhetorischen Schlagfertigkeit, aber
wohl mehr noch an den politischen Umständen:
Dass der Bischof von Konstanz wegen eines Einzelnen nicht gleich eine große
Gegnerschaft gegen sich haben wollte.
Eine glückliche Fügung war sicher auch die Zusammenarbeit mit Jos Weiß, dem
Ratsherrn und Bürgermeister.
Matthäus Alber war unheimlich fleißig: Allein das Briefeschreiben und das
Briefelesen muss ihn viel Zeit gekostet haben, daneben das Predigen und das
Studium der neuesten Literatur und die Verhandlungen mit dem Rat der Stadt
Reutlingen.
Alber ist mit seinen 75 Jahren für damalige Verhältnisse sehr alt geworden.
Sein Grab können wir heute noch in der Stadtkirche in Blaubeuren besuchen
und das Epitaph bewundern.
Theologische Auseinandersetzungen zwischen evangelisch und katholisch,
Gottesdienstformen oder das Abendmahl in beiderlei Gestalt sind heute kein
trennender Streitgegenstand mehr.
Wir Menschen heute stehen vor ganz anderen Fragen als Matthäus Alber:
z. B.
- Wie wir mit den Flüchtlingen, die zu uns kommen, umgehen
- wie wir mit den Ressourcen Wasser und Luft und den Bodenschätzen
umgehen
- oder wie wir auf der Erde die Nahrungsmittel verteilen, und dazu gehört auch,
wie wir mit Pflanzen und Tieren umgehen
Und wir sind zunehmend auch gefragt, wie wir mit den Menschen, die unter
uns leben und immer älter werden, umgehen, um nur ein paar Stichworte zu
geben.
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Das sind Fragen, auf die wir heute reagieren müssen, ob es uns passt oder nicht.
Matthäus Alber war mit dem Wort Gottes aus der Bibel vertraut.
Und er stand in engem Kontakt - zum Rat der Stadt Reutlingen, aber auch mit
anderen Reformatoren, die ihm wichtige Wegbegleiter und Korrektiv waren:
allen voran Luther, aber auch Ulrich Zwingli, Johannes Brenz, der Reformator
von Schwäbisch Hall, Ambrosius Blarer, der Reformator aus Konstanz, der
Zwingli nahestand, und Martin Bucer aus Straßburg.
Bleiben auch wir nicht unter uns, auch wenn die Kreuzkirchengemeinde groß ist
und es in vielen Bereichen so warm ist. Suchen wir den ökumenischen Kontakt
– den Kontakt und die Zusammenarbeit mit unserer katholischen
Schwestergemeinde Heilig Geist, die jetzt St. Lukas heißt, mit der Evang.Freikirchlichen Gemeinde vor Ort, in der Gesamtkirchengemeinde und darüber
hinaus.
Da ist vieles, was wir voneinander lernen und besser miteinander bewältigen
können – trotz all unserer Verschiedenheit.
Drei weitere Punkte sind mir bei der Beschäftigung mit Matthäus Alber noch
aufgefallen , die ihn mir nahebringen:
Das Erste:
Im Januar 1528 kam eine Gruppe von so genannten Wiedertäufern nach
Reutlingen. Sie wollten hier auf die vorhergesagte Wiederkunft Christi warten.
Alber gelang es, den Anführer dieser Gruppe davon zu überzeugen, dass eine
Datierung und eine Lokalisierung der Wiederkunft Christi nicht biblisch und
dass die Kindertaufe der Schrift gemäß sei.
Im Februar 1528 kamen Rottenburger Täufer auf ihrer Flucht vor dem Kaiser
nach Reutlingen. Die Reutlinger weigerten sich zwar mit Rücksicht auf den
Kaiser, sie aufzunehmen. Andrerseits umgingen sie dadurch, die Todesstrafe an
ihnen vollstrecken zu müssen.
Und das Zweite:
In Reutlingen war es in der Osterzeit 1531 zu einem Bildersturm gekommen. Ein
Kruzifix wurde aus der Marienkirche entfernt, Tabernakel wurden beseitigt,
Altäre und Bilder zerstört, die St. Leonhardkapelle wurde abgebrochen und drei
Glocken von den Kirchtürmen auf Stadttore umgehängt.
Dass diese Maßnahmen gegen den Willen von Matthäus Alber durchgeführt
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wurden, zeigt seine Haltung auf dem sogenannten „Uracher Götzentag“ im Jahr
1537.
Herzog Ulrich hatte führende süddeutsche Theologen nach Bad Urach
zusammengerufen, um über den Umgang mit Heiligenbildern zu beschließen.
Alber äußerte sich moderat: Seiner Ansicht nach sollten nur die Bilder entfernt
werden, die zur Abgötterei aufgerichtet waren. Man solle um der Schwachen
willen keine Eile an den Tag legen.
Und das Dritte:
Alber hat sich gemeinsam mit Johannes Brenz auch mutig gegen die
Hexenverfolgung seiner Zeit gestellt – auch hier wieder mit Argumenten aus der
Bibel. Es sei die Allmacht Gottes, die den Hexen keine Macht gebe, z. B.
Hagelunwetter heraufzubeschwören.
Zum Schluss:
Matthäus Alber ist für mich ein moderner Theologe, weil er – im Anschluss an
Luther – immer die 3 Grundlagen reformatorischer Theologie vertritt:
 Allein die Heilige Schrift
 Allein der Glaube
 Allein Jesus Christus
Deshalb lohnt es sich, zumal für uns in Reutlingen, dass wir uns mit ihm
beschäftigen.
Amen.
Pfarrerin Astrid Gilch-Messerer
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