2016 Januar 2016 · Sonderheft Ärztekammer Hamburg 200 Jahre Bibliothek des ÄrztlichenVereins Bibliothek des Ärztlichen Vereins Von-Melle-Park 3 | 20146 Hamburg Tel. 040 / 44 09 49 | Fax 040 / 44 90 62 [email protected] | www.aekbibl.de Unsere Ö Montag D i e nst a Mittwo g ch ffnungs z eiten 9 – 17 U h r 10 – 16 Uhr D 10 – 19 Uhr F onnerstag 10 reitag – 16 U 9 – 16 U hr hr Wegbeschreibung Die Bibliothek befindet sich im Altbau der Staats- und Universitätsbibliothek. Der Zugang ist über den Haupteingang der Stabi möglich. Hinweisschilder zeigen den Weg in den Altbau und zum Lichthof, dort im 1. Stock finden Sie unsere Bibliothek. 2 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS E D I T O R I A L „Ein Besuch in der Bibliothek macht demütig und dankbar zugleich.“ Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery Präsident der Ärztekammer Hamburg Präsident der Bundesärztekammer Kostbare Schätze und aktuelle Wissenschaft Haben Sie schon einmal an einer Führung durch die Bibliothek des Ärztlichen Vereins teilgenommen? Wenn nicht, sollten Sie sich das unbedingt einmal gönnen, die Mitarbeiterinnen bieten regelmäßig Rundgänge an. Die Bibliothek, die heute im Gebäude der Staatsbibliothek beheimatet ist, ist ein wunderbares Stück Hamburg, ein wunderbares Stück Ärzteschaft. Bis auf das 16. Jahrhundert gehen die Bücher in der sogenannten „Schatzkammer“ zurück, und sie zeigen auf eindrucksvolle Weise, mit welch kunstvoller Handarbeit Wissenschaftler sich damals bemühten, Zusammenhänge des menschlichen Körpers darzustellen. Was heute computergestützt blitzschnell auf dem Bildschirm erscheint, war damals filigranste Zeichenarbeit. Aber auch jüngere Bücher zeigen uns, welch andere Vorstellungen von Zusammenhängen und Funktionsweisen des Körpers unsere Kollegen aus vorigen Jahrhunderten zum Teil noch hatten. Es führt uns im wahrsten Sinne wieder einmal vor Augen, dass unser heutiger Erkenntnisstand mühevoll erarbeitet wurde. Mit anderen Worten: Ein Besuch in der Bibliothek macht demütig und dankbar zugleich. Es war immer wieder dem Einsatz einzelner Kollegen zu verdanken, dass es diesen Schatz heute noch gibt. Beispielsweise beim „Großen Brand“ im Jahr 1842: Der damalige Vorsteher der Bibliothek des Ärztlichen Vereins, Dr. Friedrich Nikolaus Schrader, rettete die wertvollsten Werke, bevor die Bibliothek vollständig in Flammen aufging. Schrader wurde dabei schwer verletzt – und machte sich doch umgehend an den Wiederaufbau des Bestands. Viele Kolleginnen und Kollegen haben sich in früheren Zeiten als Freunde der Bücher verstanden, aber auch heute noch unterstützen eine Vielzahl von Begeisterten und Interessierten die Bibliothek mit Geld und Engagement, zum Beispiel als Mitglieder im Förderverein oder im Bibliotheksausschuss, als Referenten oder Besucher der vielen interessanten Veranstaltungen, die es in der Bibliothek immer wieder gibt. Besonders erwähnt seien natürlich die Mitarbeiterinnen der Bibliothek mit ihrem unermüdlichen Einsatz für „ihre“ Leserinnen und Leser, immer auf der Suche nach Ideen für noch besseren Service. Sie alle tragen dazu bei, dass die Bibliothek bei aller historischen Bedeutung auch ein putzmunteres Stück heutiges Hamburg ist und bleibt. Dafür an dieser Stelle einen großen Dank im Namen der Hamburger Ärzteschaft! Dank an dieser Stelle auch der Jung-Stiftung, die die Ärztekammer Hamburg auf großartige Weise darin unterstützt, Bücher zu entsäuern und damit zu retten. Dieses Sonderheft zu 200 Jahren Bibliothek des Ärztlichen Vereins steckt voller Informationen, aber auch voller Unterhaltung. Voller Bilder, die Sie vielleicht noch nie gesehen haben, und voller Skurrilitäten. Was glauben Sie, was Leserinnen und Leser in geliehenen Büchern so alles vergessen? Lesen und sehen Sie selbst! Und dann auf bald in der Bibliothek. 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS 3 G R U S S W O R T E 2016 wird die Bibliothek des Ärztlichen Vereins 200 Jahre alt, für eine weitgehend ausschließlich medizinische Bibliothek nicht nur ein beachtliches Alter, sondern auch Ansporn für ständige Erweiterungen und Weiterentwicklungen. 2014 umfasste der Buchbestand 135.651 Bände, daneben gibt es eine große Anzahl an Zeitschriftenbänden, Fortsetzungswerken, CDs und DVDs. Für eine medizinische Fachbibliothek ist es unabdingbar, aktuell zu bleiben. Die Serviceleistungen der Bibliothek sind vielfältig, umfassen für Mitglieder der Ärztekammer Hamburg unter anderem den Versand von Zeitschriftenaufsatzkopien und Literaturrecherchen. Ein Service, der rege genutzt wird. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bibliothek sind für telefonische und schriftliche Auskünfte erreichbar. Und wer es nicht zu den regulären Öffnungszeiten schafft, seine Bestellung abzuholen oder zurückzugeben, der kann seit einiger Zeit auch die Abhol- und Rückgabebox nutzen. Diese Einrichtung zeigt einmal mehr, wie serviceorientiert die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter denken und handeln. Der Bibliotheksausschuss dankt Die Staats- und Universitätsbibliothek gratuliert Wer die Bibliothek des Ärztlichen Vereins im ersten Stock zum historischen Lichthof der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg heute betritt, kann es kaum glauben, dass diese Bibliothek 200 Jahre alt sein soll. Ein Blick in den Bestand aber verrät den Reichtum an aktuellen Publikationen aus allen medizinischen Fachgebieten bis hin zu wertvollen historischen Quellen ab dem 16. Jahrhundert. So ergänzen sich die Bestände und Dienstleistungen der über 530 Jahre alten Staatsbibliothek mit denen der Bibliothek des Ärztlichen Vereins hervorragend. In der Zeit von 1924 bis 1937 war die Bibliothek bereits schon einmal Gast der Staatsbibliothek, damals noch am Speersort, bevor sie eigene Räume im „Haus der Ärzte“ bezog. Nach dem Zweiten 4 ihnen für ihre Arbeit, ihre Geduld mit den Leserinnen und Lesern und ihre Freundlichkeit gegenüber ihren „Kunden“. Dass die Bibliothek für Studenten und Ärzte in Weiterbildung eine wahre Fundgrube zur Vorbereitung von Prüfungen ist, hat sich schon längst herumgesprochen. Aber der Stolz der Ärzte auf ihre Bibliothek gründet auch auf den alten Schätzen. Sie besitzt eine Literaturschatzkammer mit Originalen bis zurück ins 16. Jahrhundert, sehr außergewöhnliche und sehenswerte Werke, die regelmäßig auch in Führungen der Öffentlichkeit präsentiert werden. Auch um die Erhaltung etwas jüngerer Bände kümmert sich die Bibliothek. Gemeinsam mit der JungStiftung führt sie regelmäßig Entsäuerungen von Büchern durch, die vom Säurefraß bedroht sind. Die Restaurierung von Altbestandbänden wird seit 1998 durch Mitgliedsbeiträge und Spenden des Fördervereins unterstützt. Die Bibliothek des Ärztlichen Vereins ist für Ärzte, Studierende, Stadtleser, Firmen, Schüler, Auszubildende und viele andere eine nicht mehr wegzudenkende, exzellente Informationsquelle für medizinische Recherchen, Weiterbildungen und wissenschaftliche Arbeiten. Prof. Dr. Gabriele Beger Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Weltkrieg fanden beide Bibliotheken ein neues Domizil im ehemaligen Wilhelm-Gymnasium. Seit nunmehr 70 Jahren ist die Bibliothek des Ärztlichen Vereins ständiger Gast in der Staats- und Universitätsbibliothek, sehr zum Wohl der Nutzerinnen und Nutzer beider Einrichtungen. Während die medizinische Zentralbibliothek des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf dem eigenen medizinischen Personal und den Studierenden der Fakultät Medizin der Universität Hamburg vorbehalten sein soll, ist die Bibliothek des Ärztlichen Vereins ein geschätzter und verlässlicher Partner für alle niedergelassenen Ärzte, Forscher aus aller Welt und für die Aus- und Weiterbildung. Herzlichen Glückwunsch! 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS © Schön Klinik; Stabi Hamburg; privat; Ärztekammer Hamburg PD Dr. Hergo Schmidt Vorsitzender des Bibliotheksausschusses der Ärztekammer Hamburg Exzellente Informationsquelle nicht nur für Ärzte 200 Jahre Bibliothek des Ärztlichen Vereins Maike Piegler, Diplom-Bibliothekarin und Leiterin der Bibliothek des Ärztlichen Vereins, schreibt über die wechselvolle Geschichte der Ärzte-Bibliothek (Seite 8). Prof. Dr. Manfred Dallek, Vorsitzender des Fördervereins der Bibliothek, engagiert sich, um vom Säurefraß bedrohte Bücher zu retten, und sucht noch Unterstützer (Seite 18). Dr. Oliver Obst, Leiter der Zweigbibliothek Medizin der Universitäts- und Landesbibliothek Münster, beschreibt, wie sich das Berufsbild von Medizinbibliothekaren durch den Einsatz neuer Medien zusehends verändert: Sie werden zu Spezialisten im Datenmanagement (Seite 20). 3·4 6·7 8 200 Jahre Bibliothek des Ärztlichen Vereins 8 12 13 14 17 18 20 21 22 Fundstücke aus Büchern 22 22 23 Gratulation · Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Ärztekammer Hamburg und der Bundesärztekammer, PD Dr. Hergo Schmidt, Vorsitzender des Bibliotheksausschusses und Prof. Dr. Gabriele Beger, Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Namen und Nachrichten News · Bibliotheksführungen · Festakt: 200 Jahre Bibliothek · Vorgestellt: Bibliotheksausschuss der Ärztekammer · Ausstellung zur Bibliotheksgeschichte: Information mit Tradition · Aufgeblättert – der Kalender des Fördervereins · Längste Entleihe blieb folgenlos · PsychotherapieLiteratur der APH · Spenden Sie ein Widmungsexemplar Das Thema Gegründet 1816 · 200 Jahre Bibliothek des Ärztlichen Vereins. Von Maike Piegler Service Angebot · Von Abholbox bis Zeitschriftenartikel. Von Maike Piegler Lesermeinungen · Was schätzen Sie an der Bibliothek? Forum Bibliothek Wissensräume in Hamburg · Pathologisches Cabinet mit Verfallsdatum. Von Henrik Eßler Naturalia, Anatomica, Herbaria, Monetae und Hamburgensia. Von Dr. Antje Zare 10 ganz besondere Fälle · Eine kleine Typenkunde. Vom Bibliotheksteam Förderverein · „Herrje, es bröselt“. Von Andrea Henning, Prof. Dr. Manfred Dallek Bibliothekare mit neuen Aufgaben · Im Dienste der Medizin. Von Dr. Oliver Obst Aus der Schatzkammer · „De humani corporis fabrica libri septem“ von Andreas Vesalius und „Physica Sacra“ oder „Kupfer-Bibel“ von Johann Jakob Scheuchzer. Fundstücke · Was Leser in Büchern zurücklassen. Gesammelt vom Bibliotheksteam Impressum Das Team der Bibliothek 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS 5 N A M E N U N D N A C H R I C H T E N Führungen durch die Bibliothek Vorgestellt: Bibliotheksausschuss der Ärztekammer Der Bibliotheksausschuss hat beratende Funktion und ist das Bindeglied zwischen Ärztekammer-Vorstand und Bibliothek. Er wurde im Jahre 1947 auf Initiative des Pathologen Prof. Dr. Werner Selberg (1913 – 2011) gegründet. Selberg war selbst mehrere Jahrzehnte lang Mitglied des Ausschusses und setzte sich bis ins hohe Alter für die Belange der Bibliothek ein. Der Ausschuss befasst sich mit unterschiedlichen Themen der Bibliotheksarbeit, wie Öffentlichkeitsarbeit, Serviceleistungen und Bestandserhaltung. Zwei Mitglieder des Ausschusses sind zudem an der Auswahl der Neuerwerbungen beteiligt. Derzeit hat der Bibliotheksausschuss zehn Mitglieder: PD Dr. Hergo Schmidt, Vorsitzender Prof. Dr. Manfred Dallek, stellvertretender Vorsitzender, Dr. Martin Eichenlaub, Dr. Axel Gehl, Prof. Dr. Michael Goerig, Dr. Philipp Kreiselmaier, Dr. Kai Sammet, Dr.Thomas Sorgenfrei, Dr. Johanna Stranzinger, Dr. Birgit Wulff. | mp Der Lichthof im Altbau der Stabi: Hier finden die Feierlichkeiten zum Jubiläum statt Festakt: 200 Jahre Bibliothek Einladung Die Ärztekammer Hamburg begeht das Jubiläum feierlich und unterhaltsam – mit Grußwort, Festvortrag und Musik. 200 Jahre Bibliothek des Ärztlichen Vereins – das ist ein Grund zum Feiern! Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen, Freunden der Bibliothek und langjährigen Lesern möchte die Ärztekammer Hamburg das Jubiläum mit einem Festakt begehen: am Donnerstag, den 18. Februar 2016, um 19 Uhr im Lichthof des Altbaus der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg – Carl von Ossietzky. Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Ärztekammer Hamburg und Bundesärztekammer spricht das Grußwort, durch den Abend führt der Schatzmeister des Fördervereins, Donald Horn. Der ehemalige kaufmännische Geschäftsführer der Ärztekammer wird die Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek, Prof. Dr. Gabriele Beger, und den Vorsitzenden des Bibliotheksausschusses, PD Dr. Hergo Schmidt, zum Thema „Aufgaben und Nutzen von Bibliotheken“ interviewen. Den Festvortrag zum Thema „Bekannte Köpfe“ hält Prof. Dr. Klaus Püschel vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Musikalisch wird der Abend von einer Bläsergruppe umrahmt. Im Anschluss an die Wortbeiträge wird die Ausstellung „Information mit Tradition – 200 Jahre Bibliothek des Ärztlichen Vereins in Hamburg“ eröffnet. Danach wird ein Imbiss serviert, und es bietet sich Gelegenheit zum Austausch oder für einen Blick in die 2015 renovierten Räume der Bibliothek. Sie möchten mitfeiern und haben keine persönliche Einladung erhalten? Dann melden Sie sich bitte bis spätestens Montag, den 1. Februar, per E-Mail: [email protected] oder unter Tel. 44 09 49 an. | mp Ausstellung zur Bibliotheksgeschichte: Information mit Tradition Zum Jubiläum hat das Bibliotheksteam die Ausstellung „Information mit Tradition“ zusammengestellt. Auf zwölf Tafeln erfährt der Besucher Wissenswertes zur wechselvollen Geschichte und zu den Beständen der Bibliothek. Hamburger Ärzte, die die Entwicklung der Bibliothek geprägt haben, werden porträtiert. Aus den umfangreichen Beständen werden wertvolle und auch kuriose Werke vorgestellt. Die Ausstellung wird vom 18. Februar bis zum 31. Mai 2016 gezeigt. Ausstellungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg – Carl von Ossietzky, Von-MellePark 3, im Übergang vom Hauptgebäude zum Altbau. Öffnungszeiten: Mo. bis Fr. von 9 bis 24 Uhr, Sa. und So. von 10 bis 24 Uhr. Der Eintritt ist frei. | mp 6 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS © Ärztekammer Hamburg Sie möchten die Bibliothek, ihre Räumlichkeiten und Bestände kennenlernen? Die Mitarbeiterinnen bieten individuelle Führungen für Gruppen von drei bis maximal 20 Teilnehmern an. Je nach Interesse der Teilnehmer liegt der Schwerpunkt auf medizinhistorischen Themen oder auf den Serviceangeboten für Mitglieder der Ärztekammer Hamburg. Haben Sie Interesse? Dann rufen Sie einfach unter Tel. 44 09 49 in der Bibliothek an und vereinbaren einen Termin. | mp Aufgeblättert! Kalender zum Jubiläum Zum Jubiläum hat der Förderverein „Freunde und Förderer der Bibliothek des Ärzlichen Vereins“ den Kalender „Aufgeblättert! 2016“ herausgegeben. Jeden Monat wird ein interessantes Buch aus dem Bibliotheksbestand mit einer Abbildung und einem kurzen Text präsentiert. Der Kalender ist gegen eine Spende von zehn Euro in der Bibliothek im Altbau der Staats- und Universitäts-Bibliothek, Von-MellePark 3, sowie bei Lehmanns Fachbuchhandlung, Kurze Mühren 6, erhältlich. Mehr Infos unter Tel. 44 09 49. | mp Längste Entleihe blieb folgenlos Dass manche Leser mit der Rückgabe von Büchern Monate in Verzug kommen, ist für die Bibliotheksmitarbeiterinnen Alltag. Doch als sich der Hamburger Arzt Dr. Peter Calais meldete, ging es um Jahrzehnte: Im Familienbesitz seiner Ärztedynastie befinde sich ein Buch von 1740, das womöglich der Bibliothek des Ärztlichen Vereins gehöre. Beim Aufräumen sei ihm „De morbis veneris“ von Jean Astruc (1684 –1766) in die Hände gefallen – auf Seite 2 prange der Stempel der Bibliothek des Ärztlichen Vereins. Astruc, Leibarzt Ludwigs XV. und Professor an der medizinischen Fakultät in Paris, schreibt über Ursprung, Verbreitung, Ansteckung und Therapie von Geschlechtskrankheiten … Dem damaligen kaufmännischen Geschäftsführer der Ärztekammer, Dagobert, äh, Donald Horn, leuchteten die Dollarzeichen angesichts der Säumnisgebühren in den Augen. Die tatsächlichen Besitzverhältnisse des Werks ließen sich nicht mehr eindeutig klären, und es wurde im gegenseitigen Einvernehmen an die Bibliothek zurückgegeben. Da das genaue Datum der Buchentleihe nicht mehr feststellbar war, einigte man sich auf einen symbolischen Euro als Säumnisgebühr … | sh PsychotherapieLiteratur der APH Was vielen Lesern (noch) nicht bekannt ist: In der Bibliothek des Ärztlichen Vereins befindet sich eine weitere, kleine Spezialbibliothek: die Bibliothek der Arbeitsgemeinschaft für integrative Psychoanalyse, Psychotherapie und Psychosomatik Hamburg (APH). Der Bestand umfasst derzeit rund 900 Bände zum Themenbereich Psychotherapie und Psychoanalyse. Die APH stellt jährlich einen Etat für Neuanschaffungen bereit, damit den Kandidaten und Dozenten der APH ein aktuelles Angebot gängiger Fachliteratur zur Verfügung gestellt werden kann. Der APH-Bestand kann von allen Lesern der Bibliothek des Ärztlichen Vereins genutzt werden, so wie auch alle Kandidaten und Dozenten der APH den Bestand der Bibliothek nutzen können. | mp Spenden Sie ein Widmungsexemplar Sie haben ein Buch aus dem Bereich Medizin, Gesundheitswissenschaften oder Medizingeschichte veröffentlicht oder mit herausgegeben? Seit ihrer Gründung sammelt die Bibliothek Widmungsexemplare ihrer Leser und anderer Autoren und freut sich über weitere Werke! | mp Hier könnte Ihr Name stehen Jährlich fanden die Stiftungsfeste des Ärztlichen Vereins statt. Dieses Plakat zum 97. Stiftungsfest 1913 zeigt eindrucksvoll, dass Ärzte auch früher durchaus Humor hatten. Man beachte den schnurrbärtigen Engel im Vordergund und den Rattenfänger der seine Anhänger hinter sich herzieht 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS 7 2002 D A S 3 T H E M A 4 5 6 1 Der Altbau der Stabi beherbergt die Bibliothek des Ärztlichen Vereins. 2 Der repräsentative Eingang wird heute nicht mehr benutzt. Besucher führt der Weg durch die Stabi. 3 Wertvolle Bücher werden sorgsam in der „Schatzkammer“ verwahrt. 4 Darunter befindet sich der Anatomieatlas von Andreas Vesalius aus dem 16. Jahrhundert. 5 Neu eingetroffene Bücher werden im Lesesaal präsentiert. 6 Per Computer können Leser auch selbst Literatur recherchieren. 7 Der Lesesaal der ÄrzteBibliothek strahlt nach seiner Renovierung 2015 leuchtend rot 1 2 7 8 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS 0200 200 Jahre Bibliothek des Ärztlichen Vereins Geschichte Gegründet am 2. Januar 1816 als Vereinsbibliothek des „Ärztlichen Vereins in Hamburg“ ist die Bibliothek der Ärztekammer Hamburg heute die älteste medizinische Fachbibliothek in der Hansestadt – mit einer wechselvollen Geschichte, die von Zerstörung, Wiederaufbau und großem Engagement für den Erhalt wertvoller Bücher zeugt. © Ärztekammer Hamburg, Stephanie Hopf Von Maike Piegler „Rechtlichen Männern, deren Beruf Arzneikunde, Wundarzneikunst oder Apothekerkunst ist, Gelegenheit zur wechselseitigen wissenschaftlichen Unterhaltung, so wie auch zur Benutzung der literarischen Hülfsmittel ihrer verschiedenen Fächer zu geben, ist der Zweck der Gesellschaft.“ (aus den Statuen des Ärztlichen Vereins von 1820) Der „Ärztliche Verein in Hamburg“ wurde am 2. Januar 1816 auf Initiative des Hamburger Arztes und Chirurgen Dr. Johann Heinrich de Chaufepié gegründet. Zur Gründungsversammlung trafen sich 60 Ärzte, sieben Wundärzte und 24 Apotheker im Gasthof „London“ am Jungfernstieg. Die Mitglieder sollten Gelegenheit zu wissenschaftlicher Unterhaltung in Form von Vorträgen und Falldarstellungen und Zugang zu berufsbezogener Literatur erhalten. Die Einrichtung und Pflege einer medizinischen Fachbibliothek für Vereinsmitglieder und deren auswärtige Gäste war von Beginn an wichtige Aufgabe des Vereins. Die Hälfte der erhobenen Mitgliedsbeiträge war daher für die Ausstattung einer Bibliothek vorgesehen, und bereits 1817 begann die Ausleihe von Büchern. Damit sich Ärzte dem wissenschaftlichen Stand entsprechend weiterbilden und austauschen konnten, war der Vorstand laut Statut dazu verpflichtet, alle „ärztlichen, wundärztlichen und ins Apothekerfach einschlagenden Zeitschriften und Bücher für das Lesezimmer anzuschaffen, welche in lateinischer, deutscher und französischer Sprache gedruckt, und durch den Buchhandel aufzutreiben sind“. Aber die Bibliothek sollte Ärzte nicht nur mit Zeitschriften und Büchern versorgen, sie sollte auch ein „Aushängeschild“ des Vereins sein und zu seinem Ansehen in der Stadt und der internationalen Fachwelt beitragen. Deshalb wurden von Anfang an auch wichtige und wertvolle medizinhistorische Werke von Antiquaren und auf Auktionen erworben. Die Bibliothek war ein kostspieliges Projekt, aber sie war auch „eine, wenn nicht sogar die zentrale und Identität stiftende Einrichtung des Vereins“. (Mertens, S.: Die Bibliothek des Ärztlichen Vereins in Hamburg bis zum Ersten Weltkrieg. HAW Hamburg, Diplomarbeit, 2005. S. 45) Auch die Einrichtung karitativer und gemeinnütziger Einrichtungen wie einer Armenanstalt und einer Ärztlichen Witwenkasse machte sich der Verein zur Aufgabe. Rund 25 Jahre nach seiner Gründung, im Jahre 1842, hatte der Ärztliche Verein 126 Mitglieder. Das Vereinslokal befand sich nach mehre- ren Umzügen seit 1841 in der Großen Bäckerstraße 15, mitten in der Hamburger Innenstadt. Inzwischen hatte sich der Verein in vielen Bereichen der öffentlichen Gesundheitspflege etabliert: Mitglieder führten in der Impfanstalt des Vereins Schutzpockenimpfungen durch, und während der Choleraepidemien im 19. Jahrhundert sorgte der Verein für die Behandlung der Erkrankten. Auch für die Gründung eines Gesundheitsrats in Hamburg setzte sich der Vorstand ein. Zerstörung und Wiederaufbau – der Große Brand von 1842 Für die Pflege der Bibliothek war seit 1827 als Vorsteher Dr. Friedrich Nikolaus Schrader (1793 – 1859) zuständig. Unter seiner Leitung hatte der Verein inzwischen rund 12.000 Bände gesammelt, was damals einer umfangreichen Fachbibliothek entsprach. Schrader trat als Arzt kaum in Erscheinung – zeitweise arbeitete er als Impfarzt des Vereins, führte aber nie eine eigene Praxis. Seine Leidenschaft galt den Bibliotheken, für die er ehrenamtlich arbeitete. 14 Jahre lang war er Vorsteher der Bibliothek der Patriotischen Gesellschaft, deren Bestand er ordnete und katalogisierte; für die damalige Stadtbibliothek (heute Staats- und Universitätsbibliothek) erstellte er einen handschriftlichen Katalog in sieben Bänden. Sein größtes Engagement aber zeigte Schrader in seinem Amt als Vorsteher der Bibliothek des Ärztlichen Vereins, das er 32 Jahre, bis zu seinem Tod, ausübte. Unter anderem erstellte er erstmals einen vollständigen Katalog und ordnete den gesamten Bestand neu. Wie leidenschaftlich er mit „seinen“ Büchern verbunden war, zeigte sich beim verheerenden „Großen Brand“, der vom 5. bis zum 8. Mai 1842 weite Teile der Hamburger Altstadt zerstörte und mehr als 50 Todesopfer forderte. Bevor die Bibliothek vollständig in Flammen aufging, rettete er unter Einsatz seines Lebens gemeinsam mit dem Kustos Johann Ludwig Völckers die wertvollsten Werke. Während dieser Rettungsaktion wurde Schrader schwer am Auge verletzt, seine Wohnung brannte aus, doch von dem Schock, der ihn ereilt haben musste, ließ er sich nicht lange beirren, sondern machte sich umgehend an den Wiederaufbau des Bestands. Bereits gut eine Woche nach dem Brand veröffentlichte der Ärztliche Verein seine erste Bitte um Spenden zum Wiederaufbau der Bibliothek in einer 2. Januar 1816 1827 5. bis 8. Mai 1842 1895 Dr. Johann Heinrich de Chaufepié gründet den Ärztlichen Verein und dessen Bibliothek in Hamburg Dr. Friedrich Nikolaus Schrader wird Vorsteher der Bibliothek und hatte das Amt 32 Jahre inne Großer Brand in Hamburg Die Bibliothek wird zerstört Gründung der Ärztekammer Hamburg 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS 9 2002 D A S T H E M A Das Haus der Patriotischen Gesellschaft an der Trostbrücke war von 1847 bis 1865 und von 1876 bis 1923 Standort der Bibliothek Ab 1924 wurde die Bibliothek im Hause der Staats- und Universitätsbibliothek (Stabi) am Speersort im ehemaligen Gebäude des Johanneums untergebracht medizinischen Zeitschrift. Die Resonanz war überwältigend. In den folgenden Ausgaben der Zeitschrift berichtete der Verein darüber, wer der Bibliothek welche Bücher hatte zukommen lassen, auch um weitere Spender zu animieren. Aus ganz Deutschland und aus vielen europäischen Ländern, sogar aus den USA, trafen Bücher und Zeitschriften als Spenden für den Wiederaufbau ein. Die Geschenke waren so zahlreich, dass die Bibliothek bereits 1860, 22 Jahre nach der Katastrophe, wieder über 10.000 Bände zählte. einer öffentlich zugänglichen Fachbibliothek unter dem Dach einer bedeutenden, viel genutzten Universalbibliothek. Da die medizinische Literatur bereits damals nicht in der Stabi, sondern an der medizinischen Fakultät der Universität Hamburg gesammelt wurde, stellte die Bibliothek des Ärztlichen Vereins eine willkommene Ergänzung des Bestands am Speersort dar. 1924 bis 1937 erste Kooperation mit der Staats- und Universitätsbibliothek Der Ärztliche Verein wollte seinen Mitgliedern angemessene, zentral gelegene, kostengünstige Räume für Versammlungen und auch für die ständig wachsende Bibliothek zur Verfügung stellen. Daher wechselte er im Laufe der Zeit mehrfach seinen Standort. Von 1847 bis 1865 sowie von 1876 bis 1923 war er im Haus der Patriotischen Gesellschaft an der Trostbrücke untergebracht. Doch 1923 steckte die Patriotische Gesellschaft in finanziellen Nöten, der Überseeclub übernahm ihr Haus im Nießbrauchrecht. Für den Ärztlichen Verein hatte die Neuvermietung die räumliche Trennung von Versammlungsraum und Bibliothek zur Folge. Während die Versammlungen fortan im Sitzungsaal des Überseeclubs stattfanden, wurde die Bibliothek im Hause der Staats- und Universitätsbibliothek (Stabi) am Speersort im ehemaligen Gebäude des Johanneums untergebracht – nicht unbedingt ein Nachteil: Der neue Standort bedeutete für die Bibliothek auch mehr potenzielle Leser, da sich der Verein verpflichtete, seine Bestände allen Nutzern der Staats- und Universitätsbibliothek zur Verfügung zu stellen. Die Bibliothek wandelte sich damit von einer reinen Vereinsbibliothek zu 1938 – Einverleibt von der Reichsärztekammer „Wir sind dem ehemaligen Ärztlichen Verein von Herzen dankbar, daß er in der Bücherei, die wir mit dem Verein übernehmen konnten, uns ein ausgezeichnetes Hilfsmittel zur Förderung der Wissenschaft geschaffen hat.“ Mit blumigen Worten umschrieb der damalige „Hamburger Ärzteführer“ Wilhelm (Willy) Holzmann in einer Rede die Tatsache, dass der Ärztliche Verein unfreiwillig aufgelöst worden war und die Vereinsbibliothek von der 1936 neu organisierten „Reichsärztekammer, Ärztekammer Hamburg“ in Besitz genommen wurde. Die Bibliothek, die inzwischen rund 80.000 Bände umfasste, zog aus dem Gebäude der Staats- und Universitätsbibliothek aus, und die erfolgreiche Kooperation wurde zunächst beendet. Am 30. Juni 1938 wurde die Bibliothek im „Haus der Ärzte“, An der Alster 49, neu eröffnet. Sie trug nun den Namen „Reichsärztekammer. Ärztekammer Hamburg Ärztliche Bücherei“. Der Zugang zur Nutzung wurde wieder auf die Hamburger Ärzteschaft beschränkt. Der Buchbestand blieb, nach bisherigem Kenntnisstand, von ideologisch gefärbten „Säuberungen“ und von Sekretierungen (Aufstellen unliebsamer Werke in „Giftschränken“) verschont. Möglicherweise fühlte sich in der Ärztekammer niemand hierfür zuständig. Auch auf eine Aneignung von Raubgut, 1937 Juli 1943 1945 1. Mai 1947 Der Ärztliche Verein wird von den Nationalsozialisten aufgelöst. Die Bibliothek geht in den Besitz der Reichsärztekammer über Prof. Dr. Max Nonne bringt während der Kriegsjahre den gesamten Bestand der Bibliothek in sein Sommerhaus, der damit einer Zerstörung entgeht Dr. Ernst Wolffson kümmert sich um den Wiederaufbau der Bibliothek Wiedereröffnung 1946 übernahm die Ärztekammer die Bibliothek, die dann in die Staatsbibliothek zog 10 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS 0200 In seinem Sommerhaus lagerte Prof. Max Nonne, Vorsitzender der Bibliothekskommission, ab 1943 einen Großteil des Bibliotheksbestands aus also Büchersammlungen vertriebener Ärztinnen und Ärzte, fanden sich bisher keine Hinweise. © Patriotische Gesellschaft von 1765; Stabi Hamburg; Ärztekammer Hamburg, Stephanie Hopf Auslagerung in den Kriegsjahren Zu den historischen Fakten der Bibliothek zählt auch, dass die Bücher während der Kriegsjahre im Sommerhaus des Eppendorfer Neurologen Prof. Dr. Max Nonne (1861 – 1959) eingelagert waren. Nonne, über den zurzeit im Zusammenhang mit Euthanasiegutachten kritisch diskutiert wird, war damals als Vorsitzender der Bibliothekskommission für die Bibliothek zuständig. Im Sommer 1943, vermutlich während der damals üblichen Schließung der Bibliothek während der Semesterferien, ließ Nonne den gesamten Bestand in Kisten verpacken und in sein Haus in Dwerkaten bei Lütjensee (Kreis Stormarn) bringen. Die Auslagerung wurde nicht offiziell bekannt gegeben, lediglich eine kurze Notiz in den „Mitteilungen der Ärztekammer Hamburg“ vom 1. März 1944 weist darauf hin, dass die Bibliothek nicht mehr im „Haus der Ärzte“ zu finden war. Es gab laut dieser Notiz einen Fahrdienst, der bestellte Bücher nach Hamburg lieferte. Wie dieser organisiert war und in welchem Umfang er von den Ärzten in Anspruch genommen wurde, lässt sich nicht mehr feststellen. Während das „Haus der Ärzte“ bei den Bombenangriffen im Sommer 1943 fast vollständig zerstört wurde, blieben die Bücher in ihrem Ausweichquartier unversehrt. 1945 – Dr. Wolffson sorgt für einen Neuanfang Der Neuanfang der Bibliothek nach dem Zweiten Weltkrieg ist dem Hamburger Arzt Dr. Ernst Wolffson (1881–1955) zu verdan- Lesesaal der Bibliothek um 1983. Inzwischen wurden die Räume renoviert (r.). Im Lesesaal finden Nutzer Fachbücher und Fachzeitschriften. Weitere Bücher lagern in den Regalen der angrenzenden Magazine, die für den Publikumsverkehr nicht geöffnet sind. Die Mitarbeiterinnen helfen gern ken. Wolffson war bereits von 1925 bis 1933 im Vorstand der damaligen Ärztekammer aktiv. Die Nationalsozialisten entließen ihn 1933 aus allen Ämtern, später entzogen sie ihm die Approbation und degradierten ihn zum „Krankenbehandler“. Als „unbelastet“ wurde Ernst Wolffson 1945 in den Vorstand der neu gegründeten Ärztekammer Hamburg berufen, und ihm wurde die Verantwortung für die „Entnazifizierung“ der Hamburger Ärzteschaft übertragen. Für die Bibliothek des Ärztlichen Vereins setzte Wolffson sich engagiert ein. Er sorgte dafür, dass die Bibliothek als eine Abteilung der 1945 neu gegründeten Ärztekammer Hamburg weiter existieren konnte. Auch die Wiederaufnahme der Kooperation mit der Stabi ist seinem Verhandlungsgeschick zu verdanken. Bereits im Jahre 1946 zog die Bibliothek in Räume im heutigen Altbau der Stabi ein. Der Bestand war zu dieser Zeit jedoch noch nicht dort aufgestellt. Schrittweise wurden die ausgelagerten Bücher am neuen Standort einsortiert. Am 1. Mai 1947 wurde die Bibliothek wieder eröffnet. Sie stand nun allen Ärztinnen und Ärzten, Studierenden sowie allen Interessierten zur Nutzung offen. In den darauffolgenden Jahren zog die Bibliothek innerhalb des Altbaus mehrmals um. Seit 1983 befindet sie sich nun in den Räumen im ersten Stock des Altbaus der Stabi, ein ehrwürdiger Standort, von wo aus sie die Literaturversorgung der Hamburger Ärztinnen und Ärzte in Hamburg und darüber hinaus unterstützt. Literatur bei der Verfasserin. Maike Piegler Dipl.-Bibliothekarin und Leiterin der Bibliothek des Ärztlichen Vereins E-Mail: [email protected] 1955 1987 1998 August 2000 2016 Bestand 71.000 Bände Altbau der Staatsbibliothek Nach einer Renovierung zieht die Bibliothek an ihren jetzigen Standort Freunde und Förderer gründen den Förderverein (FFB), der sich um die Restaurierung von Büchern kümmert Zettelkatalog ade Beginn der Katalogisierung der Bestände in den GBV-Verbundkatalog Jubiläum Die Bibliothek feiert ihr 200-jähriges Bestehen 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS 11 S E R V I C E Service Die Bibliothek des Ärztlichen Vereins sorgt dafür, dass die Hamburger Ärztinnen und Ärzte gut informiert sind. Sie unterstützt die Leser bei der Recherche und stellt Literatur auf vielfältigen Wegen zur Verfügung. Von Maike Piegler Die Abholbox in der Staats- und Universitätsbibliothek Von Abholbox bis Zeitschriftenartikel 12 ner Medien befindet sich direkt neben der Abholbox eine Rückgabebox. Bücher aus anderen Bibliotheken einsehen Bücher, die nicht in der Bibliothek des Ärztlichen Vereins vorhanden sind, bestellen die Mitarbeiterinnen auf Wunsch per Fernleihe aus anderen Bibliotheken innerhalb Deutschlands zur Nutzung vor Ort. Je Band kostet dies 1,50 Euro. Lehrbücher für Weiterbildung und Facharztprüfung Alle gängigen deutschsprachigen Lehrbücher für Weiterbildung und Facharztprüfungen stehen in der Bibliothek zur Ausleihe bereit. Online im Katalog recherchieren und vormerken Der gesamte Bestand ist im Katalog (www.aekbibl.de/katalog) online recherchierbar. Ausgeliehene Medien können vorgemerkt und über das Nutzerkonto Leihfristen verlängert werden. Leseausweis per Post – oder im Ärzteverzeichnis Ein Leseausweis ist obligatorisch, um die Angebote der Bibliothek nutzen zu können. Auf Wunsch wird er per Post zugesandt. Auch im Ärzteverzeichnis der Ärztekammer Hamburg sind Leseausweise erhältlich. Übrigens: Sofern nicht anders angegeben, sind alle Serviceangebote für Mitglieder der Ärztekammer Hamburg kostenlos! Was die Bibliothek ihren Lesern bietet Der Bestand umfasst rund 135.000 Bände: Bücher, Zeitschriften, CDs und DVDs. Zum Sammelspektrum gehören folgende Bereiche mit Schwerpunkt auf deutschsprachigen Titeln für Klinik und Praxis sowie für Studium und Weiterbildung: • Medizin • Medizinrecht, Standespolitik • Gesundheitswesen, Pflege • Medizingeschichte • Medizinethik • Lehrbücher für Facharztprüfung und Medizinstudium • medizinhistorischer Altbestand (ab 16. Jahrhundert) Anschaffungsvorschläge sind willkommen. Sie werden im Rahmen des Erwerbungsbudgets und des Sammelspektrums erfüllt. 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS © Ärztekammer Hamburg; privat; HS21 „Ich ziehe in das Bundesland XY. Wo finde ich denn dort die Ärztekammerbibliothek?“ Diese Frage stellen Leser dem Bibliotheksteam des Öfteren. „Nirgendwo“, ist die Antwort darauf. Denn die Bibliothek der Ärztekammer Hamburg ist einzigartig in Deutschland. Keine andere Ärztekammer bietet ihren Mitgliedern einen so umfassenden Service rund um die Literaturversorgung. Ein Team aus freundlichen, engagierten Fachkräften ist im Einsatz, um die Literaturwünsche der Leser zu erfüllen. Weil die Bibliothek nur relativ kurze Öffnungszeiten anbieten kann, wird der Schwerpunkt vermehrt auf Serviceleistungen gelegt, die keinen persönlichen Bibliotheksbesuch erfordern. Diese Angebote wissen mehr und mehr Kammermitglieder zu schätzen, wie der Zuwachs der letzten Jahre beim Versand von Zeitschriftenaufsätzen und Literaturrecherchen zeigt. Aber auch die Ausleihe von Fachund Lehrbüchern ist weiterhin beliebt. Um diese weitgehend unabhängig von den Öffnungszeiten zu ermöglichen, wurden die Abholbox und die Rückgabebox eingerichtet. Auch zukünftig soll das Serviceangebot weiterhin verbessert und angepasst werden. Derzeit bietet die Bibliothek den Mitgliedern der Ärztekammer Hamburg zum Beispiel: Zeitschriftenartikel direkt auf den Schreibtisch – die Literaturbestellung Die Leser können bei der Bibliothek Artikel aus medizinischen Fachzeitschriften bestellen, ganz einfach per E-Mail, Post, Fax oder auch telefonisch. Sie erhalten die Artikel zugesandt – quasi direkt auf den Schreibtisch. Literaturrecherchen zu allen medizinischen Fragestellungen Ganz gleich ob für einen Vortrag, für ein Gutachten, einen Fachartikel oder für die eigene Fortbildung – die Mitarbeiterinnen recherchieren in verschiedenen Datenbanken zum gewünschten Thema und stellen die Ergebnisse in Literaturlisten oder als Volltexte im „Infopaket“ zusammen und senden sie zu. Rechercheberatung in der Bibliothek Für diejenigen, die bei ihrer Recherche Unterstützung wünschen, bietet die Bibliothek Termine für eine Rechercheberatung an. Gemeinsam mit einer Mitarbeiterin wird die Recherche zum gewünschten Thema vorbereitet und ausgeführt. Abholbox und Rückgabebox: Abholung und Rückgabe von Medien täglich bis 24 Uhr In der Abholbox im Hauptgebäude der Stabi werden auf Wunsch bestellte oder vorgemerkte Medien hinterlegt. Der Leser erhält den Code zum Öffnen des Fachs per E-Mail und hat täglich bis 24 Uhr die Möglichkeit, die Medien abzuholen. Für die Rückgabe entliehe- Dr. Susanne Stiebeler, Oberärztin Radiologie im Ev. Amalie Sieveking-Krankenhaus, Standort LungenClinic Grosshansdorf: Jeder von uns kennt den täglichen Kampf mit „Institutionen“: Rückfragen, Vertagung, lange Fristen und Fehler. Nichts von alledem in der Bibliothek. Jede Literaturbestellung – und sei sie noch so umfangreich – wird korrekt und prompt bearbeitet. Aufwendige Literaturrecherchen werden innerhalb von Tagen ausgeführt. Und die Antwort ist immer mit einem persönlichen Wort und kurzem Gruß versehen. Mein Lob und Dank gilt allen Mitarbeitern für ihre fachliche Arbeit. Prof. Dr. Dr. Thomas Kreusch, Chefarzt Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie, Asklepios Klinik Nord – Heidberg, Hamburg: Ich benötige häufig, manchmal auch kurzfristig, aktuelle Literatur. Die Mitarbeiter der Bibliothek sind schnell und gründlich mit der Recherche und der digitalen oder analogen Übersendung der gewünschten Literatur. Und Bücherliebhabern sei eine Besichtigung mit Einblick in die Klimakammer empfohlen. Hier darf man mit Baumwollhandschuhen Raritäten der medizinischen Literatur in die Hand nehmen. Herzlichen Glückwunsch! Gut, dass es Sie gibt. Lesermeinungen Christian Wenninger, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (APH): Unlängst sagte ich zu jemanden, ich hätte in der Bibliothek des Ärztlichen Vereins eine bibliothekarische Heimat gefunden. Was macht dieses Gefühl aus? Es ist die freundliche Betreuung, die offenbar gute Arbeitsatmosphäre, die sich auf die Nutzer zu übertragen scheint. Dass unkompliziert kopiert, ausgeliehen, Internet genutzt werden kann und Anschaffungswünsche erfüllt werden, kommt hinzu. Dank an das Team! Dr. Matthias Schmidt, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Privatpraxis seit 2009: Es ist schon schwer genug, fachlich immer auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Dem geht manchmal noch mühsame Recherche voraus. Um so schöner, dass es bei Ihnen immer vorzüglich und schnell geht. Meine Artikel-Wünsche wurden stets am selben Tag erfüllt. Herzlichen Dank dafür. Prof. Dr. Oliver Dierk, Orthopädiezentrum Hamburg: Mein Dank gilt dem gesamten Team der Bibliothek des Ärztlichen Vereins. Durch die stets unkomplizierte und ausgesprochen hilfsbereite Art und Weise haben die Mitarbeiterinnen mir schon oft bei Vorträgen die Arbeit erleichtert. Sie leisten damit einen maßgeblichen Beitrag zur Fort- und Weiterbildung der Hamburger Ärzteschaft. Karin Weist, Systemischer Businesscoach für Ärzte: Seit ich vor über 20 Jahren anfing, Ärzte auf den Berufseinstieg in Deutschland vorzubereiten, bin ich immer wieder positiv überrascht, wie unkompliziert und kompetent diese Ärzte und ich in der Bibliothek beraten werden. Es ist wohltuend, wie unbürokratisch kleinere und größere „Probleme“ gelöst werden. Und manchmal genieße ich auch die Ruhe, mit der ich im Lesesaal in Zeitschriften und Büchern stöbern kann. 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS 13 F O R U M B I B L I O T H E K Wissensräume in Hamburg Von Ärzten und Sammlern Neben der Bibliothek hatte der Ärztliche Verein lange Zeit ein eigenes Museum mit Präparatesammlung. Dem wissenschaftlichen Bestreben folgten aber auch viele andere und schufen Wissensräume in der Hansestadt. Von Henrik Eßler und Dr. Antje Zare 14 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS Pathologisches Cabinet mit Verfallsdatum Von Henrik Eßler Ein sonderbares Buch befindet sich in der Bibliothek des Ärztlichen Vereins. Zahlreiche Spuren verweisen auf sein fortgeschrittenes Alter. Ein Verfasser fehlt, lediglich einen kurzen Titel trägt der dunkle Einband: „Anatomisch-pathologisches Museum“ steht dort in goldenen Lettern. Auch das Innere des Werks verrät nur wenig über seine Vorgeschichte: lange Listen lateinischer Begriffe – Krankheitsbilder, anatomische Gegebenheiten –, handgeschrieben und fortlaufend nummeriert. Das systematische Inhaltsverzeichnis jedoch lässt wenige Zweifel. Es handelt sich um das Inventar einer frühen medizinischen Sammlung. Das Buch ist einer der wenigen Hinweise auf eine fast vergessene Institution der Hamburger Medizingeschichte: das Museum des Ärztlichen Vereins. Vom einstigen Museum ist mehr offenbar nicht erhalten geblieben. Erst ein Blick in die frühe Historie des Vereins gibt weiteren Aufschluss über dieses Beispiel bürgerlicher Sammlungsbestrebungen in Hamburg. 1847, also rund 30 Jahre nach seiner Gründung, hatte sich der Verein auf Betreiben einiger engagierter Mitglieder zum Aufbau eines eigenen Museums entschlossen. Zu seiner Verwaltung wurde eine „Museumscomission“ eingesetzt, das zugehörige Reglement ein Jahr später verabschiedet. © Stephanie Hopf „... vorzüglich krankhafte Bildungen des menschlichen Körpers” Ein wichtiges Datum auf der Titelseite des Inventarbuchs stört jedoch die vermeintlich stimmige Geschichte: „renovirt d. 17. Juny 1843“ heißt es dort. Einerseits verweist die Angabe auf eine wichtige stadtgeschichtliche Zäsur. Im Mai 1842 war ein großer Teil der Hamburger Innenstadt einem verheerenden Brand zum Opfer gefallen. Auch der Sammlungsstandort war davon offenbar nicht unbeschadet geblieben. Anderseits muss die aufgeführte Sammlung bereits früher als angenommen bestanden haben. Des Rätsels Lösung geben die Umstände der Museumsgründung. Dessen Grundstock bildete neben rund 400 Präparaten aus dem Allgemeinen Krankenhaus auch die frühere Sammlung der „Medizinisch-chirurgischen Gesellschaft“ – etwa 350 Stücke, die sich zuvor im Wohnhaus des Arztes Karl Nikolaus Fallati (1803 –1868) befunden haben sollen. Ein Bericht Fallatis aus dem Jahr 1833 führt detailgenau die damalige Sammlung, bestehend aus „vorzüglich krankhafte[n] Bildungen des menschlichen Körpers, eine[r] Foetussammlung und einige[r] die Physiologie bezügliche[r] Präparate“ auf. Zusammen mit den jeweiligen Krankengeschichten und Sektionsprotokollen – oder zumindest kurzen Notizen – sollten diese beweisen, „wie verschieden die Krankheit in ihrer Erscheinung, wie oft diese trüglich, und wie voreilig und verwegen es sei, aus wenigen Beobachtungen auf die grossen Gesetze zu schliessen, denen die Natur selbst bei den kleinsten ihrer Wunder gehorcht“. Ein Vergleich der beiliegenden Auflistung legt nahe, dass das rätselhafte Inventarbuch bereits auf diese Vorgängersammlung zurückging. Fallati, zuletzt Hilfsarzt im Allgemeinen Krankenhaus in St. Georg, verließ bereits 1839 die Hansestadt. Ob die Sammlung bis zum Übergang an den Ärztlichen Verein in seiner Wohnung verblieb, bleibt unklar. Auch der Ärztliche Verein verfügte bereits zuvor über eine bescheidene Sammlung, etwa einer Reihe anatomisch-pathologischer Papier- maché-Modelle, gespendet durch den Vorsitzenden Johann Chaufepié. Nach der offiziellen Gründung des Museums kamen weitere Spenden hinzu, sodass die Sammlung nach nur zwei Jahren 1.229 Stücke umfasst haben soll. Zur „besseren Verwerthung der Sammlung“ wurde zudem ein Mikroskop angeschafft. Nur einmal wöchentlich stand die Sammlung den Vereinsmitgliedern offen, was zunächst für Proteste gesorgt hatte. Wie sich zeigte, blieb das Interesse jedoch insgesamt gering. Daran änderten auch einige prominente Zugänge, etwa der bekannten Calottensammlung des 1876 verstorbenen Theodor Simon und einer Reihe von Wachsnachbildungen der Portio vaginalis, gestiftet von Johann Ernst Panck (1805 – 1891), nichts mehr. Noch 1864 hieß es in den Berichten des Vereins, die Sammlung sei zwar erneut „bereichert“ worden, „aber fast gar nicht genutzt“. Eine kontinuierliche Pflege und Erweiterung der Sammlung auf über 2.000 Stücke lässt sich noch bis in die 1870er-Jahre nachvollziehen. Spätere Publikationen verraten wenig über die Existenz einer Sammlung, von einem „Museum“ ist nicht mehr die Rede. Noch 1895 wird in den Versammlungsprotokollen jedoch ein „pathologisches Cabinet“ aufgeführt. Anschließend verliert sich die Spur. In den Berichten zum 100- und 150-jährigen Jubiläum des Vereins wird nur noch die Bibliothek genannt. Henrik Eßler, M. A. wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf E-Mail: [email protected] Naturalia, Anatomica, Herbaria, Monetae und Hamburgensia Von Dr. Antje Zare Die frühe Sammlung des Ärztlichen Vereins war jedoch nicht die erste ihrer Art in Hamburg. Im Stadtstaat waren schon in der Frühen Neuzeit wissenschaftliche Sammlungen angelegt worden. Diese wurden in der Hansestadt nicht von Fürsten und Königen initiiert, sondern von Bürgern, Kaufleuten und Reedern. Ausgangspunkt im Johanneum Als 1653 der Stadtphysikus Paul Marquard Schlegel (geb. 1605), unverhofft nach kurzer Krankheit starb, vermachte er neben seinen Büchern auch eine wissenschaftliche Sammlung der Hamburger Stadtbibliothek. Die Bibliothek war räumlich und organisatorisch mit der Gelehrtenschule des Johanneums und dem Akademischen Gymnasium verbunden. Schlegel hatte in Padua promoviert, wo er das berühmte Theatrum Anatomicum sah. Zurück in Hamburg war er der Erste, der anatomische Vorlesungen hielt. Die Sammlung des Anatomen und Naturforschers umfasste ein großes Herbarium; aber „es seien wohl auch anatomische Präparate von Tieren und Menschen unter den Objekten gewesen“. Zu diesem Schluss kommt der Zoologe Herbert Weidner, der die Vorläufer und die Frühgeschichte des Naturwissenschaftlichen Vereins in Hamburg untersucht hat. Die Sammlung des Gelehrten galt als Vorläufer des Hamburger Naturhistorischen Museums, das 1843 gegründet wurde und am Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Berliner das größte im Reich war. Heute sind große Teile der Sammlungen, die den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS 15 F O R U M B I B L I O T H E K Darstellung des Akademischen Gymnasiums mit der „Bibliotheca Johannea“ aus dem späten 17. Jahrhundert. Stich von Franz Ladomin, „Das Gymnasium“, Quelle: Staatsarchiv Hamburg haben, Bestandteil des jüngst an der Universität Hamburg gegründeten Centrums für Naturkunde. Einen wesentlichen Ursprung der objektbezogenen Wissenschaftsgeschichte bildete die 1529 gegründete Gelehrtenschule des Johanneums. Seinen ersten Standort hatte die Schule im ehemaligen St. Johannis-Kloster, das nach der Reformation als Schulgebäude umgenutzt worden war. Hier war auch die Stadtbibliothek untergebracht. Die Bibliothek gehörte sowohl zum Johanneum als auch zum Akademischen Gymnasium, außerdem war sie Rats- und Stadtbibliothek. Der Komplex wurde die Keimzelle der wissenschaftlichen Sammlungen in Hamburg. Mittelpunkt geistigen Lebens Der Wissenschaftshistoriker Mitchell Ash hat eine Typologisierung von „Wissensräumen“ und Untersuchungsgegenständen vorgenommen: Er unterscheidet physische Wissensräume wie Forschungsstätten und Gebäude; Forschungsanlagen, apparative Ensembles; geografische Forschungsfelder und soziale Wissensräume. Daneben klassifiziert er symbolische Wissensräume wie die räumliche Anordnung und Inszenierung von Wissensgegenständen sowie die Inskriptionen wie Daten, Tabellen und Grafiken, Verzeichnisse in Form von Listen, Katalogen, Inventaren, Plänen und Karten. Die Objekte der wissenschaftlichen Sammlungen vereinen viele dieser „Wissensräume“. Sie wurden in realen Räumen untergebracht, beschriftet, verzeichnet, katalogisiert. Es wurde über sie gesprochen, sie wurden 16 Naturhistorisches Museum in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs, das im Zweiten Weltkrieg durch Bomben getroffen und nicht wieder aufgebaut wurde gehandelt, getauscht, in Hamburg an einem Ort zentriert, neben den Kabinetten der wohlhabenden Bürger und Sammler. Das Akademische Gymnasium am Johanneum wurde im 16. und 17. Jahrhundert zum „Mittelpunkt des geistigen Lebens mit großer Ausstrahlung auf Wissenschaft und Kultur, Medien und Kommunikation des Gemeinwesens“, so der Historiker Franklin Kopitzsch. Durch Schenkungen von Professoren und Bürgern wuchs die gemeinsame Bibliothek – „Bibliotheca Johannea“ oder „Ratsbibliothek“ genannt – zu einem vielfältigen Wissensspeicher heran. In einem Raum der alten Klosterbibliothek wurden Bücher und Sammlungen aufgestellt, die Sammlung setzte sich aus „Naturalia, Anatomica, Herbaria, Monetae und Hamburgensia“ (Weidner) zusammen. „Es wurden gesehen der Kopf eines Seepferdes, Hand einer Seekuh, Klapperschlange, Chamaeleon, Salamander, Schwanz eines Elefanten, Walpenis, verschiedene Conchylien, kunstvolle Abbilder usw.“, beschrieb der Student und Autor Holger Jacobaeus 1771 in seinem Reisebericht eben diese „Bibliotheca St. Johannis“. Viele der Objekte hatte Schlegel als Professor der Botanik und der Anatomie und Chirurgie bereits aus Jena mitgebracht, als er 1642 in seiner Vaterstadt zurückkehrte. Eine genaue Beschreibung der anatomischen Präparate fehlt bisher ebenso wie eine Spur zu ihrem späteren Verbleib. Dr. Antje Zare wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf E-Mail: [email protected] 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS © UKE; Zeichnungen: Imke Piegler Der Anatom Paul Marquard Schlegel sammelte wissenschaftliche Objekte und vermachte diese 1663 der „Bibliotheca Johannea“. Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Gemälde Sammlung Nr. 6 10 ganz besondere Fälle Eine kleine Typenkunde Erfahrungen So vielfältig wie die Bücher und die Serviceangebote der Bibliothek sind auch ihre Leser. Jeder hat seine ganz eigene Art, eine Bibliothek zu nutzen. Nach genauer Beobachtung zeigt sich: Die Leser lassen sich in Typen einteilen. Von Andrea Henning, Nicole Henze, Anja Windus Der Aufsatzbesteller Man kennt ihn nur per Mail- oder Faxkontakt (nicht selten zu nachtschlafender Zeit) oder tagsüber vom Telefon. Er ist begeistert vom Service und würde gern einmal persönlich vorbeikommen, schafft es aber aufgrund seiner Arbeitszeiten nicht. Der RechercheHerausforderer Stellt meist knifflige Fragen und ist oft selbst Experte im Recherchieren. Seine Literaturanfragen sind Herausforderungen, die die Rechercheure gern annehmen. Der Noch-nicht-Student Sucht die Bibliothek schon in der Schulzeit auf, um eine Hausarbeit oder einen Vortrag über ein Gesundheitsthema zu erarbeiten. Gibt den Mitarbeiterinnen bei Abgabe meist freudestrahlend bekannt, welche Note er dafür bekommen hat. Der Langjährige oder auch der Ewige Der Lesesaalsitzer Ist meist schon in Rente und hat endlich Zeit zum Lesen. Er sitzt gerne in der Bibliothek. Da er auf dem Laufenden bleiben möchte, sucht er meist aktuelle Literatur und kommentiert Artikel aus dem „Blauen Heinrich“. Hat die Bibliothek schon als Student entdeckt (wie der Geheimniskrämer) und ist auch später als Arzt von den zusätzlichen Vorteilen der Kammermitgliedschaft begeistert. Nutzt den Service solange es geht. Der Geheimniskrämer Ist meist Medizinstudent, der die Existenz der Bibliothek für sich behält. Er freut sich, die begehrten Lehrbücher vorzufinden, die in anderen Bibliotheken grundsätzlich ausgeliehen sind. Der Patient Der Unsichtbare oder die Nachteule Er fordert seinen Leseausweis per Post an, bestellt die Bücher über den Katalog, lässt sie per Mail in der Abholbox deponieren und gibt sie über die Rückgabebox zurück. Die Mitarbeiterinnen bekommen ihn nie zu Gesicht. Ähnlich die Nachteule – erledigt alles spätabends oder in der Nacht (Mails, Abholung bzw. Rückgabe der Medien). Sitzt mit großen Augen beim Arzt und versteht hauptsächlich „Bahnhof“. Er möchte sich gezielt über seine Krankheit und die Therapiemöglichkeiten informieren, sein Wissen diesbezüglich erweitern und dabei nicht allein auf „Dr. Google” vertrauen. Freut sich sehr über die Hilfe der Mitarbeiterinnen. Die unersetzbare Unterstützung Der Last-minute-Leser Taucht meistens fünf Minuten vor Schließung der Bibliothek auf, oder er benötigt – am besten schon gestern – dringend Fachliteratur für einen Vortrag. Er weiß, dass er sich auf die Bibliothek verlassen kann und passende Literatur bekommt. Gesundheits- und Krankenpfleger/innen, MFA, Altenpfleger/innen und viele weitere unersetzbare Fachkräfte suchen und finden ebenso aktuelle Literatur zu ihren Fachbereichen. Bringen von Anfang an eine Engelsgeduld und Freundlichkeit mit, die ihresgleichen sucht. 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS 17 F O R U M B I B L I O T H E K Bücher der Bibliothek vor und nach der Restaurierung Herrje, es bröselt! Förderverein Das Projekt „Entsäuerung“ in der Bibliothek des Ärztlichen Vereins rettet Bücher vor dem Zerfall. Von Andrea Henning, Prof. Dr. Manfred Dallek „Seien Sie vorsichtig mit Gesundheitsbüchern – Sie könnten an einem Druckfehler sterben.“ Mark Twain 18 Altbestände bleiben dabei keine Mittel übrig. Deshalb hat der Bibliotheksausschuss den Verein „Freunde und Förderer der Bibliothek des Ärztlichen Vereins e.V.“ gegründet, der am 6. Mai 1998 vom Amtsgericht in das Vereinsregister eingetragen wurde. Dem Säurefraß den Garaus machen Einer der Schwerpunkte des Fördervereins war und ist die Rettung der vom Säurefraß bedrohten Bücher. Eine große Hilfe zur Einwerbung von Geldern zu diesem Zweck war die Bachelorarbeit von Anke Büchter und Anja Schütte von 2008, die zeigte: 62 Prozent des Bestands weist saures Papier auf, 12,4 Prozent der Bücher zerfallen bei der ersten Berührung und lediglich bei 26 Prozent ist der Zustand im „grünen Bereich“. Aufgrund dieser wissenschaftlich fundierten Daten stellten die Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung und die Ärztekammer Hamburg für zehn Jahre finanzielle Mittel für die Entsäuerung zur Verfügung. Von diesem Geld konnten 2010 bis 2014 3.517 Monografien und 3.712 Zeitschriftenbände entsäuert werden, 2015 wurden 1.350 Kilogramm Bücher zur Entsäuerung weggegeben. Weiterer Schwerpunkt des Fördervereins ist die Finanzierung der Restaurierung von beschädigten Bucheinbänden. Bisher konnten durch Mitgliedsbeiträge und Spenden des Fördervereins insgesamt 3.200 Bücher wiederhergestellt werden. Bei einem Gesamtbestand von rund 135.000 Bänden, von denen eine nicht unbeträchtliche Anzahl restaurierungsbedürftig ist, leider nur ein Tropfen auf einen heißen Stein. Welche Bedeutung Bibliotheken mit historischen Beständen auch heute, im Zeitalter der Digitalisierung, noch haben, zeigt das Entsetzen und 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS © Ärztekammer Hamburg; Ulrike Schacht „Seien Sie vorsichtig mit Gesundheitsbüchern – Sie könnten an einem Druckfehler sterben“, bemerkte einst Mark Twain. Man könnte nun darüber diskutieren, ob der Verlust von historischen Druckfehlern – sprich: den Werken der Bibliothek des Ärztlichen Vereins – ein Dilemma wäre oder nicht. Dass wir einen Verlust erleben, können wir leider nicht bestreiten: Viele Werke unseres Bestands, meist zwischen 1840 und 1970 erschienene, lösen sich auf. Dabei lagern wahre Schätze in den Regalen. Für besonders wertvolle Exemplare steht mit der „Schatzkammer“ ein Raum für die Aufbewahrung zur Verfügung, in dem Temperatur und Luftfeuchtigkeit möglichst konstant gehalten werden. Doch an vielen Werken nagt der Zahn der Zeit. Durch Übersäuerung, vielfachen Gebrauch oder ehemals unsachgemäße Lagerung haben die Bücher unübersehbare Schäden erlitten. Was geschieht mit den gefährdeten Beständen? Der Jahresetat der Bibliothek deckt die laufenden Kosten, für die Restaurierung der die anschließende Spendenbereitschaft vieler Menschen beim Brand der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek im Jahre 2004. Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler sagte bei seiner Festrede zur Wiedereröffnung: „Die öffentlichen Bibliotheken sind weder ein Luxus, auf den wir verzichten könnten, noch eine Last, die wir aus der Vergangenheit mitschleppen: Sie sind ein Pfund, mit dem wir wuchern müssen.“ Und: „Bibliotheken sind das Gedächtnis der Menschheit.“ Spenden sind immer willkommen Das älteste Buch in unserer Bibliothek stammt aus dem Jahre 1534: „Opus re de medica“ von Paulus Aegineta. Wie viele Generationen von Bibliothekaren haben es gepflegt und über die Jahrhunderte gerettet! Diese wertvollen Schätze auch für die nachfolgenden Generationen zu erhalten, sehen wir als kulturelle und moralische Aufgabe. Vielleicht ist dies auch Ihnen ein Anliegen. Deshalb kommt unsere Bitte als Appell: Die Bibliothek braucht viele Förderer – auch Sie! Wir würden uns freuen, Sie im Förderverein begrüßen zu dürfen. Bereits mit einem Mitgliedsbeitrag von 50 Euro im Jahr können Sie zur Erhaltung des einzigartigen Altbestands beitragen. Natürlich sind auch darüber hinausgehende Spenden jederzeit sehr willkommen! Prof. Dr. Manfred Dallek, Vorsitzender des Vereins „Freunde und Förderer der Bibliothek des Ärztlichen Vereins e.V.“ und stellvertretender Vorsitzender des Bibliotheksausschusses der Ärztekammer Hamburg Andrea Henning, Mitarbeiterin in der Bibliothek Helfen Sie, den Altbestand zu retten Mitglied im Förderverein werden Einen Vordruck für Ihren Beitritt bei „Freunde und Förderer der Bibliothek des Ärztlichen Vereins e. V.“ finden Sie im Internet unter www.aekbibl.de/sites/foerderverein.html. Oder Sie rufen einfach in der Bibliothek unter Tel. 040 / 44 09 49 an und bekommen Ihr Beitrittsformular per Post zugeschickt. Die Gemeinnützigkeit des Vereins ist anerkannt, deshalb sind alle Mitgliedsbeiträge und Spenden steuerabzugsfähig. Es dankt der Vorstand des Fördervereins: 1. Vorsitzender: Prof. Dr. Manfred Dallek 2. Vorsitzender: Prof. Dr. Michael Goerig Schatzmeister: Donald Horn Beisitzerin: Dr. Birgit Wulff Schriftführerin: Maike Piegler Bankverbindung: Deutsche Apotheker- und Ärztebank, IBAN DE41 3006 0601 0008 1901 00, BIC DAAEDEDDXXX Buchpatenschaft übernehmen Unabhängig von einer Mitgliedschaft im Förderverein können Sie mit einer Buchpatenschaft genau das Buch „retten“, das Ihnen besonders am Herzen liegt, indem Sie es auf Ihre Kosten restaurieren lassen. Wenn Sie sich für eine Buchpatenschaft interessieren, setzen Sie sich mit der Bibliothek in Verbindung. Was bringt Ihnen eine Buchpatenschaft? • Das beruhigende Gefühl, ein Stück Kulturgut und zugleich Geschichte Ihres Fachs vor dem Verfall gerettet zu haben. • In Ihr „Patenbuch“ wird nach erfolgter Restaurierung ein Etikett mit Ihrem Namen eingeklebt. So wird auch in ferner Zukunft ersichtlich sein, wie viel die Bibliothek und ihre Schätze der Hamburger Ärzteschaft schon immer bedeuteten. • Für das Finanzamt erhalten Sie eine Spendenbescheinigung über den von Ihnen gespendeten Betrag. Oben: Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery (r.), Präsident der Ärztekammer Hamburg, und Nikolaus W. Schües, damaliger Vorsitzender der Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung, die seit 2010 die Entsäuerung der Bücher finanziell unterstützt (Aufnahme aus dem Jahr 2010). Mitte: Saures Papier führt zum Zerfall, beginnend an den Rändern der Buchseiten. Unten: Die gelben Zettel markieren Bücher, die entsäuert werden müssen 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS 19 F O R U M B I B L I O T H E K Lesesaal der Bibliothek des Ärztlichen Vereins: Neben der Ausleihe und der Archivierung von Fachliteratur haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vielfältige Aufgaben Im Dienste der Medizin Die Aufgaben von Medizinbibliothekaren haben sich im Laufe der Zeit stark gewandelt. Gestern waren sie die Verwalter von Fachliteratur, heute sind sie Spezialisten mit breitem Fachwissen. Der Umgang mit der wachsenden Datenflut ist die nächste Herausforderung. Von Dr. Oliver Obst Die Geschichte der Medizin und die Geschichte der Medizinbibliotheken sind eng miteinander verknüpft. Einige der ältesten medizinischen Aufzeichnungen wurden in einer Bibliothek in Ninive gefunden. Die Tontafeln waren ca. 4.000 Jahre alt und stammten aus der Palastbibliothek des assyrischen Herrschers Aššurbanipal (668 – 626 v. Chr.). Der König erweiterte seine Sammlung systematisch und ließ alle Tafeln verzeichnen und sachlich ordnen. Zu diesem Zweck beschäftigte er Einkäufer, Schreiber, Übersetzer und Archivare. Bis in die Neuzeit hinein wurden Medizinbibliotheken meist von Ärzten oder anderem medizinischem Fachpersonal wie Apothekern geführt. Mit der exponentiellen Zunahme des medizinischen Wissens Mitte des 20. Jahrhundets wurde die Leitung an Fachleute delegiert, die dafür speziell ausgebildet waren. Aus dem Ärztebibliothekar wurde der Medizinbibliothekar. Heute: Informationsvermittler und Spezialisten Das klassische Verständnis des Medizinbibliothekars als ausschließlichen Käufer und Ordner von Fachliteratur stimmt nicht mehr. Das Aufgabenspektrum hat sich in den vergangenen Jahrzehnten – ausgerichtet an den Ansprüchen der Ärzte und Wissenschaftler – weiterentwickelt. In den 1970er-Jahren wurden Medizinbibliothekare zu Informationsvermittlern, als es möglich wurde, über Modem in großen Literaturdatenbanken zu recherchieren. Sie wurden zu Ausbildern für die Suche in Medline auf CD-ROM in den 1980ern, zu Internet-Trainern in den 1990ern und zu Experten in evidenzbasierter Medizin in den 2000er-Jahren. Sie lizenzieren elektronische Zeitschriften in bundesweiten Konsortien und verleihen E-Books und Tabletcomputer. Bei all diesen Entwicklungen haben Medizinbibliothekare frühzeitig die verfügbaren Medien, Werkzeuge und Techniken auf Relevanz für ihre Klienten geprüft und diese dann proaktiv in ihren Dienstleistungskanon aufgenommen. Heute finden sich in Medizinbibliotheken fachlich kompetente Ansprechpartner zu so vielfältigen Themen wie Autorenbetreuung, bibliometrische Analysen, Clinical Decisi- 20 on Systems, Collaborative Writing Tools, Datenmanagement, Forschungsintegrität, Informationskompetenz, Langzeitarchivierung, Open Access, Publikationsservern und Urheberrechtsfragen. Morgen: Datenwissenschaftler und -schützer Gegenwart und Zukunft halten weitere Herausforderungen für Medizin und Bibliothek bereit. Wir erleben zurzeit die ersten Schritte der Zusammenführung, Digitalisierung und Analyse aller medizinischen Daten einer Person. Dies betrifft sowohl die Akten des Gesundheitssystems als auch die gesundheitsrelevanten Daten, die über Lifestyle-Geräte wie die Apple Watch gesammelt werden. Datenmanagement und Datenschutz sind bei diesem sensiblen Thema besonders wichtig. Aber auch für Forscher ist der Umgang mit Daten kein Selbstläufer, wie Daniel Lemire, Computerwissenschaftler aus Montreal, einräumt: „So I think that librarians should move on to more difficult tasks. For example, we badly need help with what I would call ‚meta-science‘ … We need help tracking data sets, their transformation and so on. In effect, I would push librarians into data science. That’s the next frontier.“ Zum Schutz der Daten vor Google und Co. brauchen wir vertrauenswürdige Institutionen wie die Initiative „Hub of all Things“ zeigt (http://hubofallthings.com). Auch König Aššurbanipal war darauf bedacht, dass Tontafeln mit sensiblen Informationen wie seine Regierungsverlautbarungen oder Leberorakel nicht jedermann zugänglich waren. Man fand sie bei den Ausgrabungen in einem besonders geschützten Raum der Bibliothek. Literatur beim Verfasser. Dr. Oliver Obst Leiter der Zweigbibliothek Medizin der Universitäts- und Landesbibliothek Münster E-Mail: [email protected] 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS Aus der Schatzkammer Einzigartig Jahrhunderte alte Bücher lagern in der Bibliothek. Hier werden zwei besondere Exemplare vorgestellt, die das wissenschaftliche Weltbild veränderten. Muskelspiel Dieser „Muskelmann“ ist eine von rund 270 Illustrationen aus dem weltweit berühmtesten Anatomieatlas „De humani corporis fabrica libri septem“ von Andreas Vesalius (1514 – 1564). Der flämische Anatom begründete mit seinem Atlas, der erstmals 1543 in Basel erschien, die neuzeitliche Anatomie. Im 16. Jahrhundert war die anatomische Lehre des griechischen Arztes Galen aus dem 2. Jahrhundert noch allgemein anerkannt, davon abweichende Sektionsergebnisse wurden als Fehlbildungen interpretiert. Während seine Vorgänger und Zeitgenossen die Sektionen von einem Dissektor durchführen ließen, sezierte Vesalius selbst, manchmal sogar in öffentlichen Vorlesungen. Durch seine Technik der schichtabtragenden Sektion, die sich in den Illustrationen wiederfindet, stellte Vesalius die anatomischen Strukturen erstmals systematisch dar. In seinem Werk widerlegte er etliche Irrtümer, die sich zum Teil seit Jahrhunderten gehalten hatten, und beschrieb viele bisher unbekannte Strukturen. Bis heute ist nicht geklärt, wer die Holzschnitte für den Atlas angefertigt hat. Vermutlich stammen sie von mehreren Tizian-Schülern, unter anderem von Jan Stephan van Calcar (1500 – 1546). Laut einer handschriftlichen Eintragung des Bibliotheksvorstehers Dr. Friedrich Nikolaus Schrader (1793 – 1859) gelangte der Atlas im Jahre 1843 als Geschenk – zum Wiederaufbau nach dem Brand – in die Bibliothek. Der Spender war demnach ein Dr. Harnier in Cassel. | mp Abbildung aus: „De humani corporis fabrica libri septem“ von Andreas Vesalius. Basel 1555 „Geheiligte Naturwissenschaft“ Diese Kupfertafel stellt die Erschaffung des Adam nach der biblischen Schöpfungsgeschichte dar. Sie stammt aus der „Physica Sacra“ oder der „Kupfer-Bibel“ von Johann Jacob Scheuchzer (1672 – 1733). Der Schweizer Arzt und Universalgelehrte, der unter anderem zur Schweizer Geografie und Naturgeschichte sowie zur Paläontologie forschte, war als Arzt, Mathematiklehrer, Bibliothekar und Vorsteher der Naturalienkammer in Zürich tätig. In seiner Kupfer-Bibel, die vier Foliobände mit insgesamt 2.098 Seiten und 750 Illustrationen umfasst, wollte Scheuchzer die Existenz Gottes durch die Naturwissenschaft belegen. Er erklärt darin alle in der Bibel erwähnten Phänomene naturwissenschaftlich und versucht damit, die Religion mit der Naturwissenschaft zu vereinbaren. In der Schweiz durfte das Mammutwerk nicht erscheinen, weil Scheuchzer mit seinen Ideen den Unmut der Geistlichkeit erregt hatte. Die Kupfer-Bibel wurde in Augsburg verlegt und erschien von 1731 bis 1735 zunächst auf Deutsch und auf Latein, später auch in niederländischer und französischer Übersetzung. Scheuchzer starb 1733 und erlebte daher die Vollendung seines Werks nicht mehr. Seit wann sich die prächtige Kupfer-Bibel im Bestand der Bibliothek befindet, ist leider nicht bekannt. | mp Abbildung aus: „Physica Sacra“ oder „Kupfer-Bibel“ von Johann Jacob Scheuchzer. Augsburg, Ulm 1731 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS 21 F O R U M B I B L I O T H E K Fundstücke Was Leser alles in Büchern zurücklassen … Impressum Sonderheft der Ärztekammer Hamburg zum 200-jährigen Jubiläum der Bibliothek des Ärztlichen Vereins Idee, Konzeption und Umsetzung Maike Piegler, Gabriele Ballon, Andrea Henning, Nicole Henze, Claudia Jeß, Stephanie Hopf, Dorthe Kieckbusch, Andrea Kühl, Sandra Wilsdorf, Anja Windus 22 Redaktion Stephanie Hopf, Dorthe Kieckbusch Für den Inhalt verantwortlich Maike Piegler Redaktion und Verlag Ärztekammer Hamburg Weidestraße 122 b, 22083 Hamburg Telefon: 0 40 / 20 22 99-0 Fax: 0 40 / 20 22 99-400 E-Mail: [email protected] 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS Mit Autorennamen gekennzeichnete Beiträge stellen nicht in jedem Falle die Meinung der Redaktion dar. Titelgestaltung, Bildbearbeitung Michael von Hartz Druck SDV – die Medien AG Auflage: 19.000 Das Team der Bibliothek Dipl.-Bibl. Maike Piegler Leiterin der Bibliothek, Mitarbeiterin seit Februar 1995, Spezialistin für Recherchen und knifflige Fragen. Ihre liebste Aussage lautet: „Bibliotheken rechnen sich nicht, aber sie zahlen sich aus.“ (Verfasser unbekannt) Um die Literaturwünsche der Leser zu erfüllen und damit im Hintergrund alles läuft, arbeitet in der Bibliothek ein Team aus derzeit sechs Mitarbeiterinnen und einem Azubi, unterstützt von einer studentischen Hilfskraft. Jeder hat neben allgemeinen Tätigkeiten „Spezialaufgaben“. Andrea Henning Dipl.-Bibl. Andrea Kühl Mitarbeiterin seit September 2003, Findefuchs, verantwortlich für die Ausbildung des Nachwuchses. „Die Kultur der Menschheit besitzt nichts Ehrwürdigeres als das Buch, nichts Wunderbareres und nichts, das wichtiger wäre.“ (Gerhart Hauptmann) stellvertretende Leiterin, Mitarbeiterin seit Oktober 2001, blitzschnelle Aufsatzzustellerin und verantwortlich für Aktualität und Vielfalt des Buchbestands. 2016 in Elternzeit. Sie wird vertreten von Dipl.-Bibl. Martina Goldmann. „Einem Haus eine Bibliothek hinzuzufügen heißt, dem Haus eine Seele zu geben.“ Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.) Gabriele Ballon Nicole Henze Mitarbeiterin seit Januar 1982, ist für aktuelle Buchbestellungen zuständig und kümmert sich um den Altbestand © Fotolia – MagicDogWorkshop; Ärztekammer Hamburg Mitarbeiterin seit August 1988, ist der Bibliothek seit ihrer Ausbildung treu geblieben, sorgt für die aktuellen Zeitschriften im Lesesaal Henrik Bornhake Anja-Susan Windus, M. A. Mitarbeiter seit September 2015, Auszubildender zum Fachangestellten für Medienund Informationsdienste, Fachrichtung Bibliothek Mitarbeiterin seit Februar 2012, Spezialistin für „kranke“ Bücher, frei nach dem Motto: „Aus alt mach (fast) wieder neu!“ Zuständig für die Arbeiten „um die Bücher herum“ 200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS 23 Wir sprechen erst mit Ihnen – und dann über Geld. Denn bei uns gibt es keine Empfehlungen, ohne dass wir Sie wirklich verstehen. Genau dafür haben wir apoPur entwickelt, unseren ganzheitlichen Beratungsansatz. Bei allem, was wir für Sie tun können, von Finanzierungs- und Anlagelösungen über Karrierewege bis hin zu Immobilien und Vorsorge, gilt: Wir beraten Sie umfassend – berufich und privat. Schließlich sind wir Ihre Bank, die Bank für Heilberufer. Dr. Thomas Kühn, Kunde der apoBank 24 Filiale Hamburg 2 0 0 J A H R E| BHumboldtstraße I B L I O T H E K D E S Ä R Z60 TLICHEN VEREINS
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