200 Jahre Bibliothek - Ärztekammer Hamburg

2016
Januar 2016 · Sonderheft
Ärztekammer
Hamburg
200
Jahre
Bibliothek des ÄrztlichenVereins
Bibliothek des Ärztlichen Vereins
Von-Melle-Park 3 | 20146 Hamburg
Tel. 040 / 44 09 49 | Fax 040 / 44 90 62
[email protected] | www.aekbibl.de
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Wegbeschreibung
Die Bibliothek befindet sich im Altbau der Staats- und Universitätsbibliothek.
Der Zugang ist über den Haupteingang der Stabi möglich.
Hinweisschilder zeigen den Weg in den Altbau und zum Lichthof,
dort im 1. Stock finden Sie unsere Bibliothek.
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200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
E D I T O R I A L
„Ein Besuch in der Bibliothek macht
demütig und dankbar zugleich.“
Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery
Präsident der Ärztekammer Hamburg
Präsident der Bundesärztekammer
Kostbare Schätze und
aktuelle Wissenschaft
Haben Sie schon einmal an einer Führung durch die Bibliothek des Ärztlichen Vereins teilgenommen? Wenn nicht,
sollten Sie sich das unbedingt einmal gönnen, die Mitarbeiterinnen bieten regelmäßig Rundgänge an. Die Bibliothek,
die heute im Gebäude der Staatsbibliothek beheimatet ist,
ist ein wunderbares Stück Hamburg, ein wunderbares Stück
Ärzteschaft. Bis auf das 16. Jahrhundert gehen die Bücher
in der sogenannten „Schatzkammer“ zurück, und sie zeigen
auf eindrucksvolle Weise, mit welch kunstvoller Handarbeit
Wissenschaftler sich damals bemühten, Zusammenhänge
des menschlichen Körpers darzustellen. Was heute computergestützt blitzschnell auf dem Bildschirm erscheint, war
damals filigranste Zeichenarbeit.
Aber auch jüngere Bücher zeigen uns, welch andere Vorstellungen von Zusammenhängen und Funktionsweisen des
Körpers unsere Kollegen aus vorigen Jahrhunderten zum
Teil noch hatten. Es führt uns im wahrsten Sinne wieder
einmal vor Augen, dass unser heutiger Erkenntnisstand mühevoll erarbeitet wurde. Mit anderen Worten: Ein Besuch in
der Bibliothek macht demütig und dankbar zugleich.
Es war immer wieder dem Einsatz einzelner Kollegen zu verdanken, dass es diesen Schatz heute noch gibt. Beispielsweise beim „Großen Brand“ im Jahr 1842: Der damalige Vorsteher der Bibliothek des Ärztlichen Vereins, Dr. Friedrich
Nikolaus Schrader, rettete die wertvollsten Werke, bevor
die Bibliothek vollständig in Flammen aufging. Schrader
wurde dabei schwer verletzt – und machte sich doch umgehend an den Wiederaufbau des Bestands. Viele Kolleginnen
und Kollegen haben sich in früheren Zeiten als Freunde der
Bücher verstanden, aber auch heute noch unterstützen eine
Vielzahl von Begeisterten und Interessierten die Bibliothek
mit Geld und Engagement, zum Beispiel als Mitglieder im
Förderverein oder im Bibliotheksausschuss, als Referenten
oder Besucher der vielen interessanten Veranstaltungen,
die es in der Bibliothek immer wieder gibt. Besonders erwähnt seien natürlich die Mitarbeiterinnen der Bibliothek
mit ihrem unermüdlichen Einsatz für „ihre“ Leserinnen und
Leser, immer auf der Suche nach Ideen für noch besseren
Service. Sie alle tragen dazu bei, dass die Bibliothek bei aller
historischen Bedeutung auch ein putzmunteres Stück heutiges Hamburg ist und bleibt. Dafür an dieser Stelle einen
großen Dank im Namen der Hamburger Ärzteschaft! Dank
an dieser Stelle auch der Jung-Stiftung, die die Ärztekammer
Hamburg auf großartige Weise darin unterstützt, Bücher zu
entsäuern und damit zu retten.
Dieses Sonderheft zu 200 Jahren Bibliothek des Ärztlichen
Vereins steckt voller Informationen, aber auch voller Unterhaltung. Voller Bilder, die Sie vielleicht noch nie gesehen haben, und voller Skurrilitäten. Was glauben Sie, was
Leserinnen und Leser in geliehenen Büchern so alles vergessen? Lesen und sehen Sie selbst! Und dann auf bald in
der Bibliothek.
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
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G R U S S W O R T E
2016 wird die Bibliothek des Ärztlichen Vereins 200 Jahre alt, für
eine weitgehend ausschließlich medizinische Bibliothek nicht
nur ein beachtliches Alter, sondern auch Ansporn für ständige
Erweiterungen und Weiterentwicklungen. 2014 umfasste der
Buchbestand 135.651 Bände, daneben gibt es eine große Anzahl
an Zeitschriftenbänden, Fortsetzungswerken, CDs und DVDs.
Für eine medizinische Fachbibliothek ist es unabdingbar, aktuell
zu bleiben.
Die Serviceleistungen der Bibliothek sind vielfältig, umfassen für Mitglieder der Ärztekammer Hamburg unter anderem
den Versand von Zeitschriftenaufsatzkopien und Literaturrecherchen. Ein Service, der rege genutzt wird. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bibliothek sind für telefonische
und schriftliche Auskünfte erreichbar. Und wer es nicht zu
den regulären Öffnungszeiten schafft, seine Bestellung abzuholen oder zurückzugeben, der kann seit einiger Zeit auch die
Abhol- und Rückgabebox nutzen. Diese Einrichtung zeigt einmal mehr, wie serviceorientiert die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter denken und handeln. Der Bibliotheksausschuss dankt
Die Staats- und
Universitätsbibliothek
gratuliert
Wer die Bibliothek des Ärztlichen Vereins im ersten Stock zum
historischen Lichthof der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg heute betritt, kann es kaum glauben, dass diese Bibliothek
200 Jahre alt sein soll. Ein Blick in den Bestand aber verrät den
Reichtum an aktuellen Publikationen aus allen medizinischen
Fachgebieten bis hin zu wertvollen historischen Quellen ab dem
16. Jahrhundert. So ergänzen sich die Bestände und Dienstleistungen der über 530 Jahre alten Staatsbibliothek mit denen der Bibliothek des Ärztlichen Vereins hervorragend.
In der Zeit von 1924 bis 1937 war die Bibliothek bereits schon einmal Gast der Staatsbibliothek, damals noch am Speersort, bevor
sie eigene Räume im „Haus der Ärzte“ bezog. Nach dem Zweiten
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ihnen für ihre Arbeit, ihre Geduld mit den Leserinnen und
Lesern und ihre Freundlichkeit gegenüber ihren „Kunden“.
Dass die Bibliothek für Studenten und Ärzte in Weiterbildung eine
wahre Fundgrube zur Vorbereitung von Prüfungen ist, hat sich
schon längst herumgesprochen.
Aber der Stolz der Ärzte auf ihre Bibliothek gründet auch auf den
alten Schätzen. Sie besitzt eine Literaturschatzkammer mit Originalen bis zurück ins 16. Jahrhundert, sehr außergewöhnliche und
sehenswerte Werke, die regelmäßig auch in Führungen der Öffentlichkeit präsentiert werden. Auch um die Erhaltung etwas jüngerer Bände kümmert sich die Bibliothek. Gemeinsam mit der JungStiftung führt sie regelmäßig Entsäuerungen von Büchern durch,
die vom Säurefraß bedroht sind. Die Restaurierung von Altbestandbänden wird seit 1998 durch Mitgliedsbeiträge und Spenden des Fördervereins unterstützt. Die Bibliothek des Ärztlichen
Vereins ist für Ärzte, Studierende, Stadtleser, Firmen, Schüler,
Auszubildende und viele andere eine nicht mehr wegzudenkende,
exzellente Informationsquelle für medizinische Recherchen, Weiterbildungen und wissenschaftliche Arbeiten.
Prof. Dr. Gabriele Beger
Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek
Hamburg
Weltkrieg fanden beide Bibliotheken ein neues Domizil im ehemaligen Wilhelm-Gymnasium. Seit nunmehr 70 Jahren ist die Bibliothek des Ärztlichen Vereins ständiger Gast in der Staats- und
Universitätsbibliothek, sehr zum Wohl der Nutzerinnen und Nutzer beider Einrichtungen.
Während die medizinische Zentralbibliothek des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf dem eigenen medizinischen Personal
und den Studierenden der Fakultät Medizin der Universität Hamburg vorbehalten sein soll, ist die Bibliothek des Ärztlichen Vereins
ein geschätzter und verlässlicher Partner für alle niedergelassenen
Ärzte, Forscher aus aller Welt und für die Aus- und Weiterbildung.
Herzlichen Glückwunsch!
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
© Schön Klinik; Stabi Hamburg; privat; Ärztekammer Hamburg
PD Dr. Hergo Schmidt
Vorsitzender des Bibliotheksausschusses
der Ärztekammer Hamburg
Exzellente
Informationsquelle
nicht nur für Ärzte
200 Jahre Bibliothek
des Ärztlichen Vereins
Maike Piegler, Diplom-Bibliothekarin und Leiterin der Bibliothek des Ärztlichen Vereins, schreibt über
die wechselvolle Geschichte der Ärzte-Bibliothek (Seite 8). Prof. Dr. Manfred Dallek, Vorsitzender des
Fördervereins der Bibliothek, engagiert sich, um vom Säurefraß bedrohte Bücher zu retten, und sucht noch
Unterstützer (Seite 18). Dr. Oliver Obst, Leiter der Zweigbibliothek Medizin der Universitäts- und Landesbibliothek Münster, beschreibt, wie sich das Berufsbild von Medizinbibliothekaren durch den Einsatz neuer
Medien zusehends verändert: Sie werden zu Spezialisten im Datenmanagement (Seite 20).
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200 Jahre Bibliothek des
Ärztlichen Vereins
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Fundstücke aus
Büchern
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Gratulation · Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Ärztekammer Hamburg
und der Bundesärztekammer, PD Dr. Hergo Schmidt, Vorsitzender des Bibliotheksausschusses
und Prof. Dr. Gabriele Beger, Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg
Namen und Nachrichten
News · Bibliotheksführungen · Festakt: 200 Jahre Bibliothek · Vorgestellt: Bibliotheksausschuss
der Ärztekammer · Ausstellung zur Bibliotheksgeschichte: Information mit Tradition · Aufgeblättert – der Kalender des Fördervereins · Längste Entleihe blieb folgenlos · PsychotherapieLiteratur der APH · Spenden Sie ein Widmungsexemplar
Das Thema
Gegründet 1816 · 200 Jahre Bibliothek des Ärztlichen Vereins. Von Maike Piegler
Service
Angebot · Von Abholbox bis Zeitschriftenartikel. Von Maike Piegler
Lesermeinungen · Was schätzen Sie an der Bibliothek?
Forum Bibliothek
Wissensräume in Hamburg · Pathologisches Cabinet mit Verfallsdatum. Von Henrik Eßler
Naturalia, Anatomica, Herbaria, Monetae und Hamburgensia. Von Dr. Antje Zare
10 ganz besondere Fälle · Eine kleine Typenkunde. Vom Bibliotheksteam
Förderverein · „Herrje, es bröselt“. Von Andrea Henning, Prof. Dr. Manfred Dallek
Bibliothekare mit neuen Aufgaben · Im Dienste der Medizin. Von Dr. Oliver Obst
Aus der Schatzkammer · „De humani corporis fabrica libri septem“ von Andreas Vesalius
und „Physica Sacra“ oder „Kupfer-Bibel“ von Johann Jakob Scheuchzer.
Fundstücke · Was Leser in Büchern zurücklassen. Gesammelt vom Bibliotheksteam
Impressum
Das Team der Bibliothek
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
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N A M E N
U N D
N A C H R I C H T E N
Führungen durch
die Bibliothek
Vorgestellt:
Bibliotheksausschuss
der Ärztekammer
Der Bibliotheksausschuss hat beratende Funktion und ist das Bindeglied
zwischen Ärztekammer-Vorstand und
Bibliothek. Er wurde im Jahre 1947 auf
Initiative des Pathologen Prof. Dr. Werner Selberg (1913 – 2011) gegründet.
Selberg war selbst mehrere Jahrzehnte
lang Mitglied des Ausschusses und setzte sich bis ins hohe Alter für die Belange
der Bibliothek ein.
Der Ausschuss befasst sich mit unterschiedlichen Themen der Bibliotheksarbeit, wie Öffentlichkeitsarbeit, Serviceleistungen und Bestandserhaltung. Zwei
Mitglieder des Ausschusses sind zudem
an der Auswahl der Neuerwerbungen
beteiligt. Derzeit hat der Bibliotheksausschuss zehn Mitglieder:
PD Dr. Hergo Schmidt, Vorsitzender
Prof. Dr. Manfred Dallek,
stellvertretender Vorsitzender,
Dr. Martin Eichenlaub,
Dr. Axel Gehl,
Prof. Dr. Michael Goerig,
Dr. Philipp Kreiselmaier,
Dr. Kai Sammet,
Dr.Thomas Sorgenfrei,
Dr. Johanna Stranzinger,
Dr. Birgit Wulff. | mp
Der Lichthof im Altbau der Stabi: Hier finden die Feierlichkeiten zum Jubiläum statt
Festakt: 200 Jahre Bibliothek
Einladung Die Ärztekammer Hamburg begeht das Jubiläum
feierlich und unterhaltsam – mit Grußwort, Festvortrag und Musik.
200 Jahre Bibliothek des Ärztlichen Vereins – das ist ein Grund zum Feiern! Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen, Freunden der Bibliothek und langjährigen
Lesern möchte die Ärztekammer Hamburg das Jubiläum mit einem Festakt begehen:
am Donnerstag, den 18. Februar 2016, um 19 Uhr im Lichthof des Altbaus der
Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg – Carl von Ossietzky.
Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Ärztekammer Hamburg und Bundesärztekammer spricht das Grußwort, durch den Abend führt der Schatzmeister des Fördervereins, Donald Horn. Der ehemalige kaufmännische
Geschäftsführer der Ärztekammer wird die Direktorin
der Staats- und Universitätsbibliothek, Prof. Dr. Gabriele
Beger, und den Vorsitzenden des Bibliotheksausschusses,
PD Dr. Hergo Schmidt, zum Thema „Aufgaben und Nutzen von
Bibliotheken“ interviewen. Den Festvortrag zum Thema „Bekannte Köpfe“ hält
Prof. Dr. Klaus Püschel vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums
Hamburg-Eppendorf. Musikalisch wird der Abend von einer Bläsergruppe umrahmt.
Im Anschluss an die Wortbeiträge wird die Ausstellung „Information mit Tradition –
200 Jahre Bibliothek des Ärztlichen Vereins in Hamburg“ eröffnet. Danach wird ein
Imbiss serviert, und es bietet sich Gelegenheit zum Austausch oder für einen Blick in
die 2015 renovierten Räume der Bibliothek. Sie möchten mitfeiern und haben keine
persönliche Einladung erhalten? Dann melden Sie sich bitte bis spätestens Montag,
den 1. Februar, per E-Mail: [email protected] oder unter Tel. 44 09 49 an. | mp
Ausstellung zur Bibliotheksgeschichte:
Information mit Tradition
Zum Jubiläum hat das Bibliotheksteam die Ausstellung „Information mit Tradition“ zusammengestellt. Auf zwölf Tafeln erfährt der Besucher Wissenswertes zur
wechselvollen Geschichte und zu den Beständen der Bibliothek. Hamburger Ärzte,
die die Entwicklung der Bibliothek geprägt haben, werden porträtiert. Aus den
umfangreichen Beständen werden wertvolle und auch kuriose Werke vorgestellt.
Die Ausstellung wird vom 18. Februar bis zum 31. Mai 2016 gezeigt. Ausstellungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg – Carl von Ossietzky, Von-MellePark 3, im Übergang vom Hauptgebäude zum Altbau. Öffnungszeiten: Mo. bis Fr.
von 9 bis 24 Uhr, Sa. und So. von 10 bis 24 Uhr. Der Eintritt ist frei. | mp
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200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
© Ärztekammer Hamburg
Sie möchten die Bibliothek, ihre Räumlichkeiten und Bestände kennenlernen?
Die Mitarbeiterinnen bieten individuelle
Führungen für Gruppen von drei bis
maximal 20 Teilnehmern an.
Je nach Interesse der Teilnehmer
liegt der Schwerpunkt auf medizinhistorischen Themen oder auf den
Serviceangeboten für Mitglieder der
Ärztekammer Hamburg. Haben Sie
Interesse? Dann rufen Sie einfach unter
Tel. 44 09 49 in der Bibliothek an und
vereinbaren einen Termin. | mp
Aufgeblättert!
Kalender zum Jubiläum
Zum Jubiläum hat der Förderverein
„Freunde und Förderer der Bibliothek
des Ärzlichen Vereins“ den Kalender
„Aufgeblättert! 2016“ herausgegeben.
Jeden Monat wird ein interessantes
Buch aus dem Bibliotheksbestand mit
einer Abbildung und einem kurzen
Text präsentiert. Der Kalender ist gegen eine Spende von zehn Euro in der
Bibliothek im Altbau der Staats- und
Universitäts-Bibliothek,
Von-MellePark 3, sowie bei Lehmanns Fachbuchhandlung, Kurze Mühren 6, erhältlich.
Mehr Infos unter Tel. 44 09 49. | mp
Längste Entleihe blieb folgenlos
Dass manche Leser mit der Rückgabe von Büchern Monate in Verzug kommen, ist für
die Bibliotheksmitarbeiterinnen Alltag. Doch als sich der Hamburger Arzt Dr. Peter
Calais meldete, ging es um Jahrzehnte: Im Familienbesitz seiner Ärztedynastie befinde
sich ein Buch von 1740, das womöglich der Bibliothek des Ärztlichen Vereins gehöre.
Beim Aufräumen sei ihm „De morbis veneris“ von Jean Astruc (1684 –1766) in die
Hände gefallen – auf Seite 2 prange der Stempel der Bibliothek des Ärztlichen Vereins.
Astruc, Leibarzt Ludwigs XV. und Professor an der medizinischen Fakultät in Paris,
schreibt über Ursprung, Verbreitung, Ansteckung und Therapie von Geschlechtskrankheiten … Dem damaligen kaufmännischen Geschäftsführer der Ärztekammer,
Dagobert, äh, Donald Horn, leuchteten die Dollarzeichen angesichts der Säumnisgebühren in den Augen. Die tatsächlichen Besitzverhältnisse des Werks ließen sich nicht
mehr eindeutig klären, und es wurde im gegenseitigen Einvernehmen an die Bibliothek zurückgegeben. Da das genaue Datum der Buchentleihe nicht mehr feststellbar
war, einigte man sich auf einen symbolischen Euro als Säumnisgebühr … | sh
PsychotherapieLiteratur der APH
Was vielen Lesern (noch) nicht bekannt
ist: In der Bibliothek des Ärztlichen
Vereins befindet sich eine weitere, kleine
Spezialbibliothek: die Bibliothek der
Arbeitsgemeinschaft für integrative Psychoanalyse, Psychotherapie und Psychosomatik Hamburg (APH). Der Bestand
umfasst derzeit rund 900 Bände zum
Themenbereich Psychotherapie und Psychoanalyse. Die APH stellt jährlich einen
Etat für Neuanschaffungen bereit, damit
den Kandidaten und Dozenten der APH
ein aktuelles Angebot gängiger Fachliteratur zur Verfügung gestellt werden kann.
Der APH-Bestand kann von allen Lesern
der Bibliothek des Ärztlichen Vereins genutzt werden, so wie auch alle Kandidaten und Dozenten der APH den Bestand
der Bibliothek nutzen können. | mp
Spenden Sie ein
Widmungsexemplar
Sie haben ein Buch aus dem Bereich
Medizin, Gesundheitswissenschaften oder
Medizingeschichte veröffentlicht oder mit
herausgegeben? Seit ihrer Gründung sammelt die Bibliothek Widmungsexemplare
ihrer Leser und anderer Autoren und freut
sich über weitere Werke! | mp
Hier könnte
Ihr Name
stehen
Jährlich fanden die Stiftungsfeste des Ärztlichen Vereins statt. Dieses Plakat zum 97. Stiftungsfest 1913
zeigt eindrucksvoll, dass Ärzte auch früher durchaus Humor hatten. Man beachte den schnurrbärtigen
Engel im Vordergund und den Rattenfänger der seine Anhänger hinter sich herzieht
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1 Der Altbau der Stabi
beherbergt die Bibliothek
des Ärztlichen Vereins.
2 Der repräsentative
Eingang wird heute nicht
mehr benutzt. Besucher
führt der Weg durch die
Stabi.
3 Wertvolle Bücher
werden sorgsam in
der „Schatzkammer“
verwahrt.
4 Darunter befindet sich
der Anatomieatlas von
Andreas Vesalius aus dem
16. Jahrhundert.
5 Neu eingetroffene
Bücher werden im Lesesaal präsentiert.
6 Per Computer können
Leser auch selbst Literatur
recherchieren.
7 Der Lesesaal der ÄrzteBibliothek strahlt nach
seiner Renovierung 2015
leuchtend rot
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200 Jahre Bibliothek
des Ärztlichen Vereins
Geschichte Gegründet am 2. Januar 1816 als Vereinsbibliothek des „Ärztlichen Vereins
in Hamburg“ ist die Bibliothek der Ärztekammer Hamburg heute die älteste medizinische
Fachbibliothek in der Hansestadt – mit einer wechselvollen Geschichte, die von Zerstörung,
Wiederaufbau und großem Engagement für den Erhalt wertvoller Bücher zeugt.
© Ärztekammer Hamburg, Stephanie Hopf
Von Maike Piegler
„Rechtlichen Männern, deren Beruf Arzneikunde, Wundarzneikunst
oder Apothekerkunst ist, Gelegenheit zur wechselseitigen wissenschaftlichen Unterhaltung, so wie auch zur Benutzung der literarischen Hülfsmittel ihrer verschiedenen Fächer zu geben, ist der Zweck der Gesellschaft.“ (aus den Statuen des Ärztlichen Vereins von 1820)
Der „Ärztliche Verein in Hamburg“ wurde am 2. Januar 1816 auf Initiative des Hamburger Arztes und Chirurgen Dr. Johann Heinrich
de Chaufepié gegründet. Zur Gründungsversammlung trafen sich 60
Ärzte, sieben Wundärzte und 24 Apotheker im Gasthof „London“ am
Jungfernstieg. Die Mitglieder sollten Gelegenheit zu wissenschaftlicher Unterhaltung in Form von Vorträgen und Falldarstellungen und
Zugang zu berufsbezogener Literatur erhalten. Die Einrichtung und
Pflege einer medizinischen Fachbibliothek für Vereinsmitglieder und
deren auswärtige Gäste war von Beginn an wichtige Aufgabe des Vereins. Die Hälfte der erhobenen Mitgliedsbeiträge war daher für die
Ausstattung einer Bibliothek vorgesehen, und bereits 1817 begann die
Ausleihe von Büchern.
Damit sich Ärzte dem wissenschaftlichen Stand entsprechend weiterbilden und austauschen konnten, war der Vorstand laut Statut
dazu verpflichtet, alle „ärztlichen, wundärztlichen und ins Apothekerfach einschlagenden Zeitschriften und Bücher für das Lesezimmer anzuschaffen, welche in lateinischer, deutscher und französischer Sprache gedruckt, und durch den Buchhandel aufzutreiben
sind“. Aber die Bibliothek sollte Ärzte nicht nur mit Zeitschriften
und Büchern versorgen, sie sollte auch ein „Aushängeschild“ des
Vereins sein und zu seinem Ansehen in der Stadt und der internationalen Fachwelt beitragen. Deshalb wurden von Anfang an auch
wichtige und wertvolle medizinhistorische Werke von Antiquaren
und auf Auktionen erworben. Die Bibliothek war ein kostspieliges
Projekt, aber sie war auch „eine, wenn nicht sogar die zentrale und
Identität stiftende Einrichtung des Vereins“. (Mertens, S.: Die Bibliothek des Ärztlichen Vereins in Hamburg bis zum Ersten Weltkrieg.
HAW Hamburg, Diplomarbeit, 2005. S. 45) Auch die Einrichtung
karitativer und gemeinnütziger Einrichtungen wie einer Armenanstalt und einer Ärztlichen Witwenkasse machte sich der Verein zur
Aufgabe.
Rund 25 Jahre nach seiner Gründung, im Jahre 1842, hatte der Ärztliche Verein 126 Mitglieder. Das Vereinslokal befand sich nach mehre-
ren Umzügen seit 1841 in der Großen Bäckerstraße 15, mitten in der
Hamburger Innenstadt. Inzwischen hatte sich der Verein in vielen Bereichen der öffentlichen Gesundheitspflege etabliert: Mitglieder führten in der Impfanstalt des Vereins Schutzpockenimpfungen durch,
und während der Choleraepidemien im 19. Jahrhundert sorgte der
Verein für die Behandlung der Erkrankten. Auch für die Gründung
eines Gesundheitsrats in Hamburg setzte sich der Vorstand ein.
Zerstörung und Wiederaufbau – der Große
Brand von 1842
Für die Pflege der Bibliothek war seit 1827 als Vorsteher Dr. Friedrich Nikolaus Schrader (1793 – 1859) zuständig. Unter seiner Leitung hatte der Verein inzwischen rund 12.000 Bände gesammelt,
was damals einer umfangreichen Fachbibliothek entsprach. Schrader trat als Arzt kaum in Erscheinung – zeitweise arbeitete er als
Impfarzt des Vereins, führte aber nie eine eigene Praxis. Seine Leidenschaft galt den Bibliotheken, für die er ehrenamtlich arbeitete.
14 Jahre lang war er Vorsteher der Bibliothek der Patriotischen
Gesellschaft, deren Bestand er ordnete und katalogisierte; für die
damalige Stadtbibliothek (heute Staats- und Universitätsbibliothek)
erstellte er einen handschriftlichen Katalog in sieben Bänden. Sein
größtes Engagement aber zeigte Schrader in seinem Amt als Vorsteher der Bibliothek des Ärztlichen Vereins, das er 32 Jahre, bis
zu seinem Tod, ausübte. Unter anderem erstellte er erstmals einen
vollständigen Katalog und ordnete den gesamten Bestand neu. Wie
leidenschaftlich er mit „seinen“ Büchern verbunden war, zeigte sich
beim verheerenden „Großen Brand“, der vom 5. bis zum 8. Mai
1842 weite Teile der Hamburger Altstadt zerstörte und mehr als 50
Todesopfer forderte. Bevor die Bibliothek vollständig in Flammen
aufging, rettete er unter Einsatz seines Lebens gemeinsam mit dem
Kustos Johann Ludwig Völckers die wertvollsten Werke. Während
dieser Rettungsaktion wurde Schrader schwer am Auge verletzt,
seine Wohnung brannte aus, doch von dem Schock, der ihn ereilt
haben musste, ließ er sich nicht lange beirren, sondern machte sich
umgehend an den Wiederaufbau des Bestands. Bereits gut eine Woche nach dem Brand veröffentlichte der Ärztliche Verein seine erste
Bitte um Spenden zum Wiederaufbau der Bibliothek in einer
2. Januar 1816
1827
5. bis 8. Mai 1842
1895
Dr. Johann Heinrich de
Chaufepié gründet den
Ärztlichen Verein und dessen Bibliothek in Hamburg
Dr. Friedrich Nikolaus
Schrader wird Vorsteher
der Bibliothek und hatte
das Amt 32 Jahre inne
Großer Brand in
Hamburg
Die Bibliothek wird
zerstört
Gründung der
Ärztekammer
Hamburg
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
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Das Haus der Patriotischen Gesellschaft an der Trostbrücke war von
1847 bis 1865 und von 1876 bis 1923 Standort der Bibliothek
Ab 1924 wurde die Bibliothek im Hause der Staats- und Universitätsbibliothek
(Stabi) am Speersort im ehemaligen Gebäude des Johanneums untergebracht
medizinischen Zeitschrift. Die Resonanz war überwältigend. In den
folgenden Ausgaben der Zeitschrift berichtete der Verein darüber,
wer der Bibliothek welche Bücher hatte zukommen lassen, auch um
weitere Spender zu animieren. Aus ganz Deutschland und aus vielen europäischen Ländern, sogar aus den USA, trafen Bücher und
Zeitschriften als Spenden für den Wiederaufbau ein. Die Geschenke
waren so zahlreich, dass die Bibliothek bereits 1860, 22 Jahre nach
der Katastrophe, wieder über 10.000 Bände zählte.
einer öffentlich zugänglichen Fachbibliothek unter dem Dach einer
bedeutenden, viel genutzten Universalbibliothek. Da die medizinische Literatur bereits damals nicht in der Stabi, sondern an der medizinischen Fakultät der Universität Hamburg gesammelt wurde, stellte
die Bibliothek des Ärztlichen Vereins eine willkommene Ergänzung
des Bestands am Speersort dar.
1924 bis 1937 erste Kooperation mit der
Staats- und Universitätsbibliothek
Der Ärztliche Verein wollte seinen Mitgliedern angemessene, zentral gelegene, kostengünstige Räume für Versammlungen und auch
für die ständig wachsende Bibliothek zur Verfügung stellen. Daher
wechselte er im Laufe der Zeit mehrfach seinen Standort. Von 1847
bis 1865 sowie von 1876 bis 1923 war er im Haus der Patriotischen
Gesellschaft an der Trostbrücke untergebracht. Doch 1923 steckte
die Patriotische Gesellschaft in finanziellen Nöten, der Überseeclub
übernahm ihr Haus im Nießbrauchrecht.
Für den Ärztlichen Verein hatte die Neuvermietung die räumliche
Trennung von Versammlungsraum und Bibliothek zur Folge. Während die Versammlungen fortan im Sitzungsaal des Überseeclubs
stattfanden, wurde die Bibliothek im Hause der Staats- und Universitätsbibliothek (Stabi) am Speersort im ehemaligen Gebäude des Johanneums untergebracht – nicht unbedingt ein Nachteil: Der neue
Standort bedeutete für die Bibliothek auch mehr potenzielle Leser,
da sich der Verein verpflichtete, seine Bestände allen Nutzern der
Staats- und Universitätsbibliothek zur Verfügung zu stellen. Die Bibliothek wandelte sich damit von einer reinen Vereinsbibliothek zu
1938 – Einverleibt von der Reichsärztekammer
„Wir sind dem ehemaligen Ärztlichen Verein von Herzen dankbar,
daß er in der Bücherei, die wir mit dem Verein übernehmen konnten, uns ein ausgezeichnetes Hilfsmittel zur Förderung der Wissenschaft geschaffen hat.“
Mit blumigen Worten umschrieb der damalige „Hamburger Ärzteführer“ Wilhelm (Willy) Holzmann in einer Rede die Tatsache,
dass der Ärztliche Verein unfreiwillig aufgelöst worden war und
die Vereinsbibliothek von der 1936 neu organisierten „Reichsärztekammer, Ärztekammer Hamburg“ in Besitz genommen wurde.
Die Bibliothek, die inzwischen rund 80.000 Bände umfasste, zog
aus dem Gebäude der Staats- und Universitätsbibliothek aus, und
die erfolgreiche Kooperation wurde zunächst beendet. Am 30. Juni
1938 wurde die Bibliothek im „Haus der Ärzte“, An der Alster 49,
neu eröffnet. Sie trug nun den Namen „Reichsärztekammer. Ärztekammer Hamburg Ärztliche Bücherei“.
Der Zugang zur Nutzung wurde wieder auf die Hamburger Ärzteschaft beschränkt. Der Buchbestand blieb, nach bisherigem
Kenntnisstand, von ideologisch gefärbten „Säuberungen“ und von
Sekretierungen (Aufstellen unliebsamer Werke in „Giftschränken“)
verschont. Möglicherweise fühlte sich in der Ärztekammer niemand hierfür zuständig. Auch auf eine Aneignung von Raubgut,
1937
Juli 1943
1945
1. Mai 1947
Der Ärztliche Verein wird von
den Nationalsozialisten aufgelöst. Die Bibliothek geht in den
Besitz der Reichsärztekammer über
Prof. Dr. Max Nonne bringt während
der Kriegsjahre den gesamten Bestand
der Bibliothek in sein Sommerhaus, der
damit einer Zerstörung entgeht
Dr. Ernst Wolffson
kümmert sich um
den Wiederaufbau der
Bibliothek
Wiedereröffnung
1946 übernahm die Ärztekammer
die Bibliothek, die dann in die
Staatsbibliothek zog
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In seinem Sommerhaus lagerte Prof. Max Nonne, Vorsitzender der
Bibliothekskommission, ab 1943 einen Großteil des Bibliotheksbestands aus
also Büchersammlungen vertriebener Ärztinnen und Ärzte, fanden
sich bisher keine Hinweise.
© Patriotische Gesellschaft von 1765; Stabi Hamburg; Ärztekammer Hamburg, Stephanie Hopf
Auslagerung in den Kriegsjahren
Zu den historischen Fakten der Bibliothek zählt auch, dass die Bücher während der Kriegsjahre im Sommerhaus des Eppendorfer
Neurologen Prof. Dr. Max Nonne (1861 – 1959) eingelagert waren.
Nonne, über den zurzeit im Zusammenhang mit Euthanasiegutachten kritisch diskutiert wird, war damals als Vorsitzender der Bibliothekskommission für die Bibliothek zuständig. Im Sommer 1943,
vermutlich während der damals üblichen Schließung der Bibliothek
während der Semesterferien, ließ Nonne den gesamten Bestand
in Kisten verpacken und in sein Haus in Dwerkaten bei Lütjensee
(Kreis Stormarn) bringen. Die Auslagerung wurde nicht offiziell bekannt gegeben, lediglich eine kurze Notiz in den „Mitteilungen der
Ärztekammer Hamburg“ vom 1. März 1944 weist darauf hin, dass
die Bibliothek nicht mehr im „Haus der Ärzte“ zu finden war. Es gab
laut dieser Notiz einen Fahrdienst, der bestellte Bücher nach Hamburg lieferte. Wie dieser organisiert war und in welchem Umfang
er von den Ärzten in Anspruch genommen wurde, lässt sich nicht
mehr feststellen.
Während das „Haus der Ärzte“ bei den Bombenangriffen im Sommer 1943 fast vollständig zerstört wurde, blieben die Bücher in ihrem Ausweichquartier unversehrt.
1945 – Dr. Wolffson sorgt für einen Neuanfang
Der Neuanfang der Bibliothek nach dem Zweiten Weltkrieg ist
dem Hamburger Arzt Dr. Ernst Wolffson (1881–1955) zu verdan-
Lesesaal der Bibliothek
um 1983. Inzwischen
wurden die Räume
renoviert (r.).
Im Lesesaal finden
Nutzer Fachbücher
und Fachzeitschriften.
Weitere Bücher lagern
in den Regalen der angrenzenden Magazine,
die für den Publikumsverkehr nicht geöffnet
sind. Die Mitarbeiterinnen helfen gern
ken. Wolffson war bereits von 1925 bis 1933 im Vorstand der damaligen Ärztekammer aktiv. Die Nationalsozialisten entließen ihn
1933 aus allen Ämtern, später entzogen sie ihm die Approbation
und degradierten ihn zum „Krankenbehandler“. Als „unbelastet“
wurde Ernst Wolffson 1945 in den Vorstand der neu gegründeten
Ärztekammer Hamburg berufen, und ihm wurde die Verantwortung für die „Entnazifizierung“ der Hamburger Ärzteschaft übertragen.
Für die Bibliothek des Ärztlichen Vereins setzte Wolffson sich engagiert ein. Er sorgte dafür, dass die Bibliothek als eine Abteilung
der 1945 neu gegründeten Ärztekammer Hamburg weiter existieren konnte. Auch die Wiederaufnahme der Kooperation mit der
Stabi ist seinem Verhandlungsgeschick zu verdanken.
Bereits im Jahre 1946 zog die Bibliothek in Räume im heutigen
Altbau der Stabi ein. Der Bestand war zu dieser Zeit jedoch noch
nicht dort aufgestellt. Schrittweise wurden die ausgelagerten Bücher am neuen Standort einsortiert. Am 1. Mai 1947 wurde die
Bibliothek wieder eröffnet. Sie stand nun allen Ärztinnen und Ärzten, Studierenden sowie allen Interessierten zur Nutzung offen.
In den darauffolgenden Jahren zog die Bibliothek innerhalb des
Altbaus mehrmals um. Seit 1983 befindet sie sich nun in den
Räumen im ersten Stock des Altbaus der Stabi, ein ehrwürdiger
Standort, von wo aus sie die Literaturversorgung der Hamburger
Ärztinnen und Ärzte in Hamburg und darüber hinaus unterstützt.
Literatur bei der Verfasserin.
Maike Piegler
Dipl.-Bibliothekarin und Leiterin der Bibliothek des Ärztlichen Vereins
E-Mail: [email protected]
1955
1987
1998
August 2000
2016
Bestand
71.000 Bände
Altbau der Staatsbibliothek
Nach einer Renovierung
zieht die Bibliothek an ihren
jetzigen Standort
Freunde und Förderer
gründen den Förderverein
(FFB), der sich um die Restaurierung von Büchern kümmert
Zettelkatalog ade
Beginn der Katalogisierung der Bestände in den
GBV-Verbundkatalog
Jubiläum
Die Bibliothek feiert
ihr 200-jähriges
Bestehen
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
11
S E R V I C E
Service Die Bibliothek des Ärztlichen Vereins
sorgt dafür, dass die Hamburger Ärztinnen
und Ärzte gut informiert sind. Sie unterstützt
die Leser bei der Recherche und stellt Literatur
auf vielfältigen Wegen zur Verfügung.
Von Maike Piegler
Die Abholbox in der Staats- und Universitätsbibliothek
Von Abholbox bis Zeitschriftenartikel
12
ner Medien befindet sich direkt neben der Abholbox eine Rückgabebox.
Bücher aus anderen Bibliotheken einsehen
Bücher, die nicht in der Bibliothek des Ärztlichen Vereins vorhanden sind, bestellen die Mitarbeiterinnen auf Wunsch per Fernleihe
aus anderen Bibliotheken innerhalb Deutschlands zur Nutzung vor
Ort. Je Band kostet dies 1,50 Euro.
Lehrbücher für Weiterbildung und Facharztprüfung
Alle gängigen deutschsprachigen Lehrbücher für Weiterbildung
und Facharztprüfungen stehen in der Bibliothek zur Ausleihe bereit.
Online im Katalog recherchieren und vormerken
Der gesamte Bestand ist im Katalog (www.aekbibl.de/katalog) online
recherchierbar. Ausgeliehene Medien können vorgemerkt und über
das Nutzerkonto Leihfristen verlängert werden.
Leseausweis per Post – oder im Ärzteverzeichnis
Ein Leseausweis ist obligatorisch, um die Angebote der Bibliothek
nutzen zu können. Auf Wunsch wird er per Post zugesandt. Auch
im Ärzteverzeichnis der Ärztekammer Hamburg sind Leseausweise
erhältlich.
Übrigens: Sofern nicht anders angegeben, sind alle Serviceangebote für Mitglieder der Ärztekammer Hamburg kostenlos!
Was die Bibliothek ihren Lesern bietet
Der Bestand umfasst rund 135.000 Bände: Bücher,
Zeitschriften, CDs und DVDs.
Zum Sammelspektrum gehören folgende Bereiche mit
Schwerpunkt auf deutschsprachigen Titeln für Klinik
und Praxis sowie für Studium und Weiterbildung:
• Medizin
• Medizinrecht, Standespolitik
• Gesundheitswesen, Pflege
• Medizingeschichte
• Medizinethik
• Lehrbücher für Facharztprüfung und Medizinstudium
• medizinhistorischer Altbestand (ab 16. Jahrhundert)
Anschaffungsvorschläge sind willkommen. Sie werden im
Rahmen des Erwerbungsbudgets und des Sammelspektrums erfüllt.
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
© Ärztekammer Hamburg; privat; HS21
„Ich ziehe in das Bundesland XY. Wo finde ich denn dort die Ärztekammerbibliothek?“ Diese Frage stellen Leser dem Bibliotheksteam
des Öfteren. „Nirgendwo“, ist die Antwort darauf. Denn die Bibliothek der Ärztekammer Hamburg ist einzigartig in Deutschland.
Keine andere Ärztekammer bietet ihren Mitgliedern einen so umfassenden Service rund um die Literaturversorgung. Ein Team aus
freundlichen, engagierten Fachkräften ist im Einsatz, um die Literaturwünsche der Leser zu erfüllen.
Weil die Bibliothek nur relativ kurze Öffnungszeiten anbieten kann,
wird der Schwerpunkt vermehrt auf Serviceleistungen gelegt, die
keinen persönlichen Bibliotheksbesuch erfordern. Diese Angebote wissen mehr und mehr Kammermitglieder zu schätzen, wie der
Zuwachs der letzten Jahre beim Versand von Zeitschriftenaufsätzen
und Literaturrecherchen zeigt. Aber auch die Ausleihe von Fachund Lehrbüchern ist weiterhin beliebt. Um diese weitgehend unabhängig von den Öffnungszeiten zu ermöglichen, wurden die Abholbox und die Rückgabebox eingerichtet. Auch zukünftig soll das
Serviceangebot weiterhin verbessert und angepasst werden.
Derzeit bietet die Bibliothek den Mitgliedern der Ärztekammer
Hamburg zum Beispiel:
Zeitschriftenartikel direkt auf den Schreibtisch – die Literaturbestellung
Die Leser können bei der Bibliothek Artikel aus medizinischen
Fachzeitschriften bestellen, ganz einfach per E-Mail, Post, Fax oder
auch telefonisch. Sie erhalten die Artikel zugesandt – quasi direkt
auf den Schreibtisch.
Literaturrecherchen zu allen medizinischen Fragestellungen
Ganz gleich ob für einen Vortrag, für ein Gutachten, einen Fachartikel oder für die eigene Fortbildung – die Mitarbeiterinnen recherchieren in verschiedenen Datenbanken zum gewünschten Thema
und stellen die Ergebnisse in Literaturlisten oder als Volltexte im
„Infopaket“ zusammen und senden sie zu.
Rechercheberatung in der Bibliothek
Für diejenigen, die bei ihrer Recherche Unterstützung wünschen,
bietet die Bibliothek Termine für eine Rechercheberatung an. Gemeinsam mit einer Mitarbeiterin wird die Recherche zum gewünschten Thema vorbereitet und ausgeführt.
Abholbox und Rückgabebox: Abholung und Rückgabe von
Medien täglich bis 24 Uhr
In der Abholbox im Hauptgebäude der Stabi werden auf Wunsch
bestellte oder vorgemerkte Medien hinterlegt. Der Leser erhält den
Code zum Öffnen des Fachs per E-Mail und hat täglich bis 24 Uhr
die Möglichkeit, die Medien abzuholen. Für die Rückgabe entliehe-
Dr. Susanne Stiebeler,
Oberärztin Radiologie im
Ev. Amalie Sieveking-Krankenhaus, Standort LungenClinic
Grosshansdorf:
Jeder von uns kennt den täglichen Kampf mit „Institutionen“:
Rückfragen, Vertagung, lange
Fristen und Fehler. Nichts von alledem
in der Bibliothek. Jede Literaturbestellung
– und sei sie noch so umfangreich – wird korrekt und prompt
bearbeitet. Aufwendige Literaturrecherchen werden innerhalb von Tagen ausgeführt. Und die Antwort ist immer mit
einem persönlichen Wort und kurzem Gruß versehen.
Mein Lob und Dank gilt allen Mitarbeitern
für ihre fachliche Arbeit.
Prof. Dr. Dr. Thomas Kreusch,
Chefarzt Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie,
Asklepios Klinik Nord – Heidberg, Hamburg:
Ich benötige häufig, manchmal auch kurzfristig,
aktuelle Literatur. Die Mitarbeiter der Bibliothek
sind schnell und gründlich mit der Recherche
und der digitalen oder analogen Übersendung der gewünschten Literatur. Und
Bücherliebhabern sei eine Besichtigung mit Einblick in die Klimakammer empfohlen. Hier darf
man mit Baumwollhandschuhen
Raritäten der medizinischen
Literatur in die Hand nehmen.
Herzlichen Glückwunsch! Gut,
dass es Sie gibt.
Lesermeinungen
Christian Wenninger,
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (APH):
Unlängst sagte ich zu jemanden, ich hätte in der Bibliothek
des Ärztlichen Vereins eine
bibliothekarische Heimat
gefunden. Was macht
dieses Gefühl aus?
Es ist die freundliche Betreuung, die offenbar gute
Arbeitsatmosphäre, die sich auf
die Nutzer zu übertragen scheint.
Dass unkompliziert kopiert, ausgeliehen, Internet genutzt werden kann und
Anschaffungswünsche erfüllt werden,
kommt hinzu. Dank an das Team!
Dr. Matthias Schmidt,
Facharzt für Physikalische
und Rehabilitative Medizin,
Privatpraxis seit 2009:
Es ist schon schwer genug,
fachlich immer auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Dem geht
manchmal noch mühsame
Recherche voraus. Um so
schöner, dass es bei Ihnen
immer vorzüglich und schnell
geht. Meine Artikel-Wünsche
wurden stets am selben Tag
erfüllt. Herzlichen Dank dafür.
Prof. Dr. Oliver Dierk,
Orthopädiezentrum
Hamburg:
Mein Dank gilt dem
gesamten Team der
Bibliothek des Ärztlichen Vereins. Durch die
stets unkomplizierte und
ausgesprochen hilfsbereite Art und Weise haben die
Mitarbeiterinnen mir schon oft
bei Vorträgen die Arbeit erleichtert. Sie leisten damit
einen maßgeblichen Beitrag zur Fort- und
Weiterbildung der Hamburger Ärzteschaft.
Karin Weist, Systemischer
Businesscoach für Ärzte:
Seit ich vor über 20 Jahren
anfing, Ärzte auf den Berufseinstieg in Deutschland
vorzubereiten, bin ich immer
wieder positiv überrascht, wie
unkompliziert und kompetent
diese Ärzte und ich in der Bibliothek
beraten werden. Es ist wohltuend, wie
unbürokratisch kleinere und größere „Probleme“
gelöst werden. Und manchmal genieße ich auch
die Ruhe, mit der ich im Lesesaal in Zeitschriften
und Büchern stöbern kann.
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
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B I B L I O T H E K
Wissensräume in Hamburg
Von Ärzten und Sammlern Neben der Bibliothek hatte der Ärztliche Verein
lange Zeit ein eigenes Museum mit Präparatesammlung.
Dem wissenschaftlichen Bestreben folgten aber auch viele andere
und schufen Wissensräume in der Hansestadt.
Von Henrik Eßler und Dr. Antje Zare
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200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
Pathologisches
Cabinet mit
Verfallsdatum
Von Henrik Eßler
Ein sonderbares Buch befindet sich in der Bibliothek des Ärztlichen
Vereins. Zahlreiche Spuren verweisen auf sein fortgeschrittenes Alter. Ein Verfasser fehlt, lediglich einen kurzen Titel trägt der dunkle
Einband: „Anatomisch-pathologisches Museum“ steht dort in goldenen Lettern. Auch das Innere des Werks verrät nur wenig über seine
Vorgeschichte: lange Listen lateinischer Begriffe – Krankheitsbilder,
anatomische Gegebenheiten –, handgeschrieben und fortlaufend
nummeriert. Das systematische Inhaltsverzeichnis jedoch lässt wenige Zweifel. Es handelt sich um das Inventar einer frühen medizinischen Sammlung.
Das Buch ist einer der wenigen Hinweise auf eine fast vergessene Institution der Hamburger Medizingeschichte: das Museum des
Ärztlichen Vereins. Vom einstigen Museum ist mehr offenbar nicht
erhalten geblieben. Erst ein Blick in die frühe Historie des Vereins
gibt weiteren Aufschluss über dieses Beispiel bürgerlicher Sammlungsbestrebungen in Hamburg. 1847, also rund 30 Jahre nach seiner
Gründung, hatte sich der Verein auf Betreiben einiger engagierter
Mitglieder zum Aufbau eines eigenen Museums entschlossen. Zu
seiner Verwaltung wurde eine „Museumscomission“ eingesetzt, das
zugehörige Reglement ein Jahr später verabschiedet.
© Stephanie Hopf
„... vorzüglich krankhafte Bildungen des
menschlichen Körpers”
Ein wichtiges Datum auf der Titelseite des Inventarbuchs stört jedoch
die vermeintlich stimmige Geschichte: „renovirt d. 17. Juny 1843“
heißt es dort. Einerseits verweist die Angabe auf eine wichtige stadtgeschichtliche Zäsur. Im Mai 1842 war ein großer Teil der Hamburger
Innenstadt einem verheerenden Brand zum Opfer gefallen. Auch der
Sammlungsstandort war davon offenbar nicht unbeschadet geblieben. Anderseits muss die aufgeführte Sammlung bereits früher als angenommen bestanden haben. Des Rätsels Lösung geben die Umstände der Museumsgründung. Dessen Grundstock bildete neben rund
400 Präparaten aus dem Allgemeinen Krankenhaus auch die frühere
Sammlung der „Medizinisch-chirurgischen Gesellschaft“ – etwa 350
Stücke, die sich zuvor im Wohnhaus des Arztes Karl Nikolaus Fallati
(1803 –1868) befunden haben sollen.
Ein Bericht Fallatis aus dem Jahr 1833 führt detailgenau die damalige
Sammlung, bestehend aus „vorzüglich krankhafte[n] Bildungen des
menschlichen Körpers, eine[r] Foetussammlung und einige[r] die
Physiologie bezügliche[r] Präparate“ auf. Zusammen mit den jeweiligen Krankengeschichten und Sektionsprotokollen – oder zumindest
kurzen Notizen – sollten diese beweisen, „wie verschieden die Krankheit in ihrer Erscheinung, wie oft diese trüglich, und wie voreilig und
verwegen es sei, aus wenigen Beobachtungen auf die grossen Gesetze
zu schliessen, denen die Natur selbst bei den kleinsten ihrer Wunder
gehorcht“. Ein Vergleich der beiliegenden Auflistung legt nahe, dass
das rätselhafte Inventarbuch bereits auf diese Vorgängersammlung
zurückging. Fallati, zuletzt Hilfsarzt im Allgemeinen Krankenhaus in
St. Georg, verließ bereits 1839 die Hansestadt. Ob die Sammlung bis
zum Übergang an den Ärztlichen Verein in seiner Wohnung verblieb,
bleibt unklar.
Auch der Ärztliche Verein verfügte bereits zuvor über eine bescheidene Sammlung, etwa einer Reihe anatomisch-pathologischer Papier-
maché-Modelle, gespendet durch den Vorsitzenden Johann Chaufepié. Nach der offiziellen Gründung des Museums kamen weitere
Spenden hinzu, sodass die Sammlung nach nur zwei Jahren 1.229
Stücke umfasst haben soll. Zur „besseren Verwerthung der Sammlung“ wurde zudem ein Mikroskop angeschafft. Nur einmal wöchentlich stand die Sammlung den Vereinsmitgliedern offen, was zunächst
für Proteste gesorgt hatte. Wie sich zeigte, blieb das Interesse jedoch
insgesamt gering. Daran änderten auch einige prominente Zugänge,
etwa der bekannten Calottensammlung des 1876 verstorbenen Theodor Simon und einer Reihe von Wachsnachbildungen der Portio vaginalis, gestiftet von Johann Ernst Panck (1805 – 1891), nichts mehr.
Noch 1864 hieß es in den Berichten des Vereins, die Sammlung sei
zwar erneut „bereichert“ worden, „aber fast gar nicht genutzt“. Eine
kontinuierliche Pflege und Erweiterung der Sammlung auf über 2.000
Stücke lässt sich noch bis in die 1870er-Jahre nachvollziehen. Spätere Publikationen verraten wenig über die Existenz einer Sammlung,
von einem „Museum“ ist nicht mehr die Rede. Noch 1895 wird in
den Versammlungsprotokollen jedoch ein „pathologisches Cabinet“
aufgeführt. Anschließend verliert sich die Spur. In den Berichten zum
100- und 150-jährigen Jubiläum des Vereins wird nur noch die Bibliothek genannt.
Henrik Eßler, M. A.
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte und
Ethik der Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
E-Mail: [email protected]
Naturalia, Anatomica,
Herbaria, Monetae
und Hamburgensia
Von Dr. Antje Zare
Die frühe Sammlung des Ärztlichen Vereins war jedoch nicht die
erste ihrer Art in Hamburg. Im Stadtstaat waren schon in der Frühen Neuzeit wissenschaftliche Sammlungen angelegt worden. Diese
wurden in der Hansestadt nicht von Fürsten und Königen initiiert,
sondern von Bürgern, Kaufleuten und Reedern.
Ausgangspunkt im Johanneum
Als 1653 der Stadtphysikus Paul Marquard Schlegel (geb. 1605), unverhofft nach kurzer Krankheit starb, vermachte er neben seinen Büchern auch eine wissenschaftliche Sammlung der Hamburger Stadtbibliothek. Die Bibliothek war räumlich und organisatorisch mit der
Gelehrtenschule des Johanneums und dem Akademischen Gymnasium verbunden.
Schlegel hatte in Padua promoviert, wo er das berühmte Theatrum
Anatomicum sah. Zurück in Hamburg war er der Erste, der anatomische Vorlesungen hielt. Die Sammlung des Anatomen und Naturforschers umfasste ein großes Herbarium; aber „es seien wohl auch anatomische Präparate von Tieren und Menschen unter den Objekten
gewesen“. Zu diesem Schluss kommt der Zoologe Herbert Weidner,
der die Vorläufer und die Frühgeschichte des Naturwissenschaftlichen Vereins in Hamburg untersucht hat. Die Sammlung des Gelehrten galt als Vorläufer des Hamburger Naturhistorischen Museums,
das 1843 gegründet wurde und am Ende des 19. Jahrhunderts nach
dem Berliner das größte im Reich war. Heute sind große Teile der
Sammlungen, die den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
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Darstellung des
Akademischen
Gymnasiums
mit der „Bibliotheca Johannea“
aus dem späten
17. Jahrhundert. Stich von
Franz Ladomin,
„Das Gymnasium“, Quelle:
Staatsarchiv
Hamburg
haben, Bestandteil des jüngst an der Universität Hamburg gegründeten Centrums für Naturkunde.
Einen wesentlichen Ursprung der objektbezogenen Wissenschaftsgeschichte bildete die 1529 gegründete Gelehrtenschule des Johanneums. Seinen ersten Standort hatte die Schule im ehemaligen St.
Johannis-Kloster, das nach der Reformation als Schulgebäude umgenutzt worden war. Hier war auch die Stadtbibliothek untergebracht.
Die Bibliothek gehörte sowohl zum Johanneum als auch zum Akademischen Gymnasium, außerdem war sie Rats- und Stadtbibliothek.
Der Komplex wurde die Keimzelle der wissenschaftlichen Sammlungen in Hamburg.
Mittelpunkt geistigen Lebens
Der Wissenschaftshistoriker Mitchell Ash hat eine Typologisierung
von „Wissensräumen“ und Untersuchungsgegenständen vorgenommen: Er unterscheidet physische Wissensräume wie Forschungsstätten und Gebäude; Forschungsanlagen, apparative Ensembles;
geografische Forschungsfelder und soziale Wissensräume. Daneben
klassifiziert er symbolische Wissensräume wie die räumliche Anordnung und Inszenierung von Wissensgegenständen sowie die Inskriptionen wie Daten, Tabellen und Grafiken, Verzeichnisse in Form
von Listen, Katalogen, Inventaren, Plänen und Karten. Die Objekte
der wissenschaftlichen Sammlungen vereinen viele dieser „Wissensräume“. Sie wurden in realen Räumen untergebracht, beschriftet,
verzeichnet, katalogisiert. Es wurde über sie gesprochen, sie wurden
16
Naturhistorisches Museum in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs, das im
Zweiten Weltkrieg durch Bomben getroffen und nicht wieder aufgebaut wurde
gehandelt, getauscht, in Hamburg an einem Ort zentriert, neben den
Kabinetten der wohlhabenden Bürger und Sammler.
Das Akademische Gymnasium am Johanneum wurde im 16. und 17.
Jahrhundert zum „Mittelpunkt des geistigen Lebens mit großer Ausstrahlung auf Wissenschaft und Kultur, Medien und Kommunikation des Gemeinwesens“, so der Historiker Franklin Kopitzsch. Durch
Schenkungen von Professoren und Bürgern wuchs die gemeinsame
Bibliothek – „Bibliotheca Johannea“ oder „Ratsbibliothek“ genannt
– zu einem vielfältigen Wissensspeicher heran. In einem Raum der
alten Klosterbibliothek wurden Bücher und Sammlungen aufgestellt,
die Sammlung setzte sich aus „Naturalia, Anatomica, Herbaria, Monetae und Hamburgensia“ (Weidner) zusammen. „Es wurden gesehen der Kopf eines Seepferdes, Hand einer Seekuh, Klapperschlange,
Chamaeleon, Salamander, Schwanz eines Elefanten, Walpenis, verschiedene Conchylien, kunstvolle Abbilder usw.“, beschrieb der Student und Autor Holger Jacobaeus 1771 in seinem Reisebericht eben
diese „Bibliotheca St. Johannis“. Viele der Objekte hatte Schlegel als
Professor der Botanik und der Anatomie und Chirurgie bereits aus
Jena mitgebracht, als er 1642 in seiner Vaterstadt zurückkehrte. Eine
genaue Beschreibung der anatomischen Präparate fehlt bisher ebenso
wie eine Spur zu ihrem späteren Verbleib.
Dr. Antje Zare
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte
und Ethik der Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
E-Mail: [email protected]
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
© UKE; Zeichnungen: Imke Piegler
Der Anatom Paul Marquard Schlegel sammelte wissenschaftliche Objekte
und vermachte diese 1663 der „Bibliotheca Johannea“. Quelle: Staats- und
Universitätsbibliothek Hamburg, Gemälde Sammlung Nr. 6
10 ganz besondere Fälle
Eine kleine Typenkunde
Erfahrungen So vielfältig wie die Bücher und die Serviceangebote der Bibliothek
sind auch ihre Leser. Jeder hat seine ganz eigene Art, eine Bibliothek zu nutzen.
Nach genauer Beobachtung zeigt sich: Die Leser lassen sich in Typen einteilen.
Von Andrea Henning, Nicole Henze, Anja Windus
Der Aufsatzbesteller
Man kennt ihn nur per Mail- oder Faxkontakt (nicht selten zu nachtschlafender Zeit)
oder tagsüber vom Telefon. Er ist begeistert
vom Service und würde gern einmal persönlich vorbeikommen, schafft es aber aufgrund seiner Arbeitszeiten nicht.
Der RechercheHerausforderer
Stellt meist knifflige Fragen und ist oft
selbst Experte im Recherchieren. Seine Literaturanfragen sind Herausforderungen, die
die Rechercheure gern annehmen.
Der Noch-nicht-Student
Sucht die Bibliothek schon in der Schulzeit
auf, um eine Hausarbeit oder einen Vortrag
über ein Gesundheitsthema zu erarbeiten.
Gibt den Mitarbeiterinnen bei Abgabe
meist freudestrahlend bekannt, welche
Note er dafür bekommen hat.
Der Langjährige oder
auch der Ewige
Der Lesesaalsitzer
Ist meist schon in Rente und hat endlich Zeit
zum Lesen. Er sitzt gerne in der Bibliothek.
Da er auf dem Laufenden bleiben möchte,
sucht er meist aktuelle Literatur und kommentiert Artikel aus dem „Blauen Heinrich“.
Hat die Bibliothek schon als Student entdeckt (wie der Geheimniskrämer) und ist
auch später als Arzt von den zusätzlichen
Vorteilen der Kammermitgliedschaft begeistert. Nutzt den Service solange es geht.
Der Geheimniskrämer
Ist meist Medizinstudent, der die Existenz
der Bibliothek für sich behält. Er freut sich,
die begehrten Lehrbücher vorzufinden, die
in anderen Bibliotheken grundsätzlich ausgeliehen sind.
Der Patient
Der Unsichtbare
oder die Nachteule
Er fordert seinen Leseausweis per Post an,
bestellt die Bücher über den Katalog, lässt
sie per Mail in der Abholbox deponieren
und gibt sie über die Rückgabebox zurück.
Die Mitarbeiterinnen bekommen ihn nie zu
Gesicht. Ähnlich die Nachteule – erledigt
alles spätabends oder in der Nacht (Mails,
Abholung bzw. Rückgabe der Medien).
Sitzt mit großen Augen beim Arzt und versteht hauptsächlich „Bahnhof“. Er möchte
sich gezielt über seine Krankheit und die
Therapiemöglichkeiten informieren, sein
Wissen diesbezüglich erweitern und dabei
nicht allein auf „Dr. Google” vertrauen. Freut
sich sehr über die Hilfe der Mitarbeiterinnen.
Die unersetzbare
Unterstützung
Der Last-minute-Leser
Taucht meistens fünf Minuten vor Schließung der Bibliothek auf, oder er benötigt –
am besten schon gestern – dringend Fachliteratur für einen Vortrag.
Er weiß, dass er sich auf die Bibliothek verlassen kann und passende Literatur bekommt.
Gesundheits- und Krankenpfleger/innen,
MFA, Altenpfleger/innen und viele weitere
unersetzbare Fachkräfte suchen und finden
ebenso aktuelle Literatur zu ihren Fachbereichen. Bringen von Anfang an eine
Engelsgeduld und Freundlichkeit mit, die
ihresgleichen sucht.
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
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Bücher der Bibliothek vor und nach der Restaurierung
Herrje, es bröselt!
Förderverein Das Projekt „Entsäuerung“ in der Bibliothek
des Ärztlichen Vereins rettet Bücher vor dem Zerfall.
Von Andrea Henning, Prof. Dr. Manfred Dallek
„Seien Sie vorsichtig mit
Gesundheitsbüchern – Sie könnten
an einem Druckfehler sterben.“
Mark Twain
18
Altbestände bleiben dabei keine Mittel übrig. Deshalb hat der Bibliotheksausschuss den Verein „Freunde und Förderer der Bibliothek des
Ärztlichen Vereins e.V.“ gegründet, der am 6. Mai 1998 vom Amtsgericht in das Vereinsregister eingetragen wurde.
Dem Säurefraß den Garaus machen
Einer der Schwerpunkte des Fördervereins war und ist die Rettung der
vom Säurefraß bedrohten Bücher. Eine große Hilfe zur Einwerbung
von Geldern zu diesem Zweck war die Bachelorarbeit von Anke Büchter und Anja Schütte von 2008, die zeigte: 62 Prozent des Bestands weist
saures Papier auf, 12,4 Prozent der Bücher zerfallen bei der ersten Berührung und lediglich bei 26 Prozent ist der Zustand im „grünen Bereich“. Aufgrund dieser wissenschaftlich fundierten Daten stellten die
Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung und die Ärztekammer
Hamburg für zehn Jahre finanzielle Mittel für die Entsäuerung zur Verfügung. Von diesem Geld konnten 2010 bis 2014 3.517 Monografien
und 3.712 Zeitschriftenbände entsäuert werden, 2015 wurden 1.350
Kilogramm Bücher zur Entsäuerung weggegeben.
Weiterer Schwerpunkt des Fördervereins ist die Finanzierung der Restaurierung von beschädigten Bucheinbänden. Bisher konnten durch
Mitgliedsbeiträge und Spenden des Fördervereins insgesamt 3.200
Bücher wiederhergestellt werden. Bei einem Gesamtbestand von rund
135.000 Bänden, von denen eine nicht unbeträchtliche Anzahl restaurierungsbedürftig ist, leider nur ein Tropfen auf einen heißen Stein.
Welche Bedeutung Bibliotheken mit historischen Beständen auch heute, im Zeitalter der Digitalisierung, noch haben, zeigt das Entsetzen und
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
© Ärztekammer Hamburg; Ulrike Schacht
„Seien Sie vorsichtig mit Gesundheitsbüchern – Sie könnten an einem
Druckfehler sterben“, bemerkte einst Mark Twain. Man könnte nun
darüber diskutieren, ob der Verlust von historischen Druckfehlern –
sprich: den Werken der Bibliothek des Ärztlichen Vereins – ein Dilemma wäre oder nicht. Dass wir einen Verlust erleben, können wir leider
nicht bestreiten: Viele Werke unseres Bestands, meist zwischen 1840
und 1970 erschienene, lösen sich auf.
Dabei lagern wahre Schätze in den Regalen. Für besonders wertvolle
Exemplare steht mit der „Schatzkammer“ ein Raum für die Aufbewahrung zur Verfügung, in dem Temperatur und Luftfeuchtigkeit möglichst konstant gehalten werden. Doch an vielen Werken nagt der Zahn
der Zeit. Durch Übersäuerung, vielfachen Gebrauch oder ehemals unsachgemäße Lagerung haben die Bücher unübersehbare Schäden erlitten. Was geschieht mit den gefährdeten Beständen? Der Jahresetat
der Bibliothek deckt die laufenden Kosten, für die Restaurierung der
die anschließende Spendenbereitschaft vieler Menschen beim Brand
der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek im Jahre 2004. Der ehemalige
Bundespräsident Horst Köhler sagte bei seiner Festrede zur Wiedereröffnung: „Die öffentlichen Bibliotheken sind weder ein Luxus, auf den
wir verzichten könnten, noch eine Last, die wir aus der Vergangenheit
mitschleppen: Sie sind ein Pfund, mit dem wir wuchern müssen.“ Und:
„Bibliotheken sind das Gedächtnis der Menschheit.“
Spenden sind immer willkommen
Das älteste Buch in unserer Bibliothek stammt aus dem Jahre 1534:
„Opus re de medica“ von Paulus Aegineta. Wie viele Generationen von
Bibliothekaren haben es gepflegt und über die Jahrhunderte gerettet!
Diese wertvollen Schätze auch für die nachfolgenden Generationen zu
erhalten, sehen wir als kulturelle und moralische Aufgabe. Vielleicht
ist dies auch Ihnen ein Anliegen. Deshalb kommt unsere Bitte als Appell: Die Bibliothek braucht viele Förderer – auch Sie! Wir würden uns
freuen, Sie im Förderverein begrüßen zu dürfen. Bereits mit einem
Mitgliedsbeitrag von 50 Euro im Jahr können Sie zur Erhaltung des
einzigartigen Altbestands beitragen. Natürlich sind auch darüber hinausgehende Spenden jederzeit sehr willkommen!
Prof. Dr. Manfred Dallek, Vorsitzender des Vereins „Freunde und Förderer der Bibliothek des Ärztlichen Vereins e.V.“ und stellvertretender
Vorsitzender des Bibliotheksausschusses der Ärztekammer Hamburg
Andrea Henning, Mitarbeiterin in der Bibliothek
Helfen Sie, den Altbestand zu retten
Mitglied im Förderverein werden
Einen Vordruck für Ihren Beitritt bei „Freunde und Förderer der
Bibliothek des Ärztlichen Vereins e. V.“ finden Sie im Internet
unter www.aekbibl.de/sites/foerderverein.html.
Oder Sie rufen einfach in der Bibliothek unter Tel. 040 / 44 09 49
an und bekommen Ihr Beitrittsformular per Post zugeschickt.
Die Gemeinnützigkeit des Vereins ist anerkannt, deshalb sind
alle Mitgliedsbeiträge und Spenden steuerabzugsfähig.
Es dankt der Vorstand des Fördervereins:
1. Vorsitzender: Prof. Dr. Manfred Dallek
2. Vorsitzender: Prof. Dr. Michael Goerig
Schatzmeister: Donald Horn
Beisitzerin: Dr. Birgit Wulff
Schriftführerin: Maike Piegler
Bankverbindung: Deutsche Apotheker- und Ärztebank,
IBAN DE41 3006 0601 0008 1901 00, BIC DAAEDEDDXXX
Buchpatenschaft übernehmen
Unabhängig von einer Mitgliedschaft im Förderverein können
Sie mit einer Buchpatenschaft genau das Buch „retten“, das
Ihnen besonders am Herzen liegt, indem Sie es auf Ihre Kosten
restaurieren lassen. Wenn Sie sich für eine Buchpatenschaft interessieren, setzen Sie sich mit der Bibliothek in Verbindung.
Was bringt Ihnen eine Buchpatenschaft?
• Das beruhigende Gefühl, ein Stück Kulturgut und zugleich
Geschichte Ihres Fachs vor dem Verfall gerettet zu haben.
• In Ihr „Patenbuch“ wird nach erfolgter Restaurierung ein
Etikett mit Ihrem Namen eingeklebt. So wird auch in ferner
Zukunft ersichtlich sein, wie viel die Bibliothek und ihre Schätze der Hamburger Ärzteschaft schon immer bedeuteten.
• Für das Finanzamt erhalten Sie eine Spendenbescheinigung
über den von Ihnen gespendeten Betrag.
Oben: Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery (r.), Präsident der Ärztekammer Hamburg, und Nikolaus W. Schües, damaliger Vorsitzender
der Jung-Stiftung für Wissenschaft und Forschung, die seit 2010 die
Entsäuerung der Bücher finanziell unterstützt (Aufnahme aus dem
Jahr 2010). Mitte: Saures Papier führt zum Zerfall, beginnend an den
Rändern der Buchseiten. Unten: Die gelben Zettel markieren Bücher,
die entsäuert werden müssen
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
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F O R U M
B I B L I O T H E K
Lesesaal der Bibliothek des Ärztlichen
Vereins: Neben der Ausleihe und der
Archivierung von Fachliteratur haben
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
vielfältige Aufgaben
Im Dienste der Medizin
Die Aufgaben von Medizinbibliothekaren haben sich im Laufe der Zeit stark gewandelt.
Gestern waren sie die Verwalter von Fachliteratur, heute sind sie Spezialisten mit breitem Fachwissen.
Der Umgang mit der wachsenden Datenflut ist die nächste Herausforderung. Von Dr. Oliver Obst
Die Geschichte der Medizin und die Geschichte der Medizinbibliotheken sind eng miteinander verknüpft. Einige der ältesten medizinischen Aufzeichnungen wurden in einer Bibliothek in Ninive gefunden. Die Tontafeln waren ca. 4.000 Jahre alt und stammten aus der
Palastbibliothek des assyrischen Herrschers Aššurbanipal (668 – 626
v. Chr.). Der König erweiterte seine Sammlung systematisch und ließ
alle Tafeln verzeichnen und sachlich ordnen. Zu diesem Zweck beschäftigte er Einkäufer, Schreiber, Übersetzer und Archivare. Bis in
die Neuzeit hinein wurden Medizinbibliotheken meist von Ärzten
oder anderem medizinischem Fachpersonal wie Apothekern geführt.
Mit der exponentiellen Zunahme des medizinischen Wissens Mitte
des 20. Jahrhundets wurde die Leitung an Fachleute delegiert, die dafür speziell ausgebildet waren. Aus dem Ärztebibliothekar wurde der
Medizinbibliothekar.
Heute: Informationsvermittler und Spezialisten
Das klassische Verständnis des Medizinbibliothekars als ausschließlichen Käufer und Ordner von Fachliteratur stimmt nicht mehr. Das
Aufgabenspektrum hat sich in den vergangenen Jahrzehnten – ausgerichtet an den Ansprüchen der Ärzte und Wissenschaftler – weiterentwickelt. In den 1970er-Jahren wurden Medizinbibliothekare zu Informationsvermittlern, als es möglich wurde, über Modem in großen
Literaturdatenbanken zu recherchieren. Sie wurden zu Ausbildern für
die Suche in Medline auf CD-ROM in den 1980ern, zu Internet-Trainern in den 1990ern und zu Experten in evidenzbasierter Medizin in
den 2000er-Jahren. Sie lizenzieren elektronische Zeitschriften in bundesweiten Konsortien und verleihen E-Books und Tabletcomputer.
Bei all diesen Entwicklungen haben Medizinbibliothekare frühzeitig
die verfügbaren Medien, Werkzeuge und Techniken auf Relevanz für
ihre Klienten geprüft und diese dann proaktiv in ihren Dienstleistungskanon aufgenommen. Heute finden sich in Medizinbibliotheken fachlich kompetente Ansprechpartner zu so vielfältigen Themen
wie Autorenbetreuung, bibliometrische Analysen, Clinical Decisi-
20
on Systems, Collaborative Writing Tools, Datenmanagement, Forschungsintegrität, Informationskompetenz, Langzeitarchivierung,
Open Access, Publikationsservern und Urheberrechtsfragen.
Morgen: Datenwissenschaftler und -schützer
Gegenwart und Zukunft halten weitere Herausforderungen für Medizin und Bibliothek bereit. Wir erleben zurzeit die ersten Schritte
der Zusammenführung, Digitalisierung und Analyse aller medizinischen Daten einer Person. Dies betrifft sowohl die Akten des
Gesundheitssystems als auch die gesundheitsrelevanten Daten, die
über Lifestyle-Geräte wie die Apple Watch gesammelt werden. Datenmanagement und Datenschutz sind bei diesem sensiblen Thema
besonders wichtig. Aber auch für Forscher ist der Umgang mit Daten kein Selbstläufer, wie Daniel Lemire, Computerwissenschaftler
aus Montreal, einräumt: „So I think that librarians should move on
to more difficult tasks. For example, we badly need help with what I
would call ‚meta-science‘ … We need help tracking data sets, their
transformation and so on. In effect, I would push librarians into
data science. That’s the next frontier.“
Zum Schutz der Daten vor Google und Co. brauchen wir vertrauenswürdige Institutionen wie die Initiative „Hub of all Things“ zeigt
(http://hubofallthings.com). Auch König Aššurbanipal war darauf bedacht, dass Tontafeln mit sensiblen Informationen wie seine Regierungsverlautbarungen oder Leberorakel nicht jedermann zugänglich
waren. Man fand sie bei den Ausgrabungen in einem besonders geschützten Raum der Bibliothek.
Literatur beim Verfasser.
Dr. Oliver Obst
Leiter der Zweigbibliothek Medizin der
Universitäts- und Landesbibliothek Münster
E-Mail: [email protected]
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
Aus der Schatzkammer
Einzigartig Jahrhunderte alte Bücher lagern in der Bibliothek. Hier werden zwei
besondere Exemplare vorgestellt, die das wissenschaftliche Weltbild veränderten.
Muskelspiel
Dieser „Muskelmann“ ist eine von rund 270 Illustrationen aus dem weltweit
berühmtesten Anatomieatlas „De humani corporis fabrica libri septem“
von Andreas Vesalius (1514 – 1564). Der flämische Anatom begründete mit
seinem Atlas, der erstmals 1543 in Basel erschien, die neuzeitliche Anatomie.
Im 16. Jahrhundert war die anatomische Lehre des griechischen Arztes
Galen aus dem 2. Jahrhundert noch allgemein anerkannt, davon abweichende Sektionsergebnisse wurden als Fehlbildungen interpretiert. Während
seine Vorgänger und Zeitgenossen die Sektionen von einem Dissektor
durchführen ließen, sezierte Vesalius selbst, manchmal sogar in öffentlichen
Vorlesungen. Durch seine Technik der schichtabtragenden Sektion, die sich
in den Illustrationen wiederfindet, stellte Vesalius die anatomischen Strukturen erstmals systematisch dar. In seinem Werk widerlegte er etliche Irrtümer,
die sich zum Teil seit Jahrhunderten gehalten hatten, und beschrieb viele
bisher unbekannte Strukturen. Bis heute ist nicht geklärt, wer die Holzschnitte für den Atlas angefertigt hat. Vermutlich stammen sie von mehreren
Tizian-Schülern, unter anderem von Jan Stephan van Calcar (1500 – 1546).
Laut einer handschriftlichen Eintragung des Bibliotheksvorstehers
Dr. Friedrich Nikolaus Schrader (1793 – 1859) gelangte der Atlas im Jahre
1843 als Geschenk – zum Wiederaufbau nach dem Brand – in die Bibliothek.
Der Spender war demnach ein Dr. Harnier in Cassel. | mp
Abbildung aus: „De humani corporis fabrica libri septem“
von Andreas Vesalius. Basel 1555
„Geheiligte Naturwissenschaft“
Diese Kupfertafel stellt die Erschaffung des Adam nach der biblischen
Schöpfungsgeschichte dar. Sie stammt aus der „Physica Sacra“ oder der
„Kupfer-Bibel“ von Johann Jacob Scheuchzer (1672 – 1733).
Der Schweizer Arzt und Universalgelehrte, der unter anderem zur
Schweizer Geografie und Naturgeschichte sowie zur Paläontologie
forschte, war als Arzt, Mathematiklehrer, Bibliothekar und Vorsteher der
Naturalienkammer in Zürich tätig.
In seiner Kupfer-Bibel, die vier Foliobände mit insgesamt 2.098 Seiten
und 750 Illustrationen umfasst, wollte Scheuchzer die Existenz Gottes
durch die Naturwissenschaft belegen. Er erklärt darin alle in der Bibel
erwähnten Phänomene naturwissenschaftlich und versucht damit, die
Religion mit der Naturwissenschaft zu vereinbaren. In der Schweiz durfte
das Mammutwerk nicht erscheinen, weil Scheuchzer mit seinen Ideen
den Unmut der Geistlichkeit erregt hatte. Die Kupfer-Bibel wurde in
Augsburg verlegt und erschien von 1731 bis 1735 zunächst auf Deutsch
und auf Latein, später auch in niederländischer und französischer Übersetzung. Scheuchzer starb 1733 und erlebte daher die Vollendung seines
Werks nicht mehr.
Seit wann sich die prächtige Kupfer-Bibel im Bestand der Bibliothek
befindet, ist leider nicht bekannt. | mp
Abbildung aus: „Physica Sacra“ oder „Kupfer-Bibel“
von Johann Jacob Scheuchzer. Augsburg, Ulm 1731
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
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F O R U M
B I B L I O T H E K
Fundstücke
Was Leser alles in
Büchern zurücklassen …
Impressum
Sonderheft der Ärztekammer
Hamburg zum 200-jährigen Jubiläum
der Bibliothek des Ärztlichen Vereins
Idee, Konzeption und Umsetzung
Maike Piegler, Gabriele Ballon, Andrea
Henning, Nicole Henze, Claudia Jeß,
Stephanie Hopf, Dorthe Kieckbusch,
Andrea Kühl, Sandra Wilsdorf, Anja Windus
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Redaktion
Stephanie Hopf, Dorthe Kieckbusch
Für den Inhalt verantwortlich
Maike Piegler
Redaktion und Verlag
Ärztekammer Hamburg
Weidestraße 122 b, 22083 Hamburg
Telefon: 0 40 / 20 22 99-0
Fax: 0 40 / 20 22 99-400
E-Mail: [email protected]
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
Mit Autorennamen gekennzeichnete
Beiträge stellen nicht in jedem Falle die
Meinung der Redaktion dar.
Titelgestaltung, Bildbearbeitung
Michael von Hartz
Druck
SDV – die Medien AG
Auflage: 19.000
Das Team der Bibliothek
Dipl.-Bibl.
Maike Piegler
Leiterin der Bibliothek,
Mitarbeiterin seit Februar 1995,
Spezialistin für Recherchen und
knifflige Fragen. Ihre liebste
Aussage lautet: „Bibliotheken
rechnen sich nicht, aber sie
zahlen sich aus.“ (Verfasser
unbekannt)
Um die Literaturwünsche der Leser zu
erfüllen und damit im Hintergrund alles
läuft, arbeitet in der Bibliothek ein Team aus
derzeit sechs Mitarbeiterinnen und einem
Azubi, unterstützt von einer studentischen
Hilfskraft. Jeder hat neben allgemeinen
Tätigkeiten „Spezialaufgaben“.
Andrea Henning
Dipl.-Bibl. Andrea Kühl
Mitarbeiterin seit September
2003, Findefuchs, verantwortlich für die Ausbildung des
Nachwuchses. „Die Kultur der
Menschheit besitzt nichts
Ehrwürdigeres als das Buch,
nichts Wunderbareres und
nichts, das wichtiger wäre.“
(Gerhart Hauptmann)
stellvertretende Leiterin, Mitarbeiterin seit Oktober 2001, blitzschnelle Aufsatzzustellerin und
verantwortlich für Aktualität und
Vielfalt des Buchbestands. 2016
in Elternzeit. Sie wird vertreten
von Dipl.-Bibl. Martina Goldmann.
„Einem Haus eine Bibliothek hinzuzufügen heißt, dem Haus eine
Seele zu geben.“ Marcus Tullius
Cicero (106 – 43 v. Chr.)
Gabriele Ballon
Nicole Henze
Mitarbeiterin seit Januar 1982,
ist für aktuelle Buchbestellungen zuständig und kümmert
sich um den Altbestand
© Fotolia – MagicDogWorkshop; Ärztekammer Hamburg
Mitarbeiterin seit August 1988,
ist der Bibliothek seit ihrer
Ausbildung treu geblieben,
sorgt für die aktuellen
Zeitschriften im Lesesaal
Henrik Bornhake
Anja-Susan Windus, M. A.
Mitarbeiter seit September
2015, Auszubildender zum
Fachangestellten für Medienund Informationsdienste,
Fachrichtung Bibliothek
Mitarbeiterin seit Februar 2012,
Spezialistin für „kranke“ Bücher,
frei nach dem Motto: „Aus alt
mach (fast) wieder neu!“
Zuständig für die Arbeiten
„um die Bücher herum“
200 JAHRE BIBLIOTHEK DES ÄRZTLICHEN VEREINS
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Wir sprechen erst mit Ihnen – und dann
über Geld. Denn bei uns gibt es keine
Empfehlungen, ohne dass wir Sie wirklich
verstehen. Genau dafür haben wir apoPur
entwickelt, unseren ganzheitlichen Beratungsansatz. Bei allem, was wir für
Sie tun können, von Finanzierungs- und
Anlagelösungen über Karrierewege bis
hin zu Immobilien und Vorsorge, gilt: Wir
beraten Sie umfassend – berufich und
privat. Schließlich sind wir Ihre Bank, die
Bank für Heilberufer.
Dr. Thomas Kühn,
Kunde der apoBank
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Filiale Hamburg
2 0 0 J A H R E| BHumboldtstraße
I B L I O T H E K D E S Ä R Z60
TLICHEN
VEREINS