Die Großstadt fasziniert. Und zwar nicht nur ihre Bewohner und

BA Modul 3: Text- und Medienanalyse 1
Stadt in Text und Bild. Berlin, 1920er Jahre
Mittwoch, 12-14 Uhr
Wintersemester 2015/16
Ralf Klausnitzer
DOR 24 (Hegelplatz), 1.301
Die Großstadt fasziniert. Und zwar nicht nur ihre Bewohner und Besucher, sondern vor allem auch Autoren und Künstler, die in
urbanen Räumen neue Möglichkeiten der Beobachtung wie der Modellierung individuellen Wahrnehmens und sozialen
Verhaltens entdecken. Zu einem Kristallisationspunkt großstädtischer Kultur und ihrer Reflexion steigt spätestens mit Beginn
des 20. Jahrhunderts die deutsche Hauptstadt auf: Berlin wächst nicht nur rasant, sondern wird zu einem Zentrum politischer
Polarisierung und tabuloser Unterhaltung, moderner Infrastrukturen und pluralisierter Bildungsangebote. Die LV wird diesen
Formationsprozessen der modernen Großstadt nachgehen und dabei vor allem die Wechselbeziehungen zwischen
Erfahrungswandel und ästhetischer Modellierung rekonstruieren. Im Zentrum des Interesses stehen dabei die
Beobachtungsverfahren und Zeichenordnungen in Literatur, Bildender Kunst und Film, die nicht erst, aber doch vor allem in den
1920er Jahren eine nachhaltige Modernisierung erleben. In exemplarischen Analysen lässt sich dabei alles lernen, was für den
text- und medienanalytisch versierten Städtebewohner noch heute nötig ist: Denn das Spektrum der behandelten StadtThematisierungen reicht von großartigen Bildern postimpressionistischer, expressionistischer und neusachlicher Provenienz
(Liebermann, Kirchner, Beckmann u.a.) über ebenso beeindruckende Gedichte (Bertolt Brecht, Mascha Kaléko u.a.) bis zu
Alfred Döblins Roman programmatischem Roman Berlin Alexanderplatz und zu Erich Kästners „Geschichte eines
Moralisten“ Fabian (in der sich ein Germanist durch den Dschungel der Großstadt Berlin schlagen muss). Auch Walter
Ruttmanns innovativer Dokumentarfilm Berlin – Die Sinfonie der Großstadt und Fritz Langs erster Tonfilm M – eine Stadt sucht
ihren Mörder stehen auf dem Programm. Lektüre- und Sichtungspflichten sind umfassend, sollten aber nicht abschrecken: Nach
diesem Seminar sieht man die Stadt Berlin und ihre Bilder, Texte, Zeichen mit anderen Augen.
Mittwoch, 14. Oktober
2015
21. Oktober
Einführung
Was zuvor geschah: Beobachtungen der großen Stadt an der Schwelle von Romantik zum Realismus
28. Oktober
E.T.A. Hoffmann: Des Vetters Eckfenster (Novelle). ED in: Der Zuschauer (Berlin), April-Mai 1822
Eduard Gärtner: Berlin-Panorama (mehrteilig; Öl auf Leinw, 1834); Der Neucöllnische Markt (Zeichnung, 1839)
Eintritt in die Moderne. Um 1900
4. November
Christian Morgenstern: Eine Großstadt-Wanderung (Gedicht, 1897)
Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben. ED in: Die Großstadt. Vorträge und Aufsätze zur
Städteausstellung. Hrsg. von Th. Petermann. Dresden 1903, S. 185-206
Großstadtlyrik. Hrsg. von Heinz Möller. Buchschmuck von Ludwig Sütterlin. Leipzig 1903 – Auszüge
Max Liebermann: Tiergarten. Pastell 1899; Lesser Ury: Bahnhof Friedrichstraße; Café Bauer (Pastell/ Öl 1895-98)
Entdeckungen des Expressionismus
11. November
Georg Heym: Der Irre (Novelle, 1911)
Georg Heym: Berlin I, II, III, IV, VI, VIII (Gedichte, 1910/11)
Ernst Ludwig Kirchner: Potsdamer Platz (Öl auf Leinwand, 1912/13)
Neue Sachlichkeit: Arbeiten
Egon Erwin Kisch: Berlin bei der Arbeit [Fotoreportage, Arbeiter Illustrierte Zeitung vom 25. Juni 1927, S. 8-9]
Bertolt Brecht. Der Arbeitsplatz oder Im Schweiße deines Angesichts sollst du kein Brot essen [Erz., ED 1933]
Hans Baluschek: Arbeiterstadt (Öl auf Leinw 1920); Im Schmelzwerk, Vor den Schmelzöfen (Lithographien 1926)
18. November
Fakultativ; zum probieren + kontextualisieren
Willi Bredel: Maschinenfabrik N.&K. Ein Roman aus dem proletarischen Alltag. ED Internationaler
Arbeiterverlag Berlin 1930 (Der Rote-1-Mark-Roman) – 1. Das Werk
Klaus Neukrantz: Barrikaden am Wedding (ED 1931) – Kapitel I. 125 Zentner Beton
Neue Sachlichkeit: Verändertes Wahrnehmen
Joseph Roth: Spaziergang. In Berliner Börsen Courier vom 24. Mai 1921; Fahrt an den Häusern. BCC vom 23.
April 1922, Der auferstandene Mensch. Ein halbes Jahrhundert im Zuchthaus. In: Neue Berliner Zeitung vom 24.
Februar 1923, alle wieder in Michael Bienert (Hrsg.): Joseph Roth in Berlin. Ein Lesebuch für Spaziergänger. Köln
2010, S. 65-69, 125-128, 130-132
Franz Hessel: Spazieren in Berlin. Lehrbuch der Kunst, in Berlin spazieren zu gehen ganz nah dem Zauber der
Stadt von dem sie selbst kaum weiß. Ein Bilderbuch in Worten. Berlin 1929 – Auszüge
25. November
Neue Sachlichkeit: Lieben
Bertolt Brecht: Aus dem Lesebuch für Städtebewohner - Es war leicht, ihn zu bekommen (Gedicht, 1926/27)
Mascha Kaléko: Das lyrische Stenogrammheft [1933] – daraus: Großstadtliebe; Spät nachts; Frühling über Berlin
Menschen am Sonntag (Film D 1929/39, Regie: Robert Siodmak und Edgar G. Ulmer; Drehbuch: Billy Wilder)
2. Dezember
Neue Sachlichkeit: Verkehrsverhältnisse und Bewegungsformen
Joseph Roth: Bekenntnis zum Gleisdreieck. In: Frankfurter Zeitung vom 16. Juli 1924; wieder in Michael Bienert
(Hrsg.): Joseph Roth in Berlin. Ein Lesebuch für Spaziergänger. Köln 2010, S. 145-148.
Berlin – Die Sinfonie der Großstadt (Film, D 1927, Regie Walter Ruttmann)
9. Dezember
Verkehrsverhältnisse und Bewegungsformen. Aus anderer Perspektive
Erich Kästner: Emil und die Detektive. Ein Roman für Kinder (1929)
16. Dezember
Tage und Nächte
Vicki Baum: Menschen im Hotel. Kolportageroman mit Hintergründen (1929)
6. Januar 2016
Verbrechen und Strafen
Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf [Roman, 1929]
– Erstes bis viertes Buch
13. Januar
Verbrechen und Strafen II
Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf [Roman, 1929]
– fünftes bis neuntes Buch
+ Adaptation im neuen Medium: Berlin Alexanderplatz [Film, D 1931, Regie: Piel Jutzi]
20. Januar
Krise
Erich Kästner: Fabian [Roman, 1931] – Erstfassung: Der Gang vor die Hunde
27. Januar
Unterwelt
M – eine Stadt sucht ihren Mörder [Film D 1931, Regie: Fritz Lang]
3. Februar
Karriere/träume
Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen [Roman 1932]
10. Februar
Selbstversuch - Abschlussdiskussion
Elementare Verabredungen zum Seminarablauf
è Angestrebt wird die umfassende und genaue Kenntnis wichtiger Berlin-Texte, -Bilder und –Filme bzw. von kanonischen Werken der
neueren deutschen Literatur- und Kulturgeschichte (die irgendwann im Leben sowieso gelesen bzw. angeschaut werden müssen). Deshalb
sind die angegebenen Texte von allen Seminarteilnehmern intensiv zu lesen und die Filme genau anzusehen; bereitgestellte
Sekundärliteratur trägt zur Kontextualisierung bei und sollte gelesen werden.
è Primärtexte und Links zu den Filmen stehen auf moodle zum Download bereit (Kennwort: Aufmerksamkeit). Texte können auch
angeschafft oder in der Institutsbibliothek oder UB oder Stabi gelesen werden. Wenn gewünscht, dann gern gemeinsame Filmsichtungen.
è Optional: Kurze Einführungen durch Studierende soll die Basis für die nachfolgende Seminardiskussion bilden; günstig sind
Arbeitsgruppen sowie ein knappes, konzises Thesenpapier.
è Der Erwerb von benoteten Leistungsnachweisen („Schein“) erfolgt durch regelmäßige aktive Teilnahme am Seminar +
Einführungsauftritt + schriftliche Hausarbeit; nähere Informationen dazu rechtzeitig
è Um Abwesenheit bei Seminarveranstaltungen zu minimieren: Einmaliges unentschuldigtes Fehlen erlaubt (wenn auch nicht gern
gesehen), zweite Absenz nur mit Entschuldigung. Dann vorbei.
Sprechstunde: Mittwoch 14.30 – 16 Uhr im Institut für deutsche Literatur, DOR 24, Raum 3.528 sowie jederzeit nach Vereinbarung è
Tel. dienstl.: 20 939 697; Mail: [email protected]