Grundlagen der Physik – Lerneinheit 2 Einführung in die Struktur

Grundlagen der Physik – Lerneinheit 2
Grundlagen der Physik – Lerneinheit 2
Einführung in die Struktur der Materie und die Messung
physikalischer Größen und etwas über Energieformen und ihre Umwandlung
Internationaler Kilogramm-Prototyp
Bureau International des Poids et Mesures (BIPM) in Sèvres
Dieter Bangert
September 2015
3
Inhaltsverzeichnis Lerneinheit 2 - Grundlagen der Physik -
Inhaltsverzeichnis Lerneinheit 2 - Grundlagen der Physik Vorwort
6
1
Struktur der Materie im Überblick ............................................................................ 7
1.1
Einführung ........................................................................................................................ 7
1.2
1.2.1
1.2.2
1.2.3
Zustandsformen der Materie : fest, flüssig und gasförmig ............................................... 7
Feste Körper ..................................................................................................................... 8
Flüssigkeiten ................................................................................................................... 11
Gase ............................................................................................................................... 12
2
Aufbau der Materie .................................................................................................. 13
2.1
Atome und Moleküle ....................................................................................................... 13
2.2
Atombau und Periodisches System der Elemente......................................................... 16
2.3
Atomkerne und Elementarteilchen ................................................................................. 19
3
Messung physikalischer Größen, Messunsicherheit und
Messdatenauswertung ............................................................................................ 26
3.1
Experimente, physikalische Modelle und Theorien........................................................ 26
3.2
Messgenauigkeit, Präzision und Messunsicherheit ....................................................... 29
3.3
3.3.1
3.3.2
3.3.3
3.3.4
3.3.5
3.3.6
Messabweichungen und ihre Ursachen ......................................................................... 32
Systematische Messabweichungen ............................................................................... 32
Zufällige Messabweichungen ......................................................................................... 33
Häufigkeitsverteilung ...................................................................................................... 34
Mittelwert ........................................................................................................................ 38
Streuung und Standardabweichung ............................................................................... 39
Mittlere Streuung des Mittelwerts ................................................................................... 39
3.4
Lineare Regression und die Ausgleichsgerade ............................................................. 41
4
Etwas über Wärme, Energieumwandlung und Wirkungsgrade.....................................45
4.1
Erscheinungsformen der Energie.........................................................................................45
4.2
Energieumwandlung ........................................................................................................ 47
5
Wiederholungstest.............................................................................................................52
5.1
Testfragen.......................................................................................................................... 52
5.2
Lösungen der Testfragen.....................................................................................................54
4
Inhaltsverzeichnis Lerneinheit 2 - Grundlagen der Physik -
6
Zusammenfassung....................................................................................................55
7
Übungen.........................................................................................................................57
7.1
Übungsaufgaben..................................................................................................................57
7.2
Lösungen der Übungsaufgaben...........................................................................................58
Anhang
Anhang A1 Griechisches Alphabet.........................................................................................................61
Anhang A2
Formelzeichen......................................................................................................................62
Anhang A3
Literaturauswahl....................................................................................................................63
5
Vorwort
Vorwort
Die vorliegende Lerneinheit stellt eine elementare Einführung in die
Struktur der Materie für Studierende des Wirtschaftsingenieurwesens
dar, die Physik als Hilfswissenschaft betreiben. Im Vordergrund steht
dabei eine ausführliche Behandlung der physikalischen Grundbegriffe. Die Beschreibung der verschiedenen Erscheinungsformen der
Materie ist das zentrale Thema von Kapitel 2. Daran anschließend
liefert Kapitel 3 einen orientierenden Überblick über den Aufbau der
Materie aus Atomen und Molekülen. Dabei soll auch ein erster Einblick in die subatomare Welt der Atomkerne und Elementarteilchen
erfolgen. Die Physik als empirische Naturwissenschaft beruht auf
Beobachtungen und Experimenten mit messtechnischer Datenerfassung. Das Messen als planmäßiges Experimentieren und die kritische
Auswertung der Messergebnisse ist grundlegender Bestandteil der
physikalischen Arbeitsmethode. In Kapitel 4 erfolgt daher eine Einführung in die Messung und Messdatenauswertung physikalischer
Größen. Dabei steht der Begriff der Messunsicherheit im Mittelpunkt
der Betrachtung.
Verbesserungsvorschläge, Fehlermeldungen und sonstige Kommentare oder Hinweise sind erwünscht. Bitte richten Sie diese an folgende E-Mail-Adresse:
[email protected]
Marburg, September 2015
6
Dieter Bangert
1.1 Einführung
1
Struktur der Materie im Überblick
1.1
Einführung
Grundlegende Voraussetzung der Physik ist die Annahme der Gültigkeit universeller und reproduzierbarer Naturgesetze, aus denen die
beobachtbaren Naturphänomene abgeleitet werden können. Bei der
Formulierung von Naturgesetzen kommt dem Experiment als korrektivem Element bei der Entwicklung und sukzessiven Verbesserung
von physikalischen Modellvorstellungen eine richterliche Entscheidungsinstanz zu. Den Beobachtungen der mit Hilfe der menschlichen
Sinne wahrnehmbaren Phänomene der makroskopischen Welt liegen
letztlich nur mikroskopisch interpretierbare Ursachen zugrunde. Die
makroskopische Materie besitzt nämlich eine mikroskopische Feinstruktur in Form von chemisch nicht weiter zerlegbaren Konstituenten, den Atomen (gr. atomos: das Unteilbare).
1.2
Zustandsformen der Materie : fest, flüssig und
gasförmig
Die uns makroskopisch vertraute Materie kann in drei verschiedenen
Aggregatzuständen, nämlich fest, flüssig und gasförmig auftreten.
Diese Zustandsformen der Materie unterscheiden sich im Wesentlichen durch die unterschiedliche Packungsdichte ihrer Konstituenten,
in Form von Atomen oder Molekülen.
Abb. 1: Zustandsformen der Materie
7
1 Struktur der Materie im Überblick
So wird beispielsweise das bei Zimmertemperatur flüssige Wasser
bei Temperaturen kleiner oder gleich 0 o C fest und bildet Eis. Bei
Erwärmung siedet Wasser unter Normdruck von 1013,25 hPa bei
100 o C und geht dabei vom flüssigen in den gasförmigen Aggregatzustand in Form von Wasserdampf über. Wasser verdampft allerdings teilweise schon im festen, eisförmigen Zustand, wobei die
Verdampfungsrate mit wachsender Temperatur bis zum Siedepunkt
ständig zunimmt.
1.2.1
Feste Körper
Feste Körper nehmen ein bestimmtes Volumen ein und besitzen eine
bestimmte geometrische Form. Sie haben somit die Eigenschaft der
Formstabilität. In der Physik werden feste Körper durch zwei verschiedene Modellkörper beschrieben: Starrer Körper und elastischer Körper. Der starre Körper ist durch eine gegebene Masse und
durch eine unveränderliche Gestalt gekennzeichnet, er ist starr. Auch
unter der Einwirkung äußerer Kräfte behält der starre Körper seine
geometrische Form unverändert bei. Der starre Modellkörper kann
nicht deformiert werden, seine Atome verharren wie durch starre
Abstandshalter fixiert an ihren jeweiligen Positionen.
Unter Krafteinwirkung ändern dagegen die Atome eines elastischen
Körpers ihre gegenseitige Lage. Der elastische Modellkörper verändert dadurch seine makroskopische Form. Er ist somit ein deformierbarer Körper. Verschwindet die Deformation nach Beendigung der
Krafteinwirkung wieder völlig, d.h. nimmt der Körper wieder vollständig seine ursprüngliche Gestalt an, so ist der Körper vollkommen
elastisch. Diese Eigenschaft des elastischen Körpers wird auch als
Gestaltselastizität bezeichnet. Bei nicht zu großen Krafteinwirkungen verhalten sich alle festen Körper elastisch. Das physikalische
Konzept des elastischen Körpers kann durch ein Federmodell veranschaulicht werden, indem die Bindungskräfte zwischen benachbarten
Atomen durch Schraubenfedern repräsentiert werden. Die Atome
sind dabei durch harte Kugeln dargestellt.
Abb. 2: Schematische Darstellung eines elastischen Körpers
Feste Körper können aufgrund ihrer mikroskopischen Struktur sowohl als kristalline als auch als amorphe Stoffe vorkommen. Wäh-
8
1.2 Zustandsformen der Materie : fest, flüssig und gasförmig
rend die Kristalle eine reguläre Struktur besitzen (Abb. 3), ist bei
den nichtkristallinen oder amorphen Festkörpern keine langreichweitig regelmäßige Struktur erkennbar (Abb. 3).
kristallin
amorph
Abb. 3: Zweidimensionale Strukturschemata von kristallinen und
amorphen Quarz ( SiO 2 )
Die Atome oder Moleküle als mikroskopische Bausteine der Festkörper sind durch Kräfte an ortsfeste Positionen gebunden, um die
sie nur Schwingungen ausführen können. Bei kristallinen Festkörpern befinden sich die Atome oder Moleküle an den durch die Gitterstruktur festgelegten Gitterplätzen. Sie wird durch die Art des
Kristallgitters bestimmt. Für eine stabile Bindung sind anziehende
und abstoßende Kräfte erforderlich. Die Gitterplätze stellen dabei
Gleichgewichtspositionen dar, bei denen die Anziehungskräfte gerade durch gleich große aber entgegengesetzt gerichtete Abstoßungskräfte kompensiert werden. Die Kräfte sind dabei elektrischer Natur.
Ihr Ursprung liegt in den elektrischen Ladungen der Elementarteilchen, aus denen die Atome und Moleküle letztlich aufgebaut sind.
Einige festen Stoffe können in kristalliner und amorpher Modifikation auftreten. Ein typischer Vertreter eines solchen Stoffes ist Siliziumdioxid. Es handelt sich dabei um einen Festkörper mit großer
Härte und hoher Schmelztemperatur. Die chemische Summenformel
von Siliziumdioxid ist SiO 2 , obwohl in der Natur keine freien
SiO 2 - Moleküle vorkommen. Die chemische Summenformel besagt,
dass auf jedes Siliziumatom (Elementsymbol Si) zwei Sauerstoffatome (Elementsymbol O) entfallen. Jedes Si-Atom ist im kristallinen Siliziumdioxid tetraedrisch von vier O-Atomen umgeben und
bildet damit SiO 4 − Tetraeder. Ein Tetraeder ist dabei ein regulärer
Vierflächner, dessen vier Seitenflächen aus gleichseitigen Dreiecken
bestehen. Kristallines Siliziumdioxid ist farblos und wird als Quarz
9
1 Struktur der Materie im Überblick
oder Bergkristall bezeichnet. Werden Quarzkristalle geschmolzen
( ϑS = 1610 °C) , so geht in der Schmelze die für Kristalle charakteristische periodische Fernordnung der Gitterstruktur verloren. Wird
die Schmelze wieder abgekühlt, so nimmt mit abnehmender Temperatur ihre Viskosität stark zu. Die Schmelze wird immer zähflüssiger
und schließlich fest, wobei die im flüssigen Zustand vorhandene
Unordnung eingefroren wird und damit erhalten bleibt. Es ist amorphes Quarzglas entstanden. Dieser glasartige oder amorphe Zustand
gleicht strukturmäßig einer molekularen Flüssigkeit, der die für kristallines Quarz typische Periodizität des Raumgitters fehlt.
Ein Idealkristall ist aus Elementarzellen aufgebaut, die in den drei
Raumrichtungen regelmäßig angeordnet sind und das Kristallvolumen lückenlos ausfüllen. Die Elementarzellen sind im allgemeinsten
Fall Parallelepipede, die durch drei nicht orthogonale Gittervektoren
r r
r
a , b und c aufgespannt werden (Abb. 4).
z
c
α
β
b
y
a
γ
x
Abb. 4: Parallelepiped als Elementarzelle
Die Beträge a, b und c dieser Basisvektoren werden Gitterkonstanten genannt. Bei einer Vielzahl von Kristallen sind die Elementarzellen Würfel. Sie bilden das so genannte kubische System (Abb. 5).
Die einfachste Elementarzelle wird durch das kubisch-primitive Gitter (kp) gebildet, bei dem sich nur an den acht Würfelecken Atome
bzw. Moleküle als Konstituenten des festen Körpers befinden. Von
größerer Bedeutung sind die kubisch raumzentrierte Struktur (krz)
und die kubisch flächenzentrierte Struktur (kfz). Die kubisch flächenzentrierte Struktur besitzt zusammen mit der hexagonal dichtesten Packung (hdP) die größtmögliche Packungsdichte der Atome.
10
1.2 Zustandsformen der Materie : fest, flüssig und gasförmig
Der Raumerfüllungsgrad RE beträgt
RE kfz = RE hdP = 74 % .
(1.1)
krz
kp
kfz
Abb. 5: Kristallstrukturen im kubischen System
Die Struktur der in der Natur vorkommenden Realkristalle unterscheidet sich jedoch meist erheblich von diesem Idealzustand. Realkristalle enthalten Störungen des vollständig periodischen Aufbaus,
die als Gitterfehler bezeichnet werden. Diese Gitterfehler bestimmen die physikalischen Eigenschaften der realen Kristalle in beträchtlichem Ausmaß. Das gilt vor allem für die mechanischen Festigkeitseigenschaften. Aber auch die optischen Eigenschaften können
durch Gitterfehler bzw. den Einbau von Fremdatomen in das Wirtsgitter stark verändert werden. So bildet beispielsweise reines Aluminiumoxid ( Al 2 O 3 ) klare, durchsichtige Kristalle, die als Saphir oder
Korund bezeichnet werden. Durch Zugabe geringfügiger Mengen
von Chrom entsteht daraus mit zunehmender Cr 3+ -Konzentration
der dunkelrote Edelstein Rubin. Aus kristallinem Aluminiumoxid
entstehen durch Substitution von einigen Al-Atomen durch Titanatome ( Ti 3+ -Ionen) blaue Saphire. Der klare Beryllkristall
( Al 2 Be 3 (Si 6 O18 ) , ein Aluminium-Beryllium-Silicat, wird aufgrund
von Verunreinigungen durch etwa 0,3% Cr2 O 3 zum grünfarbigen
Edelstein Smaragd.
1.2.2
Flüssigkeiten
Flüssige Stoffe besitzen zwar ein bestimmtes Volumen und damit
eine bestimmte Masse, sie haben jedoch keine bestimmte Form. Sie
besitzen aber die Eigenschaft des Formfüllungsvermögens und
nehmen dabei die durch ein äußeres Gefäß vorgegebene Form an.
In Flüssigkeiten sind die atomaren oder molekularen Bausteine zwar
auch durch Wechselwirkungskräfte aneinander gebunden, es besteht
jedoch im Gegensatz zu den Festkörpern eine leichte Verschiebbarkeit dieser Teilchen gegeneinander. Dieser Sachverhalt ist zusammen
mit der geringeren Dichte der Flüssigkeiten verantwortlich für ihre
Fließeigenschaften. In Flüssigkeiten existiert keine räumlich regelmäßige Anordnung der Atome oder Moleküle. Während in kristallinen Festkörpern aus energetischen Gründen die Atomanordnungen in
11
1 Struktur der Materie im Überblick
dichtesten Kugelpackungen realisiert sind, existieren in Flüssigkeiten
unregelmäßige Zwischenräume. Diese bilden ein Leervolumen, das
etwa 5 % des Gesamtvolumens der dichtesten Kugelpackung ausmacht (Abb. 6).
Flüssigkeit
Festkörper
Abb. 6: Atomanordnungen in Festkörpern und Flüssigkeiten
Das Leervolumen begünstigt die beim makroskopischen Fließvorgang sichtbare kollektive Fließbewegung der Teilchen, indem es
molekulare Platzwechselvorgänge ermöglicht.
1.2.3
Gase
Gase haben kein bestimmtes Eigenvolumen und besitzen keine
Formstabilität. Im Gegensatz zu den festen und flüssigen Stoffen,
besitzen Gase keine Oberfläche. Sie nehmen jedes ihnen zur Verfügung stehende Volumen ein und können dadurch beliebig verdünnt
werden. Die Wechselwirkungskräfte zwischen den Gasteilchen sind
gering. Sie werden daher beim idealen Gas, einem thermodynamischen Modellstoff, in vereinfachender Weise vollständig vernachlässigt. Zwischen den Atomen bzw. Molekülen eines realen Gases bestehen dagegen immer anziehende oder abstoßende Wechselwirkungskräfte. Die kurzreichweitigen Abstoßungskräfte spielen beispielsweise beim Stoß zweier sich dicht annähernder Gasteilchen
eine wichtige Rolle. Solche Zusammenstöße zwischen den Gasteilchen sind dabei für den Wärmetransport und für die Thermalisierungsprozesse beim Temperaturausgleich von Bedeutung. Die langreichweitigeren Anziehungskräfte zwischen den Konstituenten des
realen Gases sorgen dafür, dass sie sich bei genügend tiefen Temperaturen und hohen Drücken verflüssigen lassen und schließlich bei
weiterer Abkühlung in den festen Zustand übergehen. Feste und flüssige Stoffe werden daher auch unter dem Oberbegriff kondensierte
Materie zusammengefasst.
12
2.1 Atome und Moleküle
2
Aufbau der Materie
2.1
Atome und Moleküle
Alle Materie ist aus kleinsten Bausteinen, den Atomen, aufgebaut.
Die Atome sind äußerst kleine, sich ständig bewegende Teilchen,
zwischen denen abstandsabhängige Kräfte wirken. In Abb. 7 sind die
Atommodelle von John Dalton (1766 – 1844) und Ernest Rutherford
(1871 - 1937) skizziert.
Dalton (1807)
Rutherford (1911)
Abb. 7: Atommodelle
Das Atom besteht aus einem extrem kleinen elektrisch positiv geladenen Atomkern ( R K ≈ 10 −15 m ) und einer elektrisch negativ geladenen Atomhülle ( R A ≈ 10 −10 m ), welche den Atomkern umgibt.
Die Atomhülle besteht aus negativ geladenen Elementarteilchen, den
Elektronen. Sie bestimmen die Größe und die chemischen Eigenschaften der Atome.
Grundlegend für das Verständnis des Aufbaus aller Stoffe aus Atomen war eine Fülle von Erkenntnissen, die bei der Untersuchung von
chemischen Reaktionen im 19. Jahrhundert gewonnen wurden. Wasserstoff (Elementsymbol H) und Sauerstoff (Elementsymbol O) verbinden sich beispielsweise in einem konstanten Massenverhältnis zu
Wasser, wobei immer 2 kg Wasserstoff und 16 kg Sauerstoff 18 kg
Wasser ergeben. Ebenfalls in einem konstanten Massenverhältnis
reagieren immer 12 kg Kohlenstoff (Elementsymbol C) mit 32 kg
Sauerstoff und ergeben bei dieser als Verbrennung bezeichneten
chemischen Reaktion 44 kg Kohlendioxid. In einer chemischen Verbindung sind offensichtlich die beteiligten Elemente in bestimmten
Massenverhältnissen enthalten. Bilden zwei Elemente miteinander
mehrere Verbindungen wie beispielsweise Sauerstoff und Stickstoff
(Elementsymbol N) mit den in der Natur vorkommenden Verbindungen N 2 O , NO, N 2 O 3 , NO 2 und N 2 O 5 , so stehen die Massenver-
13
2 Aufbau der Materie
hältnisse der beiden Elemente im Verhältnis ganzer Zahlen zueinander. In diesen Verbindungen ist nämlich jeweils 1 kg Stickstoff mit
0,57 kg, 1,14 kg, 1,71 kg, 2,28 kg und 2,85 kg Sauerstoff verbunden. Diese als Gesetze der konstanten bzw. multiplen Proportionen kodifizierten Beobachtungen können als quantitative Bestätigung der 1805 von John Dalton formulierten Atomhypothese angesehen werden. Demnach bestehen die chemischen Elemente aus
kleinsten Einheiten, den Atomen. Alle Atome eines chemischen
Elements sind dabei im Wesentlichen einander gleich. In den chemischen Verbindungen bilden die Atome der beteiligten Elemente in
für jeden Stoff eindeutiger Weise Atomverbände, die sog. Moleküle.
So bilden Wasserstoff und Sauerstoff jeweils zweiatomige Moleküle
H 2 bzw. O 2 . Die experimentelle Erfahrung zeigt: 2 l gasförmiger
Wasserstoff und 1 l gasförmiger Sauerstoff unter Normdruck und
konstanter Temperatur können in der Knallgasexplosion 2 l Wasserdampf bilden. Dabei ist das Volumen bei chemischen Reaktionen
nicht notwendigerweise eine additive Größe. Auch bei anderen Gasreaktionen treten immer einfache, konstante Volumenverhältnisse
auf. Der italienische Physiko-Chemiker Amedeo Avogadro (1776 –
1856) hat diesen Sachverhalt als erster richtig interpretiert: Gleiche
Volumina von Gasen enthalten unter gleichen Druck- und Temperaturbedingungen gleich viele Atome oder Moleküle. Zwei Wasserstoffmoleküle und ein Sauerstoffmolekül bilden daher in dieser
exothermen chemischen Reaktion zwei Wassermoleküle ( H 2 O ). Die
chemische Reaktionsgleichung lautet:
2 H 2 + O 2 → 2H 2 O .
Entsprechend erhält man für Kohlendioxid die Bildung eines Moleküls CO 2 aus einem Kohlenstoffatom und zwei Sauerstoffatomen.
Dieser Sachverhalt wird in Kurzform durch die chemische Reaktionsgleichung
C + O 2 → CO 2
beschrieben. Die Moleküle setzen sich somit aus den Atomen als
ihren Konstituenten zusammen. Das CO 2 -Molekül hat dabei eine
gestreckte und das H 2 O -Molekül eine gewinkelte Struktur (Abb. 8).
Die Atome sind in der Abbildung als kugelförmige Gebilde dargestellt. Die geraden Verbindungsstriche sollen die Richtung der Bindungskräfte und die geometrische Struktur des Moleküls symbolisieren.
14
2.1 Atome und Moleküle
O
C
O
O
H
CO2
H
H2O
Abb. 8: Molekülstrukturen von Kohlendioxid und Wasser in schematischer Darstellung
Neben diesen einfachen Molekülen gibt es auch Moleküle, die aus
mehreren Tausend Atomen aufgebaut sind. Beispiele hierfür sind die
polymeren Werkstoffe (Kunststoffe). So kann beispielsweise durch
Aneinanderfügung kleinerer Moleküle, so genannter Monomere wie
Ethen mit der chemischen Summenformel ( C 2 H 4 ), durch Poly-
merisation ein Makromolekül, nämlich Polyethylen (PE) entstehen.
Polyethylen wird durch die chemische Summenformel (C 2 H 4 ) n
charakterisiert. Die Makromoleküle können dabei aus n ≈ 1000 bis
n ≈ 10000 monomeren Molekülgruppen aufgebaut sein.
Durch die oben genannten Ganzzahligkeitsgesetze der konstanten
bzw. multiplen Proportionen konnten im Rahmen der quantitativen
Chemie allerdings nur die Verhältnisse von Atom- und Molekülmassen angegeben werden, nicht aber die Größe der Atome und deren
Massen selbst. Wegen ihrer Kleinheit kann die Masse der Atome
nicht direkt durch Wägung bestimmt werden. Eine erste Abschätzung der Größe der Atome lieferte 1865 Joseph Loschmidt (1821 1895). Die Atome besitzen demnach Radien in der Größenordnung
von 10 −10 m . Mit Hilfe der atomphysikalischen Massenspektroskopie können die Verhältnisse der Atommassen experimentell mit hoher Genauigkeit bestimmt werden. Damit lässt sich ein System relativer Atommassen aufstellen. Als Bezugsgröße dient dabei aus messtechnischen Gründen 1/12 der exakt 12 gesetzten Masse des Kohlenstoffatoms mit der Bezeichnung
12
C . Es sei m a (12 C) die Masse des
Kohlenstoffatoms 12 C . Den zwölften Teil dieser Masse definiert
man als Atommassenkonstante oder atomare Masseneinheit u.
u=
1
m a (12 C)
12
(2.1)
Die Definition der Atommassenkonstante, die auch als Atommasseneinheit bezeichnet wird, bezieht sich nur auf das Kohlenstoffnuklid
12
C . Auf diese Konstante bezieht man alle anderen Atommassen
bzw. Molekülmassen, indem man die relative Atommasse A r bzw.
die relative Molekülmasse M r definiert.
15
2 Aufbau der Materie
Ar =
Mr =
Masse eines Atoms m a
Atommassenkonstante u
Masse eines Moleküls m m
Atommassenkonstante u
(2.2)
(2.3)
A r und M r sind dimensionslose Größen, da sich die Einheiten von
m a und m m bei der Bildung des Quotienten durch Kürzen mit der
Einheit von u wegheben. Die relative Molekülmasse ist dabei die
Summe der relativen Atommassen, der am Aufbau des Moleküls
beteiligten Atome.
Mr = ∑ Ar
(2.4)
Beispiel:
A r (C) = 12
A r (O) = 16
M r (CO 2 ) = 12 + 2 ⋅ 16 = 44
Die relativen Atommassen liegen überwiegend in der Nähe von ganzen Zahlen. Die Abweichungen von der Ganzzahligkeit können
kernphysikalisch durch die Isotopie der Nuklide, d. h. durch die
Existenz verschiedener Isotope eines Elements erklärt werden. Die
relativen Atommassen der Elemente stellen Durchschnittswerte dar,
die aus der Häufigkeit und der Atommasse der natürlichen Isotope
eines Elementes berechnet werden.
2.2
Atombau und Periodisches System der
Elemente
Die unübersichtliche Fülle der uns umgebenen Substanzen lässt sich
chemisch auf wenige Grundstoffe, die so genannten chemischen
Elemente zurückführen. Schon 1789 erstellte der französische Gelehrte Antoine Lavoisier (1743 – 1794) eine Tabelle der chemisch
nicht weiter auftrennbaren Stoffe. Dies war ein erster Versuch zur
Klassifizierung der Elemente. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden immer mehr Elemente entdeckt. Die Ähnlichkeit der
chemischen Eigenschaften gewisser Elemente war schon früh aufgefallen. 1817 hatte nämlich Johann Wolfgang Döbereiner (1780 –
1849) entdeckt, dass die Elemente Calcium, Strontium und Barium
chemisch ähnlich reagierten und offensichtlich verwandt waren.
1869 ordneten Dmitrij Mendelejew (1834 - 1907) und Lothar Meyer
(1830 - 1895) unabhängig voneinander die Gesamtheit der chemischen Elemente mit zunehmender relativer Atommasse, von den
16
2.2 Atombau und Periodisches System der Elemente
Chemikern Atomgewicht genannt, zu einem periodischen System.
Die Elemente werden dabei entsprechend ihrer Reihenfolge mit Ordnungszahlen Z durchnumeriert, durch die ihr Platz im periodischen
System charakterisiert wird. Damit eröffnete sich der Chemie die
Perspektive auf eine arithmetische Wissenschaft der Materie. Während damals Mendelejew 63 verschiedene chemische Grundstoffe
klassifizierte sind zur Zeit 117 verschiedene Elemente bekannt. Aus
diesen Elementen sind letztlich alle Substanzen aufgebaut. Das
schwerste stabile Element ist Bismut (Z = 83). Ab dem 84. Element
(Polonium) sind alle schwereren Elemente radioaktiv. Dabei hat von
allen natürlich vorkommenden Elementen das Uran mit Z = 92 die
größte Ordnungszahl.
Die im periodischen System nach dem Uran aufgeführten Elemente
mit den Ordnungszahlen Z = 93 bis zurzeit Z = 116, die so genannten
Transurane, wurden (mit Ausnahme der Elemente mit den Ordnungszahlen Z = 113 und Z = 115) in kernphysikalischen Fusionsexperimenten künstlich durch Kernverschmelzung hergestellt. Sie sind
extrem instabil und unterliegen, wie alle Transurane dem radioaktiven Zerfall. Das Element Z = 112 wurde 2009 offiziell von der IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) als entdeckt anerkannt. Es erhielt den Namen Copernicum und das Elementsymbol Cn. Die Elemente Z = 114 (Fl = Flerovium) und Z =
116 (Lv = Livermorium) wurden 2013 von der IUPAC in das Periodensystem der Elemente aufgenommen.
Auch die vier Elemente Technetium (Z = 43), Promethium (Z = 61),
Astat (Z = 85) und Francium ( Z = 87 ) kommen aufgrund ihrer durch
Radioaktivität bedingten Kurzlebigkeit nicht in der Natur vor. Sie
können jedoch ebenfalls künstlich hergestellt werden.
Jedes chemische Element besteht einheitlich aus im Wesentlichen
identischen Atomen. Für die vollständige Charakterisierung eines
chemischen Elements wurde die folgende Kurzschreibweise vereinbart:
Ar
X.
Z
Die einzelnen Symbole haben dabei folgende Bedeutung:
A r : relative Atommasse
X : Elementsymbol
Z : Ordnungszahl
Die International Union of Pure and Applied Chemistry (IUPAC)
verwendet die folgende abweichende Bezeichnungsweise:
17
2 Aufbau der Materie
Z
X
Ar
Die Ordnungszahl Z gibt dabei die Stellung des Elements im periodischen System an. Sie ist identisch mit der Anzahl der Elektronen in
der Atomhülle. Wegen der elektrischen Neutralität der Atome stimmt
sie mit der Anzahl der positiven elektrischen Elementarladungen im
Atomkern überein. Die Ordnungszahl ist somit identisch mit der
Kernladungszahl. Die chemischen Elemente werden im periodischen
System übersichtlich angeordnet. Dabei lassen sich die Elemente in
Gruppen zusammenfassen, die ähnliche chemische und physikalische Eigenschaften aufweisen.
Werden die Elemente mit ähnlichen Eigenschaften untereinander in
Gruppen angeordnet, so ergeben sich unterschiedlich lange Reihen
(Perioden) bis zum Wiederauftreten eines entsprechenden Verhaltens. Erst die Atomphysik konnte in den zwanziger Jahren des 20.
Jahrhunderts diese Periodizität der Eigenschaften der chemischen
Elemente durch die schalenartige Elektronenstruktur der Atomhüllen
erklären. In Abb. 9 ist dazu der Schalenaufbau der ersten achtzehn
Elemente des periodischen Systems schematisch dargestellt. Die im
Zentrum der Atome befindlichen Atomkerne sind aufgrund ihrer
Kleinheit im Verhältnis zur Atomgröße in Abb. 9 nicht eingezeichnet.
1H
3 Li
2 He
4 Be
5B
6C
7N
8O
9F
10 Ne
Abb. 9: Schalenaufbau der ersten achtzehn Elemente
Die Elemente der ersten Periode, Wasserstoff und Helium, besitzen
eine Elektronenschale, die Elemente der zweiten Periode zwei und
die der dritten Periode drei Elektronenschalen. Es stellte sich heraus,
dass die chemischen Eigenschaften der Elemente im Wesentlichen
durch die Anzahl der Elektronen der äußersten Elektronenschale
bestimmt werden. Die Elemente mit ähnlichen Eigenschaften stehen
untereinander und bilden jeweils eine von acht Gruppen. In Tabelle 1
sind die Elemente der Abb. 9 mit ihren relativen Atommassen aufgelistet.
18
2.3 Atomkerne und Elementarteilchen
Bei chemischen Reaktionen verbinden sich die Atome verschiedener
Elemente zu Molekülen, den Grundbausteinen neuer Substanzen, die
chemische Verbindungen genannt werden.
Z
Element
Symbol
Ar
1
Wasserstoff
H
1,0079
2
Helium
He
4,0026
3
Lithium
Li
6,941
4
Beryllium
Be
9,0121
5
Bor
B
10,81
6
Kohlenstoff
C
12,011
7
Stickstoff
N
14,0067
8
Sauerstoff
O
15,9994
9
Fluor
F
18,9984
10
Neon
Ne
20,179
11
Natrium
Na
22,9897
12
Magnesium
Mg
24,306
13
Aluminium
Al
26,9815
14
Silicium
Si
28,0855
15
Phosphor
P
30,9737
16
Schwefel
S
32,06
17
Chlor
Cl
35,453
18
Argon
Ar
39,948
Tab. 1: Liste der ersten achtzehn chemischen Elemente
2.3
Atomkerne und Elementarteilchen
In Abb. 10 ist ein Blockschema vom Aufbau der Welt aus immer
kleineren Konstituenten dargestellt. Dass die Atome eine innere
Struktur besitzen müssen und sich aus subatomaren Bestandteilen
zusammensetzen, ergibt sich aus der elektrischen Leitfähigkeit der
Materie. Viele feste Stoffe (Metalle), Flüssigkeiten (Elektrolyte) und
Gase können unter bestimmten Bedingungen den elektrischen Strom
leiten. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Atome elektrische Ladungsträger enthalten. In verschiedenen grundlegenden Experimenten, deren Beschreibung den Rahmen einer Einführung in die Physik
sprengen würde, konnten diese elektrischen Ladungsträger als Elektronen identifiziert werden. In der Natur treten zwei verschiedene
Arten von elektrischen Ladungen auf, die durch unterschiedliche
19
2 Aufbau der Materie
Vorzeichen charakterisiert werden. Die Festlegung der Art des entsprechenden Vorzeichens ist dabei willkürlich. Aus Konventionsgründen werden die Elektronen als elektrisch negativ geladene Teilchen bezeichnet. Da die Atome als Ganzes elektrisch neutral sind,
muss die durch die Anzahl der Elektronen in der Atomhülle gegebene Ladung durch genauso viele positive Ladungen des Atomkerns
kompensiert werden.
Elementarteilchen
Atomkerne
Atome
Moleküle
M aterie
fest, flüssig, gasförmig
Kosmos
Abb. 10: Blockschema vom Aufbau der Welt
Auf der Grundlage des Rutherfordschen Atommodells entwickelte
1913 Niels Bohr (1885 – 1962) ein verbessertes Atommodell, um die
Ergebnisse von atomphysikalischen Experimenten deuten zu können.
Demnach bewegen sich die Elektronen auf Bahnen um den im Zentrum des Atoms befindlichen Atomkern. Die Elektronenbewegung
stellt man sich dabei in ähnlicher Weise wie die Planetenbewegung
um die Sonne vor. Das Atom kann in diesem Modell als ein miniaturisiertes Planentensystem aufgefasst werden.
Die experimentellen Ergebnisse der Vermessung der physikalischen
Eigenschaften des Elektrons können wie folgt zusammengefasst
werden: Das Elektron ist ein Elementarteilchen, das eine Masse von
m e = 9,11 ⋅ 10 −31 kg und eine negative elektrische Ladung von
q e = −1,602 ⋅ 10 −19 A ⋅ s besitzt. Der Betrag der elektrischen Ladung
des Elektrons wird als Elementarladung e bezeichnet ( q e  = e).
Die erstmalige Bestimmung der elektrischen Elementarladung gelang
20
2.3 Atomkerne und Elementarteilchen
1910 dem amerikanischen Physiker Robert Millikan (1868 – 1953).
Das Elektron kann als ein punktförmiges Teilchen betrachtet werden.
Seine räumliche Ausdehnung ist kleiner als die feinste heute messtechnisch erreichbare Längenauflösung von 10 −17 m. Für das Verhältnis von Wasserstoffatommasse m H zur Elektronenmasse m e
erhält man
mH
me
= 1837 .
Da das Wasserstoffatom nur ein Elektron in seiner Atomhülle besitzt,
folgt aus diesem Massenverhältnis: Die Elektronenmasse ist im Vergleich zur Atomkernmasse vernachlässigbar klein. Die gesamte
Atommasse ist praktisch im Atomkern konzentriert.
Der im Zentrum des Atoms befindliche Atomkern besteht aus zwei
Arten von Elementarteilchen, den Protonen und den Neutronen, die
zusammenfassend als Nukleonen (lat. nucleus: Kern) bezeichnet
werden. Das Proton ist ein Elementarteilchen mit der Masse
m p = 1,673 ⋅ 10 −27 kg. Seine Masse entspricht somit in etwa der Masse der atomaren Masseneinheit u. Das Proton ist elektrisch positiv
geladen und trägt die Ladung q p = +e = 1,602 ⋅ 10 −19 A s. Das Neutron ist elektrisch ungeladen und besitzt die Ladung null. Seine Masse
beträgt m n = 1,6749 ⋅ 10 −27 kg. Obwohl die Massen von Proton und
Neutron fast identisch sind, ist der geringfügige Massenunterschied
für die Stabilität der Materie von großer Bedeutung. Außerhalb von
Atomkernen ist das freie Neutron nämlich instabil und unterliegt
dem radioaktiven Zerfall. Die Untersuchung der Radioaktivität der
instabilen Atomkerne ist eine Aufgabe der Kernphysik. Protonen
und Neutronen sind räumlich ausgedehnte Gebilde mit Radien von
etwa 10 −15 m. Die Atomkerne können als kugelförmige dichteste
Nukleonenpackungen aufgefasst werden (Abb. 11).
Abb. 11: Aufbau einiger Atomkerne aus Protonen und Neutronen
Die Nukleonen im Atomkern werden durch die starke Wechselwirkung, welche die so genannte Kernkraft vermittelt, zusammengehalten. Die Kernkräfte sind außerordentlich kurzreichweitig und
nicht von elektrischer Natur. Sie wirken nur innerhalb der Atomkerne auf die Nukleonen und verschwinden an der Oberfläche der
21
2 Aufbau der Materie
Atomkerne. Die Atomhülle der Atome wird daher von den Kernkräften in keiner Weise beeinflusst. Die elektrischen Kräfte, die die
Elektronen eines Atoms an den positiv geladenen Atomkern binden,
werden als elektromagnetische Wechselwirkung bezeichnet. Die
im Atomkern wirksame starke Wechselwirkung ist betragsmäßig
etwa 100mal stärker als die elektromagnetische Wechselwirkung.
Die faustische Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, die
Goethe in seinem Lebensprojekt „Faust“ stellte, konnte damit im 20.
Jahrhundert beantwortet werden.
Ein Atomkern wird durch die Angabe von zwei Größen eindeutig
charakterisiert:
Kernladungszahl Z = Anzahl der Protonen
Nukleonenzahl A = Anzahl der Nukleonen
Die Nukleonenzahl A ergibt sich als Summe von Kernladungszahl Z
und Neutronenzahl N :
(2.5)
A = Z + N
Die Anzahl der Protonen in den Atomkernen nimmt bei den gemäß
ihrer Ordnungszahl Z angeordneten Elementen von Element zu Element jeweils um ein Proton zu. Dabei erhöht sich auch die Ordnungszahl um eine Einheit. Die Anzahl der Nukleonen A, welche die
Atome eines Elementes besitzen entspricht der gerundeten relativen
Atommasse A r des betrachteten Elementes (Tab. 2).
Element
Relative Atommasse
Nukleonenzahl
Wasserstoff
A r = 1,0079
A=1
Helium
A r = 4,0026
A=4
Lithium
A r = 6,941
A=7
Beryllium
A r = 9,0121
A=9
Bor
A r = 10,81
A = 11
Kohlenstoff
A r = 12,011
A = 12
Tab. 2: Relative Atommassen der ersten sechs Elemente
Stärkere Abweichungen von der Ganzzahligkeit erklären sich daraus,
dass die meisten chemischen Elemente in der Natur mit mehreren
Nukliden auftreten. Ein Nuklid ist eine bestimmte Atomart, die
durch ihre Protonenzahl und Neutronenzahl eindeutig charakterisiert
ist.
22
2.3 Atomkerne und Elementarteilchen
Beispiel:
Das Nuklid 94 Be wird durch die Kernladungszahl Z = 4 und die
Nukleonenzahl A = 9 gekennzeichnet. Es besitzt 4 Protonen und
5 Neutronen im Atomkern.
N=A-Z=9-4=5
In der Atomhülle des Nuklids 94 Be befinden sich 4 Elektronen.
Das Symbol Be steht dabei für das chemische Element Beryllium.
Im Gegensatz zur Bezeichnungsweise der chemischen Elemente,
wird bei der Kennzeichnung der Nuklide statt der relativen Atommasse A r die Nukleonenzahl A angegeben. Sie wird in der Literatur
gelegentlich auch als Massenzahl bezeichnet. Alle zu einem gegebenen Element gehörigen Atome besitzen die gleiche Ordnungs- und
Kernladungszahl Z. Zum gleichen Element gehörende Atome können
jedoch aus verschiedenen Nukliden bestehen, die sich in ihrer Nukleonenzahl und damit in ihrer Neutronenzahl unterscheiden. Sie besitzen jedoch die gleiche Protonenzahl in ihren Atomkernen. Alle
Nuklide, die sich bei gleicher Protonenzahl nur in ihrer Neutronenzahl unterscheiden, gehören zum gleichen Element und stehen im
periodischen System an der gleichen Stelle. Sie werden als Isotope
(gr. isos: gleich; gr. topos: Ort) bezeichnet. Isotope sind somit Nuklide, die die gleiche Kernladungszahl besitzen und damit zum gleichen
Element gehören. Sie unterscheiden sich nur in der Anzahl ihrer
Neutronen. Alle Isotope eines Elements haben nahezu die gleichen
chemischen Eigenschaften. Elemente, die in der Natur nur mit einem
Nuklid auftreten werden Reinelemente genannt. Im periodischen
System kommen 21 verschiedene Reinelemente vor. Als Beispiele
für Reinelemente seien die Elemente Beryllium (Be-9), Fluor (F-19),
Natrium (Na-23), Aluminium (Al-27), Phosphor (P-31), Kobalt (C059), Gold (Au-197), Bismut (Bi-209) und Thorium (Th-232) aufgeführt. Die meisten Elemente sind dagegen Mischelemente. Sie treten
in der Natur als ein Nuklidgemisch aus zwei oder mehreren Isotopen
auf. So besteht beispielsweise das Element Zinn aus 10 verschiedenen stabilen Isotopen.
Je nach Herkunft (Fundort) eines Elementes kann sich seine Atommasse geringfügig unterscheiden. Das spezielle Isotopen-Muster ist
daher geringfügig ortsabhängig, so dass zum Beispiel die Herkunftsangaben von Lebensmitteln durch eine Isotopen-Analyse zuverlässig
überprüft werden können. Der Vergleich mit Datenbanken für geographische Isotopenverhältnisse von Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Schwefel erlaubt eine fälschungssichere Identifizierung der
Lebensmittelherkunft und ermöglicht eine Kontrolle der von Händlern und Herstellern angegebenen Herkunftsbezeichnung. Untersuchungen der Isotopenverteilungen dienen somit als Herkunftsindikatoren. Anwendungen dieser Isotopensignaturen insbesondere von
schweren Elementen finden sich in Kriminologie, Bodenkunde, so-
23
2 Aufbau der Materie
wie Land- und Forstwirtschaft. Insbesondere ist die IsotopenZusammensetzung der Elemente Ar, B, C, Cu, He, Li, O, S und Si
stärkeren Schwankungen unterworfen.
Die relative Atommasse A r eines Mischelements ergibt sich als
arithmetischer Mittelwert der natürlichen Isotopenmischung. Das
Isotopenmischungsverhältnis bedingt die Abweichung der relativen
Atommasse von der Ganzzahligkeit. Für ein Mischelement aus n
Isotopen mit den Massenzahlen A i und den relativen Anteilen pi
am natürlichen Vorkommen des Elementes gilt:
A r = ∑ pi ⋅ Ai
n
(2.6)
und
∑ pi = 1
(2.7)
i =1
i
Im natürlichen Wasserstoff treten drei Isotope auf (Abb. 12). Natürlicher Wasserstoff besteht zu 99,985 % aus gewöhnlichem Wasserstoff 11 H , dessen Atomkern nur ein Proton besitzt, und zu 0,015 %
aus schwerem Wasserstoff
2
H
1
= D , dessen Kern aus einem Proton
und einem Neutron besteht. Schwerer Wasserstoff wird auch als
Deuterium (gr. deuteros: der Zweite) bezeichnet. Daneben treten
kleinste Mengen von überschweren Wasserstoff oder Tritium
3
H
1
= T auf, dessen Atomkern aus einem Proton und zwei Neutronen
zusammengesetzt ist. Der Tritium (gr. tritos: der Dritte) genannte
überschwere Wasserstoff ist radioaktiv und daher instabil.
Abb. 12: Natürliche Isotope des Wasserstoffs
Er wird in der Atmosphäre durch Kernreaktionen der kosmischen
Strahlung mit Deuteriumatomen der infolge der Luftfeuchtigkeit
vorhandenen Wassermoleküle in kleinsten Mengen ständig neu gebildet.
Während die massebedingten Unterschiede des chemischen Verhaltens bei den Isotopen eines gegebenen Elementes im Allgemeinen
vernachlässigbar gering sind, ist dieser Isotopieeffekt bei den physikalischen Eigenschaften insbesondere der leichten Elemente stärker
ausgeprägt. So besitzen beispielsweise gewöhnlicher Wasserstoff
( H 2 ) und schwerer Wasserstoff ( D 2 ) bei Normaldruck unterschiedliche Schmelztemperaturen ϑS und Siedetemperaturen ϑ V (Tab. 3).
24
2.3 Atomkerne und Elementarteilchen
H2
D2
- 259,3
- 254,4
ϑ V / °C - 252,8
- 249,6
ϑS / °C
Tab. 3: Einige Eigenschaften der stabilen Wasserstoffisotope
Der Isotopieeffekt macht sich auch im Vergleich der physikalischen
Eigenschaften zwischen Wasser ( H 2 O ) und schwerem Wasser
( D 2 O ) unter Normaldruck bemerkbar (Tab. 4).
H 2O
D 2O
Gefrierpunkt ϑS / °C
0
3,8
Siedepunkt ϑ V / °C
100
101,4
0,998
1,105
3,98
11,6
1,0 ⋅ 10 −3
1,2 ⋅ 10 −3
Physikalische Eigenschaft
3
Dichte ρ /(g / cm ) bei 20 °C
Temperatur ϑ / °C des
Dichtemaximums
Dynamische Viskosität
η / Pa ⋅ s
Tab. 4: Eigenschaften von natürlichem und schwerem Wasser
Wasser ist das wichtigste flüssige Lösungsmittel. Lösungen sind
homogene Gemenge aus zwei oder mehr Stoffen, die in der Chemie
eine hervorragende Rolle spielen, denn viele chemische Reaktionen
laufen in wässrigen Lösungen ab. Dies gilt insbesondere auch für die
Biochemie in den Zellen der Organismen. Schweres Wasser ( D 2 O )
ist neben halbschwerem Wasser (DHO) in natürlichem Wasser
( H 2 O ) im Massenverhältnis von etwa 1:6000 enthalten. Es stellt
aufgrund von verminderter Lösefähigkeit und von natürlichem Wasser abweichenden Diffusionsverhalten durch semipermeable Membranen, sowie verändertem osmotischen Druck, ein Zellgift dar. D 2 O
wirkt in einer Konzentration von etwa 50 % auf Lebewesen stark
wachstumshemmend. In reinem schweren Wasser können beispielsweise Fische und Amphibien nicht überleben.
25
3 Messung physikalischer Größen, Messunsicherheit und Messdatenauswertung
3
Messung physikalischer Größen,
Messunsicherheit und Messdatenauswertung
3.1
Experimente, physikalische Modelle und
Theorien
Die reale Welt scheint bei aller Komplexität nicht ein Sammelsurium
unabhängiger Phänomene und Objekte zu sein. Die Vielfalt der Erscheinungen kann systematisiert und auf zugrunde liegende Gemeinsamkeiten hin untersucht werden. Die reale Welt besitzt somit eine
Struktur, durch die erst die Formulierung von Gesetzmäßigkeiten
möglich wird. Aufgrund dieser nomologischen Struktur der realen
Welt können vom Einzelfall abstrahierte und über die bloße Aufzählung der vielfältigen Einzeltatsachen hinausgehende kompakte und
somit informationstheoretisch verdichtete Beschreibungen des Naturgeschehens gewonnen werden. Dabei hat sich bei der wissenschaftlichen Theorienbildung das reduktionistische Konzept der
Rückführung des Komplexen auf das Einfache einer fundamentalen
Beschreibungsebene bewährt. Als unterste Ebene werden dabei die
elementaren Konstituenten der Materie, nämlich die Elementarteilchen und die ihr Verhalten beherrschenden Gesetzmäßigkeiten angesehen.
Voraussetzung jeder Naturwissenschaft ist dabei die philosophische
Position des Realismus, die folgendermaßen zusammengefasst werden kann: Die Gesamtheit der unabhängig von unserer Erfahrung
existierenden Objekte bildet die reale Welt, die prinzipiell erfahrbar
und vollständig beschreibbar ist. Nach dem österreichischen Philosophen Karl Popper (1902 – 1994) besteht der Fortschritt der Erkenntnis in einer ständigen Annäherung an die Wahrheit. Die Wahrheit
dient dabei als orientierende Norm, als Stimulus der Erkenntnisanstrengung. Wir lernen durch Versuch und Irrtum. Die Wissenschaft
ist „ein unermüdliches Erfinden von neuen Theorien und Ausprobieren von Theorien an der Erfahrung.“ Alle Theorien sind Hypothesen
und als solche nicht endgültig verifizierbar. Falsche Hypothesen
können jedoch widerlegt werden. Wir lernen durch die Falsifizierung
unserer Irrtümer. Das Funktionieren einer Hypothese ist dagegen
kein Wahrheitsbeweis. Die Sicherheit des Absoluten kann die Naturwissenschaft nicht liefern. Offen bleibt dabei die Frage, ob der
Informationsgehalt auch der komplexen Systeme vollständig auf die
Ebene elementarer Konstituenten reduzierbar und durch diese eindeutig festgelegt ist. Neue Untersuchungen nichtlinearer chaotischer
Systeme deuten auf informationstheoretisch irreduzibele Strukturen
hin, so dass die Kenntnis aller mikroskopischen Parameter eines
komplexen Systems nicht ausreicht, um das makroskopische Verhalten des Systems vollständig zu beschreiben und exakt vorherzusagen.
Aus diesem Grunde erfolgt im Rahmen dieses Einführungskurses
eine Beschränkung auf die Beschreibung einfacher Systeme.
26
3.1 Experimente, physikalische Modelle und Theorien
Der Fortschritt der Wissenschaft erscheint in der Retrospektive als
die zwangsläufige, logische Aneinanderreihung von Gipfelpunkten.
Diese scheinbare Folgerichtigkeit ist jedoch ein Trugschluss, der
durch Verzicht auf die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung
unseres aktuellen Wissensstandes entsteht. Dabei fallen alle Irrwege,
in Sackgassen führende Ideen, als unbrauchbar verworfene Hypothesen, Fehler und alle historischen Zufälligkeiten dem Weglassen
durch Nichterwähnung zum Opfer. Die wissenschaftlichen Meilensteine der Erkenntnis lassen sich vielmehr oft als das unverhoffte
Erscheinen des Unvorhersehbaren, das sich plötzlich aus dem Nebel
der Unwissenheit erhebt, kennzeichnen. Ein Einführungskurs in die
Physik stellt somit immer auch eine ungeschichtliche Kurzfassung
der Sternstunden ihrer historischen Entwicklung dar. Nicht Nützlichkeitserwägungen oder kriegerische Absichten, denen die Vaterschaft
vieler Erfindungen zugesprochen wird, sondern die menschliche
Neugierde und die Suche nach Wahrheit ist neben persönlichem
Ehrgeiz die wesentliche Triebfeder der Wissenschaft. Die Wissenschaft lebt dabei von der Kritik als dem Lebenselement des wissenschaftlichen Fortschritts. Wissenschaftliche Aussagen unterliegen
immer der Nachprüfbarkeit und stellen keine Dogmen dar. Sie beruhen auf widerspruchsfreien theoretischen Konzepten zur Deutung der
Ergebnisse reproduzierbarer Experimente. Die heute vielfach in der
Öffentlichkeit geführte Kontroverse, unterstützt durch Gutachten,
Gegengutachten und Obergutachten vermittelt dagegen den Eindruck
einer irritierenden Beliebigkeit von wissenschaftlich ausstaffierten
Ansichten. In dieser Auseinandersetzung geht es im Allgemeinen
jedoch nicht um die nachprüfbare Richtigkeit, sondern um die unterschiedliche Bewertung wissenschaftlicher Erkenntnisse, die in einer
pluralistischen Gesellschaft immer vielfältig und widersprüchlich
sein wird.
Die Aufgabe der Physik besteht in der Erforschung der Naturgesetze,
um mit ihnen die Vorgänge und Phänomene der realen Welt zu erklären. Das Verständnis der Naturerscheinungen stellt, von Ausnahmen abgesehen, die Voraussetzung für ihre technische Nutzung dar.
Der Weg zum Naturverständnis beginnt mit der durch die biologischen Sinne wie Sehen, Hören oder Tasten vermittelten unmittelbaren Wahrnehmung der realen Welt. So vermittelt das Muskelgefühl
beim Bewegen von Körpern eine Vorstellung von Kräften und die
Wärmeempfindung beim Berühren der Gegenstände eine Vorstellung
von Temperaturen. Die Verfeinerung und Objektivierung dieser natürlichen Instrumente der menschlichen Wahrnehmung führt zur
technischen Konstruktion von apparativen Messgeräten. Die empirische Forschung in den Naturwissenschaften ist ohne den Einsatz
aufwendiger Experimentieranordnungen nicht denkbar. Obwohl einerseits physikalisches Wissen technische Anwendungen ermöglicht,
so ist andererseits eine messende oder experimentierende Erfahrungswissenschaft ohne Beobachtungs-, Mess- und Experimentier-
27
3 Messung physikalischer Größen, Messunsicherheit und Messdatenauswertung
technik unmöglich. Quantitative naturwissenschaftliche Aussagen
beruhen auf Beobachtungen, Messungen oder Experimenten und
diese beruhen wiederum auf dem Einsatz von Technik, nämlich der
Anwendung von Messgeräten. Die Technik besitzt somit konstitutiven Charakter für die moderne Naturwissenschaft. So war die Erforschung der Planetenbewegung nur möglich, weil bereits technische
Instrumente wie präzise Uhren und leistungsfähige Fernrohre entwickelt waren. Die von Isaac Newton (1642 - 1727) entdeckte universelle Gravitationskraft erlaubte eine erfolgreiche Erklärung der planetarischen Beobachtungsdaten und stellte einen Höhepunkt der
Mechanik und ihrer mathematischen Methode dar. Mit Hilfe der
Newtonschen Gravitationstheorie konnte die kopernikanische Wende
vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild physikalisch
begründet werden. Technische Errungenschaften wie die Entwicklung von leistungsstarken Vakuumpumpen ermöglichten die Durchführung neuartiger Experimente zur Erforschung des Atoms und
seiner Konstituenten. Durch die Erfolge der dadurch der experimentellen Untersuchung zugänglichen Atomphysik konnten in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grundlagen der Chemie und die Natur der chemischen Bindung erklärt werden.
Die messtechnische Datenerfassung ist ein Wesensmerkmal jeder
empirischen Naturwissenschaft. Neben der Datenkompilierung
kommt jedoch der Entwicklung von Modellvorstellungen, die eine
einheitliche und widerspruchsfreie Interpretation der Messergebnisse
erlauben, besondere Bedeutung zu. Ein physikalisches Modell ist
eine konstruierte Abbildung eines wohldefinierten Teilbereichs der
Wirklichkeit. Es soll die der messenden Beobachtung zugänglichen
Einzelphänomene aus grundlegenden Prinzipien ableitbar und durch
Einordnung in einen größeren Zusammenhang überschaubar machen.
So werden je nach Problemstellung in der klassischen Mechanik
verschiedene Modellkörper wie Massenpunkt, starrer Körper und
elastischer Körper benutzt. Sie stellen die der jeweiligen Problemstellung angepasste Basis für die physikalische Beschreibung von
Teilaspekten der Mechanik dar. Die exakte Beschreibung eines physikalischen Systems ist im Allgemeinen zu kompliziert um vollständig durchgeführt werden zu können. Mit Hilfe von Idealisierungen
wird daher ein vereinfachtes Modell konstruiert, das eine angenäherte Beschreibung der realen Naturvorgänge erlaubt. In ähnlicher Weise wie eine Landkarte nicht mit der durch sie beschriebenen Landschaft identisch ist, weicht auch ein physikalisches Modell mehr oder
weniger von der Wirklichkeit ab. Wichtig ist dabei der Einfluss der
als nicht wesentlich erkannten und daher weggelassenen Aspekte im
Hinblick auf den Grad der Übereinstimmung zwischen den abgeleiteten Modellaussagen und den Beobachtungen der tatsächlich ablaufenden Naturvorgänge. Dem reproduzierbaren Realexperiment zur
Überprüfung von abgeleiteten Modellaussagen kommt für die Gültigkeit des Modells die Rolle einer Richterinstanz zu. Die Anerkennung eines Modells zur sachgerechten Beschreibung von Teilaspek-
28
3.2 Messgenauigkeit, Präzision und Messunsicherheit
ten der Wirklichkeit setzt eine Bestätigung der Modellvorhersagen
mit reproduzierbar durchgeführten Experimenten voraus. Übereinstimmung mit den Messdaten und Bewährung in der wissenschaftlichen Praxis führen schließlich zur Anerkennung einer Modellvorstellung als physikalische Theorie, die dann schließlich Eingang in die
einschlägigen Lehrbücher findet. Die wesentlichen Aussagen einer
physikalischen Theorie lassen sich in Form von Gleichungen formulieren, die mathematische Beziehungen zwischen physikalischen
Variablen darstellen. Mit Hilfe dieser Gleichungen ist das physikalische System dem rechnerischen Kalkül zugänglich geworden. Sein
Verhalten ist dadurch voraussagbar determiniert und damit grundsätzlich technisch beherrschbar. Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass es für die mathematische Beschreibung eines gegebenen
Phänomens manchmal mehrere physikalische Theorien gibt, die miteinander konkurrieren und die unter Umständen sogar in ähnlich
guter quantitativer Übereinstimmung mit den experimentellen Ergebnissen stehen. Als bessere Theorie wird schließlich diejenige
akzeptiert werden, die auch bei gesteigerter Messgenauigkeit mit den
Daten übereinstimmt und die ausnahmslos alle beobachteten Fakten
einheitlich erklärt. Über die innere Logik und die mathematische
Eleganz einer anerkannten physikalischen Theorie tritt jedoch oft ihr
langwieriger Entstehungsprozess in den Hintergrund. Er durchläuft
sukzessiv in Form eines korrektiven Wechselspiels die Entwicklungsstadien: Modell - Experiment - Verbesserung des Modells präziseres Experiment - ... - allgemein akzeptierte physikalische
Theorie. Die Entstehungsgeschichte einer physikalischen Theorie
kann dabei viele Jahre oder Jahrzehnte in Anspruch nehmen. So
konnte beispielsweise die 1911 durch den niederländischen Physiker
Heike Kamerlingh Onnes (1853 - 1926) an Quecksilber entdeckte
Supraleitung, das heißt das Verschwinden seines elektrischen Widerstandes bei Abkühlung auf eine charakteristische Temperatur, der
so genannten Sprungtemperatur von 4,15 K, erst 1957 durch die von
John Bardeen, Leon Cooper und John Schrieffer entwickelte so genannte BCS-Theorie befriedigend erklärt werden. Heike Kamerlingh
Onnes war Anfang des 20. Jahrhunderts die Verflüssigung des Edelgases Helium (Siedetemperatur TV ≈ 4 K ) gelungen. Er legte damit
den Grundstein für die Tieftemperaturphysik.
3.2
Messgenauigkeit, Präzision und
Messunsicherheit
Ausgangspunkt der modernen Naturwissenschaft ist Galileo Galileis
Leitmotiv:
Messen, was zu messen ist und messbar machen, was
noch nicht gemessen werden kann.
29
3 Messung physikalischer Größen, Messunsicherheit und Messdatenauswertung
Das Messen als planmäßiges Experimentieren und die kritische
Auswertung der Resultate ist grundlegender Bestandteil der naturwissenschaftlichen Arbeitsmethode. Erst die präzise Messung liefert
den wahren Prüfstein zur Bestätigung der Vorhersage einer physikalischen Theorie. Diese empirische Datengewinnung liefert somit die
Basis für die Aufgabe der Physik, wahres Wissen von der Welt in
Form der Naturgesetze zu finden.
Beim Messen einer beliebigen physikalischen Größe vergleicht man
die zu messende Größe mit ihrer Einheit. Ist die zu messende Größe
größer als ihre Einheit, so wird abgezählt, wie oft die Einheit in der
zu messenden Größe enthalten ist. Die einfachste Messung stellt
somit einen Zählvorgang dar. Ist jedoch die zu messende Größe kleiner als ihre Einheit, so muss die Einheit in gleiche Teile unterteilt
werden. Der Messprozess besteht dann in einem Vergleich der zu
messenden Größe mit den kleineren Untereinheiten. Im Prinzip lässt
sich mit immer feineren Unterteilungen der Untereinheiten eine beliebig gute Messgenauigkeit erreichen. Die Frage der technischen
Realisierbarkeit einer solchen Unterteilung soll an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben. Aber auch wenn keine technisch bedingten Beschränkungen vorliegen ist dieses Verfahren nicht auf alle physikalischen Größen anwendbar. So stellt die elektrische Ladung eine physikalische Größe dar, die nicht beliebig in immer feinere Untereinheiten zerlegt werden kann. Die elektrische Ladung ist dabei eine
Eigenschaft der Materie, die an massebehaftete Elementarteilchen
gebunden ist. Die Träger der kleinsten in der Natur vorkommenden
Ladungseinheit sind das Elektron und das Proton, den wichtigsten
Bestandteilen aller Atome. Sie besitzen beide exakt die gleiche elektrische Ladungsmenge, nämlich die so genannte elektrische Elementarladung, allerdings mit unterschiedlichem Vorzeichen.
Als einfaches Beispiel eines direkten Messverfahrens sei die Längenmessung eines zylinderförmigen Metallstabes aus Kupfer betrachtet. Dabei gilt es zunächst störende Umgebungseinflüsse, die
das Messergebnis verfälschen könnten auszuschalten. Die Messung
wird daher bei konstanter Temperatur des Stabes durchgeführt, damit
keine temperaturabhängigen Längenänderungen auftreten können.
Ferner wird die Annahme gemacht, dass die beiden Stirnflächen des
Metallstabes vollständig eben und parallel zueinander sind (Abb. 13).
Diese Annahme stellt bereits eine Idealisierung dar. Denn bei hinreichender Vergrößerung zeigt die reale Stirnfläche eine gewisse Oberflächenrauhigkeit. Die Stablänge variiert dadurch geringfügig an
verschiedenen Stellen der Stirnfläche. Bei weiterer Vergrößerung
stellt sich heraus, dass sich infolge von Adsorption an der Oberfläche
des zu messenden Kupferstabes eine Schicht aus Sauerstoff- und
Stickstoffmolekülen der Luft abgelagert hat. Die damit verbundene
zusätzliche Schichtdicke wird in einer hochpräzisen Messung das
Messergebnis der Gesamtlänge ebenfalls beeinflussen.
30
3.2 Messgenauigkeit, Präzision und Messunsicherheit
l0
1000-fache Vergrößerung
idealisierte Stirnfläche
Abb. 13: Stirnfläche eines Metallstabes mit vergrößerter Darstellung
der Oberflächenrauhigkeit
Bei mehrmals nacheinander ausgeführten Messungen der Stablänge
werden im Allgemeinen Messergebnisse erzielt, die offensichtlich
rein zufällig einmal geringfügig größer, ein anderes Mal geringfügig
kleiner ausfallen. Diese zufälligen Schwankungen der Einzelergebnisse können mathematisch mit Hilfe der Statistik ausgewertet werden. Der mathematischen Analyse der Messdaten kommt dabei die
Aufgabe zu, die statistischen Unsicherheiten der Messungen abzuschätzen und damit Vertrauensgrenzen anzugeben. Mit steigender
Messgenauigkeit wird es in diesem einfachen Beispiel immer
schwieriger die Länge des Kupferstabes exakt festzulegen.
Die korrekte Angabe des Messergebnisses einer physikalischen Größe enthält drei Teile:
–
–
–
Zahlenwert (Maßzahl) der physikalischen Größe
Präzision der Messung
Einheit der physikalischen Größe.
Die Angabe der Präzision der Messung ist ein Maß für die Messgenauigkeit und liefert eine Aussage über die Reproduzierbarkeit des
Messergebnisses. Die Präzision wird durch die Anzahl der signifikanten Stellen des Messwertes gekennzeichnet. Unter den signifikanten Stellen einer Messung versteht man somit die Anzahl von Ziffern, die erforderlich sind, um das Messergebnis ohne Verlust an
Genauigkeit anzugeben.
Beispiel:
Die drei Längenmessergebnisse l 0 = 85,2 cm, l 0 = 85,20 cm und
l 0 = 85,200 cm sind nicht identisch. Sie unterscheiden sich
durch die in der Anzahl der signifikanten Stellen zum Ausdruck
kommende zunehmende Messpräzision.
31
3 Messung physikalischer Größen, Messunsicherheit und Messdatenauswertung
Die erreichbare Messpräzision hängt dabei wesentlich vom verwendeten Messverfahren ab. Die Erfahrung zeigt, dass bei wiederholten
Messungen derselben physikalischen Größe der beobachtete Messwert Schwankungen unterliegt. Messgrößen sind nie exakt bekannt
und sie sind immer mit Messunsicherheiten behaftet. Dies hat nichts
mit falschen Messergebnissen oder fehlerhaften Messungen zu tun.
Jede Messung ist nämlich immer nur unvollständig ausführbar und
folglich ungenau. Die korrekte Angabe des Messergebnisses muss
daher die dem Messvorgang innewohnende Messunsicherheit widerspiegeln. Obwohl z. B. für den in Abb. 13 dargestellten Metallstab
eine „wahre“ Länge als Sollwert existiert, ist diese auch bei sorgfältigster Messung nicht exakt bestimmbar.
Jede Messung muss in der Praxis physikalisch korrekt ausgeführt
werden. Zur Gewährleistung der Messsicherheit müssen Messgeräte,
die im geschäftlichen oder amtlichen Verkehr verwendet werden,
zugelassen und geeicht sein (Gesetz über das Mess- und Eichwesen
(Eichgesetz) in der Fassung vom 23. März 1992 (BGBl. I S. 711)).
Dabei erscheint die Forderung, die Messung so genau wie nur möglich durchzuführen aufgrund von begrenzten zeitlichem und finanziellen Aufwand als unrealistisch. Vielmehr muss die Anforderung an
die Genauigkeit des Endergebnisses dem Versuchsziel angepasst
sein. Die Angabe des Endergebnisses einer Messreihe zur Bestimmung der Länge eines Metallstabes zu l 0 = ( 85,2 ± 0,3 ) cm besagt,
dass die „wahre“ Stablänge irgendwo im Bereich zwischen 84,9 cm
und 85,5 cm liegt. Die Fehlergrenzen ( ± 0,3 cm ) kennzeichnen
dabei die Zuverlässigkeit des Messprozesses. Sie können durch die
sich aus der statistischen Analyse der Messdaten ergebenen empirischen Standardabweichung, der so genannten Streuung s bestimmt
werden.
3.3
Messabweichungen und ihre Ursachen
Bei der Messung einer physikalischen Größe sind Messungenauigkeiten nicht zu vermeiden. Die Messabweichungen können in zwei
Gruppen eingeteilt werden: in systematische Messabweichungen
und zufällige Messabweichungen. In der Laborpraxis werden diese
häufig mit der missverständlichen Bezeichnung systematische und
zufällige Messfehler versehen. Die statistische Behandlung von zufälligen Messabweichungen im Rahmen der Messdatenauswertung
wird aus historischen Gründen als Fehler- und Ausgleichsrechnung
bezeichnet.
3.3.1
Systematische Messabweichungen
Systematische Messunsicherheiten ergeben sich z.B. bei Verwendung falsch geeichter Messinstrumente. Die abgelesenen Werte weichen dann stets im gleichen Sinne vom "wahren" Wert ab. Diese
Messabweichungen können nur unter besonderem Aufwand, z.B.
32
3.3 Messabweichungen und ihre Ursachen
durch Vergleich mit anderen Instrumenten, erkannt und reduziert
werden. Sie verfälschen das Messergebnis stets um den gleichen
Betrag in die gleiche Richtung. Systematische Messabweichungen
sind prinzipiell vermeidbar. Dazu müssen sie aber zunächst erkannt
und dann mit entsprechendem Aufwand experimentell ausgeschaltet
oder rechnerisch korrigiert werden.
3.3.2
Zufällige Messunsicherheiten
Zufällige Messabweichungen haben statistischen Charakter. Sie treten bei jedem Experiment auf und können das Messergebnis sowohl
verkleinern als auch vergrößern. Bei aufeinander folgenden Messungen eines Messobjektes mit derselben experimentellen Anordnung
streuen die Messwerte um den wahren Wert, falls systematische
Messabweichungen ausgeschlossen werden. Solche offensichtlich
zufälligen Messabweichungen sind prinzipiell nicht vermeidbar,
lassen sich jedoch durch wiederholte Messungen und geeignete Auswertungsmethoden verringern.
Dazu soll der Fall betrachtet werden, dass eine einzige physikalische
Größe x unter gleichen Bedingungen n-mal gemessen wird. Bei der
Verwendung eines Messinstruments, das eine genügend feine Ablesung erlaubt, sind - infolge der zufälligen Messabweichungen - die n
Messwerte x 1 , x 2 , x 3 ,..., x n im Allgemeinen voneinander verschieden, häufen sich jedoch bei einem bestimmten Wert. Besteht eine
Messreihe aus insgesamt n Messungen, so nennt man in der Statistik
alle n Messungen zusammen eine Stichprobe vom Umfang n und
die einzelnen Messergebnisse x i die Stichprobenwerte. Um einen
Überblick zu gewinnen, wie oft die verschiedenen Messwerte in
einer Messreihe vorkommen, nimmt man eine Klasseneinteilung der
Messwerte vor und unterteilt den Bereich der Messwerte in m gleich
große Intervalle, deren äquidistante Intervallbreite ∆x durch die
Wahl der Anzahl m der Klassen vorgegeben ist. Dann zählt man ab,
wie viele Messwerte jeweils in den einzelnen Intervallen liegen. Die
Absolutzahl der Messungen n k im k-ten Intervall ∆x k stellt die
absolute Häufigkeit H K dar. Die Summe der absoluten Häufigkeiten
ist gleich dem Umfang n der Stichprobe.
m
m
k =1
k =1
∑ Hk = ∑ nk = n
(3.1)
Dividiert man die absoluten Häufigkeiten H k durch den Umfang der
Stichprobe, so erhält man die relative Häufigkeit h k .
hk =
Hk
n
=
Hk
m
(3.2)
∑ Hk
k =1
33
3 Messung physikalischer Größen, Messunsicherheit und Messdatenauswertung
Die relative Häufigkeit ist immer kleiner als eins, und es gilt:
m
1 m
n
∑ h k = n ∑ H k = n = 1 = 100%
k =1
k =1
(3.3)
Die relativen Häufigkeiten sind somit auf 1 normiert. Werden die
relativen Häufigkeiten h i (i = 1 bis i = m) in einem Diagramm über
den entsprechenden Intervallen aufgetragen, so entsteht eine "Treppenkurve". Ein solches Diagramm wird Histogramm genannt. Die
Gestalt des Histogramms hängt natürlich von der Wahl der Anzahl m
der Klassen ab, durch welche die Intervallbreite festgelegt wird. Ist
x min der kleinste und x max der größte Messwert der Messreihe, so
folgt für die äquidistante Intervallbreite ∆x =
x max − x min
m
.
hi
hk
∆x1 ... ∆xk
...
∆xm x
Abb. 14: Histogramm der relativen Häufigkeiten
Aus der Struktur des Histogramms erkennt man, dass gewisse Messergebnisse besonders häufig vorkommen, und alle Messergebnisse
um einen Mittelwert verteilt sind.
3.3.3
Häufigkeitsverteilung
Bei Messwerten (Merkmalen) mit kontinuierlicher Werteskala werden mit Verkleinerung der Breite des Merkmalsintervalls die Häufigkeiten entsprechend kleiner. Man gewinnt eine von der Intervallgröße unabhängige Verteilung, indem man die relative Häufigkeit
h k durch die jeweils gewählte Intervallbreite ∆x k teilt.
wk =
hk
∆x k
(3.4)
Die Größe w k heißt Häufigkeitsdichte. Ist die Häufigkeitsdichte
w k gegeben, so folgt daraus bei gegebenem Intervall ∆x k die zugehörige relative Häufigkeit zu
34
3.3 Messabweichungen und ihre Ursachen
h k = w k ∆x k .
(3.5)
Die Zahl der Messwerte n k im Intervall ∆x k , d.h. im Bereich von
x k bis x k + ∆x , lässt sich folgendermaßen ausdrücken:
n k = w k n∆x
Die Ansammlung der n Messwerte selbst wird Verteilung genannt.
Die Wahrscheinlichkeit P(x), dass ein beliebig der Verteilung entnommener Messwert x i z.B. entweder in das Intervall ∆x 1 oder in
ein anderes Intervall ∆x 2 fällt, ist gleich der Summe der Einzelwahrscheinlichkeiten:
P( x ) = w 1∆x 1 + w 2 ∆x 2
Daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein beliebig herausgegriffener
Wert nun in irgendeinem der insgesamt m vorhandenen Intervalle
zu finden ist, gleich
m
∑ w k ⋅ ∆x k = 1
(3.6)
k =1
Diese Wahrscheinlichkeit muss natürlich gleich 1 sein, denn Wahrscheinlichkeit 1 bedeutet Gewissheit, Wahrscheinlichkeit 0 ist Unmöglichkeit. Bei hinreichend großem Stichprobenumfang kann die
Intervallteilung beliebig fein gewählt werden. Die diskontinuierliche
Treppenkurve des Histogramms geht dann in eine glatte Kurve über.
Sie wird mathematisch durch eine stetige Funktion beschreiben, die
Verteilungsfunktion w(x). Die Verteilungsfunktion w(x) gibt an, in
welcher Weise sich die Messwerte auf die einzelnen Intervalle ver∆n
teilen. w ( x )∆x =
ist somit der Bruchteil der n Ablesungen, der
n
im Intervall ∆x liegt, d.h. w ( x )∆x ist die Wahrscheinlichkeit dafür,
dass ein beliebig der Verteilung entnommener Messwert im Bereich
zwischen x und x + ∆x liegt. Aufgrund dieser Eigenschaft wird die
Verteilungsfunktion w(x) auch als Wahrscheinlichkeitsdichte bezeichnet. Es gilt nun, für die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion w(x)
einen mathematischen Ausdruck zu finden. Bei vielen physikalischen
Messungen sind die Messwerte normalverteilt. Die Messwerte erfüllen dann folgende Voraussetzungen:
–
–
–
Das Vorkommen gleich großer positiver und negativer Messabweichungen ist gleich wahrscheinlich.
Es ist wahrscheinlicher, eine kleine Messabweichung zu registrieren als eine große Messabweichung.
Der arithmetische Mittelwert der Messungen besitzt die größte
Wahrscheinlichkeit (Maximum der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion)
35
3 Messung physikalischer Größen, Messunsicherheit und Messdatenauswertung
Die Wahrscheinlichkeitsdichteverteilung w(x) heißt Normalverteilung der experimentellen Messwerte und hat folgende analytische
Form:
w(x) =
1
σ⋅ 2⋅π
e
−
(x −µ ) 2
2⋅σ 2
(3.7)
Diese Verteilung wird nach Carl Friedrich Gauß (1777 – 1855) als
Gaußverteilung bezeichnet. Ihr Graph wird Gaußsche Glockenkurve genannt.
w(x)
Wendepunkt
σ
σ
µ−σ
µ
x
µ+σ
Abb. 15: Gaußverteilung
Die Gaußsche Normalverteilung nimmt für x = µ ihren maximalen
Wert an, d.h. µ stellt den wahrscheinlichsten Wert der Messreihe
dar. Die Wendepunkte der Verteilungsfunktion w(x) liegen bei den
Werten x = µ ± σ . Die Größe σ wird Standardabweichung der
Verteilung genannt. Die Größe σ 2 wird als Varianz bezeichnet. Die
Standardabweichung σ ist ein Maß für die Ausdehnung der Verteilung, d.h. für die Streuung der Messwerte um den Mittelwert µ .
w(x)
1
σ1
2
σ2
σ3
3
µ
x
Abb. 16: Verteilungsfunktionen mit verschiedenen Werten von σ
36
3.3 Messabweichungen und ihre Ursachen
In der statistischen Datenanalyse ist es üblich, die empirische Verteilung von Messergebnissen näherungsweise mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen w(x) analytisch zu beschreiben. Die
beiden Parameter µ und σ der Verteilungsfunktion werden dabei an
die vorliegenden Messdaten angepasst. Abb. 16 zeigt die Verteilungsfunktionen von 3 verschiedenen Messreihen mit gleichem Mittelwert µ . Die durch die Verteilungsfunktion 1 beschriebene Messreihe repräsentiert die präzisesten Messungen. Die zugehörige Verteilungsfunktion hat bei x = µ eine scharfe Spitze und eine kleine
Standardabweichung σ1 . Die ungenauesten Messungen enthält
Messreihe 3. Die entsprechende Verteilungsfunktion hat das niedrigste und flachste Maximum und die größte Standardabweichung
σ 3 . Die Fläche unter allen 3 Kurven in Abb. 16 ist gleich groß, da
für jede beliebige Verteilungsfunktion w(x) das Integral normiert ist.
+∞
∫ w (x )dx = 1
(3.8)
−∞
Diese Normierungsbedingung ergibt sich aufgrund der Ausführungen
über die relativen Häufigkeiten h k ; statt des Summenzeichens tritt
bei einer stetigen Funktion das Integralzeichen und das uneigentliche
+∞
Integral
∫ w (x )dx
stellt ein Maß für die Fläche zwischen x-Achse
−∞
und der Kurve w(x) dar. Die Funktion w(x) ist dabei so konstruiert,
dass dieser Flächeninhalt gerade der Zahl Eins entspricht. Als Konsequenz aus dieser Normierungsbedingung ergibt sich: Die Verteilungsfunktionen verlaufen um so flacher, je breiter sie infolge einer
größeren Standardabweichung sind.
Integriert man die Gaußsche Verteilungsdichtefunktion w(x) von
µ − σ bis µ + σ , so erhält man:
µ +σ
∫ w (x )dx = 0,683
(3.9)
µ−σ
Das bedeutet, dass ein beliebig der Messreihe entnommener Messwert x i mit einer Wahrscheinlichkeit von 68,3% innerhalb der Vertrauensgrenzen zwischen µ − σ und µ + σ liegt. Bei einer Gaußverteilung der Messwerte liegen 68,3% der gemessenen Werte im Bereich zwischen µ − σ und µ + σ liegen. Allgemein gilt: Für normalverteilte Zufallsgrößen liegen S% aller Werte im abgeschlossenen
Intervall [µ − kσ, µ + kσ] , welches für festes k einen Streubereich
definiert. Die Größe S heißt statistische Sicherheit oder Vertrauensbereich oder Vertrauensniveau.
µ + kσ
S=
∫ w (x )dx
µ − kσ
37
3 Messung physikalischer Größen, Messunsicherheit und Messdatenauswertung
Die statistische Sicherheit bzw. das Vertrauensniveau S gibt an, wie
viel Prozent der Messwerte in einem σ − , 2σ − oder 3σ − Intervall
um den Mittelwert µ liegen (Tabelle 5). Die Wahrscheinlichkeit I,
dass ein Messwert außerhalb des Vertrauensniveaus liegt, heißt
Irrtumswahrscheinlichkeit.
I=1–S
(3.10)
k
S/%
I/%
1
68,3
31,7
2
95,4
4,6
3
99,7
0,3
4
99,994
0,006
Tab. 5: Statistische Sicherheit oder Vertrauensniveau
3.3.4
Mittelwert
Werden n aufeinander folgende Messungen einer physikalischen
Größe x durchgeführt, wobei man eine Verteilung mit den Werten
x 1 , x 2 , x 3 ,..., x n erhält, so ist der wahrscheinlichste Wert x der
Verteilung - auch Bestwert oder Häufungspunkt der Messwerte genannt - derjenige, für den die Summe der Quadrate der Abweichungen der Einzelwerte von diesem Bestwert ein Minimum wird:
n
∑ ( x i − x ) 2 = Minimum
(3.11)
i =1
Aus dieser Bedingung berechnet sich der x zu
x=
1 n
∑x ,
n i =1 i
(3.12)
d.h. bei einem endlichen Stichprobenumfang von n ist x das arithmetische Mittel der Einzelwerte. Das aus n Messungen gebildete
arithmetische Mittel x ist verlässlicher als der einzelne Messwert
x i . Der tiefgestellte Index i nummeriert dabei die einzelnen Messwerte durch. Oft wird das arithmetische Mittel auch mit x m oder <x>
gekennzeichnet. Das arithmetische Mittel x genügt damit der Ben
dingung
∑ (x i − x ) = 0 , d.h. die Summe aller Abweichungen vom
i =1
Mittelwert ist gleich Null.
Der Mittelwert kommt dabei dem grundsätzlich unbekannten wahren
Wert der Messgröße nahe. Der Mittelwert einer unendlich langen
38
3.3 Messabweichungen und ihre Ursachen
Messreihe (n → ∞ ) wird mit µ bezeichnet. Für den Mittelwert µ
gilt:
1 n
∑x
n →∞ n i =1 i
µ = lim x = lim
n →∞
3.3.5
(3.13)
Streuung und Standardabweichung
Für den mittleren statistischen Fehler (Messunsicherheit) s einer
Einzelmessung bei einem endlichen Stichprobenumfang von n Messungen liefert die Fehlerrechnung:
n
s=±
∑ (x i − x) 2
i =1
(3.14)
n −1
Die Größe s wird auch als Streuung, die Größe s 2 wird als Varianz bezeichnet. Um den Unterschied zwischen der die Stichprobe
kennzeichnenden Größe s (endlicher Stichprobenumfang n) und dem
in der Wahrscheinlichkeitsdichte w(x) verwendeten Parameter σ bei
unendlich langer Messreihe deutlicher zu machen, werden im mathematisch strengen Sinne verschiedene Symbole s und σ verwendet. Für die Standardabweichung σ gilt:
n
σ = lim s = lim
n →∞
n →∞
∑ (x i − x) 2
i =1
n −1
(3.15)
Die Streuung s ist, wie die Standardabweichung σ , ein Maß für die
Güte der Messungen. Je ungenauer die Messungen sind, umso breiter
und flacher ist die Verteilung der Messwerte. Aufgrund ihrer Definition hängt die Streuung s praktisch nicht von der Anzahl n der Messungen ab. Sowohl der Zähler (eine Summe aus n etwa gleich großen
Gliedern) als auch der Nenner (n-1) des Bruches wachsen linear mit
der Zahl n der Messungen derselben physikalischen Größe x an.
3.3.6
Mittlere Streuung des Mittelwerts
Für die Beurteilung der Genauigkeit einer Messung kommt es auf
den statistischen Fehler (Messunsicherheit) des Mittelwertes an.
Wiederholt man eine Messreihe mit k verschiedenen Messungen, so
hat die neue Messreihe im Allgemeinen einen anderen Mittelwert.
Wird eine sehr große Anzahl von m solcher Messreihen ausgeführt,
so hat jede Messreihe ihren eigenen Mittelwert. Die Gesamtheit aller
n = mk Einzelmesswerte aller Messreihen bildet eine Verteilung,
deren Streuung durch s gekennzeichnet ist. Die Mittelwerte x i ( i =
39
3 Messung physikalischer Größen, Messunsicherheit und Messdatenauswertung
1 bis m ) aller Messreihen bilden eine andere Verteilung, die ebenfalls durch eine Gaußfunktion approximiert werden kann und deren
Streuung mit s m bezeichnet wird. Die Größe s m heißt mittlerer
statistischer Fehler (Messunsicherheit) des Mittelwertes oder
mittlere Streuung des Mittelwerts. Zwischen diesen beiden Größen s
und s m gibt es folgenden Zusammenhang:
sm =
s
(3.16)
n
Mit Hilfe der Definition für das Streumaß s folgt:
n
sm = ±
∑ (x i − x) 2
i =1
n ⋅ (n − 1)
(3.17)
s m gibt die Schwankung des arithmetischen Mittels an, die zu erwarten ist, wenn man die ganze Messreihe mit der gleichen Anzahl n
von Messungen wiederholt. Der Index m in s m weist auf die Streuung des Mittelwertes hin. s m kann dadurch verkleinert werden, dass
viele Messungen (großer Wert für n) durchgeführt werden und man
außerdem dafür sorgt, dass die Streuung s der Einzelmessung klein
wird. Für die Versuchspraxis erhält man somit das wichtige Ergebnis: Da der Wert von s nur von der Genauigkeit der Einzelmessungen
und nicht von deren Anzahl abhängt, s m aber nur mit der Wurzel
aus n kleiner wird, ist eine geringere Zahl sorgfältiger Messungen
einer größeren Zahl oberflächlicher Messungen vorzuziehen.
Das Messresultat für die physikalische Größe x wird, nachdem s m
berechnet wurde, schließlich in der folgenden Form angegeben:
x = x ± sm .
(3.18)
Im Gegensatz zur direkten Messung muss bei indirekten Messungen
zwischen den Messgrößen und der zu messenden Größe unterschieden werden. Die zu messende Größe, die nicht direkt messbar ist,
ergibt sich dann indirekt aus den gemessenen Größen, die aufgrund
von Definitionen oder physikalischen Gesetzmäßigkeiten mit der zu
messenden Größe verbunden sind. Indirekte Messungen beruhen
stets auf zusätzlichen Annahmen, deren Gültigkeit im Einzelfall zu
überprüfen ist. Die Entfernungsmessung mit Hilfe der Triangulation
basiert beispielsweise auf der Annahme der Geradlinigkeit der Lichtausbreitung und der Anwendbarkeit der Euklidischen Axiome, deren
Gültigkeit experimentell bestätigt werden konnte.
Die Kunst des Messens besteht darin, die Qualität der Messwerte
richtig zu beurteilen und nicht darin, die Messwerte anderer Experimentatoren möglichst genau zu reproduzieren.
40
3.4 Lineare Regression und die Ausgleichsgerade
3.4
Lineare Regression und die Ausgleichsgerade
Die lineare Regression stellt ein Verfahren der mathematischen Statistik dar. Das zweidimensionale, lineare Regressionsmodell wird
immer dann angewandt, wenn ein vermuteter linearer Zusammenhang zwischen zwei Merkmalen X und Y in Form von physikalischen Größen näher spezifiziert werden soll. Aufgabe der linearen
Regressionsrechnung ist es, die beiden Parameter a und b der linearen Funktion
y = ax + b
(3.19)
einer unabhängigen Zufallsvariablen X mit „sicheren“ Messwerten x
und einer abhängigen Zufallsvariablen Y mit „unsicheren“ Messwerten y aus den experimentellen Datenpunkten ( x i , y i ) einer Stichprobe vom Umfang n zu ermitteln. Dabei wird eine Normalverteilung
der Zufallsvariablen Y vorausgesetzt. Die Regressionsgerade, die in
diesem Zusammenhang auch als Ausgleichsgerade bezeichnet wird,
soll Schätzwerte für die experimentelle Datenreihe liefern. Der vertikale Abstand von der Regressionsgeraden zum y i -Wert der Messreihe stellt dabei die Messunsicherheit des Messwertes y i dar. Zur
Konstruktion der Regressionsgeraden wird die Gauß’sche Methode
der kleinsten Fehlerquadrate verwendet. Die Ausgleichsgerade wird
so konstruiert, dass die Summe der vertikalen Abstandsquadrate aller
Messwerte y i von dieser Geraden minimal ist. Für einen Messpunkt
Pi ( x i , y i ) erhält man das vertikale Abstandsquadrat d i2 von der
Ausgleichsgeraden y = ax + b durch die Beziehung:
d i2 = (f ( x i ) − y i ) 2
d i2 = (ax i + b − y i ) 2
(3.20)
Die Summe über alle vertikalen Abstandsquadrate der n Datenpunkte
ist gegeben durch
n
d 2 (a , b) = ∑ (ax i + b − y i ) 2 .
(3.21)
i =1
Im Folgenden soll konkret vorausgesetzt werden, dass die x-Werte
genauer messbar sind, d.h. mit größerer Messsicherheit behaftet sind.
Die Aufgabe der Regressionsrechnung besteht dann darin, die beiden
Parameter a und b der linearen Funktionsgleichung
y = f ( x ) = ax + b aus den insgesamt n experimentellen Wertepaaren
( x i , y i ) zu ermitteln. Sie sollen durch die Minimalisierungsforderung berechnet werden: Für welche Koeffizienten a und b ist die
Summe der Abweichungsquadrate d 2 (a , b) minimal? Zur Lösung
dieser Fragestellung werden a und b als Variable aufgefasst. Das
41
3 Messung physikalischer Größen, Messunsicherheit und Messdatenauswertung
n
Abstandsquadrat d 2 (a , b) = ∑ (ax i + b − y i ) 2 ist dann eine Funktii =1
on von zwei unabhängigen Variablen. Mit Hilfe der Umformung
(ax i + b − y i ) 2 = ax i2 + 2abx i − 2ax i y i + b 2 − 2by i + y i2
erhält man:
d 2 (a , b) = ( x 12 + x 22 + ... + x 2n )a 2 − 2a ( x 1 y1 + x 2 y 2 + ... + x n y n
− b( x 1 + x 2 + ... + x n )) + nb 2 − 2( y1 + y 2 + ... + y n )b
+ y12 + y 22 + ... + y 2n
Für festgehaltenes b ist d 2 (a , b) nur noch von a abhängig, nämlich
in Form einer quadratischen Funktion der Variablen a. Der Graph
dieser Funktion ist eine Parabel, deren Minimum mit der Lage ihres
Scheitelpunktes zusammenfällt. Für eine solche Parabel vom Typ
f (a ) = pa 2 + qa + r
folgt aus der Extremwertbedingung
d
f (a ) = f ′(a ) = 0
da
2pa + q = 0
a=−
q
.
2p
Einsetzen liefert:
a=
x 1 y1 + x 2 y 2 + ... + x n y n − b( x 1 + x 2 + ... + x n )
x 12 + x 22 + ... + x 2n
n
a=
n
∑ x i y i − b∑ x i
i =1
i =1
n
∑ x i2
i =1
n
a=
∑ x i y i − bnx
i =1
n
∑
i =1
42
(3.22)
x i2
3.4 Lineare Regression und die Ausgleichsgerade
Wird dagegen in d 2 (a , b) a konstant gehalten, so ist das Abstandsquadrat nur noch von b abhängig. Man erhält eine quadratische
Funktion der Variablen b, deren Minimum ebenfalls mit der Lage
des Scheitelpunktes der Parabel zusammenfällt.
f (b) = sb 2 + tb + u
f ′( b) = 0
2sb + t = 0
b=−
t
.
2s
Einsetzen liefert schließlich:
b=
b=
y1 + y 2 + ... + y n − a ( x 1 + x 2 + ... + x n )
n
1 n
1 n
y
−
a
∑
∑x
n i =1 i
n i =1 i
Mit den arithmetischen Mittelwerten
x=
1 n
∑x
n i =1 i
y=
1 n
∑y
n i =1 i
folgt:
b = y − ax .
(3.23)
Aus den beiden linearen Gleichungen (3.22) und (3.23) für die Koeffizienten a und b folgt schließlich nach elementaren Umformungen:
a=
1 n
∑ x y − xy
n i =1 i i
n
1
∑ x2 − x2
n i =1 i
n
=
∑ x i y i − nx y
i =1
n
∑
i =1
(3.24)
x i2
− nx
2
Der Parameter a entspricht der Steigung der Ausgleichsgeraden
y = ax + b und wird Regressionskoeffizient genannt.
43
3 Messung physikalischer Größen, Messunsicherheit und Messdatenauswertung
y
y=ax+b
f(xi )
yi
xi
x
Abb. 17: Ausgleichsgerade durch experimentelle Messpunkte
Beispiel:
Ein Metallrohr habe bei einer Celsiustemperatur von ϑ 0 = 0°C
eine Länge l 0 . Nach Erwärmung erhöht sich seine Temperatur
um ∆ϑ = ϑ − ϑ 0 = ϑ , dabei verlängert sich das Rohr durch
thermische Ausdehnung um ∆l = l − l 0 und nimmt die Länge l
an. Werden für verschiedene Celsiustemperaturen ϑ i die zugehörigen Längenänderungen ∆l i gemessen und die Messwertepaare (ϑ i , ∆l i ) graphisch dargestellt, so erhält man Abbildung
18, in der die Längenänderung gegen die jeweilige Temperatur
aufgetragen ist. Da die Längenänderung direkt der Größe der
Temperaturänderung proportional ist, erhält man eine Gerade
durch den Ursprung des Koordinatensystems. Wegen der experimentellen Messunsicherheiten in der Längenbestimmung
streuen die Messwerte ∆l i um die Gerade herum. Die Ausgleichsgerade
∆l(ϑ) = α∆ϑ = α(ϑ − ϑ 0 ) = αϑ
wird so gelegt, dass die Summe der Abweichungsquadrate der
∆l i -Werte von der Geraden minimal wird. Aus dieser Forde-
rung kann der Parameter α , der dem Regressionskoeffizienten a
entspricht, ermittelt werden. Physikalisch stellt α den linearen
thermischen Ausdehnungskoeffizienten dar. In dem hier untersuchten Temperaturbereich ist α konstant. Bei höheren Temperaturen ist α jedoch nicht mehr temperatur-unabhängig, sondern
nimmt mit wachsender Temperatur zu. Abb. 18 zeigt eine Ausgleichsgerade durch experimentelle Messwertepaare zur Bestimmung des linearen thermischen Ausdehnungskoeffizienten.
44
3.4 Lineare Regression und die Ausgleichsgerade
∆l
m
0
ϑ/°C
Abb. 18: Thermische Ausdehnung als Funktion der Temperatur
45
4 Etwas über Wärme, Energieumwandlung und Wirkungsgrade
4
Etwas über Wärme, Energieumwandlung und
Wirkungsgrade
Durch den vorgeschichtlichen Umgang mit Feuer und der frühgeschichtlichen Herstellung von Metallen aus Erzen ist der Mensch mit
dem Phänomen der Wärme vertraut. Die praktische Erfahrung führte
zu zwei grundlegenden Begriffsbildungen der Wärmelehre: Temperatur und Wärmemenge, die sich als eine eigenständige Energieform herausstellte. Experimentelle Untersuchungen zeigen: Wärme
ist verknüpft mit der ungeordneten Bewegung, der Wärmebewegung
der Atome und Moleküle, und Temperatur ist ein Maß für deren
Bewegungsenergie. Die Temperatur ist dabei als Mittelwert definiert
und daher nur auf einen aus vielen Atomen/Molekülen bestehenden
Stoff (Kollektiv), nicht aber auf die individuelle Bewegung eines
einzelnen Teilchens anwendbar. Bei hohen Temperaturen bewegen
sich die Atome eines Stoffes mit großen Geschwindigkeiten, ihre
kinetischen Energien sind groß. Bei niedrigen Temperaturen bewegen sie sich langsamer, ihre kinetische Energien sind kleiner.
Der Begriff Energie (gr. energeia: Wirkungsvermögen) stellt eine
abstrakte physikalische Größe dar, die von Thomas Young (1773 1829) in die Naturwissenschaften eingeführt wurde und die sich als
äußerst nützlich erwies. Im Folgenden soll dieser Energiebegriff
zunächst rein operational verwendet werden, nämlich als hilfreiche
Rechengröße. Später soll eine physikalische Antwort auf die Frage:
Was ist Energie? gesucht werden. Dabei wird die mechanische Energie in Form von potentieller Energie (Lageenergie) und kinetischer
Energie (Bewegungsenergie) in Lerneinheit LE 3 ausführlich behandelt. Bevor Wärme als der makroskopischen Betrachtung verborgene Bewegungsenergie der Atome bzw. Moleküle erkannt wurde,
nahm man an, dass die Wärme eines Körpers auf das Vorhandensein
eines Wärmestoffes zurückzuführen sei. Dieser Wärmestoff wurde
Caloricum genannt. Aber die Erzeugung von Wärme durch Reibungsarbeit zeigt: Wärme ist kein Stoff. Wärme ist eine Energieform. Der Wärmeinhalt eines Körpers entspricht derjenigen Wärmemenge, die sich aus der Summe der ungeordneten Energien seiner
Atome und Moleküle ergibt. Erst infolge von experimentellen Untersuchungen gelang es, den abstrakten Energiebegriff zu präzisieren
und auch Wärme als eine Energieform zu erkennen. Allgemein gilt:
Energie ist das Vermögen Arbeit zu verrichten.
4.1
Erscheinungsformen der Energie
Eine an einem Körper angreifende Kraft kann den physikalischen
Zustand des Körpers verändern, indem sie Arbeit an dem Körper
verrichtet. Diese Arbeit kann von dem Körper in Form von Energie
gespeichert werden. Wird durch eine Kraft ein Körper vom Erdboden
46
4.1 Erscheinungsformen der Energie
sehr langsam hochgehoben, so verrichtet diese Kraft eine Hubarbeit,
die vom Körper als Lageenergie, potentielle Energie genannt, gespeichert wird. Wird dagegen ein ursprünglich ruhender Körper
durch eine an ihm angreifende Kraft beschleunigt, so verrichtet diese
Kraft an dem Körper Beschleunigungsarbeit, die in Form von Bewegungsenergie, kinetische Energie genannt, von dem bewegten Körper
gespeichert wird. Langwierige Untersuchungen zeigen: Energie kann
in verschiedenen Formen auftreten:
-
mechanische Ruheenergie (potentielle Energie)
mechanische Bewegungsenergie (kinetische Energie)
Wärme
elektrische Energie
chemische Energie
Kernenergie
Energie der elektromagnetischen Strahlung
Übersicht: Energiequellen
Fossile Brennstoffe:
- Kohle, Erdöl, Erdgas
Regenerative Brennstoffe:
- Holz, Biomasse, Biokraftstoffe
Solarenergie:
- Passive Sonnenenergienutzung
- Photovoltaische Solarzellen
- Solarkollektoren
Erdwärme:
- Geothermische Energie
Windenergie
- Windkraftanlagen
Wasserkraft:
- Laufwasser
- Speicherkraftwerke
- Gezeiten
Kernenergie:
- Kernspaltung
235
1
236 *
140
94
92 U + 0 n −> 92 U −> 56 Ba + 36 Kr
+ 2 01 n + 200 MeV
- Kernfusion
2
2
3
1
1 d + 1 d −> 2 He + 0 n
+ γ + 3,2 MeV
3
2
4
1
1 t + 1 d −> 2 He + 0 n
+ γ + 17,6 MeV
47
4 Etwas über Wärme, Energieumwandlung und Wirkungsgrade
Die physikalische Größe Energie besitzt eine herausragende Eigenschaft: Die Gesamtenergie bleibt bei allen Vorgängen konstant; sie
bleibt erhalten. Diese experimentelle Beobachtung wird Energieerhaltungssatz oder kurz Energiesatz genannt. Die Formulierung des
Energieerhaltungssatzes, bei der Wärme als besondere Erscheinungsform der Energie berücksichtigt wird, wird 1. Hauptsatz der
Thermodynamik genannt. Der Erste Hauptsatz der Thermodynamik
schränkt die in der Natur vorkommenden Prozesse ein: Nur solche
Prozesse sind möglich, bei denen die Gesamtenergie konstant bleibt.
Innerhalb eines Systems können die verschiedenen Energieformen
jedoch ineinander umgewandelt werden. Dabei sind Wärme und
Arbeit gleichwertig. Wärme kann aus Arbeit erzeugt und in Arbeit
umgewandelt werden. Der Erste Hauptsatz der Thermodynamik stellt
daher eine Zusammenfassung der experimentellen Erfahrung aus der
Energieumwandlung dar. Er wird üblicherweise in verschiedenen
Formulierungen angegeben:
Wärme und Arbeit sind gleichwertig. Wärme kann in
Arbeit und Arbeit in Wärme umgewandelt werden.
4.2
Energieumwandlung
Jede Aktivität ist mit einem Energieumsatz, umgangssprachlich auch
Energieverbrauch genannt, verbunden. Der so genannte Energieverbrauch bedeutet jedoch nur eine Umwandlung von Energie aus einer
Form in eine andere Form. Alle Energieumwandlungen unterliegen
zwei als Naturgesetze erkannten Prinzipien:
-
Bei jeder Energieumwandlung bleibt die Gesamtmenge an
Energie immer erhalten (Energieerhaltung).
-
Die experimentelle Erfahrung zeigt: Die Umwandlung von
Energie ist weiteren Beschränkungen unterworfen.
Energie einer geordneten Form (z. B. mechanische Bewegungsenergie oder elektrische Energie) kann vollständig in Energie einer weniger geordneten Form (z. B. Wärme) übergeführt werden. Eine vollständige Umkehrung dieses Vorganges ist nicht möglich. Energie
einer ungeordneten Form (z. B. Wärme) kann nur teilweise in Energie einer geordneten Form (z. B. elektromagnetische Energie) übergeführt werden. Mechanische Energie ist daher eine hochwertigere
Energieform als Wärme; sie ist vielseitiger einsetzbar. Wärme stellt
eine Energieform dar, die von einem Körper auf einen anderen übergehen kann. Dieser Übergang erfolgt dabei stets in einer Richtung,
nämlich vom wärmeren zum kälteren Körper. Der Anteil der Energie
E einer beliebigen Form, der in Energie einer geordneten Form um-
48
4.2 Energieumwandlung
gewandelt werden kann, wird Exergie E E genannt, der verbleibende
Rest heißt Anergie E A .
E = EE + EA
Energie ist die Summe von Exergie und Anergie.
Mechanische Energie und elektromagnetische Energie bestehen ausschließlich aus Exergie. Wärme beinhaltet je nach der Temperatur,
bei der sie vorliegt, nur einen Anteil an Exergie, der Rest stellt Anergie dar. Die Exergie ist somit ein Maß für die Arbeitsfähigkeit des
Energieinhalts eines Systems, mit der Eigenschaft, bei reversibler
Energieumwandlung erhalten zu bleiben.
Umwandlungsverluste sind daher Exergieverluste, sie bedingen eine
Verringerung der Arbeitsfähigkeit der Energie. Die Energie selbst
kann nicht verloren gehen, sondern wird immer nur von einer Form
in eine andere umgewandelt, wobei die Summe von Exergie und
Anergie konstant bleibt.
Alle technisch realisierten Energieumwandlungen sind mit Verlusten
verbunden. Der energetische Wirkungsgrad η wird definiert als
Verhältnis von energetischen Nutzen ∆E Nutzen zum energetischen
Aufwand ∆E Aufwand :
η=
∆E Nutzen
.
∆E Aufwand
Wird von einer Wärmekraftmaschine die Wärmeenergie ∆Q aufgenommen und durch Energiewandlung die mechanische Arbeit
∆W abgegeben, so gilt für den Umwandlungswirkungsgrad
η=
∆W
.
∆Q
Bei mechanischen Energieumwandlungen wird durch den Wirkungsgrad η das Verhältnis der vom Energiewandler abgegebenen Nutzarbeit ∆WNutz zur aufgenommenen Gesamtarbeit ∆WGesamt bezeichnet und es gilt:
η=
∆WNutz
∆WNutz / ∆t
=
.
∆WGesamt
∆WGesamt / ∆t
Mithilfe der Definitionen für die Leistungen PNutz =
PGesamt =
∆WNutz
und
∆t
∆W Gesamt
folgt:
∆t
49
4 Etwas über Wärme, Energieumwandlung und Wirkungsgrade
η=
PNutz
P
= Aus
PGesamt
PEin
Bei kontinuierlich Arbeit leistenden Maschinen wird der Wirkungsgrad durch das Leistungsverhältnis von Ausgangsleistung bezogen
auf die Eingangsleistung definiert. Für die dabei auftretende Verlustleistung PVerlust gilt:
PVerlust = PEin − PAus = (1 − η)PEin =
1− η
PAus
η
Die ökonomische Nutzung von Energie bei der Bereitstellung der
jeweils benötigten Form von Endenergie bedeutet sowohl eine Minimierung des Einsatzes an Primärenergie als auch die Minimierung
des Einsatzes an Exergie. Genau dies ist gemeint, wenn von einer
Steigerung der Energieeffizienz oder einer Erhöhung der Energieproduktivität die Rede ist. Diese Optimierung führt zu einer Senkung
der Energiekosten und zusätzlich zu einer Vermeidung von Umweltkosten und zu einer Ressourcenschonung nicht-regenerativer Energieträger. Denn jede Energiegewinnung (Bereitstellung) ist immer
mit Umweltbelastungen verbunden, und zwar auch dann, wenn während des Betriebes keine Brennstoffe verbraucht werden, wie dies bei
Sonnenenergie, Wasserkraft und Windkraft der Fall ist. Die Primärenergie (chem. Energie in fossilen Brennstoffen wie Erdöl, Kohle,
Erdgas, Kernenergie, Biomasse u. a. ) wird nach Gewinnung und
Aufbereitung (Erdgas und insbesondere Biogas muss nach der Förderung von inerten Gasen wie N 2 und CO 2 gereinigt, entfeuchtet und
ggf. entschwefelt werden; Erdöl muss im Raffinerieprozess aufbereitet werden) und nach Transport zu einem Wärmekraftwerk in die
Sekundärenergie ( z. B. Wärme und elektrische Energie (Strom))
umgewandelt. Das Wärmekraftwerk stellt dabei einen Energiewandler dar. Energieumwandlung ohne Energieverlust (z.B. Abwärme) ist
nicht möglich. Die Sekundärenergie gelangt unter weiteren Energieverlusten (z. B. Leitungsverluste) als Endenergie zum Verbraucher,
dem nach weiterer Energieumwandlung, mit den damit verbundenen
Umwandlungsverlusten, die gewünschte Nutzenergie als Wärme,
Licht, Kraft, usw. zur Verfügung steht. Auch regenerativ gewonnene
elektrische Energie (Photovoltaik, Windkraft und Wasserkraft) muss
über Netze übertragen und verbrauchseitig verteilt werden. Dabei
tritt mit Ausnahme der Wasserkraft zusätzlich das Problem der unstetig fluktuierenden Einspeisung („Flatterstrom“) auf.
Die Energieeffizienz und damit die Größe der Umwandlungsverluste wird dabei durch die Wirkungsgrade der Energiewandler der
Energieumwandlungskette bestimmt.
50
4.2 Energieumwandlung
Steinkohle,
Braunkohle,
Erdöl, Erdgas
Kernbrennstoffe
Primärenergie
Umwandlung
beim Erzeuger
Strom, Benzin,
Heizöl, Fernwärme
Umwandlung beim
Verbraucher
Sekundärenergie
Umwandlungsund Verteilungsverluste
Eigenbedarf
Endenergie
Energieträger als
chem. Rohstoff
Leitungsverluste
(Strom, Fernwärme)
Heizwärme,
Prozeßwärme,
Licht, mechanische
Energie
Verluste beim
Verbraucher
Nutzenergie
Abb. 19: Energieflussbild von der Primär- zur Nutzenergie
Ausgehend von der Primärenergie wird durch eine Umwandlungskette Nutzenergie bereitgestellt. Das Verhältnis der abgegebenen
Energie zur zugeführten Energie in einem Energiewandler, und zwar
bezogen auf den Bestpunkt der Anlage, wird durch den Wirkungsgrad angegeben. Abweichungen vom Betrieb einer Anlage im Bestpunkt führen zu Wirkungsgradeinbußen. Sie können durch Teillastbetrieb oder infolge von unterlassener Wartung auftreten. Das während einer bestimmten Periode, z.B. einem Jahr, tatsächlich realisierte Verhältnis von Energieabgabe zu Energieeinsatz wird Nutzungsgrad genannt. Der Gesamtwirkungsgrad η G eines Systems von insgesamt k hintereinander geschalteten Energiewandlern ergibt sich
durch Multiplikation der Einzelwirkungsgrade ηi zu:
k
η G = ∏ η i = η1 ⋅ η 2 ⋅ ... ⋅ η k .
i =1
In Abb. 20 sind die Umwandlungsketten verschiedener Pfade zur
Bereitstellung elektrischer Energie dargestellt. Ausgehend von erneuerbaren (regenerativen) bzw. nicht-regenerativen Primärenergieträgern wird elektrische Energie als Sekundärenergie erzeugt. Dabei
besitzen die Brennstoffzelle und die Solarzelle mit jeweils nur einer
Umwandlungsstufe die kürzeste Umwandlungskette.
Der Wirkungsgrad wird mit dem griechischen Buchstaben η (Eta)
abgekürzt und ist als Verhältniszahl dimensionslos. Für seine Einheit
gilt: [η] = 1 .
51
4 Etwas über Wärme, Energieumwandlung und Wirkungsgrade
Erneuerbare
Primärenergiequelle
Biomasse
Nichtregechemische
nerative Primärenergie- Energie fossiler
Brennstoffe
quelle
Sonnenenergie
Wasserkraft
Windkraft
Kernenergie aus
Kernbrennstoffen
Umwandlungsart
chemoelektrisch
Verbrennung
Kernspaltung
Strahlenabsorption
fotovoltaisch
Energiewandler
Brennstoffzelle
Brennraum
Kernreaktor
Sonnenkollektor
Solarzelle
Strömungs- in
Rotationsenergie
Turbine
Rotor
Erzeugte
Energie
Wärmeenergie
mechanische Energie
Umwandlungsart
thermodynamisch
mechanoelektrisch
Energieübertrager
Wasserdampf, Gase
Welle des
mechanischen Wandlers
Energiewandler
Turbine
elektrischer Generator
Erzeugte
Energie
mechanische Energie
Umwandlungsart
mechanoelektrisch
Energiewandler
elektrischer Generator
Erzeugte
Energie
elektrische Energie
Abb. 20: Umwandlungskette zur Bereitstellung elektrischer Energie
52
5.1 Testfragen
5
Wiederholungstest
Die nachfolgend aufgeführten Testfragen haben eine oder mehrere
richtige Lösungen. Von den vorgegebenen Antwortalternativen sind
jeweils die Buchstaben der richtigen Lösungen anzugeben.
5.1
Testfragen
Aufgabe 1
Isotope Nuklide eines Elements unterscheiden sich in der
(1)
(2)
(3)
(4)
Protonenzahl
Neutronenzahl
Elektronenzahl
Nukleonenzahl (Massenzahl)
(A)
(B)
(C)
(D)
(E)
nur 1 ist richtig
nur 2 ist richtig
nur 2 und 3 sind richtig
nur 1 und 4 sind richtig
nur 2 und 4 sind richtig
Aufgabe 2
In der folgenden Tabelle sind die Wasserstoff-Isotope aufgeführt.
Ergänzen Sie zeilenweise die fehlenden Zahlen, die zur vollständigen
Charakterisierung der genannten Isotope erforderlich sind.
Isotop Z
1
H
1
2
H
1
1
3
H
1
1
A
1
N
0
1
3
Aufgabe 3
Welche der folgenden Aussagen treffen zu?
(1)
(2)
(3)
(4)
Atomkerne enthalten als Bausteine Protonen, Neutronen
und Elektronen.
Die Masse eines Elektrons ist kleiner als die Masse eines
Protons.
Die Massenzahl der Nuklide ist gleich der Zahl ihrer Protonen.
Die Ordnungszahl eines Nuklids ist gleich der Elektronenzahl in der Atomhülle.
53
5 Wiederholungstest
(A)
(B)
(C)
(D)
nur 1 und 3 sind richtig
nur 2 und 3 sind richtig
nur 2 und 4 sind richtig
nur 3 und 4 sind richtig
Aufgabe 4
Eine Quarzuhr gehe in einem Jahr ∆t = 360 s vor. Wie groß ist etwa
die relative Gangungenauigkeit?
(A)
(B)
(C)
(D)
1 ⋅ 10 −5
1 ⋅ 10 −4
1 ⋅ 10 −3
1 ⋅ 10 −2
5.2
Lösungen der Testfragen
Aufgabe 1
Aufgabe 2
Isotop Z
1
1
H
A
1
N
0
2
H
1
1
2
1
3
H
1
1
3
2
1
Aufgabe 3
C
Aufgabe 4
A
.
54
E
(
360 s
) ≈ 1 ⋅ 10 −5 )
365 ⋅ 24 ⋅ 3600 s
5.2 Lösungen der Testfragen
55
6 Zusammenfassung
6
Zusammenfassung
Physikalische Theorien basieren immer auf Modellvorstellungen,
deren Anwendbarkeit durch Gültigkeitsgrenzen beschränkt ist. Die
Modellvorstellungen werden dabei von Zweckmäßigkeitsgründen
bestimmt.
Alle Materie ist unabhängig von ihrem Aggregatzustand fest, flüssig
oder gasförmig aus Atomen oder Molekülen aufgebaut. Die Atome
sind die kleinsten Bestandteile der chemischen Elemente, während
die Moleküle die Bausteine der chemischen Verbindungen darstellen.
Die Moleküle werden ihrerseits durch Atomverbände gebildet. Atome bestehen aus einer elektrisch negativ geladenen Atomhülle und
einem elektrisch positiv geladenen Atomkern. Sie sind nach außen
elektrisch neutral. Für die vollständige Charakterisierung eines chemischen Elements mit dem Elementsymbol X gilt die Kurzschreibweise
Ar
X.
Z
A r ist die relative Atommasse und Z die Ordnungszahl.
Es gilt:
Ordnungszahl = Kernladungszahl.
Die relative Atommasse ist auf die Atommassenkonstante
1
u = m a (12 C) bezogen.
12
Masse eines Atoms m a
Ar =
Atommassenkonstante u
Die relative Atommasse ist die Maßzahl der molaren Masse, d.h. der
Masse mit der Stoffmenge n = 1 mol. Gemäß der chemischen Summenformel ergibt sich die relative Molekülmasse aus der Summe der
relativen Atommassen, der am Aufbau des Moleküls beteiligten
Atome. Die im Zentrum der Atome befindlichen Atomkerne bestehen aus A = N + Z Nukleonen, d.h. aus Z Protonen und N elektrisch
neutralen Neutronen.
Für den arithmetischen Mittelwert x einer Reihe von Messwerten
desselben Merkmals einer physikalischen Größe erhält man
x=
1 n
∑x
n i =1 i
Für den so definierten Mittelwert nimmt die Summe der sog. Fehlern
quadrate
∑ (x − x i ) 2
ein Minimum an. Die Zahl
i =1
s=+
56
1 n
(x − x i ) 2
∑
n − 1 i =1
5.2 Lösungen der Testfragen
ist ein Maß für die Abweichung der Einzelmesswerte einer Messreihe von ihrem Mittelwert. Sie wird Streuung s oder für großen Stichprobenumfang n Standardabweichung σ genannt.
Eine Zufallsgröße X heißt normalverteilt, wenn ihre Wahrscheinlichkeitsdichte w(x) durch die Gaußsche Glockenkurve beschrieben
wird. Da in einem Experiment stets nur endlich viele Messwerte
erfasst werden können, kann die Messgröße nur näherungsweise mit
einer Normalverteilung übereinstimmen. Für normalverteilte Zufallsgrößen liegen S% aller Werte im abgeschlossenen Intervall
[µ − kσ, µ + kσ] , welches für festes k einen Streubereich definiert.
Die Größe S heißt statistische Sicherheit oder Vertrauensbereich.
µ + kσ
S=
∫ w (x )dx
µ − kσ
k
S/%
1
68,3
2
95,5
3
99,7
4
99,994
Besteht zwischen zwei physikalischen Größen x und y ein linearer
Zusammenhang, dann kann aus einer Messreihe mit n experimentellen Wertepaaren ( x i , y i ) die Ausgleichsgerade y = ax + b durch die
Messwerte mithilfe der linearen Regression ermittelt werden. Mit
1 n
1 n
den Abkürzungen x = ∑ x i und y = ∑ y i ergibt sich für die
n i =1
n i =1
Ausgleichsgerade die Gleichung:
y − y = a (x − x)
Für den Regressionskoeffizienten a folgt:
a=
1 n
∑ x y − xy
n i =1 i i
1 n 2
∑ x − x2
n i =1 i
Wird die Ausgleichsgerade durch die Funktionsgleichung y = ax + b
beschrieben, so folgt für b:
b = y − ax .
57
7 Übungen
7
Übungen
7.1
Übungsaufgaben
Aufgabe 1 (E)
Die einfachste Gitterstruktur stellt das kubisch primitive Gitter dar.
Es handelt sich dabei um eine würfelförmige Elementarzelle, dessen
Kantenlänge gleich der Gitterkonstanten a ist. Auf den acht Eckpunkten befinden sich Atome, die als harte sich berührende Kugeln
mit Radien r = a/2 aufgefasst werden können. Der Raumerfüllungsgrad RE dieser Kristallstruktur ist das Verhältnis der Volumina der
in der kubischen Elementarzelle eingeschlossenen atomaren Kugelsektoren VA zum Gesamtvolumen VE der Elementarzelle.
Berechnen Sie RE =
VA
VE
!
Aufgabe 2 (E)
Ist die Anzahl der Atome in einem Kilogramm Beryllium im Vergleich mit der entsprechenden Anzahl in einem Kilogramm Aluminium größer, kleiner oder gleich? Begründen Sie Ihre Entscheidung!
Aufgabe 3 (E)
Bei der Verbrennung von reinem Kohlenstoff an Luft entsteht Kohlendioxidgas CO 2 entsprechend der chemischen Reaktionsgleichung
C + O 2 → CO 2 . Wie viel kg Sauerstoff benötigt man zur vollständigen Verbrennung von 60 kg Kohlenstoff?
Aufgabe 4 (E)
Wodurch unterscheiden sich die Atomkerne verschiedener chemischer Elemente voneinander?
Aufgabe 5 (E)
Worin unterscheiden sich die Isotope eines Elements?
Aufgabe 6(E)
Welcher Unterschied besteht zwischen den Nukliden
und
58
238
U?
92
235
U
92
7.2 Lösungen der Übungsaufgaben
Aufgabe 7 (E)
Silizium besitzt die relative Atommasse A r = 28 und Sauerstoff
A r = 16 (gerundete Werte). Geben Sie die relative Molekülmasse
M r von Siliziumdioxid (Quarz) mit der chemischen Summenformel
SiO 2 an.
Aufgabe 8 (E)
Das Schwermetall Blei besteht aus einem Nuklidgemisch aus vier
Isotopen mit folgenden Anteilen am natürlichen Vorkommen:
(1,48 %),
206
Pb
82
(23,6 %),
207
Pb
82
(22,6 %) und
208
Pb
82
204
Pb
82
(52,3 %).
Berechnen Sie die relative Atommasse A r von natürlichem Blei.
Benutzen Sie dabei die Näherung m p ≈ m n ≈ u .
Aufgabe 9 (E)
Eine physikalische Größe x wird n-mal unabhängig voneinander
gemessen. Man erhält eine Messreihe vom Stichprobenumfang n mit
den Einzelmessergebnissen x 1 , x 2 , x 3 , ..., x n . Die statistische Auswertung der Messungen liefert den Mittelwert x . Welchen Wert
n
nimmt dann die Größe
∑ ( x − x I ) an, die als Summe der Abweii =1
chungen der Einzelmesswerte vom Mittelwert definiert ist?
7.2
Lösungen der Übungsaufgaben
Lösung der Aufgabe 1
Da an jeder der acht Ecken der kubischen Elementarzelle mit der
Kantenlänge (Gitterkonstante) a eine achtel Kugel liegt, ist das von
den Atomen innerhalb der Elementarzelle ausgefüllte Volumen
gleich dem Kugelvolumen mit dem Radius r = a/2.
VA =
R=
4π 3 4π 3
r =
a und VE = a 3
3
3⋅8
VA
VE
=
4π ⋅ a 3
3 ⋅8 ⋅ a3
= 0,524
Das kubisch primitive Gitter besitzt somit einen Raumerfüllungsgrad
von RE = 52,4 %.
59
7 Übungen
Lösung der Aufgabe 2
Ein Mol eines chemischen Elements enthält N A Atome und entspricht einer Masse, die durch die relative Atommasse A r gemessen
in Gramm gegeben ist. Die universelle Konstante N A heißt
Avogadro-Konstante.
A r (Be) = 9,0121
und
A r (Al) = 26,9815 .
In einem Kilogramm befinden sich demnach
und nur
1000
N Be-Atome
9,0121 A
1000
N Al-Atome.
26,9815 A
Lösung der Aufgabe 3
Zur vollständigen Verbrennung von einem Mol atomaren Kohlenstoff (C) wird ein Mol molekularer Sauerstoff ( O 2 ) benötigt. Wegen
A r (C) = 12 und M r ( O 2 ) = 32 folgt: Zur Verbrennung von 12 g
Kohlenstoff sind 32 g Sauerstoff erforderlich. Entsprechend braucht
man für 60 kg Kohlenstoff 160 kg Sauerstoff. Bei der Verbrennung
werden 220 kg Kohlendioxidgas freigesetzt.
Lösung der Aufgabe 4
Die Atomkerne verschiedener Elemente unterscheiden sich durch
ihre unterschiedliche Kernladungszahl Z.
Lösung der Aufgabe 5
Die Isotope eines chemischen Elements besitzen dieselbe Kernladungszahl und unterscheiden sich durch ihre unterschiedliche Neutronenzahl N. Damit ist auch ihre Nukleonenzahl N und ihre Massenzahl A unterschiedlich.
Lösung der Aufgabe 6
Es handelt sich hierbei um die beiden natürlichen Isotope U-235 und
U-238 des Urans. Die Atomkerne des Isotops U-235 bestehen aus
N = A − Z = 235 − 92 = 143 Neutronen. Die Atomkerne des Isotops
U-238 bestehen aus N = A − Z = 238 − 92 = 146 Neutronen.
60
7.2 Lösungen der Übungsaufgaben
Lösung der Aufgabe 7
M r = ∑ A r ,i = 28 + 16 + 16 = 60
Lösung der Aufgabe 8
Die relative Atommasse A r gilt:
A r = ∑ pi ⋅ Ai
i
Für die relativen Häufigkeiten p i am natürlichem Vorkommen eines
n
Elementes aus n Isotopen gilt:
∑ pi = 1
i =1
Für natürliches Blei erhält man: A r (Pb) = 207,2 .
Lösung der Aufgabe 9
Wegen x =
1 n
∑ x ist
n i =1 i
n
n
n
i =1
i =1
i =1
n
∑ x i = nx .
i =1
∑ ( x − x I ) = ∑ x − ∑ x i = nx − nx = 0
61
Anhang
Anhang
A1
62
Griechisches Alphabet
A
α
Alpha
N
ν
Ny
B
β
Beta
Ξ
ξ
Xi
Γ
γ
Gamma
O
ο
Omikron
∆
δ
Delta
Π
π
Pi
E
ε
Epsilon
Ρ
ρ
Rho
Z
ζ
Zeta
Σ
σ
Sigma
H
η
Eta
Τ
τ
Tau
Θ
ϑ
Theta
Υ
υ
Ypsilon
Ι
ι
Jota
Φ
ϕ
Phi
K
κ
Kappa
Χ
χ
Chi
Λ
λ
Lambda
Ψ
ψ Psi
M
µ
My
Ω
ω Omega
Anhang
A2
Formelzeichen
Symbol
Benennung
Einheit
η
Viskosität
Pa ⋅ s
µ
Mittelwert
1
ρ
Dichte
kg/m3
ϑ
Celsiustemperatur
°C
ϑS
Schmelztemperatur
°C
ϑV
Siedetemperatur
°C
σ
Standardabweichung
1
A
Massenzahl
1
A
Nukleonenzahl
1
Ar
relative Atommasse
1
e
Elementarladung
As
me
Elektronenmasse
kg
mH
H-Atommasse
kg
mn
Neutronenmasse
kg
mp
Protonenmasse
kg
Mr
relative Molekülmasse
1
ν
Teilchendichte
m-3
n
natürliche Zahl
1
n
Stoffmenge
mol
N
Neutronenzahl
1
q
elektrische Ladung
As
r
Radius
m
RE
Raumerfüllungsgrad
1
RA
Atomradius
m
RK
Kernradius
m
s
Streuung
1
T
Temperatur
K
u
Atommassenkonstante
kg
V
Volumen
m3
x
Mittelwert
1
Z
Kernladungszahl
1
Z
Ordnungszahl
1
63
Anhang
A3
Literaturauswahl
Honerkamp, J.
Die Entdeckung des Unvorstellbaren
Spektrum, Heidelberg
Gränicher, H.
Messung beendet – was nun?
vdf Hochschulverlag,
Zürich
Leute, U.:
Physik und ihre Anwendungen
in Technik und Umwelt,
Hanser, München
Lindner, H.:
Physik für Ingenieure,
Vieweg, Braunschweig
Aufgrund fortlaufender Aktualisierung seitens der Verlage, wurde auf
die Nennung der jeweils gültigen Auflage sowie auf das Erscheinungsjahr verzichtet.
64