Schreibübung März 2016 Der erzählende Dialog 3: Charakterisierung von Nebenfiguren Der Dialog im erzählenden Text kann vieles. In einer Übung haben wir uns bereits mit der Spannungserzeugung beschäftigt, mit Ausgangs- und Endpunkt des Dialogs bei den Figuren. Wir werden bei Gelegenheit noch auf die handlungstreibende Funktion zu sprechen kommen. Eine weitere wichtige Aufgabe besteht in der Charakterisierung von Figuren. Heute greifen wir aus diesem Komplex die Charakterisierung von Nebenfiguren heraus. Nebenfiguren treten weit weniger häufig als Hauptpersonen auf. Das hat Konsequenzen bei ihrer Gestaltung. Sie werden weit weniger stark ausdifferenziert, haben weniger Charakterzüge, sind je nach Bedeutung im Text eher stereotyp gestaltet. Vor allem, dass sie quantitativ weniger häufig auftreten, heißt, dass wir sie stärker und profilierter gestalten müssen, als Hauptfiguren, die langsam in einer fortlaufenden Beschreibung den ganzen Text über – sozusagen zug um Zug - in ihren Besonderheiten enthüllt werden. Deswegen muss man bei Nebenfiguren den Dialog anders gestalten als bei Hauptfiguren. Der Dialog eignet sich für die Charakterisierung deswegen so gut, weil wir mit ihm ein schnelles unverwechselbares eigentümliches Bild erzeugen können. Was im Laufe eines langen Textes sich für Hauptfiguren als störend erweisen kann, ist im Dialog von Vorteil. Zum Beispiel der Dialekt oder dialektale Wendungen. Eine Hauptfigur, die in der direkten Rede über mehrere hundert Seiten Dialekt spricht, ist auch für einen Sprecher des jeweiligen Dialekts schwer zu lesen. Eine Nebenfigur hingegen kann, darf, soll Dialekt sprechen, weil sie dadurch sich charakterisiert, den Text in besonderer Weise färbt, gleichzeitig aber nicht vom Inhalt ablenkt. Genauso darf eine Nebenfigur umständlich reden, sich verhaspeln, alle Arten von seltsamen Sprecheigentümlichkeiten haben. Sie werden nicht stören, sondern zur Atmosphäre des Textes beitragen. Eine Hauptfigur, deren komplexe Sprechweise wir hunderte von Seiten miterleben müssen, kann stören und wird vom eigentlichen Inhalt ablenken. Deswegen deuten wir bei Hauptfiguren etwaige Sprecheigentümlichkeiten am Anfang an, dann nehmen wir sie stark zurück. Bei Nebenfiguren hingegen können sie stabil durchgeführt werden. Der Leser erwartet sie nach einiger Zeit, vergnügt sich an ihnen, wir setzten sie zur Entspannung und humorvollen Tönung ein. Das kennen wir ja aus Film und Funk: Die Kommissare des Fernsehkrimis reden ordentliches Hochdeutsch, die Nebenfiguren der Spurensicherung oft im Dialekt. So war es schon bei Goethe: Die Hauptfiguren sprechen im Faust ordentlich, Nebenfiguren weisen Eigentümlichkeiten wie Fehlstellungen des Verbs im Satz auf Übung: Nehmen Sie eine Nebenfigur Ihres Romans oder einen fernen Verwandten aus Ihrem Leben und überlegen Sie, durch welche Sprecheigentümlichkeit er zu charakterisieren wäre. Sie können auch die Figur nehmen, die Sie im Februar bei Ihrer geschlossenen Beschreibung verwendet haben. Definieren Sie am Anfang das zentrale Anliegen, das Sie vermitteln möchten, den entscheidenden Charakterzug. Schreiben Sie dann einen kurzen Dialog, in dem die Figur in eine Alltagssituation etwas zu erreichen versucht. Achten Sie dabei auch auf Aufgangs- und Endpunkt. Viel Vergnügen Ihr Arwed Vogel
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