Kasus – dekomponiert

Prof.Dr.PeterGallmann
Jena,Sommer2014
Kasus–dekomponiert
Valenz→semantischeRollen→Agentivität→syntaktischerRang
Valenz:Verben(undAdjektive)könnennull,einen,zweioderdreiAktantenalsErgän‐
zungenverlangen.JederdieserAktantenträgteinesemantischeRolle.
Sobald ein Verb mehr einen Aktanten bei sich hat, unterscheiden sie sich im syntakti‐
schenRang.DenAusschlaggibtdasMaßanAgentivitätdersemantischenRolle:
(1)
JeagentiverderAktant,destohöherseinsyntaktischerRang.
NureinAktant→Rangirrelevant:
(2)
a. regnen
x=[]=expletiv(semantischleer)
b. lachen
x=Agens
c. fallen
x=Patiens(nichtagentiv)
MehrereAktanten→dieranghö herenstehenü berdenrangniedrigeren:
(3)
a. suchen
x=Agens
y=Patiens(nichtagentiv)
b.
schenken
x=Agens
y=schwachagentiv,hier:Rezipient
z=Patiens(nichtagentiv)
SyntaktischerRangRangmerkmale
AusdemSatzgliedrangleitensichdierelativenRangmerkmaleab:
(4)
+lr
+hr
=lowerrole=hateinenrangniedrigerenAktantennebensich
=higherrole=hateinenranghöherenAktantennebensich
AndenBeispielenvon(2)und(3):
(5)
a. regnen
x=[]
b. lachen
x=[]
c. fallen
x=[]
d. suchen
x=[+lr],y=[+hr]
Kasus–dekomponiert
e.
2
schenken
x=[+lr]
y=[+lr,+hr]
z=[+hr]
RangmerkmaleKasusmerkmaleKasus
Die Kasus dienen dazu, die relativen Rangmerkmale anzuzeigen. Sie verweisen also
nichtdirektaufdiesemantischenRollen!Grundregeln:
(6)
a.
b.
c.
d.
[]
[+hr] [+lr] [+lr,+hr]
Nominativ
Akkusativ
Ergativ
Dativ
DiesesSystemwäreallerdingsteilweiseüberdeutlich.Insbesondereunterscheidensich
dieSprachenderWeltdarin,inwieweitsie(6b)oder(6c)verwenden.
– Sprachen,dienur(6b)verwenden,bezeichnetmanalsAkkusativsprachen.Zudie‐
sengehörtauchdasDeutsche.Wirkung:DerAktantimNominativ(=Subjekt)istun‐
terspezifizierthinsichtlich[±lr],dasheißt,mansiehtihmnichtan,obereinenweite‐
renAktantennebensichhatodernicht.
– Sprachen, die nur (6c) verwenden, bezeichnet manals Ergativsprachen. Zu diesen
gehörtzumBeispieldasBaskische.HieristderrangniedrigsteAktantunterspezifi‐
ziertinBezugauf[±hr].
– Sprachen, die je nach syntaktischem Kontext teils (6b), teils (6c) verwenden, be‐
zeichnetmanalsSplit‐Ergativ‐Sprachen.ZudiesengehörtzumBeispieldasGeorgi‐
sche.
DamitergibtsichfürunsereBeispielediefolgendenKasusverteilung:
(7)
a. regnen
x=[] Nominativ
b. lachen
x=[] Nominativ
c. fallen
x=[] Nominativ
d. suchen
x=[+lr]
y=[+hr]
[] Nominativ
Akkusativ
e.
schenken
x=[+lr]
[] Nominativ
y=[+lr,+hr] Dativ
z=[+hr]
Akkusativ
Kasus–dekomponiert
3
EntsprechendeSätze
(8)
a.
b.
e.
d.
e.
[NomEs]regnet.
[NomDieZuschauer]lachten.
[NomDieBlätter]fallenvondenBäumen.
[NomOtto]suchte[AkkseinenSchlüssel].
[NomOtto]schenkte[DatseinerFreundin][AkkeinenBlumenstrauß].
SystematischeAbwandlungen
AuchinAkkusativsprachenwirdauf(6b)verzichtet,wennderkonkreteSatzanderwei‐
tigkeinenAktantenimNominativaufweisenwürde;dasistetwainPassivkonstruktio‐
nenderFall.
LexikalischgesteuerteAbwandlungen
VondenvorangehendvorgestelltenRegelnwirdbeibestimmtenVerbenzumZweckder
Kontrasterhöhungabgewichen.Mankannsichdassovorstellen,dassbeidiesenVerben
memoriert werden muss, dass ein bestimmter Aktant ein zusätzliches Merkmal, zum
Beispiel [+lr], trägt. Es handelt sich hier um lexikalisches Wissen (lexemgebundenes
Wissen).
(9)
a. DerHundverfolgte[denHasen].
b. DerHundfolgte[demHasen].
c. DieCholesterinwerteinteressierten[denArzt]sehr.
d. DieCholesterinwertegefielen[demArzt]garnicht.
Fachliteratur
DieterWunderlich:
 Wunderlich,Dieter(2003):Optimalcasepatterns:GermanandIcelandiccompared.
In: Ellen Brandner & Heike Zinsmeister (eds.): New Perspectives on Case Theory.
Stanford:CSLIPublications,331–367.
 Manuskript – in zwei Versionen! – herunterladbar von Wunderlichs ehemaliger
Homepage,UniversitätDüsseldorf:
http://user.phil‐fak.uni‐duesseldorf.de/~wdl/lit‐them.htm
WeiterentwicklungdesAnsatzesu.a.durchBarbaraStiebels,UniversitätLeipzig:
 Stiebels,Barbara(2002):TypologiedesArgumentlinkings:ÖkonomieundExpressi‐
vität(StudiaGrammatica54).Berlin:AkademieVerlag.
 http://www.uni‐leipzig.de/~stiebels/wordpress/publikationen/