Der
DinosaurierPapst
Er pickelt und stochert in der Urzeit.
Paläontologe BEN PABST ist einer der
bedeutendsten Saurierforscher der
Schweiz. Die besten Funde macht er auf
dem grössten Dino-Friedhof Europas:
in Frick im Aargau.
Knochenjäger Tongrube Frick AG:
Ben Pabst, 66, mit Kennerblick
und Forscherfrisur, untersucht
versteinerte Saurierknochen.
SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 43
Fund «15.6.41» Der grösste
Knochen, der Oberschenkel des
Plateosauriers. In den roten
Handy-Flaschen auf dem Areal
ist Wasser zum Wegspülen von
feinem Gestein und Acrylleim
zum Härten der Knochen.
Jahre210
Millionen
lag der Beinknochen
verborgen – jetzt
wird er gehoben
44 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
Wo steckt der nächste Fund?
Nach dem Baggereinsatz sind die
Gesteinsschichten gut zu sehen.
Unten: Schattendasein
Ohne Mithilfe der Freiwilligen
wäre die Grabung zu teuer.
Budget: 50 000 Franken.
Rausgepickelt Der Oberschenkelknochen, in Alu gepackt und eingegipst, zum Abtransport parat.
Oben: Kartografiert
Eine Plastikfolie wird über den
Fundort gelegt, darauf sind alle
Knochen abgezeichnet.
SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 47
TEXT MARCEL HUWYLER
FOTOS MARKUS BÜHLER-RASOM
K
Wilder Westen? Nein, Aargauer
Norden! Grabungsort auf dem
Gelände der Tonwerke Keller AG.
Oben: Das Dino-Dorf Eingangs
Frick steht im Verkehrskreisel ein
Plateosaurier aus Stahl.
48 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
nochentrocken.
Die Ebene glüht
in der Mittagshitze. Der Steinboden
gleisst,
heizt und blendet, zwischen den
Mergel- und Kalkbänken flirrt
die Luft. Neben gewächshausähnlichen Zelten, wie sie Archäo­
logen bei Grabungen verwenden,
kauern Gestalten und hauen,
meis­
seln und pinseln. Sie stochern in der Urzeit, sie graben
­Dinosaurier aus. Eine Szenerie
wie in den heissen Weiten Amerikas, stünden da nicht Chriesibäume und bimmelten Kuhglocken.
AG statt USA. Jurapark Aargau
statt Jurassic Park.
Verlässt man die Autobahn A3
Zürich–Basel bei der Ausfahrt 17,
steht da mitten im Verkehrs­
kreisel – ein Saurier! Vier Meter
hoch, aus Stahl. Willkommen im
Saurierdorf Frick! Der 5000-Einwohner-Ort im Aargau gilt als
grösster Dinofriedhof Europas.
Ein Paläontologe, der sein
­Leben den Sauriern verschrieben
hat, der forscht, aufspürt und
gräbt, bei Wind und Wetter – wie
stellt man sich den vor?
So. Genau so.
Ben Pabst, 66 Jahre alt, drahtig, gewitzt, forscher Blick (Forscherblick!), ist Zürcher, hat eine
heisere Stimme und die blausten Augen der Welt. Mit seinem
kecken Bärtchen und dem weissen, wallenden Haar könnte er
auch in einem Musketier-Film
mitwirken oder als Alain-SutterDouble auftreten. Dr. Ben Pabst
(Zoologe steht im Telefonbuch,
seine Dissertation schrieb er über
die Fressstrategie von Seesternen) gräbt seit 40 Jahren nach
Saurierskeletten. 12 Stück hat er
in den USA gefunden, 35 hier
in Frick, so lautet seine Knochenbilanz. In diesem Sommer sorgt
er einmal mehr für Schlagzeilen.
«Sensationeller Saurier-Fund»,
titelte die «Aargauer Zeitung».
Jetzt steht Pabst da, im Abbau­
gebiet der Tonwerke Keller AG in
Frick (wo seit 120 Jahren Ton für
Backsteine und Ziegel abgebaut
wird), tänzelt zwischen Knochen,
Meisseln und Hämmern herum
und zeigt seinen Schatz.
Das grösste zusammenhängende Saurierskelett, das bisher
in der Schweiz entdeckt wurde,
einer der grössten Plateosaurier
weltweit. 210 Millionen Jahre alt,
Pflanzenfresser, acht Meter lang,
eine Tonne schwer, mit 60-Zentimeter-Klauenfüssen.
Seit 1976 wird in Frick wissenschaftlich gegraben; schon damals
ist Ben Pabst als Student mit dabei. Seit 2004 leitet er die Gra­
bungen. Wie weiss er, wo suchen?
Eine Mischung aus Erfahrung,
Intuition und Zufall seis. Ein
Bagger mit zahnloser Schaufel
­
schabt jeweils sachte Gestein weg,
während Pabst daneben steht.
­Erspäht er etwas, das nach Knochen aussieht, wird nachgeschaut,
nachgekratzt, die Fläche abgesperrt, und die Grabung beginnt.
Fünf Saurier fand Pabst diesen
Sommer auf einer Fläche, so gross
wie ein Basketballfeld.
Entdecken ist eine Sache, ausgraben ein ganz andere. Wahre
Knochenarbeit.
Wo Sonnenschirme stehen,
wird geforscht. Wie Markiernadeln auf einer Landkarte stecken
sie überall auf dem Areal. Pabsts
Team besteht aus Profis und erfahrenen Laien. Rolf Schweizer
etwa, 58, Industriemeister, hat extra zwei Monate Ferien genommen. Mit einer Aale stichelt er an
Zehenknochen herum. Lehrreich
und spannend sei es, «ein Abenteuer auf kleinstem Raum», sagt
Schweizer und beugt sich – mit
dem fiebrigen Blick, wie er Goldgräbern und Glücksrittern eigen
ist – wieder über die Zehenreste.
Markant «Ich
geh nicht gern
zum Coiffeur.»
Ben Pabst mit
weissem, wallendem Haar.
Skelette aus dem Gestein zu
holen, sagt Pabst, erfordere den
Kraftakt eines Bauarbeiters und
die Feinarbeit eines Uhrmachers.
Letzteres kann Rabea Lillich, 40,
bestätigen. Die Paläontologin
pinzettelt an Rippenknöchlein
herum. Dünn wie Spaghetti seien
die «und zerbrechlich – wie rohe
Spaghetti». Etwas weiter vorne
brummt ein Staubsauger. Ursina
Bachmann, 31, geologische Präparatorin, säubert einen Mordsknochen – die Entdeckung des Tages.
Fundstück «15.6.41». Der
rechte Oberschenkelknochen des
Plateosaurus misst 75 Zentimeter und steckt im Gestein. Die
Beschriftung der Funde hat System: 15 (bedeutet das Jahr, also
2015), 6 (6. Saurier, der hier heuer
ge­funden wurde), 41 (fortlaufende Anzahl Knochenstücke dieses
Tieres). Um «15.6.41» kümmert
sich Dino-Papst Pabst persönlich.
Ben Pabst. Heisst mit vollem
Namen Benedikt Pabst. Er sagt
das genüsslich, schweigt dann,
schmunzelt und lässt dem Zuhörer Zeit, sich gebührend zu wundern. Benedikt Pabst – Papst Benedikt. Die Namensvetternschaft
mit dem emeritierten Heiligen
Vater, Papst Benedikt XVI., führe
oft zu verzückten Reaktionen,
sagt der Paläontologe. Autogramme müsse er hin und wieder geben, will er Klosterbauten besichtigen, öffnet ihm seine Anmeldung «Hallo, hier ist der Pabst»
jede Pforte, und ein Hotelier in
Bayern (wo der echte Papst a. D.
herkommt) liess ihn gar gratis
nächtigen. Seine «Jesusfrisur»
habe übrigens keinen klerikalen Hintergrund. Ben Pabst
mag ganz einfach das Haareschneiden nicht sonderlich. Letztmals beim
Coiffeur war er mit
16 Jahren, zweimal
im Jahr schnippelt
er sich seine Frisur
selber zurecht. u
u Damit Sonne und Regen die
Knochen nicht zerstören, werden
sie mit Acrylleim durchtränkt
und so fixiert. Jedes Teammitglied hat zwei alte, rote HandyAbwaschmittel-Flaschen bei sich.
«Die haben einen guten Stand,
kippen nicht um, und dank der
Farbe kann man sie nicht verlieren», rechtfertigt Pabst die ungewöhnliche Materialwahl. In der
einen Flasche (mit «W» beschriftet) befindet sich Wasser, mit dem
man feines Gestein lösen kann, in
der «A»-Flasche ist Acrylleim.
Während «15.6.41» sein Acrylbad bekommt, erläutert Pabst,
wie Frick vor 210 Millionen Jahren aussah. Selbst jetzt, beim
Erzählen, ist er andauernd am
­
Forschen, zerbröselt Brocken,
schaut, ob was drinsteckt, und
grübelt mit der Aale im Erdreich.
«Frick war damals wie Pakistan
heute», beschreibt Pabst das
­Klima. Ein Monsun-Gebiet, eine
Ebene mit Wasserläufen. Die Saurier kamen an die Wasserstellen,
blieben im Schlamm stecken und
verendeten. «Darum finden wir
viele Tiere in Frosch-Stellung. Sie
versuchten, sich freizustrampeln.»
Ben ist fünf, als er erstmals
gräbt. An der Hauswand entdeckt
der Bub ein Fossil und klopft es
heraus. Auch Tiere interessieren
ihn, als erstes Haustier hält er
sich Feuerwanzen. Ben studiert
Meeresbiologie, in all den Jahren
aber lässt ihn die Faszination
für Fossilien nicht los. Er wählt
einen Mittelweg – und gräbt nach
versteinerten Fischen. Dann begegnet er Hans-Jakob Siber, dem
Gründer des Sauriermuseums
Aathal ZH, mit ihm gräbt Ben in
Peru nach Wal-Skeletten und in
den USA nach Sauriern. Dort ist
Ben mit dabei, als man 1991 «Big
Al», einen Acht-Meter-Allosaurus findet – eine Weltsensation.
Pabst ist eine Art umgekehrter
Grosswildjäger, er erweckt Jahrmillionen alte tote Tiere zu neu50 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
Knochen für Knochen,
wie ein
Puzzle
fügt er alles zusammen
em Leben. Klar sei vieles beim
Graben längst Routine, sagt Pabst,
und doch spüre er jedes Mal aufs
Neue wieder dieses Kribbeln:
«Was finden wir heute?»
«15.6.41» und andere Knochen sind mittlerweile mit Acrylleim gehärtet. Pabst legt eine
Plastikfolie über die Fundstelle
und zeichnet mit Filzstift die
Knochen darauf nach. Dieser Bauplan wird später benötigt, wenn
die Knochen präpariert und zu
­einem Skelett zusammengesetzt
werden. Das geschieht dann Monate später in der Werkstatt des
Sauriermuseums in Aathal.
Den Auftrag zur Grabung
­erteilt der Kanton Aargau, finanziert mit 50 000 Franken aus dem
Lotteriefonds. Das reicht knapp
zum Graben, für die Präparation
des Sauriers bleibt wenig übrig.
Sponsoren würden vieles erleichtern, meint Pabst, vielleicht übernehme ein Museum die Kosten
und erhalte dafür ein Skelett als
Leihgabe. Seit 1991 existiert im
Selber forschen Primarschulhaus Frick zwar ein
Das Saurier­
kleines (aber enorm feines) Saumuseum Frick
riermuseum, neue Funde haben
ist offen: jeden
dort aber kaum Platz.
Sonntag von
14 bis 17 Uhr.
Unerwarteter Besuch. Ein
Selber Fossilien Ehepaar schaut vorbei, pen­
sio­
suchen: «Klopf- nier­te Güggeli-Züchter vom Murplatz» südwesttensee. Sie sind Fans von ­Saurilich des
Bahnhofs Frick. ern – und von Ben. Sie besuchen
seine Vorträge und haben ihm
---------sauriermuseum-frick.ch
gar in den USA bei Grabungen
zugeschaut. Er befasse sich mit
Jahrmillionen alten Dingen, «da
sind halt auch meine Fans etwas
an­
gejahrt», kommentiert Pabst
mit knochentrockenem Humor.
Das Finale. «15.6.41» wird in
Alufolie gekleidet, mit Jutestreifen und Gips eingekleistert, ge­
hoben und in eine Kiste verpackt.
All die Stücke werden zwischengelagert und später präpariert.
Ben Pabst, von welchem Fund
träumen Sie?
«Zur Abwechslung mal in Afrika Knochen von Urmenschen finden und ausgraben, das wärs.»
Dann verrät der Meister
­einen Trick. Wie weiss man, ob
ein Fund Stein oder Knochen
ist? «Zunge dranhalten!», rät
Pabst. «Der Knochen ist so porös,
dass er sich an der Zunge festsaugt.» Im Geiste sieht man all die
Schul­rei­sekinder, die künftig nach
Frick pilgern (Private dürfen auf
dem «Klopfplatz» nach Fossilien
suchen, die Grabung aber nicht
betreten) und gemäss der Zungen-Theorie am Geröll lutschen.
Später Nachmittag, Feierabend, die Sonnenschirme werden
zugeklappt. Die letzten 40 Jahre
fand man in Frick 80 Saurier.
«Und es hat noch mehr», glaubt
Pabst. Die Tonwerke AG werde in
den nächsten Jahrzehnten zwei
Hektaren Fläche bearbeiten, «pro
Hektare sind, selbst bei konser­va­
tiver Schätzung, 500 Saurier verborgen», vermutet Pabst. Und wie
es seine Art ist, stochert er während des Sprechens im Gestein.
Und stutzt. Guckt – strahlt und
deutet auf schwarze Steinadern.
Selbst ohne Zunge weiss er: «Da
liegt bereits der nächste Saurier!»
Ben Pabst wird hier auch im
nächsten Jahr wieder viele Son­
nen­schirme aufspannen. 
Aus Alt mach wieder (fast) Neu
Im Sauriermuseum Aathal ZH
­präpariert Ben Pabst Knochen.
Unten: Kosename «MaX»
Der 16-Meter-Dino, gefunden
in den USA, wird in Aathal
zusammengesetzt.