II Elektromagnetische Felder und der Mensch 3 Wechselwirkungen

II Elektromagnetische Felder und der Mensch
3
Wechselwirkungen zwischen elektromagnetischen Feldern und
dem menschlichen Organismus
3.1
Körpereigene, elektromagnetische Biosignale
3.1.1
3.1.2
3.2
Nervenreizleitung
Gehirnsignale (EEG)
Nichtthermische Wirkungen niederfrequenter Felder
3.2.1
3.2.2
3.3
3.4
(HG)
Wirkungen auf Nervenzellen
Wahrnehmung von Wirkungen an der Körperoberfläche
Wärmewirkung durch hochfrequente Felder
3.3.1
3.3.2
(HG)
(HG)
Mechanismus der Erwärmung
Auswirkungen der Erwärmung
Andere, durch Erwärmung bedingte Effekte
(HG)
Mikrowellenhören
3.5
Zusammenhang zwischen äußeren und inneren Feldgrößen
3.5.1
3.5.2
3.6
3.7
(GN)
Studienarten und deren Bewertung
Zentralnervöse Prozesse
Krebs
Sonstige Untersuchungen
Aktive Implantate
3.7.1
3.7.2
3.7.3
3.7.4
3.7.5
3.8
Eindringen elektrischer und magnetischer Felder in den Körper
Spezifische Absorptionsrate und äußere Feldstärke
Andere Effekte
3.6.1
3.6.2
3.6.3
3.6.4
(HG)
Herzschrittmacher und Defibrillatoren
Hörgeräte und implantierbare Hörhilfen
Neurologische Impulsgeneratoren
Neurostimulatoren
Rückenmarkstimulatoren
Literatur zu Kapitel 3
Elektromagnetische Felder und der Mensch
(GN)
4
Sicherheitsgrenzwerte, -beurteilung und Risikokommunikation
4.1
Sicherheitsgrenzwerte
4.1.1
4.1.2
(GN)
Grenzwertkonzepte
ÖNORM-Grenzwerte
4.2
Anwendung der SAR-Basisgrenzwerte für die Expositionsbeurteilung
bei Mobiltelefonen
(GN)
4.3
Schutzmaßnahmen
(GN)
4.4
Risikowahrnehmung und Risikokommunikation
(GN)
4.5
Messmethoden zur Feldstärkebestimmung
4.5.1
4.5.2
4.5.3
4.6
Breitbandmessungen
Frequenzselektive Messungen
SAR-Messungen
Literatur zu Kapitel 4
Elektromagnetische Felder und der Mensch
(WES)
(WES)
(GN)
3.1
Körpereigene, elektromagnetische Biosignale
3.1.1 Nervenreizleitung
Aufbau der Nervenzelle
Eine Nervenzelle (Neuron) ist eine auf Erregungsleitung spezialisierte Zelle, vgl. Bild 3.1/1.
Das menschliche Gehirn besteht schätzungsweise aus 1011 bis 1012 Nervenzellen.
Eine typische Säugetier-Nervenzelle ist aus Dendriten, dem Zellkörper und einem Axon aufgebaut. Dieser Zellfortsatz kann sehr
lang sein und ermöglicht eine
Erregungsleitung über weite Strecken. Dabei läuft ein elektrisches
Signal durch das Axon. Es wird
erzeugt, indem bestimmte Ionen
gezielt durch die Zellmembran
durchgeschleust werden. Das
Axonende steht über Synapsen,
an denen das Signal chemisch
(seltener elektrisch) weitergegeben wird, mit anderen Nervenzellen oder Empfängerzellen in Verbindung.
Bild 3.1/1: Nervenzelle
Der Zellkörper (Soma) enthält neben dem Zellkern diverse Organellen. Das Soma hat in Abhängigkeit vom Nervenzelltypus eine Größe zwischen 5 und mehr als 100 µm. Es produziert
die Neurotransmitter für die Reizweiterleitung. Die an Dendriten eintreffenden Signale werden im Soma weiter verarbeitet. Das geschieht durch räumliche und zeitliche Summation von
Änderungen des Membranpotentials.
Vom Soma wachsen Fortsätze aus, die Dendriten. Das sind feine plasmatische Verästelungen des Zellkörpers, die über Synapsen den Kontakt zu anderen Nervenzellen herstellen.
Sie empfangen Aktionspotentiale von anderen Neuronen durch deren Axone. Der Dendritenbaum einer einzigen menschlichen Nervenzelle kann mit 100.000 bis 200.000 Fasern anderer Neuronen im Kontakt stehen. Dies ermöglicht eine extrem hochgradige Parallelisierung
der Signalisierung zwischen den Nervenzellen.
An das Soma angesetzt ist der Axonhügel. Das Schwellenpotential des Axonhügels ist stark
reduziert. Es wirkt dadurch als Initialsegment. Von hier aus werden die Aktionspotentiale an
das Axon weitergeleitet. Durch das niedrige Schwellenpotential und die Nähe des Axonhügels zum Zellkörper ist sichergestellt, dass bei einer Erregung der Zelle das Aktionspotential nur an einem Ort entsteht und weitergeleitet wird. Das ist wichtig für die gerichtete Erregungsleitung, da eine Nervenzelle bei ausreichender Reizintensität an jeder Stelle erregt
werden kann und Aktionspotentiale in jede Richtung leitet.
Das Axon ist ein langer Fortsatz der Nervenzellen, der am Axonhügel entspringt. Es ist in der
Regel mehr oder weniger stark verzweigt und mündet in synaptische Endigungen (Synapsen). Ein Axon kann je nach Typ der Nervenzelle von 1 µm bis 1 m und länger sein. Es weist
eine Dicke von 0,5 bis 10 μm auf. Das Axon ist von mehreren aufeinander folgenden Myelinscheiden umhüllt. Das Axon ist zuständig für die Übertragung des Aktionspotentials einer
Nervenzelle und leitet dieses zu den Synapsen und damit an andere Nervenzellen weiter.
Des Weiteren wandern die Stoffe, die im Soma gebildet werden (Neurotransmitter, Enzyme),
durch das Axon zur Synapse. Auch in umgekehrter Richtung, also von der Synapse in Richtung Zellkörper, findet Stofftransport statt.
Die Synapse stellt eine Schnittstelle zwischen Neuronen dar, über die Informationen chemisch übertragen werden kann, vgl. Bild 3.1/2. Am Ende des Axons befinden sich sogenannDr. Garn
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Seite 3.1.1
te Endknöpfchen, welche die Kontaktstelle zwischen zwei Nervenzellen bilden. Die Synapse
enthält die präsynaptische Membran der "Senderzelle", welche die Neurotransmitter nach
einer vorausgegangenen Erregung in den synaptischen Spalt entleert. Ihr gegenüber liegt
die postsynaptische Membran der "Empfängerzelle", welche mit Rezeptoren bestückt ist, an
der die Neurotransmitter binden, um dort sogenannte Ionenkanäle zu öffnen. Zwischen den
beiden Membranen liegt der etwa 30 nm breite synaptische Spalt, welcher mit einer plasmatischen Lösung aufgefüllt ist.
Ein Neuron bildet bis zu 10.000 Synapsen mit anderen Neuronen. Das menschliche Gehirn weist insgesamt etwa eine
Billiarde Synapsen auf. Synapsen von
Nervenzellen verbinden sich auf diese
Weise indirekt untereinander zu einem
neuronalen Netzwerk.
Bild 3.1/2: Chemische Synapse
Elektrochemische Funktionsweise der Nervenzelle
Im Inneren des Axons wie auch außerhalb der Membran existieren Anionen und Kationen.
Sie bestimmen Ladung und elektrische Leitfähigkeit des Mediums. Die Biomembran des
Axons sorgt nun dafür, dass zwischen Innen und Außen verschiedene Konzentrationen der
Ionen bestehen. Das bedeutet, dass an der Außenwand des Axons eine andere elektrische
Ladung anliegt als innen („Polarisation“, Ruhepotential).
Die ungleiche Verteilung der Ionen innerhalb und außerhalb der Zelle sowie selektive
Permeabilitäten der Membrankanäle erzeugen das Membranpotential: Während die Zelle
viele K+-Ionen und wenige Na+- und Cl--Ionen enthält, sind außerhalb der Zelle die Na+- und
Cl--Konzentrationen hoch und die K+-Konzentrationen niedrig. Aufgrund der unterschiedlichen Ionenkonzentrationen diffundieren die in der Zelle hoch konzentrierten K+-Ionen durch
die K+-Kanäle hinaus. Dabei entfernen sie positive Ladungen aus der Zelle, das Zellinnere
wird negativ aufgeladen. Dies wirkt der Diffusion der K+-Ionen entlang ihres Konzentrationsgradienten entgegen. Die negative Aufladung des Zellinneren kommt zum Stillstand, wenn
sie den „Diffusionsdruck“ des Konzentrationsgradienten für K+ gerade aufhebt. Im Zustand
des Fließgleichgewichts passieren auswärts und einwärts gleich viele K+-Ionen die Kanäle.
Das entstehende Potential wird durch die Nernst-Gleichung (3.1-1) angegeben:
Eion =
RT [Ion]außen ,
ln
zF [Ion]innen
(3.1-1)
E = Potential [V]; R = Gaskonstante = 8,314472 J.mol-1.K-1; T = absolute Temperatur [K];
z = Ladungszahl des Ions (negativ f. Anionen); F = Faradaykonstante = 96485,3399 C.mol-1;
[Ion] = betreffende Ionenkonzentration
Für Körpertemperatur (T = 310 K) und ein Verhältnis der Ionenkonzentrationen von [K+]i/[K+]a
= 39 wird daraus z. B. das K+-Gleichgewichtspotential von -97 mV. Die Herstellung und Aufrechterhaltung dieses Potentials erfolgt durch die Natrium-Kalium-Pumpe, vgl. Bild 3.1/3.
Eine Nervenzelle erhält ein Signal, indem Neurotransmitter an spezielle Rezeptoren in der
postsynaptischen Membran in den Dendriten oder auch des Somas der zu erregenden Zelle
anbinden. Ist die Erregung auf diese Weise übertragen, wird sie über die Dendriten an das
Soma der Nervenzelle und von dort zum Axonhügel weitergeleitet. Jede der eingehenden
Depolarisationen an den verschiedenen Synapsen der Nervenzelle verändert dabei das
Membranpotential an der axonalen Membran.
Dr. Garn
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Seite 3.1.2
Das Membranruhepotential EM = -90 mV ist
etwas positiver als das Kaliumgleichgewichtspotential EK = -97 mV. Deshalb strömen K+ durch den K+-Kanal aus. Das Natriumgleichgewichtspotential ENa = + 60 mV
und der Konzentrationsgradient führen trotz
geringer Na+-Permeabilität der Membran zu
einem Na+-Einstrom. K+-Ausstrom und Na+Einstrom werden durch die Na+-K+-Pumpe
kompensiert. Die Cl--Ströme sind beim
Membranpotential -90 mV im Gleichgewicht.
Ein Mol eines Stoffes enthält 6,022.1023 (602 Trilliarden) Teilchen (Avogadro-Konstante) = so viel wie
Atome in 12 Gramm des Nuklids Kohlenstoff-12 (12C). „Teilchen“ = Atome, Moleküle, Ionen, Elektronen, Photonen, sonstige Teilchen oder spezifizierte Gruppen solcher Teilchen.
Bild 3.1/3: Ionenkonzentrationen beim Membranruhepotential
Je näher eine Synapse am Soma ansetzt, desto stärker ist ihr Einfluss auf die Nervenzelle,
je länger der Weg, den die Erregung zurücklegen muss, desto schwächer wird der Einfluss.
Eine stärkere Reizung eines Dendriten resultiert also in einer stärkeren Depolarisierung. Nahezu gleichzeitig einlaufende Reize addieren sich in ihrer Wirkung, was bedeutet, dass sich
innerhalb der Zelle und am Axonhügel ein Erregungspotential aufbaut (Summation).
Im Axonhügel entscheiden nun bestimmte Faktoren nach den Regeln des Alles-oder-nichtsGesetzes über das Auslösen eines Aktionspotentials (Schwellenpotential erreicht und überschritten oder nicht). Ist dies der Fall, kommt es jetzt durch Depolarisation zur Freisetzung
des Aktionspotentials entlang des Axons. Bild 3.1/4 zeigt den Verlauf der Ionenverteilung.
Bild 3.1/4: Verlauf der Ionenverteilung während des Aktionspotentials
Dr. Garn
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.1.3
Die spezifischen Ionenkanäle für Natrium- und Kalium-Ionen öffnen sich in Abhängigkeit vom
Membranpotential, d. h. sie sind spannungsaktiviert. So ist beispielsweise ein spannungsabhängiger Natriumkanal beim Ruhemembranpotential geschlossen und aktivierbar. Bei Depolarisation über einen kanalspezifischen Wert wird der Kanal durchlässig für Ionen und geht in
den Zustand offen über. Der Kanal bleibt aber trotz anhaltender Depolarisation nicht offen,
sondern wird innerhalb weniger Millisekunden unabhängig vom Membranpotential wieder
geschlossen. Das geschieht meist durch einen im Zytoplasma liegenden Teil des Kanalproteins, die Inaktivierungsdomäne, die sich gleich einem „Stöpsel“ in den Kanal setzt und diesen verstopft. Nicht alle Kanäle öffnen sich gleichzeitig bei ein und demselben Wert des
Membranpotentials. Vielmehr ist die Wahrscheinlichkeit eines Kanals, in einen bestimmten
Zustand überzugehen, spannungsabhängig. Aus der rein statistischen Verteilung stellt sich
ein Gleichgewicht ein, so dass eine größere Zahl von Kanälen in der Summe sehr gut das
beschriebene Modell erfüllt.
Auch ist der Zeitaufwand, um von einem Zustand in den anderen überzugehen, kanalspezifisch. Im geschilderten Natriumkanal läuft die Konformationsänderung von geschlossen nach
offen in weniger als einer Millisekunde ab, während ein vergleichbarer Kaliumkanal Zeit in
der Größenordnung von 10 ms benötigt (vgl. Bild 3.1/7a).
Wandert nun ein Aktionspotential durch die Änderung des Konzentrationsgefälles der Ionen
innerhalb des Axons am Axon entlang bis zum Endknöpfchen, so stößt dieser elektrische
Impuls am Ende des Axons an eine Grenze, da eine Übertragung des elektrischen Signals
durch den synaptischen Spalt zwischen den beiden Zellen nicht möglich ist. Der Reiz wird
chemisch über die Synapsen weitergeleitet und mittels Neurotransmitter auf eine andere
Zelle übertragen. Sobald ein Aktionspotential ausgelöst wurde, braucht die Zelle Zeit
(Refraktärphase), um das Membranpotential wieder aufzubauen (Repolarisation), vgl. Bild
3.1/5.
Während der Refraktärphase kann kein neues
Aktionspotential ausgelöst werden. Wenn also von
nacheinander einlaufenden Reizen einer so stark
ist, dass die Zelle ein Aktionspotential bildet und
der nachfolgende Reiz während der Refraktärzeit
einläuft, bildet die Zelle dafür kein neues Aktionspotential aus.
Je mehr Aktionspotentiale die Zelle pro Sekunde
abfeuert (je nach Zelltyp bis zu 500 mal), desto
stärker ist der Reiz.
Bild 3.1/5: Verlauf des Aktionspotentials
Elektrische Erregung der Zellmembran
Bild 3.1/6 zeigt das Ersatzschaltbild der Zellmembran. Die über die Zellmembran fließende
Stromdichte Jm ist durch (3.1-2) gegeben.
Die Leitwerte für die Ionen sind nichtlineare, komplexe Funktionen der sogenannten Aktivierungs- und Deaktivierungsvariablen, die aus Differentialgleichungen berechnet werden. Bild
3.1/7 zeigt die Beiträge der Ionenströme zum gesamten Strom über die Membran. Dies erklärt den Zeitverlauf des Aktionspotentials.
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Seite 3.1.4
J m = cm
dU
+ ( J K + J Na + J L ) , (3.1-2)
dt
cm
Membrankapazität
gNa, gK nichtlineare Leitwerte für Na+ und
K+
gL
linearer Leitwert für den
Leckstrom
JK, JNa Ionenstromdichten;
JL
Leckstromdichte;
EK, ENa, EL Nernstpotentiale.
Bild 3.1/6: Ersatzschaltbild der Zellmembran (nach Hodgkin-Huxley)
a) Leitwerte und Membranspannung
b) K+ und Na+ Ionenströme
Bild 3.1/7: Elektrochemische Vorgänge an der Zellmembran während der Ausbreitung eines
Aktionspotentials
An der Zellmembran wirken hohe elektrische Kräfte: Bei einem Membranruhepotential von
- 90 mV und einer Membrandicke von etwa 10 nm beträgt die Spannung 9 kV/mm (!).
(Durchschlagsfestigkeit trockener Luft: 2-3 kV/mm; Glas: 10 kV/mm.) Die Leitfähigkeiten der
Membran für die Ionenströme sind eng mit dem elektrischen Feld verknüpft. Änderungen des
chemischen Ruhezustands bewirken Veränderungen der elektrischen Eigenschaften. Diese
Änderungen verursachen die funktionalen Reaktionen der Nerven und Muskeln.
Signalcodierung
Alle Informationen, die die Nerven übertragen sollen, müssen als Frequenz von Aktionspotentialen „codiert“ werden. Langdauernde Depolarisationen lösen Serien von Aktionspotentialen aus, in denen die Frequenz der Impulse zur Stärke der Depolarisation proportional ist.
Bild 3.1/8 zeigt, wie eine Zelle auf das Einschalten eines Reizstromes von 1 nA oder von 4
nA antwortet. Der geringe Strom von 1 nA führt zu einer langsam ansteigenden, elektrotonischen Depolarisation, die in Fortsetzung der strichlierten Kurve ihren Endwert finden würde.
Vor dem Einstellen des Endwertes erreicht jedoch die Depolarisation die Schwelle und löst
ein Aktionspotential aus. Dieses hyperpolarisiert nach der Repolarisation über das Ruhepotential hinaus, dann folgt eine langsame Depolarisation, nach etwa 0,5 s wird die Schwelle
erreicht und ein weiteres Aktionspotential ausgelöst. Dieser Zyklus kann sich wiederholen,
solange der depolarisierende Strom fließt. Die Dauerdepolarisation wird somit in eine rhythmische Aktionspotentialauslösung mit etwa 2 Hz umgesetzt.
Beim stärkeren Strom von etwa 4 nA erfolgt grundsätzlich das gleiche wie bei 1 nA, nur die
Steilheit und die Amplitude der (strichlierten) Dauerdepolarisation sind größer und entsprechend die Frequenz der erzeugten Aktionspotentiale höher: Sie liegt anfänglich bei 7 Hz und
nimmt auf 4 Hz ab. Diese langsame Abnahme einer Frequenz bei gleichbleibendem Reizstrom ist wird „Adaption“ genannt. Insgesamt ist also die Amplitude des Reizstromes bzw.
der Depolarisation in entsprechende Aktionspotentialfrequenzen umcodiert worden.
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Seite 3.1.5
a) Der depolarisierende Strom von 1 nA in ein Neuron
erzeugt ein elektrotonisches (durch gleichbleibenden Stromfluss ausgelöstes) Potential, das in eine
Dauerdepolarisation von etwa – 20 mV münden
würde (strichliert), wenn nicht die Schwelle zur
Auslösung eines Aktionspotentials überschritten
würde. Die Aktionspotentiale wiederholen sich
rhythmisch, solange der Stromfluss anhält.
b) Der Strom von 4 nA erzeugt ein elektrotonisches
Potential, das fast 0 mV erreichen würde
(strichliert). Es wird jedoch eine Serie von Aktionspotentialen mit einer höheren Wiederholrate ausgelöst als bei 1 nA.
Bild 3.1/8: Rhythmische Impulsbildung, ausgelöst durch einen andauernden Reizstrom
Optische Reize
Die optischen Sensoren befinden sich in
der Netzhaut (Retina). Sie besteht aus
fünf Schichten hoch
spezialisierter Nervenzellen, vgl. Bild
3.1/9.
Bild 3.1/9: Photosensoren in der Retina und Schema der Reaktion einzelner Neurone
Die Photosensoren sind die Stäbchen und Zäpfchen:
¾ Stäbchen: Durchmesser 3 µm; 120 Millionen; sehr lichtempfindlich (1 Photon Æ 1 mV)
¾ Zapfen: Durchmesser: 2 µm; 6 Millionen; rot-grün-blau; brauchen 200 Photonen
In den Stäbchen befindet sich der Sehfarbstoff Rhodopsin mit einem Absorptionsmaximum
bei 500 nm (Æ Sehen bei Mondlicht). Die Sehfarbstoffe der Zapfen befinden sich in den
Membraneinfaltungen. Sie zeichnen sich durch andere Absorptionsmaxima aus (Æ Farbsehen bei Tageslicht).
Im Dunkeln sind die Photosensoren durch einen ständig erhöhten Na+- und Ca++-Einstrom
auf – 30 mV depolarisiert, vgl. Bild 3.1/10. In den Stäbchen werden Lichtquanten von der
chromophoren Gruppe des Rhodopsins absorbiert. Daraufhin laufen im Millisekundenbereich
chemische Prozesse ab, die eine Verminderung der Permeabilität der äußeren Stäbchenmembran für Natrium- und Kalziumionen bewirken. Das führt zu einer Hyperpolarisation der
Photosensormembran unter Lichteinfluss auf bis zu – 70 mV. Folge ist eine verminderte
Transmitterausschüttung an den Synapsen der Photosensoren.
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Seite 3.1.6
Bild 3.1/10: Anatomie
eines Photosensors
(Stäbchen) mit
Na+/Ca++-Dunkelstrom
(a) und Signalkette
der Phototransduktion
(b, c)
Amakrinzellen sind Neurone in der Netzhaut der Wirbeltiere (über 20 Typen). Sie interagieren synaptisch mit den Axonen der Bipolarzellen und den Dendriten der retinalen Ganglienzellen (1 Million) und sorgen – ähnlich wie die Horizontalzellen – für laterale Verbindungen
innerhalb der Netzhaut. Amakrinzellen formen bzw. modulieren so den Signalfluss von den
Fotorezeptoren über die Bipolarzellen zu den Ganglienzellen. Hell, Dunkel, Farbe, etc. wird
durch das „Feuern“ verschiedener Ganglien signalisiert (Bild 3.1/9b).
Retinale Ganglienzellen sind Neuronen. Sie senden visuelle Informationen mittels Aktionspotentialen über lange Axonen (Sehnerv) bis ins Gehirn (Thalamus, Hypothalamus, Mittelhirn).
Man unterscheidet fünf verschiedene Typen von Ganglien. Die beiden wichtigsten sind:
¾ Parvo Zellen:
- Langwelliges Licht: Erhöhte Rate im Aktionspotential; kurzwelliges Licht: geringere
Spikefrequenz Æ Farbsehen
- Feuern so lange als der Stimulus anliegt
- Axonen haben geringeren Durchmesser, leiten elektrische Reize nur langsamer weiter
- Haben kleinere Rezeptorfelder und ermöglichen daher höhere Auflösung
¾ Magno Zellen:
-
Keine Farbwahrnehmung
hohe Zeitauflösung, bessere Wahrnehmung von Bewegungen
Dickere Axonen, schnellere Reizleitung
haben größere Rezeptorfelder Æ höhere Lichtempfindlichkeit
Das Magnozellen-System dient zur generellen Detektion oder Warnung vor Gefahren.
Magnozellen haben wir vor allem in der Peripherie der Retina („where system“).
Sobald ein Objekt detektiert wurde, wird die Detailinformation (räumliche Details, Farbe) vom
Parvo System geliefert. Parvozellen kommen vor allem in der Fovea (im Zentrum der Netzhaut) vor („what system“).
Retinaimplantate sollen in Zukunft blinden Personen wieder optische Wahrnehmungen ermöglichen. Voraussetzung ist ein intakter Sehnerv. Durch elektronisch nachgebildete „Aktionspotentiale“ können die Axonen der Ganglien (Sehnerv) künstlich erregt und im Gehirn
optische Reizwahrnehmungen erzeugt werden. Die Signale kann man entweder aus Videokameras mit entsprechend umgeformten Signalen oder aus der sogenannten „Silicon Retina“
gewinnen. Letztere besteht aus einem CMOS-Bildsensor, der die fünf Verarbeitungsebenen
von den Photorezeptoren bis zu den Ganglien elektronisch nachbildet. Besonders schwierig
ist die Schnittstelle zwischen CMOS-Chip und Sehnerv.
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Seite 3.1.7
Akustische Reize
Die Aufnahme akustischer Reize erfolgt durch die Haarzellen im Innenohr. Haarzellen bestehen aus einem Zellkörper und den Namen gebenden haarähnlichen Strukturen, die zur Aufnahme des Reizes dienen. Diese Haarbündel sitzen der Zelle am oberen Ende auf und bestehen aus einer Zilie und mehreren Stereozilien. Die einzelnen Stereozilien sind an den
Spitzen miteinander verbunden. Diese „Tip-Links“ dienen der Reizaufnahme. Am unteren,
dem Haarbündel entgegen gesetzten Ende der Zelle befindet sich eine Region, in der die
Erregung der Haarzelle zu einer Ausschüttung von Neurotransmittern führt. Hier bilden
Haarzellen Synapsen mit Interneuronen, die die Information in Form von Aktionspotentialen
weiter in das zentrale Nervensystem tragen.
Die Tip-Links setzen bei einer der beiden Stereozilien an einem Ionenkanal an, der je nach
Spannung durch den Tip-Link geöffnet oder geschlossen wird. Die Öffnung der Kanäle führt
zu einem Einstrom positiver Kaliumionen, die die Zelle damit depolarisieren. Ohne eine auslenkende Kraft, die auf das Haarbündel wirkt, sind die Kanäle nur teilweise geöffnet – die
Zelle ist also in Ruhe mittelmäßig erregt. Bei Auslenkungen der Stereozilien in Richtung der
Zilien werden die Kanäle geöffnet und führen über den K+-Einstrom zu einer Erregung der
Haarzelle. Auslenkungen entgegen der Zilie schließen die Kanäle. Bewegungen auf einer
anderen Achse als der durch die Zilienanordnung bestimmten führen zu keiner Veränderung
der Kanalöffnung und spielen damit keine Rolle für den Erregungszustand der Zelle.
Links:
Hemmung
Mitte:
ohne Reizung
Rechts: Erregung
Bild 3.1/11: Schematische Darstellung der Haarzellen
Anders als die meisten Sinneszellen bilden Haarzellen keine Aktionspotentiale aus. Die
Menge der ausgeschütteten Transmitter wird von der Höhe des Rezeptorpotentials bestimmt, welches wiederum von der Auslenkung der Stereozilien abhängt. Bei Haarzellen im
Innenohr des Menschen spricht man daher auch von einem Mikrophonpotential.
In der Hörschnecke (Cochlea) des menschlichen Innenohres finden sich drei Reihen von
äußeren und eine Reihe von inneren Haarzellen. Die sensorische Aufnahme mechanischer
Bewegungen in der Cochlea erfolgt fast ausschließlich durch die inneren Haarzellen.
Grün: Haarzellen
Unter Teil links: Innere Haarzellen
Oben rechts: Drei Reihen äußerer Haarzellen
Die feinen oberen Enden der inneren Haarzellen
sind die Stereozilien, die in den flüssigkeitsgefüllten Zwischenraum hineinragen.
Blau: Zellkerne der inneren Haarzellen
Rot: Neuronen, die mit Synapsen an den inneren
Haarzellen ankoppeln
Bild 3.1/12: Haarzellen im Corti-Organ
Das Corti-Organ transformiert die akustischen, mechanischen Schwingungen in die Nervensignale in der Schnecke des Innenohrs, vgl. Bild 3.1/13. Es enthält die inneren und äußeren
Haarzellen, beim Menschen in jedem Ohr etwa 15.000 Stück. Die äußeren Haarzellen besitzen Kontakt zur Deckmembran (Tektorialmembran). Sie werden durch die Verschiebung
depolarisiert, wodurch sich Kalium-Kanäle öffnen und schließen. Durch die hohe Kaliumionenkonzentration geschieht dies besonders schnell und effektiv. Die Depolarisation führt zu
einer oszillierenden Längenänderung der Haarzellen, welche sich auf die Basilarmembran
überträgt. Dadurch kommt es zu einer lokalen Verstärkung des Reizes auf die inneren Haarzellen (Cochleärer Verstärker).
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Seite 3.1.8
Bild 3.1/13: a) Schematische Darstellung des Ohres und b) Corti-Organ (Querschnittsbild
durch die Gehörschnecke)
Die inneren Haarzellen werden ebenfalls depolarisiert. Die Depolarisation führt zur Bildung
eines Aktionspotentials, welches die Information über den gehörten Ton elektrisch an das
Gehirn weiterleitet. Dies erfolgt über den Hör-Gleichgewichtsnerv, der aus etwa 30.000 Nervenfasern besteht.
Tritt der Schall in das Innenohr ein, erzeugt er dort eine Welle, die durch das Innenohr wandert (Wanderwelle). Sie lenkt mittels der Tektorialmembran die Sinneshärchen der äußeren,
nicht jedoch die der inneren Haarzellen aus (Die äußeren Haarzellen, nicht jedoch die inneren, berühren über der Basilarmembran eine zweite Membran, die so genannte Tektorialmembran).
Basilarmembran und Schneckenkanal wirken hierbei als mechanisches Resonatorsystem.
Da die Breite der Basilarmembran vom ovalen Fenster zum Helicotrema hin zunimmt, der
Durchmesser des knöchernen Schneckenkanals jedoch abnimmt, ändern sich die mechanischen Eigenschaften (Massenbelag, Steife, Dämpfung) und damit auch die Schwingungseigenschaften des Systems in Abhängigkeit vom Abstand zum Helicotrema. Dies führt dazu,
dass die Basilarmembran für unterschiedliche Frequenzen an unterschiedlichen Stellen in
Resonanz gerät. Durch die hohe Steife der Basilarmembran erzeugen hohe Frequenzen in
der Nähe des ovalen Fensters ein Auslenkungsmaximum, tiefe Frequenzen dagegen erst in
der Nähe des Helicotrema.
Muskelansteuerung
Die Kraftwirkung des Muskels wird durch die Bewegung von Aktin- und Myosinfilamenten
ausgelöst, die sich ineinander schieben. Dabei bindet jeweils ein Myosinkopf abwechselnd,
so dass quasi „ein Fuß nach dem anderen“ vorgesetzt wird. Die Bewegung erfolgt gerichtet,
da Myosin auf dem Aktinfilament nur in eine Richtung wandern kann. Die Motoraktivität wird
durch den sogenannten Querbrückenzyklus beschrieben, vgl. Bild 3.1/14.
Ausgelöst wird der Querbrückenzyklus über motorische Nervenfasern, die auf den Muskelfasern enden. Die Endplatten dieser Nerven übertragen Aktionspotentiale an die Muskelfasern.
Phase 1
Myosin bindet an Aktin
Phase 2
Myosinköpfchen spalten
ATP zu ADP und Phosphat und führen dabei
ihren Kraftschlag aus.
Phase 3
Myosinköpfchen lösen
sich unter Aufnahme von
ATP vom Aktin.
Phase 4
Myosin im Ruhezustand
Bild 3.1/14: Querbrückenzyklus (Myosin: gelb; Aktin: rosa)
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Seite 3.1.9
3.1.2 Gehirnsignale (EEG)
Die Elektroenzephalografie (EEG) misst Potentialschwankungen an der Kopfoberfläche. Die
elektrischen Potentiale am Kopf entstehen durch physiologische Vorgänge an den einzelnen
Gehirnzellen, die durch ihre elektrischen Zustandsänderungen zur Informationsverarbeitung
des Gehirns beitragen. Entsprechend ihrer spezifischen räumlichen Anordnung addieren sich
die von einzelnen Neuronen erzeugten Potenziale auf, so dass sich über den gesamten Kopf
verteilte Potenzialänderungen messen lassen.
Die Elektroden für das EEG werden üblicherweise in dem genormten „10-20 System“ angebracht, vgl. Bild 3.1/15. Es finden jedoch auch alternative Montagen wie das „10-10 System“
oder invasive Ableitungen (Elektrokortikogramm, ECoG) Anwendung. Die Ortsauflösung des
üblichen EEGs liegt bei mehreren Zentimetern.
Bild 3.1/15: Elektrodenmontagen zur EEG-Ableitung nach dem internationalen 10-20 System
Da die auf der Kopfhaut zu messenden Signale in der Größenordnung von 5 bis 100 μV liegen, wird ein empfindlicher Messverstärker benötigt. Zur Unterdrückung des allgegenwärtigen Netzbrummens und anderer Störungen wird ein Differenzverstärker mit hoher Gleichtaktunterdrückung eingesetzt. Dabei ist es wichtig, den Kontaktwiderstand der Elektroden zur
Kopfhaut gering zu halten, da sonst doch wieder Unsymmetrien entstehen, die zu erhöhter
50 Hz Einstreuung führen.
EEG-Frequenzbänder
Die makroskopisch sichtbare elektrische Hirnaktivität kann Motive aufweisen, die rhythmischer Aktivität gleichen. Grundsätzlich gleicht das EEG jedoch dem 1/f Rauschen und enthält
keine lang andauernden Oszillationen.
Verschiedene Wachheitsgrade und Aktivitätszustände werden von Änderungen des Frequenzspektrums der EEG-Signale begleitet, so dass sich durch eine Analyse der gemessenen Spannungskurven vage Aussagen über den Bewusstseinszustand treffen lassen.
Das EEG wird meist in folgende Frequenzbänder eingeteilt, vgl. Bild 3.1/16:
¾ Delta-Wellen: 1 bis 4 Hz; typisch für die traumlose Tiefschlafphase
¾ Theta-Wellen 4 bis 8 Hz; leichte Schlafphasen
¾ Alpha-Wellen: 8 bis 12 Hz; leichte Entspannung bzw. entspannte Wachheit bei geschlossenen Augen; mit dem Öffnen der Augen „Blockierung“ (Abschwächung) des AlphaGrundrhythmus und Übergang in den Beta-Bereich; Der gleiche Effekt entsteht bei geschlossenen Augen, wenn man z. B. eine einfache Rechenaufgabe im Kopf zu lösen beginnt.
¾ Beta-Wellen: 12 bis 30 Hz; Betawellen entstehen bei kognitiven Aktivitäten, aber auch als
Folge der Einwirkung bestimmter Psychopharmaka oder im REM-Schlaf. Physiologisch
treten β-Oszillationen außerdem z. B. beim konstanten Halten einer Kraft auf.
¾ Gamma-Wellen: Frequenzbereich über 30 Hz; bei starker Konzentration oder Lernprozessen
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Delta-Wellen
Theta-Wellen
Alpha-Wellen
Beta-Wellen
Gamma-Wellen
Summensignal
Bild 3.1/16: EEG-Frequenzbänder (Länge der Intervalle: 1 Sekunde)
Bild 3.1/17 zeigt ein EEG bei geschlossenen und bei geöffneten Augen. Man erkennt die
Augenartefakte in den beiden präfrontalen Ableitungen. Die beiden okzipitalen Kanäle zeigen
eine Abschwächung („Blockade“) des Alpha-Rhythmus mit dem Öffnen der Augen.
Bild 3.1/18 zeigt die Spektren eines EEG-Signals.
Bild 3.1/17: EEG-Aufnahme nach dem 10-20 System, mit Elektro-Okulogrammen und EKG
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Seite 3.1.11
Bild 3.1/18: Spektren eines EEG-Signals
Potentialschwankungen mit einer zeitlichen Dauer von einer bis mehreren Sekunden treten
ebenfalls auf („slow cortical potentials“, SCP). Mit 100 bis 200 µV sind sie um ein Vielfaches
stärker als die EEG-Wellen Delta bis Gamma. SCPs werden mittels Hochpassfilter ausgefiltert.
Besondere Signalformen sind „K-Komplexe“ und „Schlafspindeln“ in der Non-REM Schlafphase (NREM) Nummer Zwei, vgl. Bild 3.1/18.
Bild 3.1/18: „K-Komplexe“
und „Schlafspindeln“
Anwendungen des EEG liegen einerseits in der neurologischen Diagnostik (Epilepsie, Hirntod, Koma, Schlafmedizin, Demenz) und Psychologie (Depression, Schizophrenie), anderseits bei Brain-Computer Interfaces für medizinische Anwendungen (Kommunikation mit
Schwergelähmten, Rehabilitation) und Computerspiele.
Als nichtpharmakologische Therapiemaßnahmen werden bei verschiedensten Erkrankungen
Biofeedbacksysteme angeboten und eingesetzt, z.B. Migräne, AufmerksamkeitsdefizitSyndrom, Autismus, Inkontinenz u.a. Beim Neurofeedback (EEG-Feedback) werden die verstärkten Signale aus dem Kortex signaltechnisch ausgewertet. Das Ergebnis sind Feedbackparameter (z.B. absolute Leistung in einem bestimmten Frequenzbereich), die permanent an
den/die Probanden/In visuell/akustisch rückgemeldet werden. In Kombination mit einer Zielvorgabe für die Feedbackparameter versucht der/die Proband/In die Feedbackparameter in
die gewünschte Richtung zu verändern (z.B. Steigerung der Leistung in einem bestimmten
Frequenzbereich). Neurofeedback bietet somit die Möglichkeit, die eigene Gehirnaktivität in
einem Feedback Szenario vermittelt zu bekommen und diese graduell und willentlich zu beeinflussen. Im Rahmen von Neurofeedback Sitzungen (typ.- 10-20) können „Responder“ Methoden zur Gehirnkonditionierung entwickeln und verinnerlichen, die später auch ohne Neurofeedback-Umgebung abgerufen werden können.
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Seite 3.1.12
Kennwerte des EEG sind z. B.
¾ Spektrale Leistungsdichte und Verhältniszahlen der Leistungsdichten in den einzelnen
Frequenzbändern
¾ Komplexität (Maßzahlen sind z. B. Entropie, fraktale Dimension)
¾ Synchronität (Korrelationskoeffizient, Kohärenz, Phasensynchronität, Ereignissynchronität)
¾ Räumliche Verteilung und Intensitäten der neuronalen Aktivität (topographisch dargestellt
als äquivalente Dipolquellen)
Ereigniskorrelierte Potentiale
Als ereigniskorrelierte Potentiale (EKP, engl.: event-related potentials, ERP ) werden Wellenformen im EEG bezeichnet, die entweder von Sinneswahrnehmungen ausgelöst (evoziert)
oder mit kognitiven Prozessen (z. B. Aufmerksamkeit und Sprachverarbeitung) korreliert
sind, vgl. Bild 3.1/19.
Je nachdem, wie lange nach einem Ereignis
eine Komponente (v. a. positive oder negative
Latenzen) im EEG auftritt, kann man diese
verschiedenen Gehirnbereichen zuordnen.
Frühe Komponenten (0–10 ms) werden dem
Hirnstamm zugeordnet, mittlere Komponenten
(bis 100 ms) dem Thalamus und späte oder
langsame Komponenten (bis 200 ms) dem
Cortex.
Bild 3.1/19: Schematische Darstellung des
Verlaufs ereigniskorrelierter Potentiale bei
der Aufnahme und Verarbeitung eines visuellen oder auditiven Reizes
In der Neurologie, klinischen Psychologie, Psychiatrie und Psycholinguistik unterstützt die
Erfassung ereigniskorrelierter Potenziale die Diagnosestellung für Patienten.
Die sogenannte Mismatch Negativity (MMN, N2a) bezeichnet eine negative EKPKomponente, die ca. 150-250 ms nach einer Stimuluspräsentation nur dann auftritt, wenn ein
neuer Stimulus im Vergleich zu zuvor präsentierten, gleichartigen Stimuli bzgl. Frequenz,
Dauer, Ort oder Intensität abweicht. Zum Teil wird die MMN auch durch Abweichungen bei
komplexen Stimuli, wie bspw. bei kurzen Melodien evoziert (passive-oddball-design für auditive Reize).
Die P300, eine positive Welle ungefähr 300 ms nach dem Reiz, wird dadurch ausgelöst,
dass ein seltener Zielreiz appliziert wird, zum Beispiel bei auditorischer Reizung ein abweichender Ton oder bei visueller Reizung ein abweichendes Bild (sog. Oddball-Paradigma).
Die P300 tritt jedoch auch bei der Präsentation aufgabenrelevanter Reize auf, weshalb sie in
P3a und P3b unterteilt wird.
Die P300 wird häufig auch als Aufmerksamkeitsmaß verwendet: Die Amplitude der P300
kann darüber Aufschluss geben, wie eine Person Stimuli kategorisiert und wie deren Bedeutung subjektiv eingeschätzt wird. Die Komponente taucht aber nur dann auf, wenn die Person aktiv, also attentional, nach Reizen sucht. Auch die Anwendung zur Lügendetektion
wurde erfolgreich demonstriert.
Latenzen und Amplituden der evozierten Potentiale sind Indikatoren für die Qualität der Informationsübertragung im Gehirn und spielen daher in der Diagnose von Nerven- und Gehirnerkrankungen sowie in der Gehirnforschung eine bedeutende Rolle.
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Seite 3.1.13
Quellenanalyse (Low resolution brain electromagnetic tomography, LORETA)
Die primären Generatoren der im EEG registrierten Wellenvorgänge und Potentialschwankungen sind synaptische Ströme. Diese Stromflüsse über die neuronalen Membrane fungieren als winzige Stromquellen und –senken. Für jedes Neuron muss der gesamte Fluss von
Ladungen (hinein und hinaus) in Summe null ausmachen.
Das Feld eines einzelnen Neurons ist zu schwach, um im EEG messbar zu sein. Die im EEG
detektierten Signale stammen vielmehr aus Volumenbereichen mit untereinander verbundenen Neuronen, deren synaptische Ströme zeitlich korreliert sind.
Die kortikalen Pyramidenzellen (besonders große Nervenzellen, die beim Menschen 85 %
aller Nervenzellen ausmachen) in der Großhirnrinde sind besonders gut geeignet, im EEG
registrierbare Potentiale zu erzeugen: Sie haben verlängerte Dendriten, die systematisch
säulenförmig aneinander ausgerichtet sind und im rechten Winkel zur Kortexschichte stehen,
vgl. Bild 3.1/20. Erregende und inhibitorische synaptische Inputs von verschiedenen Zellpopulationen haben charakteristische flächenhafte Verteilungen, die in charakteristischen
räumlichen und zeitlichen Mustern der synaptischen Summenströme in verschiedenen
Schichttiefen des Kortex resultieren. Diese Stromflüsse sind typischer Weise entlang der
kortikalen Schicht stark korreliert.
Bezogen auf die Schichtdicke haben die EEG-Messpunkte großen Abstand. Daher können
die Stromverteilungen innerhalb eines Stückes Kortex durch kleine, dipolförmige Stromquellen repräsentiert werden, die im rechten Winkel zur jeweiligen Kortexfläche ausgerichtet sind
und deren Stärke zeitlich variiert. Die Kopplung zwischen den Dipolstärken und den an der
Kopfoberfläche gemessenen elektrischen Feldern kann damit einfach als Summe bzw. Integral über alle Volumenbereiche berechnet werden.
Left: Excitatory postsynaptic potentials (EPSPs) are generated at the apical dendritic tree of a cortical
pyramidal cell and trigger the generation of a current that flows through the volume conductor from the
non-excited membrane of the soma and basal dendrites to the apical dendritic tree sustaining the
EPSPs. Some of the current takes the shortest route between the source and the sink by travelling
within the dendritic trunk (primary current in blue), while conservation of electric charges imposes that
the current loop be closed with extracellular currents flowing even through the most distant part of the
volume conductor (secondary currents in red). Center: Large cortical pyramidal nerve cells are organized in macro-assemblies with their dendrites normally oriented to the local cortical surface. This spatial arrangement and the simultaneous activation of a large population of these cells contribute to the
spatio-temporal superposition of the elemental activity of every cell, resulting in a current flow that
generates detectable EEG and MEG signals. Right: Functional networks made of these cortical cell
assemblies and distributed at possibly multiple brain locations are thus the putative main generators of
MEG and EEG signals.
Bild 3.1/20: Netzwerke kortikaler Neuronengruppen als Erzeuger der EEG-Signale
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Seite 3.1.14
Ansatz
Die gesamte Stromdichte im Kopf besteht aus zwei Komponenten: Einem primären (oder
treibenden) Stromfluss JP(r´), der der tatsächlichen Aktivität der Neuronen entspricht, und
dem im Volumen fließenden Strom JV(r´), der von der Wirkung des elektrischen Feldes auf
die extrazellulären Ladungsträger herrührt.
J(r´) = JP(r´) + JV(r´) = JP(r´) + σ(r´).E(r´) = JP(r´) - σ(r´).∇V(r´),
(3.1-3)
wobei
σ … Leitfähigkeit des Gewebes im Kopf
V … elektrisches Potential
E = - grad V
Die Divergenz des Gesamtstromes muss (im quasistatischen Fall, der hier gegeben ist) null
sein (1. Maxwellgleichung mit ∂D/∂t = 0, div rot = 0 Æ div J = 0). Also
ΔV = ∇JP/σ
(3.1-4)
Die Lösung dieser Poissongleichung führt auf das elektrische Potential am Aufpunkt r. Integriert wird über das Volumen G, das die Quelle(n) enthält. Für den unendlich ausgedehnten,
homogenen Raum würde (3.1-5) gelten:
V (r ) =
1
J
4πσ ∫
P
r − r´
(r´)
r − r´
G
3
dr´
(3.1-5)
Betrachten wir die Quellen, die sich in einem vergleichsweise kleinen Volumenbereich am
Ort r0 befinden. Der Beobachtungspunkt r ist ein Stück davon entfernt. Die primäre Stromdichte JP kann in diesem Fall gut durch einen äquivalenten „Stromdipol“ als Punktquelle repräsentiert werden.
JP(r´) = m.δ(r´-r0),
(3.1-6)
wobei
δ (r) … Diracfunktion
∫
Moment m ≡ J P (r´)dr´ .
(3.1-7)
Damit wird
V (r ) =
1
4πσ
m
r − r0
r − r0
(3.1-8)
3
Das inverse Problem führt auf die Berechnung der Dipolstromquellen, die die Potentiale an
der Kopfoberfläche erzeugen. Diese Potentiale werden im EEG gemessen.
Die Quellenanalyse beinhaltet selbstverständlich Ungenauigkeiten:
¾ Die gemessenen Signale sind von Rauschen überlagert.
¾ Das Modell für die Kopplung zwischen den Stromquellen im Kortex und den gemessenen
Potentialen ist zu grob.
¾ Unterbestimmtheit bzw. Mehrdeutigkeit des inversen Problems bewirkt begrenzte Auflösung in der Schätzung.
Die Quellenanalyse liefert aber sowohl in der Neurologie als auch in der Gehirnforschung
wertvolle Aufschlüsse über die Topographie der Gehirnaktivität, vgl. Bild 3.1/21.
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Seite 3.1.15
Bild 3.1/21: Ergebnis der
Quellenlokalisation der
Gehirnströme von
Alzheimerpatienten (AD)
und gesunden Vergleichspersonen (normal elderly,
Nold)
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Seite 3.1.16
3.2
Nichtthermische Wirkungen niederfrequenter Felder
3.2.1 Wirkungen auf Nervenzellen
Reizwirkungsmodell
Den Mechanismus der Reizwirkung elektrischer Ströme auf Nervenzellen kann man analog
zu dem Modell von Hodgkin-Huxley darstellen, vgl. Bild 3.1/16. Wird nun durch das äußere
Feld ein Strom eingeprägt, der über die hochohmigen Zellmembran fließt, so entsteht dort
eine polarisierende oder depolarisierende Spannung, vgl. Bild 3.2/1. Erreicht eine depolarisierende Spannung den Wert des so genannten Aktionspotentials (bei vielen Axonen im peripheren Nervensystem bei ca. -50 bis – 55 mV), so wird der Nervenreiz ausgelöst. Im gegenteiligen Fall (zusätzliche Polarisierung, d.h. noch stärker negatives Potential im Zellinneren), wird die Erregbarkeit der Nervenzelle vermindert.
a) Strom fließt durch lang gestreckte Nervenzelle b) Vereinfachtes elektrisches Ersatzschaltbild
Bild 3.2/1: Modell für die Reizwirkung auf Nervenzellen
Aus Bild 3.2/1b kann man einfache Gleichungen für den Zeitverlauf von Ladung und Spannung an der Membran sowie für die Zeitkonstante der Aufladung herleiten: Betrachten wir
einen Strom i(t), der zum Zeitpunkt t = 0 nach einer Stufenfunktion von der Amplitude 0 auf 1
geschaltet wird. Dann gilt
uM (t ) = i R (t ).R = I .R .( 1 − e
−t
τM
)
(3.2-1)
mit
τM = rm.cm .. Membran-Zeitkonstante
cm ………… Kapazität eines Membransegmentes
rm ……........ Widerstand eines Membransegmentes.
Für die Stromstärke IA eines Stromimpulses, der an der Membran innerhalb der Zeit t die
Spannung UA (Aktionspotential) erzeugen soll, gilt
UA
I A = R −t τ .
1− e M
(3.2-2)
Für t → ∞ wird IA = UA/R.
Die Ladung QA, die erforderlich ist, um an der Membran die Spannung UA zu erzeugen, ist
Q A = I A .t =
UA
t
.
.
−t
R 1 − e τM
(3.2-3)
Bild 3.2/2 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Strom und Ladung an der Membran.
Weiters sieht man den Energieverbrauch zur Erzeugung einer Stimulation in Abhängigkeit
von der auf eine gewebespezifische Konstante normierten Impulsdauer.
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Seite 3.2.1
Bild 3.2/2: Berechneter Zusammenhang von Strom,
Ladung und Energieverbrauch für die Erreichung der Stimulationsschwelle an einer
Zellmembran bei Anregung mit einem
rechteckförmigen, unipolaren Stromimpuls
Kompliziertere Rechenmodelle existieren, liefern jedoch qualitativ gleiche Ergebnisse wie
das einfache Modell. Experimentell bestimmte Werte der Membran-Zeitkonstanten hängen
stark von der Gewebeart ab. Ein typischer Mittelwert für periphere Nervenzellen ist 0,3 ms,
für den Herzmuskel 3 ms.
Schwellwerte der Stromstärke/Stromdichte bzw. Gewebefeldstärke für die Stimulation von
Nervenzellen bei Niederfrequenz und bei Impulsen
Bei der Charakterisierung der Empfindlichkeit von Nervenzellen gegenüber elektromagnetischen Reizen wurden früher vorwiegend Stromdichten verwendet, heute verwendet man
hingegen Gewebefeldstärken.
Bei markscheidenhaltigen Nervenfasern im peripheren Nervensystem des Menschen liegt
die Reizschwelle bei einer Gewebefeldstärke von 4-6 V/m. Bei stärkerem Stimulus entstehen
Unbehagen und dann Schmerz. Die niedrigste Schwelle für eine nicht mehr tolerierbare Nervenreizung setzt man 20 % über dem Mittelwert der Wahrnehmungsschwelle an (ICNIRP).
Für die Reizschwelle im Cortex werden für gepulste Felder etwa 10 V/m angegeben. Dies
bestimmt man durch transkranielle magnetische Stimulation.
Oberhalb von ca. 1 kHz steigen die Schwellwerte an, weil die Zeit, die für die Akkumulation
von Ladung zur Verfügung steht, immer kürzer wird. Unterhalb von ca. 10 Hz steigen sie
ebenfalls an, weil sich die Nervenzelle an den langsamen Depolarisationsstimulus anpasst.
Muskelzellen sind wesentlich unempfindlicher als Nervenzellen. Besondere Beachtung verdient hier der Herzmuskel, bei dem jede anormale Funktion lebensgefährlich sein kann. Die
Fibrillationsschwellen liegen jedoch noch um zumindest einen Faktor 50 über den Reizschwellen für Muskelfasern. Hier beginnen die Schwellen bereits oberhalb von ca. 120 Hz
anzusteigen, aufgrund der wesentlich längeren Zeitkonstanten der Muskelzellen im Vergleich
zu markscheidenhaltigen Nervenfasern.
Bild 3.2/3 zeigt, dass verschiedene Signalformen auch geringfügig unterschiedlich starke
Nervenreizung bewirken. Diese Unterschiede liegen jedoch in der Größenordnung der Modellierungsungenauigkeit. Sowohl bei sinusförmigen als auch bei rechteckförmigen Signalen
erkennt man eine Abhängigkeit des Schwellwertes für eine Stimulation von der Anzahl der
Perioden, während derer der Strom fließt, vgl. die Bilder 3.2/4 und 3.2/5.
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Seite 3.2.2
Bild 3.2/3: Zusammenhang zwischen der Stromstärke
zur Erreichung des Aktionspotentials und der
Zeitdauer der Erregung
bei verschiedenen Signalformen
Bild 3.2/4: Schwellwert der
Stromstärke für Stimulation als Funktion
der Anzahl der Perioden, während derer
der Strom fließt
(Experiment bis zur 4. Periode in
180 ° - Schritten, dann 360 ° - Schritte)
Bild 3.2/5: Abhängigkeit der Reizschwelle von der Anzahl der Impulse bei rechteckförmigen
Signalen
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Seite 3.2.3
Effekte, die unterhalb der Stimulationsschwelle auftreten
Sowohl bei in-vitro als auch bei in-vivo Experimenten findet man Effekte, die unterhalb der
Stimulationsschwellen auftreten. Für die inhibitorische Wirkung einer polarisierenden Gewebefeldstärke ist dies evident. Die Empfindlichkeit von Gehirnzellen des Hippocampus wurde
z.B. einem in-vitro Experiment gemessen. Abhängig von der polarisierenden Gewebefeldstärke veränderte sich die Spikeamplitude bei Reizung mit 25 bis 250 ms langen Pulsen, vgl.
Bild 3.2-6.
Bild 3.2-6: Änderung der Spikeamplitude bei
Gehirnzellen (Hippocampus) in Abhängigkeit
von der Gewebefeldstärke (in-vitro Experiment)
Ein in-vivo nachgewiesener Effekt, der auch unterhalb der genannten Reizschwellen auftritt,
ist die Induktion sogenannter Phosphene. Er bewirkt die Wahrnehmung flackernder Lichterscheinungen an der Peripherie des Sehfeldes. Die minimale Flussdichte zur Auslösung von
Magnetophosphenen beträgt bei 20 Hz ca. 5 mT und steigt sowohl bei niedrigeren als auch
bei höheren Frequenzen an. Man nimmt an, dass das elektrische Feld hier direkt die Nervenzellen in der Retina anregt. Die entsprechenden elektrischen Feldstärken liegen bei ca.
50-100 mV/m bei 20 Hz.
Bild 3.2/7a zeigt Ergebnisse eines Experimentes, in dem bei acht Versuchspersonen mittels
Elektroden am Hinterkopf („transcranial alternating current stimulation“, tACS) Phosphene
ausgelöst wurden. Beim stärksten Stimulationsstrom von 1000 µA betrug das Maximum der
Stromdichte unter der Stimulationselektrode 83 µA/cm2.Das Intensitätsmaximum der Wahrnehmungen trat in der Dunkelheit bei ca. 12 Hz auf, in beleuchteter Umgebung bei ca. 18 Hz.
Bild 3.2/7b zeigt die Wahrnehmungsschwellen. Bild 3.2/8 gibt die von den Versuchsperson
berichteten Wahrnehmungen wieder (Phosphene in grau).
Bild 3.2/7: a) Frequenzverlauf der Phosphene
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b) Stimulationsschwellen für Phosphene
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.2.4
Bild 3.2/8: Zeichnungen der von sechs Versuchspersonen wahrgenommenen Phosphene
Bild 3.2/9 zeigt mittlere Schwellwerte für Stimulation durch Magnetfelder. Es wird Ganzkörperexposition in einem konstanten Feld angenommen. Während Nervenzellen eine Depolarisation von etwa 15 bis 20 mV benötigen, um ein Aktionspotential zu erzeugen, können synaptische Prozesse durch Änderung des präsynaptischen Membranpotentials bereits bei
weniger als 1 mV ausgelöst werden. Relativ geringe Änderungen des präsynaptischen Potentials können damit eine prozentuell wesentlich stärkere Änderung des postsynaptischen
Potentials verursachen. Die postsynaptische Zelle summiert die präsynaptischen Inputs mehrerer Zellen. Hier kann sowohl eine Erregung als auch eine Inhibition entstehen. Die Synapsen sind damit die empfindlichsten Punkte im Nervensystem.
Bild 3.2/10 gibt eine Übersicht der Stromdichte-Schwellwerte für verschiedene Wirkungen an
Nerven- und Muskelzellen als Funktion der Frequenz. Die Mehrzahl der Stromdichte-Daten
stammt aus Tierversuchen. Vor allem hinsichtlich des Frequenzverlaufes ist die Umlegung
der Ergebnisse auf den Menschen mit Unsicherheiten behaftet. Die gezeigten Daten der
Fibrillationsschwellen beinhalten eine Unsicherheit um den Faktor 2 - 3. Bei herzkranken
Personen können auch bei niedrigeren Stromdichten bereits Störungen der Herztätigkeit auftreten. Das Bild stammt aus 1983, aber es zeigt recht übersichtlich die Größenordnungen
und Frequenzabhängigkeiten.
Bild 3.2/9: Mittlere Stimulationsschwellen bei Magnetfeldexposition
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Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.2.5
1µA/cm2 = 10 mA/m2
Bild 3.2/10: Schwellenwerte der elektrischen Stromdichte für verschiedene Wirkungen an
Nerven- und Muskelzellen
a1, a2 ….. Stimulation von Sinnesrezeptoren mit Elektroden (Wahrnehmung durch den Probanden)
A ...…..... Alle Kurven oberhalb von Kurve A hängen mit der Erzeugung von Aktionspotentialen zusammen, d. h. mit der Erzeugung von Reizwirkungen an Nerven oder Muskeln durch elektrische Feldstärken bzw. Stromdichten im Körper
b1, b2-b5 . Störung der Herzaktion
b6 ……… Schwellwerte für Kammerflimmern
b7 ……… Auslösung von Extrasystolen
c1, c2 .…. Stimulation von Einzelzellen im Gehirn (Messungen mit Mikroelektroden)
d ………. Reizschwelle für die Nerv-Muskel Erregung nach der Reiztheorie von Schäfer, bezogen auf 50 µA/cm2 bei 50 Hz
e ………. Erzeugung von Membranspannungen von 10 mV durch elektrische Felder in der
Umgebung von Nervenzellen
g ………. Erzeugung von Membranspannungen von 0,1 mV durch elektrische Felder in der
Umgebung von Nervenzellen
h ..…….. Erzeugung von Phosphenen (Lichterscheinungen) im Auge durch Reizung mittels
Elektroden
i ……….. Flimmererscheinungen im Magnetfeld
j ……….. Änderung von Reaktionspotentialen durch Magnetfelder
EEG …... Aus EEG - Signalen berechnete, natürliche mittlere Stromdichten
Zusammenfassung: Oberhalb von Kurve A: Bereich möglicher Schädigung
Unterhalb von Kurve B: Sicherer Bereich
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Seite 3.2.6
3.2.2 Wahrnehmung von Wirkungen an der Körperoberfläche
Wahrnehmung niederfrequenter elektrischer Felder
Für niedrige Frequenzen kann die Körperoberfläche als elektrisch gut leitend angesehen
werden. Sie hat daher in guter Näherung überall Erdpotential. An der Körperoberfläche treten
Feldüberhöhungen von bis zu einem Faktor 20 auf.
Das elektrische Feld bewirkt eine mit der Frequenz wechselnde Aufladung der relativ hochohmigen Behaarung, so dass zwischen den Haaren und der Hautoberfläche Kräfte wirksam werden und eine Vibration des Haarschaftes anregen. Diese Vibration wird über die
Haarwurzel und die Haarzwiebel zu den Haarfollikeln hin übertragen, wo Berührungs- und
Vibrationsrezeptoren die Bewegung registrieren können, vgl. Bild 3.2/11. Das Haar wird mit
der doppelten Feldfrequenz aus seiner Ruhelage abgelenkt.
Die Wahrnehmungen sind daher:
Haarvibrationen
"Kribbeln" der Haut.
Bild 3.2/11: Vibration der Haare im
elektrischen Wechselfeld
Bei Untersuchungen an Personen, die mit erhobener Hand unter einer Hochspannungsleitung stehen, konnte bei 5 % der Probanden eine Wahrnehmung des Feldes ab 1 kV/m festgestellt werden. Eine belästigende Wahrnehmung setzt bei 1 % der Probanden bei erhobenem Arm ab 5,5 kV/m ein, vgl. Bild 3.2/12. Sticheln auf der Haut wird ab 7 kV/m, vibrierendes
Kopfhaar ab 9 kV/m als belästigend empfunden. Unterschiedliche Wetterbedingungen führen
zu keinen signifikanten Änderungen bei den Wahrnehmungen.
Die Frequenzabhängigkeit der Wahrnehmungseffekte ist in Bild 3.2/13 dargestellt.
Bild 3.2/12: Wahrnehmung elektrischer Felder unter Hochspannungsleitungen
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Seite 3.2.7
Bild 3.2/13: Mittlere Wahrnehmungsschwellen für
Haarvibrationen als
Funktionen der Frequenz
Experimentelle Ergebnisse verschiedener Autoren stimmen relativ gut überein. Man findet
stets Unterschiede zwischen den Schwellwerten für Männer, Frauen und Kinder. Allerdings
ist es schwierig, Reizschwellen für die Versuchspersonen exakt zu definieren. Weiters bestehen bei Versuchen unter Hochspannungsleitungen Täuschungsmöglichkeiten durch Außentemperatur, Wind und den Höreffekt ("Surren" der Leitung).
Elektrisierungen
Große, elektrisch leitende Körper, die sich in einem elektromagnetischen Feld befinden, können gegenüber Erde Spannung führen. Berührt man einen solchen Leiter, so können durch
die gegen Erde fließenden Ableitströme spürbare Elektrisierungen auftreten. Von besonders
sensiblen Personen können niederfrequente Ströme bei Dauerkontakt bereits ab 200 µA
wahrgenommen werden. Der Prozentsatz solcher "elektrosensibler" Personen könnte neueren Untersuchungen zufolge 1 - 2 % der Bevölkerung ausmachen. Im allgemeinen wird angenommen, dass für die Durchschnittsbevölkerung die Wahrnehmungsgrenze im Frequenzbereich von 10 Hz - 100 Hz über 0,5 mA liegt. Bei IEC wird die 50 % - Wahrnehmungsgrenze
mit 1 mA angenommen.
Von Erde isolierte, elektrische Leiter, die bei Berührung Elektrisierungen auslösen können,
sind z. B. Dachrinnen, Baugeräte, PKW oder größere Kfz, Werkzeuge oder Weidezäune. Es
erfolgt zunächst ein kurzzeitiger Entladeimpuls, der unmittelbar bei der Berührung auftritt.
Anschließend fließt ein Dauerstrom, der bei weiter bestehen bleibendem Kontakt aus dem
Leiter über die Person gegen Erde fließt.
Ein Dauerstrom von 1 mA bei 50 Hz fließt durch eine aufrecht stehende Person, wenn die
ungestörte elektrische Feldstärke
¾
¾
70 kV/m beträgt, oder
9 bis ca. 11 kV/m beträgt und die Person z. B. einen im Feld stehenden PKW berührt,
vgl. Bild 3.2/14a.
In einer isolierten, plattenförmigen Anordnung entsteht ein Dauerstrom von etwa 3 µA/m2 pro
kV/m, d. h. 1 mA entsteht bei ca. 300 m2.kV/m.
Entladung einer Ladungsmenge von 0,5 µC:
¾
¾
Isolierte Person in einem Feld von 10 kV/m entlädt sich über einen geerdeten Gegenstand
Geerdete Person berührt einen isolierten Leiter von 40 m2 Fläche, Feldstärke 1 kV/m,
vgl. Bild 3.2/14b).
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Seite 3.2.8
a)
Dauerentladung durch eine Person: Erforderliche ungestörte Feldstärke für einen gerade
spürbaren Dauerstrom von 1 mA
b)
Impulsentladung durch eine Person: Erforderliche ungestörte Feldstarke für einen gerade spürbaren Entladungsimpuls von 0,5 µC
Bild 3.2/14: Skizzen von Situationen, in denen spürbare Elektrisierungen bei 50 Hz auftreten
können
Man erkennt aus den in Bild 3.2/14 angegebenen Werten, dass die Feldstärke bzw. die Auffangfläche, die notwendig ist, um einen spürbaren Effekt in einem Feld zu erzeugen, für Mikroschocks (spürbare Entladungen) um etwa eine Größenordnung geringer ist, als für einen
spürbaren Dauerstrom.
Ähnliche Entladungsimpulse können auch infolge elektrostatischer Ladungstrennung auftreten. Zum Beispiel kann sich eine Person mit etwa 100 pF Kapazität beim Aufstehen aus einem Kfz-Sitz aus Kunststoff auf etwa 10 kV aufladen, entsprechend einer Ladungsmenge
von 1 µC.
Wirkungen niederfrequenter Ableitströme
Elektrische Ströme können je nach Stromstärke und Frequenz verschiedene Reaktionen
auslösen, die von einer Wahrnehmung des Stromes durch ein Gefühl der Wärme (Gleichstrom) oder durch ein Prickeln (Wechselstrom) bis zu zwanghaften Muskelkontraktionen und
darüber zu Atemlähmungen und Kammerflimmern reichen.
Tabelle 3.2/1 enthält eine Zusammenstellung der Stromwirkungen, geordnet nach steigender
Stromstärke, für 60 Hz. Werte für 50 Hz unterscheiden sich davon nur geringfügig. Die Werte
gelten für Männer, die Schwellen für Frauen liegen etwa bei 2/3 der angegebenen Werte.
Effektivwert der
Stromstärke (mA)
0,13
0,36
0,49
1,10
9
16
23
100
Reaktion/Schwelle
Wahmehmung bei Berührung
-"Wahrnehmung bei Griffkontakt
-"Unwillkürliche Muskelkontraktionen
(Loslassstrom)
-"Atemschwierigkeiten
Kammerflimmern (Erwachsene mit 70 kg,
Einwirkdauer 3 Sek.)
Prozentsatz der Probanden
(männliche Erwachsene)
1%
50 %
1%
50 %
0,5 %
50 %
50 %
0,5 %
Tab. 3.2/1: Reaktionsschwellen für 60 Hz-Ströme
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Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.2.9
Für Kinder gelten noch niedrigere Werte, z. B. 4,5 mA als 0,5 % Schwelle für die Loslassstromstärke und 35 mA als 0,5 % Schwelle für Kammerflimmern (Kinder mit 20 kg).
Gleichströme werden erst bei höheren Stromstärken wahrgenommen (1 mA: 1 %; 5,2 mA:
40 %, Griffkontakt) als 50 (60) Hz Ströme. Für höhere Frequenzen steigen die Schwellwerte
ebenfalls an. Ströme, die zu einer möglicherweise gefährlichen Schreckreaktion bei der Berührung von Metallteilen führen können, liegen zwischen 2,2 mA und 3,2 mA (50 % Frauen)
je nachdem, wie der Kontakt hergestellt wird. Diese Stromstärken stellen bereits eine gewisse Gefährdung dar. Kontinuierliche Ströme (60 Hz) werden ab 2 mA als unangenehm empfunden.
Wird die Stromstärke weiter gesteigert, so erreicht man die Schwelle der Loslassströme. Dort
kommt es zu unwillkürlichen Muskelkontraktionen, sodass ein einmal gefasster, Strom führender Teil nicht mehr ausgelassen werden kann. Loslassströme stellen an sich noch keine
unmittelbare Gefahr dar, jedoch kommt es bei lang anhaltender Einwirkung von Strömen
über der Loslass- (let-go-) Schwelle zu Atmungsschwierigkeiten und schließlich zum Erstickungstod. Daher müssen Loslassströme bei langer Exposition als lebensgefährlich angesehen werden.
Die Loslassströme sind ähnlich wie die Wahrnehmungsschwellen frequenzabhängig und erreichen die niedrigsten Werte zwischen etwa 15 Hz und 300 Hz. Die 1 % Schwelle für
Gleichstrom liegt bei 60 mA, bei 74 mA sprechen schon 50 % der Probanden an.
Bei noch höheren Stromstärken werden Stromdichten erreicht, bei denen das Herz zu unkoordinierten Kontraktionen angeregt wird, so dass die Pumptätigkeit völlig ausbleibt. Wenn
dieses so genannte Kammerflimmern (Fibrillation) einmal eingesetzt hat, kehrt das Herz nur
selten von selbst in den normalen Rhythmus zurück. Erfolgt keine künstliche Defibrillation, so
tritt der Tod ein.
Aus Tierversuchen kann man schließen, dass die Fibrillationsschwellen dem Gewicht der
Tiere proportional sind und daraus entsprechende Werte für den Menschen ermitteln.
Bild 3.2/15: Loslassströme als
Funktion der Frequenz
Wahrnehmung von Funkenüberschlägen
Greift eine Person auf ein elektrisch geladenes Objekt in einem niederfrequenten elektrischen Feld, so kommt es bereits vor dem Kontakt zu einem Funkenüberschlag. Die Entladung wird ausgelöst, sobald in einem schmalen Spalt zwischen Finger und Leiteroberfläche
die elektrische Durchschlagfeldstarke überschritten wird. Diese Funkenüberschläge werden
wahrgenommen, selbst wenn sie einem Strom entsprechen, der weit unter der Empfindungsschwelle für Dauerkontaktströme liegt, da die lokale Stromdichte auf der Haut hohe Werte
annimmt.
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Seite 3.2.10
Bild 3.2/16 zeigt Mittelwerte der Wahrnehmungsschwellen als Funktionen der Objektkapazität. Berührt man z. B. den Türgriff eines kleinen PKW (Objektkapazität ca. 700 pF), so spürt
man die Entladung ab ca. 600 V. Im Bereich bis C = 575 pF scheint die Wahrnehmungsschwelle von der am Objekt angesammelten elektrischen Energie E = C.U2 abzuhängen, bei
größeren Kapazitäten von der Ladung Q = C.U. Die Wahrnehmungsschwelle hängt auch von
Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit ab und ist bei trockenem Wetter am höchsten. Die
Schwellwerte, bei denen die Empfindungen beginnen, unangenehm zu werden, liegen um
einen Faktor 2 - 4 über den Schwellwerten für die Wahrnehmung.
Bild 3.2/16: Mittlere Wahrnehmungsschwellen für
Funkenüberschläge
bei wiederholter Berührung mit der Fingerspitze (männliche Probanden)
Berührungsströme in Hochfrequenzfeldern
Auch bei Berührung elektrisch leitender Gegenstände, die sich in einem Hochfrequenzfeld
befinden, können Ströme über den Körper gegen Erde fließen. Diese Ströme können je nach
Stromstärke Schreckreaktionen, Schocks oder Verbrennungen hervorrufen. Bild 3.2/17 zeigt
experimentell ermittelte Wahrnehmungsschwellen für Berührungsströme, die heute für die
Grenzwertfestsetzung herangezogen werden.
Bild 3.2/17: Wahrnehmungsschwellen für
Berührungsströme
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Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.2.11
3.3
Wärmewirkung durch hochfrequente Felder
Bei den biologischen Wirkungen elektromagnetischer Felder zeigt sich generell eine starke
Frequenzabhängigkeit, vgl. Bild 3.3/1. Man unterscheidet zwischen der direkten Wärmewirkung, sonstigen durch Temperaturerhöhung bedingten Effekten, und nichtthermischen Effekten. Um nichtthermische Effekte nachweisen zu können, muss im Experiment bei der Feldexposition jede Temperaturerhöhung ausgeschlossen werden. Dies erreicht man z. B. im
Hochfrequenzbereich durch Verwendung gepulster Strahlung mit geringer mittlerer Leistung.
Es ist schwierig und oft unmöglich, ein Kontrollexperiment ohne elektromagnetische Felder,
aber mit der gleichen Art der Energieabsorption durchzuführen. Es ist daher stets Skepsis
angebracht, wenn in der Literatur ein Effekt als "athermisch" beschrieben wird, ohne dass
hierfür eine plausible Erklärung vorliegt. In vielen Fällen handelt es sich sehr wohl um einen
Einfluss einer (eventuell sehr geringen oder sehr lokalen) Temperaturerhöhung.
Im Bereich von 10 kHz bis ca. 100 kHz sind für Grenzwertüberlegungen sowohl die Reizwirkung auf Nervenzellen als auch die Wärmewirkung zu berücksichtigen, vgl. Bild 3.3/1.
Bild 3.3/1: Biologische Wirkungsmechanismen elektromagnetischer Felder in
Abhängigkeit von der
Frequenz
3.1.1 Mechanismus der Erwärmung
Dielektrische Verluste
Hochfrequente elektromagnetische Wechselfelder erwärmen biologisches Gewebe. Dies erfolgt durch den Mechanismus der so genannten "dielektrischen Erwärmung". Man kann sich
vorstellen, dass die (elektrisch polarisierbaren) Moleküle sich nach dem äußeren Feld auszurichten versuchen. Dadurch entsteht Reibungswärme. Die innerhalb eines Volumens V umgesetzte (aus dem Feld aufgenommene) Leistung Pd ist
Pd = ∫
[
1
2
]
E ωε ′tanδ dV,
2
(3.3-1)
V
wobei
V ..........betrachteter Volumsbereich im Gewebe
ω ..........Kreisfrequenz; ω = 2πf
E ..........Spitzenwert der komplexen elektrischen Gesamtfeldstärke im Gewebe
ε´...........Realteil der komplexen Dielektrizitätskonstanten ε = ε 0 (ε r′ − j ε r′′) ; ε ′tanδ = ε ′′
tan δ .....Verlustfaktor: tan δ = εr´´/εr´
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Seite 3.3.1
Aufgrund der Frequenzabhängigkeit (ω, frequenzabhängige Dielektrizitätskonstante) der
Leistungsaufnahme sind die Spektralbeiträge einzeln zu berechnen und aufzusummieren.
Man erkennt auch, dass in verschiedenen Gewebebereichen, die unterschiedliches ε haben,
unterschiedliche Verlustleistung auftreten wird.
Spezifische Absorptionsrate
Das Ausmaß der Leistungs- bzw. Energieumsetzung pro Kilogramm Körpermasse wird
durch die spezifische Absorptionsrate SAR und die spezifische Absorption SA beschrieben.
Die SAR ist die Rate, mit der elektromagnetische Energie an einem bestimmten Punkt eines
Medium pro Masseneinheit absorbiert wird. Sie wird in Watt pro Kilogramm (W/kg) angegeben. Die Definitionsgleichung lautet
⎛ dW ⎞
SAR = dtd ⎜ em ⎟ =
⎝ dm ⎠
d
dt
⎛ dWem ⎞
⎜⎜
⎟⎟,
⎝ q .dV ⎠
(3.3-2)
wobei
Wem ….
m …….
q …….
V …….
elektromagnetische Energie in Joule (J)
Masse in Kilogramm (kg)
Dichte in Kilogramm pro Kubikmeter (kg/m3)
Volumen in Kubikmetern (m3)
Die SAR lässt sich aus der elektrischen Feldstärke im Gewebe, aus der Stromdichte im Gewebe oder aus der Temperaturerhöhung des Gewebes berechnen:
SAR =
SAR =
σE i2
(3.3-3)
ρ
S2
(3.3-4)
σρ
SAR = c i
dT
dt
(3.3-5)
wobei
Ei … ......elektrische Feldstärke im Gewebe,
σ ..........elektrische Leitfähigkeit des Gewebes,
ρ ..........Dichte des Gewebes,
ci ..........Wärmekapazität des Gewebes,
S ..........elektrische Stromdichte im Gewebe,
dT/dt ....zeitliche Ableitung der Gewebetemperatur.
[V/m]
[S/m]
[kg/m3]
[J/(kg.°C)]
[A/m2]
[°C/s]
Neben der lokalen SAR wird auch der Begriff Ganzkörper-SAR verwendet, der den räumlichen Mittelwert der lokalen SAR über den biologischen Körper bezeichnet.
In Fällen gepulster Strahlung oder kurzzeitiger Bestrahlung biologischer Systeme wird auch
der Begriff der spezifischen Absorption (SA) verwendet. Er bezeichnet das Zeitintegral über
die SAR und wird in Joule pro Kilogramm (J/kg) angegeben.
Die Begriffe SAR und SA bei nicht ionisierender Strahlung entsprechen den Begriffen
Dosisleistung und Dosis bei ionisierender Strahlung in Bedeutung und Definition.
Im Gegensatz zur "normalen" Erwärmung durch Sonnenbestrahlung oder erhöhte Außentemperatur findet die Erwärmung durch Bestrahlung mit Hochfrequenzfeldern nicht primär in
der Haut statt, sondern - in Abhängigkeit von der Wellenlänge - auch in tiefer liegenden Regionen.
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Seite 3.3.2
Komplizierend wirkt sich die Tatsache aus, dass die Erwärmung - besonders bei höheren
Frequenzen - sehr ungleichmäßig verteilt ist und sich in bestimmten Körperbereichen „heiße
Stellen“ (hot spots) bilden können. Es kommt zwar durch den Blutfluss zu einem Temperaturausgleich, doch kann es bei hoher lokaler SAR zu einer lokalen Erwärmung kommen, ohne dass die Körpertemperatur insgesamt nennenswert steigt.
Grundsätzlicher Zeitverlauf der Temperaturerhöhung im Körper
Bei Einstrahlung elektromagnetischer Energie in den Körper erfolgt zunächst ein kontinuierlicher Temperaturanstieg. Nach ca. 5-15 Minuten erzeugt der Körper durch Thermoregulation
(verstärkte Blutzirkulation, Transpiration) ein thermisches Gleichgewicht. Diese Zeitkonstante
ist in Form eines 6-Minuten Mittelungswertes in praktisch alle Grenzwertüberlegungen eingegangen. Danach ist die als Wärme an die Umwelt abgegebene Leistung gleich der laufend
absorbierten Leistung, es erfolgt daher kein weiterer Temperaturanstieg. Bei gut durchbluteten Organen kann nach etwa 20-30 Minuten durch Erhöhung der Blutzirkulation infolge Kapillarerweiterung auch wieder ein Absinken der Temperatur eintreten.
Grundumsatz
Bild 3.3/2 zeigt den Zusammenhang zwischen Grundumsatz und Körpermasse für einige Lebewesen. Für erwachsene Menschen liegt der Grundumsatz in der Größenordnung von etwa
0,8 bis 1,5 W/kg.
Bild 3.3/2: Zusammenhang zwischen Grundumsatz und Körpermasse für einige Lebewesen
Man erkennt aus Bild 3.3/2, dass Kleintiere einen wesentlich höheren Grundumsatz haben
(z. B. Maus ca. 9 W/kg) und daher auf Leistungsabsorption aus Hochfrequenzfeldern erst ab
wesentlich höheren Leistungsdichten (bzw. spezifischen Absorptionsraten) reagieren als der
Mensch. Bei der Auswertung der Ergebnisse aus Tierversuchen über thermische Effekte berücksichtigt man dies durch entsprechende Skalierungsfaktoren.
Wärmeregelung bei erhöhtem Leistungsumsatz
Bei körperlicher Arbeit oder Sport erhöht sich der Leistungsumsatz um ein Vielfaches:
Radfahren mit 10 km/h: 3,5
Gehen (in der Ebene): 3,7
Fußballspielen:
12
Eishockeyspielen:
25
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W/kg
W/kg
W/kg
W/kg.
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.3.3
Den physiologischen Zustand eines Menschen in einer gegebenen thermischen Umgebung
mit Wärmequellen kann man wie folgt beschreiben:
G + Aem + W = E ± C ± R ± K ± H [W], [W/m2], oder [W/kg]
wobei
G …….
Aem …..
W …….
E ……..
C ……..
R ……..
K ……..
H ……..
(3.3-6)
Grundumsatz
Absorptionsrate elektromagnetischer Energie
Arbeitsleistung
Wärmeverlustrate durch Verdunstung (Atmung, Transpiration)
konvektive Wärmetransferrate
Wärmetransferrate durch Strahlung
konduktive Wärmetransferrate
Rate der Wärmespeicherung im Körper (H > 0: Wärmezuwachs).
Die Größen auf der linken Seite von (3.3-6) repräsentieren die Energieproduktion oder
-absorption, die auf der rechten Seite beschreiben Wärmeaustauschmechanismen.
Um den Körper auf (möglichst) konstanter Kerntemperatur zu halten (H = 0), muss ständig
Wärme aus dem Grundumsatz und aus der Arbeitsleistung an die Umgebung abgegeben
werden. Bei hohen Umgebungstemperaturen bewirkt diese Wärmeabgabe eine erhöhte
Kreislaufbelastung. Zusätzliche, durch Energieabsorption aus einem elektromagnetischen
Feld im Körper entstehende Wärme bedeutet ebenfalls eine solche zusätzliche Kreislaufbelastung. Liegt diese deutlich unter dem Grundumsatz, wird sie jedoch nicht wahrgenommen.
Ausmaß der Temperaturerhöhung in Teilkörperbereichen
Das Ausmaß der Temperaturerhöhung im Körper bei Bestrahlung mit Hochfrequenzfeldern
hängt vom Thermoregulationsvermögen, von Körpermasse und -oberfläche, sowie von Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftbewegung ab. Das Thermoregulationsvermögen kann individuell sehr unterschiedlich sein und hängt u. a. von der körperlichen Verfassung, von sonstigen Belastungen, Krankheit etc. ab. Man muss davon ausgehen, dass das
Thermoregulationsvermögen bei Kindern, Säuglingen, Kranken, Alten etc. völlig anders, i. e.
unter Umständen stark vermindert ist. Auch experimentell findet man große Streuungen.
Hinsichtlich Körpertemperatur unterscheidet man verschiedene "Zonen" im Körper: Die Kerntemperatur beträgt unter Normalbedingungen 37 °C. Bei einer Außentemperatur von 20 °C
beträgt die Temperatur der äußeren Gewebeschichten ca. 32 - 36 °C, die der Haut ca. 31 °C.
Bild 3.3/3 zeigt, dass der gesunde Körper auf
eine Energieabsorption aus dem Strahlungsfeld mit einer Erhöhung der Wärmeabgabe
und der Transpirationsrate reagiert, um die
Körpertemperatur konstant zu halten.
Parameter: Umgebungstemperatur Ta
Bild 3.3/3: Zunahme der Transpiration
bei Affen, die 10 Minuten
lang einem Mikrowellenfeld von 2,45 GHz ausgesetzt waren
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Seite 3.3.4
Bild 3.3/4 zeigt Ergebnisse von Versuchen an erwachsenen, gesunden Menschen. Versuchsbedingungen: Bestrahlung sitzender Personen bei 2,45 GHz in einem echoarmen
Raum bei 28 °C.
30 Minuten Beobachtung ohne Feld, 45 Minuten Bestrahlung, 15 Minuten Beobachtung ohne
Feld.
Maximale Leistungsdichte in Hauptstrahlrichtung (auf den Rücken): 70 mW/cm2 CW
Maximale lokale SAR: 15,4 W/kg
Bild 3.3/4: Ergebnisse von Versuchen an erwachsenen, gesunden Menschen
Man erkennt, dass trotz hoher SAR (die weit über allen Grenzwerten liegt) keine Erhöhung
der Kerntemperatur auftritt. Der gesunde Körper regelt den Wärmehaushalt entsprechend
(3.3-6).
Weitere Untersuchungen haben gezeigt, dass gepulste (Tastverhältnis ≈ 1:1) und kontinuierliche (CW) Felder bei gleicher mittlerer Leistung ganz ähnliche Thermoregulation bewirken.
Erst wenn der Körper nicht mehr imstande ist, die übermäßige, im Körper absorbierte Wärme
abzuführen, tritt (so wie auch bei extremen Außentemperaturen wie z. B. in der Sauna) eine
Erhöhung der Kerntemperatur auf. Diese ist mit raschem Leistungsabfall und in der Folge mit
akuter Lebensgefahr verbunden.
Bei Versuchstieren wurden Beeinflussungen des Thermoregulationsvermögens ab einer
Temperaturerhöhung im Hypothalamus von 0,2 bis 0,3 °C beobachtet.
An vielen industriellen Arbeitsplätzen müssen sich die Beschäftigten erheblichen Teilkörperbestrahlungen aussetzen. Dort sind genaue quantitative Analysen erforderlich, um verlässliche Beurteilungen der Expositionssituationen im Hinblick auf die Grenzwerte geben zu können. Nach einem am britischen National Radiological Protection Board (NRPB) durchgeführten Experiment kann man abschätzen, welche Temperaturerhöhungen in den Händen der
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Seite 3.3.5
Arbeiter an einem industriellen Arbeitsplatz mit Einsatz von Hochfrequenzstrahlung zu erwarten sind. Bei dem Experiment wurden die Hände von Versuchspersonen in ein Wasserbad
mit definierter, konstanter Temperatur getaucht. Die Wärmeabgabe aus dem Wasserbad an
die menschlichen Körper wurde kalorimetrisch bestimmt. Bild 3.3/5 zeigt die Ergebnisse. Der
strichlierte Teil der unteren Kurve in Bild 3.3/5 zeigt die Verlängerung bis zum SAR-Wert von
20 W/kg, der heute in vielen Normen und Empfehlungen als Grenzwert der Teilkörper-SAR
für berufliche Exposition verwendet wird.
Mittlere Kurve:
Mittelwert
Äußere Kurven:
95 % Konfidenzintervall
Bild 3.3/5: Ergebnisse des Versuchs
über konvektive Wärmeaufnahme der Hände von
Versuchspersonen
Hot-Spots
In isolierten Gewebebereichen sind Resonanzeffekte möglich. Dann tritt die größte Erwärmung nicht an der Körperoberfläche, sondern im Inneren auf. Die Feldüberhöhung ist aufgrund der geringen Resonatorgüte gering, kann aber dennoch signifikant sein. Es wird also
z. B. in der Mitte eines kugelförmigen Gewebebereiches ein "Hot-Spot" erzeugt. Bei einem
Radius von 5 cm ist dies im Frequenzbereich 400 MHz - 3 GHz der Fall. Bei einer Maus mit
einem Kopfdurchmesser von 2 cm sind Hot-Spots im Frequenzbereich 2-5 GHz zu erwarten.
Berücksichtigt man Kugelradien zwischen 1 cm und 10 cm, so sind Hot-Spots im Frequenzbereich von 300 MHz bis 5 GHz möglich.
Bild 3.3/6 zeigt den berechneten, zeitlichen Verlauf der Gewebetemperatur bei einer kontinuierlichen spezifischen Absorptionsrate von 10 W/kg in verschieden großen Massenelementen, die sich innerhalb eines ausgedehnten, isotropen Mediums befinden. Je größer das
Masseelement, desto größer ist die Temperaturerhöhung, die erreicht werden kann. Dies ist
mit dem Verhältnis von Oberfläche und Volumen zu erklären.
Wärmeleitfähigkeit: 0,6 W/(K.m)
Wärmekapazität: 4,2 Ws/(K.g)
(Werte von Wasser)
Dicke Linien: Näherungsrechnungen
Dünne Linie (10 g): Tatsächlich
zu erwartender Verlauf
Einfluss einer Blutzirkulation
nicht berücksichtigt.
Bild 3.3/6: Zeitlicher Verlauf der Gewebetemperatur bei einer kontinuierlichen spezifischen
Absorptionsrate von 10 W/kg in verschieden großen Massenelementen, die sich
innerhalb eines ausgedehnten isotropen Mediums befinden
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Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.3.6
Blutzirkulation wirkt der Temperaturerhöhung im Hot-Spot entgegen und kann diese um etwa
einen Faktor 2 vermindern.
Eine Temperaturerhöhung von 0,5 ° entspricht etwa der natürlichen Schwankung der Körpertemperatur zwischen Tag und Nacht. Bei intensiver sportlicher Tätigkeit erhöht sich die Körpertemperatur sogar um 1 ° und mehr. Eine Temperaturerhöhung von 0,5 ° bedeutet daher
normalerweise keinerlei Gefährdung für den gesunden Körper. Im Falle einer isolierten Temperaturerhöhung könnte jedoch eine Beeinflussung anderer Körperfunktionen auftreten (die
Steuerung der Temperaturregulation im Körper spricht bereits auf Temperaturerhöhungen
von 0,2 ° an und kann daher z. B. Schwitzen auslösen).
Eine aktuelle Frage betrifft die Strahlungsabsorption im Auge bei der Benutzung von Mobiltelefonen. Bild 3.3/7 zeigt numerisch berechnete Werte der Temperaturerhöhung (°C) im Auge
bei der Frequenz 1,5 GHz. Resonante Dipolantennen werden mit einer Sendeleistung von
1 W CW in vertikaler Polarisation in verschiedenen Abständen vom Auge betrieben. Das
Teilbild e gilt für Bestrahlung mit einer ebenen Welle mit einer Leistungsdichte von
1 mW/cm2. Es wird eine Raumtemperatur von 23 °C und eine Körpertemperatur von 37 °C
zugrunde gelegt.
Temperaturerhöhung [°C]
1 W CW;
Abstände der vertikal polarisierten Dipolantenne von der Augenoberfläche:
(a) 1,2 cm, (b) 3,2 cm, (c) 5 cm, (d) 15 cm,
(e) ebene Welle
Bild 3.3/7: Horizontale Schnittbilder durch
das rechte Auge, Bestrahlung
mit Dipolantenne
Selbstverständlich haben der Abstand zwischen Auge und Strahlungsquelle, Frequenz, Polarisation, Antennentyp und Einfallswinkel der Welle starken Einfluss auf das Ausmaß der Absorption von Strahlungsleistung im Gewebe. Die Simulation zeigt, dass ein linearer Zusammenhang zwischen der maximalen Temperaturerhöhung in der Linse und der über das Auge
gemittelten, spezifischen Absorptionsrate von ca. 0,16 °C pro W/kg besteht.
Für tatsächlich auftretende Bestrahlungssituationen ergibt die Simulation folgende Werte der
maximalen Temperaturerhöhung in der Augenlinse:
Bei 1,6 W/kg gemittelt über 1 g (Grenzwert in den USA): 0,14 bis 0,21 °C
Bei 2,0 W/kg gemittelt über 10 g (Grenzwert der ICNIRP): 0,31 bis 0,35 °C
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Seite 3.3.7
3.3.2 Auswirkungen der Erwärmung
Die Erwärmung des Gewebes kann im menschlichen Körper folgendes bewirken:
- Erhöhter Stoffwechsel
- Erhöhter Puls, stärkere Atmung, Schwitzen; dadurch Kreislaufbelastung
- Erhöhte Nervenreizleitungsgeschwindigkeit; Wirkungen auf das Nervensystem durch ungleiche Temperaturverteilung im Körper
- Subjektive Störung des Wohlbefindens
- Wahrnehmung eines Wärmegefühls
Bei Erhöhung der Kerntemperatur von mehr als 2 °C:
- Hitzeschäden, Hitzschlag möglich
Ab einer Kerntemperatur von etwa 42 °C:
- Krämpfe
- Denaturierung von Proteinen
- Lokale Überhitzung und Schädigung (Verbrennung) von empfindlichen Geweben, z. B.
Kataraktbildung im Auge (Mikrowellenstar)
Bei einer Kerntemperatur von über 43 °C:
-
Schwitzen hört auf → schneller weiterer Temperaturanstieg
Konfusion
Bewusstlosigkeit
Schädigung von Herz und Niere
Lethalität durch Kreislaufüberlastung bzw. schwere Verbrennungen.
Erhöhte Kreislaufbelastung
Der Körper versucht solange als möglich, jedes Watt Hochfrequenzleistung, das er absorbiert und in Wärme umgesetzt hat, wieder an die Umwelt abzugeben. Die verstärkte Thermoregulation umfasst erhöhte Blutzirkulation und Transpiration, vgl. Bild 3.3/5. Dies bedeutet
eine Kreislaufbelastung, die jedoch bei geringer SAR (< Grundumsatz) nicht wahrnehmbar
ist.
Störungen des Wohlbefindens
Eine geringfügige, lokale Erwärmung kann bei besonders sensiblen Personen das Nervensystem beeinflussen. Dies kann schon bei spezifischen Absorptionsraten erfolgen, bei denen
noch keine Erwärmung spürbar ist. Von den betroffenen Personen werden Störungen des
Wohlbefindens verschiedenster Art berichtet, z. B. Kopfweh, Menstruationsbeschwerden,
sowie diverse, schwer objektivierbare Missstimmungen und -gefühle.
Wahrnehmung eines Wärmegefühls
Ist ein Körperteil einem Hochfrequenzfeld ausgesetzt, so kann in manchen Expositionssituationen ab einer SAR von einigen W/kg und bei Bestrahlung über eine Zeitdauer von mindestens mehreren Minuten ein Wärmegefühl spürbar werden. Die Intensität dieses Wärmegefühls hängt von vielen Parametern ab, u. a. vom betroffenen Körperteil, der Bekleidung, der
Umgebungstemperatur, den Erdungsverhältnissen der betroffenen Person, u. a.
Kataraktbildung
Bei Einwirkung starker hochfrequenter Felder entsteht infolge Temperaturerhöhung im Augeninneren eine Trübung der Augenlinse. Die Augenlinse ist nicht durchblutet und kann die
Wärme somit nur langsam ableiten. Der Grenzwert der Temperaturerhöhung, die zu Kataraktbildung führt, wurde bei Hasen und Affen untersucht. Bei den Hasen führte eine zwei- bis
dreistündige Exposition zu Kataraktbildung bei Temperaturen in der Linse von 41 bis 43 °C,
entsprechend einer Temperaturerhöhung um 3 bis 5 Grad. Bei Affen wurden jedoch keine
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Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.3.8
Kataraktbildungen beobachtet. Man führt dies auf die unterschiedliche Anatomie bei den Tieren zurück.
Die erforderliche Leistungsdichte für Kataraktbildung liegt bei etwa 150 mW/cm2. Elektronenmikroskopisch sichtbare Veränderungen wurden bei Kaninchen bereits bei 55 mW/cm2
beschrieben. Es besteht die Möglichkeit, dass diese Mikroveränderungen bei wiederholter
Mikrowellenbestrahlung zur Trübung der Linse führen. Bei 75 - 100 mW/cm2 wurden auch
Chromosomenschäden in Epithelzellen der Hornhaut gefunden.
Kataraktbildung wurde im Frequenzbereich von 500 MHz bis 35 GHz nachgewiesen. Unterhalb dieses Frequenzbereiches ist die Eindringtiefe der Welle in das Gewebe offenbar zu
groß, oberhalb zu klein. Bild 3.3/8 zeigt Schwellenwerte für Bestrahlungszeit und Leistungsdichte zur Erzeugung von Katarakten.
Bild 3.3/8: Schwellenwerte für Bestrahlungszeit und Leistungsdichte zur
Erzeugung von Katarakten
(2,45 GHz)
Letalität
Es gibt einen Grenzwert der spezifischen Absorptionsrate, ab dem der Körper die Wärme
nicht mehr in ausreichendem Maße abführen kann. Dies führt zu unzulässiger Erwärmung
des Organismus und z. B. beim Menschen ab einer Kerntemperatur von 43 °C (Temperaturerhöhung um 6 °) zum Tod. Der Grenzwert für die letale Feldstärke hängt von vielen Faktoren ab: Außentemperatur, Körpergröße, Fähigkeit zur Thermoregulation, Wellenlänge und
Polarisation der Strahlung, Resonanzeffekte, u. a.
Ein letaler Effekt ist bei Hochfrequenzfeldern nur aufgrund der thermischen Wirkung bekannt.
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Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.3.9
3.4
Andere, durch Erwärmung bedingte Effekte
Mikrowellenhören
Treffen kurze (1 - 1000 μs) Pulse von Mikrowellenenergie auf den menschlichen Kopf, so
erfolgen in rascher Folge Erwärmungen und Abkühlungen. Die damit verbundene thermoelastische Expansion von Kapillargefäßen im Innenohr kann als Ton bzw. Geräusch empfunden werden. Zur Auslösung des Effektes genügen bereits minimale Temperaturänderungen in der Größenordnung von 10-5 Grad.
Die Bilder 3.4/1 bis 3.4/6 veranschaulichen das Mikrowellenhören: In einem auf MRI-Daten
basierenden Kopfmodell (X-FDTD, Fa. REMCOM) mit einer Auflösung von 3x3x3 mm3 sowie
einem anderen Modell mit doppelt so großer Auflösung wurden die lokale spezifische Absorptionsrate, die durch die Absorption von Strahlungsleistung entstehende Erwärmung und
die dadurch ausgelöste Druckwelle berechnet.
Frequenz:
915 MHz;
Impulsdauer: 20 µSek.
Bei 1 mW/cm2 war die maximale, über 1 g Gewebe gemittelte SAR 0,30 bzw. 0,34 W/kg. Der
maximale Druck betrug 83 bzw. 70 µPa in der Cochlea und 270 bzw. 590 µPa im gesamten
Kopf, je nach verwendetem Modell.
Bild 3.4/1: Anatomisches Kopfmodell
Bild 3.4/2: SAR-Verteilung bei Bestrahlung
von hinten
Bild 3.4/3: Zeitverlauf der Druckwelle
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Seite 3.4.1
Bild 3.4/4: Kurvenform der Druckwelle an der Cochlea
Bild 3.4/5: Leistungsspektrum der elastischen Welle an der Cochlea
Bild 3.4/6: Subjektiver Höreindruck, Simulation und Experiment
Durch Begrenzung der SA auf Werte von max. 10 mJ/kg kann man für Impulse bis maximal
30 μs Dauer einen Höreffekt mit Sicherheit ausschließen. Beim Mikrowellenhören handelt es
sich um einen medizinisch gesehen völlig harmlosen Effekt, der aber gegebenenfalls zu einer Schreckreaktion führen kann. Der Effekt zeigt, dass eine durch elektromagnetische Felder hervorgerufene Temperaturerhöhung sich auch auf andere Weise als durch "Erhitzung"
bemerkbar machen kann.
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Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.4.2
3.5
Zusammenhang zwischen äußeren und inneren Feldgrößen
3.5.1 Eindringen niederfrequenter elektrischer und magnetischer Felder in den
menschlichen Körper
Elektrische Felder
In elektrischen Gleichfeldern kann das Körperinnere als praktisch feldfrei angesehen werden.
In elektrischen Wechselfeldern entstehen im Körper aufgrund der sich zeitlich ändernden
InfluenzIadungen Ströme, vgl. Bild 3.5/1. Diese Ströme fließen auf Pfaden, die durch die Verteilung der besser und weniger gut elektrisch leitenden Zonen im Körper bzw. an der Oberfläche bestimmt sind.
Bild 3.5/1: Der Mensch in einem vertikal
polarisierten elektrischen Feld:
Feldlinien, Strompfade im Körper
In Tabelle 3.5/1 sind elektrische Leitfähigkeiten und relative Dielektrizitätskonstanten einiger
Körpersubstanzen und Organe zusammengestellt. Die Frequenzabhängigkeit der Leitfähigkeiten ist im Niederfrequenzbereich relativ gering. Der Unterschied zwischen den Leitfähigkeiten verschiedener Organe ist ebenfalls relativ gering.
Blut weist eine etwa fünfmal so große Leitfähigkeit wie Organe auf. Blutbahnen stellen daher
gleichzeitig auch die wichtigsten Bahnen für den elektrischen Stromfluss dar. Da überdies
das Blut den gesamten Körper durchströmt, bewirkt es eine Verminderung der spezifischen
Widerstandswerte durchbluteter Gewebe und damit auch eine Verringerung der Unterschiede der Leitfähigkeiten in den Organen.
Aufgrund der Leitungsströme, die über Widerstände fließen, tritt auch im Gewebe eine elektrische Feldstärke E auf. Diese ergibt sich mit dem spezifischen Widerstand ρ und der Stromdichte S aufgrund des Ohmschen Gesetzes zu
E = ρ .S .
(3.5-1)
Die Stromdichten im Körperinneren wurden mithilfe numerischer Methoden (finite Differenzen, finite Differenzen im Zeitbereich, FDTD) berechnet. Weiters erfolgten Vergleiche zu Ergebnissen aus Phantommessungen. Für ein 1,80 m großes, 70 kg schweres Modell erhielt
man bei 60 Hz (Werte für 50 Hz können innerhalb der Modellierungsgenauigkeit als identisch
angenommen werden) und 1 kV/m folgende Ergebnisse: Die Bilder 3.5/2 bis 3.5/7 zeigen
berechnete Werte der vertikalen Stromdichte entlang horizontaler und vertikaler Schnittlinien
quer durch Gehirn, Genick, Schultern, Magen, Hüfte, Schritt, Achselhöhle und Fußgelenke.
Die Variation der Stromdichtewerte mit den Körperabmessungen ist am deutlichsten aus Bild
3.5/8 (Genick, Fußgelenk) erkennbar. Heben der Arme über den Kopf bewirkt eine Verminderung der Stromdichten in Kopf und Genick um etwa 50 %, und eine Vergrößerung der
Stromdichten in allen Körperbereichen unterhalb des Brustkorbes. Besteht nur über einen
Fuß Erdkontakt (elektrische Isolierung des zweiten Fußes vom Boden), so ergibt sich etwa
eine Verdoppelung der Stromdichteamplituden im Schritt und im geerdeten Fußgelenk.
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Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.5.1
Tabelle 3.5/1: Elektrische Leitfähigkeiten und relative Dielektrizitätskonstanten einiger Organe bzw. Gewebe
Elektrische Leitfähigkeiten [S/m]:
Frequenz
[Hz]
101
102
103
104
105
106
107
108
109
1010
Parallel
0,52
0,52
0,52
0,55
0,65
-
Skelettmuskel
Quer
Unspezifisch
0,076
0,076
0,080
0,085
0,400
0,48
0,71
0,87
0,85
1,41
8,23
Leber
Lunge
Milz
Niere
0,12
0,13
0,13
0,15
0,16
0,20
0,46
0,65
1,03
7,30
0,089
0,092
0,096
0,110
0,0530
0,0730
-
0,62
0,63
0,63
0,83
1,31
8,10
0,24
0,38
0,59
0,80
0,97
5,80
Leber
Lunge
Milz
Niere
5.107
8,5.105
1,3.105
5,5.104
1,2.104
1970
232
72
49
37
2,5.107
4,5.105
8,5.104
2,5.104
35
35
-
3260
1450
357
78
51
38
1,2.104
2540
294
76
44
33
Weiße
Graue
Gehirnzellen Gehirnzellen
0,13
0,17
0,16
0,21
0,28
0,52
0,48
0,68
0,85
1,05
8,0
10,00
Knochen
Blut
Fett
0,013
0,013
0,013
0,014
0,017
0,024
0,057
0,050
0,092
0,60
0,68
0,68
0,61
0,71
1,11
0,82
1,43
9,8
0,040
0,040
0,050
0,035
Weiße
Graue
Gehirnzellen Gehirnzellen
2500
3800
670
1250
190
309
62
81
39
46
25
40
Knochen
Blut
Fett
3800
1000
640
280
87
37
23
8
-
2900
2810
3300
2040
200
71
63
45
1,5.105
5,0.104
2,0.104
5
-
Relative Dielektrizitätskonstanten:
Frequenz
[Hz]
101
102
103
104
105
106
107
108
109
1010
Parallel
107
1,1.106
2,2.105
8.104
1,5.104
-
Skelettmuskel
Quer
Unspezifisch
106
3,2.105
1,2.105
7.104
3.104
2.104
2200
184
68
55
36
Dr. Garn
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.5.2
60 Hz, 1 kV/m
berechnete Werte;
OOO
Phantom-Messwerte
Bild 3.5/2: Berechnete Werte der
vertikalen Stromdichte in
Gehirn, Genick und
Schultern entlang
horizontaler, quer durch
den Körper verlaufender
Schnittlinien
(y-Achse)
60 Hz, 1 kV/m
berechnete Werte
OOO
Phantom-Messwerte
Bild 3.5/3: Berechnete Werte der
vertikalen Stromdichte
in Magen, Hüfte und
Schritt entlang
horizontaler, quer
durch den Körper verlaufender Schnittlinien
(y-Achse)
60 Hz, 1 kV/m
berechnete Werte, z = 124 cm
berechnete Werte, z = 126 cm
OOO
Phantom-Messwerte
Bild 3.5/4: Berechnete Werte der
vertikalen Stromdichte
nahe der Achselhöhlen entlang horizontaler,
quer durch den Körper verlaufender Schnittlinien (y-Achse)
Dr. Garn
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.5.3
60 Hz, 1 kV/m
berechnete Werte, z = 80 cm
berechnete Werte, z = 82 cm
OOO
Phantom-Messwerte
Bild 3.5/5: Berechnete Werte der vertikalen Stromdichte im Schritt entlang horizontaler, quer durch
den Körper verlaufender
Schnittlinien (y-Achse), wenn
nur ein Fuß
(y < 0) geerdet ist
60 Hz, 1 kV/m
berechnete Werte
OOO
Phantom-Messwerte
Bild 3.5/6: Berechnete Werte der
vertikalen Stromdichte in
Schulter, Brustkorb und
Achselhöhlen entlang horizontaler, quer durch den
Körper verlaufender
Schnittlinien
(y-Achse), wenn beide
Arme über den Kopf gehoben werden
60 Hz, 1 kV/m
berechnete Werte, beide
Arme unten
berechnete Werte, beide
Arme erhoben
OOO
Phantom-Messwerte
Bild 3.5/7: Berechnete Werte der
vertikalen Stromdichte
entlang der Körpermitte
(z-Achse)
1000 µA/m2 = 1 mA/m2 = 100 nA/cm2
Dr. Garn
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.5.4
60 Hz, 1 kV/m
Phantomdicke:
□
28 cm
X
32 cm
Δ
36 cm
O
40 cm
●
44 cm
Bild 3.5/8: Berechnete Werte
der maximalen vertikalen Stromdichte
in Genick und Fußgelenk für verschiedene Körperabmessungen
Die Maximalwerte der Stromdichte (mA/m2) bei 10 kV/m (Grenzwert der ÖVE/ÖNORM E
8850) für verschiedene Modelle betragen demnach:
Gehirn:
Genick:
Achselhöhlen:
Erhobener Arm:
Thorax:
Schritt:
Fußgelenk:
0,5 - 0,9
bis 4,0
bis 4,5
bis 1,6
0,7 - 1,4
1,5 - 4,4
5,0 - 22,3
(Messwerte bis 1,4)
(beide Arme erhoben: Bis 2,4)
(Erdung über nur einen Fuß: 4 - 10)
(Erdung über nur einen Fuß: 10 - 44)
In einer Blutbahn mit einer elektrischen Leitfähigkeit von 0,6 S/m ergibt sich nach (3.5-1) bei
einer Stromdichte von z. B. 1 mA/m2 eine intrakorporale elektrische Feldstärke Ei = 0,001/0,6
= 1,7 mV/m.
Da die äußere (ungestörte) Feldstärke zur Erzeugung von 1 mA/m2 z. B. im Thorax etwa
Ea = 10 kV/m beträgt, kann man das Verhältnis V der Feldstärken in diesem Fall mit
VThorax =
Ei
= 1,7.10−7
Ea
(3.5-2)
abschätzen. Je nach Gewebeart und Körperteil beträgt V bis zu 1,7.10-4 (z. B. Knochen im
Fußgelenk). Das Feld wird beim Eindringen in den Körper also um bis zu ca. 7 Größenordnungen geschwächt. Dabei ist die Schwächung umso stärker, je größer die Leitfähigkeit des
betreffenden Gewebes ist.
Neben der direkt im Körper induzierten Ströme können noch Ströme von Bedeutung sein, die
in leitfähigen Objekten induziert werden, und die über den Körper gegen Erde fließen. Dies
erfolgt analog zum elektrostatischen Fall, jedoch mit dem Unterschied, dass nach Berührung
eines in einem elektrischen Wechselfeld aufgeladenen Leiters nach dem ersten Entladestoß
ein Ableitstrom ständig aufrecht bleibt. Im Worst-Case ist dieser Kurzschlussstrom
IKS = ωU0C.
(3.5-3)
Dabei ist IKS der Dauerkurzschlussstrom, ω die Kreisfrequenz, U0 die Spannung, die der Leiter im ungeerdeten Zustand aufweist, und C die Kapazität des Leiters gegen Erde.
Für die Spannung, die eine 1,80 m große Person in einem 10 kV/m - Feld bei 60 Hz annimmt, erhält man bei C = 125 pF, der typischen Kapazität eines aufrecht stehenden Menschen gegen Erde, je nach Erdungsverhältnissen Werte bis etwa 4,2 kV. Der Maximalwert
wird nur bei idealen Isolationsbedingungen erreicht und entspricht dann der oben definierten
Spannung U0.
Dr. Garn
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.5.5
Magnetische Felder
Statische und niederfrequente magnetische Felder durchdringen biologisches Gewebe praktisch ungeschwächt (µr = 1).
Bei Gleichfeldern entsteht eine Kraftwirkung auf bewegte Ladungsträger gemäß (3.5-4), ein
elektrisches Feld (3.5-5) und eine Spannung (3.5-6) im Gewebe. Nennenswerte Auswirkungen hat dies nur am Herzmuskel, wo Blut (Ladungsträger) relativ schnell durchgepumpt wird.
F = Q .( v × B ) ,
(3.5-4)
wobei
Q ... elektrische Ladung, die mit der Geschwindigkeit v bewegt wird
F ... Kraft, die auf die Ladung Q wirkt (maximal wenn v senkrecht zum Induktionsvektor
B = µH steht).
E ind = v × B
Uind = −
(3.5-5)
dΦ
,
dt
(3.5-6)
wobei
Φ …….. magnetischer Fluss.
Sinusförmige Wechselfelder induzieren im Gewebe einen Strom. Die Stromdichte S kann
näherungsweise abgeschätzt werden:
S = σ.π.r.f.µ.H
(3.5-7)
wobei
σ ..........elektrische Leitfähigkeit (Tabelle 3.5/1)
r ...........Radius der Kreisbahn, auf der der Strom fließen kann
f ...........Frequenz
µ …….. .Permeabilitätskonstante µ = µ0.µr = 4.π.10-7.
Die Stromdichte hängt daher vom Objektdurchmesser ab, genauer vom Durchmesser geschlossener Bahnen mit hoher elektrischer Leitfähigkeit (Blutbahnen). Bild 3.5/9 zeigt mögliche Wirbelstrombahnen im Körper bei verschiedener Orientierung des magnetischen Feldvektors.
Bild 3.5/9: Wirbelstrombahnen
im menschlichen
Körper bei verschiedener Orientierung des magnetischen Feldvektors
Für Sicherheitsüberlegungen zieht man meist das Herz (Radius 10 cm, Leitfähigkeit 0,6 S/m)
oder den Blutkreislauf Herz - Arterien und Venen zur Lunge - Lunge - Leber mit einem Radius von 15 bis 20 cm, aber etwas geringerer Leitfähigkeit heran, vgl. Bild 3.5/10.
Dr. Garn
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.5.6
Bild 3.5/10: Blutkreislauf Herz
- Arterien und
Venen zur Lunge Lunge - Leber
Bild 3.5/11 macht quantitative Angaben über die gemittelten Stromdichten im Körper. Die
Mittelungen erfolgen jeweils über den gesamten Layer. Man erkennt, dass die Maximalwerte
im Bereich des Oberkörpers auftreten, wo die größten Radien der Wirbelströme möglich
sind.
H = 26,5 A/m (B = 33 µT)
Bild 3.5/11: Gemittelte Stromdichten in einem ungeerdeten Phantom
eines Menschen bei
verschiedener
Orientierung des
magnetischen Feldvektors
Dr. Garn
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.5.7
3.5.2 Spezifische Absorptionsrate und äußere Feldstärke
Die spezifische Absorptionsrate ist in vivo routinemäßig nicht messbar. Zur sicherheitstechnischen Beurteilung praktischer Expositionssituationen verwendet man daher abgeleitete
Grenzwerte für Feldstärke bzw. Leistungsdichte. Die äußeren Feldstärken, bei denen sich im
Inneren eines exponierten biologischen Körpers ein bestimmter SAR-Wert einstellt, gewinnt
man aus Modellrechnungen und -messungen. Dabei muss eine Worst–Case - Bildung über
die verschiedenen Körperregionen, möglichen Körperposition im Feld, Polarisation sowie
weitere Parameter erfolgen.
Numerische Berechnung der elektrischen Felder sowie der Temperaturverteilung im Körperinneren mit Hilfe der Finite-Difference Time-Domain (FDTD) Methode
Die Methode der finiten Differenzen im Zeitbereich verwendet die Rotorgleichungen zur Berechnung der elektrischen und magnetischen Feldstärken im Körperinneren. Die Berechnungen erfolgen in kleinen Zeitschritten, solange, bis ein eingeschwungener Zustand erreicht ist.
Zunächst zerlegt man das Volumen, in dem die Felder berechnet werden sollen, in ein räumliches Gitter von Einzelzellen („Yee-cells“), vgl. Bild 3.5/12.
Bild 3.5/12: Würfelförmige “Yee cell” mit
elektrischen und magnetischen Feldvektoren; die elektrischen Feldkomponenten an
den Ecken des Voxels und die magnetischen Feldkomponenten bilden die Normalen zu den Würfelflächen. Den elektrischen Feldkomponenten werden entsprechende Dielektrizitätskonstanten zugeordnet, den magnetischen Feldkomponenten
Permeabilitätswerte.
Die zeitliche Änderung des elektrischen Feldes ( ∂E
∂t
) hängt von der räumlichen Änderung
des magnetischen Feldes ab (dem Rotor) und vice versa. Nach diesem grundlegenden Ansatz werden die Feldkomponenten in jedem Voxel in kleinen Zeitschritten dt berechnet, wobei dt=δ/2c, mit der Kantenlänge δ des Voxels und der Phasengeschwindigkeit c des Mediums. Der neue Wert ergibt sich aus dem zuletzt gespeicherten Wert plus dem Wert des Rotors der lokalen Feldverteilung der jeweils anderen Feldkomponente. Der Prozess wird so
lange fortgesetzt, bis ein stationärer Zustand erreicht ist.
Für die Berechnungen benötigt man hoch aufgelöste Modelle des menschlichen Körpers.
Diese werden aus realen Gefrierschnitten, Computertomographie- und Magnetresonanztomographie-Bildern gewonnen und stehen heute in mehreren Computermodellen zur Verfügung. Bild 3.5/13 zeigt als Beispiel das Kopfmodell aus dem „Visible Human Project“,
http://www.youtube.com/watch?v=iWP2HnPSMyo.
Hat man die SAR berechnet, so gewinnt man daraus die Temperaturverteilung nach der entsprechend erweiterten Wärmeleitungsgleichung („bioheat equation“) Gl. (3.5-8).
C (r ) ρ (r )
∂T (r , t )
= ∇.(K (r )∇T (r , t ) ) + ρ (r ) SAR(r ) + A(r , t ) − B(r , t )(T (r , t ) − TB (r , t ) )
∂t
C(r) ………….…
ρ(r) …………….
T(r,t), TB(r,t) ….
K(r) …………….
A(r) …………….
B(r,t) …………..
Dr. Garn
(3.5-8)
spezifische Wärme = Wärmekapazität pro Masse (ortsabhängig)
Dichte (ortsabhängig)
Temperaturen von Gewebe und Blut (orts- und zeitabhängig)
Wärmeleitfähigkeit (ortsabhängig)
Grundumsatz pro Volumseinheit (orts- und zeitabhängig)
Term zur Beschreibung der Durchblutung (orts- und zeitabhängig).
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.3.8
Bild 3.5/13: Kopfmodel des „Visible Human Projects“, 1 mm Auflösung, Daten für 1,8 GHz
Messtechnische Verifizierung der Berechnungen
Zur messtechnischen Verifizierung der FDTD-Berechnungen verwendet man z.B. Körperphantome aus Materialien, die ähnliche Werte der elektrischen Leitfähigkeit und Dielektrizitätskonstanten wie das biologische Gewebe aufweisen. Eine realistische Nachbildung heterogener Körpervolumina wie z.B. dem Kopf ist allerdings nur in sehr grober Näherung möglich. In wissenschaftlichen Untersuchungen durchgeführte Vergleiche anhand gut modellierbarer Körperregionen zeigen zufriedenstellende Übereinstimmung zwischen FDTD-Berechnungen und Phantommessungen.
Für die messtechnische Praxis sind homogene Phantome geeigneter als inhomogene. Die
SAR-Verteilung ist dort selbstverständlich anders, vgl. Bild 3.5/14. Lokale Absorptionsmaxima des realen Gewebes werden nicht abgebildet. Man kann aber die Materialparameter
(Dielektrizitätskonstante, elektrische Leitfähigkeit) so wählen, dass die über eine Körperregion (z.B. Kopf) oder den ganzen Körper gemittelten absorbierten Leistungen übereinstimmen.
Zur Überprüfung der Strahlungsabsorption bei Mobiltelefonen verwendet man genormte,
homogene Phantome und erzielt dadurch einfache, reproduzierbare und für alle Hersteller
gleichwertige Bedingungen, vgl. Bild 3.5/15.
Dr. Garn
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.3.9
Die Modelle M1 bis M4 basieren auf MRI-Scans verschiedener Personen; die Phantome bestehen aus
bis zu 5 verschiedenen Materialien; Bestrahlung aus einer Dipolantenne (0,45 λ) in 1,5 cm Abstand
Bild 3.5/14: SAR-Verteilung in homogenen und inhomogenen Kopfphantomen verschiedener Bauart bei 1,8 GHz
Bild 3.5/15: Messanordnung mit Kopfphantom zur Bestimmung der spezifischen Absorptionsrate (IT´IS Foundation)
Eine andere Art der messtechnischen SAR-Bestimmung wurde bereits 1982 am NIST in
USA angewandt: Personen wurden in einer großen TEM-Zelle exponiert und die Verlustleistung in der Zelle gemessen, vgl. Bild 3.5/16. Die TEM-Zelle führt eine transversal-elektromagnetische Welle, so wie die ebene Welle bei der Freiraumausbreitung. Nach Berücksichtigung von Transmissionsverlusten infolge Fehlanpassung erhält man die SAR aus der gesamten, in der Zelle dissipierten Leistung pro Masse der exponierten Personen.
Zur SAR-Messung befinden sich statt
des Messobjektes (equipment under
test) Versuchspersonen in der Zelle
Bild 3.5/16: TEM-Zelle
Dr. Garn
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.3.10
Ganzkörperexposition in ebenen Wellenfronten
Aus Modellen für verschiedene Körpergröße erhält man frequenz- und polarisationsabhängige Worst-Case Werte der Feldstärken im Körperinneren bzw. der spezifischen Absorptionsrate versus der äußeren Feldstärke im homogenen Wellenfeld, vgl. Bild 3.5/17. Bei Erwachsenen liegt das Resonanzmaximum in der vertikalen Polarisation bei ca. 50 bis 70 MHz.
Ebene Welle
Leistungsdichte: 1 mW/cm2
Bild 3.5/17: Berechnete, gemittelte
Ganzkörper-SAR bei dreijährigen
und bei siebenjährigen Kindern
Die Verteilung der SAR über die Körperregionen ist dabei aber durchaus heterogen, vgl. die
Bilder 3.5/18 und 3.5/19.
Ebene Welle
Leistungsdichte: 1 mW/cm2
Körpermodell: Kind, 9 Monate
Bild 3.5/18: Frequenzabhängigkeit der SAR, gemittelt über Kopf und Genick, Rumpf, Arme
und Beine
Ebene Welle
Leistungsdichten:
65 MHz: 1 mW/cm2
2 GHz: 5 mW/cm2
Körpermodell: NORMAN
Bild 3.5/19: SAR und Temperaturerhöhung nach 60 Minuten Bestrahlung, gemittelt über
horizontale Schichten von Voxeln
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Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.3.11
Besonders starke Absorption tritt in den Fußgelenken auf, da hier der gesamte, im Körper
induzierte Strom über einen sehr kleinen leitfähigen Querschnitt fließt. Bild 3.5/20 zeigt den
Frequenzverlauf des Kurzschlussstromes bei verschiedener Körpergröße für den Fall einer
aufrecht stehenden, geerdeten Person in einem vertikal polarisierten Feld. Für einen 1,80 m
großen Erwachsenen tritt der Maximalwert bei ca. 40 MHz auf und beträgt etwa 10 mA pro
V/m.
Körpermodelle:
Adult: 1,80 m
10 y: 1,38 m
5 y: 1,12 m
Bild 3.5/20: Kurzschlussstrom als Funktion der
Frequenz bei 1 V/m
Exposition in heterogenen Wellenfeldern
Reflektierende Wände oder Objekte verursachen stehende Wellen. In einem InnenstadtSzenario mit einer Basisstation findet man z.B. je nach Messpunkt andere Feldstärken
(Feldüberhöhungen, „Funklöcher“) und korrespondierend unterschiedliche SAR-Werte. Insgesamt ist die Exposition in heterogenen Feldern jedoch überwiegend stärker als im homogenen Fall. Bild 3.5/21 vergleicht die zur Erreichung des SAR-Sicherheitsgrenzwertes erforderlichen, über das Körpervolumen gemittelten Leistungsdichten. Negative Deviation bedeutet intensivere Exposition im heterogenen Wellenfeld.
Messpunkte in 1 m – 10 m – 21 m Höhe über dem Boden, verschiedene Positionen (graue Koordinaten)
Bild 3.5/21: a) Innenstadt-Szenarien, b) Vergleich der zur Erreichung des Sicherheitsgrenzwertes erforderlichen, über das Körpervolumen gemittelten Leistungsdichten bei 946 MHz
Wirkt die Umgebung z.B. als Resonator, so kann in einer darin befindlichen Person wesentlich stärkere Absorption auftreten als bei Exposition mit der einfallenden Wellenfront allein.
Beispiele für solche Expositionssituationen finden sich in Autos oder Aufzugskabinen, vgl.
Bild 3.5/22.
Dr. Garn
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.3.12
Bild 3.5/22: Normierte SAR-Verteilung bei Benützung eines Mobiltelefons (a) im Freiraum
und (b) in einer Aufzugskabine bei (i) 900 MHz, (ii) 1500 MHz, (iii) 2000 MHz
Teilkörperexposition im Nahfeld
Befindet sich eine Strahlungsquelle nahe am Körper, so tritt im benachbarten Gewebe stärkere Absorption auf als im Rest des Körpers. Abhängig von der Durchblutung des betreffenden Körperteils entsteht eine lokale Erwärmung. Bild 3.5/23 zeigt ein Beispiel eines am Rücken getragenen Funksenders. Infolge Kühlung durch Blutfluss ist die Temperaturverteilung
wesentlich gleichmäßiger als die SAR-Verteilung.
(a) SAR und (b) Temperaturerhöhung nach Erreichen des thermischen Gleichgewichts
Bild 3.5/23: Körpermodell mit einer 54 mm hinter dem Genick betriebenen Dipolantenne mit
1 W Sendeleistung bei 400 MHz
Expositionssituationen dieser Art treten z.B. auch an industriellen Arbeitsplätzen mit Plastikschweißanlagen oder anderen Quellen starker Hochfrequenzfelder auf.
Von besonderem Interesse ist die Exposition des Kopfes durch Mobilfunkgeräte. Die unterschiedliche Anatomie quer durch Weltbevölkerung und Altersgruppen erfordert die Verwendung mehrerer verschiedener Modelle. Bild 3.5/24 zeigt SAR-Werte in verschiedenen Kopfmodellen bei Bestrahlung mit einer Dipolantenne (0,45 λ) mit 100 mA Speisestrom bei 900
MHz.
Dr. Garn
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.3.13
Bild 3.5/24: SAR in Kopfmodellen verschiedener Größe
Im Kopf hat das Gehirn einen sehr starken Metabolismus und erwärmt sich daher selbst bei
stärkerer Bestrahlung praktisch nicht. Schwach durchblutete bzw. thermisch isolierte Organe
wie Auge und Innenohr erfordern jedoch eine genauere Betrachtung. Bild 3.5/25 zeigt SAR
und Erwärmung in einem hochaufgelösten (0,5 mm) CAD-Modell des Auges bei Bestrahlung
mit einer ebenen Welle. Die maximale Temperaturerhöhung in der Linse erreicht hier 0,2 °C
bei einer Strahlungsleistung von 5 mW/cm2 (137 V/m). Dieser Wert wird auch selbst bei einem direkt ans Auge gehaltenen Mobiltelefon (Sendeleistung 0,25 W) nicht überschritten.
Strahlungsleistung: 5 mW/cm2
(a) SAR at 1.0 GHz.
(b) Temperaturerhöhung bei 1.0 GHz.
(c) SAR bei 1.9 GHz.
(d) Temperaturerhöhung bei 1.9 GHz
Bild 3.5/25: SAR und Erwärmung in einem CAD-Modell des Auges
Metallische Objekte können auch hier die Feldverteilung und die Absorptionsrate stark verändern. Bild 3.5/26 zeigt über das Auge (8,37 g) gemittelte Werte der SAR bei Bestrahlung
durch eine ebene Welle mit einer Leistungsdichte von 5 mW/cm2, wenn verschiedene Brillen
mit Metallrand getragen werden. Sowohl eine um bis zu 120 % erhöhte als auch eine um bis
zu 80 % verminderte Absorption können auftreten, abhängig von der Bauform der Brille und
der Frequenz.
Dr. Garn
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.3.14
Strahlungsleistung: 5 mW/cm2
Bild 3.5/26: SAR gemittelt über das Auge
mit und ohne Brillen
Innenohr
Das Innenohr enthält mit der Perilymphe ca. 0,2 ml elektrisch gut leitfähige, absorbierende
Flüssigkeit und ist weiters thermisch isoliert. Bild 3.5/27 zeigt numerische berechnete SARWerte im Innenohr bei Feldexposition mit Mobiltelefonen. In der Simulation befanden sich die
Sender unmittelbar am Ohr eines Kopfphantoms. Man erkennt die unterschiedlichen Eindringtiefen, sowie die großen Unterschiede in der Absorption in den verschiedenen Gewebearten. Bei einer über 10 g Gewebe im Kopf gemittelten, lokalen SAR von 2 W/kg ergibt sich
bei den beiden GSM-Frequenzen im thermischen Gleichgewicht (nach ca. 20 Minuten Bestrahlung) eine maximale Temperaturerhöhung von 0,2 °C.
Bild 3.5/27: Numerische berechnete SAR-Werte im Innenohr bei Feldexposition mit Mobiltelefonen
Dr. Garn
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.3.15
3.6.1
Studienarten und deren Bewertung
3.6.1.1 In vitro Studien
Im Rahmen von in vitro Studien werden an Zellen oder Gewebe toxikologische, mechanistische oder
andere relevante Effekte untersucht, um das Verständnis bei der Entwicklung von Krebs oder anderen
Erkrankungen zu erhöhen. Dazu müssen geeignete Zelltypen zur korrekten Identifikation von biologischen Effekten ausgewählt werden. Neue Untersuchungsmethoden können z.B. zur Untersuchung von
Gentranskription, Protein Expression oder zellulare Stoffwechsel herangezogen werden. Es stehen verschiedene Methoden zur Untersuchung zellularer Effekte zur Verfügung, die sich idealerweise ergänzen
bzw. bestätigen sollen.
Bei der Durchführung von Experimenten sind adäquate Kontrollbedingungen von großer Bedeutung.
Sowohl negative als auch positive Kontrollen sollten in Experimenten inkludiert werden. In der EMF Forschung wird auch Scheinexposition oftmals im Projektdesign eingeführt, die Experimente sollten generell verblindet ablaufen. Die Feldcharakteristika (wie z.B. Frequenz, Feldstärke, SAR Verteilung), Temperatur, CO2, Verhältnisse zwischen Exposition und biologischen Reaktionen, zeitliches Expositionsprotokolle müssen genau dokumentiert werden. Zudem müssen statistische Aspekte berücksichtigt
werden. In Abbildung 3.6.1/1 wird ein Beispiel aus dem EU Projekt Reflex gezeigt. Das linke Bild zeigt
sogenannte Mikronuklei (Indikatoren für Störungen bei der Zellteilung durch Abspaltung von Chromosomenmaterial), das rechte Bild ist ein Beispiel für die Abhängigkeit des Auftretens von Micronuklei von
den SAR Werten in den Zellkulturen.
Bild 3.6.1/1: Ergebnisse aus dem Reflex Projekt: Auftreten von Mikronuklei in HL60 Zellen bei zunehmenden SAR Werten
3.6.1.2 Tierstudien
Tierstudien werden oftmals mit Laborstämmen von Mäusen oder Ratten durchgeführt. Der Vorteil von
Tierstudien ist, dass sie Erkenntnisse über Effekte in lebenden Organismen ermöglichen, die das gesamte Repertoire von Körperstrukturen und Funktionen, wie ein Nervensystem, ein endokrines System
oder ein Immunsystem aufweisen. In diesem Sinn sind Tierstudien für Schlussfolgerungen über gesundheitliche Risiken für Menschen meist aussagekräftiger als in vitro Studien. Allerdings ist auch zu
berücksichtigen, dass unmittelbare Rückschlüsse aufgrund von Unterschieden in der Masse, Lebensdauer, Physiologie oder des Stoffwechsels zwischen den Arten schwer möglich sind. Bei Extrapolationen von Tierexperimenten auf Menschen sollte man die Aussagekraft des Tiermodells in Betracht ziehen. Allerdings sind viele Prozesse, wie zum Beispiel DNS Schädigung und Reparatur bei Tier und
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.6.1.1
Mensch ähnlich. Aus diesem Grund sind Tiermodelle bei der Untersuchung der Toxizität von chemischen und physikalischen Agenzien von großer Bedeutung. Bei der Durchführung von Tierstudien sind
unter anderem folgende Aspekte berücksichtigt werden:








Eigenschaften der Versuchstiere (z.B. Geschlecht, Art, Stamm,..)
Benötigte Anzahl der Tiere
Expositionsniveau und Expositionsdauer
Benötigte Versuchsdauer in Abhängigkeit vom untersuchten Endpunkt
Gleiche Behandlung von exponierten und Versuchstieren (abgesehen von der Exposition durch
das untersuchte Agens)
Adäquate Endpunkte
Dosis – Wirkungsbeziehung
Negative, positive und scheinexponierte Gruppen
3.6.1.3 Humanstudien
Experimentelle Studien in Laboratorien oder anderen kontrollierten Aufbauten werden verwendet um zu
untersuchen, ob Effekte während des Auftretens oder kurz nach dem Auftreten eines kausalen Risikofaktors wie zum Beispiel elektromagnetische Felder auftreten. Man nennt solche Studien auch Provokationsstudien: sie versuchen die Frage zu beantworten, ob eine bestimmte Exposition einen bestimmten
Effekt wie zum Beispiel physiologische Reaktionen oder Symptome hervorruft (provoziert). Diese Studien sollten doppelblind durchgeführt werden um zu verhindern, dass die Erwartungen von Teilnehmern
oder Forschern das Ergebnis verzerren könnten. Außerdem sollten die Probanden nach dem Zufallsprinzip bestimmten Expositionsbedingungen zugeordnet werden. Bevor man mit den verblindeten Experimenten beginnt, kann es sinnvoll sein vorher in offenen Provokationsstudien die Eignung des experimentellen Versuchsaufbau zu überprüfen. Es ist zielführend Scheinexpositionsbedingungen im Versuchsablauf zu inkludieren. Ein sogenanntes Cross Over Design (die Versuchsteilnehmer werden nach
dem Zufallsprinzip mehreren oder allen Expositionsbedingungen unterworfen) wird in vielen Studien
vorgezogen. „Gewöhnungssitzungen“, in denen die Teilnehmer an den Versuchsaufbau und den Ablauf
gewöhnt werden, können hilfreich sein. Auch die Zusammenstellung von Versuchsgruppen kann bedeutsam sein: eine z.B. in Bezug auf Alter, Geschlecht und Symptomatik sehr homogene Gruppe können die Aussagekraft der Studien einschränken, da sie nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung gültig
ist. Bei sehr heterogenen Gruppen wiederum besteht das Risiko Effekte nicht erkennen zu können, da
Effekte die nur in einer kleinen Gruppe der Bevölkerung auftreten, möglicherweise nicht erkannt werden
können. Objektiv messbare Daten wie Herzrate oder Blutparameter werden üblicherweise subjektiven
Daten wie Kopfschmerzen vorgezogen.
3.6.1.4 Epidemiologische Studien
Die Epidemiologie befasst sich mit der regionalen und zeitlichen Verteilung und Verbreitung von Krankheiten in der Bevölkerung und mit denjenigen Faktoren, die diese Verteilung ursächlich beeinflussen.
Epidemiologie umfasst somit sowohl die reine Beschreibung von Krankheitsverteilungen (deskriptive
Epidemiologie) als auch gezielte Ursachenforschung, meist im Rahmen von Beobachtungsstudien (analytische Epidemiologie).
Epidemiologische Studien belegen in erster Linie eine statistische Assoziation. Sie sind damit ein Bestandteil des Nachweises einer Ursache-Wirkungs-Beziehung, als alleiniger Bestandteil sind sie allerdings meist nicht ausreichend. Beobachtungen aus epidemiologischen Studien werden gestärkt, wenn
Ergebnisse kontrollierter experimenteller Forschung (in vitro wie in vivo) in die gleiche Richtung deuten
und/oder eine biologisch plausible Erklärung für die Beobachtung bekannt ist. Vorteile epidemiologischer Studien sind jedoch, dass sie reale Situationen abbilden, d.h. eine Exposition wird unter AlltagsDr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.6.1.2
bedingungen an denjenigen Menschen untersucht, die dieser Exposition auch tatsächlich ausgesetzt
sind. Einige Studien am Menschen sind im Labor gar nicht möglich und die Übertragbarkeit der Beobachtungen von Tier auf Mensch ist nicht immer gesichert. Epidemiologische Forschung hat zudem den
Vorteil, dass die Bedeutung eines Effektes auf Bevölkerungsebene abgeschätzt werden kann.
Analytische epidemiologische Studientypen zu Krankheitsursachen werden nach ihrem methodischen
Ansatz in ökologische Studien, Querschnittstudien und Längsschnittstudien unterteilt, wobei sich letztere Gruppe aus Fallkontrollstudien und Kohortenstudien zusammensetzt. Bevölkerungsbasierte Interventionsstudien sind in der Ursachenforschung eher selten.
Abbildung 3.6.1/2 veranschaulicht einige Charakteristiken epidemiologischer Untersuchungen. Als Maß
für den Zusammenhang zwischen Exposition und Erkrankungsrisiko verwendet man meist das sogenannte relative Risiko, das aus Kohortenstudien direkt aus dem Quotienten der Erkrankungsrisiken Exponierter und nicht Exponierter errechnet werden kann und bei Fall-Kontrollstudien über das Chancenverhältnis (Odds Ratio, im folgenden als OR-Wert bezeichnet) geschätzt wird. Das relative Risiko und
dementsprechend der OR-Wert (Definition in Abbildung 3.6.1/3) können Werte über 1, unter 1 und den
Wert 1 selbst annehmen (s. rechtes Teilbild in Abbildung 3.6.1/2). Man spricht dann im Zusammenhang
mit dem untersuchten Faktor (z.B. EMF) von erhöhtem, reduziertem bzw. unbeeinflusstem Risiko für
das Auftreten der betreffenden Krankheit. Ein relatives Risiko bzw. OR-Wert von 2 entspricht genau
einer Risikoverdopplung bei Vorliegen der Exposition, ein relatives Risiko von 0,5 wäre eine Risikohalbierung.
Bild 3.6.1/2: Grundsätzliches zur Epidemiologie
Das gebräuchliste Maß für die statistische Verlässlichkeit des Risikoschätzers ist dessen Konfidenzintervall (Vertrauensbereich), das in Abbildung 3.6.1/2 mit dem Balken an den Symbolen dargestellt wird.
Per Definition umschließt das Konfidenzintervall den „wahren“ Parameter mit hoher Wahrscheinlichkeit,
ein Fehler ist aber nicht ausgeschlossen. In der Realität wird bei Anwendung eines z.B. 95%Vertrauensbereiches für ausreichend große Stichproben erwartet, dass bei einer 100-maligen Wiederholung des identischen Experimentes 95 der 100 Ergebnisse innerhalb des Konfidenzintervalls liegen.
Das 95%-Konfidenzintervall korrespondiert auf diese Weise mit dem zweiseitigen statistischen Signifikanztest mit einem Signifikanzniveau von 5%. Befindet sich der Wert OR = 1 innerhalb des Vertrauensbereichs, so ist die aus dem OR-Wert abgeleitete Aussage hinsichtlich Erhöhung oder Verringerung des
mit dem Studienfaktor verbundenen Risikos auf dem 5%-Niveau nicht statistisch signifikant. Liegt der
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.6.1.3
Wert OR = 1 hingegen außerhalb des Balkens, dann bezeichnet man den OR-Wert als statistisch signifikant.
Es kann gezeigt werden, dass die obere und untere Grenze CI+ bzw. CI- des 95%-Konfidenzintervalls
für den OR -Wert aus folgendem Ausdruck näherungsweise berechnet werden können, wenn a, b, c,
und d nicht zu klein (etwa 5) sind:
a.d
1 1 1 1
   )
CI  b.c exp(  1,96. ( a b c d 0,5 )


(3.6.1/1)
Epidemiologische
Fall-Kontroll-Studie
OR=a.d/(b.c)
b
a
c
d
2x2-Matrix mit den Elementen
a: Kranke, die exponiert
waren
b: Kranke, die nicht exponiert
waren
c: Gesunde, die exponiert
waren
d: Gesunde, die nicht
exponiert waren
Bild 3.6.1/3: Schema einer Fall-Kontrollstudie. Gesunde (Kontrollen) und Kranke (Fälle) sind mit aufrecht stehenden bzw. liegenden Symbolen angedeutet. Die Exposition ist mit den senkrechten Pfeilen,
die sich auf die beiden linken Personengruppen beziehen, symbolisiert.
In der Epidemiologie wird die Darstellung einer Assoziation zwischen Exposition und Erkrankungsrisiko
über Risikoschätzer und Vertrauensbereich dem statistischen Test gegenüber vorgezogen. Der Vorteil
ist, dass diese Darstellung gleichermaßen Auskunft über die Stärke der Assoziation und die dazugehörige statistische Unsicherheit gibt. Bei einer hohen statistischen Unsicherheit, d.h. einem sehr breiten
Vertrauensbereich, ist zu beachten, dass dann oft die statistische Nachweiskraft („statistische Power“)
der Studie nicht besonders hoch war. Ein nicht statistisch signifikant erhöhtes Risiko darf deshalb nie im
Sinne eines Nachweises eines nicht vorhandenen Risikos interpretiert werden.
3.6.1.5 Dosimetrie
Zuverlässige Studien über biologische Effekte elektromagnetischer Felder setzen adäquate Expositionseinrichtungen und geeignete Methoden zur Expositionserfassung voraus. Ein Expositionsaufbau
muss eine reproduzierbare und genaue Exposition erlauben. Dies bedeutet, dass das elektromagnetische Feld am Ort der Zellkulturen oder in einem bestimmten Gewebe von Versuchstieren oder Freiwilligen genau bestimmbar sein muss. Einflussfaktoren auf die Exposition wie die Haltung des Tieres im
Versuchsaufbau oder anatomische sowie morphologische Variationen müssen berücksichtigt werden
und ihr Einfluss auf das Experiment möglichst gering gehalten werden. Außerdem sind Umweltbedingungen wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Hintergrundfelder zu kontrollieren.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.6.1.4
Zur Expositionsbestimmung sind grundsätzlich zwei Ansätze verfügbar: Messungen und Berechnungen.
Die adäquate Auswahl des Expositionsequipments hängt von der Art, der Größe und der Variabilität der
Signale der Emissionsquellen sowie der Art der Studie ab. Bei der Expositionsbestimmung sind Umgebungsbedingungen sowie Multi-Quellen Exposition zu berücksichtigen. Bei der Expositionsbestimmung
sind Unsicherheitsbilanzen von großer Wichtigkeit. In Abbildung 3.6.1/4 wird links eine Expositionseinrichtung aus dem EU Projekt Perform A für Versuchsratten gezeigt, die Abbildung rechts zeigt die einzelnen Schritte bei der Bildung und Anwendung von numerischen Modellen von Versuchsratten, die es
erlauben die Feldverteilung innerhalb von Versuchstieren zu bestimmen.
Bild 3.6.1/4: Expositionseinrichtung für Versuchstiere aus dem Projekt PERFORM A (links) sowie die
Schritte zur Expositionsbestimmung in Versuchstieren (rechts)
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.6.1.5
3.6.2
Zentralnervöse Prozesse
In den letzten Jahren wurden eine Vielzahl von Humanstudien und in vivo Studien an Versuchstieren
über zentralnervöse Prozesse durchgeführt. Diese Studien beschäftigten sich im Wesentlichen mit Verhalten und kognitive Prozesse, elektrophysiologische Messungen, sensorische Funktionen und Studien
über zelluläre Prozesse und Prozesse im Gewebe wie zum Beispiel Untersuchungen über die BlutHirnschranke. Die Exposition erfolgte meist durch GSM und UMTS-Signale.
Mehrere Studien über verschiedene Verhaltens- und kognitive Funktionen zeigten keinerlei Effekt der
Exposition (Kleinlogel et al. 2008a, Kleinlogel et al. 2008b, Thomas et al. 2008, Riddervold et al. 2008,
Unterlechner et al. 2008). Curcio et al. 2008 beobachteten einen Trend zu einer verkürzten Reaktionszeit bei einer Exposition durch ein GSM 900 Signal (maximale SAR 0,5 W/kg), Hung et al. 2007 fanden
Veränderungen bei der Einschlaflatenz (GSM talk mode). Verbesserte räumliche Navigation wurde von
Wiholm et al. 2009 gefunden, beruhigende Effekte durch GSM Basisstationssignale wurden von Augner
et al. 2009 beobachtet.
In vielen Studien wurde versucht die Ergebnisse von Huber et al. 2002 zu replizieren, die eine Verstärkung der Leistung im Alpha Band des EEG durch GSM Exposition beobachteten. Neuere Studien zeigten widersprüchliche Ergebnisse. Perentos et al. 2007 fanden keine Veränderungen im EEG infolge 15
minütiger GSM Exposition. Croft et al. 2008 fanden während einer 30 – minütigen GSM Exposition Erhöhungen der Leistung im Alpha Band, die nach der Exposition verschwanden. Ähnliche Ergebnisse
wurden bei 45 – minütiger Exposition von Vecchio et al. 2007 berichtet.
Inomata-Terada et al. 2007 fanden keinen Einfluss von Mobiltelefonsignalen auf kortikale evozierte Potentiale. Dosisabhängige Effekte von GSM Signalen auf das Schlaf EEG und kognitive Aufgaben wurden von Regel et al. 2007 beobachtet. Hung et al. 2007 fanden bei mehreren Expositionsarten nur im
Talk Modus Einflüsse auf die Einschlaflatenz, Fritzer et al. 2007 fanden durch GSM Exposition während
der ganzen Nacht keine Effekte auf den Schlaf und verschiedene kognitive Aufgaben. Es wurden in
mehreren Studien keinerlei Effekte auf visuelle und auditive Parameter gefunden (SCENIHR 2009).
Über neurologische Effekte von Hochfrequenzsignalen auf Versuchstiere wurde bisher nur eine geringe
Anzahl von Studien durchgeführt. Nittby et al. 2008 fanden bei sehr kleinen Expositionsniveaus (0,6 und
60 mW/kg) Veränderungen des objektbezogenen Gedächtnisses bei Ratten, während das räumliche
Gedächtnis und das Erkundungsvermögen unbeeinflusst blieben. Kumlin et al. 2007 fanden bei jungen
Ratten, deren Gehirn noch in Entwicklung war, keinen Einfluss auf mehrere Verhaltensmuster sowie
keine histologischen Veränderungen, allerdings wurden Verbesserungen des Gedächtnisses und des
Lernvermögen in einem Labyrinth beobachtet.
In der Vergangenheit wurde behauptet (Salford et al. 2003), dass Hochfrequenzfelder bei sehr geringen
Niveaus die Gehirn-Blutschranke irreversibel beeinflussen können. Dabei soll es sich einerseits um den
Eintritt von Albumin in das Gehirn und andererseits um Änderungen von Neuronen handeln (dunkle
Neuronen). Würde sich herausstellen, dass solche Effekte tatsächlich auftreten, wäre dies ein Hinweis
für sehr nachteilige Effekte von Mobiltelefonen. In den meisten Studien zu diesem Thema wurden allerdings auch bei relativ hohen SAR Werten (bis zu 4,8 W/kg) keinerlei Effekte beobachtet (Masuda et al.
2007a, Masuda et al. 2007b, Kumlin et al. 2007, Grafström et al. 2008). Eine Ausnahme stellt die Studie
von Eberhardt et al. 2008 dar, wo Ratten 2 Stunden lang GSM Signalen von bis zu 120 mW/kg ausge
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.6.2.1
setzt wurden. 14 oder 28 Tage nach der Exposition wurden die Ratten getötet und deren Gehirne untersucht. Es wurden Hinweise auf Schädigungen der Gehirn-Blutschranke gefunden (Albumin Austritt, Albumin in Neuronen, dunkle Neuronen). Diese Ergebnisse bestätigen frühere Ergebnisse von Persson et
al. 1997. Die Interpretation dieser Ergebnisse ist schwierig, die Arbeit weist jedenfalls gewisse methodische Schwächen auf. Zwei Arbeiten über GSM 900 Signale (Brillaud et al. 2007, Ammari et al. 2008a)
zeigen bei hohen SAR Niveaus von 6 W/kg Effekte auf Gliazellen, die bei 1,5 W/kg nicht gefunden wurden.
Insgesamt zeigen die vorliegenden Studien kaum Evidenz für Auswirkungen hochfrequenter
Signale auf kognitive Funktionen oder audiovisuelle Parameter. Es gibt einige Hinweise auf Effekte von Hochfrequenzsignalen auf Gehirnaktivitäten wie zum Beispiel das EEG von Menschen
und auf den Schlaf. Mechanismen für diese Effekte sind zurzeit nicht bekannt, entsprechende
Studien sollten in Zukunft durchgeführt werden. Die meisten Studien zeigen keinen Effekt auf die
Blut-Hirnschranke, die wenigen positiven Effekte sollten in Replikationsstudien untersucht werden.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.6.2.2
3.6.3
Krebs
Die neuesten Studien über Krebs und Mobiltelefonbenutzung legten ihren Schwerpunkt auf intrakranielle Tumore und akustische Neurome weil die Aufnahme der Hochfrequenzenergie sich auf einen kleinen
Bereich im Kopf nahe dem Mobiltelefon beschränkt. Außerdem gibt es wenige Studien, die das Risiko
des Auftretens anderer Tumore im Kopf und Nackenbereich wie zum Beispiel an der Speicheldrüse untersuchen. Eine kleine Anzahl von Studien hat den möglichen Zusammenhang zwischen der Exposition
durch Fernsehsender und Krebsentwicklung überprüft. In Tierstudien wurden auch andere Arten von
Krebs untersucht. In vitro Studien haben sich hauptsächlich mit der Karzinogenese1 befasst.
3.6.3.1 Epidemiologische Studien
Die folgende Tabelle (SCENIHR 2007) gibt eine Übersicht über die Ergebnisse epidemiologischer Studien über Gehirntumore und Mobiltelefonbenutzung, eine detaillierte Analyse findet sich in SCENIHR
2007 und SCENIHR 2009.
[Hardell et al.
1999]
[Muscat et al.
2000]
[Inskip et al.
2001]
[Johansen et
al. 2001]
[Auvinen et
al. 2002]
[Hardell et al.
2002]
[Lönn et al.
2005]
[Christensen
et al. 2005]
Gehirntumore
RR2 Schätzer
Anz. Exp. Fälle
(95% CI)
78
1.0 (0.7-1.4)
66
0.8 (0.6-1.2)
139
0.8 (0.6-1.1)
154
1.0 (0.8-1.1)
40 analog,
16 digital
188* analog
1.3 (0.9-1.8)
*
1.3 (1.0-1.6)
224 digital
1.0 (0.8-1.2)
214 Gliom3
0.8 (0.6-1.0)
118 Meningeom4
0.7 (0.5-0.9)
47 niedriggradige 1.1 (0.6-2.0)
Gliome
59 hochgradige
0.6 (0.4-0.9)
Gliome
67 Meningeom
0.8 (0.5-1.3)
Gehirntumore kurze Latenzzeit
RR Schätzer
Anz. Exp. Fälle
(95% CI)
78
1.0 (0.7-1.4) >1
yr
28
1.1 (0.6-2.0)
2-3 yr
51
1.0 (0.6-1.6)
0.5-3 yr
87
1.1 (0.9-1.3)
1-4 yr
15 analog, 11
1.2 (0.7-2.0)
digital
1-2 yr
188* analog
1.3 (1.0-1.6) >1
yr
*
224 digital
1.0 (0.8-1.2) >1
yr
112
0.8 (0.6-1.1)
1-4 yr
64
0.6 (0.4-0.9) 1-4
yr
19
0.9 (0.4-1.8) 1-4
yr
24
0.6 (0.3-1.0) 1-4
yr
35
0.8 (0.5-1.3) 1-4
yr
Gehirntumore lange
Latenzzeit
Anz. Exp. Fälle
RR Schätzer (95% CI)
34
16
17
0.8 (0.5-1.4) >5 yr
1.2 (0.6-2.6) >10 yr
0.7 (0.4-1.4) >4 yr
54
22
24
1.0 (0.6-1.6) > 3 yr
0.7 (0.4-1.4) >5 yr
1.0 (0.7-1.6) >5 yr
17 analog,
1 digital
46* analog
1.5 (0.9-2.5) >2 yr
1.3 (0.8-2.3) >10 yr
*
33 digital
0.9 (0.6-1.5) >5 yr
25
0.9 (0.5-1.5) >10 yr
12
0.9 (0.4-1.9) >10 yr
6
1.6 (0.4-6.1) >10 yr
8
0.5 (0.2-1.3) >10 yr
6
1.0 (0.3-3.2) >10 yr
Tabelle 3.6.3/1a: Mobiltelefone und Gehirntumore (SCENIHR 2007)
1
Entstehung maligner Tumore unter Beteiligung verschiedener Faktoren wie Karzinogene, Hormone, genetisch bedingte Defekte der Repa-
ratursysteme der DNS, Immundefekte – die Karzinogenese läuft in drei Stufen ab: Initiierung, Latenzperiode, klinische Manifestation
2
RR – Relative Risk
3
Vom Hüll – und Stützgewebe des Zentralnervensystems ausgehende Tumore (z.B. Spongioblastom, Astrozytom, Glioblastom,..)
4
Langsam wachsender Tumor, der von den Meningen (Deckzellen der Spinnenhaut) des Gehirns und Rückenmarks ausgeht
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Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.6.3.1
[Hardell et al.
2005a, Hardell
et al. 2005b]
Gehirntumore
68 malign, analog
2.6 (1.5-4.3)
198 malign, digital
35 Meningeom, ana1.9 (1.3-2.7)
logue
151 Meningeom, digital 1.7 (1.0-3.0)
[Hepworth et al. 508 Gliome
2006]
[Schüz et al.
138 Gliome
2006a]
104 Meningeome
[Schüz et al.
2006b]
580
Gehirntumore kurze Latenzzeit
20 analog
1.8 (0.9-3.5) 6-10 48 analog
yr†
100 digital
1.6 (1.1-2.4) 1-5 yr 19 digital
1.2 (0.1-12) 1-5 yr
1 analog
1.2 (0.8-1.8) 1-5 yr 20 analog
1.3 (0.9-1.9)
0.9 (0.8-1.1)
96 digital
271 Gliome
1.0 (0.7 - 1.3)
82 Gliome
0.8 (0.6 - 1.1)
73
Meningeome
1.0 (0.9 – 1.1)
266
235
Gehirntumore lange
Latenzzeit
3.5 (2.0-6.4) >10 yr
3.6 (1.7-7.5) >10 yr
2.1 (1.1-4.3) >10 yr
8 digital
170 Gliome
66 Gliome
51 Gliome
12 Gliome
23 Meningeome
0.9 (0.6 – 1.2) 1–4 5 Meningeome
yr
1.0 (0.9 – 1.2) 1-4 28
yr
1.0 (0.8 – 1.1) 5-9
yr
0.9 (0.7-1.1) 1.54yr
0.9 (0.6 – 1.2) 1–4
yr
1.5 (0.6-3.9) >10 yr
1.0 (0.8-1.3) 5-9 yr
0.9 (0.6-1.3) >10yr
1.1 (0.8–1.7) >5yr
2.2 (0.9-5.1) >10yr
0.9 (0.5-1.5) >5yr
1.1 (0.4-3.4) >10yr
0.7 (0.4 -1.0) >10yr
Tabelle 3.6.3/1b: Mobiltelefone und Gehirntumore (SCENIHR 2007)
Insgesamt deuten die Studien auf kein Risiko für Gehirntumore bei einer Benützung bis zu zehn Jahren
hin. Bei einer längeren Benützung bleiben offene Fragen, da die Anzahl der Langzeitbenützer der angeführten Studien klein war. Die Möglichkeit eines etwas erhöhten Risikos für Neurinome 5 und Gliome bei
intensiven Langzeitbenützern bleibt bestehen. In der Zwischenzeit wurden mehrere weitere Studien
veröffentlicht (Klaeboe et al 2007, Hours et al. 2007, Takebayashi et al. 2006, Takebayashi et al. 2008,
Schlehofer et al. 2007) wobei besonders die Interphone – Studie zu erwähnen ist (Cardis et al 2010).
Die Interphone Studie ist eine multinationale Fall-Kontrollstudie, die von der IARC (International Agency
for Research on Cancer) koordiniert wurde. Es waren dreizehn Länder an dieser Studie beteiligt (mehrere Studien aus Tabelle 3.6.3 sind Teile der Interphone-Studie sowie auch die Studien von Klaeboe,
Hours, Takebayashi und Schlehofer), es waren 2.708 Fälle mit Gliomen und 2.409 Fälle mit Meningeomen beteiligt. Sowohl für Gliome als auch Meningeome wurde ein verringertes Risiko beobachtet: OR
0,81; CI 0,7 – 0,94 sowie OR 0,79; CI 0,68 – 0,91. Auch bei einer Benützung über 10 Jahre wurde kein
erhöhtes Risiko gefunden, allerdings gibt es nicht plausible Werte über die Benutzungsdauer für diese
Gruppen. Das Risiko für Gliome war tendenziell auf der Seite des Kopfes, an der das Mobiltelefon benutzt wurde, größer als an der gegenüberliegenden Seite. Die sehr groß angelegte Studie zeigt insgesamt kein erhöhtes Risiko für Gehirntumore, es gibt Hinweise auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko in
der am höchsten exponierten Gruppe, allerdings lassen Verzerrungen wie zum Beispiel geringe Antwortraten bei den Kontrollgruppen sowie Probleme beim Erinnerungsvermögen über die Häufigkeit der
Mobiltelefonbenutzung (Bias) keine kausale Interpretation zu.
Zusätzlich zu den Untersuchungen über Gehirntumore wurden auch Untersuchungen über das Auftreten von Ohrspeicheldrüsenkrebs im Rahmen der Interphone-Studie durchgeführt. Lönn et al 2006 fanden kein erhöhtes Risiko für Ohrspeicheldrüsenkrebs infolge Mobiltelefonbenutzung bei Patienten aus
Dänemark und Schweden. Sadetzki et al 2008 fanden in Israel ebenfalls keinen Zusammenhang sowohl
für gutartigen als auch bösartigen Ohrspeicheldrüsenkrebs.
Die meisten älteren Studien über einen Zusammenhang zwischen Exposition durch Fernseh- und Radiosender und dem Auftreten von Leukämie zeigen keine klaren Ergebnisse und leiden oft unter methodischen Schwächen. Zwei neuere Studien jüngeren Ursprungs zeigen auch kontroverse Ergebnisse.
Eine Fall-Kontrollstudie aus Südkorea mit ca. 2.000 Leukämiefällen und gleichvielen Kontrollpersonen
5
Neurinom: benigner Tumor, der vor allem von Zellen der Schwann’schen Scheide bestimmter Nervenfasern
ausgeht
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.6.3.2
zeigte in einem Abstand von bis zu 2 km von den Sendern ein erhöhtes Risiko (OR=2.15, 95% CI:1.004.67), allerdings nicht für Kinderleukämie. Die Exposition wurde mit einem Programm berechnet (Ha et
al 2007). Die zweite Studie wurde in deutschen Gemeinden in der Umgebung von 16 AM und 8 FM- und
Fernsehsendern durchgeführt (Merzenich et al 2008). Die Exposition wurde für 1.959 Kinderleukämiefälle und 5.848 Kontrollen ebenfalls mit einem Programm abgeschätzt. Das mittlere Risiko betrug 0,86
(CI: 0,67 – 1,11). Für Kinder, die innerhalb von 2 km Entfernung von den Sendern lebten betrug das
mittlere Risiko 1.04 (95% CI: 0.65-1.67) im Vergleich zu Kindern, die in einem Abstand von 10 bis 15 km
zu den Sendern lebten.
3.6.3.2 In vivo Studien
In der Vergangenheit wurde die mögliche Karzinogenität und Co-Karzinogenität hochfrequenter elektromagnetischer Felder in einer Vielzahl von Studien mit überwiegend negativen Ergebnissen untersucht. Die positiven Ergebnisse der Studie von Repacholi et al 1997 über das Auftreten von Lymphomen6 in transgenen Eµ-Pim1 Mäusen stellen eine Ausnahme dar. Diese Studie hatte aber dosimetrische Schwächen. Utteridge et al 2002 konnten diese Ergebnisse nicht bestätigen. Eine Teilstudie von
PERFORM A von Oberto et al 2007 mit verbesserter Dosimetrie und mehreren Expositionsniveaus
zeigte im Vergleich zu den scheinexponierten Kontrolltieren reduzierte Überlebensraten bei den durch
GSM Signale exponierten Tieren, allerdings kein erhöhtes Auftreten von Lymphomen in den exponierten Tieren. Bei Exposition von transgenen AKR/J Mäusen durch UMTS Signale wurde kein Effekt auf
die Häufigkeit des Auftretens von Lymphomen und die Überlebensdauer gefunden (Sommer et al 2007).
Zwei Studien untersuchten die Auswirkungen von GSM 900 und 1800 Signalen auf die Karzinogenität
von B6C3F1 Mäusen (Tillmann et al 2007) und Wistar Ratten (Smith et al 2007). Tillman und Kollegen
fanden keine Erhöhungen krebsartiger und nicht krebsartiger Läsionen infolge der Hochfrequenzexposition, allerdings eine statistisch relevante Reduktion der Häufigkeit von Leber Adenomen mit zunehmender Exposition. Die Studie von Smith et al 2007 zeigte keinerlei signifikante Unterschiede beim Auftreten, der Häufigkeit, der Latenz oder des Grades verschiedener Neoplasmen und auch sonst keine negativen Effekte der Hochfrequenzexposition. Saran et al 2007 untersuchten die Auswirkungen von GSM
Signalen bei mit radioaktiver Strahlung vorbehandelten Mäusen auf die Entwicklung von Gehirntumoren
und fanden keine Auswirkungen auf die Überlebensraten und keine statistisch signifikanten Veränderungen bei verschiedenen Tumoren infolge der Exposition (teilweise gefundene Erhöhungen der Häufigkeit waren nicht signifikant). Shirai et al 2007 fanden bei Ratten eine nicht signifikante Erhöhung der
Induktion von ENU induzierten Gehirntumoren durch Hochfrequenzfelder, allerdings wurde in einer früheren Studie dieser Gruppe der entgegengesetzte Effekt gefunden (Shirai et al 2005). Hruby et al 2008
untersuchten weibliche Sprague Dawley Ratten, die mit DMBA vorbehandelt wurden. Es wurden signifikant mehr bösartige Tumore (Lymphome) in der am höchsten exponierten Gruppe im Vergleich zur
scheinexponierten Gruppe gefunden, allerdings war die Anzahl der Tumore in der Kontrollgruppe (diese
Tiere wurden nie in die Expositionsvorrichtungen gebracht) am größten. Die Anzahl der gutartigen Tumore war hingegen in den drei exponierten Gruppen signifikant geringer als in der scheinexponierten
Gruppe. In einer chinesischen Studie wurde das gleiche Protokoll verwendet (Yu et al 2006), allerdings
wurden keine statistisch signifikanten Unterschiede gefunden. Die Studien zeigten jedoch vergleichbare
Trends, also z.B. die höchsten Tumorraten bei den Kontrolltieren. Insgesamt deuten die Studien auf
eine eingeschränkte Verwendbarkeit des DMBA Modells hin.
3.6.3.3 In vitro Studien
6
Lymphome: Sammelbezeichnung für unterschiedliche Lymphknotenvergrößerungen darunter auch malignes
Lymphom = Neoplasma, das vom lymphatischen Gewebe ausgeht
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.6.3.3
In den letzten Jahren wurden ein Vielzahl von Studien über genotoxische und nicht genotoxische Effekte elektromagnetischer Felder durchgeführt. Um genotoxische Effekte zu untersuchen, werden verschiedene Techniken wie Mikrokerntests (MN), DNA Bruchtests (Comet Assay) aber auch Untersuchungen von Chromosomaberationen (CA) und SCE (Sister Chromatid Exchange). CA Tests zeigen
Chromosomenbrüche oder den Verlust oder Gewinn von Chromosomen durch Untersuchungen in der
Metaphase von Zellen. Der MN Ansatz zeigt Mikrokerne, die DNA Fragmente von Chromosomen oder
ganze Chromosome beinhaltet, die nicht in Tochterzellen in der Anaphase der Zellteilung inkooperiert
wurden und ein Indikator für DNA Schädigung in der Interphase von Zellen sind. Der SCE Ansatz dient
der Untersuchung von DNA Zellbrüchen und entsprechenden Reparaturmechanismen. Der Comet Assay analysiert DNA Schaden in Zellen in der Interphase und kann u.a. Doppel- und Einzelstrangbrüche
detektieren.
Genotoxische Studien
In der Vergangenheit wurden mehrere genotoxische Studien mit unterschiedlichen Ergebnissen durchgeführt. Eine detaillierte Darstellung würde den Rahmen dieser Vorlesung sprechen, zu diesem Zweck
sei auf z.B. SCENIHR 2009 oder ICNIRP 2009 verwiesen. In diesem Rahmen werden nur einige exemplarische Studien diskutiert. Zeni et al 2008 und Valbonesi et al 2008 fanden keine genotoxischen Effekte bei menschlichen Lymphozyten bzw. Trophoblastzellen. Schwarz et al 2008 fanden Effekte an
menschlichen Fibroblasten und Lymphozyten infolge UMTS Exposition. Kim JY et al 2008 fanden kombinierte Effekte von Hochfrequenzfeldern und einem Kanzerogen (EMS) bei Säugetierzellen. Mazor et
al 2008 fanden erhöhte Chromosomaberationen in menschlichen Lymphozyten bei Untersuchungen von
Aneuploidie. Auch Yao et al 2008 fanden erhöhte DNA Schäden in menschlichen Eptihelzellen nach
Hochfrequenzexposition, der Effekt konnte aber durch Hintergrundfelder von 2 µT blockiert werden.
Nichtgenotoxische Studien
In vitro Untersuchungen können über verschiedene zellulare Prozesse wie Zellzyklus, Apoptose als
auch metabolische und molekulare Veränderungen durchgeführt werden. Yao et al 2008 untersuchten
außer DNA Schäden auch die Auslösung von Apoptose und den Auslass reaktiver Sauerstoffe (ROS)
nach 24 stündiger Exposition von menschlichen Epithelzellen und fanden erhöhte ROS Niveaus, aber
keine Veränderungen bei der Apoptose. Die Autoren vermuten einen Zusammenhang zwischen den
DNA Schädigungen und den erhöhten ROS Niveaus. Auch Joubert et al 2007 fanden keinen Zusammenhang zwischen RF Exposition und Apoptose bei Neuronen von Ratten. Zeni et al 2007 hingegen
fanden keinen Zusammenhang zwischen RF Exposition von L929 Zellen und ROS Formierung. Oxidative Veränderungen wurden auch von Höytö et al 2008 gefunden. Eine erhöhte Expression von Proteinen
der menschlichen Haut durch GSM Signale wurde von Karinen et al 2008 beobachtet. Von 1200 Genen
wurde bei 34 eine veränderte Expression durch HF Exposition beobachtet (Zhao et al 2007).
Die vorliegenden in vivo Studien zeigen zwar teilweise positive Effekte, aber keine konsistenten DosisWirkungsbeziehungen und legen die Vermutung statistisch unvermeidbarer positiver Effekte aufgrund
der großen Vielzahl der untersuchten Endpunkte nahe. Die Bedeutung der Ergebnisse der in vitro Studien bleibt insgesamt unklar, ein mechanistisches Verständnis der in mehreren Studien gefundenen
Effekte fehlt zurzeit.
Nach heutigem Kenntnisstand bestehen keine verlässlichen Hinweise auf krebserzeugende Wirkungen von Hochfrequenzfeldern unterhalb der bestehenden Grenzwerte, wobei es allerdings im
Hinblick auf Langzeitwirkungen offene Fragen gibt.
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Seite 3.6.3.4
3.6.4
Sonstige Wirkungen
3.6.4.1 Kardiovaskuläre Symptome
Eine erste Studie einer Autorengruppe zeigte die Abnahme von Blutdruck nach der Benützung eines
Mobiltelefons, diese Ergebnisse konnten jedoch in einer zweiten Arbeit nicht bestätigt werden (Braune
et al 2002, Braune et al 1998). Der einzige replizierte Effekt im kardiovaskulären Bereich ist erhöhter
Blutfluss im äußeren Ohr (Monfrecola et al 2003, Roelandts 2003). Zudem wurden lokale Temperaturanstiege beobachtet (Paredi et al 2001, Curcio et al 2004).
3.6.4.2 Teratogenese und Fertilität
Eine Vielzahl von Tierstudien hat gezeigt, dass Hochfrequenzfelder bei Expositionsniveaus die eine
Temperaturerhöhung von mehr als 1 Grad Celsius verursachen teratogen sind. Bei Expositionsniveaus,
die keine nachweisbaren Temperaturerhöhungen verursachen, gibt es keine konsistenten Ergebnisse.
Entwicklung
Eine große dänische Kohortenstudie (Divan et al 2008) fanden bei siebenjährigen Kindern, deren Mütter
während oder nach der Schwangerschaft telefoniert hatten vermehrt Verhaltensstörungen. Die sehr geringe Exposition des Ungeborenen durch Mobiltelefone macht einen Zusammenhang unwahrscheinlich,
die Ursache für die Ergebnisse bleibt ungeklärt. Odaci et al 2008 fanden Veränderungen in Zellen des
Hippocampus bei jungen Ratten, die in der pränatalen Phase exponiert bei Spitzen SAR Werten von bis
zu 2 W/kg exponiert wurden. Die geringe Anzahl von Tieren und die nicht näher beschriebene Dosimetrie machen weitere Schlussfolgerungen schwierig.
Reproduktion
In zwei Querschnittsstudien wurde die Fruchtbarkeit von Männern in der norwegischen Marine untersucht. Møllerløkken and Moen (2008) erhoben Daten von ca. 1.500 Soldaten anhand eines Fragebogens über elektromagnetische Felder, Lebensstil, Gesundheit, Arbeit und Ausbildung. Selbstdiagnostizierte Unfruchtbarkeit wurde mit Tätigkeiten im Telekommunikationsbereich, Elektronik sowie an Radaranlagen assoziiert. Ähnliche Ergebnisse wurden von Baste et al 2008 erzielt. Aufgrund der Schwächen
der Studien wie der Selbstabschätzung der Erkrankung oder der Art der Expositionsabschätzung können keine Schlussfolgerungen gezogen werden.
Zwei Studien (Agarwar et al 2008 und Wdowiak et al 2007) haben eine reduzierte Spermienqualität bei
Mobiltelefonbenutzung gefunden. Verzerrungen könnten durch Unterschiede im Lebensstil verursacht
worden sein.
Insgesamt zeigen auch neuere Studien keine verlässlichen Hinweise, dass HF Felder im nicht thermischen Bereich Auswirkungen auf pränatale Entwicklung sowie auf das Verhalten haben. Die Studien
über die Spermienqualität sind methodisch zu schwach für fundierte Schlussfolgerungen.
3.6.4.3 Symptome
In Ihrer Gesamtheit zeigen ältere Studien keine schlüssigen Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen subjektiven Symptomen wie Kopfschmerzen, Müdigkeit Schwindel oder Konzentrationsschwierigkeiten und der Hochfrequenzexposition. Oftedal et al 2007 und Hillert et al 2008 fanden bei Personen, die von sich aus behaupteten sensibel gegenüber Mobiltelefonen zu sein keine Effekte der Hochfrequenzfelder auf Herzschlag und Blutdruck. Hillert und Kollegen fanden einen signifikanten Anstieg
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.6.4.1
von selbstberichteten Kopfschmerzen nach 3 Stunden Hochfrequenzexposition bei 1,4 W/kg, allerdings
war dieser Effekt nur bei den Personen zu beobachten, die sich nicht als sensibel gegenüber elektromagnetischen Feldern bezeichneten. Cinel et al 2008 beobachteten in einer Studie Auswirkungen auf
Schwindel bei Männern, konnten diese Ergebnisse in zwei Nachfolgestudien jedoch nicht bestätigen.
Auswirkungen auf Kopfschmerzen, Müdigkeit und Hautirritationen wurden nicht beobachtet.
Epidemiologische Studien über die Benützung von Mobiltelefonen, Exposition durch Basisstationen
oder militärische Sendeanlagen (Söderqvist et al 2008, Abdel-Rassoul et al 2007, Preece et al 2007)
berichten von verschiedenen Symptomen, leiden aber unter methodologischen Schwächen und sind
daher für keine Schlussfolgerungen geeignet. Thomas et al 2008 fanden in einer mit Exposimetern in
Deutschland durchgeführten Studie keinen Zusammenhang zwischen Exposition und verschiedenen
Symptomen. Regel et al 2006 konnten die Ergebnisse der sogenannten TNO Studie (Zwamborn et al
2003) über einen Zusammenhang von Wohlbefinden und Hochfrequenzexposition nicht reproduzieren,
Riddervold et al 2008 fanden keine Auswirkungen auf kognitive Aufgaben, allerdings in einem Fall auf
Kopfschmerzen. Röösli et al 2008 untersuchten in einer Metaanalyse die Fähigkeit zwischen Exposition
und Scheinexposition zu unterscheiden und fanden insgesamt Ergebnisse, die leicht über dem Zufall
lagen (Die Probanden konnten insgesamt Exposition etwas häufiger richtig erkennen, als es zufällig zu
erwarten wäre).
Neuere Studien zeigen insgesamt in einigen Fällen Assoziationen zwischen einzelnen Symptomen und
Exposition, allerdings fehlen konsistente Ergebnisse. Die bestehenden Ergebnisse lassen in ihrer Gesamtheit keinen validen Rückschluss auf einen Zusammenhang zwischen HF Exposition und subjektiven Symptomen zu. Nichtverblindete Studien deuten daraufhin, dass Nocebo Effekte bei der
Symptombildung eine Rolle spielen könnten. Dies schließt allerdings einen möglichen Effekt von Hochfrequenzfeldern nicht aus.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.6.4.2
3.7
Aktive Implantate
3.7.1
Herzschrittmacher und Defibrillatoren
3.7.1.1 Funktionsweise des Herzens
Im folgenden wird auszugsweise aus Kunsch et al 1997 zitiert.
Das Herz ist ein Hohlmuskel, der durch die Zusammenziehung seiner Muskelschicht aus den Herzhöhlen Blut wirft (Faller 1988). Das Herz kann als der Motor des Kreislaufs gesehen werden. Sauerstoffreiches Blut gelangt aus der Lunge in den linken Vorhof (Atrium), von dort in die linke Hauptkammer (Ventrikel) und wird dann in den sogenannten Körperkreislauf gepumpt. Der gesamte Körper wird mit sauerstoffreichem Blut versorgt. Von den einzelnen Körperteilen und Organen fließt das sauerstoffarme Blut
in das rechte Atrium zurück. Über den rechte Ventrikel gelangt das sauerstoffarme Blut in die Lunge, wo
es wieder mit Sauerstoff angereichert wird. Von dort gelangt es wieder in das linke Atrium (Lungenkreislauf). Verschiedene Klappen verhindern den Rückfluss des Blutes. Die Herzwand besteht aus drei
Schichten: Der Herzinnenhaut (Endokard), dem Herzmuskel (Myokard) und der äußeren Herzhaut
(Epikard). Das Endokard kleidet die Herzhöhlen aus und bildet die Herzklappen.
In der folgenden Abbildung ist die Funktionsweise des linken Herzens vereinfacht dargestellt.
Bild 3.7.1/1: Funktionelle Darstellung des linken Herzens (Faller 1988)
In Bild 3.7.1/1a erfolgt durch die Kontraktion des Atriums der Blutfluss in das Ventrikel. Die Herzmuskulatur verhindert ein Zurückströmen in die Venen. Die Klappe zwischen Vorhof und Hauptkammer ist geöffnet, durch eine geschlossene Klappe wird der Rückstrom von den Arterien in die Hauptkammer verhindert. Der Vorhof ist kontrahiert (Systole), die Hauptkammer erschlafft (Diastole). In Bild 3.7.1/1b ist
die Klappe zwischen Vorhof und Hauptkammer geschlossen, der Vorhof erschlafft und die Hauptkammer kontrahiert. Es fließt in dieser Phase Blut von der Hauptkammer in die Arterie und von den Venen
in den Vorhof.
Die für die Muskelkontraktion notwendige Erregung entsteht im Herzen selbst (Schmidt und Thews
1995). Die Erregung wird im sogenannten Sinusknoten im rechten Vorhof ausgelöst (Schrittmacherfunktion des Herzens, siehe auch Bild 3.7.1/2).
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.1.1
Bild 3.7.1/2: Schema der Erregungsbildung (Schmidt und Thews 1995)
Die Erregung breitet sich vom Sinusknoten in die Muskulatur beider Vorhöfe aus (Dauer ca. 100 Millisekunden, Anregung zur Kontraktion der beiden Vorhöfe). Dann erreicht die Erregung den
Atrioventrikularknoten (AV Knoten, Verzögerung ca. 90 ms). Über das His Bündel, die Bündelschenkel
und letztendlich die Purkinje Fäden erfolgt die Erregung der Herzkammern. Zu erwähnen ist, dass die
elektrische Erregung des Herzens nur über die beschriebene Leitung erfolgen kann. Atrium und Ventrikel sind ansonsten elektrisch isoliert.
Elektrokardiogramm (EKG)
Von besonderer Bedeutung ist das EKG. Bei der Veränderung der Erregung des Herzens treten Ströme
im Körper auf, die sich in Form von Spannungsdifferenzen an der Körperoberfläche messen lassen. Im
folgenden ist ein typisches EKG abgebildet.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.1.2
Bild 3.7.1/3: Elektrokardiogramm (Schmidt und Thews 1995)
Die sogenannte P-Welle ist Ausdruck der Erregung der Atrien. In der PQ-Strecke sind die Vorhöfe als
ganzes erregt. Die QRS Gruppe beschreibt die Erregung beider Ventrikel, die
T-Welle beschreibt die Erregungsrückbildung in den Hauptkammern. Die U-Welle beschreibt die Erregungsrückbildung in den Endverzweigungen der Ventrikel.
Störungen der Herzrhythmik
Ein Ausfall der Erregung im Erregungszentrum führt nicht unbedingt zum Herzstillstand, da nachfolgende Stationen (z. B. AV-Knoten) die Erregung übernehmen können (allerdings mit geringerer Erregungsfrequenz). Störungen der Automatie der Erregung können durch künstliche elektrische Stimulationen
durch Herzschrittmacher ausgeglichen werden (Sutton und Burgeois 1991).
Eine Unterbrechung bzw. Behinderung der Reizleitung führt zum sogenannten Herzblock. Beim totalen
Herzblock schlagen Vorhöfe und Kammer mit unterschiedlicher Frequenz. Dies kann unter Umständen
zum Kreislaufstillstand führen, da die Kammerfrequenz zu niedrig ist.
Unter Flimmern (Fibrillationen) versteht man unkoordinierte Kontraktionen der Herzmuskulatur. Vorhofflimmern beeinträchtigt die Herztätigkeit, Kammerflimmern führt zum Kreislaufstillstand. Am EKG kann
Kammerflimmern als schnelle, unkoordinierte elektrische Aktivität erkannt werden. Ausgelöst werden
kann Kammerflimmern z. B. durch elektrische Erregungen im Bereich der T-Welle. Daher ist diese Phase kritisch (vulnerable Phase).
Unter einer Asystolie versteht man das vollständige Aussetzen der Erregung des Herzens. Asystolien
führen zum Herzstillstand. Die Ursache kann im Aussetzen der Aktivität des Sinusknotens und keiner
Übernahme der Erregung durch nachfolgende Erregungszentren liegen.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.1.3
Tachykardie ist eine Erhöhung der Schlagfolge des Herzens auf über 100 pro Minute.
Unter Bradykardie versteht man eine Verringerung der Schlagfolge das Herzens auf unter 60 pro Minute.
3.7.1.2 Funktionsweise von Herzschrittmachern
Ein Herzschrittmacher ist im wesentlichen ein elektronischer Impulsgenerator, der durch die gezielte
Abgabe elektrischer Impulse an das Herz Ausfälle und Fehlfunktionen des Erregungsleitungssystems
ausgleichen kann. Der Herzschrittmacher selbst ist ein etwa streichholzschachtelgroßes Gerät, das unter die Haut implantiert wird (zum Beispiel im Bereich der Brustmuskulatur oder der Bauchmuskulatur),
von dem eine oder mehrere Elektroden durch die Venen zum Herzen geführt werden. Bild 3.7.1/4 zeigt
schematisch einen unipolaren (oben) und einen bipolaren (unten) Herzschrittmacher (ohne Elektroden).
Beim unipolaren Typ wird vom Herzschrittmacher nur eine (die negative) Elektrode zum Herzen geführt.
Den Gegenpol (positive Elektrode) stellt das metallische (meist aus Titan) Gehäuse des Herzschrittmachers dar. Im Falle eines bipolaren Herzschrittmachers werden 2 Elektroden (positive und negative
Elektrode) koaxial zum Herzen geführt. Der abgegebene Spannungsimpuls liegt demnach nur zwischen
räumlich eng benachbarten Punkten (den beiden Elektrodenspitzen) an und nicht zwischen Elektrodenspitze und Gehäuse.
Bild 3.7.1/4: Schematische Darstellung eines unipolaren (oben) und eines bipolaren (unten) Herzschrittmachers, aus Meckelburg et al 1996.
Da die Abgabe dieser Impulse sowohl bezüglich Ort (Vorhof oder Ventrikel), Intensität und Zeitpunkt auf
die jeweilige Patientensituation abgestimmt werden muss, sind moderne Herzschrittmacher heute in
vielen unterschiedlichen Modellen verfügbar und können durch Programmierung unterschiedlicher
Betriebparameter an die Bedürfnisse des Patienten angepasst werden. Bild 3.7.1/5 zeigt typische Implantationsarten von Herzschrittmachern. Die Programmierung der Herzschrittmacher erfolgt durch induktive Kopplung zwischen Programmierkopf und Herzschrittmacher durch die Haut des Patienten und
das Schrittmachergehäuse hindurch, wobei der Programmierkopf auf die Körperoberfläche des Patienten im Bereich über dem Schrittmachergehäuse aufgelegt wird.
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Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.1.4
Moderne Schrittmacher sind meist sogenannte Demand-Schrittmacher (Bedarfs-Schrittmacher), das
heißt die Abgabe eines Stimulus erfolgt nur bei unzureichender Herzeigenaktivität. Aufgrund dieser Tatsache müssen moderne Herzschrittmacher die Fähigkeit besitzen Herzeigensignale zu erkennen und
abhängig davon, je nach Betriebsart, Impulse an das Herz abgeben (triggern) oder die Impulsabgabe
unterdrücken (inhibieren). Im Falle eines Patienten mit teilweise vorhandener Herzeigenaktivität darf der
Herzschrittmacher beispielsweise nur dann stimulieren, wenn keine Herzeigenaktion vorhanden ist. In
Herzperioden in denen das Patientenherz normale Eigenaktivität zeigt, muss der Herzschrittmacher
seinen Stimulus unterdrücken (Inhibition). Eine andere Situation liegt beim bereits genannten totalen
AV-Block vor. Hier wird die normale (physiologische) Aktion des Vorhofes vom Herzschrittmacher registriert um (nach einer physiologisch notwendigen Verzögerung) die Impulsabgabe an die Ventrikel zu
veranlassen (Triggerung). Die notwendige Fähigkeit von Herzschrittmachern, Herzeigensignale erkennen und interpretieren zu müssen, ist gleichzeitig einer der wesentlichsten Ansatzpunkte für potentielle
Störsignale. Wird nämlich ein in die Elektroden des Herzschrittmachers eingekoppeltes Störsignal als
Herzeigenaktivität fehlinterpretiert, so erfolgt je nach Betriebssituation entweder eine nicht adäquate
Inhibierung (das heißt es wird vom Schrittmacher kein Stimulus abgegeben, obwohl einer notwendig
gewesen wäre) oder eine nicht adäquate Triggerung (Abgabe eines nicht erforderlichen Stimulus). Eine
nicht adäquate Inhibierung über eine entsprechend lange Zeitdauer stellt unter Umständen eine lebensbedrohliche Situation für den Patienten dar (je nach noch vorhandener Herzeigenaktivität). Nicht
adäquate Triggerung führt zur asynchronen Stimulierung des Herzens (ohne zeitliche Abstimmung) zur
Herzeigenaktivität. Dies kann bei Stimulierung in der sogenannten vulnerablen Phase der Herzperiode
ungünstigstenfalls zu Herzkammerflimmern führen und somit ebenfalls eine bedrohliche Situation darstellen. Erkennt der Herzschrittmacher ein eingekoppeltes Störsignal als solches (das heißt er erkennt,
daß es sich um keine Herzeigenaktion handelt), so schaltet er in den asynchronen Betriebsmodus (Umschaltung auf Störfrequenz).
Bild 3.7.1/5 gibt eine Übersicht über Implantationsarten von Herzschrittmachern. Die Implantationsart ist
insofern für Betrachtungen der Störbeeinflussungsmöglichkeiten relevant, als sie für unipolare Herzschrittmacher die wirksame Antennenfläche der Elektroden bestimmt. Grundsätzlich wächst das Risiko
einer Störbeeinflussung mit größerer wirksamer Antennenfläche. Bild 3.7.1/6 zeigt die wirksamen Antennenflächen bei linkspektoraler und bei rechtspektoraler Implantationsvariante. Im rechtspektoralen
Fall ist die Antennenfläche dabei deutlich geringer, was in bezug auf die Störsignaleinkopplung günstiger ist. Für bipolare Herzschrittmacher ist die wirksame Antennenfläche nur durch die Lage der Elektrodenenden im Herzen bestimmt und daher entsprechend klein. Bipolare Herzschrittmacher sind daher
bezüglich möglicher Störsignaleinkopplungen generell günstiger.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.1.5
a
b
c
Bild 3.7.1/5: Implantationsarten von Herzschrittmachern, links: rechts-pektoral, mitte: links-pektoral,
rechts: abdominell; aus Schmid et al 2001.
Bild 3.7.1/6: Wirksame Antennenfläche in Abhängigkeit von der Lage des Herzschrittmachers und den
Elektroden, links: links-pektorale Implantation mit relativ großer Antennenfläche, rechts: rechts-pektorale
Implantation mit wesentlich kleinerer Antennenfläche; aus Gebhardt und Irnich 1979
Mögliche Fehlerarten durch elektromagnetische Wechselwirkungen
Umschaltung auf Festfrequenz (asynchroner Betriebsmodus)
Dies ist eine im Herzschrittmacher implementierte Betriebsart, die aktiviert wird, wenn der Herzschrittmacher Störsignale an seinem Eingang detektiert und er diese als solche auch erkennt. In dieser Situation ist es dem Herzschrittmacher nicht mehr möglich die Herzeigenaktivitäten zuverlässig zu registrieren (sie werden vom anliegenden Störsignal überlagert) und er schaltet daher auf eine asynchrone Stimulierung, das heißt er stimuliert das Herz mit einer fix vorgegebenen (vorprogrammierten) Frequenz.
Diese Betriebsart kann demnach als eine Art Notbetrieb des Schrittmachers aufgefaßt werden. Probleme können sich für den Patienten unter Umständen durch die asynchrone Stimulierung des Herzens
ergeben (zum Beispiel ventrikuläre Tachykardien bzw. ungünstigstenfalls Kammerflimmern).
Intermittierende Inhibition
In diesem Fall inhibiert (unterdrückt) der Herzschrittmacher seine Stimulationsimpulse für die Zeitdauer
des Einwirkens des Störsignals. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, daß der Herzschrittmacher die
Störsignale als Herzeigenaktivität fehlinterpretiert. Der Grad der Bedrohung für den Patienten hängt in
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.1.6
diesem Fall von der Einwirkungsdauer des Störsignal und vom Ausmaß der noch vorhandenen Eigenaktivität des Herzens ab.
Dauerhafte Inhibition
In diesem Fall nimmt der Herzschrittmacher auch nach dem Ende der Störsignaleinwirkung seine normale Funktion nicht wieder auf. Für Patienten ohne Eigenrhythmus stellt dies eine akut lebensbedrohliche Situation dar. Es muss jedoch betont werden, dass diese Fehlerart in Zusammenhang mit der Störbeeinflussung von Herzschrittmachern durch nichtionisierende elektromagnetische Strahlung, wie sie
hier betrachtet wird nur von geringer Bedeutung ist.
Triggerung der Stimulusabgabe durch das Störsignal
Der Herzschrittmacher gibt seine Impulse synchron zum einwirkenden Störsignal und damit ohne Rücksicht auf die physiologischen Bedürfnisse des Patientenherzens ab. Je nach Frequenz des Störsignals
kann dies zu bedrohlichen hämodynamischen Situationen führen.
Umprogrammierung des Herzschrittmachers
Dies kann unter Umständen auftreten, wenn das einwirkende Störsignal zufällig Ähnlichkeit mit gültigen
Programmier-Impulsmustern des Herzschrittmachers besitzt. In diesem Fall reicht das Spektrum der
Auswirkungen von nicht wahrnehmbaren Änderungen der Betriebsparameter bis hin zu bedrohlichen
Situationen aufgrund nicht mehr adäquater Einstellung der Betriebsparameter des Herzschrittmachers.
3.7.1.3 Beeinflussungen von Herzschrittmachern
Beeinflussungen durch medizinische Quellen
Magnetresonanztomographen
Im Rahmen 14 Studien wurden über Beeinflussungen durch MRI an 123 Herzschrittmachern Untersuchungen durchgeführt. Dabei kam es bei 9 von 64 Herzschrittmachern (14%) zu einer Steigerung der
Taktrate, 82 von 115 (71%) zeigten einen Übergang in den Sicherheitsmodus durch Schließen des
Reedschalters, 2 von 26 (8%) inhibierten die Ausgangsspannung und bei ebenfalls 2 von 26 (8%)
kam es zu einer Umschaltung in den asynchronen Sicherheitsmodus kombiniert mit einer Steigerung
der Taktrate. Von 49 untersuchten Schrittmachern änderten 4 (8%) den Schwellwert der Detektion und
1 (2%) den Stimulationsschwellwert. Bei 5 von 31 (16%) untersuchten Herzschrittmachern wurde eine
mechanische Kraftwirkung infolge des statischen Magnetfeldes die größer als die Schwerkraft war festgestellt.
Weiters wurde in den Studien auch eine Beeinflussung des Reedschalters durch mobile MRI-Anlagen
festgestellt, wie auch Temperaturerhöhungen an den Elektrodenspitzen, die teilweise Beschädigungen
des Gewebes möglich machen. Zusätzlich wurden Kräfte sowie Drehmomente untersucht, die durch
das statische magnetische Feld im MRI verursacht wurden. Dabei traten in 5 von 31 Schrittmachern
größere magnetische Kräfte (bis zu 55,6 N/kg) auf das Implantat auf als die Schwerkraft (9,81 N/kg)
Allerdings zeigt der Trend bei aktuelleren Studien eindeutig, dass mit modernen Implantaten durchaus
ein MRT durchgeführt werden kann (zumindest wenn das Implantat in Sicherheitsmodus betrieben wird
oder deaktiviert ist), dies ist aber immer von den verwendeten MRI-Geräten und Schrittmachern abhängig und von Fall zu Fall zu entscheiden.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.1.7
Bild 3.7.1/7:
Magnetresonanztomograph mit Phantom zur Untersuchung der Erwärmung an
den Elektrodenspitzen (Überbacher 2001).
Elektrochirurgie, Ablation und Endoskopie
In 13 Arbeiten zu Elektrokautern und RF-Ablation wurden an 187 Herzschrittmachern Untersuchungen
durchgeführt. Dabei kam es bei 60 Herzschrittmachern (32%) zu einer Beeinflussung durch das HFFeld. 4 (2%) zeigten eine Steigerung der Taktrate, 17 (9%) schalten in den asynchronen
Sicherheitmodus, 32 (17%) inhibierten die Ausgangsspannung und bei 7 (4%) kam es zu einem
„Reset“ (Rücksetzen auf die vom Hersteller voreingestellten Parameter). Aktuelle Studien zeigen, dass
auch bei modernen Schrittmachern mit einer Beeinflussung während dem Kautern zu rechnen ist.
Zur drahtlosen Endoskopie wurden 3 Studien erhoben. Es wurden 121 Schrittmacher untersucht, dabei
kam es bei 4 Schrittmachern (3%) zu einem reversiblen Übergang in den Asynchronmodus, der allerdings keine weiteren Auswirkungen auch den Patienten hatte. Die drahtlose Endoskopie kann somit für
Schrittmacherpatienten bei entsprechender Überwachung als sicher angesehen werden.
Zahnärztliche Geräte
In vier Arbeiten wurden an 43 Herzschrittmachern Untersuchungen durchgeführt. Dabei kam es bei 2
Herzschrittmachern (5%) zu einer Beeinflussung durch zahnärztliche Geräte. In beiden Fällen (100 %)
traten Inhibitionen auf. Ob Ultraschallzahnsteinentfernungsgeräte Herzschrittmacher stören können, ist
aufgrund der vorliegenden Literatur nicht ersichtlich und bedarf weiterer Untersuchungen.
Es muss in diesem Kapitel aber besonders betont werden, dass bei den Untersuchungen von 1973 und
1974 Schrittmacher verwendet wurden, die nicht mehr dem heutigen Stand der Technik entsprechen
und nicht mehr in Verwendung sind. Aktuelle Studien zu diesem Thema konnten nicht erhoben werden,
es ist allerdings anzunehmen, dass moderne Schrittmacher wesentlich resistenter gegen Beeinflussungen sind.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.1.8
Apparative Physiotherapie
In drei Studien an 156 Herzschrittmachern wurden Untersuchungen durchgeführt. Dabei kam es bei 114
Herzschrittmachern (73%) zu einer Beeinflussung. 23 % zeigten Unregelmäßigkeiten in der Ausgangsspannung, 44 % schalteten in den asynchronen Sicherheitsmodus und 33 % inhibierten die
Ausgangsspannung.
Auch in einer aktuellen Arbeit traten bei einer elektrokonvulsiven Therapie Beeinflussungen auf. Aufgrund der relativ großen Vielfalt in der apparativen Physiotherapie ist ein allgemeines Urteil über die
Störfestigkeit von Schrittmachern nicht möglich, jedes angewendete Verfahren muss vorher auf seine
Sicherheit für Schrittmacherpatienten überprüft werden.
Nervstimulationen
In vier Arbeiten wurden Nervstimulationen an 80 Herzschrittmacherpatienten durchgeführt. Dabei kam
es nur in einem einzigen Fall (1 %) zu einer Beeinflussung. Die Folge war eine temporäre Schrittmacherinhibition. Aufgrund der Ergebnisse ist anzunehmen, dass bei modernen Schrittmachern mit bipolaren Elektroden keine Beeinflussungen zu erwarten sind, allerdings ist auch in diesem Fall eine vorherige
Überprüfung sinnvoll.
Wechselwirkungen mit anderen Implantaten
Es wurden 5 Studien an insgesamt 31 Patienten mit Rückenmarkstimulatoren und Herzschrittmachern
durchgeführt. Nur in einem Fall (3 %) kam es ohne zusätzliche Maßnahmen zu einer Beeinflussung
des Herzschrittmachers. Der Rückenmarkstimulator wurde in keinem Fall in seiner Funktion gestört.
Unter Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen wie die Verwendung bipolarer Schrittmacher oder die
Einstellung geeigneter Empfindlichkeiten ist die gleichzeitige Implantation von Rückenmarkstimulatoren
und Herzschrittmachern gefahrlos möglich.
In einem Fall wurde auch die Beeinflussung eines Schrittmachers durch einen Deep-Brain-Stimulator
untersucht, es zeigten sich keine Beeinflussungen.
Beeinflussungen durch nichtmedizinische Quellen
Mobilfunk
Im Bereich Mobilfunk liegt, die größte Anzahl an Untersuchungen vor, 35 Studien mit Untersuchungen
an 4432 Herzschrittmachern wurden durchgeführt. Dabei zeigten 860 Herzschrittmacher (19%) eine
Beeinflussung durch das Mobilfunkgerät. Die Auswertung der 17 Studien, die auch über die Fehlfunktionen der Herzschrittmacher berichten (398 Fälle), ergibt in 28 % (111) der beeinflussten Herzschrittmacher eine Inhibition, in 35 % (140) kommt es zum Umschalten in den Sicherheitsmodus und in
47 % (147) zeigen die Herzschrittmacher ein falsches Stimulationssignal (Stimulation mit der Störfrequenz).
Die auftretenden Störungen (Inhibition, Umschalten in den Sicherheitsmodus oder Stimulation mit einem
falschen Stimulationssignal) können zu Beschwerden von Patienten führen, die in Einzelfällen lebensbedrohlich sein können. Die Störungen von Herzschrittmachern hängen von vielen Parametern ab. Hervorzuheben sind die Sendeleistung, die Frequenz und die Modulationsform des Mobilfunksystems, der
Abstand zwischen Mobilfunkgerät und dem Herzschrittmacher, die Implantationstiefe, der Betriebszustand und die Störfestigkeit des Herzschrittmachers.
Ein Sicherheitsabstand von 0,4 m ist in fast allen Fällen ausreichend, um Störbeeinflussungen durch
Mobilfunkgeräte zu vermeiden. Nur in einem Einzelfall mit einem älteren Implantat wird von einer BeeinDr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.1.9
flussung eines Herzschrittmachers durch ein Mobilfunkgerät in einer Entfernung von 120 cm berichtet.
Telefonieren an der dem Implantat entgegen gesetzten Seite verringert die Möglichkeit einer Beeinflussung ebenfalls. Herzschrittmacherpatienten sollten ihr eingeschaltetes Mobilfunkgerät nicht in der Brusttasche tragen.
Bei moderneren Implantaten geht die Tendenz dazu, dass die Schrittmacher besser gegen die elektromagnetischen Felder der Mobiltelefone geschützt sind und somit kleinere Sicherheitsabstände möglich
sind und weniger Beeinflussungen auftreten. In den aktuelleren Studien (nach 2002) treten Beeinflussungen nicht unter einem Abstand von 15 cm auf, dieser Abstand wird auch z.B von FDA (US Food and
Drug Administration) als Mindestabstand empfohlen, allerdings wird in einer Studie in einem Einzelfall
auch von einer Beeinflussung in 30cm Abstand berichtet.
In einigen Arbeiten werden keine Aussagen über die Sendeleistung der Mobiltelefone während den Untersuchungen gemacht. Dies reduziert die Aussagekraft dieser Arbeiten beträchtlich, da bei höherer
Sendeleistung auch die Wahrscheinlichkeit einer Beeinflussung steigen würde. Zudem gibt es in einigen
Fällen keine Angaben über den Betriebsmodus des Mobiltelefons während den Untersuchungen. Dies
kann aber ebenfalls aufgrund der auftretenden Frequenzen wie zum Beispiel beim DTX Modus bei GSM
Mobiltelefonen von großer Bedeutung für die mögliche Beeinflussung von Schrittmachern sein.
Folgende Sicherheitsmaßnahmen werden oft für Herzschrittmacherträger im Hinblick auf den Umgang
mit Mobiltelefonen empfohlen:
1. Herzschrittmacherträger sollten ihr Mobiltelefon in eingeschaltetem Zustand nie in der Nähe
(zum Beispiel Brusttasche) des Implantats tragen.
2. Das aktivierte Mobiltelefon sollte nie in unmittelbarer Nähe des Implantats gebracht werden.
3. Schrittmacherabhängige Patienten sollten die mögliche Gefährdung durch die Benützung
von Mobiltelefonen mit ihrem Arzt abklären.
4. Herzschrittmacherträger sollten an dem Ohr telefonieren, das vom Herzschrittmacher weiter
entfernt ist.
Diebstahlsicherungsanlagen
Laut dem Ergebnis von 7 Studien ist eine Beeinflussung durch eine Diebstahlsicherungsanlage durchaus möglich, ein Schrittmacherträger sollte also möglichst zügig und ohne Anlehnen an die Anlage
durchgehen.
Allerdings ist auch bei dieser Störquelle zu erwarten, dass moderne Schrittmacher besser gegen eine
Beeinflussung geschützt sind.
Kriterium
Beeinflussung allgemein
Inhibition des Ausgangssignals
Übergang in den Sicherheitsbetrieb
Auftreten falschen Stimulationsimpulse
Neuprogrammierung
Untersuchten HSM
257
87
20
35
35
Beeinflussten HSM
79
29
1
11
3
[%]
31%
33%
5%
31%
9%
Tabelle 3.7.1/1: Übersicht über Störbeeinflussungen von Herzschrittmachern durch Diebstahlsicherungsanlagen
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.1.10
Metalldetektoren
Bei 351 untersuchten Schrittmachern (in 3 Studien) wurden 13 Beeinflussungen der Herzschrittmacher
durch die Metalldetektoranlagen beobachtet. Die Beeinflussungen wurden allerdings bei in vitro Untersuchungen festgestellt, bei den anderen in vivo Versuchen wurden keine Effekte entdeckt.
Haushaltsgeräte
Es kam bei 7 von 40 (18%) Herzschrittmachern zu einer Beeinflussung (Inhibition) durch Rasierapparate. Bei 40 untersuchten Herzschrittmachern in der Nähe von Induktionsöfen wurden keinerlei Beeinflussungen festgestellt, bei 45 Versuchen in der Nähe einer Magnetfeldmatte kam es zu 19 Beeinflussungen. Weiters wurde in den Untersuchungen festgestellt, dass Neodymiummagneten in unmittelbarer
Nähe zum Implantat sehr leicht den Reed-Kontakt des Implantats beeinflussen und Induktionskochplatten bereits in einem Abstand von 32 cm das Implantat stören können.
Für Elektrokocher kann aufgrund der vorliegenden Literatur keine Beeinflussungswahrscheinlichkeit
angegeben werden.
3.7.1.4 Funktionsweise von implantierbaren Defibrillatoren
Implantierbare Defibrillatoren (Implanatable Cardioverter Defibrillator, ICD) dienen zur Detektion und
Therapie von physiologisch kritischen Tachykardien (Herzrasen) und Fibrillationen (Herzflimmern). Wird
vom Defibrillator eines der genannten Ereignisse detektiert, so gibt er einen hochenergetischen Spannungsimpuls (zum Beispiel 600 V- 750 V, 35 J) an das Herz ab, wodurch dieses wieder in seinen normalen Arbeitsrhythmus zurückgebracht werden kann. Nach Angaben des Österreichischen Bundesamtes für Gesundheitswesen wurden allein im Zeitraum von 1992 bis 1996 in Österreich über 477 Defibrillatoren implantiert, Schätzungen gehen von 5.000 bis 10.000 Defibrillatorpatienten in Österreich aus.
Bild 3.7.1/8 zeigt eine Implantationsart, wie sie bei den ersten implantierbaren Defibrillatoren angewendet wurde. Die Elektroden waren flächenhaft ausgebildet und an der Herzmuskeloberfläche befestigt,
wobei separate Elektrodenpaare für die Detektion und für die Defibrillation benötigt wurden. Bild 3.7.1/9
zeigt Implantationsarten moderner Defibrillatoren. Die für Detektion und Defibrillation verwendete
Elektrode ist über die Hohlvenen ins Herzinnere vorgeschoben.
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Mögliche Fehlerarten durch elektromagnetische Wechselwirkungen
Die für den betroffenen Patienten spürbare Fehlfunktion infolge elektromagnetischer Beeinflussung des
Defibrillators ist das Auslösen eines nicht benötigten Defibrillationsimpulses. Funktionell ist dies leicht
verständlich, da der Defibrillator bei Detektion von ‘chaotischen‘ Signalen, welche mit physiologischen
Herzaktivitäten wenig zu tun haben, mit einem Defibrillationsimpuls reagieren muß. Die Aufgabe, Defibrillatoren störsicher zu machen, ist daher schwieriger als im Falle von Herzschrittmachern, da die
einwirkenden Störsignale von sehr schlecht definierten nicht physiologischen Herzsignalen unterschieden werden müssen.
Bild 3.7.1/8:
Implantationsart und Elektrodenanordnung der ersten Defibrillatorgenerationen, aus
Bronzino et al 1995.
Bild 3.7.1/9:
Implantationsarten und Elektrodenanordnung moderner Defibrillatoren, aus Bronzino et
al 1995.
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3.7.1.5 Beeinflussungen von implantierbaren Defibrillatoren
Beeinflussungen durch medizinische Quellen
Wechselwirkungen mit anderen Implantaten
in 12 Arbeiten wurden an 85 „Herzschrittmacher-Defibrillator-Patienten“ Untersuchungen durchgeführt.
In 35 Fällen (41%) kam es ohne vorhergehende Maßnahmen zu einer wechselseitigen Beeinflussung.
An 9 Patienten wurden Verbesserungen durchgeführt, wodurch es zu keinen weiteren Beeinflussungen
mehr gekommen ist. Alle Autoren vertreten die Meinung, dass durch geeignete Maßnahmen eine sichere Implantation von Herzschrittmachern und Defibrillatoren möglich ist.
Magnetresonanztomographen
In den 2 beschriebenen Fällen von Defibrillatoren Untersuchungen im MRI wurden in beiden Fällen Störungen bzw. Änderungen von ICD-Parametern beobachtet. Schocks wurden durch das MRI zwar nicht
ausgelöst, jedoch raten die Autoren grundsätzlich beim heutigen Stand der Technik von einer MRIUntersuchung mit Defibrillator ab. Um diese Untersuchungen in Zukunft doch durchzuführen, müsste
der ICD während der Untersuchung sicher deaktiviert werden können und das Implantat störsicherer
konstruiert werden.
Beeinflussungen durch nichtmedizinische Quellen
Haushaltsgeräte
In welchem Ausmaß es zu einer Beeinflussung durch Fernbedienungen kommt und welche Fernbedienungstypen als gefährlich einzustufen sind, kann aufgrund der geringen Anzahl an Untersuchungen
nicht gemacht werden. Mit einer Beeinflussung durch Rasierapparate ist nicht zu rechnen. Für zuverlässigere Aussagen sind weitere Untersuchungen nötig.
Kolb et al. hatten 341 ICD-Patienten vier Jahre lang beobachtet und die allgemeine Wahrscheinlichkeit
für das Auftreten einer Interferenz mit 0,75% pro Patient und Jahr angegeben. Die Interferenzen wurden
durch Reinigung einer Lampe, einem Vibrator, einem Muskelstimulator und einer Schlagbohrmaschine
ausgelöst.
Außerdem wurde bei der Anwendung von Induktionsherdplatten und einem Magnetfeldstimulationsgerät
keine Beeinflussungen eines Defibrillators festgestellt.
Diebstahlsicherungsanlagen
In drei vorliegenden Studien wurden an 19 Defibrillatorpatienten Untersuchungen durchgeführt. Dabei
kam es bei 2 Patienten (10 %) zur Auslösung von Defibrillatorschocks.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.1.13
Mobilfunk
In 11 Arbeiten wurden an 235 Defibrillatoren Untersuchungen vorgenommen. Dabei zeigten 13 Defibrillatoren (6 %) eine Beeinflussung durch das Mobilfunkgerät. Es wurde zusätzlich in mehreren Fällen
die Übertragung von Telemetriedaten über dem Programmierkopf durch Mobilfunk gestört, bei dieser
Datenübertragung sollte also kein Mobilfunkgerät in der Nähe sein, allerdings ist diese Störung nicht als
gefährlich für den Implantatsträger einzustufen.
Von den 11 Beeinflussungsfällen traten die meisten dann auf, wenn das Mobilfunkgerät näher als 5cm
am Implantat positioniert war, nur in einem Fall trat eine Störung im Abstand von 27cm auf (in vitro Untersuchung, Carey et al). In der Regel sollte der von verschiedenen Institutionen vorgeschlagene Sicherheitsabstand von 15cm zwischen Defibrillator und Mobiltelefon genügen, allerdings zeigte der eine
Fall, dass in seltenen Fällen auch einen Beeinflussung in größerem Abstand möglich ist.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.1.14
3.7.2
Hörgeräte und implantierbare Hörhilfen
3.7.2.1 Funktionsweise des Ohres
Im folgenden wird aus Kainz und Neubauer 1999 zitiert.
Im Ohr befinden sich die Hör- und die Gleichgewichtsorgane. In diesem Rahmen werden ausschließlich
die Hörorgane behandelt. Das Ohr besteht aus dem äußeren Ohr, dem Trommelfell, dem Mittelohr und
dem Innenohr. Ohrmuschel und Gehörgang gehören zum äußeren Ohr.
Bild 3.7.2/1: Darstellung des Ohres
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.2.1
Die Gehörmuschel fängt den Schall auf und leitet ihn durch den Gehörgang zum Trommelfell. Das
Trommelfell ist eine Membran, die den Schall aufnimmt und dadurch in Schwingungen versetzt wird. Sie
ist mit dem Hammer (Gehörknöchelchen) verwachsen. Das Trommelfell bildet die Grenze zum Mittelohr
und schließt den Gehörgang ab. Die Bestandteile des Mittelohrs sind die Paukenhöhle mit den Gehörknöchelchen (Hammer, Amboß und Steigbügel). Die Gehörknöchelchen bilden eine gelenkig verbundene Kette, wobei das letzte Gehörknöchelchen, der Steigbügel mit dem ovalen Fenster des Innenohres
verbunden ist. Die Schwingungen des Trommelfells werden über die Gehörknöchelchenkette auf das
Innenohr übertragen. In diesem Fall spricht man von der sogenannten Luftleitung. Der Druckausgleich
erfolgt die Eustachische Röhre (Ohrtrompete, Rachenverbindung), die mit dem oberen Rachenraum
verbunden ist. Die zweite Möglichkeit der Anregung des Innenohrs ist die Knochenleitung. In diesem
Fall dient der Schädelknochen bei Berührung mit schwingenden Körpern als Teil des Anregungspfades.
Das Innenohr besteht aus der Schnecke (Cochlea) und dem Gleichgewichtsorgan (Vestibularapparat).
Die Cochlea besteht aus drei übereinander liegenden Kanälen. Die Kanäle werden als Vorhoftreppe
(Scala Vestibuli), Schneckenkanal (Scala Media) und Paukentreppe (Scala Tympani) bezeichnet. Die
drei Kanäle sind mit unterschiedlichen Flüssigkeiten (Perilymphe, Endolymphe) gefüllt.
Einfallende Schallwellen bewirken über eine Bewegung des Trommelfells und der Gehörknöchelchen
eine Bewegung der Membran des ovalen Fensters und damit auch eine Bewegung der Flüssigkeit, mit
der die Cochlea gefüllt ist. Mit der Flüssigkeit schwingt die Basilarmembran, eine Membran zwischen
zwei der drei Cochleargänge, in Form einer Wanderwelle entlang der Cochlea. Die Basilarmembran
trägt die sogenannten Haarzellen, jene bewegungssensitiven Zellen, die die Fasern der Hörnerven
elektrisch aktivieren. Die Stelle abrupter Absorption der Wanderwelle hängt von der Frequenz des einfallenden Schalls ab. Dadurch wird bewirkt, dass nur bestimmte Frequenzen ganz bestimmte Nervenfasern erregen. Die höchsten Frequenzen erregen Fasern am Eingang der Schnecke, die tiefsten Frequenzen bewirken eine Aktivität von Nervenfasern an der Schneckenspitze. Die Hörnerven können Informationen über Amplitude, Phase und Frequenz des Schalls übertragen. In der Nähe der Anregungsschwelle werden nur ganz bestimmte Nervenzellen angeregt. Mit zunehmender Intensität des akustischen Signals breitet sich der Einfluß auch auf benachbarte Fasern aus. Die Intensität eines akustischen Signals wirkt sich sowohl auf die Rate, mit der die Fasern feuern, als auch auf die Anzahl der
erregten Nervenfasern aus.
3.7.2.2 Prinzipielle Funktionsweise und Einsatzbereich von Hörgeräten und implantierbaren
Hörhilfen
Hörgeräte dienen im Falle verminderten Hörvermögens (Schwerhörigkeit) zur Verstärkung des Schallsignales. Der von der Schallquelle an das Hörgerät herantretende Schall wird über ein im Hörgerät integriertes Mikrofon in ein elektrisches Signal umgewandelt. Dieses elektrische Signal wird durch mikroelektronische Schaltkreise verstärkt und wieder in Schallwellen umgewandelt. Das auf diese Weise verstärkte Schallsignal wird schließlich dem Gehörgang zugeführt. Die Zuführung des Schallsignals in den
Gehörgang erfolgt bei sogenannten Hinter dem Ohr Geräten (HdO-Geräten) über einen Schallschlauch
(Bild 3.7.2/2), bei Im Ohr Geräten (IO-Geräten) direkt durch das im Gehörgang sitzende Gerät.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.2.2
Bild 3.7.2/2:
1985.
Schallzuführung über einen Schallschlauch bei einem HdO-Gerät, aus Pasemann
Implantierbare Hörhilfen werden bei stark ausgeprägten Formen von Schwerhörigkeit bzw. bei einigen
Formen totaler Taubheit eingesetzt und können dem betroffenen Patienten in vielen Fällen wieder einen
Höreindruck vermitteln.
Je nach Lokalisation, Ursache und Ausprägung der Krankheit bzw. der Fehlfunktion können unterschiedliche Arten von Implantaten eingesetzt werden. Die drei Haupvertreter dieser Implantate sind:
Semi-implantierbares Cochlearimplantat
Durch dieses Implantat wird eine mechanische Stimulierung der Gehörknöchelchen vermittelt. Der eigentliche Höreindruck entsteht auf natürliche Weise, das heißt Innenohr und Gehörnerv und nachfolgende zentralnervöse Strukturen müssen prinzipiell intakt sein. Die mechanische Anregung der Gehörknöchelchen erfolgt durch Befestigung eines kleinen Magneten am Amboß, der durch eine implantierte
Spule (in einem Titanzylinder untergebracht) zu Schwingungen angeregt wird (Bild 3.7.2/3). Die Ansteuerung der Spule erfolgt durch die externe Einheit, die aus Mikrophon und Verstärker besteht. Die
Informationsübertragung von externer zu implantierter Einheit erfolgt meist induktiv durch die Haut hindurch.
Bild 3.7.2/3:
Schema der Gehörknöchelchen mit semi-implantierbarem Cochlearimplantat. 1
Zuleitung zur Anregungsspule, 2 Anregungsspule, 3 Magnet, 4 Hammer, 5 Amboß aus Hunyadi
et al. 1997.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.2.3
Cochlearimplantat
Das Cochlearimplantat wird bei Patienten mit schweren Schädigungen des Innenohres eingesetzt. Um
in solchen Fällen dennoch Höreindrücke hervorzurufen, stimuliert das Cochlearimplantat direkt den
Gehörnerv im Bereich der Gehörschnecke (Cochlea). Je nach genauem Stimulationsort und Stimulationsart können verschiedene Untergruppen von Cochlearimplantaten unterschieden werden. Bild
3.7.2/4 zeigt schematisch ein 4-Kanal Cochlearimplantat.
Auditorisches Hirnstammimplantat
Im Falle einer Schädigung der Gehörnerven bleibt zu Vermittlung eines Höreindruckes nur die Stimulierung des Gehörnervs im Hirnstamm, was durch das auditorische Hirnstammimplantat möglich ist. Die
Implantationshäufigkeit solcher Implantate ist allerdings relativ gering.
Bild 3.7.2/4:
4-Kanal Cochlearimplantat, aus Hochmair 1989.
3.7.2.3Störbeeinflussungen von Hörhilfen
Im folgenden werden mögliche Fehlerursachen zusammengefasst:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Induzierte Ströme in den Elektroden: Beschädigung der Cochlea bzw. der angrenzenden
Strukturen; ungewollte neuronale Stimulation
Implantatsverschiebung: Elektrodenbeschädigung bzw. Verletzung der Cochlea. Da die
einzelnen Elektroden die Aufgabe haben ganz bestimmte Bereiche in der Cochlea zu
stimulierten, kann schon aufgrund geringster Verschiebung eine Neuprogrammierung des
Implantats notwendig werden.
Magnetisierung der Implantate: Die Auswirkungen sind unbekannt.
Temporäre/Permanente Fehlfunktionen (falsche/fehlerhafte Ausgangsimpulse, Totalausfall)
Beeinträchtigung der Bildqualität bei Aufnahmen mit einem Magnetresonanztomographen
durch elektrisch und magnetisch leitfähige Materialien: Beeinträchtigung der Bildauswertung
Erwärmung des Implantats und des angrenzenden Gewebes: Gewebeschädigung
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.2.4
Medizinische Störquellen
in 4 Arbeiten an 14 Cochleaimplantaten wurden in vitro Untersuchungen in MRT durchgeführt wurden. In 10 Fällen (71%) kam zu einer Beeinflussung. Zu betonen ist, dass mit den
größten Beeinflussungen zu rechnen ist, falls im Cochleaimplantat magnetisches Material
verwendet wird.
Bei der einzigen vorliegenden in vivo Untersuchung mit 25 Patienten in einem 1 Tesla MRI
konnten allerdings keine merkbaren Beeinflussungen des Cochlea-Implantats festgestellt
werden. Eine Untersuchung mit verschiedenen zahnärztlichen Geräten zeigte nur bei Verwendung des elektrochirurgischen Gerätes auf der höchsten Stufe eine Beeinflussung auf,
die allerdings zu irreversiblen Schäden am Implantat führte. Ein Artikulograph verursachte
keine Störungen eines Cochleaimplantates.
Nichtmedizinische Störquellen
Geräte am Arbeitsplatz verursachten in Einzelfällen Störungen Cochleaimplantaten, auch
Mobiltelefone können massive Störungen von Cochleaimplantaten hervorrufen.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.2.5
3.7.3
Untersuchungen an weitern Implantaten
Die Störfestigkeit von Neurostimulatoren wurde im MRT untersucht, da dort am ehesten eine Wechselwirkung zu erwarten ist. Neurostimulatoren sind grundsätzlich störresistenter als Defibrillatoren und
Schrittmacher, da Neurostimulatoren nur Signale abgeben müssen, aber keine körpereigenen Signale
messen müssen. Die Funktion der Neurostimulatoren wird im MRT weitgehend nicht beeinflusst, allerdings muss man dabei, wie auch bei anderen Implantaten, die Erwärmung der Elektroden im Auge behalten, die durchaus nicht vernachlässigbar sein kann. Bei anderen Störquellen wird von keiner Beeinflussung berichtet, allerdings ist die Anzahl der Studien in diesem Bereich relativ gering.
Über die Beeinflussung von Telemetriesystemen wurde nur eine Arbeit gefunden, welche die Wechselwirkung eines implantierten EKG-Aufzeichnungsgerätes mit Diebstahlsicherungssystemen, Metalldetektoren und MRT untersuchte. Zu einer Beeinflussung kam es nur bei einem in vitro-Versuch im MRT,
in vivo-Versuche im MRT und alle Versuche mit Diebstahlsicherungsanlagen und Metalldetektoren führten zu keiner Beeinflussung des EKG-Aufzeichnungsgerätes.
Zum Thema Störfestigkeit von Rückenmarkstimulatoren wurden 2 Untersuchungen gefunden: In der
ersten wurde keine Wechselwirkung eines Rückenmarkstimulators mit einem Herzschrittmacher festgestellt. In der zweiten Untersuchung wird von einem Fall berichtet, in dem ein Patient von einer Diebstahlsicherungsanlage massiv beeinflusst wurde. Aufgrund dieses Falles kann angenommen werden,
dass bei Rückenmarkstimulatoren besonders auf EMV Aspekte geachtet werden muss. Da in Zukunft
mit einem verstärkten Einsatz von Rückenmarkstimulatoren zu rechnen ist, sind weitere Untersuchungen notwendig.
Bei Knochenwachstumsstimulatoren wurden relevante Erwärmungen der Elektrodenspitzen im MRT
gemessen. Weiters konnte bei einem Medikamentendosiersystem für Insulin keine Beeinflussung
durch GSM-Mobiltelefone festgestellt werden. Für diese Implantattypen gibt es allerdings nur einzelne
Studien, da diese Implantate nur in geringer Stückzahl eingesetzt werden, weiterführende Studien zur
Sicherheit der genannten Implantate sind zu empfehlen.
Für die Beeinflussung durch elektromagnetische Felder von Kunstherzen, Sehstimulatoren und Patientenchip konnten keine Dokumente, bzw. nur einzelne Hinweise gefunden werden. Der Grund dafür
liegt vermutlich in der geringen Verbreitung dieser Implantate. Grundsätzlich sollte aber bei beim Entwurf solcher Implantate die bekannten Regeln der EMV-Sicherheit beachtet werden.
3.7.3.1 Übersicht über Untersuchungen und die Wahrscheinlichkeit von Beeinflussungen
Im Rahmen einer von Cecil et al 20081 durchgeführten Studie wurde eine Übersicht über aktive elektronische Implantate sowie mögliche elektromagnetische Quellen erstellt. Es wurde so weit als möglich die
in den Studien enthaltene Information über die Beeinflussungswahrscheinlichkeit der einzelnen Implantate in Form einer Matrix zusammengefasst. In den Zeilen der Matrix sind die unterschiedlichen Implantatstypen, in den Spalten die unterschiedlichen Störquellen zu finden. Für alle nicht in der Matrix vorhandenen Implantate wurde keine Arbeit mit EMV relevanten Aspekten gefunden. Für jede Kombination
von Implantatstyp und Störquelle ist die Anzahl der erhobenen Arbeiten, die Anzahl der untersuchten
Implantate und die Anzahl der durch die jeweilige Störquelle beeinflussten Implantate angegeben. Im
weiteren wurde für eine Fehlerwahrscheinlichkeit von 1% bzw. 5% das Konfidenzintervall der Beeinflussungswahrscheinlichkeit berechnet und angegeben. Das Konfidenzintervall gibt mit der entsprechenden
Fehlerwahrscheinlichkeit die Grenzen der tatsächlich auftretenden Beeinflussungswahrscheinlichkeit
an.
1
Cecil S, Neubauer G, Rauscha F, Literaturstudie über die Beeinflussung aktiver elektronischer Implantate
durch elektromagnetische Felder, Report ARC-IT-0243, Juli 2008
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.3.1
Für die obere Grenze der Beeinflussungswahrscheinlichkeit wird folgende Gleichung nach p numerisch
gelöst.
n
  i  p 1  p 
k
i
i 0
n i
 


2
3.7.3/1
Mit n als Anzahl der untersuchten Implantate, k als Anzahl der beeinflussten Implantate und  als Irrtumswahrscheinlichkeit, die mit 1% bzw. 5% gewählt wurde. Für die untere Grenze der Beeinflussungswahrscheinlichkeit muss
n
  i  p 1  p 
k 1
i
i 0
 
n i
 1

2
3.7.3/2
nach p gelöst werden.
Für eine Vielzahl von Kombinationen von Implantatstyp und Störquelle gibt es bisher keine Untersuchungen. Für jene Kombinationen von Implantatstyp und Störquelle für die nur ein einziges Implantat
untersucht wurde konnte die Beeinflussungswahrscheinlichkeit nicht berechnet werden. In diesen Fällen
ist in der Matrix ein Fragezeichen zu finden. Gerade für jene Störquellen die zu erheblichen Beeinflussungen führen, sollten Untersuchungen für alle derzeit angewandten Implantatstypen durchgeführt werden. Zu den wichtigsten Störquellen sind Magnetresonanztomographen, Mobilfunkgeräte und Diebstahlsicherungsanlagen zu zählen.
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.3.2
Tabelle 3.7.3/1: Beeinflussungsmatrix
Dr. Neubauer
Elektromagnetische Felder und der Mensch
Seite 3.7.3.3
3
1
Stromfluss durch den Körper
Statische Magnetfelder
Legende
Anzahl der Untersuchungen
3
1
2
5
1
1
1
1
1
3
11
12
3
1
1
2
6
Defibrillator
5%
2 % - 52 %
5%
28 % - 56 %
5%
0 % - 16 %
?
1%
3%-9 %
5%
1 % - 33 %
5%
0%-3%
5%
?
5%
0 % - 18 %
5%
?
5%
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
Beeinflussung ab einem
Grenzwert
1
5%
1
?
5
5%
48 % - 100 %
5
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
235
13
19
2
148
0
1
1
19
0
1
1
1
0
33
1
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
11
2
85
35
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
Beeinflussung ab einem
Grenzwert
2
5%
16 % - 100 %
2
23
5%
0 % - 15 %
0
5
5%
0
0 % - 52 %
Beeinflusste Implantate
Konfidenzintervall der
Beeinflussungswahrscheinlichkeit
Anzahl der
Irrtumswahr-scheinlichkeit
untersuchten Implantate
keine Untersuchungen
7
50Hz-Felder
54
5%
0
0%-6%
250
5%
4
0%-4%
Beeinflussung ab einem
Grenzwert
Beeinflussung ab einem
Grenzwert
Kraftfahrzeug
3
Flugzeug-, Hubschrauber- und
Bahntransporte
keine Untersuchungen
3
4
5%
40 % - 100 %
4
19
5%
9
24 % - 71 %
Beeinflussung ab einem
Grenzwert
keine Untersuchungen
Beeinflussung ab einem
Grenzwert
123
5%
58 % - 75 %
82
187
5%
25 % - 39 %
60
121
5%
1% -8%
4
43
5%
2
1 % - 16 %
156
5%
66 % - 80 %
114
80
5%
1
0%-7%
1
5%
1
?
85
5%
28 % - 56 %
35
32
5%
0% - 16 %
1
6
5%
54 % - 100 %
6
4432
1%
18 % - 21 %
860
337
5%
31 % - 42 %
123
351
5%
13
2%-6%
40
5%
7
7 % - 33 %
40
5%
0
0%-9%
Herzschrittmacher
Messtechnische Störquellen
1
Arbeitsplatz
Schweißarbeitsplatz
Elektrische Selbstverteidigungsgeräte
1
2
Induktionsherd
Fernsteuerung
1
5
Rückenmarkstimulator, Neurostimulator
3
12
Defibrillator
Rasierapparat
1
Herzschrittmacher
Metalldetektoren
3
Nervstimulation
7
3
Apparative Physiotherapie
Diebstahlsicherungsanlagen
4
Zahnärztliche Geräte
2
3
Drahtlose Endoskopie
35
13
Elektrochirurgie
Mobilfunk
14
Magnetresonanztomographie
Medizinische Überwachungsgeräte
6
Radioaktive Bestrahlung
Störquelle
1
1
1
1
1
5
5%
5%
0%-2%
13 % - 42 %
5%
0%-9%
keine Untersuchungen
?
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
?
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
Beeinflussung ab einem
Grenzwert
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
60
1
keine Untersuchungen
39
10
320
0
keine Untersuchungen
Cochlearimplantat
5%
22 % - 96 %
5%
3 % - 60 %
5%
0 % - 52 %
5%
0 % - 41 %
5%
0 % - 71 %
5%
?
5%
?
5%
9 % - 99 %
Farbcode
3
2
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
1
1
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
1
1
keine Untersuchungen
3
0
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
7
0
keine Untersuchungen
9
2
5
0
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
6
4
Anzahl der Untersuchungen
1
1
1
1
2
1
2
3
keine Untersuchungen
Nervstimulator
0
1
4
5%
0 % - 14 %
5%
?
1
2 bis 9
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
1
1
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
24
0
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
Rückenmark-stimulator
?
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
10
and
mehr
2
keine Untersuchungen
Knochenwachstumsstimulator
1
1
1
Telemetriesysteme
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
?
?
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
?
keine Untersuchungen
1
5%
0 % - 84 %
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
2
0
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
keine Untersuchungen
Medikamenten-dosiersysteme