Dorothee Kuhbandner Augen: Blicke Arbeiten nicht nur auf Papier

Dorothee Kuhbandner
Augen: Blicke
Arbeiten nicht nur auf Papier im Rahmenatelier Kruschel
Nahe, ferne, allen gemeinsame Erinnerungen:
Im Bett liegen und mit halb geschlossenen Augen zur Zimmerdecke
blicken. Bewegung geschieht alsbald auf der sonst so langweiligen Fläche
nichtssagenden Weißes: Gesichter tauchen auf, Bäume, Schatten und wieder
Gesichter – tauchen auf, lautlos, tauchen ab, erscheinen erneut. Unzählige
Augen bezeugen die Szene, Augen, die sich rasch zu neuen Gesichtern finden
um bald darauf wieder in der Fläche sich zu verlieren –
Und wie der Tag an Licht verliert, gewinnt das so lebendige Deckenbild an
Farbe, gewinnt es an Leben, an Bewegung; und noch der nachfolgende Traum
wird beschirmt und bestimmt von den verblassenden Gesichtern und Augen in
farbigen Nebeln.
Augen: Blicke. Nahe, ferne, allgegenwärtige Erinnerung.
Sie kam über mich, diese Erinnerung, als ich mit Kruschels in Dorothee
Kuhbandners Wohnzimmer-Atelier trat, um die Bilder für diese Ausstellung
anzuschaun.
Was wir erlebten, war ein Feuerwerk.
Es war ein Feuerwerk ungeduldiger Farben, von dicken, schwarzen Linien
mühsam gezähmt. Ein ungeduldiger, flotter Pinsel geht der Malerin zur
Hand – doch in Wahrheit ist sie die Ungeduldige, Doro, die mit ihren
schwelgerischen Farben endlich ihre Bestimmung gefunden hat.
Als ihre jüngeren Kinder noch ganz klein waren hat die gelernte Buchbinderin
als Tagesmutter gleich eine ganze Handvoll anderer Kinder mit aufgezogen.
Aber so ganz wollte sie sich auch zu dieser Zeit nicht auf Kochtöpfe und
Windeleimer beschränken – und schon gar nicht beschränken lassen, denn der
Drang nach Farbe in ihr war übermächtig. Die kinderfreie Zeit am Abend war
knapp, so mußte sie sich beeilen.
Diese Schnelligkeit hab ich beibehalten, sagt Doro. Aber auch das ist nur die
halbe Wahrheit: Sie hält sich nicht gern auf, sie redet nicht viel, sie greift zu –
und zwar sofort.
Geschwindigkeit, Schnelligkeit gehört zu den wichtigsten Kennzeichen
unserer Tage. Nicht zuletzt deshalb wird in alternativen Kreisen zunehmend
zu Recht nach Entschleunigung gerufen. Doch der Ruf ist so neu nicht. Schon
Plutarch von Chaironaia behauptete im 1. nachchristlichen Jahrhundert,
Geschwindigkeit und Leichtigkeit kann einem Werke weder dauernde
Stärke noch vollendete Schönheit geben. Ganz im Gegensatz zu dieser seiner
Aussage bewunderte er dann aber den Athener Perikles gerade dafür, daß er
in atemberaubend kurzer Zeit diejenigen Bauwerke in vollendeter Schönheit
und andauernder Kraft errichten ließ, die heute noch den Ruhm der Stadt
ausmachen.
Wert und Wirkung eines Werkes lassen sich also gerade nicht aus der
Schnelligkeit oder Bedächtigkeit seines Entstehungsprozesses begründen. Es
braucht die Betrachter, die sich der Mühsal des Anschauns zu unterziehen
gewillt sind. Und das Anschaun, das lohnt sich bei diesen Bildern.
Doro liebt Landschaften, und sie liebt sie leuchtend kontrastreich und voller
Leben. Bei ihr stecken die Lebensgeister nicht erlkönighaft in neblichten alten
Weiden nur, bei ihr formen sich Blatt und Ast im Sonnenglast und im Spiel
von Schatten und Licht zu mannigfachen Gestalten. Hin und wider taucht
sogar eine Teufelsmaske unter den Gesichtern auf zwischen Bäumen und
Gesträuch, mit Hornspitzen und glühenden Augen. Fühlt sie sich bedroht?
Doro staunt selbst. Vielleicht, sagt sie. Angst hab ich keine.
Auch dieser Satz steht so unverrückbar wie die schwarzen Linien, die ihren
Farben den Halt geben. Bei aller äußeren Ungeduld verfügt Doro über
eine große innere Ruhe, die sie ihren Bildern mitzuteilen versteht, so daß
ihre Figuren alle ganz freundlich drein schauen. Und mag es gleich an der
Oberfläche gären, mag sie zu expressiven Eruptionen sich hinreißen lassen:
Auf tiefem Glaubensgrunde überzeugt sie mit dem Satz: Angst hab ich keine.
Doro liebt Landschaften. Sie kann nicht gar zu lange in der Stube hocken,
immer wieder zieht es sie ins Freie hinaus. Dann setzt sie sich aufs Fahrrad
und fährt mit Michael Horwath zum Zeichnen und Malen in die Natur. Der
Ältere hat nicht nur dabei so eine Art Mentorenrolle für sie übernommen, die
ihr sehr gut tut und die für ihr Wachsen wichtig ist. Er baut sie auf, und sie
erfährt bei ihm die Anerkennung, die sie braucht, der immer wieder erlebten
Ablehnung als Autodidaktin standhalten zu können.
Seit 2010 erst arbeitet Doro als Künstlerin freischaffend. Bis dahin hat sie ihre
Farbspiele als Liebhaberei betrieben. Der Zeitgeist nennt dies dilettantisch.
Das Wort hatte – ich erzähl das immer wieder gern – ursprünglich keinen
so boshaften Klang wie heute. Der Arzt Carl-Gustav Carus etwa behauptete
von sich selbst, als Maler zu dilettieren, denn dies bedeutete seinerzeit nichts
anderes, als daß er die Kunst als nebenberufliche Liebhaberei betrieb. Und
wenn ich nicht riskieren würde, gleich wieder von anderen Leuten auf andere
Weise falsch verstanden zu werden, würde ich behaupten,
daß es grad für eine Frau kein schöneres Kompliment geben kann, als eben
eine Liebhaberin genannt zu werden.
Schon sehr frühzeitig hat Doro, freilich aus eigenem Antrieb, an der
Ausbildung ihrer künstlerischen Fähigkeiten gearbeitet. Gegenwärtig nimmt
sie mit viel Hingabe einen Tiefdruckkurs bei Maja Nagel in Moritzburg
wahr. Und dann berichtet sie vom Aktzeichnen im Stadtteilhaus Neustadt.
Ihre Augen bekommen einen so besonderen Glanz, wenn sie von Aktmodell
Annabell zu schwärmen beginnt, daß der Laudator einmal mehr bedauert, nur
mit Worten und nicht auch mit Farben umgehen zu können.
So gelangen zwischen Augen und Blicke die Träume.
Doro malt ihre Bilder auf dem Fußboden. Mit ihren flinken Strichen läßt sie
das schwarze Gerüst entstehen, das sie danach, wie sie sagt, farbig ausmalt.
Dabei turnt sie dann auf allen Vieren um ihr Blatt oder ihre Leinwand herum.
Schon der Kniee wegen kann sie sich da nicht ganz so viel Zeit lassen.
Zeit lassen – da ist es wieder, das Zauberwort Zeit, als Maß für diejenige
Lebensspanne, die wir einem Vorgang, einer Hoffnung, oder gar uns selbst
einräumen. Über die Zeit wird ein Leben wahr genommen – Zeit ist also nichts
weniger als Geld.
Mag auch ihre Ungeduld eine ganz andere Sprache vorgaukeln: Doro versteht
es, den Dingen wie sich selbst die erforderliche Zeit zu geben und zu nehmen.
Buchbinderlehre, Arbeit als Krankenschwester, vier Kinder, Tagesmutter und
endlich: Malerin – Es sind die Umwege, die einen Menschen am schnellsten
zum Ziele führen, Etappenorten sind und bleiben existenziell. Der eigene Weg
ist mühsam, er ist einsam, aber er wird sich als gut fundamentiert erweisen.
Der Autodidakt hat den Vorteil, daß er von niemandem auf den rechten Weg
geführt worden ist.
Von allen Aphorismen Uri Webers hat Doro diesen für sich selbst ausgewählt,
und, wer weiß, vielleicht hat er ihn sogar für sie geschrieben. Aber auch sonst
hat sie eine Vorliebe diese kurzen, prägnanten Sätze. Sie hat schon ganze
Serien von Illustrationen dazu entworfen und ausgeführt. Diese spezielle
Kunst, mit wenigen Worten ein Universum zu beschreiben entspricht ihrem
Wesen und Sein. Doro vertagt ihr Leben nicht, denn Vergangenheit und
Zukunft sind nur in der Gegenwart erlebbar. Auch das erklärt ihr Ungeduld.
Und dann steht sie natürlich dem Notschriften-Verlag als Illustratorin zur
Seite – da bleibt die Arbeit sozusagen in der Familie. Parallel dazu hat sie im
eigenen Zilpzalp-Verlag eine Edition von selbst illustrierten Kindergeschichten
begonnen, die auch mir selbst schon zu Gute gekommen ist.
Besonders stolz ist Doro darauf, die Türrahmengeschichten erfunden zu
haben: leporelloartige Bildfolgen zu Geschichten oder Gedichten, die – der
Name sagt es – in den Türrahmen zu hängen sind. Da gibts Kurzweil zwischen
Tür und Angel, und natürlich gehören die in jedes Kinderzimmer, denn hier
lernt ein Menschlein Sehen:
Augen: Blicke: nahe, ferne, allgegenwärtige Erinnerungen.
Thomas Gerlach