Nürnberger Nachrichten 24/06/2015 Seite : W09 Verkleinert auf 71% (Anpassung auf Papiergröße) SÜD Seite 9 / SÜD / Mittwoch, 24. Juni 2015 Schüler üben faires Diskutieren Spezieller Unterricht für Jugendliche aus St. Leonhard VON PHILIPP DEMLING Soll Haschisch legalisiert werden? Schüler aus St. Leonhard debattieren im Unterricht über Themen, die sie bewegen. Was sie im Eifer des verbalen Gefechts ganz vergessen: Im Nebenraum laufen Kameras mit. Später sollen sie sich die Aufnahmen ansehen. Manche werden über sich selbst erschreckt sein. Oleksandra und Nicole sind für die Freigabe von Haschisch. „Von Alkohol werden die Leute aggressiv“, sagt Oleksandra. „Beim Kiffen werden sie ruhig.“ Nicole meint: „Für Leute, die Migräne oder Krebs haben, bringt es eine Erleichterung.“ Amna und Viktor halten dagegen: „Von Cannabis kann man aber Psychosen kriegen. Außerdem ist es eine Einstiegsdroge.“ Am Ende bleibt doch jeder bei seiner Ansicht. Eine andere Frage: Sollen alle Schulen zu Ganztagsschulen werden? Ja, meinen die einen: „Da kann man den Schulstoff besser einüben.“ Nein, sagen andere: „Ich verbringe schon genug Zeit mit Schule und Lernen. Ich will doch auch mal meine Freunde sehen.“ Die Schüler sollen lernen, ihre Meinung mit sachlichen Argumenten zu untermauern und auch auf Gegenmeinungen einzugehen. Die anderen res- pektieren, auch wenn man ihnen in der Sache widerspricht, ist die Devise. Der Deutschunterricht der Zehntklässler der Mittelschule Sankt Leonhard findet heute in der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät (EWF) der Uni Erlangen-Nürnberg in der Dutzendteichstraße statt. Das Besondere: Bei ihren Debattier-Runden werden sie von zwei Kameras gefilmt, die vom Nebenraum aus gesteuert werden. Hinterher sollen die Videos geschnitten werden, dann dürfen die Schüler sie sich ansehen. „Da werden sich manche wundern“, sagt Lehrerin Ulrike Vizzini. „Sie merken oft nicht, wie sie sich verhalten.“ Natürliches Verhalten Deshalb wollte Vizzini mit ihren Schülern ins elektronische Klassenzimmer der EWF. „Wenn ich bei uns im Klassenzimmer eine Kamera aufstelle, bringt das nichts“, meint sie. „Da lachen sich die Schüler kaputt.“ Doch bei der EWF hat sie ihr Ziel erreicht: Die Jugendlichen haben nach kurzer Zeit vergessen, dass sie gefilmt werden und verhalten sich ganz natürlich, zeigen ihre Stärken und Schwächen. Ursprünglich wurde der Raum mit den Kameras und Mikros für die Psychologie eingerichtet, inzwischen nutzen ihn aber auch die Mitarbeiter des Lehrstuhls Didaktik des Schon bald haben die Jugendlichen aus der Mittelschule St. Leonhard vergessen, dass sie gefilmt werden. Deutschen als Zweitsprache (DiDaZ). Fast alle Schüler in der Klasse von Ulrike Vizzini haben einen Migrationshintergrund und sprechen Deutsch als Zweitsprache. Das heißt, sie sind in Deutschland geboren oder als Kleinkinder hierhergekommen und haben deshalb ohne Schwierigkeiten Deutsch gelernt. In ihren Familien wird aber meist eine andere Sprache gesprochen, zum Beispiel Russisch, Türkisch, Kurdisch oder Vietnamesisch. Die Aufnahmen der Unterrichtsstunden sollen nicht nur Lehrern und Schülern nutzen, sondern auch der Forschung. „Wir verfolgen drei Ziele“, erklärt Thomas Grimm, Mitarbeiter des Lehrstuhls DiDaZ. „Erstens wollen wir die Aufnahmen in Seminaren zeigen und so mehr Praxisnähe in der Lehre schaffen. Zweitens möchten wir sie wissenschaftlich auswerten. Und drittens planen wir, mit den Aufnahmen Lehrfilme produzieren.“ Foto: Eduard Weigert Grimm ist überzeugt, dass sein Fachbereich in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen wird. Denn bekanntlich kommen immer mehr Flüchtlinge ins Land, häufig auch mit kleinen Kindern: „Aber es herrscht ein eklatanter Mangel an Lehrkräften, die Deutsch als Zweitsprache unterrichten.“ DAS NEUE LANDMAGAZIN 1424_0615_ww_jb AM MONTAG, 29. JUNI, EXKLUSIV IN IHRER ZEITUNG Copyright (c)2015 Verlag Nuernberger Presse, Ausgabe 24/06/2015 Juni 24, 2015 7:38 am (GMT +0:00) / Powered by TECNAVIA
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