Auf dem langen Weg zum Label Friendly Work Space. Ein Bericht

Ein ganz gewöhnlicher
Assessment-Tag
Auf dem langen Weg zum BGM Label Friendly Work Space ist der «Assessment-Tag» einer
der letzten Schritte. Doch wie läuft so ein Tag ab und wie erleben die Beteiligten diesen?
Wir haben Thomas Rohrer, Leiter des Alterszentrums am Buechberg, und die BGM-Assessorin
Manuela Scheuzger im aargauischen Fislisbach am Tag der Tage begleitet.
HR Today Special Die themenspezifische Beilage zum HR Today
Die Anspannung der Anwesenden im
Sitzungszimmer ist deutlich spürbar.
Während Manuela Scheuzger und ihr CoAssessor Roland Schaad die Unterlagen ordnen, bereitet Thomas Rohrer, Zentrumsleiter
des Alterszentrums am Buechberg, seine
Präsentation vor. Die anderen sechs Bereichsleiter rutschen unruhig auf ihren Stühlen hin und her. Nach einer allgemeinen Vorstellungsrunde begrüsst Manuela Scheuzger
die Anwesenden und weist auf die anspruchsvolle Tagesablaufsplanung und die
Einhaltung des Zeitmanagements hin. Das
ist unumgänglich, denn bis zur Mittagspause ist das Programm dicht gedrängt. Manuela Scheuzger stellt einen Wecker vor sich
auf den Tisch, der ihr helfen soll, den Zeitplan akribisch einzuhalten. Sie erläutert den
Tagesablauf und zählt die sechs Qualitätskriterien auf, nach denen das Unternehmen im
Verlauf des Tages bewertet wird und für die
es Nachweise für die Umsetzung erbringen
muss: Unternehmenspolitik, Aspekte des
Personalwesens und der Arbeitsorganisation, BGM-Planung, Soziale Verantwortung,
Umsetzung sowie die Gesamtevaluation aller BGM-Aktivitäten.
Dabei wird jedes Kriterium zwischen
zehn und zwanzig Prozent gewichtet und
mit einem Wert zwischen eins und fünf benotet. Im schlechtesten Fall bedeutet die
Note eins, dass das Unternehmen keinerlei
Nachweise für die Umsetzung des Kriteriums
«Oft werden BGM-Massnahmen
ja schon gelebt, man nennt
sie nur nicht so.»
Thomas Rohrer, Leiter des
Alterszentrums am Buechberg
erbringen konnte. Dass ein Unternehmen
durchgehend so schlecht abschneidet,
kommt aber kaum vor: «Um das Label zu
erhalten, braucht es ja mindestens einen Notendurchschnitt von einer drei, mit welcher
das Unternehmen belegt, dass es den BGMGedanken verinnerlicht hat und es das Betriebliche Gesundheitsmanagement systematisch umsetzt.»
Vielmehr sei es so, dass viele Firmen in
einzelnen Bereichen sehr gut abschneiden
und in anderen weniger gut, weil diese für
das Unternehmen «weniger relevant sind
Auszug aus HR Today Special 2 | 2015
oder sie sich einfach noch nicht damit auseinandergesetzt haben», gibt Manuela
Scheuzger preis. Ob jemand systematisch
arbeite, liesse sich leicht herausfinden: Wird
ein Mitarbeitergespräch regelmässig und
strukturiert durchgeführt oder belässt es der
Chef bei vereinzelten und informellen Gesprächen in der Kantine?
Mit BGM in den profitablen Bereich
Bis zum Assessment-Tag hat das Alterszentrum am Buechberg jedenfalls eine weite
Strecke zurückgelegt, denn die Voraussetzungen zur Erlangung des Labels hätten
kaum schlechter sein können: So schrieb die
Institution noch Anfang der 2000er-Jahre
tiefrote Zahlen und verzeichnete bei knapp
100 Mitarbeitenden eine jährliche Personalfluktuation von 25 Prozent. Am Tiefpunkt
stellte ein Liquiditätsengpass gar die Bezahlung der Löhne infrage. Diese drängenden
Probleme haben dem damals neu eingetretenen Zentrumsleiter zwar einige schlaflose
Nächte beschert, aber: «Viel schlimmer
konnte es kaum noch werden. Daher stellt
eine solche Situation auch immer eine riesige
Chance dar, weil man etwas aufbauen
kann», sagt Thomas Rohrer.
Es folgten punktuelle, dann systematischere BGM-Verbesserungen. Sein erstes
Augenmerk galt im Jahr 2011 der Verringerung der Fluktuation: «Die Leute sind tatsächlich zur Drehtür hereingekommen, und
nach zwei bis drei Monaten wieder gegangen.» Mit einem Absenzmanagement und
kontinuierlich durchgeführten Krankheitsrückkehrgesprächen stabilisierte sich die Situation aber allmählich: «Die Mitarbeitenden begannen zu spüren, dass sie nicht einfach austauschbar sind, sondern wir sie als
wichtige Personen betrachten, die einen
wertvollen Beitrag leisten.»
Es folgten achttägige BGM-Kaderschulungen, die Einführung von vierteljährlich
stattfindenden Gesundheitszirkeln, Mitarbeiterbefragungen und arbeitsorganisatorische Anpassungen wie die Auslagerung
der Medikamentenzubereitung, um die Mitarbeitenden zu entlasten. Ein Jahr später hat
der Verwaltungsrat das Betriebliche Gesundheitsmanagement schliesslich in der Strategie und im Leitbild verankert: «Mit Massnahmen und Aktivitäten der Arbeitssicherheit
und zur Gesundheitsförderung wollen wir
eine Stärkung der Gesundheitsressourcen
und -potenziale der Mitarbeitenden errei-
chen», ist nun der neuen Unternehmensverfassung zu entnehmen.
Wo BGM beginnt und wo es aufhört
Als Knackpunkt bei der Entwicklung des
strategischen Betrieblichen Gesundheitsmanagements habe sich ihm immer wieder die
Frage gestellt, wo das BGM beginne und wo
es aufhöre, sagt Rohrer. «Oft werden BGMMassnahmen ja schon gelebt, man nennt sie
nur nicht so.» Wie beim Vorschlagswesen:
So habe ein Küchenmitarbeitender auf die
Gefahren bei der Bedienung der Brotmaschine aufmerksam gemacht. «Wir haben seine
Idee aufgenommen und nun eine Schutzeinrichtung um die Brotmaschine herum gebaut.»
Schon indem man Ideen der Mitarbeitenden entgegennehme und etwas daraus
mache, zeige man, dass deren Meinung zähle und man sie ernst nehme, wirft Manuela
Scheuzger ein: «BGM darf man nicht zu eng
sehen. Man macht es schon, indem man
wertschätzend führt, die richtigen Leute einstellt und sie am richtigen Ort einsetzt, wo
sie nicht überfordert, aber auch nicht unterfordert sind.» Weil BGM oft implizit gelebt
werde, «haben aber nicht immer alle Mitarbeitenden auf Anhieb verstanden, was ein
BGM denn nun ist», führt Thomas Rohrer
aus: «Es brauchte mehrere Anläufe, um allen
– vom Sekretariats- bis zum Küchenmitarbeitenden – zu vermitteln, was dahinter steckt.»
Dicht gedrängter Zeitplan
Die Zeit drängt. Gnadenlos rückt der Stundenzeiger gegen zwölf. Manuela Scheuzger
blättert in ihren Unterlagen und erkundigt
sich nach dem Mitarbeitergesprächsbogen.
Als hätte sie es schon zehn Mal gemacht,
fischt die Administrationsleiterin das gewünschte Dokument aus dem vollbepackten
A4-Ordner, der sich in der Mitte des Tisches
befindet, und übergibt es der Assessorin.
Diese wirft einen kurzen Blick darauf und
entlässt die Teilnehmenden in die Mittagspause, während sie und ihr Co-Assessor einen kurzen Rundgang durchs Alterszentrum
machen, um sich dann eine Stunde lang vertieft mit den Unternehmensdokumenten
auseinanderzusetzen. «Fünf Tage in der Woche könnte ich ein solch straff getaktetes
Programm nicht machen», gibt Manuela
Scheuzger zu. «Um die Übersicht zu bewahren, haben wir uns die Beurteilung der Kriterien aufgeteilt: Während einer der Asses-
Fotos: Sebastian Magnani
Jetzt gilt es ernst: Die Assessoren und Vertreter des Alterszentrums beim Kennenlerngespräch vor einem intensiven Assessment-Tag.
soren die Kriterien abfragt und sich Notizen
macht, schreibt der andere mit und überlegt
sich gleichzeitig, ob wirklich alle Fragen gestellt wurden, damit am Schluss alle Informationen vorhanden sind, um den Abschlussbericht zu schreiben.»
Dass nicht jedes Dokument in so kurzer
Zeit eingehend geprüft werden kann, versteht sich von selbst: «Das würde den Rahmen sprengen. Wir gehen eher stichproben-
«Zwar beurteilen wir als Assessoren
nicht jedes Kriterium als gleich gut oder
gleich schlecht, markante Unterschiede
gibt es aber kaum.»
Manuela Scheuzger, BGM Assessorin,
Gesundheitsförderung Schweiz
artig vor. Aber auch damit bekommt man
einen guten Einblick.» Insgesamt investiert
Manuela Scheuzger etwa 30 bis 40 Arbeitsstunden in ein Assessment. Das fängt beim
Auszug aus HR Today Special 2 | 2015
Studium der Website an, geht über die Organisation der Tagung, die Fragendefinition
sowie die Besprechung mit dem Co-Assessor
und endet mit der Bewertung der Kriterien
aufgrund des Assessment-Tages.
Nicht nur die Assessoren, auch der Geschäfts- und die Bereichsleiter des Alterszentrum am Buechberg haben sich gründlich
auf den «Tag der Tage» vorbereitet: «Im Vorfeld zum Assessment-Tag haben wir einen
halbtägigen Probedurchlauf gemacht, an
dem auch alle Bereichsleiter teilnahmen»,
erzählt Thomas Rohrer. «Mit der Einbindung
der Bereichsleiter wollte ich zeigen, dass wir
als Team zusammenarbeiten.» Hauptsächlich sei das Assessment für ihn aber eine
Standortbestimmung: «So erfahren wir, wo
wir stehen und wo wir uns noch verbessern
können. Am Assessment schätze ich besonders, dass es sich mehr auf die vorhandenen
Stärken ausrichtet und weniger an den Defiziten orientiert.»
Keine Sympathiebonuspunkte
Stellt sich noch die Frage nach der Objektivität der Kriterienbewertung: Schleichen sich
da nicht auch Sympathiepunkte ein? «Nein»,
meint Manuela Scheuzger. «Zwar beurteilen
wir als Assessoren nicht jedes Kriterium
gleich gut oder gleich schlecht, markante
Unterschiede gibt es aber kaum.» Vergebe
einer der Assessoren trotzdem mal eine höhere Note für ein bestimmtes Kriterium als
der andere, werde dieses ausdiskutiert, bis
man sich einig werde. Das komme aber nur
vereinzelt vor und dann meist mit minimalen
Abweichungen, denn alle Assessoren absolvieren jährlich ein Weiterbildungsprogramm,
nehmen an Fallbesprechungen und Interpretationsauslegungen teil und verfügen über
ein solides Berufsfundament im HR, Coaching oder BGM.
Für alle Beteiligten endet der Tag am
späten Nachmittag mit der Besprechung des
BGM-Kriteriums 6, der Ergebnismessung.
Während die Assessoren am Folgetag den
Bericht schreiben und Gesundheitsförderung Schweiz zur Überprüfung abgeben,
beginnt nun für das Alterszentrum eine bange Zeit des Wartens bis zum Eintreffen des
Entscheids.
n
Corinne Päper