Mit dem Supermarkt in Thüringen unterwegs Wenn die sieben Fahrzeuge ab früh halb acht in Körner bei Mühlhausen vom Hof rollen, haben Sylvia und Rainer Vogler ihre erste Schicht bereits hinter sich. Um vier Uhr in der Nacht nimmt das Ehepaar die tägliche Frischelieferung entgegen: Obst, Gemüse und Waren für die Kühltheke. Sie sind nicht einfach nur Lebensmittelhändler, sondern unterhalten seit 20 Jahren „Lemkes rollenden Supermarkt", ein gemeinsames Unternehmen mit Hans-Heinrich Lemke aus dem benachbarten Göttingen. Die speziell aufgebauten Verkaufsfahrzeuge steuern Dörfer in Nord-, Mittel- und Westthüringen an, in denen die Bewohner oft keine Möglichkeiten haben, Lebensmittel einzukaufen. Rund 100 Kilometer fährt Sören Haupt, einer der sieben Fahrer, jeden Tag. Seine Tour beginnt in Körner, zehn Haltepunkte gibt es in dem Ort. Obwohl hier noch ein kleiner Supermarkt im Dorf ist, gibt es hier etliche Stammkunden. So wie Ralf Thon, der erste Kunde an diesem Tag in Körner. Er kommt gerade von der Nachtschicht und kauft sich hier Brötchen, eine Zeitung und sein Feierabendbier. „Ich weiß genau, wann das Auto da ist und nutze es zwei, drei Mal die Woche." Sören Haupt kennt seine Kunden, oft sogar mit Namen. Der gelernte Koch ist seit drei Jahren Fahrer und Verkäufer gleichzeitig. „Das ist nicht nur ein Job, das ist für mich Berufung", meint der 43-Jährige aus Mühlhausen. Hier ein Späßchen mit den Kunden, ein nettes Wort, Hilfe beim Einpacken und natürlich die Beratung seiner Kundschaft beim Einkauf gehört bei ihm einfach dazu. Und manch ein Kunde wird hier mitunter mal seine ganz persönliche Sorge los. Ein solches Vertrauensverhältnis wissen seine Kunden zu schätzen. Ein Vollsortiment auf kleinstem Raum Vor jedem neuen Halt schellt eine Klingel und kündigt den Wagen an. Etliche Hoftore öffnen sich und so kommt auch die 82-jährige Anna Louise Konrad zum Verkaufswagen, hinter sich eine Einkaufstasche auf Rädern. Heute braucht sie Getränke und bringt das Leergut mit. Sören Haupt packt die Getränkeflaschen schon in das Wägelchen, während die Rentnerin ihren Einkaufszettel abarbeitet. „Na, heute gar keinen Joghurt, Frau Konrad?" fragt der Verkäufer. Manche Kunden kaufen immer das Gleiche, da könne er schon den Korb alleine zusammenstellen. Neben den sage und schreibe 2300 verschiedenen Artikeln im ständigen Sortiment findet der Kunde täglich noch die Frische-Artikel im Kühlregal und derzeit ein Zusatzsortiment an Ostersüßwaren. Auf wenigen Quadratmetern gibt es alles, was das Herz begehrt vom Haushaltsreiniger über Butter bis hin zum täglich frischen Obst und Gemüse. In einem speziellen Fach ist Bäckerkuchen, Brot und Brötchen; an zwei Tagen der Woche gibt es Frischfleisch von einer hiesigen Fleischerei. „Wir setzen auf Qualität und Frische, das ist unser Plus, ansonsten könnten wir dicht machen", meint der Chef Rainer Vogler. Qualität, ein umfangreiches Sortiment und die Nähe zum Kunden seien entscheidend für den Erfolg. Seine Kunden - immerhin im Durchschnitt 650 pro Tag, die in einem der sieben Verkaufsfahrzeuge einkaufen danken es mit Treue. "Hier gibt es alles, was ich brauche!" Anita Groß kennt und nutzt den rollenden Supermarkt schon viele Jahre. „Hier gibt es alles, was ich brauche, das Angebot ist zeitgemäß und das Auto hält genau vor der Haustür! Besser kann es doch nicht sein", schwärmt die Stammkundin. In Schlotheim hält Sören Haupt mit seinem Fahrzeug in einigen Seitenstraßen. Obwohl es in dem Ort andere Einkaufsmöglichkeiten gibt, wissen viele Service vor der Türe zu schätzen. Elsa und Karl Horst Demme kommen gemeinsam in den Verkaufswagen. „Er kauft sich sein Bier und ich bekomme alles, was ich im Haushalt so benötige", meint die Rentnerin. „Wenn der Markt zu uns kommt, ist uns das schon recht" ergänzt ihr Mann. Beim nächsten Halt steigt Frieda Reiher mit ihrem Einkaufszettel in der Hand in den Wagen. Sie hat noch ihre Haushaltsschürze an und läuft die wenigen Meter in Pantoffeln zum Fahrzeug. „Ich brauche mich nicht einmal umziehen, wenn ich einkaufen gehe" schmunzelt sie. „Und hier krieg ich alles, werde von einem so netten Verkäufer bedient und hab‘ einen kurzen Heimweg." Für den Verkaufsfahrer Sören Haupt ist der Heimweg noch einige Stunden und Dörfer entfernt. Seine Tour führt heute noch durch zahlreiche kleine Nester in Nordthüringen. Gegen 17 Uhr, manchmal sogar etwas später, je nachdem, wie viele Kunden er zu bedienen hat, ist er wieder in der Zentrale in Körner. Hier muss er nur noch die Kasse abrechnen, dann ist für ihn Feierabend. Abends kommen die Frauen, um die Fahrzeuge zu reinigen und das Trockensortiment aufzufüllen. Vogler hat insgesamt 16 Beschäftigte, davon sieben Fahrer. Die Frauen meist in Teilzeit. Allerdings leistet er sich einen eigenen Fahrzeugschlosser, der die Autos regelmäßig wartet und kleine Reparaturen selbst durchführt. „Wegen jeder Kleinigkeit in die Werkstatt, das würde sich nicht rechnen." Schließlich müssen die Wagen rollen, Ausfall ist nicht eingeplant. Immer wieder kommen mal neue Orte hinzu, manch anderer wird aus der Tour gestrichen. Um die Werbung und die Tourenplanung kümmert sich einer der Vogler-Söhne. Die beiden werden in einigen Jahren die elterliche Firma übernehmen, sind jetzt schon aktiv eingebunden. Obwohl ein kleinteiliges und mitunter mühsames Geschäft, machen sie sich um die Zukunft keinen Sorgen. Den Service des rollenden Marktes wissen mittlerweile sogar einige Ortsbürgermeister zu schätzen. Sie fragen beim Unternehmen nach, ob man denn auch ihre Gemeinde anfahren kann, da die einzige Verkaufsstelle im Ort jetzt geschlossen hat. Demnächst will Vogler noch ein weiteres Fahrzeug kaufen und als Verkaufswagen ausbauen lassen. Die Nachfrage nach dem mobilen Einkaufsservice nimmt zu, so wie der Altersdurchschnitt der Bewohner im ländlichen Raum ansteigt. Quelle: Thüringer Landstreicher
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