Auf Hufen und Kufen - Wohli`s Kutsch

Entspannung und ein
Nickerchen während des
kurzen Zwischenhalts:
Die beiden Ardenner
Siena und Bonito dösen
in der Wintersonne
und erholen sich von
der Anstrengung.
Acht Zentner geballte Kraft
Auf Hufen
und Kufen
Wenn Werner «Wohli» Wohlwend seine imposanten
Kaltblüter vor den Schlitten spannt, werden Menschen fröhlich,
entspannt und glücklich. Ein Wintermärchen im Engadin.
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Text Corinne Schlatter Fotos Romeo Polcan
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Die Stuten Ramona und
Florina traben munter durch
die Winterlandschaft,
bescheren den Passagieren
herrliche Momente des Glücks.
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Foto Pierluigi Macor
«Schlittenfahren ist
nicht nur Genuss – nein,
das ist Gottesdienst»
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«Ich habe den schönsten
Beruf, den es gibt. Ich mache
Menschen glücklich»
Wohli nimmt sich Zeit für
seine Pferde. Bevor er
Moritz einspannt, kämmt
der Bündner die Mähne
und striegelt das Fell des
mächtigen Noriker Wallachs.
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«Ich habe die Pferde
einfach gern»
Die Arbeit ruft: Wohli holt die Stuten Jessica (Shire Horse/Belgier; links)
und Elfi (Süddeutsches Kaltblut) von der Weide, um sie einzuspannen.
E
ine Ausfahrt im Pferde­
schlitten durch eine
stille Winter­land­schaft
ist Freude, Romantik
und Besinnlichkeit
in einem: «Schlittenfahren ist nicht
nur Genuss – nein, das ist Gottes­
dienst», schrieb zum Beispiel im
17. Jahrhundert der schwedische
Graf Carl Gustav Wrangel in seinem
hippologischen Standardwerk
«Das Buch vom Pferde».
Wer jemals, in Pelz gehüllt und
von einer warmen Lammfelldecke
zugedeckt, in einem Pferdeschlitten
durch die kalte Winterluft geglitten
ist, der ahnt, wie der berühmte
­Hippologe diese Aussage meinte:
Rhythmisch klingen die kleinen
Schellen am Geschirr der munter
trabenden Pferde, singend knirschen
die Kufen auf dem körnig gefrorenen
Schnee. Ab und zu schnaubt eines
der Tiere, sonst ist es ganz still.
Kein Mucks ist zu vernehmen, und
der Blick verliert sich im weiten
Weiss der friedvoll vorüberziehenden
Landschaft. Andächtig, ja erhaben
und feierlich wird es einem bei einer
Schlittenfahrt durch das verschneite
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Land zumute. Aber auch die ­freudige
Stimmung der vorwärts­drängenden
Pferde überträgt sich auf den Fuhr­
mann und die P
­ assagiere. Sie werden
fröhlich und innerlich ruhig, sind
alsbald ganz bei sich. Kein Wunder,
liessen sich im Laufe der Jahr­
hunderte unzählige Komponisten
(von Mozart bis Schubert) oder
Dichter (von Goethe bis Tolstoi)
inspirieren und wurde das Winter­
vergnügen sowohl musikalisch
als auch literarisch immer wieder
neu interpretiert. Natürlich fehlen
Pferdeschlitten auch in Winter­
märchen wie zum Beispiel «Die
Schneekönigin» oder «Drei Nüsse
für Aschenbrödel» nie. Häufig
­gleiten sie geheimnisvoll durchs
Schneegestöber, geben der Szenerie
einen mystischen Touch.
Ehre und Verpflichtung
Schlitten spielen auch bei Werner
Wohlwend während der Winter­
monate eine wichtige Rolle. Denn
Wohli, wie der 49-Jährige von
allen genannt wird, unterhält in
Pontresina GR eine Fuhrhalterei.
Seit einem Jahr betreibt er dort
Die Schellen
bimmeln im
rhythmischen
Takt des
Trabs. In der
ver­schneiten
Land­schaft
wird es einem
feierlich zumute.
den offiziellen Pferde-Omnibus,
jenen gedeckten Pneuwagen samt
Anhänger mit insgesamt mehr
als dreissig Sitzplätzen, der sowohl
im Sommer als auch im Winter –
von imposanten Pferden gezogen –
fahrplanmässig und mehrmals pro
Tag ins Rosegtal und zurück nach
Pontresina verkehrt. Die begehrte
Konzession dafür hat der Bündner
von der Gemeinde erhalten: «Eine
Ehre und Verpflichtung zugleich,
wie er unterstreicht. Und manchmal
auch ziemlich stressig. In der Hoch­
saison sind mehrere Omnibusse
gleichzeitig unterwegs, die Einsatz­
Der Kanadische
Schäfer Juma rennt
während den Ausfahrten stets mit.
Dazwischen ruht
er sich gern im
Schlitten unter den
warmen Fellen aus.
pläne der Pferde und angestellten
Fuhrleute, die Buchung der Fahr­
gäste, das Ein- und Ausspannen und
die Pflege der Tiere, der Unterhalt
der Fahrstrecke, die Organisation
von Heu, Hafer und anderem Kraft­
futter für die Mittagspause, von
­Dutzenden von Decken für die Gäste
und die Pferde bedeuten zu Stoss­
zeiten einen logistischen Parforce­
akt. Denn zusätzlich zum Omnibus
können bei Wohli und s­ einem Team
auch private Tages- und Nacht­
fahrten mit Kutschen oder im Winter
mit Schlitten gebucht werden. Trotz
Hektik und 16-Stunden-Tagen ist
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der gelernte Elektriker aber über­
zeugt, den schönsten Beruf zu
haben, den es gibt. «Ich kann mit
Pferden arbeiten. Und ich mache
Menschen glücklich. Was will man
mehr?» Ein schelmisches Lächeln
huscht über das wettergegerbte
Gesicht des knorrigen Berglers.
Locker hält er die Fahrzügel in der
Hand, spornt die drei Pferde, die
an diesem kalten Wintermorgen vor
den Omnibus gespannt sind, zum
flotten Trab an. Ramona, Florina und
die alte Ulli lassen sich nicht zwei­
mal bitten. Kraftvoll ziehen sie an,
unter ihren Hufen stiebt der Schnee.
Spürbar freudig preschen sie den
kleinen Schneeweg hinauf, was die
Gäste hinten auf dem Wagen mit
ausgelassenen Juchzern quittieren.
Imposante Hünen –
800 Kilo an
geballter Kraft
Nach getaner Arbeit
ver­bringen die Pferde
ihre Ruhezeit und die
Nacht im Herdenverband
im Freien. Auch im Winter.
alten Pferdeschlag beleben
Wohli und seine Pferde sind weit
herum, bis über das Engadin hinaus,
bekannt. Das Original mit wildem
Bart und unverkennbarem Hut
hat es als Kutscher sogar ins Fern­
sehen gebracht. In Martin Suters
vor ­Kurzem verfilmten «Teufel
von Mailand» führte er die Gäste
mit seinen Pferden zum Hotel.
Nicht nur der Fuhrmann, der stets
von seinem Kanadischen Schäfer
Juma begleitet wird, auch die Pferde
fallen auf: Alle sind imposante
Hünen, 700 bis 800 Kilo an geballter
Kraft. Grosse, starke Kaltblutrassen haben es Wohlwend beson­
ders angetan – Noriker, Comtois,
Ardenner sowie bayrische oder
­holländische Ver­treter des schweren
Arbeits­pferdetyps. 21 Tiere stehen
täglich im Fahr­einsatz, ein weiteres
Dutzend verdient den Hafer in der
Reitschule, die von Wohlis Frau Gina
geführt wird. In den Über­gangs­
saisons werden einige der Pferde
zusammen mit ihrem Meister ausser­
dem von Wald­besitzern zum Holz­
rücken engagiert: eine alte Hand­
werks­tradition, die aber zusehends
­verschwindet.
Wohli ist stolz auf seine Pferde,
vor allem auf diejenigen aus eigener
Zucht. Seinen Comtois-Hengst
Speedy bringt er mit Noriker oder
Ardenner Stuten zusammen und
versucht so, den alten Schweizer
Pferdeschlag der Burgdorfer wieder
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zu beleben. Das Burgdorfer Pferd
war neben dem Freiberger das
einzige Kaltblut, das in der Schweiz
heraus­gezüchtet worden ist. Es war
ein mittel- bis schweres Zug- und
Arbeitspferd, das in den Sechziger­
jahren jedoch ausgestorben ist.
Durch die Bemühungen des Burg­
dorfer Pferdezuchtvereins sowie der
Familie Wohlwend entsteht dieser
Pferdeschlag nun verschiedenenorts
wieder neu: durch Kreuzung von
Ardenner und Freiberger Pferden,
der leichteren Kaltblutrasse aus
der Schweiz. Wohli setzt neben den
Ardennern auch Noriker Stuten ein
Netzwerk www.engadin-reiten.ch j www.burgdorferpferd.ch x www.pontresina.ch
und kreuzt sie mit seinem ComtoisHengst. «Der französische Comtois
kommt dem Ursprungstyp des
­Freibergers näher als die heutigen
Freiberger, die stark veredelt worden
sind», erklärt er seine Strategie.
Die fünfeinhalbjährige NorikerComtois-Stute Florina und deren
um ein Jahr ältere Vollschwester
Ramona sind Wohlis besonderer
Stolz. «Zwei fast gleiche Pferde
am Wagen zu haben, davon träumt
jeder Fuhrmann», verweist er auf
das ähnliche Exterieur der beiden
Blauschimmel, die durch lebhaftes
Temperament, Arbeitswillen,
Kraft, Belastbarkeit, Wendigkeit,
Robustheit und Freundlichkeit
überzeugen. Sie sollen dereinst mit
Speedy gekreuzt werden und die
wohlwendsche Linie des Burgdorfer
Schlags weiterführen.
Neben Ramona und Florina haben
auch Wohlis andere Pferde Tempe­
T www.npz.ch V www.avenches.ch g roseg-gletscher.ch E www.kutschen.com
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Fachwissen
und
Charakter
sind zentral
Osteuropa. Daraus ergeben sich
manchmal lustige Momente:
Letzte Saison etwa verstand ein
rumänischer Fuhrmann kein Wort
Deutsch, lernte aber die Kommandi
in Schwiizertüütsch auswendig und
gab sie an die Pferde weiter: «Uuf­
passe», «zäme», «hü», «Scheritt»,
klang es astrein durch den Winter­
wald. «Meine Leute müssen ein­
heitlich kommunizieren, denn sie
fahren immer wieder andere Tiere.
Sonst schleichen sich Mödeli ein»,
sagt der Engadiner, dessen Frau und
drei Töchter ebenfalls fahren können
und gern im Betrieb aushelfen.
Der Sohn derweil hilft lieber mit
den Maschinen auf dem Hof mit.
rament – und ein ausgeglichenes,
zugängliches Wesen. Das liegt
nicht nur an ihren Rassen, sondern
ebenso an der Haltung: Sind die
Pferde nicht im Arbeitseinsatz, sind
sie sommers wie winters im Freien
anzutreffen. Auf der Pontresiner
Gemeindeweide mit Unterständen
leben sie im Herdenverband. Dabei
müssen sie mitunter das eine oder
andere Hickhack ausfechten, bis
sie ihren Platz in der Gruppe mit
fester Rangordnung gefunden haben.
Gleichzeitig können sie herum­
laufen, fressen, schlafen, sich erholen,
mit Artgenossen spielen, soziale
Kontakte pflegen oder sich zurück­
ziehen und einfach nur Pferd sein.
Zuckerbrot und Peitsche
Korrekter Umgang zentral
Wenn die Zugpferde am Arbeiten
sind, haben sie es derweil streng –
vor dem Omnibus mit Anhänger,
der voll besetzt gut und gern drei
Tonnen wiegt, oder am eleganten
Schlitten. Umso wichtiger sei ein
professioneller Umgang, sagt Wohli,
in dessen Betrieb je nach Saison
fünf bis acht Angestellte arbeiten.
Es sei je länger, je schwieriger,
gut ausgebildete Fuhrleute zu
­finden, sagt der Patron, der nur
Mitarbeitende engagiert, die die
Pferde fair, korrekt und nie grob
behandeln. Seine Leute schickt
er in der Zwischen­saison ins
­Nationale Pferdezentrum in Bern,
damit sie den Fahrbrevet-Kurs
absolvieren. Vor allem in der Hoch­
saison müssen die Fahrer an ihre
Grenzen gehen. «Wenn die Nerven
blank liegen, zählen Fachwissen
und Charakterstärke doppelt.»
Mangels einheimischen Fach­
personals heuern die Wohlwends
auch professionelle Fuhrleute aus
dem Ausland an: aus Deutschland,
Österreich, dem Elsass oder aus
Ein munteres Trio: Bonito,
Jana und Xenia (von links)
vor dem Omnibus, hier
gefahren vom Fuhrmann
Christoph Schmidt.
Florina und Ramona schnauben,
die schwarzen Mähnen flattern
im Wind, lustig spielen ihre Ohren
und horchen Wohlis Stimme. Dieser
nimmt die Zügel sanft auf, hält die
Stuten auf dem Heimweg von einer
ausgedehnten Schlitten­partie an
zu verlangsamen. Gehorsam fallen
sie vom Trab in den Schritt, wirken
zwar müde, aber gleichzeitig entspannt. Dies hat sich längst auch
auf die Gäste im Schlitten übertragen: Die Kinder sind im Takt
des beruhigenden «Trin-trin-trin»
der Glöckchen eingeschlafen, die
Eltern strahlen Zufriedenheit aus.
Zurück in Pontresina, schirrt Wohli
die zwei Pferdedamen behutsam aus,
nimmt die schmucken Geschirre
und Kummete von den athletischen
Körpern und die selber entwickelten
Fahrhalfter von den Köpfen. Dann
bürstet er das verschwitzte Fell,
tätschelt die Stuten, lobt sie, entlässt
sie mit einem Klaps auf die Weide,
wo sie zum Futter­platz trotten und
genüsslich fressen. «Nein», sagt
er, «ich bin kein Pferde­flüsterer.»
Er habe seine Tiere einfach nur
gern und liebe es, mit ihnen zu
arbeiten. «Was nicht heisst, dass
ich ihnen alles durchgehen lasse»,
fügt Wohli an. Denn Pferde testeten
wie Kinder Grenzen aus. Worin
besteht also die Kunst des Fahrens?
«Mit Zucker­brot und Peitsche
richtig umzugehen und gut zu
kommu­nizieren», meint der Bergler.
«So wie im Leben.» C