Mehrklassensystem bringt Vorteile

Tagblatt Online: 2. Februar 2016
Mehrklassensystem bringt Vorteile
Während die Lehrerin Arbeiten kontrolliert, arbeiten die Schülerinnen und Schüler an ihren Plätzen weiter.
Seit dem neuen Schuljahr wird in der Primarschule Nesslau im
Mehrklassensystem unterrichtet. Durch die Schliessung der
Schulen Bühl und Ennetbühl musste eine Lösung gefunden
werden. Die ersten Erfahrungen sind positiv.
CHRISTIANA SUTTER
NESSLAU. Die Erst- bis Drittklässler zeichnen Formen und Objekte nach, die ihre Lehrerin
Stephanie Hagen ihnen als Vorlage ausgedruckt hat. Einige Schüler sind mit Ausmalen
beschäftigt. Andere gehen zum Pult ihrer Lehrerin, um ihr das Resultat zu zeigen. Stephanie
Hagen stammt aus Mosnang. Sie kommt frisch von der Ausbildung zur Primarlehrerin, «mit
Schwerpunkt Mehrklassen-Unterricht», erklärt die 23-Jährige. Stephanie Hagen hat bewusst
eine Mehrklasse gewählt. Ihr gefällt die Abwechslung der jüngeren und älteren Schüler. «Es
ist ein Vorteil für neue Schüler, wenn die älteren schon wissen, wie es läuft», argumentiert
die Junglehrerin. Auch voneinander lernen sei ein grosser Vorteil. Die Kinder übernehmen
Rollen. Zuerst sind sie die «Kleinen», welche zu den «Grossen» heraufschauen. In der
dritten Klasse sind die ehemals Kleinsten dann die Vorbilder für die Jüngsten. Wird ein
Thema behandelt, werden oft alle drei Klassen mit einbezogen. «Wird es konkreter, wird in
den einzelnen Klassen unterrichtet.» Unterstützt wird die Lehrerin von einer weiteren
Lehrperson, die das Team-Teaching übernimmt. Somit kann sie mit zwei Klassen im
Schulzimmer arbeiten und die dritte Klasse wird in einem anderen Schulzimmer durch die
Team-Teaching-Lehrerin unterrichtet.
System passt
Durch die Schliessung der Schulen im Bühl und in Ennetbühl musste eine Lösung gefunden
werden, damit eine Kontinuität in der Klassengrösse erreicht werden kann. Wobei in den
Aussenschulen immer in Mehrklassen unterrichtet wurde. Im Schulrat wurde bereits seit
längerer Zeit über ein Mehrklassen-System nachgedacht. Auch in Nesslau gab es
Mehrklassen und man wusste von den pädagogischen Vorteilen. «Das Mehrklassen-System
passt in die ländliche Gegend», sagt Schulleiterin Susanne Bösch, «denn das System ist ein
Abbild unserer Gesellschaft.»
Zur Zeit besuchen 260 Kinder die Primarschule Nesslau. Davon gehen 33 in Krummenau zur
Schule. Aus den Aussenschulen kamen insgesamt 32 Kinder nach Nesslau. Die
Primarschüler sind auf elf Primarklassen und vier Kindergärten aufgeteilt. Die
Klassengrössen betragen zwischen 18 und 21 Kinder. Das gesamte Lehrerteam im
Kindergarten und in der Primarschule umfasst rund 38 Personen.
Organisationsgeschick gefordert
Susanne Bösch sieht viele Vorteile im Mehrklassen-System. «Es ist wie zu Hause. Kinder
lernen voneinander. Sie schauen sich Dinge ab.» Das kleine Kind lernt vom mittleren, dieses
wieder vom älteren Kind. Somit hat die Lehrperson in der Klasse die Möglichkeit, sich um ein
Kind zu kümmern, das spezielle Bedürfnisse hat. Einen weiteren Vorteil sieht die
Schulleiterin beispielsweise, wenn ein neues Kind in die Klasse kommt. «Man hat dann die
Möglichkeit, das Kind einer passenden Klasse zuzuteilen.» Nachteile sieht die Schulleiterin
in der Organisation. Es benötigt grosses organisatorisches Geschick, die
ineinandergreifenden Stundenpläne zu erstellen, die Raumbelegungen zu koordinieren und
Pensenwünsche der Lehrpersonen zu berücksichtigen. Als der Entscheid gefallen war, dass
das Mehrklassen-System eingeführt wird, war sich der Schulrat einig, dass er den
Lehrpersonen eine gute Weiterbildung anbieten will. Unterstützung bekamen die
Lehrpersonen durch die Pädagogische Hochschule PH in Rorschach. Dozenten
unterrichteten in Grundsätzlichem. Wobei die Hälfte der Lehrpersonen schon seit Jahren im
Mehrklassen-System arbeitet. «Dies machte die Weiterbildung etwas schwierig», resümiert
die Schulleiterin. Das relativierte sich, nachdem drei neue Lehrpersonen zum Team
gestossen waren. Diese kennen das System. Somit konnte intern Unterstützung geboten
werden. Susanne Bösch erklärt, dass durch diese positive Entwicklung auch die Ausgaben
für die Weiterbildung nicht so hoch waren wie budgetiert. Baulich mussten in bestehenden
Räumlichkeiten teils kleine Veränderungen vorgenommen werden. Der in die Jahre
gekommene Pavillon wurde saniert und ein Schulzimmer befindet sich darin.
Fahrplananpassungen gab es bei den Schulbussen, «damit alle Kinder rechtzeitig in der
Schule und zu Hause sind.»
Orientierung nach vorne
Inzwischen sind fünf Monate seit der Einführung des neuen Unterrichtssystems vergangen.
Susanne Bösch betont, dass die Umstellung grundsätzlich gut verlaufen ist. Negative
Stimmen haben sich zum Positiven gewandelt. «Wir sind unter schlechten Vorzeichen
gestartet und haben den Rank doch gut erwischt.»
Eine Änderung freut die Schulleiterin besonders: «Die Lehrpersonen arbeiten jetzt näher
zusammen und unterstützen sich gegenseitig mit Erfahrung und Wissen.» Auch hat sich die
Wahl der neuen Lehrpersonen positiv auf das Team ausgewirkt. Auch die Schüler haben
sich gut eingelebt. Sie fühlen sich wohl. Freundschaften sind entstanden. Die Schulleiterin
sagt, dass laufend Anpassungen vorgenommen werden. «Es stellt sich immer die Frage,
was noch verbessert werden kann.» Pädagogische Aspekte werden laufend angepasst.
Organisatorische Themen versucht man jährlich zu optimieren. Die ersten Erfahrungen
haben gezeigt, dass der Stundenplan funktioniert. Bösch ist wichtig, dass er in erster Linie
für die Kinder passt, «aber natürlich muss er auch für die Lehrpersonen stimmen.»
Abschliessend sagt Susanne Bösch, dass Umstellungen nur dann gelingen, wenn sich alle
Beteiligten nach vorne orientieren und sich für das Gelingen engagieren.
Einige Schülerinnen und Schüler holen Rat bei ihrer Lehrerin Stephanie Hagen. (Bilder: Christina Sutter)
UMFRAGE
Was ist in der Mehrklasse anders?
Lukas Wick, Drittklässler, schon immer in Nesslau
Im Turnen müssen wir Sachen machen, die die Erstklässler auch können. Wir müssen
Rücksicht auf die kleineren Kinder nehmen. In der Klasse sind wir Götti von den
Erstklässlern. Wenn diese etwas nicht wissen, können sie die Zweit- oder Drittklässler
fragen. Ich finde das eine gute Idee. Ich lerne, den anderen zu helfen. (csu)
Was ist in Nesslau anders als in der Schule Bühl?
Lasse Stutz, Drittklässler, ehemals Schule Bühl:
Anders ist das Schulhaus, der Pausenplatz und andere Regeln. In Nesslau hat es viel mehr
Kinder und auch Klassen. Aber sonst gefällt es mir gut.
Nela Schaufelberger, Zweitklässlerin, ehemals Schule Bühl
Ich vermisse das Schulhaus und Herrn Honegger. Hier hat es auf dem Pausenplatz viel
mehr Kinder. Eigentlich gefällt es mir aber gut. (csu)