KU LT U R L E B E N S a m s t a g , 1 6 . J a n u a r 2 0 1 6 – N r. 1 2 Neues Licht auf das Kreuz Kunst in neun Kirchen und der Bahnhofsmission WÜRZBURG (nat) In der Fastenzeit erstrahlen neun Würzburger Kirchen in „Neuem Licht“. Unter dieser Überschrift stellt der Recklinghauser Künstler Ludger Hinse ab Mitte Februar nämlich in neun Gotteshäusern und auch in der Bahnhofsmission „Lichtkreuze“, „Himmelsleitern“ und andere Kunstwerke aus. „Wir brauchen künstlerische Darstellungen, die in unsere Zeit passen“, sagt Dekan Domkapitular Jürgen Vorndran laut Pressedienst des Ordinariats (POW) zu dem Kunstprojekt. Ein umfangreiches Programm mit Andachten, Lesungen, Musik und Tanz soll die Kunst begleiten. Los geht es am Samstag, 13. Februar, um 11 Uhr in der Augustinerkirche. Bis einschließlich Ostermontag, 28. März, sind die Werke dann zu sehen. Das Thema Kreuze beschäftigt Hinse seit einer Ausstellung in Chile im Jahr 1998. Damals habe ihm ein chilenischer Künstler von den Müttern und Vätern erzählt, die unter der Militärdiktatur für ihre verschwundenen Kinder auf die Straße gingen. Vorneweg hätten sie einfach Holzkreuze getragen. „Diese Geschichte ging mir unter die Haut. Noch in der Nacht habe ich angefangen, Kreuze zu zeichnen.“ Bei seinen ersten Kreuzen habe er sich sehr mit dem Thema Leid beschäftigt. Ganz anders die Aussage seiner „Lichtkreuze“: „Ich versuche, das österliche Zeichen mehr in den Mittelpunkt zu stellen, ohne den Karfreitag herauszulassen.“ Für jeden Ausstellungsort suchte Hinse individuelle Kunstwerke aus. So wird in der Marienkapelle ein aus vielen kleinen Teilen zusammengesetztes „Splitterkreuz“ je nach Tageszeit und Lichteinfall farbige Reflexe versprühen, in der Franziskanerkirche wird das melancholische „Kreuz der Erinnerung“ hängen. In der Luft: Eine solche „Himmelsleiter“ wird in Würzburg auch zu sehen sein. FOTO: LUDGER HINSE Für die Seminarkirche Sankt Michael hat Hinse weiße Kreuze ausgewählt. In der Augustinerkirche und im Stift Haug werden farbige „Himmelsleitern“ ausgestellt. In der Bahnhofsmission sollen Mitarbeiter und Besucher das Kreuz selbst mit bunten Plättchen gestalten. „Ich hoffe, dass die Menschen davon berührt werden“, sagt Hinse. Er möchte die Betrachter zum Dialog anregen, egal ob sie sich vorwiegend für Kunst oder für den Glauben interessieren. „Es ist nicht nur ein Kunstprojekt, sondern ein pastorales Projekt“, sagt die Projektkoordinatorin, Alexandra Eck. Zum Kunstprojekt gehören 66 Veranstaltungen. Am 12. Februar gibt es in der Augustinerkirche um 19.30 Uhr einen Diskussionsabend unter dem Titel „Lux Aeterna“. Dabei befassen sich Physiker Dr. Benedikt Biedermann und Augustinerbruder Marcel Holzheimer mit der Frage nach dem Beginn des Universums. Studenten der Musikhochschule präsentieren am 14. März in St. Michael unter dem Titel „Tod, wo ist dein Stachel?“ eigene Kompositionen zur biblischen Erlösungszusage. Und Schauspieler Kai Christian Moritz trägt am 27. Februar einen JudasMonolog in der Marienkapelle vor. Beim Prozessionsweg durch das Neumünster verbinden sich am 3. März Gesang, Tanz und Musik nach einer Idee von Lisa Kuttner. Und bei drei Führungen erkunden die Teilnehmer mit Hinse und der Kunsthistorikern Julia Pracher acht der beteiligten Kirchen: am 20. Februar, 5. März und 19. März, jeweils von 10 bis 16 Uhr. Das Programmheft zum Kunstprojekt liegt unter anderem in den Kirchen, bei der Dominfo, im i-Punkt Kirche und im Falkenhaus aus. Infos: www.neues-licht-wuerzburg.de. VBW TBB OCH WUES - Seite 29 Das Leinwand-Comeback Werner Küspert schreibt wieder Musik für alte Stummfilme – und hat auch fürs Filmwochenende komponiert eine eigene musikalische Idee verlangt. Die muss Werner Küspert dann haben. Wobei ihm zugute kommt, dass er in Musical, Chanson und Jazzstandards gleichermaßen bewandert ist wie in theoretischen Ansätzen wie Harmonielehre. Filmszenen und Noten landen schließlich parallel angeordnet im Arbeitsheft, bei dessen Seitenumbruch der Komponist darauf achtet, dass keiner seiner Kollegen mitten im schönsten Solo umblättern muss. ................................................................................... Von unserem Mitarbeiter JOACHIM FILDHAUT ................................................................................... Caligari stapft durch expressionistisch schief ausgesägte Pappkulissen. Wieviel Uhr ist es? Am Minutenzeiger der Hochhausuhr schwingt sich Harold Lloyd. Und im Wald von Veitshöchheim sitzt Werner Küspert und komponiert gleichzeitig Musik zu den Stummfilmen „Das Cabinet des Dr. Caligari“ und „Safety Last“. Beide Soundtracks haben in diesem Monat Premiere, mit hochkarätig besetzten Jazz-Ensembles. Der expressionistische Hypnose-Streifen kommt in frischester Restaurierung zum Internationalen Filmwochenende nach Würzburg. Kurz vorher läuft die Liebesgeschichte mit dem vertikalen Meisterslapstick bei den Nürnberger Stummfilmtagen, und zwar in der Tafelhalle. Gute Adressen – guter Mann. Bis vor einigen Jahren spielte der Gitarrist Werner Küspert häufig exklusiv mit kleiner Combo zu Kinoklassikern in regionalen Lichtspielhäusern. Die Uraufführungen sind sein Comeback in diesem Spektrum der vielen Tätigkeiten, denen der Musiker so nachgeht. „Vor allem fürs Theater“ arbeitete er, sagt Küspers. Bis vor drei Jahren gehörte er zu den fast ständigen Gastmusikern beim Landestheater Coburg, weswegen er in dieser Zeit „kein Kino gemacht“ habe. Anschließend kam eine Phase der Unterhaltungsmusik, wobei – was eigentlich selbstverständlich ist – Küspert permanent als Gitarrenlehrer unterwegs war. Denn unterhalb des Weltstar-Niveaus verdient jeder Jazzmusiker einen wesentlichen Teil seines Einkommens mit Stunden oder Kursen – oder er lebt eben sehr sparsam. WÜRZBURG ........................ „Mancher Musiker kann das schwer aushalten.“ Werner Küspert über die Freude an Stille ........................ ........................ „Die Musik soll überhaupt nicht traditionell klingen.“ Werner Küspert über seine Komposition zum Film ........................ Offenbar hat sich in der Zeit als Bühnenmusiker kreatives Potenzial angestaut. „Fürs Theater zu spielen war Handwerk“, sagt Küspert, „da ist keine Individualität gefragt.“ Im Sommer hatte er dann lange genug Zurückhaltung geübt. Vor einem halben Jahr war die Zeit reif: „Es muss etwas passieren, hab ich mir da gesagt: Ich will wieder etwas Eigenes.“ Die Rückkehr zur Stummfilmvertonung lag nahe – näher als eine neue Jazzrock-Band zu gründen oder eine Jazzinitiative, wie er es vor gut 30 Jahren so nachhaltig betrieben hatte. Frühere Auftritte und neue Konzepte lieferten den Stoff für eine Präsentation, mit der seit dem frühen Herbst sein Berliner Management auch international Veranstalter anspricht: „Mit 20 bis 25 Filmmusiken im Repertoire geh ich derzeit hausieren“, berichtet der Musiker. Bei der Würzburger Filminitiative lief er selbst offene Türen ein. Die Ausrich- Alles im Griff: Werner Küspert komponiert wieder Filmmusik – auch fürs Filmwochenende. ter des Internationalen Filmwochenendes wünschten sich „Das Cabinet“, was den Arthouse-Kinogeher sehr erfreut, ist die neue Restaurierung doch Szene für Szene mit Farben koloriert. „Atmosphäre schaffen“, das betrachtet er als seine primäre Aufgabe, als zweite „Spannung unterstützen, falls der Film das fordert“. Ganz und gar nicht versteht er sich hingegen als Geräuschemacher wie in der traditionellen Stummfilmmusik. Im Gegen- teil und allgemeiner: „Die Musik soll überhaupt nicht traditionell klingen, sondern zeitgenössisch und nicht vorhersehbar. Beim Stichwort Jazz ahnen die Besucher ja schon, was auf sie zukommt.“ Alles andere als Ragtime. Von den aktuell bundesweit hoch gehandelten Instrumentalisten gehören die Saxophonisten Till Martin und Hubert Winter, Kontrabass-Professor Rudi Engel und Drummer Bastian Jütte zum Pool von „Küspert & FOTO: IRMGARD HOFMANN Kollegen“, so der schon lange eingeführte Bandname. Auch wenn alle improvisieren können – die Vorbereitungen sind immens. „Eine ganze XXL-Druckerpatrone“, so beziffert der Künstler den Aufwand, bis er jedem Beteiligten sein Szenen- und Notenbuch zuschicken kann. Am Anfang protokolliert er den kompletten Film in einer Gliederung. Da erfasst er auch schon mal eine zehnsekündige Sequenz, falls die Weshalb so minutiöse Vorbereitung? „Die Kommunikation auf der Bühne ist schwierig“, weiß der 53-Jährige. „Es ist dunkel und alle stehen mit dem Gesicht zur Leinwand.“ Große Hilfe bieten da die Schrifttafeln. Küsperts Musikstücke sind unterschiedlich stark auskomponiert, fast alle lassen Raum für Improvisation. Wobei dem Komponisten auch die Stille sehr gefällt. Aber: „Mancher Musiker kann das schwer aushalten.“ So nennt Werner Küspert denn keinen Jazzer als Künstler, der ihn „immer noch beeindruckt“, sondern den stillen und verschmitzten Spätromantiker und Neutöner Erik Satie. Die Quartettformation, hat er als fleißiger Stummfilmvertoner festgestellt, ist optimal. Sicher versteht man sich leichter im Duo. Vor allem mit dem Würzburger Saxophonisten Hubert Winter gebe es „blindes“ Verstehen. „Wenn Hubert spielt, dann kann ich mir sicher sein: Das ist geschmacks- und stilsicher auf den Punkt gebracht.“ Duo und Trio sind einfacher auf der Bühne: „Aber das Publikum hat dabei zu wenig Abwechslung.“ 30 Mal sieht sich Küspert einen Film an, bevor er zu komponieren beginnt. Ist dann, nach Wochen, das Skript verteilt, arbeitet sich jeder Instrumentalist in seine Rolle rein. Dann muss die Gruppe ihren Kinoabend nur noch einen Tag lang zusammen vorbereiten: gemeinsam Film angucken, Musik proben und dann zum laufenden Film spielen. Richtig rechnet sich das für die Künstler erst, wenn sie mehrere Aufführungen zu einem Kinowerk machen. „Aber es ist auch immer schön, was Neues zu kriegen“, schwärmt Küspert, nur: „Zwei Aufträge gleichzeitig so wie diesen Winter bringen mich schon ziemlich an die Grenze.“ Küsperts Termine: An diesem Sonntag, 17. Januar, um 18 Uhr, Tafelhalle Nürnberg: „Safety Last“; am 31. Januar, 11 Uhr, im Central Kino Würzburg: „Das Cabinet des Dr. Caligari“ beim Filmwochenende. Außerdem in der Region: 6. Mai, 20 Uhr, Juliusspital Würzburg: „Der Glöckner von Notre Dame“; 5. Oktober, Casablanca Ochsenfurt: „Der Sonderling“ von Karl Valentin. Literaten haben eine Menge in der Mache Würzburger Autorenkreis weckt beim Neujahrsempfang Neugierde auf das Jahr 2016 ................................................................................... Von unserer Mitarbeiterin PAT CHRIST ................................................................................... WÜRZBURG So knackig dürften Ver- anstaltungen öfter sein. In nur 50 Minuten schaffte es der Würzburger Autorenkreis am Donnerstag im proppenvollen Max-DauthendeySaal der Stadtbücherei, den offiziellen Teil seines Neujahrsempfangs über die Bühne zu bringen. Die ausgewählten Appetithappen machten Liebhabern des geschriebenen Worts Lust auf das, was die 25 Mitglieder des Kreises in der Mache haben. Und das ist eine Menge, verdeutlichte Gunter Schunk vom Sprecherduo der Gruppe. So arbeitet Ulrike Schäfer gerade an einem Theaterstück, das zum 700-jährigen Jubiläum des Bürgerspitals Anfang Juli in der Kelterhalle des Spitals uraufgeführt werden soll. „Danach wird es endlich wieder zurück zur Prosa gehen“, verrät die Autorin, die im vergangenen Jahr mit ihrer im Mainfranken Theater uraufgeführten Bühnenfassung „Die Jünger Jesu“ nach Leonhard Frank auf sich aufmerksam machte. Ein längeres Manuskript warte darauf, wieder aufgenommen zu wer- den, sagt Schäfer. Im Mittelpunkt steht eine junge Architektin aus Berlin, die sich ein Haus kauft und dieses Haus umbauen will. Dabei gerät sie in eine Lebenskrise. Ulrike hat es geschafft, die renommierte Literaturagentur Hoffman in München für sich zu interessieren. Die Agenten wiederum konnten den neuen Roman der Würzburgerin – „Novemberschokolade“ – im Münchner Heyne-Verlag platzieren. Protagonistin ist eine Chocolatière, deren Laden vor dem Ruin steht. Aufgrund dieser Turbulenzen entdeckt sie ein Familiengeheimnis. Pauline Füg gab beim Neujahrsempfang einen Einblick in die 2015 erschienene dritte Anthologie des Autorenkreises. „Worte Welten Wirklichkeiten“ ist das knapp 200 Seiten starke Buch betitelt. Mit ihrem Gedicht „Ganze Welten“ entführt Füg darin metaphorisch in die Welt der Schwerelosigkeit. „Der Text entstand, als ich in einem Hotel N24 geschaut Fertiges in Händen, Neues im Blick: (v. li.) Erhard Löblein, Ulrike Sosnitza, Ulrike Schäfer, Pauline Füg und Amadé Esperer. FOTO: PAT CHRIST habe“, verriet die Wortakrobatin. Eine Dokumentation über Menschen im Weltraum flimmerte über den Bildschirm. An den Satz: „Ich führe Experimente mit Schwerelosigkeit durch“ dockte Füg sofort an. Welche Poesie für einen solchen Sender! Ihr Rückblick auf 2015 fällt äußerst positiv aus: „Das Jahr lief literarisch einfach prima.“ So wurde eine „Spoken-Word-CD“ ihres Elektropoesie-Projekts „großraumdichten“ im November im Würzburger Stellwerck Verlag veröffentlich: „Zudem konnte ich zwei Preise einheimsen, den Kulturförderpreis der Stadt Würzburg und den Sprachbewahrerpreis.“ 2016 plant Füg einige Reisen, von denen sie sich Input erhofft. Außerdem hat sie ein Sachbuch über Poetry Slam im Unterricht in Arbeit. „Hoffentlich finde ich auch noch ein bisschen Zeit für meinen Roman.“ Für „Würzburg liest ein Buch“ entsteht auch ein neuer Text: „Dann ist da noch Friedrich Rückert mit seinen ,Kindertotenliedern', dem ich gerade eine Antwort schreibe.“ Amadé Esperer präsentierte sich beim Empfang als wacher politischer Lyriker. „Denk ich an Deutschland, dann denk ich“ lautete der Titel einer der beiden Gedichte, die er vortrug. Seinen Lesebeitrag widmete er dem zum Tode verurteilten palästinensischen Lyriker Ashraf Fayadh. Wurde doch am Donnerstag, was ohne Esperer an Würzburg vorbeigegangen wäre, ein weltweiter literarischer Protesttag für die Freilassung des 35-jährigen Regierungskritikers aus der saudi-arabischen Todeszelle organisiert. Heuer wird sich Esperer kritisch mit dem Thema „Altern“ in unserer Gesellschaft befassen. „Im Hades“ lautet ein Zyklus innerhalb des neuen Gedichtbands, an dem er gerade arbeitet. Auch politische Gedichte werden wieder beinhaltet sein. Politisch wird auch Erhard Löbleins neuer Roman, in dem er auf die Nazizeit zurückgreift. Es geht um die Geschichte eines von der Nazi-Ideologie begeisterten Jungen: „Nach der NS-Zeit hat er große Schwierigkeiten, sich abzunabeln.“ Immer wieder sickert das, was ihm als Junge eingebläut wurde, durch. „Ich hatte schon lange vor, dieses Buch zu schreiben“ so Löblein, der auch eigene Erfahrungen verarbeiten will. Einfach werde es nicht werden, den Roman zu verfassen. Auch werde es kein Happy-End geben. Allenfalls ein offenes Ende.
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