Lili elbe und der öffentliche Blick

Lili elbe und der
öffentliche Blick
Sabine Meyer
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Das plädoyer der elisabeth castonier
Leserschat erreicht, bestimmen die dort
zu sein, sie bestärkt habe, sich völlig als
Identität zu äußern, absprachen. Castonier
gewählten Formulierungen auf lange Zeit
Frau zu fühlen.« Mit der Fokussierung auf
bedauert, dass nicht »nur Notizen, Briefe
Im Frühjahr 1932 rezensiert Elisabeth
die Artikulationsmöglichkeiten und den
das individuelle Bewusstsein stellt Casto­
und, soweit zugänglich, die medizinischen
Castonier, Tochter des Berliner Künstlers
öfentlichen Handlungsspielraum von Elbe,
nier nicht nur die in der zeitgenössischen
Dokumente veröfentlicht wurden« – ein
Felix Borchardt und ihres Zeichens Schrit­
die privat mittlerweile den Nachnamen
Presse kolportierten medizinischen Narra­
Appell, der nicht ungehört bleibt.
stellerin, eine ungewöhnliche Neuerschei­
Elvenes trägt.
tive in Frage, sondern lenkt den Blick ihrer
nung aus Kopenhagen: Fra Mand til Kvinde
Leserschat auch auf gesellschatlich imple­
Durch den hämischen Beitrag in
mentierte Körper­ und Identitätspolitiken.
Als im November 1932 mit Ein Mensch
wechselt sein Geschlecht die deutsch­
( Von Mann zu Frau ). Obwohl dieses Buch
Sandheden sieht sich Elbe zu einer Gegen­
über das Leben von Lili Elbe noch nicht in
darstellung gezwungen und entschließt
deutscher Sprache vorliegt, kann Castonier
sich, einer der führenden dänischen Zei­
lebt Elbe schon nicht mehr. Ihr Tod,
in medizinische Details und unzählige
mit einer informierten Zeitungsleserschat
tungen ein Interview zu gewähren. Geführt
vermutlich die Folge einer letzten Opera­
unveröfentlichte Briefe, die Elbe an ihre
rechnen. Denn nur ein Jahr ist vergangen,
von Loulou Lassen, einer Journalistin,
tion, die ihre Weiblichkeit unumstößlich
damalige Ehefrau und ihren Herausgeber
Als Castonier ihren Beitrag verfasst,
sprachige Version des Buchs auf den Markt
kommt, erhält die Leserschat Einblicke
seitdem die ersten Sensationsmeldungen
die Elbe bis dahin beim Verfassen ihres
zementieren sollte, wirt Fragen auf. Doch
geschrieben haben soll. Die Authentizität
über Elbes Geschlechtswechsel durch die
Buchmanuskripts zur Seite stand, mündet
nur wenige wagen diese zu stellen. Im
dieser Ergänzungen lässt sich mitunter
europäische Presse fegten.
dieses Gespräch in einen Artikel, der die
öfentlichen Auge bleibt Elbe ein Phäno­
bezweifeln, doch Castonier hat durch ihr
Plädoyer, medizinische Interventionen
Geschichte einer menschlichen Tragödie
men, dessen tragisches Schicksal ein jähes
Als Castonier Fra Mand til Kvinde, einen
erzählt. Gerade noch hat man sich hinter
Ende gefunden habe. Doch Castonier
sichtbarer zu machen und die Stimme
Text, der damit wirbt, Lili Elbes Bekennt­
vorgehaltener Hand die Mäuler zerrissen,
klagt an. Sie verurteilt das fehlende Ethos
Elbes nicht verhallen zu lassen, ein Debatte
nisse zu ofenbaren, für das Prager Tagblatt
und plötzlich, wie Castonier diesen Wan­
der Presse, den Mangel an medizinischer
entfacht, die nicht nur auf den literari­
besprechen soll, nutzt sie die Möglich­
del kommentiert, »wird Mitgefühl große
Relexion und nicht zuletzt die Verklärung
schen Text einwirkt, sondern auch den Ton
keit für eine wegweisende Kritik an den
Mode«.
von Elbes persönlichen Erfahrungen:
im deutschen Feuilleton verändert. Die
»Denn die Geschichte dieser märchen­
Sensationshascherei weicht einer ernst­
keiten über die dänischen Grenzen hinaus.
haten Umwandlung und Erschafung einer
haten Auseinandersetzung mit Mensch,
schmatzend« in ihren Zeitungskontoren
Insbesondere im Deutschen Reich wird
Frau aus einem erwachsenen Mann durch
Text und dem nun wahrgenommenen
sitzen und nach Sensationen lechzen, ver­
die Meldung mit großem Interesse aufge­
das Messer ist nur da erschütternd, wo die­
»Problem der Zweigeschlechtlichkeit«,
sucht sie, mit dem schaulustigen Moralis­
nommen, waren es doch deutsche Ärzte,
ser Mensch sich selbst mit seinen eigenen
auf das die Bremer Weser-Zeitung verweist.
Worten äußern kann.«
Ein letztes Funkeln der Weimarer Zeit.
gesellschatlichen Mechanismen ihrer Zeit.
Schnell verbreiten sich die Neuig­
Anders als jene Schreiberlinge, die »wohlig
mus und dem berechnenden Mitgefühl der
welche die Behandlung vornahmen. Elbes
vergangenen Monate aufzuräumen. Dabei
Chirurg Kurt Warnekros stellt sich alsbald
eröfnen sich Einblicke in die Wandelbar­
den Fragen der Journalisten und trägt dazu
Buch Fra Mand til Kvinde, um auf den
keit einer journalistischen Debatte.
bei, dass seine Patientin als wahrer Zwit­
Ausgangspunkt von Castoniers Beitrag zu­
ter und als experimentelle Glanzleistung
rückzukommen, suggeriert diese Authen­
Den Autakt macht das vielsagende
Das als autobiographisch präsentierte
Magazin Sandheden ( Die Wahrheit ). Mit
ausgestellt wird. Castonier hinterfragt diese
tizität der Stimme, löst das Versprechen
mahnendem Ton informiert es die Kopen­
Gloriizierung der Medizin, die Techno­
jedoch nicht ein. Nur wenige Wochen nach
hagener Öfentlichkeit darüber, dass der
logisierung und Klassiizierung eines
Elbes Tod erschienen, präsentieren sich
bekannte dänische Künstler Einar Wegener
Körpers. Lässt sich das Selbstverständnis
die vermeintlichen Bekenntnisse in einer
nach einigen operativen Eingrifen nun
als Frau anatomisch determinieren? Die
literarisierten und bearbeiteten Form, die
als Frau lebe. Das Skandalöse an dieser
Vorstellung, dass Elbe, nachdem sie wie
es ot nicht zulässt, auf die persönlichen
Geschichte sei jedoch weniger die neue Ge­
ein Objekt beschaut, untersucht, foto­
Empindungen der Protagonistin zu schlie­
schlechtsidentität als vielmehr die Aussicht,
graiert und begutachtet wurde, nur durch
ßen. Zu viele unterschiedliche Instanzen
dass jenes Fräulein Lili nun ein detailliertes
ärztliche Hand geschafen worden sei,
haben auf den Text eingewirkt – unter
Buch über ihre als äußert pikant erachteten
erschließt sich ihr kaum: »Es scheint mir
ihnen jene medizinischen Akteure, die
Erfahrungen veröfentlichen wolle. Obwohl
aber, als ob nicht der Eingrif, sondern
Elbe bereits in der Presse die Kompetenz,
Sandheden nur eine recht überschaubare
hauptsächlich das Bewußtsein, ganz Frau
sich über ihren eigenen Körper und ihre
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