Lk 15,25ff Verlorener Sohn II

Predigt FEG Hochdorf 06.09.2015: Lk 15,25-­‐32: Wenn es beim Vater nicht so toll ist 1 Thema: Wenn es beim Vater nicht so toll ist Text: Lk 15,25-­‐32 Heute geht es um den zweiten Teil einer größeren Geschichte, die Jesus erzählt hat. Es geht um einen Vater mit zwei Söhnen. Der erste, jüngere Sohn hatte zu seinem Vater gesagt: „Gib mir den Anteil am Erbe, der mir zusteht.“ Das hieß in der damaligen Kultur mit anderen Worten: „Hey Alter, wäre eigentlich Zeit, dass du das Gras von unten anschaust, damit ich endlich mal an mein Erbe komme.“ Eine unerhörte Frechheit. Der Vater ist für ihn Geldlieferant, mehr nicht. Keine Beziehung. Der Vater aber gibt ihm seinen Anteil (als jüngerer Sohn bekommt er 1/3), und er macht ihn sofort flüssig und reist dann möglichst weit weg. Stürzt sich in alle möglichen Vergnügungen, die es für Geld so gibt. Aber dann ist das Geld zu Ende, und gleichzeitig kommt eine Hungersnot. Er versucht, sich mit Schweinehüten über Wasser zu halten, darf aber nicht mal von deren Futter was nehmen. Da fängt er an, Dinge einzusehen, und will zum Vater zurück – nicht als Sohn, weil er sich seiner Schuld bewusst ist, sondern als Arbeiter. Er macht sich auf den Weg. Der Vater sieht ihn von weitem, rennt ihm entgegen, umarmt ihn, setzt ihn wieder in alle Rechte als Sohn ein und macht ein spezielles Festmahl. Und sie beginnen zu feiern. Text lesen. Was steckt im Menschen wirklich drin? Auf den ersten Blick sehen wir einen Menschen, der hart auf dem Feld arbeitet. Der schon lange bei dem Vater lebt, der mit ihm unter einem Dach wohnt, der ihm immer gehorsam war. Das sind sehr positive Eigenschaften. Wir haben es hier mit einem guten, tadellosen, gottesfürchtigen, fleißigen, gläubigen Menschen zu tun. So scheint es zu sein. Nur – Menschen können gewöhnlich nicht erkennen, was sich im Inneren eines anderen verbirgt. Oft ist der Mensch selbst sich nicht einmal bewusst, was sich in seinem Herzen alles verbirgt. Aber es kommt heraus. Der ältere Sohn hat Gelegenheit, zu beobachten, wie Gott jemanden segnet, jemanden beschenkt. Nur ist das nicht er selbst, sondern sein Bruder. Und der hat doch so ein Geschenk ganz bestimmt nicht verdient! Das Mastkalb, das nur für speziell festliche Anlässe aufgezogen wurde, das wird geschlachtet – also so etwas wie ein Empfang in einem Fünf-­‐Sterne-­‐Hotel wird für den Zurückgekehrten gemacht. Das macht ihn richtig sauer. Er will nicht mitfeiern, will mit so etwas überhaupt nichts zu tun haben. Was geht in ihm vor? Welche Denkweisen, welche Motive sind hier sichtbar? Verdienst statt Gnade Er arbeitet hart, ist dem Vater gegenüber gehorsam, ist nie ausgebrochen. Moralisch hochstehend. Das alles jedoch soll einem bestimmten Zweck dienen. Der ältere Bruder wünscht sich, dass seine Arbeit, sein Gehorsam sich für ihn lohnt. „Ich stelle ja keine großen Ansprüche. Aber ein Ziegenböckchen hätte wenigstens mal drin liegen können, für all die Schinderei!“ Es gibt Leute, die halten hohe moralische Maßstäbe ein, um damit Gott gegenüber einen Anspruch vertreten zu können, um Gott gegenüber etwas in der Hand zu haben. „So viele Jahre habe ich dir gedient“, sagt er. Er will damit eine Rechnung aufmachen. Der Dienst Predigt FEG Hochdorf 06.09.2015: Lk 15,25-­‐32: Wenn es beim Vater nicht so toll ist 2 für Gott ist dann Teil einer Taktik, um Gott zu benutzen und ihn dazu zu bringen, dass er mir die Dinge im Leben gibt, die ich eigentlich will. Das kann übrigens sehr fromm aussehen. Das kann Einsatz in der Gemeinde, Gebet, Evangelisation beinhalten, sogar Sündenbekenntnis! Das lässt sich alles machen aus der verborgenen Motivation, Gott dazu zu bringen, doch endlich auch mal meine Wünsche im Leben zu erfüllen. (Beispiel von junger Frau aus Polen, die den Glauben aufgab). Der ältere Bruder sieht dabei nicht, was wirklich mit ihm los ist. Er liebt den Vater eigentlich genau so wenig wie der jüngere Sohn. Der hatte deutlich gemacht: „Vater, ich will nicht dich. Ich will dein Geld, damit ich auch mal was vom Leben haben kann, also her damit!“ Der ältere Bruder macht so ziemlich das Gleiche deutlich: „Vater, ich will nicht dich. Ich rackere mich hier bei dir ab, damit ich endlich auch mal was vom Leben haben kann, und genau das passiert bei dir nicht!“ Aber er sieht das Problem nicht. Wenn jemand ihm gesagt hätte, dass er gegen die Liebe und die Autorität des Vaters rebelliert, hätte er sich furchtbar aufgeregt und angefangen, aufzuzählen, was er alles so tut. Er sagt: „Schau mal: Im Unterschied zu meinem jüngeren Bruder bin ich immer da und mache alles, was du sagst.“ Jesus sagt dazu, indem er dieses Gleichnis erzählt: „Das spielt keine Rolle.“ Gnade ist unfair Der ältere Sohn sieht, dass aus Freude über die Rückkehr seines Bruders ein Fest gefeiert wird, und zwar eines von der besten Sorte. Das wurmt ihn. „Ich habe nicht mal ein Ziegenböckchen, und der kriegt das gemästete Kalb! Womit hat der das denn verdient?“ Der jüngere Bruder hat es tatsächlich nicht verdient. Es ist Gnade, dass er jetzt mit an der Festtafel sitzen darf und dass aus diesem Anlass das gemästete Kalb aufgetischt wird. Das passt uns nicht? Oder ? Wir Menschen sind sonderbare Kreaturen. Es gibt Situationen, da geht es uns sehr stark um Recht und Gerechtigkeit, und Gott geht es um Gnade und Barmherzigkeit. Wenn ich selbst von Gnade leben will, dann muss ich akzeptieren, dass Gnade nicht anders zu haben ist, als eben unfair. Denn der, der begnadigt wird, bekommt nicht das, was er fairerweise verdient hat. Sondern das, was er eben nicht verdient hat. Aber wenn ich sehe, dass ich selbst auch nur von Gnade leben kann, werde ich das anderen nicht absprechen, dass sie das auch dürfen. Gnade ist unfair für den, der lieber auf seine Leistung und seinen Verdienst schaut. Der sein eigener Herr und Erlöser sein will. Und eben auf diese Weise gegen Gott rebelliert. Überlegenheit Der ältere Bruder fühlt sich dem jüngeren weit überlegen. Der ist abgehauen, er dagegen hat immer beim Vater gelebt. Der hat sich in Vergnügungen gestürzt, er dagegen hat immer hart gearbeitet, nie des Vaters Gebot übertreten. Der wollte sein ganzes Erbe ausgezahlt haben, er wäre mit einem gelegentlichen Ziegenböckchen zufrieden gewesen. Der Ältere gewinnt seine Identität, seinen Selbstwert, aus solchen Vergleichen. Je niedriger ich den anderen einstufen kann, umso besser komme ich heraus. Es passt genau zu einem solchen Denken, dass er jetzt sagt: „Jetzt kommt dieser Mensch da zurück, dein Sohn, der dein Vermögen mit Huren durchgebracht hat, und du lässt das Mastkalb für ihn schlachten!“ Predigt FEG Hochdorf 06.09.2015: Lk 15,25-­‐32: Wenn es beim Vater nicht so toll ist 3 Was tut er damit? Der Vater hatte schon vergeben, was der jüngere Sohn getan hatte. Hatte sich entschlossen, den Vermögensverlust auf sich zu nehmen und selbst zu tragen. Hatte die ganze Vergangenheit des jüngeren Bruders vergeben. Jetzt kommt der Ältere und zieht das, was der Vater schon vergeben hatte, wieder heraus ans Tageslicht. Und das auf brutale Weise: „Der da, der dein Geld mit Huren durchgebracht hat!“ Kennen wir das? Die Sünden anderer (die Gott schon vergeben hat, indem er die Kosten, die sie verursachen, auf sich genommen hat) – diese Sünden brutal ans Licht ziehen? Achten wir noch genauer auf die Worte des älteren Sohnes: „Dieser Mensch da, dein Sohn“. Er sagt nicht: „Mein Bruder“, er redet so, als gäbe es diese Beziehung gar nicht. Er verabschiedet sich von der Gemeinschaft mit denen, die gesündigt haben. Denen ist er überlegen. Pflichtübung So viele Jahre habe ich dir gedient, sagt er. Wie er das sagt, bekommt man den Eindruck, dass der Dienst beim Vater für ihn nichts als Pflichtübung ist. Keine Freude, keine Befriedigung darüber, dass er für den Vater und zusammen mit ihm arbeiten kann. Menschen wie der ältere Bruder leben für Gott, aber letztlich nur aus Pflichtgefühl und Angst, nicht aus Liebe. Aus Angst, ansonsten die Lebenserfüllung nicht zu bekommen, die ja irgendwann kommen muss. Die Selbstbezogenheit des Herzens bleibt dabei bestehen, sie wird gar nicht angekratzt Die Beziehung des Sohnes zu seinem Vater ist mit der vergleichbar, die man zu einem Geschäftspartner hat (der nicht mehr als ein Geschäftspartner ist). Mit ihm bespricht man sachliche geschäftliche Angelegenheiten, sehr zielorientiert, aber weiter nichts. Mit einem guten Bekannten würde man vielleicht ganz offen über Probleme reden, die man hat. Mit dem Menschen, den man liebt, redet man anders. Man sagt ihm sogar, was man an ihm oder an ihr schön findet. Wie unser Gebet aussieht, das spiegelt etwas davon, was der Status unserer Beziehung zu Gott ist. Merke: Vergebung ist kostbar Das Wunderbare an der Geschichte ist, dass der Vater beide Söhne liebt, obwohl keiner von ihnen eine gute Beziehung zu ihm hatte. Er tut gegenüber dem älteren Sohn das gleiche, was er schon gegenüber dem jüngeren getan hat. Er ist dem Jüngeren aus dem Haus heraus entgegengerannt, als der kam. Jetzt verlässt er die festliche Gesellschaft und geht heraus, dem Älteren entgegen, bis an den Ort, wo dieser stehengeblieben ist. Er redet ihm zu, bittet ihn. Er erteilt keinen Befehl. „Bitte, geh doch ins Haus hinein! Du bist doch immer bei mir. Du hast Zutritt zu allem. Alles, was mir gehört, gehört auch Dir! Vertraue mir doch! Ich meine es gut mit dir, und ich will dich auch beschenken. Denk doch nicht, du musst dir meine Zuneigung erarbeiten.“ Auch die ganz frommen und rechtschaffenen Leute brauchen es, dass Gott den ersten Schritt auf sie zu macht. Der ältere Sohn findet nun gar keine Sünden auf seiner Liste, die er vergeben bekommen könnte. Auch der Vater widerspricht nicht seiner Aussage, dass er sich nie den väterlichen Anordnungen widersetzt hat. Bei ihm geht es aber um die Motive, warum er überhaupt tut, was er tut. Die Liebe zu seinem Vater ist bei diesen Motiven nicht dabei. Predigt FEG Hochdorf 06.09.2015: Lk 15,25-­‐32: Wenn es beim Vater nicht so toll ist 4 Er will bisher sein eigener Erlöser und Herr sein. Das ist sein Problem, für das er Vergebung braucht. Vergebung kostet übrigens immer etwas. Jemand muss die Rechnung übernehmen für das, was die Sünde kaputt gemacht hat. Hier in dem Gleichnis ist das der Vater, dessen Vermögen um 1/3 reduziert worden ist, und der ältere Bruder, dessen Erbe durch die Wiederaufnahme des Jüngeren auch wieder kleiner wird, als er vorher erwarten konnte. Vergebung kostet immer etwas. Für den, der sie empfängt, ist sie immer gratis, und das muss auch so sein. Aber für den, der sie gewährt, nicht. Sie kostet immer etwas. Wenn ich jemandem vergebe, dann verspreche ich ihn, dass ich das Schlechte, den Schaden, den er in meinem Leben angerichtet hat, bereit bin zu tragen, ohne es ihm in Rechnung zu stellen. Der ältere Bruder in diesem Gleichnis ist jedoch wahrscheinlich nicht bereit, den Preis zu zahlen. Wir wissen zwar nicht, wie es am Ende herauskommt – Jesus sagt das Gleichnis ja den Pharisäern, die sich in dem älteren Bruder erkennen mussten, und die jetzt eine Entscheidung treffen sollen. Deswegen lässt er den Ausgang offen. Interessant: In den zwei Gleichnissen vorher gibt es immer jemand, der sucht. Das verlorene Schaf wird gesucht vom Hirten. Die verlorene Münze wird gesucht von ihrer Besitzerin. Der jüngere Sohn aber hat offensichtlich keinen Bruder, der gegangen wäre, um ihn zu suchen. Nicht unter den Huren, noch unter den Schweinen. Er hat einen Pharisäer als Bruder. Aber wir nicht. Unser wahrer älterer Bruder ist den ganzen Weg gegangen, weg vom Vater, rein in den Schweinestall, hat uns gesucht, und hat dann den Preis hingeblättert für alles, was durch unsere Abwendung vom Vater kaputt gegangen ist. Er hat am Kreuz mit seinem Leben an unserer Stelle für unsere Schulden bezahlt. Ihm wurde das Gewand vom Leib gerissen, damit wir mit seinem Stand und seiner Würde bekleidet werden konnten. Er wurde wie ein Ausgestoßener behandelt, damit wir in Gottes Familie aufgenommen werden konnten. Wenn wir sehen, was es gekostet hat, uns nach Hause zu bringen, bekommen wir eine andere Motivation, um Gott zu folgen. Diese selbstlose Liebe, die unser wahrer älterer Bruder gezeigt hat, schmilzt in unseren Herzen das Misstrauen gegenüber Gott, das uns entweder zu jüngeren oder zu älteren Brüdern macht. Wenn wir seine Schönheit sehen, in dem, was er für uns getan hat, dann zieht uns das zu ihm hin. Der Dichter William Cowper hat diesen Wechsel der Motivation so ausgedrückt: To see the Law by Christ fulfilled And hear his pardoning voice, Changes a slave into a child, And duty into choice. Wenn Christus das Gesetz erfüllt, und Gnade ihm verspricht, wandelt der Sklave sich zum Kind, zur freien Wahl die Pflicht. Predigt FEG Hochdorf 06.09.2015: Lk 15,25-­‐32: Wenn es beim Vater nicht so toll ist 5 Wenn wir Jesus in seiner Barmherzigkeit sehen und uns vor Augen halten, was es gekostet hat, uns zu vergeben, dann wird auch die Motivation, Gott zu dienen, bei uns richtig. Gäbe es eine Möglichkeit für den älteren Sohn, auch etwas von dem gemästeten Kalb zu bekommen? Gewiss, und das wäre eigentlich ganz einfach: Es würde ausreichen, sich über den Segen zu freuen, den sein Bruder empfangen hat, und hineingehen zur Festgesellschaft. Es würde bedeuten, den Widerstand gegen den Vater aufzugeben. Ehrlich anzuschauen, was in mir drin steckt an Motiven. Gnade zu wünschen statt sich auf eigenen Verdienst verlassen zu wollen. Das Unfaire an der Gnade akzeptieren, weil ich einsehe, dass ich ohne Gnade ja doch nicht leben kann. Wenn ich das sehe, verschwinden auch meine Überlegenheitsgefühle gegenüber denen, die mehr sündigen als ich (wie man manchmal meinen könnte). Und der Dienst für Gott verliert das Pflichthafte, das Sklavenmäßige, und wird meine freie Wahl. (Ich verdanke einiges an Inspiration für diese Predigt dem Pastor Krzysztof Zaręba aus Warschau, dessen Predigt im Magazin des polnischen FEG-­‐Bundes erschien, sowie dem Buch von Timothy Keller, Bedingungslos geliebt: Von zwei verlorenen Söhnen und einem liebenden Vater.)