Ein suchtfreies Leben für die ganze Familie

Ein suchtfreies Leben für die
ganze Familie
Haus Magnolia betreut Eltern und Kinder gemeinsam
auch Strom produziert. Wir bemühen
uns um Selbstversorgung.“
Das in Klosterfelde (Gemeinde Wandlitz) gelegene stationäre Angebot gehört zur Hiram
Initiative, die in Berlin und Brandenburg eine Reihe suchttherapeutischer Einrichtungen
unterhält. Alkoholkranke Eltern werden dort bei der stabilen Abstinenz und in der Neuorientierung unterstützt. Vor allem geht es dabei um die psychische und soziale Stärkung, daneben aber auch um die Auseinandersetzung mit der Elternrolle und den Erwerb von Erziehungskompetenzen. Die Einrichtung stellt den dafür nötigen geschützten
Rahmen und eine Vielzahl therapeutischer Leistungen bereit. Parallel dazu gibt es die
verschiedensten individuellen Förderangebote für die Kinder.
Der 11-jährige Winston kommt gerade
mit der Betreuerin Stephanie Custodis
von draußen zurück. Für die Zeit, in
der seine Mutter ein Therapieangebot
wahrnimmt, kümmert sie sich um ihn.
Eigentlich wollte Frau Custodis das
Haus vorstellen, aber da er nun gerade
da ist, darf er diese Aufgabe übernehmen. Winston erledigt das sehr engagiert. Wie er zeigt, gibt es drei Etagen
für Bewohnerinnen und Bewohner,
eine gemeinsame Wohnküche, ein Kaminzimmer und natürlich noch viele
weitere Räume, die gemeinsam genutzt
werden. Es gibt aber auch genügend
Gelegenheit zum Rückzug. Winston
möchte gleich alles zeigen, hat aber
Verständnis, als Stephanie Custodis
ihn auf die Privatsphäre der anderen
hinweist.
Sein eigenes Zimmer ist ziemlich groß.
Auf dem Fußboden tummelt sich, wie
bei den meisten 11-Jährigen, ein ganzer
Auflauf an Spielfiguren. Das Kind fühlt
sich hier offensichtlich zuhause: Es
ist offen und interessiert und auch ein
wenig stolz auf die Besonderheiten des
Hauses. Besonders wichtig sind ihm
die Heizkörper und das ungewöhnliche
elektronische Display auf den Thermostaten. Stephanie Custodis erklärt, warum das so ist: „Das hängt mit unserem
Heizwerk zusammen, das gleichzeitig
Selbstversorgung auch mit natürlichen
Lebensmitteln
Das betrifft auch die Nahrungsmittel:
„Obst erhalten wir im Sommer aus unserem Garten, und frische Lebensmittel
kaufen wir möglichst auf dem NeudorfHof.“ Auch dieses Landgut gehört zur
Hiram-Initiative. Es wird nach ökologischen Prinzipien bewirtschaftet, und
dort leben jede Menge Tiere: Hühner,
Ziegen, Schafe, Kühe und was da sonst
noch zu einem lebendigen Bauernhof
gehört. In den Gewächshäusern und
Beeten gibt es für die Bewohnerinnen
und Bewohner von Haus Magnolia viel
Gelegenheit zur Beschäftigung. Das
Gelände liegt zu Fuß etwa 20 Minuten
entfernt. Stephanie Custodis und Winston kommen gerade von dort, wo sie sie
Pastinaken, Kürbis und Rucola für das
Abendessen gekauft haben.
Die ganze Familie ist willkommen
Zur Zeit werden in der Einrichtung nur
Mütter betreut, es werden aber grundsätzlich auch Väter, Elternpaare und
schwangere Frauen aufgenommen.
Kinder gibt es hier im Alter von Null bis
zu 17 Jahren. Viele Eltern leiden körperlich und psychisch gravierend unter
den Folgen des Alkoholkonsums. Aber
auch die Kinder sind in der Regel nicht
unversehrt. Alle haben zumindest Verhaltensprobleme, weil sie Zuhause nie
ein verlässliches Umfeld erlebt haben.
Andere leiden durch die Alkoholzufuhr
in der Schwangerschaft zusätzlich unter starken physischen und geistigen
Einschränkungen. Viele haben bis zur
Aufnahme in Haus Magnolia in Jugendhilfe- oder in Einrichtungen der
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Behindertenhilfe gelebt. Sie benötigen
Unterstützung und Therapie, um die
seelischen Schäden und die fast immer
vorhandenen Entwicklungsbeeinträchtigungen auszugleichen. Wo nötig, kooperiert die Einrichtung deshalb im Bereich Kinder- und Jugendmedizin bzw.
-psychiatrie mit der Berliner Charité.
Ein warmes Nest für die Kinder
Es geht aber, wie Stephanie Custodis
betont, nicht nur um Förderung, sondern auch um Geborgenheit: „Es ist für
unsere Kinder nicht immer leicht, mit
anderen mitzuhalten. Sie brauchen besondere Zuwendung, viel Geduld und
vor allem Sicherheit.“
Die Kinder werden deshalb nie allein
gelassen. Sind die Eltern verhindert, ist
immer eine Betreuungsperson da, die
sich um sie kümmert. Sicherheit wird
allerdings nicht nur über soziale Kontinuiät, sondern auch über Rituale vermittelt. Wichtig sind vor allem regelmäßige Mahlzeiten zu festen Terminen
und der gemeinsame Tagesausklang:
Vor dem Schlafengehen finden sich alle
Kinder und Eltern im „Kaminzimmer“
mit einer Betreuerin zur Abendrunde
zusammen. Dann lassen sie das Erlebte
gedanklich noch einmal vorbeiziehen,
erzählen, was ihnen wichtig ist, und hören Geschichten.
Den Jahreslauf erleben
Weil Haus Magnolia nicht nur sozialtherapeutisch, sondern außerdem anthroposophisch orientiert ist, werden
darüber hinaus auch waldorfpädagogische Prinzipien umgesetzt. Wichtig
sind der Einrichtung vor allem ein gewisser Einklang mit der Natur und eine
harmonische Atmosphäre. Ein Jahreszeitentisch im Wohnraum wird regelmäßig mit Tüchern in je abgestimmten Farben, charakteristischen Pflanzen und Fundstücken aus der Umgebung dekoriert. Auch die gemeinsame
Pflege des Hausgartens lenkt die Aufmerksamkeit auf das, was sich Draußen gerade entwickelt.
Der Standort und die Gestaltung der
Einrichtung sind so geplant, dass sie einen eigenen Teil zur Therapie beitragen. Das Haus liegt zwar in einer Sack2
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gasse am Waldrand, isoliert ist es aber
deshalb nicht: Alle Kinder besuchen Kitas und Schulen in der Umgebung. Es
gibt fußläufig zu erreichende Supermärkte, es werden regelmäßig Kontakte zu den Bewohnerinnen und Bewohnern des Dorfes gepflegt, und es
gibt Kooperationen mit den unterschiedlichsten Vor-Ort-Initiativen. Das
erweitert den Horizont.
Offen für Alternativen
Wichtiges Betreuungsziel für die Kinder ist der Aufbau eines langfristigen
Vertrauens in soziale und familiäre
Bindungen. Das geht manchmal auch
über die rein professionellen Beziehungen hinaus. Momentan zum Beispiel leben zwei Teenager allein im
Haus, nachdem ihre Eltern in Einrichtungen mit Pflegeanageboten umgezogen sind. „Es hat keinen Sinn“, sagt Stephanie Custodis, „sie für die kurze Zeit
bis zur Volljährigkeit in Heime oder
Pflegefamilien umziehen zu lassen.“
Durch dieses undogmatische Vorgehen bleibt ihnen das gewohnte Umfeld
noch bis zur Selbstständigkeit erhalten.
Rahmenbedingungen für die Abstinenz
Die Genesung der Eltern wird mit regelmäßigen Beschäftigungs-, Therapie- und Gruppenangeboten unterstützt. Abstinenz muss schwer erkämpft werden, und das bindet alle psychischen Kräfte. Deshalb stehen den
Eltern immer zuverlässige individuelle
Bezugsbetreuerinnen und -betreuer
zur Seite, mit denen sie über Probleme,
Pläne oder drohende Rückfälle sprechen können. Die sind allerdings selten: „Unsere Rahmenbedingungen
verhindern das,“ stellt Stephanie Custodis fest. „Eher wird die Sucht auf andere
Bereiche verlagert. Dann werden zum
Beispiel Ess- oder psychosomatische
Störungen entwickelt.“ Aber auch in
solchen Fällen gibt es Hilfen. Alle Kolleginnen und Kollegen im Betreuungsbereich haben nicht nur studiert, sondern verfügen zusätzlich über Qualifikationen in der Sucht- und/oder der Familientherapie. Sie kennen die Probleme und erarbeiten gemeinsam mit
den Bewohnerinnen und Bewohnern
Lösungsstrategien.
Pläne und Selbtreflexion sind
unverzichtbar
Neben der individuellen Genesung
geht es für die Eltern vor allem darum,
wieder Verantwortung für ihre Kinder
und Erziehungskompetenz einzuüben.
Struktur im Alltag und Vorausschau
sind dafür unabdingbar. Alle Eltern haben individuelle Wochenpläne, um immer Orientierung über das zu haben,
was aktuell anliegt. „Diese Pläne sind
auch für die Kinder wichtig“, erklärt
Stephanie Custodis:„Die Eltern verstehen oft nicht, dass man Regelmäßigkeit
braucht und bestimmte Termine vorbereitet werden müssen. Wenn es zum
Beispiel dienstags zum Fußball geht,
müssen die Kinder auch ausgestattet
sein. So etwas wird oft vergessen.“
Der Weg zur Elternkompetenz ist ein
oft anstrengender Trainingsprozess,
der neben äußerer Struktur auch einen
neuen Umgang mit der eigenen Person
voraussetzt. Besondes die Mütter haben
ihre eigenen Bedürfnisse oft verdrängt.
Denn das Bewusstsein, durch den Alkohol in der Schwangerschaft für die
Behinderung ihres Kindes verantwortlich zu sein, kann erhebliche Schuldgefühle auslösen. „Das versuchen sie auszugleichen, indem sie ihren Kindern
alle Wünsche erfüllen. Sie brauchen
aber auch Zeit für sich, und die Kinder
brauchen Grenzen und ab und zu mehr
Distanz“, betont Frau Custodis. Das ist
mitunter schwer zu vermitteln und verursacht so manchen Erziehungskonflikt. Für die Eltern braucht es in der
Einrichtung deshalb viel Mut: „Es ist
anstrengend“, sagt Stefanie Custodis,
„sich hier ständig beobachten und auf
Alkohol kontrollieren zu lassen oder all
die Absprachen einzuhalten.“ Die Eltern wissen aber auch, dass sie Glück
haben, wenn sie hier nach manchmal
langer Odyssee unterkommen. Denn es
gibt nicht viele suchttherapeutische
Eltern-Kind-Einrichtungen.
kontakt
Hiram Haus Magnolia
Mühlenstr. 10 - 16348 Wandlitz
Tel.: 033396 - 87 93 36
www.hiram-haus.de
Der Seele freien Lauf lassen
Im „Gertrud Feiertag Haus“ erfahren Mütter und Kinder Stabilität
Wenn das Jugendamt Kinder aus Familien herausnimmt, liegt es meist daran, dass ihre Mütter mit der Erziehung überfordert sind.
Oft trifft es junge Frauen mit sozialen oder psychischen Problemen, viele davon haben Gewalt- oder Drogenerfahrungen. Sind die
Kinder erst im Heim, gibt es für die Mütter keine weiteren Hilfen.
Es steht ihnen zwar frei, sich auf dem
Markt der psychosozialen und medizinischen Dienstleistungen nach therapeutischen Angeboten umzusehen,
viele schaffen das aber aufgrund ihrer
psychischen Situation nicht. So mag
zwar das Kind während seines stationären Aufenthaltes eine gewisse Stärkung erfahren haben, es muss dann
aber unter Umständen in dasselbe
instabile heimische Umfeld zurückkehren. Die Trennung von Mutter und
Kind ist insbesondere in psychisch belasteten Familien also nicht immer dauerhaft zielführend.
Den Verlust versuchen viele Mütter
zu kompensieren, indem sie im Anschluss an eine Fremdunterbringung
gleich wieder schwanger werden. Immer in dem Bemühen, das Verlorene
zu ersetzen, bekommen sie auf diese
Weise fünf oder sechs Kinder, die alle
im Heim oder bei Pflegefamilien leben.
Dominik Leicht, stellevertretender Geschäftsführer der SHBB - Soziale Hilfen in Berlin/Brandenburg erklärt, diesen unerfüllbaren Wunsch nach Familie damit, dass den betroffenen Frauen
durch die Fremdunterbringung die
Chance verwehrt wird, den Alltag mit
den Kindern real zu erleben. „Für sie
wäre die Erfahrung wichtig, als verantwortliche Erziehungsperson zur Verfügung zu stehen. Dann begegnen sie
weiteren möglichen Schwangerschaften vielleicht realistischer und wägen
womöglich eher ab.“
Die Mutter-Kind-Wohngruppe des Jugendhilfezentrums „Gertrud Feiertag“
ist eine der wenigen Einrichtungen, die
dazu Gelegenheit bieten. Bis zu zwei
Jahren können belastete Mütter dort gemeinsam mit ihren Kindern leben. In
dieser Zeit erhalten sie nicht nur Hilfen
zur Bewältigung ihrer individuellen
Probleme und zur Gestaltung ihres Alltags, sondern auch Unterstützung in
Erziehungsfragen.
Dieses Angebot ist über die ambulante
Familienhilfe hinaus eines der wenigen, die sich gleichzeitig an Eltern
und Kinder richten. Rechtsgrundlage
ist § 19 SGB VIII. Er ermöglicht die ge-
psychisch und emotional stark belastet
und die Kinder in ihrer Entwicklung zumindest auffällig. Die Ursachen liegen
in der Regel bereits in den Herkunftsfamilien. „Viele der jungen Frauen“, erklärt Nina Hanisch, Pädagogische Leiterin der Einrichtung „haben in ihrer
eigenen Kindheit wenig Zuwendung
oder Stabilität erfahren. Sie mussten
Für den Aufbau von Grundvertrauen unverzichtbar: Mütter lernen, wie sie schon mit
ihren Babys spielen können. (Foto: PEKIP e.V.)
meinsame stationäre Betreuung von
Familien, sofern mindestens eines der
Kinder unter sechs Jahren ist und die
Eltern aufgrund ihrer „Persönlichkeitsentwicklung“, wie es im Gesetz heißt,
auf Assistenz angewiesen sind.
Obwohl das Alter der Mutter keine
Rolle spielt, leben in der Mutter-KindEinrichtung „Gertrud Feiertag“ momentan fast ausschließlich sehr junge,
sogar minderjährige Mütter. Alle sind
aber schon früh lernen, sich in ihrem
Ausdruck - mimisch, gestisch oder
verbal - zu beschränken und ihre Empfindungen zu unterdrücken - so stark,
dass sie sie schließlich selbst nicht
mehr wahrnehmen konnten.“ Entsprechend können die jungen Frauen dann
auch nicht erkennen, warum ihr Kind
lächelt oder den Mund verzieht. Sie
verstehen ihre Mutterschaft vor allem
als Versorgung: Es wird streng nach
der Uhr gefüttert und gewindelt, aber
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es wird nicht gespielt oder gealbert.
Und wenn das Kinderweinen keinen
offensichtlichen Grund hat, wird es
auch schon einmal ignoriert. „Für die
Kinder hat das fatale Folgen“, sagt Nina
Hanisch: „Manche sind wenn sie zu
uns kommen seelisch so verwahrlost,
dass sie sich nicht einmal mehr melden, wenn sie Hunger haben.“ Es wird
hart daran gearbeitet, den Müttern und
ihren Kindern zu helfen. Dafür wird
eng mit Fachkräften aus dem psycho-,
logo- und ergotherapeutischen Bereich
kooperiert. Für die Kinder ist der Kontakt zur Natur, Tieren und zur Musik
wichtig. „Es ist gut für ihre Entwicklung“, so Dominik Leicht, „dass sie sich
spüren und der Seele freien Lauf lassen
können.“
Die Mütter profitieren vor allem vom
stabilen Umfeld: Die Wohngruppe ist
oft die erste Instanz, in der sie Zuwendung, eine sichere Umgebung und verlässliche Beziehungen erleben können:
„Das Konzept ist familiär“, so Nina Hanisch. „Die Betreuerinnen sind immer
auch ein wenig ‚Mutti‘. Dabei können
die meist sehr jungen Frauen grundlegende Erfahrungen nachholen und
ein wenig nachreifen.“ Und das ist der
für die Erziehungskompetenz eigentlich wichtigste persönliche Fortschritt.
Denn schließlich können die Mütter
erst dann auf die Bedürfnisse ihrer
Kinder eingehen, wenn sie sie wirklich
wahrnehmen. Voraussetzung ist, dass
sie auch die eigenen Gefühle zulassen.
Die jungen Frauen haben in der Regel
aber nicht nur emotionale Probleme.
Überproportional häufig kommen sie
aus sogenannten Sozialhilfedynastien
- Familien also, die mittlerweile über
Generationen sehr bescheiden vom Sozialtransfer leben und kaum Zugang zu
den bürgerlichen Bildungsangeboten
haben. Über die Entwicklung von Kindern und das, was sie in welchem Alter
körperlich oder kognitiv leisten können, wissen sie oft wenig. „Da wird“,
erklärt Nina Hanisch, „von einem neun
Monate alten Jungen schon einmal erwartet, dass er Brot genauso isst wie
der Einjährige der Mitbewohnerin.
Wenn er das dann nicht tut, denken
unsere Mütter oft, ihr Kind wolle sie
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ärgern. Entsprechend reagieren sie
dann auch. Man muss ihnen schlicht
erklären, dass es sowohl für das Ärgern
als auch für das Brotessen noch viel zu
klein ist.“ Das kontinuierliche Vorbild
der Betreuerinnen und der regelmäßige Austausch in der Gruppe tragen ein
Übriges dazu bei.
Dass das Wohngruppenkonzept aus
Gemeinschaft, Betreuung, Alltagshilfe, Gruppengesprächen und Therapie
Erfolg hat, zeigt die von Dominik Leicht
geschilderte Entwicklung der damals
22-jährigen Vanessa: „Vanessa war zwei
Jahre hier. Als sie ankam, hatte sie ihre
emotionale Versteinerung schon so auf
ihr einjähriges Kind übertragen, dass
es brettsteif und mäuschenstill im Kinderwagen lag. Das war mehr als irritierend. Jetzt ist sie offen und lebendig.
Das hat sie hier gelernt.“ Auch ihr Sohn
tollt heute herum wie jeder Sechsjährige.
kontakt
SHBB Soziale Hilfen
in Berlin-Brandenburg
Potsdamer Str. 1 - 3
14548 Schwielowsee
Tel.: 033209 - 22 86 10
www.shbb-potsdam.de
Zu wenig ambulante Angebote
Zweifel am speziellen Bedarf
Für Kinder mit chronisch kranken Familienangehörigen erleben wenig Fürsorge
und müssen viel leisten. Sie übernehmen
Pflegeaufgaben, versorgen den Haushalt
und kümmern sich um kleinere Geschwister. Folgen sind Überforderung, soziale
Isolation und schlechtere Bildungschancen. Vor allem die Fähigkeit zur Selbstfürsorge leidet. Noch größer sind die Belastungen, wenn die Eltern an einer Sucht
erkrankt sind. Die Kinder erhalten von
Geburt an kaum Aufmerksamkeit. Die elterliche Stimmung kann sich, je abhängig
vom aktuellen Stoffkonsum, ganz plötzlich verändern. Je nachdem verhalten
sie sich großzügig und zugewandt oder
desinteressiert, in extremen Fällen sogar
gewalttätig.
Kinder können diesen Zusammenhang
nicht durchschauen und reagieren darauf
mit starker innerer Verunsicherung. Oft
suchen sie die Ursachen in ihrem eigenen
Verhalten. Weil die Sucht den Alltag der
Eltern bestimmt, bleiben viele Familienund Haushaltsaufgaben unerledigt. Das
Verständnis des Erziehungspersonals
in Kita und Schule gerät allerdings bald
an seine Grenzen, wenn Kinder immer
ungepflegt aussehen oder wiederholt
Pausenbrote, Turnsachen und andere
Utensilien nicht dabei haben. Diese Verhältnisse müssen wegen der beständigen
Gefahr, dass die Kinder bei Bekanntwerden fremdplatziert werden, nach Außen
geheimgehalten werden. Deshalb kann
auch mit Außenstehenden nicht darüber
geredet werden. Folge sind Schamgefühle, Isolation und ein grundlegender
Mangel an Vertrauen in soziale Beziehungen. Diese Erfahrungen prägen das
gesamte Leben. Etwa 30 Prozent der
Kinder aus suchtbelasteten Familien werden als Erwachsene selbst abhängig. Ein
weiteres Drittel läuft Gefahr, psychisch
zu erkranken. Vieles davon gilt auch für
Kinder mit psychisch erkrankten Elternteilen. Ihr Risiko, selbst zu erkranken, ist
um ein Vierfaches erhöht.
Nicht immer sind die Verhältnisse so,
dass die Familie gleich getrennt werden
muss. Es gibt mittlerweile viele Konzepte
zur ambulanten Unterstützung der betroffenen Kinder. Dort können sie über
ihre Probleme reden, sich in Gruppen mit
anderen austauschen oder ganz einfach
Kind sein.
Der spezifische Bedarf wird von den Behörden allerdings vielerorts bezweifelt.
Damit wird auch die Förderung über
Drittmittel oft ausgeschlossen, denn
viele Stiftungen machen ihre Zuschüsse
von positiven Stellungnahmen der zuständigen Ämter abhängig.