KUNST Ich b ln wlr o o Heather Cassils'Arbeit ist die Performance mit dem e¡genen Körper und der ldentität. Das geht an Grenzen, st¡ftet Verwirrung und kritisiert radikal Politik und Gesellschaft \':t {' \t¡¡ j\ t ñ_ Wer in Berlin lebt, hat das Bild in den letzten Wochen überall im öffentlichen Straßenraum gesehen: Weiß wie Schnee der Hintergrund, rot wie Blut die Lippen, hart wie Ebenholz der durchtrainierte Körper. Das Motiv ist ein Teil aus dem Werk ,,Cuts: A Traditional Sculpture" von Heather Cassils. Das Plakat wirbt für die Ausstellung,,Homosexualität-en", die noch bis zum 1. Dezember 2015 im Schwulen Museum*- und dem Deutschen Historischen Museum zu sehen ist. Das Bild von und mit Heather Cassils hat eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann. Doch wer ist die Person mit den hellen, fast durchsichtigen Augen und dem weichen, fransigen Haar wirklich? Gibt es da jemanden, der oder die sich hinter dem Bild versteckt? Oder ist Cassils die Person, die wir sehen? L-MAG traf Heather Cassils in Berlin vor einem Aufrritt im Schvwrlen Museumo. Heather Cassils bezeichnet sich selbst als ein Wesen mit fließenden Geschlechtergrenzen, h4 .: -'t :4 /, .:1 ,ê 'á € nicht Mann oder Frau, sondern beides zugleich, und bittet daher, von sich als einem Duo zu sprechen, einem Doppelwesen in einer Person, einem zweibeinigen Wir. Die kanadischen Künstlerlnnenl leben in Los Angeles und haben noch mit einem Jet-Lag zu kämpfen, trotzdem blinzeln sie hocherfreut in die noch immer wärmende Oktobersonne, die fast senkrecht auf die Fassade des ìtr rl Ê ¡ lI a Informationsmaterial ausgesetzt ist, und zeitgleich stießen sie in diesem und später auch in anderen fuchiven ständig an die ,,Gläserne Decke" (die scheinbar unüberwindbare, unsichtbare Grenze auf der Karriereleiter). Das vermaledeite Auswahlverfahren, das auch im LGBT-Kontext exislierte: Überall wurden vorzugsweise Informationen über Männer gesammelt, Frauen und Trans- Gegen die UnterrePräsentation identische aber kamen zu kurz oder gar nicht erst vor. Heather: ,,Da hat sich eigentlich nicht viel geändert, das war in den 1970ern so, und auch heute noch werden total viele Menschen, Dinge und Fakten einfach unterrepräsentiert." Dann bekamen Heather den Auftrag, sich aus Archivmaterial Personen auszuwählen, um die Gegenwart mit Gedankengut aus fernen Tagen zu befruchten. Cassils wählten eine Arbeit von Lynda Benglis aus dem Jahr 1974 Mit Anfang zwanzig jobten Cassils als und eine weitere von Eleanor Antin von Praktikantlnnen für Martha Williams in New 1972, und aus der Beschäftigung mit diesem Material entstand schließlich eine Hommage. Hebbel-Theaters fällt. ,,lch kann jetzt wirklich einen Kaffee gebrauchen", sagen Heather, nippen an der dickwandigen Tasse und schauen dann mit einem umwerfenden Grinsen hoch. ,,Wi¡klich gut der Kaffee hier!" Damit ist das Eis gebrochen. Heather Cassils sind medienversiert und zuvorkommend, doch was sie sagen, ist sehr persönlich' York und digitalisierten Videomaterial, um es online zu stellen. Diese Tätigkeit machte ihnen bewusst, welcher Vergänglichkeit Für Heather ist klar: ,,Das was wir wahrnehmen, wiederfinden, das sind Schlaglichter, t r 4, ,,Cuts: A Traditional Sculpture" Die Arbeit basiert auf einer sechs Monate dauernden Performance, in der durch Bodybuilding und Ernährung ein faszinierender körperlicher und identitätsstiftender Wandel stattfand. Das Werk besteht unter anderem aus dem Magazin,,Lady Face Man Body" (201 1) und dem Hochglanzplakat,,Homage to Benglis" aufblitzende Informationen, Momente." Heather interessieren sich für Dinge, die nicht ausreichend repräsentiert werden, die in der Geschichtsschreibung hintenüberfallen, und sie müssen viel trainieren, um ein Werkwie,,Becoming an Image" zu performen. Bei dieser Arbeit bearbeiteten sie einen 900 Brisanz aber in keiner Weise eingebüßt haben. Fragen, die es wert sind, erneut gestellt zu werden und wieder in den Fokus zu rücken. ,,Heutzutage ist man nicht mehr oft mit echten Dingen konfrontiert," beschreiben Kilo Tonblock mit ganzen Körpereinsatz. Genau das ist es, was sie letztendlich lieben: Das Work-out, die Herausforderung und das An-die-Grenzen- gehen. ,,Ich möchte einen Dialog provozieren und verstanden werden" Wo sind die echten Dinge heutzutage? Cassils Arbeiten stoßen an, sie provozieren, setzen Denkprozesse in Gang. ,,Um gute Arbeit abzuliefern muss man hart arbeiten, nicht bequem sein, sondern kritisch", wissen Heather, ,,Ich möchte einen Dialog provozieren und verstanden werden." Heather Cassils versuchen Bilder zu produzieren, zu denen Menschen auf ganz unterschiedliche Weise Z,tgang finden: Intellektuell, geisrig oder emotional und ganz sponran. Sie greifen Fragen auf, die bereits gestellt wurden, ihre L.MAG Heather ihre Wahrnehmung, ,,Alles ist Simulation, Film, Animation. Man verliert komplett den Bezug zum Echten, aber Konflikte wie derVietnarn-IGieg sind voll von tatsächlichen Grausamkeiten. " Heather beziehen sich mit ihrer neusten fubeit auf ein Werk des bekannten Dokumentarfilmers Harun Farocki. Farocki drückt in seiner Videoarbeit langsam eine Zigarette auf seiner Haut aus, um seinem Publikum damit nahe zu bringen, was eine Verbrennung bedeutet. Er begeht eine Grausamkeit, um eine noch schlimmere anzuprangern, um darauf hinzuweisen, wie grauenhaft es sein muss, von Napalmflammen gefressen zu werden. Im November stehen Cassils in London auf der Bühne und simulieren das Brennen einer Person. Sie schreiben Farockis Werk in einem anderen Medium weiter. Zum Greifen nah und dazu in Slow Motion wird das Publikum mit dem Grauen konfrontiert. Und während das Publikum Schritt für Schritt eintaucht, vergisst es, dass es eine Simulation sieht, es gerät in den Strudel des tatsächlich Furchtbaren, des Wahnsinns von Krieg und Gewalt. In Heathers Worten: ,,Man kann das Grauen eigentlich nicht verstehen. Aber meine Kunst versucht dazuzl bewegen, diese Gedanken zuzulassen." // LenaBraun www.heathercassils.com I Aufgrund der doppelten Geschlechtsidentität von Heather Cassils werden an dieser Stelle das große I und der Plural verwendet, um die duale Identität von weiblich und männlich zu verdeutlichen. 65
© Copyright 2024 ExpyDoc