Kleiner Hirsch auf Abwegen

Sikawild, Teil 2
Kleiner Hirsch
auf Abwegen
Nahezu unbemerkt ist in Westböhmen und
der Oberpfalz die größte zusammenhängende
Sikapopulation Mitteleuropas entstanden. Seit 1997
werden in der Grenzregion Tiere mit Kälbern sowie
Brunftbetrieb beobachtet – ein eindeutiger Hinweis auf
eine Bestandsetablierung. Die Befürchtung, dass die
Sikas jetzt unser Rotwild genetisch „verunreinigen“
besteht dennoch nicht. Dagegen nämlich sprechen
viele Faktoren, wie Dr. Hans Weigl im zweiten Teil seiner
Ausführungen erläutert.
Fotos: R. Bernhardt
Sikas sind Waldtiere. Sie zeigen eine aber auch, dass Hegeziele, die auf dieser
besondere Vorliebe für saure Standorte Einteilung aufbauen und so genannte
und die daran angepassten Pflanzenge- Aufartungsmaßnahmen aus heutiger
sellschaften. Deshalb besiedeln sie be- Sicht jeder Grundlage entbehren.
vorzugt Areale, die für andere Hirscharten kaum in Frage kommen. In weiten Nach den neuesten Untersuchungen
Gebieten der Oberpfalz schreitet die geht man davon aus, dass KreuzungsBodenversauerung fort, das heißt, es ist tiere der ersten Generation – die so gedavon auszugehen, dass sich die Sika nannten F1-Tiere – wenig robust sind.
weiter nach Westen bis zum Fränkischen Jedenfalls konnten die Wissenschaftler
bei Untersuchungen in Schottland und
Jura ausbreiten.
Ein Eindringling, also eine invasive Art, Irland keine F1-Tiere dokumentieren. Zudie eine ursprünglich vorhandene Art sätzlich findet eine Negativselektion geaus ihrem angestammten Lebensraum gen eingetragene Fremdgene statt. Nach
verdrängt, sind die Sika aber nicht. Es nur drei Generationen Rückkreuzung
gibt auch keine Äsungskonkurrenz zu sind ungefähr 60 Prozent der FremdgeRot- Dam- oder Rehwild. Sikas leben von ne verschwunden, nach zehn Generationen sind 80 Prozent
trockenen Blättern,
der Fremdgene weg.
etwa von Ahorn und Die Gefahr, dass es
Außerdem paart sich
Eiche und von Sauer- mit der Zeit nur
gräsern.
Kreuzungshirsche gibt, Rotwild in den gemeinsam besiedelten
Regionen bevorzugt
Auch wenn Sikas und besteht nicht
untereinander und
Rotwild unbegrenzt
fruchtbare Hybriden zeugen können, auch Sikas bleiben lieber unter sich. Die
sind sie nicht besonders eng verwandt. Kreuzungsrate zwischen den beiden ArWesentlich größer ist die entwicklungs- ten ist extrem niedrig. Nur bei jeder taugeschichtliche und genetische Überein- sendsten Paarung ist eine Kreuzung zu
stimmung der Sikas mit den Wapitis. erwarten.
Diese spektakuläre Entdeckung hat das
traditionelle Verständnis von Hirschen Das heißt, die Gefahr, dass es mit der
und ihrer Herkunft revolutioniert. Die Zeit nur noch Kreuzungshirsche gibt,
Einteilung in vermeintlich primitive Sika besteht nicht. Wenn einmal artfremde
und hochentwickelte Rothirsche und Kreuzungen zwischen Rotwild und Sika
Wapiti sind nicht mehr haltbar. Das heißt vorkommen, hat das verschiedene Ursa-
Sikas bleiben lieber unter sich. Die Kreuzungsrate mit Rotwild ist also extrem niedrig.
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Moor- und Sumpflandschaften sind der typische Lebensraum für Sika. Eindringlinge, die eine
ursprünglich angestammte Art aus ihrem Lebensraum verdrängen, sind Sikas nicht.
chen: Der Bestand muss genetisch völlig
verarmt sein oder er ist auf Grund der
Jagdausübung
zusammengebrochen
und die Natur versucht, sich zu regenerieren.
raus. Von 13 als Rothirsche erlegten Tiere erwiesen sich zwölf als Kreuzungstiere und einer als reiner Sika.
Eine soziale Verelendung etwa durch die
Gehegehaltung in Kombination mit der
Das sollte man auch bei der Forderung genetischen Verarmung provoziert die
nach einem gezielten Abschuss von Kreuzung zwischen Rot- und Sikawild.
Kreuzungstieren bedenken. Denn be- Parallelen dazu liefern die künstlich abreits in der zweiten Generation sind gegrenzten Rotwildgebiete in NordbayKreuzungstiere nicht mehr sicher zu ern und das bewusste Unterbinden von
Wanderungsbeweidentifizieren.
In
gungen. Für die künfeiner Studie aus Ir- Eine
soziale
Verelendung
tige Entwicklung und
land wurden 198
erlegte Hirsche von provoziert die Kreuzung das Überleben von
stabilen RotwildbeJägern bewertet. Anschließend wurde die Einschätzung ständen ist die Vernetzung durch Korrider Jäger mit dem tatsächlichen gene- dore und die Verbindung der Lebensräutischen Befund verglichen: 21 Prozent me entscheidend. Das Auftauchen von
der Tiere wurden falsch angespro- Sikas ist deshalb kein Phänomen, das
chen. 25 vermeintliche Sikas waren isoliert zu bewerten ist. Nur mit einem
Kreuzungstiere, vier angebliche Hyb- zeitgemäßen Rotwildmanagement wird
riden stellten sich als reine Sikas he- man der Entwicklung gerecht.
Wenn Sie mehr über das Sikawild erfahren wollen: Dr. Hans Weigl hält im
Rahmen der Landesjagdschule einen Vortrag zum Thema „Sikawild – Einwanderungen aus dem Osten nach Nordbayern – genetische Vermischung“ .
Termin: 9. Oktober, 19 Uhr, Ort: Schlossschänke, 95688 Friedenfels
Anmeldung: Landesjagdschule, Elfriede Würz, Tel.: 089/990234-33,
E-Mail: [email protected]
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Dr. Hans Weigl
ist Tierarzt, hat Forstwissenschaft
und Tiermedizin in München und
in Amerika studiert und in Regensburg promoviert, er absolvierte
ein zusätzliches Aufbaustudium im
Bereich der Tropenveterinärmedizin an der FU Berlin und war in
Afghanistan, im Mekong-Gebiet,
in Ost- und Zentralafrika, SaudiArabien und Südamerika.
Seine Interessensgebiete sind
Zoogeographie, Neozoen, Wanderungsbewegungen von Tieren sowie die Rekonstruktion ursprünglicher Verbreitungsareale.
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