Arbeitslos – und jetzt? Ein Leitfaden

Nummer 01 _ Januar 2016
Bremer
Arbeitnehmer
Magazin
Informationen für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Bremen und Bremerhaven
Daniel Sprengel
Croupier bei der Spielbank Bremen
Seite
4
Warum Frauen immer
noch weniger verdienen
Seite
14
Arbeitslos – und jetzt?
Ein Leitfaden
Inhalt
02 // Inhalt
Themen
Schwerpunkt: Gehälter in Deutschland
: Warum Frauen immer noch
weniger verdienen
: Frauen im Einzelhandel
: Arbeitnehmerinnen erzählen
04 – 08 //
Politik
12 – 13 //
: Berufsbegleitendes Studieren –
›Ohne Rückendeckung der Familie nicht
zu schaffen‹
: Arbeitslos – und jetzt?
14 – 15 //
Aus der Arbeitnehmerkammer
10 – 11 //
: Abmahnungen nicht auf die leichte
Schulter nehmen
wisoak
08 – 09 //
: Bildungsurlaub in der modernisierten
Bildungsstätte Bad Zwischenahn
Service
92 / G a l e r i e d e r A r b e i t s w e l t
Daniel Sprengel, 26 Jahre, arbeitet als Croupier bei der Spielbank
Bremen. Ein Croupier sorgt für den regelgerechten Ablauf eines Spiels.
Nach dem Abitur studierte Sprengel ›Integrated Safety and Security
Gesundheit
16
//
: Von den Profis lernen – Tipps für Pflegende
Management‹, 2009 fing er als studentische Aushilfe bei der Spielbank
an. ›Im Grunde habe ich mir mit dieser Arbeit mein Studium finanziert,
die Arbeitszeiten kollidierten nicht mit den Vorlesungszeiten‹, sagt Sprengel, der gerade seine Masterarbeit abgegeben hat. Mittlerweile arbeitet
Medientipps und Reihe ›Rechtsirrtümer‹
17
//
: ›Reduzierte Ware kann ich nicht umtauschen‹
Sprengel in Vollzeit als Croupier.
Die Ausbildung zum Croupier beginnt mit einer vierwöchigen Pokerausbildung. ›Poker ist sehr interessant, erfordert aber auch vom Croupier
Aus der Beratung
18
//
: Außergewöhnliche Belastungen in der
Steuererklärung
ein gewisses Spielverständnis. Es bleibt ein Glücksspiel, ist aber auch
ein Sport‹, sagt Daniel Sprengel. Mittlerweile bildet er in diesem Bereich
auch aus. Drei Wochen Blackjack und zehn bis zwölf Wochen American
Roulette gehören auch zur Ausbildung sowie eine Sozialkonzeptschulung.
Alles, was Recht ist
Hier geht es um Spieler- und Jugendschutz.
19
//
Fingerspitzengefühl mitbringen. Die Fähigkeit zum Multitasking muss
20
//
unbedingt vorhanden sein, der Croupier braucht drei Hände, drei Augen
Impressum
: Streitpunkt: Schimmelpilzbefall in Mietwohnung
: Abzugsfähigkeit von Handwerkerleistungen
: Die Steuer-ID: Eine Nummer für das ganze Leben
›Die Arbeit gefällt mir gut, ich möchte gerne noch einige Zeit in
diesem Beruf arbeiten‹, so Sprengel. Aufstiegsmöglichkeiten bieten sich
zum Tisch- und zum Saalchef. ›Der Umgang mit den Gästen macht mir
sehr viel Spaß, man muss aber ein gutes Serviceverhalten und ein gutes
Veranstaltungen
und drei Ohren. Ein wenig Psychologie spielt in diesem Beruf auch immer
eine Rolle, besonders, wenn ein Gast mal einen nicht so guten Tag hat.‹
Die Spielbank in Bremen sucht immer Nachwuchs, auch aktuell. Jeder,
der den Ausbildungskurs besteht, bekommt auch einen Job angeboten,
allerdings wird während der Kurse auch aussortiert. Voraussetzungen
sind ein einwandfreies Führungszeugnis, eine rasche Auffassungsgabe
und ein gutes Zahlenverständnis. ›Und man muss schon wissen, ob man
geeignet ist für die Nachtarbeit, ebenso die Feiertagsarbeit. Wir arbeiten,
wenn andere Spaß haben und wir haben Spaß bei der Arbeit‹, sagt
Daniel Sprengel.
Herausgeber_ Arbeitnehmerkammer Bremen
Bürgerstraße 1 / 28 195 Bremen /
Telefon 04 21· 363 01- 0 / Fax 04 21·363 01- 89
Internet_ www.arbeitnehmerkammer.de
E-Mail_ [email protected]
Autoren/Autorinnen_ Janet Binder (bin) / Carola Bury
Marion Dobner / Heike Dunker /
Hartmut Götten / Meike Lorenzen (lor) /
Hanna Mollenhauer (mol) / Hella Weise
Redaktion_ Nathalie Sander (san) (V.i.S.d.P.)
Hanna Mollenhauer (mol)
Lektorat_ Martina Kedenburg
Fotos_ Kay Michalak (Titel) / Kay Michalak /
iStockphoto.com / Kampagne Dein Rücken
Layout_ Designbüro Möhlenkamp & Schuldt
Druck_ Müller Ditzen AG, Bremerhaven
Erscheint zu Beginn und in der Mitte eines Quartals.
Einzelverkaufspreis 2 Euro, Jahresabonnement 15 Euro,
für Kammerzugehörige im Mitgliedsbeitrag enthalten.
ISSN 1614-5747, Postvertriebs-Nummer H 43672
Editorial // 03
Editorial
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in typischen Frauenberufen verdienen Vollzeitkräfte weitaus weniger als Männer in der Industrie. Im vergangenen Jahr haben wir
uns sehr stark mit den sozialen Dienstleistungen mit ihren mehr
als 40.000 Beschäftigten in Bremen – überwiegend Frauen –
auseinandergesetzt. Diese personenbezogenen Dienstleistungen
sind für unsere Gesellschaft unverzichtbar. Die Arbeit mit unterstützungsbedürftigen Menschen ist aber oft schlecht bezahlt
und verlangt viel von den Beschäftigten: psychische und körperliche Belastbarkeit, Flexibilität und beständige Bereitschaft, sich
einzusetzen. Es ist notwendig, dass die Arbeitsbedingungen
verbessert werden und die geleistete Arbeit, auch durch höhere
Löhne, anerkannt wird.
Vor diesem Hintergrund gab es am Ende des Jahres
2015 eine unerfreuliche Nachricht, denn der Tarifvertrag für Auszubildende in der Altenpflege im Land
Bremen ist nicht für allgemeinverbindlich erklärt
worden. Damit ist ein erster Schritt in Richtung eines
einheitlichen Tarifs in der deutschen Altenpflege
gescheitert. So wird der harte Wettbewerb unter
den Pflegeanbietern weiter auf dem Rücken der
Auszubildenden und der Beschäftigten ausgetragen
und nicht über die Qualität entschieden!
Vorreiter sollte der seit August 2015 geltende erste
Tarifvertrag für Altenpflege-Azubis in Bremen und
Niedersachsen sein, den ver.di mit den Arbeitgebern
der freien Wohlfahrtspflege ausgehandelt hat. In Bremen gilt er für die Auszubildenden der ›Tarifgemeinschaft Pflege Bremen‹, der 15 Pflegeanbieter aus Bremen und Bremerhaven angehören. Vereinbart wurden
einheitliche und rund 20 Prozent höhere Vergütungen,
verbindliche Arbeitszeiten und eine neue Urlaubsregelung. Die Ablehnung der Allgemeinverbindlichkeit hat
keine negativen Auswirkungen für diese 234 Auszubildenden. Eine Zustimmung hätte aber auch alle weiteren Arbeitgeber in der ambulanten und stationären
Altenpflege in Bremen an den Tarifvertrag gebunden.
Dabei brauchen wir in Zukunft mehr Beschäftigte in
der Alten- und Krankenpflege und deshalb auch mehr
Auszubildende. Und um die zu bekommen, konkurriert
die Pflegebranche mit den Krankenhäusern, dem
Handel oder dem Handwerk. Will man junge Menschen
für die Pflege gewinnen, müssen die Bedingungen
gut sein.
Ihr Peter Kruse
Präsident der
Arbeitnehmerkammer
Bremen
04 // Schwerpunkt: Warum Frauen immer noch weniger verdienen
Gehälter in Deutschland
Warum Frauen immer noch
weniger verdienen
Dass Männer in der Bundesrepublik besser bezahlt werden
als Frauen, ist nicht neu. Doch woran liegt es, dass sich
an der finanziellen Schlechterstellung von Frauen nichts
ändert? Über die Probleme eines scheinbar festgefahrenen
Systems.
Jennifer Lawrence hat Klartext geredet. Durch ein Internet-Leck
bei der Produktionsfirma Sony Pictures erfuhr die US-Schauspielerin, dass ihre männlichen Co-Stars im Blockbuster ›American
Hustle‹ deutlich mehr verdient hatten als sie selbst. Sie habe
in den Gehaltsverhandlungen nicht als ›schwierig‹ gelten wollen,
schrieb sie in einem öffentlichen Statement. Damit sei künftig
Schluss. ›Ich glaube nicht, dass ein Mann darüber grübelt,
welchen Standpunkt er wählen sollte, um gehört zu werden.
Er wird einfach gehört‹, so Lawrence.
So weit weg die Gehälter der Hollywood-Stars von Bremen
sind, wenn es um die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen
geht, haben viele Hanseatinnen etwas mit der Schauspielerin
gemein: Sie verdienen trotz gleicher Ausbildung und Tätigkeit oft
deutlich weniger als ihre Kollegen. Die Zahlen sind konstant,
seit 2006 hat sich das Gehaltsgefälle kaum verändert. Unter den
abhängig Beschäftigten haben laut Statistischem Bundesamt
(Destatis) Männer im Jahr 2014 etwa 22 Prozent mehr verdient
als Frauen – eine Zahl, die jedes Jahr zum Equal Pay Day weltweit bemängelt wird. Bezogen wird sie auf den durchschnittlichen
Bruttostundenlohn. Beschäftigte in der Landwirtschaft, der öffentlichen Verwaltung sowie in Betrieben mit bis zu zehn Beschäftigten werden nicht berücksichtigt. Grund für die starke Differenz ist
unter anderem, dass Frauen öfter in Teilzeit arbeiten. Doch auch
bei exakt gleicher Arbeit bleibt ein Lohnabstand zu den Männern
von sieben Prozent bestehen. Betroffen sind Frauen aller Branchen – vom Sekretariat bis zum Management.
Zur strategischen Abwertung von Frauenberufen
Zudem werden klassische Frauenberufe inzwischen per se finanziell schlechter entlohnt. ›Wir können festhalten, dass sich der
Frauenanteil in einem Beruf negativ auf das dort vorherrschende
Lohnniveau auswirkt‹, sagt Sarah Lillemeier, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen. Sie erforscht die
Frage, ob Frauenberufe strategisch abgewertet werden. Konkret:
Gibt es eine Systematik dahinter, dass Arzthelferinnen, Einzelhändlerinnen, Personal aus der Hotellerie und Gastronomie oder Fachangestellte in Sekretariaten besonders schlecht bezahlt werden?
Einige Indizien sprechen dafür, allem voran die festgefahrenen
Verfahren, die die Lohnstrukturen in einem Großteil der deutschen
Unternehmen und Einrichtungen vorgeben. ›Wesentliche Faktoren
für die Eingruppierung sind in der Regel Qualifikation und Verantwortung‹, sagt Sarah Lillemeier. ›Psychosoziale Anforderungen
und Belastungen spielen häufig keine Rolle, obwohl diese gerade
in den weiblich dominierten Berufen eine der größten Herausfor-
// 05
der erwerbstätigen deutschen Mütter in Teilzeit oder als Minijobberin beschäftigt. ›Frauen übernehmen auch heute noch zum
Großteil den Haushalt und die Kindererziehung‹, sagt Esther
Schröder, Gleichstellungsexpertin bei der Arbeitnehmerkammer
Bremen. Sobald Frauen ein Kind bekommen, scheiden sie aus
dem Arbeitsleben aus und kehren nicht als Vollzeitbeschäftigte
zurück.
›Es hat sich einiges getan, dennoch fehlt es noch immer an
einer ausreichenden und qualitativ akzeptablen Betreuung, insbesondere der Kinder im Vorschulalter‹, sagt Sarah Lillemeier.
›Diese Vereinbarkeitsproblematik trifft weiterhin insbesondere die
Frauen, die ihre Erwerbstätigkeit deshalb unterbrechen beziehungsweise reduzieren müssen, mit den entsprechenden Folgen
für ihr eigenes Einkommen.‹ Solange Frauen eher schlechter verdienen als Männer, werden sie schon aus finanziellen Gründen
auch künftig eher zu Hause bleiben. Eine bessere und vor allem
kostengünstige Kinderbetreuung ist für Frauen also wesentlich,
um in Vollzeit arbeiten zu können. Das gilt besonders für Frauen,
die wenig Einkommen haben und genau durchrechnen, ob sich
die Rückkehr in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit überhaupt lohnt.
Pflegefall in der Familie
derungen darstellen.‹ Konkret: Wer ein Studium absolviert hat
und Personal führen muss, bekommt mehr Geld als jemand, der
Tag für Tag für das gleiche Unternehmen mit Schwerstbehinderten oder alten Menschen arbeitet. Wie belastend die jeweilige
Tätigkeit ist, spiegelt sich auf dem Lohnscheck nicht wider.
›Die traditionellen Verfahren der Arbeitsbewertung müssen
modernisiert und geschlechtsneutral ausgestaltet werden, um
den aktuellen Arbeitsbedingungen und Arbeitsmarktstrukturen
gerecht zu werden‹, sagt Lillemeier.
Was sie fordert, entspricht letztlich dem Gesetz der Entgeltgleichheit. Dieses ist bereits seit 1957 Teil des EG-Vertrages,
allerdings nicht rechtsverbindlich. Neben dem Lohn behandelt es
weitere Aspekte wie zum Beispiel den Zugang zu Beschäftigung,
berufliche Aufstiegsmöglichkeiten und die Vereinbarkeit von Beruf
und Familie. Gerade Letzteres ist für viele Frauen immer noch
eine große Hürde, um zumindest bei der Arbeitszeit mit den
Männern statistisch gleichzuziehen.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Etwa 90 Prozent der Mütter nehmen laut Elterngeldstatistik
zehn bis zwölf Monate Elternzeit, während knapp 80 Prozent
der Männer zwei Monate beantragten. Außerdem sind 70 Prozent
Foto: privat
Sarah Lillemeier, wissenschaftliche Mitarbeiterin
an der Universität Duisburg-Essen
Der Frauenanteil in
einem Beruf wirkt
sich negativ auf das
dort vorherrschende
Lohnniveau aus.
Auch wenn Angehörige pflegebedürftig werden, sind es oft die
Frauen, die zu Hause bleiben. Das deutsche System baut darauf,
dass Familienmitglieder oder andere sich ehrenamtlich engagieren und so die Betreuung von Angehörigen gewährleisten. An
zweiter Stelle kommen private Dienstleister zum Einsatz. Unterstützt werden Familien nur durch Teilfinanzierungen des Staates.
Die Leipziger Trainerin Cornelia Heintze prangert seit Jahren in
ihren Vorträgen zum Pflegesystem diesen Missstand an. Sie
zieht zum Vergleich gerne das System in den skandinavischen
Ländern heran, wo sich an erster Stelle kommunale Dienste um
die Betreuung von Betroffenen kümmern. Erst an zweiter Stelle
unterstützen Angehörige und Dienstleister. In Skandinavien
sei das Ehrenamt das Sahnehäubchen, trage aber nicht das
System, sagt sie. Auch das habe mit der Wertschätzung von
vermeintlichen Frauentätigkeiten zu tun.
Gegen Stereotype angehen
Unterm Strich zeigt sich, dass einfach mehr fordern – wie es
Schauspielerin Jennifer Lawrence in ihren Gehaltsverhandlungen
künftig tun will – nicht ausreicht. In einer Gesellschaft, in der sich
laut wissenschaftlichen Erhebungen, seit 30 Jahren nichts an der
Berufswahl von Frauen ändert, ist Engagement auf allen Ebenen
gefragt – vom Einzelnen, vom Staat und auch von den Arbeitgebern. ›Letztlich müssen wir über Jahrhunderte verhärtete Geschlechterstereotype aufbrechen‹, sagt Lillemeier. ›Darin inbegriffene Statusannahmen sorgen dafür, dass Berufe, die in der Mehrzahl von Frauen ausgeübt werden, geringer bewertet und bezahlt
werden. Ganz nach dem Motto Frauenarbeit ist leichte Arbeit.‹
(lor)
Zu diesem Thema lädt die Arbeitnehmerkammer Bremen
ein zu der Veranstaltung ›Aufwertung von Frauenberufen‹ am
Donnerstag, 21. Januar, 10 bis 16 Uhr, in den Kultursaal,
Bürgerstraße 1, 28195 Bremen. Vertreterinnen unterschiedlicher
klassischer Frauenberufe kommen dann ebenso zu Wort wie
Vertreter aus Gewerkschaft und Wissenschaft, unter anderem
Sarah Lillemeier und Cornelia Heintze.
06 // Schwerpunkt: Warum Frauen immer noch weniger verdienen
Frauen im Einzelhandel
Wenn Regina Bonne (53) die Regale der Elektroabteilung im
Real-Markt in der Duckwitzstraße umräumt, würdigen sie die
Kunden nur selten eines Blickes. Brauchen sie doch Hilfe, fragen sie oft patzig in ihren Rücken, wollen die schnelle Antwort.
›Die Leute haben keine Zeit mehr‹, sagt Bonne. Es sei selten,
dass ihr jemand für eine Auskunft danke. Im Gegenteil werde
ihre Beratung oft angezweifelt. ›Ist auch ein männlicher Kollege im Haus?‹, heißt es dann. In ihren über 30 Arbeitsjahren
habe sich der Umgangston gegenüber ihr als Verkäuferin
stark verändert.
Im Land Bremen sind gut 28.000 Menschen im Einzelhandel tätig.
70 Prozent von ihnen sind weiblich. Regina Bonne ist eine der
wenigen Frauen im Markt, die als Vollzeitkraft beschäftigt ist.
Fünf Tage in der Woche arbeitet sie zwischen 7.30 und 16 Uhr.
Sie hat Glück, andere Kollegen arbeiten im Schichtsystem bis
22 Uhr in den Abend hinein. Einen Samstag im Monat haben
Regina Bonne und ihre Kollegen frei, wenn niemand krank wird
oder jemand in Urlaubszeiten einspringen muss.
Für ihre Arbeit bekommt Regina Bonne 1.500 Euro netto.
›Da ich alleine bin, kann ich Vollzeit arbeiten‹, sagt sie. ›Außerdem habe ich noch einen Tarifvertrag.‹ Im Juni ist Real aus der
Tarifbindung ausgestiegen. Die Gewerkschaft ver.di hat am
Beispiel einer seit sechs Jahren im Unternehmen beschäftigten
Person vorgerechnet, dass damit binnen 21 Monaten fast 2.000
Euro des Bruttogehalts wegfallen.
Mit der Tarifflucht ist das Unternehmen nicht alleine. Die ganze
Branche krankt an sinkenden Gehältern. Das Einstiegsgehalt
einer Verkäuferin liegt laut einer Studie der Arbeitnehmerkammer
Bremen zum Strukturwandel im Land in den tarifgebundenen
Betrieben bei einer Vollzeitstelle knapp über 1.500 Euro brutto.
Susanne Meister (links), Betriebsratsvorsitzende,
und Regina Bonne, Verkäuferin,
arbeiten im Real-Markt in der Duckwitzstraße.
Nur noch jede vierte Frau im Einzelhandel könne danach von
ihrem Verdienst leben.
›Minijobs, Teilzeit und Werkverträge verdrängen existenzsichernde Arbeitsplätze‹, sagt Marion Salot, Referentin für Wirtschaftspolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen. ›Dadurch können die
Unternehmer flexibler auf den wachsenden Konkurrenzdruck am
Markt reagieren‹, weiß auch Susanne Meister, Betriebsratsvorsitzende im Real-Markt an der Duckwitzstraße. Und für viele Frauen,
die ihre Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, sei eine Teilzeitbeschäftigung für den Moment oft attraktiver. ›Doch beim Blick auf
die Rentenabrechnung wird dann deutlich, dass viele Verkäuferinnen in Altersarmut landen werden‹, so Meister. Ausgelöst wurde
der Wandel in der Branche durch verschiedene Faktoren. Ein Punkt
sind zum Beispiel die erweiterten Ladenöffnungszeiten. Zudem
wächst der Druck durch den Online-Handel, der mittlerweile bundesweit neun Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht.
›Die Wertschätzung für unseren Beruf ist nicht sehr hoch‹,
sagt Regina Bonne. ›Das geht doch schon mit der immer
schlechteren Ausbildung los. Wer eine Ausbildung im Supermarkt
macht, ist eher ein besserer Packer als ein Verkäufer.‹ Dennoch
liebt sie ihren Job und hofft, dass sich die Wahrnehmung auf ihn
eines Tages wieder verbessern wird.
Betriebsrätin Susanne Meister ist da optimistisch. ›Wir werden
künftig wieder mehr beraten müssen – und damit werden wir für
die Kunden wieder stärker zu Partnern‹, glaubt sie. ›Eltern wollen
heutzutage wissen, woher ihr Fleisch kommt oder wie bestimmte
Lebensmittel produziert wurden, die sie ihren Kindern zu essen
geben.‹ Auch der Beratungsbedarf bei den Elektrogeräten sei
enorm angewachsen. ›Das ist eine echte Chance für den Einzelhandel – wenn die Leistung angemessen entlohnt wird‹, sagt
Meister.
(lor)
// 07
ARBEITNEHMERINNEN ERZÄHLEN
MARTINA
N OWA K (43)
gelernte
Krankenschwester
Wie sieht der Berufsalltag aus?
Für die individuelle Schwerstbehindertenbetreuung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) organisiere ich die Versorgung von 16 Patienten.
Die Klienten werden rund um die Uhr betreut. Im Jahr fallen etwa
55.000 Stunden an, die unter 80 Assistenten aufgeteilt werden.
Was ist die größte Herausforderung im Beruf?
Die Schichten müssen besetzt sein. Wird jemand krank, brauchen wir einen Ersatz. Dass ein Patient unbetreut bleibt, ist keine
Option. Es ist hart, die Mitarbeiter zu überreden, ihren freien Tag
aufzugeben.
Wie viel verdienen Sie?
Nach der Geburt der Kinder habe ich über zehn Jahre als 630DM-Kraft in der Hauspflege gearbeitet. Anfangs für sechs Stunden in der Woche, meist am Wochenende oder am Abend, wenn
mein Mann zu Hause war. Damals gab es noch keinen Anspruch
auf einen Krippenplatz, eine Tagesmutter konnten wir uns nicht
leisten. Alle vier bis sechs Wochen hatte ich Rufbereitschaft.
Sobald jemand krank wurde, musste ich einspringen. Die Stunden, in denen ich draußen war, wurden voll entlohnt. Für die restliche Zeit habe ich 25 Prozent des Gehalts bekommen.
Im Februar 2013 bin ich ins Büro gewechselt. Hier arbeite
ich 25 Stunden in der Woche und verdiene 1.991,71 Euro brutto.
Ursprünglich war das Gehalt geringer. Auf einer ver.di-Veranstaltung habe ich erfahren, dass es unter den üblichen Löhnen liegt.
Das habe ich bei der Geschäftsführung angesprochen und eine
Gehaltserhöhung bekommen. Allerdings sind erst vor Kurzem
meine Stunden von 30 auf 25 reduziert worden.
Ist das Gehalt gerecht?
Es ist seltsam, dass Bürojobs, bei denen es nicht um Leben und
Tod geht, mit über 3.000 Euro brutto entlohnt werden. Wenn wir
mehr Geld fordern, heißt es immer: ›Das ist nicht refinanzierbar.‹
Aber darf das ein Argument sein? Für andere Dinge sind doch
auch öffentliche Gelder da.
Wie könnte das System gerechter werden?
Der psychische Druck in der Pflegebranche insgesamt ist sehr
hoch. Ich weiß noch aus meiner Zeit in der häuslichen Pflege,
wie flexibel man sein, an freien Tagen doch zum Dienst erscheinen oder Überstunden in Kauf nehmen muss. Das ist bei der
Arbeit mit Menschen alternativlos. Ich persönlich fände es toll,
wenn es ein allgemein verbindliches Instrument gäbe, um diese
Flexibilität wirklich zu würdigen – vor allem finanziell.
CORNELIA
BR AEUTIGAM (63)
staatlich anerkannte
Erzieherin
Wie sieht der Berufsalltag aus?
Ich bin seit 41 Jahren in Vollzeit beschäftigt. Angestellt bin ich bei
Kita Bremen. Mein Arbeitsplatz ist in einer Kita, dort arbeite ich
im Hort mit Schulkindern im Alter von sechs bis zehn Jahren. Die
Kinder kommen nach der Schule zu mir in den Hort und werden
von mir betreut, bis sie nach Hause gehen. Außerdem bin ich
noch im Elementarbereich als Sprachförderin tätig.
Was ist die größte Herausforderung im Beruf?
Die Alltagssituationen, die jeden Tag anders sind, zu meistern
und der Versuch, es jedem recht zu machen. Der Lärmpegel ist
belastend. Außerdem ist es den Erziehern bisher kaum möglich,
Pausen zu machen, da es keine geeigneten Räumlichkeiten gibt.
Einen Internetzugang haben wir nicht und teilweise sind nicht mal
geeignete Stühle für Erwachsene in den Gruppenräumen vorhanden. Auch an den sanitären Einrichtungen hapert es. Getrennte
Damen- und Herrentoiletten so wie ein Besucher-WC sind nicht
vorhanden. Die Gruppen mit 20 Kindern sind viel zu groß, um auf
die individuellen Bedürfnisse und Belange der Kinder eingehen
zu können.
Wie viel verdienen Sie?
Ich bin seit über 41 Jahren im öffentlichen Dienst beschäftigt und
werde nach Tarif bezahlt. Netto liegt das Gehalt derzeit bei etwa
1.950 Euro im Monat.
Ist das Gehalt gerecht?
Verglichen mit einem Facharbeiter in der Industrie ist es zu wenig.
Man muss sich fragen, warum eine Person, die Sachgegenstände
herstellt und eine dreijährige Ausbildung gemacht hat, mehr verdient, als jemand, der durch eine fünfjährige Ausbildung gegangen
ist und Kinder bei der Bildung, Förderung und Erziehung begleitet.
Auch mit Blick auf das, was nach der Rente vom Gehalt übrig
bleibt, ist das Gehalt viel zu gering. Dass viele junge Kollegen in
Teilzeit arbeiten, wird sie im Alter einholen. Doch unter den aktuellen Bedingungen voll zu arbeiten, ist für viele – vor allem, wenn
sie selbst Familie haben – eine große Herausforderung.
Wie könnte das System gerechter werden?
Wir brauchen bessere Rahmen- und Arbeitsbedingungen, bessere
Bezahlung, um unseren Beruf aufzuwerten. Unter den aktuellen
Bedingungen ist es schwierig, Nachwuchs zu bekommen. Vor
allem für Männer ist der Beruf aufgrund der Bezahlung nicht so
interessant. Dabei wäre das Geld bei den Behörden durchaus da –
es müsste anders verteilt werden. Das ist letztlich eine Frage der
Prioritätensetzung.
Fragen: lor
08 // wisoak Zeit für Bildung – Zeit für mich
Bildungsurlaub in der modernisierten Bildungsstätte Bad Zwischenahn
Zeit für Bildung – Zeit für mich
Raus aus dem Trott: In der renovierten Bildungsstätte Bad
Zwischenahn der Arbeitnehmerkammer Bremen können
die Teilnehmer der Seminare bis zu fünf Tage Neues lernen
und gleichzeitig vom Alltag abschalten. Das Haus hat viele
Stammgäste, die das Konzept schätzen.
Ewald Wiesner macht regelmäßig Bildungsurlaub. Der 50-Jährige
ist Hafenfacharbeiter, er transportiert im Bremerhavener Überseehafen als Van-Carrier-Fahrer im Schichtdienst Container. Wenn
er seinen jährlichen fünftägigen Bildungsurlaub nimmt, gestaltet
er ihn als kleine Flucht aus dem Alltagstrott. Deshalb war er
schon zehnmal in der Bildungsstätte Bad Zwischenahn der Arbeitnehmerkammer Bremen. ›Man kommt von zu Hause und dem
Schichtdienst mal raus‹, sagt er. Meist sucht er sich ein Seminar
gemeinsam mit Kollegen aus, mit denen er abends noch zusammensitzen kann. Aber auch den Austausch mit Beschäftigten aus
anderen Branchen findet er wichtig.
Bis zu 70 Bildungsurlaube zur politischen Bildung bietet die
Wirtschafts- und Sozialakademie der Arbeitnehmerkammer
Bremen (wisoak) in Bad Zwischenahn an, dazu kommen bis zu
20 Wochenendseminare. ›Pro Jahr haben wir so über 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer‹, sagt Asmus Nitschke von der
wisoak. ›Bildungsurlaub ermutigt Menschen, sich politisch zu
engagieren und Standpunkt zu beziehen.‹
›Bremen und das Meer‹ heißt das Seminar, das Ewald Wiesner
zusammen mit mehreren seiner Van-Carrier-Kollegen besucht.
Es geht um die Geschichte der bremischen Häfen und die damit
verbundene Stadtentwicklung – ein Thema, das ihn schon allein
von Berufs wegen interessiert. Bei seinem ersten Bildungsurlaub
fremdelte er noch ein wenig mit der Unterrichtssituation, die ihn
an seine Schulzeit erinnerte. ›Vorne stand wieder ein Lehrer‹,
schmunzelt er. Doch seine Befangenheit legte sich schnell – erst
recht in den Kursen von Dozent Uwe Kempf, dessen Seminare
Wiesner nun schon zum vierten Mal besucht. ›Ich mag seine
lockere Art‹, lobt der Hafenarbeiter.
Hafen wurde zum Leib- und Magen-Thema
Der 67-jährige Historiker Kempf leitet bereits seit 20 Jahren
Seminare in Bad Zwischenahn. Seine Leib- und Magen-Themen
sind die Stadt- und Hafenentwicklung geworden. 14 Männer und
fünf Frauen sitzen in seinem Kurs ›Bremen und das Meer‹. ›Das
Thema ist sehr stark männerdominiert, im Hafen arbeiten doch
meistens Männer, auch wenn die Zahl der Frauen zunimmt‹, sagt
Kempf. Eine der Teilnehmerinnen im Seminar ist Gabriele Halberscheid-Bergmann. ›Mich interessiert die Entwicklung von Städten‹,
sagt sie über ihre Motivation für die Wahl des Bildungsurlaubs.
Dozent Kempf erzählt auf anschauliche und amüsante Art und
Weise, wie der erste Container per Schiff in den Bremer Hafen
kam. Es war der 6. Mai 1966 und der erste Seecontainer überhaupt in Deutschland. ›Das war eine Revolution für das weltweite
Transportwesen‹, sagt Kempf. Von da an veränderte sich die
Hafenlandschaft rasant, Bremerhaven gewann als maritimer
Standort immer mehr an Bedeutung – während Bremen diese verlor. 1971 entstand der erste Containerliegeplatz in Bremerhaven.
Dozent und Teilnehmende des Bildungsurlaubs
›Bremen und das Meer‹ – hier geht es um die
Entwicklung der bremischen Häfen und die damit
verbundene Stadtentwicklung.
›Der Hafen ging aus der Stadt Bremen‹, betont Kempf. Und das
hatte weitreichende Folgen für die Bewohner und auch für das
Stadtbild.
Exkursionen zur Papenburger Meyer Werft und zum JadeWeserPort in Wilhelmshaven sollen die maritime Entwicklung außerhalb Bremens verdeutlichen. ›Das war der Wunsch der Teilnehmer‹, sagt Uwe Kempf. Die technologische Entwicklung macht
auch heute keinen Halt. Das wird besonders klar, als die Hafenfacharbeiter von ihren Befürchtungen erzählen, dass bald schon
Van-Carrier auf Schienen und ohne Fahrer in den Häfen eingesetzt
werden könnten. ›Was wird dann aus unseren Jobs?‹, lautet die
bange Frage.
Nicht abgelenkt von alltäglichen Dingen
Rund die Hälfte der Seminarteilnehmer sind Hafenarbeiter. Die
Sozialpädagogin Gabriele Halberscheid-Bergmann findet es spannend, nicht nur vom Dozenten Wissenswertes über die Häfen zu
erfahren. ›Man bekommt authentische Berichte von Leuten, die
dort arbeiten‹, sagt die 60-Jährige, die in einer Grundschule
arbeitet. Andere Teilnehmer sind bei Mercedes, Airbus, im öffentlichen Dienst und bei der Bremer Straßenbahn AG beschäftigt.
Für Halberscheid-Bergmann ist es wichtig, für den Bildungsurlaub von zu Hause weg zu sein. ›Man ist mehr bei der Sache,
nicht so abgelenkt durch die alltäglichen Dinge‹, betont sie.
Dozent Kempf weiß, dass es auch für die Gruppendynamik gut ist,
wenn die Teilnehmer abends noch zusammenbleiben. Auch Siggi
Wolfram mag es, im Bildungsurlaub ein paar Tage aus dem Alltag
rauszukommen. ›Ich komme immer gestärkt mit anderen Inhalten
in die Arbeit zurück‹, sagt der 62-Jährige, der bei der Gewoba
beschäftigt ist. Er kann es deshalb auch nicht nachvollziehen,
warum nur drei Prozent der Beschäftigten in Bremen den ihnen
zustehenden Bildungsurlaub in Anspruch nehmen.
Siggi Wolfram ist bereits das 17. Mal in der 1975 eröffneten
Bildungsstätte Bad Zwischenahn. ›Das ist hier fast wie im Hotel‹,
// 09
schwärmt er. Die 2011 begonnenen Modernisierungsmaßnahmen
findet er gelungen. 30 Einzelzimmer wurden saniert. ›Sie sind
jetzt hell und freundlich‹, sagt die Leiterin des Hauses, Gudrun
Afken. Alle Zimmer sind mit einem Fernseher und WLAN ausgestattet, auch die Bäder wurden neu gemacht. Zudem wurden zwei
behindertengerechte Zimmer hergerichtet. Die Flure und öffentlichen Toiletten wurden erneuert und die Kegelbahn und der Bierkeller ›aufgehübscht‹, wie Gudrun Afken sagt. ›Das hatte alles
noch den Charme der 1970er-Jahre.‹
Eines hat sich nicht verändert: ›Das Essen war hier schon
immer gut‹, sagt Siggi Wolfram und fügt hinzu: ›Und die Freundlichkeit des Personals.‹ Auch die Lage gefällt den Gästen. ›Man
ist schnell im Ort oder, wenn man es ruhig mag, in der Natur‹,
sagt Gudrun Afken. Viele leihen sich Fahrräder aus, um die Umgebung zu erkunden. ›Hier halten sich Bildung und Urlaub die
Waage‹, sagt Teilnehmer Siggi Wolfram.
Ewald Wiesner will seinen nächsten Bildungsurlaub wieder
in Bad Zwischenahn verbringen. Für ihn stimmt die Mischung:
›Man bekommt Informationen, aber hat auch Spaß dabei.
Das ist wichtig.‹
(bin)
Bildungsurlaub ist in Bremen gesetzlich verankert: Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer, die oder der fünf Tage pro
Woche arbeitet, hat innerhalb von zwei Jahren Anspruch auf
einen Bildungsurlaub von zehn Arbeitstagen. Für Teilzeitbeschäftigte reduziert sich der Anspruch entsprechend. Früher musste
ein Bildungsurlaub mindestens fünf Tage dauern, seit 2010
können auch ein- oder zweitägige Seminare besucht werden.
Bildungsurlaube der wisoak in Bad Zwischenahn
❙ Flucht und Wanderung
7.3. – 11.3.2016
Das Seminar behandelt die Gründe für die aktuellen
Flüchtlingsströme und diskutiert die Herausforderungen
für die nationalen Integrationspolitiken.
❙ Terror und Gewalt im Namen des Islam?
5.12. – 9.12.2016
Das Seminar beleuchtet Hintergründe und diskutiert
politische Lösungsansätze.
Weitere Infos zur Bildungsstätte und zum Programm
unter www.bildungsstaette-badzwischenahn.de.
10 // Aus der Arbeitnehmerkammer: Gelbe Karte
Abmahnungen nicht auf die leichte Schulter nehmen
Gelbe Karte
destens 15 Minuten länger bleibe, habe sie gedacht, es komme
morgens nicht auf die Minute drauf an.
›Das ist aber leider nicht richtig‹, sagt Rechtsexperte Thora,
Solange der Betrieb keine Gleitzeit anbiete, könne sich die Arbeitnehmerin nicht das Recht herausnehmen, morgens später zu
kommen. ›Wenn sie unzufrieden ist mit ihren Überstunden, muss
sie gegen diese vorgehen‹, erklärt Thora. Auf den Einwand der
Friseurin, dass sie doch nur minimal zu spät gekommen sei,
macht der Berater klar: ›Für das einzelne
Zuspätkommen wäre eine Abmahnung
unverhältnismäßig,
durch die Häufigkeit ist
Für das einzelne
sie gerechtfertigt.‹
Zuspätkommen wäre
Mit einer Abmahnung hat der Arbeitgeber seiner Mitarbeiterin gewissermaßen die
eine Abmahnung
›Gelbe Karte‹ gezeigt: Er kritisiert damit ein
unverhältnismäßig,
konkretes arbeitsvertragliches Fehlverhaldurch die Häufigkeit
ten und weist darauf hin, dass im Wiederholungsfall die Kündigung folgt. Für eine
ist sie gerechtfertigt.
fristgerechte und verhaltensbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedarf es
Eine Abmahnung hat wie beim Fußball die Funktion der
›Gelben Karte‹. Ändert der Beschäftigte sein Fehlverhalten
nicht, muss er mit einer Kündigung rechnen. Doch nicht
immer sind Abmahnungen gerechtfertigt, wie Fälle aus der
Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer Bremen zeigen.
Abmahnungen sind nicht nur ein Ärgernis, sie können einschneidende Folgen haben: ›Wenn der Arbeitgeber eine
Abmahnung ausspricht, bereitet er in der Regel eine Kündigung vor‹, betont der kommissarische Leiter der Rechtsabteilung der Arbeitnehmerkammer Bremen, Sven Thora.
Entsprechend aufgelöst kam eine Friseurin in die Rechtsberatung, die gerade eine Abmahnung von ihrem Chef
erhalten hatte. Sie wollte ihren Job keinesfalls verlieren
und war völlig fassungslos über ihre Abmahnung. Diese
hatte sie bekommen, weil sie innerhalb von zwei Wochen
an vier Tagen bis zu fünf Minuten zu spät zur Arbeit
erschienen war. Der Laden öffnet um neun Uhr, sie muss
eine Viertelstunde vorher da sein. Da sie abends in der
Regel nicht pünktlich Feierabend machen könne und min-
// 11
auch nicht drei Abmahnungen – eine genügt. ›Das
Gerücht mit den drei Abmahnungen hält sich zwar
hartnäckig, stimmt aber nicht‹, stellt Thora klar.
nächsten Tag wieder für den Dienst zur Verfügung steht und eingeteilt werden kann. ›Er
hätte sich laut Arbeitsvertrag bis zehn Uhr
ob eine Abmahnung
melden müssen, tat das aber erst eine Viertelrechtlich gültig ist oder
stunde später‹, so Thora. Ob die Abmahnung
Formale Fehler können Abmahnung
gerechtfertigt war, konnte in der Rechtsberaungültig machen
nicht, muss man sich
tung zunächst nicht geklärt werden: ›Wenn der
Nicht nur inhaltlich, sondern auch formal war der Verimmer den Einzelfall
Dienstplan für den nächsten Tag erst am Nachweis für die Friseurin rechtlich nicht anfechtbar. ›Das
mittag fertig sein muss, wäre die Abmahnung
ist nicht immer so‹, sagt Thora. ›Viele Arbeitgeber
anschauen.
vermutlich unverhältnismäßig‹, so Thora.
machen formale Fehler, die Abmahnung ist dann hinWerde der Plan aber schon um halb elf Uhr verfällig, auch wenn der Inhalt korrekt war.‹ Denn angeprangert werden muss nicht nur das konkrete Fehlschickt, hätte die späte Rückmeldung tatsächverhalten mit Orts- und Zeitangabe. Es muss auch deutlich
lich Auswirkungen auf die Erstellung – und die Abmahnung seine
gemacht werden, dass das Arbeitsverhältnis im wiederholten Fall
Berechtigung.
gefährdet ist. Wer eine Abmahnung erhält, sollte sich deshalb
In der zweiten Abmahnung wurde dem Pfleger vorgeworfen,
auf jeden Fall rechtlich beraten lassen. Die Arbeitnehmerkammer
vor Patienten die Arbeit von Kollegen schlechtgemacht zu haben.
bietet eine solche Beratung kostenlos für alle Beschäftigten an,
›Der Arbeitnehmer hatte dem Patienten gesagt, er sei von einer
die in Bremen oder Bremerhaven arbeiten. ›Um die Frage zu
anderen Pflegerin falsch eingecremt worden‹, sagt Thora. ›Das
klären, ob eine Abmahnung rechtlich gültig ist oder nicht, muss
hatte er auch zugegeben.‹ Er habe sich aber darauf berufen,
man sich immer den Einzelfall anschauen‹, betont Thora.
dass der Vorwurf richtig sei. ›Damit steht er aber in der BeweisDoch selbst wenn sich herausstellt, dass ein Verweis aus forpflicht. Wenn die Kollegin sagt, dass das nicht stimme, steht Ausmalen Gründen unwirksam ist, rät Thora, nicht immer dagegen
sage gegen Aussage.‹ Das Gericht muss die Sachlage und damit
vorzugehen. ›Manchmal ist es ratsamer, erst einmal gar nichts zu
die Rechtmäßigkeit der Kündigung jetzt klären.
machen.‹ Sollte später tatsächlich die Kündigung kommen, die
Nicht immer kommt es nach einer Abmahnung auch zu einer
sich auf die Abmahnung bezieht, sei immer noch Zeit, gegen die
Kündigung. Kein Beschäftigter muss zudem befürchten, dass die
ungerechtfertigte Abmahnung vorzugehen. ›Es gibt keine Frist,
›Gelbe Karte‹ für immer in der Personalakte vermerkt ist. ›Es
innerhalb derer man sein Veto einlegen muss.‹ Wird dann schließgibt zwar keine Regelfrist, aber nach zwei, drei Jahren sollte man
lich festgestellt, dass die vorangegangene Abmahnung aus forprüfen lassen, ob der Verbleib in den Unterlagen noch gerechtmalen Gründen ungültig war, gilt dies auch für die Kündigung.
fertigt ist‹, so Thora.
(bin)
›Wenn man gleich gegen die Abmahnung vorgegangen wäre,
Weitere Informationen:
hätte der Vorgesetzte die Möglichkeit gehabt, frühzeitig seine
❙ Wenn Sie Fragen zu Ihrem Arbeitsverhältnis haben, können Sie sich als
formalen Fehler zu beheben – die Kündigung wäre dann nicht so
Kammer-Mitglied kostenlos in unseren Geschäftsstellen in der Bremer
ohne Weiteres anfechtbar gewesen‹, sagt Thora.
Innenstadt, in Bremen-Nord und in Bremerhaven beraten lassen.
Um die Frage zu klären,
Gegendarstellungen des Betroffenen können sinnvoll sein
Anders war der Fall eines Verkäufers, der in die Rechtsberatung
kam. Er hatte eine Abmahnung bekommen, weil er das Kühlregal
nicht mit einer Lieferung Joghurts aufgefüllt hatte. Damit hatte
er gegen seine Leistungspflicht verstoßen – auf den ersten Blick
schien der Verweis gerechtfertigt zu sein. In der Beratung der
Arbeitnehmerkammer erzählte der Betroffene aber, dass er an
dem Tag und an den vorangegangenen erhebliche Überstunden
gemacht hatte, weil Personal fehlte. ›Am Abend vor dem Vorfall
hatte er seinem Vorgesetzen gesagt, dass er die Arbeit allein
nicht schafft‹, berichtet Thora. Der Vorgesetzte hatte darauf nicht
reagiert. Nach elf Stunden Arbeit hatte der Verkäufer die
Joghurts nicht mehr im Blick. ›Der Verkäufer war an seine maximale tägliche Arbeitszeit gekommen und hatte seine Überlastung
auch schon mitgeteilt‹, sagt der kommissarische Leiter der
Rechtsabteilung. ›Die Abmahnung hatte somit keine rechtliche
Grundlage.‹ In solch einem Fall rät er den Betroffenen, eine
Gegendarstellung zu schreiben. Darin sollte der Arbeitgeber auch
aufgefordert werden, innerhalb einer bestimmten Frist die Verwarnung aus der Personalakte zu entfernen. ›Wenn das nicht
geschieht, kann man seine Forderung vor Gericht einklagen.‹
Fälle von Abmahnungen und Kündigungen landen nicht selten
vor Gericht. So auch bei einem Pfleger, der von seinem Arbeitgeber zwei Abmahnungen und anschließend die Kündigung erhalten
hatte. Ihm wurde zunächst vorgeworfen, am letzten Tag einer
Krankschreibung nicht rechtzeitig mitgeteilt zu haben, ob er am
Kontakt: www.arbeitnehmerkammer.de/beratung
Telefonische Beratung unter 0421·36301-11 (Bremen) oder
0471·92235-11 (Bremerhaven).
❙ Weitere Informationen auch zu Form und Inhalt einer Abmahnung finden
Sie im Faltblatt ›Abmahnung‹, das in unseren Geschäftsstellen ausliegt.
Download unter www.arbeitnehmerkammer.de/
publikationen (Rechtstipps und Ratgeber).
R ATGEBER > MUTTERSCHUTZ
druckfrisch
Mutterschutz –
Elterngeld – Elternzeit
Mutterschutz
Elterngeld · Elternzeit
Wir haben die Broschüre ›Mutterschutz
– Elterngeld – Elternzeit‹ überarbeitet.
Hier finden Sie nun auch umfassende
Informationen zum Elterngeld Plus.
Mitglieder erhalten sie ab Januar kostenlos in
unseren Geschäftsstellen. Download unter
www.arbeitnehmerkammer.de/publikationen
(Rechtstipps und Ratgeber).
w w w. a r b e i t n e h m e r k a m m e r. d e
Arbeitnehmerkammer
Bremen
12 // Politik: Berufsbegleitendes Studieren
Berufsbegleitendes Studieren
›Ohne Rückendeckung
der Familie nicht zu schaffen‹
Wer neben seinem Job studiert, braucht Disziplin, Organisationstalent und möglichst die Unterstützung vom Arbeitgeber.
Doch die gibt es nicht immer in dem gewünschten Maße,
wie eine neue Studie der Arbeitnehmerkammer zeigt.
Rainer Lehmann hat eine stressige Zeit hinter sich. Trotzdem
möchte er sie nicht missen. Neben seinem Vollzeitjob als Technischer Angestellter hat der 48-Jährige an der Uni Bremen seinen
Bachelor of Science im Bereich ›Berufliche Bildung‹ mit der Fachrichtung Metalltechnik-Fahrzeugtechnik gemacht – als berufsbegleitendes Studium. ›Ohne die Rückendeckung meiner Familie
hätte ich das nicht geschafft‹, ist Lehmann überzeugt. Seine Frau
und auch die beiden Söhne übernahmen Aufgaben im Haushalt,
für die er normalerweise zuständig ist.
Dennoch musste er auch zurückstecken. ›Einfach mal weggehen,
das war im Semester stark eingeschränkt‹, sagt er. Rainer Lehmann
ist ein sehr disziplinierter Mensch. ›Ich habe kontinuierlich immer
ein bisschen gelernt und nicht blockweise vor den Prüfungen.‹ So
schaffte er den Bachelor berufsbegleitend in der Regelstudienzeit
von sechs Semestern. Dass er so gut vorankam, lag auch an seinem
Arbeitgeber. ›Er hat mich voll unterstützt.‹ Durch Gleitzeit konnte er
seine Arbeitszeit passend zu den Vorlesungen legen.
Möglichkeit der Freistellung wäre wichtig
Selten sind die Bedingungen für berufstätige Studierende so
optimal wie für Rainer Lehmann. Das zeigt eine neue Studie der
Arbeitnehmerkammer Bremen in Kooperation mit dem Zentrum
für Arbeit und Politik (zap) an der Universität Bremen. Darin wurden 53 Berufstätige im Alter von 23 bis 59 Jahren schriftlich
befragt, 13 Berufstätige wurden ausführlich persönlich interviewt.
Alle Teilnehmer der Studie absolvieren neben ihrem regulären Job
ein Bachelor- oder Masterstudium an einer der staatlichen Hochschulen in Bremen. ›Nur 14 Befragte gaben an, dass sie Unterstützung in Form von flexiblen Arbeitszeiten oder Arbeitszeitkonten bekommen‹, sagt Susanne Hermeling, Referentin für Bildungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen. Von 53 Befragten
arbeiten 41 mindestens 30 Stunden pro Woche, die meisten von
ihnen in Vollzeit. Oft können Beschäftigte aus finanziellen oder
betrieblichen Gründen ihre Arbeitszeit nicht reduzieren.
Doch die Möglichkeit der Teilzeitarbeit oder gar der Freistellung hält Susanne Hermeling für wichtig, um das Studium bewältigen zu können. ›Viele unterschätzen am Anfang den Aufwand für
das Studium. Wer Vollzeit arbeitet, stößt schnell an seine Grenzen.‹ Ein tarifvertraglicher Anspruch auf Bildungsteilzeit mit klaren Regeln für eine Freistellung, wie ihn die IG Metall fordert, hält
deshalb auch die Arbeitnehmerkammer für richtig.
// 13
›Man muss Prioritäten setzen‹
Die meisten Studierenden gaben an, vom Studium persönlich und
beruflich zu profitieren, zugleich beklagten viele aber die hohe
Belastung. ›Einige haben gesagt, dass sie nur noch durchkommen möchten‹, sagt Susanne Hermeling. Am meisten leide der
private Bereich. Diese Erfahrung macht auch Michael Strauß. Für
ihn ist die Situation besonders belastend: Der 50-Jährige arbeitet
neben seinem Bachelorstudium nicht nur Vollzeit als Bauleiter; er
ist auch alleinerziehender Vater einer zehnjährigen Tochter. ›Man
muss definitiv Prioritäten setzen‹, sagt er. Und die liegen nicht
immer im Studium. ›Wenn meine Tochter krank ist, kann ich eben
nicht zur Uni.‹ Dadurch komme er nicht so schnell voran wie
andere.
Dass er überhaupt die Zeit zum Studieren findet, verdankt er
der Unterstützung durch seine Ex-Frau und seinen erwachsenen
Stiefsohn sowie durch seinen Arbeitgeber. Er erlaubt, dass Michael Strauß auch von zu Hause aus arbeitet. Außerdem kann er sich
die Zeit relativ frei einteilen. ›Es ist wichtig, dass ich die Arbeiten
mache, nicht wann‹, sagt Strauß. Gerne würde er seine Arbeitszeit reduzieren, um mehr Zeit fürs Studium und für seine Tochter
zu haben. ›Das kann ich mir aber nicht leisten.‹
Zur Motivation für ihr Studium gaben die meisten Befragten
einen gewünschten beruflichen Aufstieg an, andere wollten in
weniger belastende Arbeitsbereiche wechseln. Einige streben
einen kompletten Berufswechsel an. ›Dann sind die Rahmenbedingungen im Betrieb natürlich schwieriger‹, sagt Susanne Hermeling. Manchmal informieren Studierende ihre Arbeitgeber noch
nicht einmal über ihr Studium, weil sie negative Reaktionen fürchten. ›Das bedeutet, dass die Organisation des Studienalltags
noch schwieriger wird‹, betont die Referentin. Strukturiert
gefördert wird in vielen Industriebetrieben eher eine klassische
Meisterfortbildung als ein Studium. Doch manchmal ändert sich
die Sichtweise der Vorgesetzten. ›Wenn sie sehen, welche neuen
Kompetenzen eingebracht werden, ist die Freistellung für ein
Seminar plötzlich doch möglich‹, sagt Hermeling.
Ein anderer Befragter berichtete, dass sein Arbeitgeber ihm
zwar erlaubte, seine Arbeitszeit zu reduzieren. Doch in der Folge
wurden ihm nur noch Hilfsarbeiten zugeteilt. ›Das hat ihn zunehmend frustriert.‹ Am Ende ließ er sich beurlauben, um sein Studium beenden zu können. Finanziell war das für ihn eine Herausforderung. Die Referentin hält es deshalb für wichtig, dass Beschäftigte beispielsweise ihren Bildungsurlaub wahrnehmen oder
Arbeitszeitkonten ansparen können, um in Prüfungsphasen geballt
Zeit zu haben. ›Betriebe denken meist nur daran, dass ihnen die
Leistung eines Beschäftigten während eines berufsbegleitenden
Studiums nicht voll zur Verfügung steht‹, beklagt Susanne Hermeling. ›So kann man aber keinen Fachkräftemangel lösen.‹
Doch auch die Angebote der staatlichen Hochschulen müssen
sich verbessern. Bundesweit gibt es bisher nur relativ wenige
berufsbegleitende Master- und noch weniger Bachelorstudiengänge. Und selbst bei den vorhandenen Angeboten sind die Bedingungen nicht immer optimal: Nicht alle Seminare finden am
Wochenende oder abends statt. ›Weil die Ressourcen begrenzt
sind, müssen die Studierenden auch auf das reguläre Studienangebot zurückgreifen‹, weiß Hermeling. Zudem können zwar alle
Studienangebote der Hochschulen in Bremen in Teilzeit studiert
werden. Doch Teilzeit bedeutet nicht berufsbegleitend; Seminare
liegen gewöhnlich in der Woche.
Unterstützung durch Kommilitonen
Trotz der Schwierigkeiten kam für die meisten Befragten ein Fernstudium nicht infrage. ›Den Studierenden war es wichtig, an die
Hochschule zu gehen, sich mit anderen auszutauschen und sich
gegenseitig zu stützen.‹ Dass dieser Kontakt gut ist, zeigt auch
die Erfahrung. ›Die Abbruchquote beim Fernstudium ist relativ
hoch‹, so Referentin Hermeling.
Auch für Rainer Lehmann wäre ein Fernstudium nichts gewesen. ›Mir fällt es leichter zu verstehen, wenn ich in Vorlesungen
zuhöre‹, begründet er. Außerdem traf er auf einen Kommilitonen,
der einen ähnlichen beruflichen Hintergrund hat wie er. Sie unterstützten sich beim Lernen gegenseitig. ›Wenn der eine mal ein
Tief hatte, war der andere da, um ihn rauszuziehen.‹
Für ihn war das Bachelorstudium eine Herausforderung, die
sich gelohnt hat: Für ihn persönlich, aber auch, weil er nun mehr
verdient und sich seine Aufgaben geändert haben. Nun setzt er
noch einen drauf: Er hat sich für ein Lehramtsstudium (Master of
Education) eingeschrieben. Aber das Studium wird nicht berufsbegleitend angeboten, zurzeit besucht er deshalb nur eine Vorlesung pro Woche. ›Wenn der Master berufsbegleitend angeboten
würde, würde ich das schaffen. So glaube ich aber nicht, dass
ich ihn fertig kriege‹, sagt der 48-Jährige – und das findet er
sehr schade.
(bin)
Rainer Lehmann
❙ Die Studie wird am 2. März 2016 im Beisein von Wissenschaftssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) im Kultursaal der Arbeitnehmerkammer vorgestellt. Infos können Sie per Mail anfordern
unter: [email protected].
❙ Mehr Infos über berufsbegleitendes Studieren in Bremen unter:
www.offene-hochschulen-bremen.de.
14 // Politik: Arbeitslos – und jetzt?
Fragen und Antworten
Arbeitslos – und jetzt?
Wer arbeitslos wird, steht vor etlichen organisatorischen
Aufgaben. Anbei ein Leitfaden mit konkreten Tipps für diese
schwierige Lebensphase.
1
Soll ich Klage einreichen?
Falls ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz durch eine
Kündigung verliert oder Zweifel an seiner Befristung
hat, sollte er sich beraten lassen. Scheint eine Kündigungsschutzklage aussichtsreich, muss diese binnen drei Wochen nach
Eingang der schriftlichen Kündigung oder Ende eines befristeten
Arbeitsverhältnisses beim Arbeitsgericht eingereicht werden.
muss ich mich bei der Arbeitsagentur melden?
2 Wann
Grundsätzlich müssen Betroffene sich drei Monate vor
Arbeitsende arbeitssuchend melden. Wenn das Arbeitsverhältnis kurzfristig gelöst wurde, beträgt die Frist drei Werktage. Die Meldung kann persönlich oder telefonisch, per E-Mail,
Fax oder über die Jobbörse (www.arbeitsagentur.de) erfolgen.
Die persönliche Arbeitssuchmeldung muss dann zu einem mit der
Arbeitsagentur vereinbarten Termin nachgeholt werden. Wer sich
nicht rechtzeitig meldet, muss mit einer einwöchigen Sperre des
Arbeitslosengeldes I rechnen. Zuständig ist die Arbeitsagentur
nahe des Wohnortes.
zahlt die Arbeitsagentur Arbeitslosengeld I
3 Ab(ALGwann
I)?
Sobald die Arbeitslosigkeit eingetreten und die persönliche Arbeitslosmeldung erfolgt ist, fließt auch das Geld. ALG I
wird rückwirkend für einen Monat am Ende des jeweiligen Monats
gezahlt. Die erste Zahlung kann sich nach hinten verschieben,
wenn zum Beispiel noch Unterlagen fehlen. Gegebenenfalls kann
die Arbeitsagentur Abschläge zahlen. In den meisten finanziellen
Notfällen ist es sinnvoll, parallel ALG II zu beantragen.
4
Welche Unterlagen muss ich mitbringen?
Notwendig sind der Personalausweis und die Arbeitsbescheinigung. Auf ihrer Grundlage wird der ALG-IAnspruch berechnet. In dem Formular wird unter anderem die
Höhe des Gehalts, Kündigungsgrund und -frist angegeben. Des
Weiteren sollte mitgenommen werden: das Kündigungsschreiben
// 15
oder ein Aufhebungsvertrag, Nachweise über den Bezug über
Krankengeld oder Nachweise über einen früheren ALG-I-Bezug.
Der Antrag auf ALG I wird dem Antragsteller erst bei der Arbeitsagentur ausgehändigt. Nach der persönlichen Meldung besteht
die Möglichkeit, den Arbeitslosengeldantrag auch online zu
stellen.
5
Wie hoch ist das ALG I?
6
Wie lange kann man ALG-I-Leistungen beziehen?
Das Arbeitslosengeld beträgt für Menschen, die ein
steuerlich zu berücksichtigendes Kind haben, 67 Prozent des Nettoentgelts, ohne Kind 60 Prozent. Die Arbeitsagentur hat einen Arbeitslosengeldrechner auf ihrer Internetseite, mit
dem sich die Höhe des zu erwartenden ALG I berechnen lässt.
(www.pub.arbeitsagentur.de/alt.html)
Die maximale Anspruchsdauer beträgt
für Menschen …
maximal 12 Monate ALG I
unter 50 Jahren:
bis 55 Jahre:
maximal 15 Monate ALG I
bis 58 Jahre:
maximal 18 Monate ALG I
über 58 Jahre:
maximal 24 Monate ALG I
Um überhaupt ALG I erhalten zu können, muss man innerhalb
der vergangenen zwei Jahre vor der Arbeitslosigkeit mindestens
zwölf Monate beitragspflichtig gearbeitet haben.
7
Kann man neben dem ALG I noch aufstockende
Leistungen bekommen?
Wer das Existenzminimum nicht erreicht, kann ergänzend ALG-II-Leistungen beantragen. Ab Januar 2016 beträgt der
Regelsatz für Alleinstehende 404 Euro pro Monat, für Menschen
in einer Partnerschaft 364 Euro, für Kinder zwischen 237 und
306 Euro, zusätzlich werden die Kosten der Unterkunft erstattet.
Das ALG II wird beim Jobcenter des eigenen Wohnortes beantragt. Gezahlt wird es nur, wenn Bedürftigkeit vorliegt. Berücksichtigt wird bei der Berechnung auch eigenes Einkommen und
Vermögen sowie das der Partner oder Kinder, mit denen man
zusammenlebt.
Ist die Lücke zwischen dem verfügbaren Einkommen und
dem möglichen Anspruch auf ALG-II-Leistungen nicht groß, kann
sie gegebenenfalls durch Wohngeld geschlossen werden.
8
Lohnt sich der Wechsel der Steuerklasse?
Nicht immer! Ein Beispiel: Ein Ehepaar, keine Kinder,
beide verdienen 3.000 Euro brutto, beide Steuerklasse
IV. Nach Eintritt der Arbeitslosigkeit der Ehefrau wechselt diese
auf Steuerklasse V, der Ehemann nimmt die Steuerklasse III.
Der Ehemann hat bei Steuerklasse IV ein Nettoeinkommen
von 1.908 Euro/Monat, bei Steuerklasse III von 2.159 Euro, die
Ehefrau hat bei Steuerklasse IV einen ALG-I-Anspruch pro Monat
von 1.116 Euro, bei Steuerklasse V von 915 Euro. Die Arbeitsagentur ordnet ihr ab dem Tag des Steuerklassenwechsels diese
schlechtere Steuerklasse zu.
Der Ehemann hat also 250 Euro mehr pro Monat, die Ehefrau
hat 200 Euro weniger pro Monat. Auf den ersten Blick ein gutes
Geschäft. Doch das Ehepaar würde beim Steuerjahresausgleich
bei der Kombination IV/IV die zu viel gezahlten Steuern erstattet
bekommen und könnte hierdurch die steuerlichen Verluste in
der Regel fast vollständig ausgleichen. Die Arbeitsagentur kennt
einen solchen Ausgleich nicht. Die 200 Euro, die die Ehefrau
pro Monat weniger bekommt, sind weg.
jeder Job angenommen werden?
9 Muss
Ab dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit müssen Arbeits-
lose auch Tätigkeiten unterhalb der eigenen beruflichen Qualifikation annehmen. Auch die Einkommenshöhe ist nur
bedingt geschützt. Für die ersten drei Monate muss sich der
Arbeitslose gegebenenfalls mit 80 Prozent des Gehaltes zufriedengeben, vom vierten bis sechsten Monat mit 70 Prozent dieses Gehalts. Ab dem siebten Monat sind Tätigkeiten zumutbar,
in denen jemand so viel verdient, wie er an ALG I zuzüglich Fahrtkosten bekommt. Auch Jobs bei einer Zeitarbeitsfirma müssen
angenommen werden.
Fahrtzeiten sind zumutbar?
10 Welche
Wer sich Vollzeit zur Verfügung stellt, muss in der
Regel pro Tag pro Richtung bereit sein, 1,25 Stunden
Fahrtzeit zur Arbeit aufzubringen – von Tür zu Tür. Wer nur für
Teilzeittätigkeiten zur Verfügung steht, muss pro Richtung eine
Stunde an Zeit investieren. Eine Vermittlung außerhalb dieses
Radiusses kann erfolgen, wenn ein Arbeitsloser dies wünscht, in
seiner Tätigkeit eine überregionale Vermittlung üblich ist oder
keine familiären Bindungen an den bisherigen Wohnort bestehen.
passiert, wenn ich eine Abfindung
11 Was
erhalten habe?
Wurde eine Abfindung gezahlt und gleichzeitig das
Arbeitsverhältnis vorzeitig aufgelöst, führt die Abfindung zu
einem Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld. Die Dauer des
Ruhens ist abhängig von der Höhe der Abfindung, dem Lebensalter, der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der von dem
Arbeitgeber eigentlich einzuhaltenden Kündigungsfrist. Das
Ruhen verkürzt die Anspruchsdauer nicht, sondern schiebt den
Beginn der Arbeitslosengeldzahlungen hinaus. Auch die Vereinbarung einer Abfindung kann zu einer Sperrzeit führen – sowohl
wenn ein Aufhebungsvertrag geschlossen wurde als auch wenn
eine Kündigung plus Abwicklungsvereinbarung, in der die Abfindung geregelt ist, vorliegt.
In all diesen Fällen sollte man sich dringend rechtlichen Rat
einholen, bevor eine Abfindung unterschrieben wird.
12
Kann man sich zum ALG I etwas hinzuverdienen?
Anrechnungsfrei kann ein Arbeitsloser 165 Euro pro
Monat hinzuverdienen. Die Beschäftigungsdauer muss
unter 15 Stunden pro Woche liegen. Ob eine Arbeitnehmertätigkeit oder eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird, ist egal.
(lor)
Wie hoch ist mein Arbeitslosengeld? Wie werden Abfindungen
angerechnet und wie Einkommen und Vermögen? Muss ich
eine Sperrzeit befürchten? Mitglieder der Arbeitnehmerkammer
Bremen haben Anspruch auf eine kostenlose Beratung bei
Rechtsfragen zur Arbeitslosigkeit.
Beratungszeiten: montags, dienstags und donnerstags
von 9 bis 12 Uhr und zusätzlich montags von 14 bis 18 Uhr.
Weitere Infos unter Telefon: 0421·36301-23.
Foto: Präventionskampagne Dein Rücken
16 // Gesundheit
Service > Gesundheit
Von den Profis lernen
Tipps für
Pflegende
Menschen in häuslicher Umgebung zu pflegen, bedeutet
für Pflegende immer schwere körperliche Arbeit. Das gilt
für ambulante Pflegekräfte ebenso wie für Angehörige.
Denn oft ist – anders als im Pflegeheim oder Krankenhaus – die Umgebung nicht auf den Pflegefall eingerichtet
und Hilfsmittel stehen nicht selbstverständlich zur Verfügung. Die Kampagne: ›Denk an mich. Dein Rücken‹, die für
den betrieblichen Gesundheitsschutz vielfältige Materialien
herausgebracht hat, hat nun auch eine Broschüre für
pflegende Angehörige zusammengestellt. Wir stellen
daraus ein paar Möglichkeiten vor, wie man körperliche
und psychische Belastungen verringern kann.
Rückengerecht zu Hause und im Betrieb
Pflegen ist Schwerarbeit und kann insbesondere für den Rücken
schmerzhafte Konsequenzen haben. Pflegende Angehörige sollten daher – ebenso wie die Profikräfte in der Pflege und im Krankenhaus – alle Möglichkeiten nutzen, die Belastung zu reduzieren.
Auch für die Pflege zu Hause haben Sie Anspruch auf eine Reihe
von Hilfsmitteln wie Rutschbretter, Bettleitern, Toilettenerhöhungen oder Haltegriffe. Auch technische Hilfsmittel wie ein Pflegebett oder Liftersysteme können sinnvoll sein. So können Sie noch
vorhandene Fähigkeiten des Pflegebedürftigen nutzen und
zugleich Ihren Rücken entlasten.
Wenn der Stress übergroß wird …
Häusliche Versorgung kann sehr viel Zeit in Anspruch nehmen
und auch die Psyche belasten. Nicht selten führen die zeitliche
Gebundenheit und Konflikte in der Familie – auch mit dem Pflegebedürftigen – zu Überforderung und Frustration. Gerade die Langzeitpflege, die Unsicherheit und das Nichtwissen, wie lange die
Pflegesituation andauern wird, sind eine hohe psychische Belastung. Wenn Pflegebedürftige Leistungen der Pflegeversicherung
beziehen, können sich die Pflegenden durch Verhinderungs- und
Kurzzeitpflege entlasten lassen. Sie helfen beispielsweise nach
einer Operation des zu Pflegenden oder aber auch während eines
Urlaubs oder einer Rehabilitationsmaßnahme des Pflegenden.
Beruf ›und/oder‹ Pflege?
Noch immer hat die Pflege von Angehörigen nicht die gleiche
gesellschaftliche Anerkennung wie die Erziehung von Kindern.
Unter Umständen stellen Sie sich die Frage, ob die eigene Berufstätigkeit eingeschränkt oder aufgegeben werden soll, weil die
Belastung zu groß erscheint. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt es inzwischen einige gesetzliche Regelungen, die im
Einzelfall geprüft werden sollten: etwa die kurzfristige Freistellung
oder die (unbezahlte) Freistellung bis zu sechs Monaten oder
die Reduzierung der Arbeitszeit nach dem Familienteilzeitgesetz
auf bis zu 15 Stunden in der Woche. Zu beachten sind auch die
Regelungen zum Kündigungsschutz.
Auch in Bremen gibt es mittlerweile viele familienbewusste
Betriebe, die im Rahmen des audit berufundfamilie zertifiziert
sind und deren Anspruch es ist, diese Lebensphase für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so zu gestalten, dass sich Beruf und
Pflege vereinbaren lassen. Auskünfte erteilen oft die Personalabteilungen, aber auch Betriebs- oder Personalräte und die Frauenbeauftragten. Kollegiale Unterstützung und Rücksichtnahme sollte
selbstverständlich sein – zumal Krankheit und Pflege jede und
jeden treffen kann.
Carola Bury n Referentin für Gesundheitspolitik
❙ Die Broschüre ›Prävention von Erkrankungen – Informationen für
pflegende Angehörige‹ kann unter www.deinruecken.de (unter: ›Pflegende Angehörige‹) kostenlos heruntergeladen werden. Informationen
bietet auch die Reihe ›gesundheit!‹ der Arbeitnehmerkammer. Mitglieder
erhalten sie kostenlos in allen Geschäftsstellen oder unter:
www.arbeitnehmerkammer.de/publikationen (Infoblätter ›gesundheit!‹).
❙ Zu den gesetzlichen Regelungen können Sie sich als Mitglied der
Arbeitnehmerkammer arbeitsrechtlich beraten lassen. Zeiten für
die persönliche und die telefonische Beratung finden Sie unter
www.arbeitnehmerkammer.de/beratung/arbeitsrecht.
Bremen: Telefon 0421·36301-29
Bremerhaven: Telefon 0471·92235-0
Medientipps und Reihe ›Rechtsirrtümer‹ // 17
Medientipps
Für KammerCard-Inhaber ist
die BibCard ermäßigt!
Dueck, Gunter n
Schwarmdumm
So blöd sind wir nur gemeinsam
-Reihe ›Rechtsirrtümer‹
Campus-Verlag, 2015, 324 Seiten
›Schwarmintelligenz‹ bedeutet, dass ein Kollektiv klüger
und effizienter ist als der Einzelne. Gunter Dueck zeigt auf,
dass das im Arbeitsleben nicht unbedingt gilt und in vielen
Unternehmen und Institutionen die Effizienz und Kreativität
von Teams überbewertet wird. Er analysiert, wie es zur
›Schwarmdummheit‹ kommen kann, wenn Einzel- und Abteilungsinteressen aufeinanderprallen, vielleicht noch unter
Zeit- und Ergebnisdruck, wenn endlos koordiniert wird und
ein Meeting das andere jagt. Die Folge davon sind eben
nicht die besten Ergebnisse, sondern oft faule Kompromisse nach dem Motto: ‹Viele Köche verderben den Brei.‹
John, Friedel n
Mit Druck richtig umgehen
101 Rezepte für die Mittagspause
Haufe TaschenGuide, 107, 2015,
127 Seiten
Druck im Arbeitsleben kennen die meisten Berufstätigen.
Was seelischer Druck im Beruf eigentlich ist, wie er sich
auswirkt und wie man typische Druckauslöser erkennen
kann, beschreibt dieser kompakte TaschenGuide. Dabei
unterscheidet der Autor verschiedene Arten von Druck,
die – je nach Persönlichkeit – belastend wirken können.
Deshalb kommt es darauf an, sich und andere zu erkennen,
die eigene Persönlichkeit einzuschätzen und entsprechende
Strategien zu entwickeln. Ziel ist es, die eigene Souveränität zurückzugewinnen, persönliche Pläne festzulegen und
zu verwirklichen.
Diese Medien können Sie in Ihrer Stadtbibliothek ausleihen.
9 x in Bremen:
Zentralbibliothek Am Wall • Huchting • Lesum • Osterholz
Vahr • Vegesack • West • Busbibliothek • Hemelingen
w w w . s t a d t b i b l i o t h e k - b r e m e n . d e
›Reduzierte Ware kann ich nicht
umtauschen‹
Das stimmt so nicht.
Wer auf Schnäppchenjagd im Schlussverkauf ist, liest meist:
›Reduzierte Ware ist vom Umtausch ausgeschlossen.‹ Muss ich
mich also damit abfinden, dass die Bluse kaputt ist, die Uhr nicht
funktioniert oder der Verschluss am Rucksack seiner Aufgabe
nicht gewachsen ist? In vielen Geschäften versucht das Personal
Reklamationen abzuwimmeln – mit der Begründung, dass es sich
um reduzierte Ware handelt.
Richtig ist: Fehlerhafte Ware kann immer reklamiert werden –
auch reduzierte. Bei Mängeln muss der Verkäufer die Ware reparieren oder gegen ein fehlerfreies Exemplar austauschen. Oder
Sie einigen sich auf einen Preisnachlass und reparieren das gute
Stück eigenhändig. Wenn das alles nicht möglich ist, muss der
Händler Ihnen den Kaufpreis erstatten – und zwar nicht in Form
eines Einkaufsgutscheins (es sei denn, Sie wünschen das).
Anders verhält es sich, wenn Sie zu Hause merken, dass die
gekaufte Hose doch zu groß ist oder Ihnen die Farbe des Pullis
nicht steht. Hier haben Sie kein Recht auf eine Rückgabe. Fehlerfreie Ware muss der Händler nicht zurücknehmen, hier läuft ein
Umtausch auf der Basis von Kulanz.
Übrigens: Den Vorgang mit dem Hersteller zu klären ist Aufgabe des Händlers. Sie als Käufer haben einen Anspruch gegenüber
dem Händler, nämlich das Recht auf sofortigen Umtausch gegen
fehlerfreie Ware, auf Reparatur und gegebenenfalls Preisreduzierung oder Erstattung des Geldes.
(mol)
Sie wohnen im Land Bremen und haben finanziell nicht die
Möglichkeit, sich in Rechtsfragen von einem Anwalt beraten zu
lassen? Sofern Ihr Einkommen eine bestimmte Grenze nicht
übersteigt, können Sie die öffentliche Rechtsberatung (ÖRB) in
der Arbeitnehmerkammer in Anspruch nehmen.
Wir beraten Sie auf allen Rechtsgebieten, etwa dem Familienrecht, Kaufvertragsrecht, Mietrecht oder dem Verbraucherinsolvenzrecht. Auch Kammer-Mitglieder informieren wir in diesen
Rechtsgebieten. Von ihnen nehmen wir für die Beratung
grundsätzlich zehn Euro Gebühr. www.arbeitnehmerkammer.de/
beratung/oeffentliche-rechtsberatung
Termine unter Telefon 0421·36301-41 (Bremen) /
0471·92235-0 (Bremerhaven).
18 // Aus der Beratung
Hella Weise
Steuer > Beratung
Aus der Beratung
Außergewöhnliche
Belastungen in der
Steuererklärung
Merit Pauli* kam mit mehreren Fragen zur Steuererklärung zu mir in die Beratung. Besonders der Punkt
›Außergewöhnliche Belastungen‹ überforderte sie.
An privaten Ausgaben will das Finanzamt in der Regel nicht beteiligt werden, es gibt aber Kosten, die man als außergewöhnliche
Belastungen ansetzen kann. Um außergewöhnliche Belastungen
geltend machen zu können, muss man zwangsläufig höhere
Kosten gehabt haben, als die überwiegende Zahl der Steuerzahler in gleichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen mit
gleichem Familienstand. Zwangsläufig heißt, dass man die notwendigen Aufwendungen aus rechtlichen, tatsächlichen oder
sittlichen Gründen hatte.** Zu den abziehbaren Kosten zählen
etwa Krankheits- und Pflegekosten, Bestattungskosten, Wiederbeschaffungskosten etwa nach Brand- oder Hochwasserschäden
und Unterhaltszahlungen. Von den Einkünften wird nur der Betrag
abgezogen, der die zumutbare Belastung übersteigt. Diese
Belastungsgrenze wird nach einem Prozentsatz der Gesamteinkünfte errechnet (siehe Tabelle rechts).
Die Steuerpflichtige Merit Pauli hatte ihre Mutter im eigenen
Haushalt gepflegt. Mit der Pflegestufe 3 war die Voraussetzung
für den Freibetrag (hier als Pauschbetrag) – Hilflosigkeit – erfüllt.
Der Pauschbetrag von 924 Euro im Jahr wird grundsätzlich
gewährt.
Im Laufe des Jahres verstarb die Mutter von Merit Pauli. Da
kein Erbe vorhanden war, können die Bestattungskosten als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden. Hierzu zählen
Kosten für das Grab, die Todesanzeige, Blumen und den Sarg.
Nicht geltend gemacht werden können Kosten für die Bewirtung
der Trauergäste und Reisekosten. Zusammen mit den verordneten
Medikamenten und Zahnarztkosten, die für die Steuerpflichtige
angefallen waren, kann Merit Pauli diese geltend machen, wenn die
zumutbare Eigenbelastung überschritten ist. Die Gesamteinkünfte
von Merit Pauli und ihrem Mann betragen 45.000 Euro. Sie haben
ein Kind. Die zumutbare Belastungsgrenze liegt hier bei drei Prozent, also bei 1.350 Euro. Bei Krankheitskosten von 2.500 Euro
und Kosten rund um die Bestattung von 3.000 Euro werden 4.150
Euro als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt.
Außerdem lebt der studierende Sohn im Haushalt der Eheleute
Pauli und ist im Laufe des Jahres 25 Jahre alt geworden. Kindergeld gibt es nur bis zum 25. Geburtstag, somit ist der Sohn eine
unterhaltsberechtigte Person, für die im Monat 706 Euro als
Unterhalt geltend gemacht werden können. Dazu kommen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, da auch eine Familienversicherung ab dem 25. Lebensjahr nicht mehr greift. Das Kind
darf allerdings keine eigenen Einkünfte oder Bezüge (etwa BAföG)
über 624 Euro im Jahr haben, da sonst eine Anrechnung des
Einkommens erfolgt. Übrigens: Im Vordruck der Steuererklärung
müssen die außergewöhnlichen Belastungen auf Seite 3 in den
Zeilen 61 bis 70 eingetragen werden.
*Name von der Redaktion geändert
** § 33 Einkommenssteuergesetz (EStG)
Hella Weise n Beraterin Steuerrecht in Bremen
Zumutbare Belastung in Prozent der Gesamteinkünfte
Gesamtbetrag der Einkünfte
bis 15.340 Euro
über 15.340
über 51.130 Euro
bis 51.130 Euro
Steuerpflichtige ohne Kinder
bei Grundtabelle
5 Prozent
6 Prozent
7 Prozent
bei Splittingtabelle
4 Prozent
5 Prozent
6 Prozent
mit 1 oder 2 Kindern
2 Prozent
3 Prozent
4 Prozent
mit 3 oder mehr Kindern
1 Prozent
1 Prozent
2 Prozent
Steuerpflichtige
❙ Wie ist die Steuererklärung auszufüllen? Welche Einkünfte sind zu versteuern? Wie hoch ist meine voraussichtliche Erstattung beziehungsweise Nachzahlung? Welche Steuerklasse soll ich wählen? Bei Fragen zum
Steuerrecht ist die Beratung für Mitglieder der Arbeitnehmerkammer
Bremen kostenlos. Wenn Sie Hilfe bei der Erstellung Ihrer Steuererklärung brauchen, vereinbaren Sie bitte einen Termin für eine persönliche
Beratung. Für diese Beratungsleistung nehmen wir zehn Euro Gebühr.
Terminvereinbarung: Bremen-Stadt 0421·36301-59
Bremen-Nord 0421·66950-0 / Bremerhaven 0471·92235-59
❙ Als KammerCard-Inhaber können Sie Beratungstermine für die Steuererklärung auch online unter www.arbeitnehmerkammer.de/beratung/
steuerrecht vereinbaren. Eine KammerCard können Sie unter
www.arbeitnehmerkammer.de/kammercard beantragen.
Foto: iStock / TimArbaev
Alles, was Recht ist // 19
Service > Recht
Streitpunkt:
Schimmelpilzbefall
in Mietwohnung
Mieter und Vermieter streiten immer wieder darüber, wer für
Feuchtigkeitsmängel und Schimmelpilzbefall in der Wohnung verantwortlich ist.
Ist die Feuchtigkeit in der Wohnung hauptsächlich auf bauseitige Ursachen zurückzuführen, ändert nach einer Entscheidung
des Amtsgerichts Bremen* ein möglicherweise falsches Heizund Lüftungsverhalten des Mieters nichts an der Verantwortung
des Vermieters für den Mangel.
Aufgrund der erheblichen bauseitigen Mängel hielt das Amtsgericht den Mieter nicht für verpflichtet, die Wohnung über 18
Grad zu heizen, öfter als ein- bis zweimal täglich stoßzulüften
oder die Möbel mit Abstand zu den Wänden zu stellen, um der
Schimmelbildung entgegenzuwirken.
Für Schimmelpilzbefall in Küche, Bad und Wohnzimmer erkannte
es eine Mietminderung von 30 Prozent an.
*Urteil vom 16.06.2015 – 9 C 447/13
Marion Dobner n Rechtsberaterin in Bremen
Service > Steuer
Abzugsfähigkeit von
Handwerkerleistungen
§
Service > Steuer
Die Steuer-ID: Eine Nummer
für das ganze Leben
§
Auch Handwerkerleistungen, die jenseits der Grundstücksgrenze
auf fremdem Grund erbracht werden, können steuerlich begünstigt sein. Bei Arbeitslöhnen etwa, die in den Anschlusskosten
des Haushalts an das öffentliche Versorgungsnetz enthalten sind,
ermäßigt sich die Einkommensteuer um 20 Prozent (maximal
1.200 Euro).
Nunmehr hat das Finanzgericht Nürnberg entschieden*, dass
auch Beiträge, die von der Gemeinde für den Ausbau oder die
Erneuerung der Gemeindestraße vor dem Grundstück des Steuerpflichtigen erhoben werden, begünstigt sein sollen. Gegen diese
Entscheidung ist Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt worden. Falls das Finanzamt die Anerkennung der Aufwendungen verweigert, legen Sie bitte Einspruch ein und beantragen das Ruhen
des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs.
*Urteil vom 24.06.2015 – 7 K 1356/14
Har tmut Götten n Berater Steuerrecht in Bremerhaven
Jeder Bundesbürger hat seit 2008 eine individuelle Steueridentifikationsnummer (Steuer-ID), die vor allem dem Schriftverkehr mit dem
Finanzamt dient. Sie finden ihre Steuer-ID im Einkommenssteuerbescheid oder auf der Lohnsteuerbescheinigung. Sie besteht
aus 11 Ziffern, ist einmalig und gilt ein Leben lang. Darunter
gespeichert sind alle wichtigen Daten wie Tag und Ort der Geburt,
Geschlecht, Familienname, Vornamen, Anschrift und zuständige
Finanzbehörden. Kinder erhalten ihre Steuer- ID bereits nach der
Geburt.
Die Daten liegen beim Bundeszentralamt für Steuern. Dort
können Sie Ihre Steuer-ID auch neu anfordern (Bzst.de). Die Bearbeitung dauert bis zu vier Wochen und die Nummer wird dann per
Brief versandt.
Ab 2016 ist die Steuer-ID auch für das Kindergeld sowie für die
Freistellungsaufträge bei allen Bankverbindungen in Deutschland
nötig.
Heike Dunker n Beraterin Steuerrecht in Bremerhaven
Arbeitnehmerkammer Bremen / Bürgerstraße 1 / 28 195 Bremen /
// Veranstaltungen
Postvertriebsstück, DPAG, Entgelt bezahlt
Programm
Kontakt:
Telefon 0421·36301-0 / Fax 0421·36301-89
[email protected]
Weitere Infos zu den Veranstaltungen unter:
www.arbeitnehmerkammer.de/veranstaltungen
Arbeit und Politik
12 J a n u a r
Du bleibst, was du bist
Warum bei uns immer noch die
soziale Herkunft entscheidet.
18 Uhr | Arbeitnehmerkammer,
Kultur
20
Januar
Bürgerstraße 1, 28195 Bremen
Verliehen, verraten und
verkauft?
Diskussion zur Reform von
Leiharbeit und Werkverträgen.
15 Uhr | Kultursaal der
13
Arbeitnehmerkammer Bremen,
Bürgerstraße 1, 28195 Bremen
Januar
Demografischer Wandel –
Herausforderung für Politik
und Wirtschaft
Kooperationsveranstaltung mit
der Handelskammer Bremen.
14 Uhr | Schütting, Großer Saal
14
Januar
Private Altersvorsorge
15 Uhr | Forum der Geschäftsstelle Bremerhaven, Barkhausenstraße 16, 27568 Bremerhaven
19
Januar
Du bleibst, was du bist
Warum bei uns immer noch die
soziale Herkunft entscheidet.
18 Uhr | Forum der Geschäftsstelle Bremerhaven, Barkhausenstraße 16, 27568 Bremerhaven
Malerei und Architektur
Ansichten – Aussichten –
Durchsichten: Werke
von Renate Hoffmann
12. Januar
bis 29. Februar 2016
21
Januar
Aufwertung von
Frauenberufen
Was ist meine Arbeit wert?
10 Uhr | Kultursaal der Arbeitnehmerkammer Bremen,
Bürgerstraße 1, 28195 Bremen
22
Januar
sleep – work – eat – repeat
Zur Darstellung von Arbeit in
den Medien. In Kooperation mit
Studierenden der Uni Bremen.
18 Uhr | Kultursaal der Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1,
28195 Bremen
18. Jan. bis 26. Feb. 2016
›Meereslandschaften‹
Ausstellung mit Fotografien des
Helgoländers Franz Schensky
(1871–1957).
| Galerie im Foyer, Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1,
28195 Bremen
| Öffnungszeiten:
Mo bis Do 8–18.30 Uhr,
Fr 8–13 Uhr
K U LT U R B R E M E R H A V E N
12
Januar
Ausstellungseröffnung:
Ansichten – Aussichten –
Durchsichten: Werke von
Renate Hoffmann
Malerei und Architektur –
Wohn- und Arbeitswelt.
Die Ausstellung ist zu sehen vom
12. Januar bis 29. Februar 2016.
| Galerie am Neuen Hafen,
Geschäftsstelle Bremerhaven,
Barkhausenstraße 16,
27568 Bremerhaven
| Öffnungszeiten:
Mo, Mi 8–18.30 Uhr, Di, Do
8–16.30 Uhr, Fr 8–13 Uhr