Nummer 01 _ Januar 2016 Bremer Arbeitnehmer Magazin Informationen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bremen und Bremerhaven Daniel Sprengel Croupier bei der Spielbank Bremen Seite 4 Warum Frauen immer noch weniger verdienen Seite 14 Arbeitslos – und jetzt? Ein Leitfaden Inhalt 02 // Inhalt Themen Schwerpunkt: Gehälter in Deutschland : Warum Frauen immer noch weniger verdienen : Frauen im Einzelhandel : Arbeitnehmerinnen erzählen 04 – 08 // Politik 12 – 13 // : Berufsbegleitendes Studieren – ›Ohne Rückendeckung der Familie nicht zu schaffen‹ : Arbeitslos – und jetzt? 14 – 15 // Aus der Arbeitnehmerkammer 10 – 11 // : Abmahnungen nicht auf die leichte Schulter nehmen wisoak 08 – 09 // : Bildungsurlaub in der modernisierten Bildungsstätte Bad Zwischenahn Service 92 / G a l e r i e d e r A r b e i t s w e l t Daniel Sprengel, 26 Jahre, arbeitet als Croupier bei der Spielbank Bremen. Ein Croupier sorgt für den regelgerechten Ablauf eines Spiels. Nach dem Abitur studierte Sprengel ›Integrated Safety and Security Gesundheit 16 // : Von den Profis lernen – Tipps für Pflegende Management‹, 2009 fing er als studentische Aushilfe bei der Spielbank an. ›Im Grunde habe ich mir mit dieser Arbeit mein Studium finanziert, die Arbeitszeiten kollidierten nicht mit den Vorlesungszeiten‹, sagt Sprengel, der gerade seine Masterarbeit abgegeben hat. Mittlerweile arbeitet Medientipps und Reihe ›Rechtsirrtümer‹ 17 // : ›Reduzierte Ware kann ich nicht umtauschen‹ Sprengel in Vollzeit als Croupier. Die Ausbildung zum Croupier beginnt mit einer vierwöchigen Pokerausbildung. ›Poker ist sehr interessant, erfordert aber auch vom Croupier Aus der Beratung 18 // : Außergewöhnliche Belastungen in der Steuererklärung ein gewisses Spielverständnis. Es bleibt ein Glücksspiel, ist aber auch ein Sport‹, sagt Daniel Sprengel. Mittlerweile bildet er in diesem Bereich auch aus. Drei Wochen Blackjack und zehn bis zwölf Wochen American Roulette gehören auch zur Ausbildung sowie eine Sozialkonzeptschulung. Alles, was Recht ist Hier geht es um Spieler- und Jugendschutz. 19 // Fingerspitzengefühl mitbringen. Die Fähigkeit zum Multitasking muss 20 // unbedingt vorhanden sein, der Croupier braucht drei Hände, drei Augen Impressum : Streitpunkt: Schimmelpilzbefall in Mietwohnung : Abzugsfähigkeit von Handwerkerleistungen : Die Steuer-ID: Eine Nummer für das ganze Leben ›Die Arbeit gefällt mir gut, ich möchte gerne noch einige Zeit in diesem Beruf arbeiten‹, so Sprengel. Aufstiegsmöglichkeiten bieten sich zum Tisch- und zum Saalchef. ›Der Umgang mit den Gästen macht mir sehr viel Spaß, man muss aber ein gutes Serviceverhalten und ein gutes Veranstaltungen und drei Ohren. Ein wenig Psychologie spielt in diesem Beruf auch immer eine Rolle, besonders, wenn ein Gast mal einen nicht so guten Tag hat.‹ Die Spielbank in Bremen sucht immer Nachwuchs, auch aktuell. Jeder, der den Ausbildungskurs besteht, bekommt auch einen Job angeboten, allerdings wird während der Kurse auch aussortiert. Voraussetzungen sind ein einwandfreies Führungszeugnis, eine rasche Auffassungsgabe und ein gutes Zahlenverständnis. ›Und man muss schon wissen, ob man geeignet ist für die Nachtarbeit, ebenso die Feiertagsarbeit. Wir arbeiten, wenn andere Spaß haben und wir haben Spaß bei der Arbeit‹, sagt Daniel Sprengel. Herausgeber_ Arbeitnehmerkammer Bremen Bürgerstraße 1 / 28 195 Bremen / Telefon 04 21· 363 01- 0 / Fax 04 21·363 01- 89 Internet_ www.arbeitnehmerkammer.de E-Mail_ [email protected] Autoren/Autorinnen_ Janet Binder (bin) / Carola Bury Marion Dobner / Heike Dunker / Hartmut Götten / Meike Lorenzen (lor) / Hanna Mollenhauer (mol) / Hella Weise Redaktion_ Nathalie Sander (san) (V.i.S.d.P.) Hanna Mollenhauer (mol) Lektorat_ Martina Kedenburg Fotos_ Kay Michalak (Titel) / Kay Michalak / iStockphoto.com / Kampagne Dein Rücken Layout_ Designbüro Möhlenkamp & Schuldt Druck_ Müller Ditzen AG, Bremerhaven Erscheint zu Beginn und in der Mitte eines Quartals. Einzelverkaufspreis 2 Euro, Jahresabonnement 15 Euro, für Kammerzugehörige im Mitgliedsbeitrag enthalten. ISSN 1614-5747, Postvertriebs-Nummer H 43672 Editorial // 03 Editorial Liebe Kolleginnen und Kollegen, in typischen Frauenberufen verdienen Vollzeitkräfte weitaus weniger als Männer in der Industrie. Im vergangenen Jahr haben wir uns sehr stark mit den sozialen Dienstleistungen mit ihren mehr als 40.000 Beschäftigten in Bremen – überwiegend Frauen – auseinandergesetzt. Diese personenbezogenen Dienstleistungen sind für unsere Gesellschaft unverzichtbar. Die Arbeit mit unterstützungsbedürftigen Menschen ist aber oft schlecht bezahlt und verlangt viel von den Beschäftigten: psychische und körperliche Belastbarkeit, Flexibilität und beständige Bereitschaft, sich einzusetzen. Es ist notwendig, dass die Arbeitsbedingungen verbessert werden und die geleistete Arbeit, auch durch höhere Löhne, anerkannt wird. Vor diesem Hintergrund gab es am Ende des Jahres 2015 eine unerfreuliche Nachricht, denn der Tarifvertrag für Auszubildende in der Altenpflege im Land Bremen ist nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden. Damit ist ein erster Schritt in Richtung eines einheitlichen Tarifs in der deutschen Altenpflege gescheitert. So wird der harte Wettbewerb unter den Pflegeanbietern weiter auf dem Rücken der Auszubildenden und der Beschäftigten ausgetragen und nicht über die Qualität entschieden! Vorreiter sollte der seit August 2015 geltende erste Tarifvertrag für Altenpflege-Azubis in Bremen und Niedersachsen sein, den ver.di mit den Arbeitgebern der freien Wohlfahrtspflege ausgehandelt hat. In Bremen gilt er für die Auszubildenden der ›Tarifgemeinschaft Pflege Bremen‹, der 15 Pflegeanbieter aus Bremen und Bremerhaven angehören. Vereinbart wurden einheitliche und rund 20 Prozent höhere Vergütungen, verbindliche Arbeitszeiten und eine neue Urlaubsregelung. Die Ablehnung der Allgemeinverbindlichkeit hat keine negativen Auswirkungen für diese 234 Auszubildenden. Eine Zustimmung hätte aber auch alle weiteren Arbeitgeber in der ambulanten und stationären Altenpflege in Bremen an den Tarifvertrag gebunden. Dabei brauchen wir in Zukunft mehr Beschäftigte in der Alten- und Krankenpflege und deshalb auch mehr Auszubildende. Und um die zu bekommen, konkurriert die Pflegebranche mit den Krankenhäusern, dem Handel oder dem Handwerk. Will man junge Menschen für die Pflege gewinnen, müssen die Bedingungen gut sein. Ihr Peter Kruse Präsident der Arbeitnehmerkammer Bremen 04 // Schwerpunkt: Warum Frauen immer noch weniger verdienen Gehälter in Deutschland Warum Frauen immer noch weniger verdienen Dass Männer in der Bundesrepublik besser bezahlt werden als Frauen, ist nicht neu. Doch woran liegt es, dass sich an der finanziellen Schlechterstellung von Frauen nichts ändert? Über die Probleme eines scheinbar festgefahrenen Systems. Jennifer Lawrence hat Klartext geredet. Durch ein Internet-Leck bei der Produktionsfirma Sony Pictures erfuhr die US-Schauspielerin, dass ihre männlichen Co-Stars im Blockbuster ›American Hustle‹ deutlich mehr verdient hatten als sie selbst. Sie habe in den Gehaltsverhandlungen nicht als ›schwierig‹ gelten wollen, schrieb sie in einem öffentlichen Statement. Damit sei künftig Schluss. ›Ich glaube nicht, dass ein Mann darüber grübelt, welchen Standpunkt er wählen sollte, um gehört zu werden. Er wird einfach gehört‹, so Lawrence. So weit weg die Gehälter der Hollywood-Stars von Bremen sind, wenn es um die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen geht, haben viele Hanseatinnen etwas mit der Schauspielerin gemein: Sie verdienen trotz gleicher Ausbildung und Tätigkeit oft deutlich weniger als ihre Kollegen. Die Zahlen sind konstant, seit 2006 hat sich das Gehaltsgefälle kaum verändert. Unter den abhängig Beschäftigten haben laut Statistischem Bundesamt (Destatis) Männer im Jahr 2014 etwa 22 Prozent mehr verdient als Frauen – eine Zahl, die jedes Jahr zum Equal Pay Day weltweit bemängelt wird. Bezogen wird sie auf den durchschnittlichen Bruttostundenlohn. Beschäftigte in der Landwirtschaft, der öffentlichen Verwaltung sowie in Betrieben mit bis zu zehn Beschäftigten werden nicht berücksichtigt. Grund für die starke Differenz ist unter anderem, dass Frauen öfter in Teilzeit arbeiten. Doch auch bei exakt gleicher Arbeit bleibt ein Lohnabstand zu den Männern von sieben Prozent bestehen. Betroffen sind Frauen aller Branchen – vom Sekretariat bis zum Management. Zur strategischen Abwertung von Frauenberufen Zudem werden klassische Frauenberufe inzwischen per se finanziell schlechter entlohnt. ›Wir können festhalten, dass sich der Frauenanteil in einem Beruf negativ auf das dort vorherrschende Lohnniveau auswirkt‹, sagt Sarah Lillemeier, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen. Sie erforscht die Frage, ob Frauenberufe strategisch abgewertet werden. Konkret: Gibt es eine Systematik dahinter, dass Arzthelferinnen, Einzelhändlerinnen, Personal aus der Hotellerie und Gastronomie oder Fachangestellte in Sekretariaten besonders schlecht bezahlt werden? Einige Indizien sprechen dafür, allem voran die festgefahrenen Verfahren, die die Lohnstrukturen in einem Großteil der deutschen Unternehmen und Einrichtungen vorgeben. ›Wesentliche Faktoren für die Eingruppierung sind in der Regel Qualifikation und Verantwortung‹, sagt Sarah Lillemeier. ›Psychosoziale Anforderungen und Belastungen spielen häufig keine Rolle, obwohl diese gerade in den weiblich dominierten Berufen eine der größten Herausfor- // 05 der erwerbstätigen deutschen Mütter in Teilzeit oder als Minijobberin beschäftigt. ›Frauen übernehmen auch heute noch zum Großteil den Haushalt und die Kindererziehung‹, sagt Esther Schröder, Gleichstellungsexpertin bei der Arbeitnehmerkammer Bremen. Sobald Frauen ein Kind bekommen, scheiden sie aus dem Arbeitsleben aus und kehren nicht als Vollzeitbeschäftigte zurück. ›Es hat sich einiges getan, dennoch fehlt es noch immer an einer ausreichenden und qualitativ akzeptablen Betreuung, insbesondere der Kinder im Vorschulalter‹, sagt Sarah Lillemeier. ›Diese Vereinbarkeitsproblematik trifft weiterhin insbesondere die Frauen, die ihre Erwerbstätigkeit deshalb unterbrechen beziehungsweise reduzieren müssen, mit den entsprechenden Folgen für ihr eigenes Einkommen.‹ Solange Frauen eher schlechter verdienen als Männer, werden sie schon aus finanziellen Gründen auch künftig eher zu Hause bleiben. Eine bessere und vor allem kostengünstige Kinderbetreuung ist für Frauen also wesentlich, um in Vollzeit arbeiten zu können. Das gilt besonders für Frauen, die wenig Einkommen haben und genau durchrechnen, ob sich die Rückkehr in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit überhaupt lohnt. Pflegefall in der Familie derungen darstellen.‹ Konkret: Wer ein Studium absolviert hat und Personal führen muss, bekommt mehr Geld als jemand, der Tag für Tag für das gleiche Unternehmen mit Schwerstbehinderten oder alten Menschen arbeitet. Wie belastend die jeweilige Tätigkeit ist, spiegelt sich auf dem Lohnscheck nicht wider. ›Die traditionellen Verfahren der Arbeitsbewertung müssen modernisiert und geschlechtsneutral ausgestaltet werden, um den aktuellen Arbeitsbedingungen und Arbeitsmarktstrukturen gerecht zu werden‹, sagt Lillemeier. Was sie fordert, entspricht letztlich dem Gesetz der Entgeltgleichheit. Dieses ist bereits seit 1957 Teil des EG-Vertrages, allerdings nicht rechtsverbindlich. Neben dem Lohn behandelt es weitere Aspekte wie zum Beispiel den Zugang zu Beschäftigung, berufliche Aufstiegsmöglichkeiten und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Gerade Letzteres ist für viele Frauen immer noch eine große Hürde, um zumindest bei der Arbeitszeit mit den Männern statistisch gleichzuziehen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf Etwa 90 Prozent der Mütter nehmen laut Elterngeldstatistik zehn bis zwölf Monate Elternzeit, während knapp 80 Prozent der Männer zwei Monate beantragten. Außerdem sind 70 Prozent Foto: privat Sarah Lillemeier, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen Der Frauenanteil in einem Beruf wirkt sich negativ auf das dort vorherrschende Lohnniveau aus. Auch wenn Angehörige pflegebedürftig werden, sind es oft die Frauen, die zu Hause bleiben. Das deutsche System baut darauf, dass Familienmitglieder oder andere sich ehrenamtlich engagieren und so die Betreuung von Angehörigen gewährleisten. An zweiter Stelle kommen private Dienstleister zum Einsatz. Unterstützt werden Familien nur durch Teilfinanzierungen des Staates. Die Leipziger Trainerin Cornelia Heintze prangert seit Jahren in ihren Vorträgen zum Pflegesystem diesen Missstand an. Sie zieht zum Vergleich gerne das System in den skandinavischen Ländern heran, wo sich an erster Stelle kommunale Dienste um die Betreuung von Betroffenen kümmern. Erst an zweiter Stelle unterstützen Angehörige und Dienstleister. In Skandinavien sei das Ehrenamt das Sahnehäubchen, trage aber nicht das System, sagt sie. Auch das habe mit der Wertschätzung von vermeintlichen Frauentätigkeiten zu tun. Gegen Stereotype angehen Unterm Strich zeigt sich, dass einfach mehr fordern – wie es Schauspielerin Jennifer Lawrence in ihren Gehaltsverhandlungen künftig tun will – nicht ausreicht. In einer Gesellschaft, in der sich laut wissenschaftlichen Erhebungen, seit 30 Jahren nichts an der Berufswahl von Frauen ändert, ist Engagement auf allen Ebenen gefragt – vom Einzelnen, vom Staat und auch von den Arbeitgebern. ›Letztlich müssen wir über Jahrhunderte verhärtete Geschlechterstereotype aufbrechen‹, sagt Lillemeier. ›Darin inbegriffene Statusannahmen sorgen dafür, dass Berufe, die in der Mehrzahl von Frauen ausgeübt werden, geringer bewertet und bezahlt werden. Ganz nach dem Motto Frauenarbeit ist leichte Arbeit.‹ (lor) Zu diesem Thema lädt die Arbeitnehmerkammer Bremen ein zu der Veranstaltung ›Aufwertung von Frauenberufen‹ am Donnerstag, 21. Januar, 10 bis 16 Uhr, in den Kultursaal, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen. Vertreterinnen unterschiedlicher klassischer Frauenberufe kommen dann ebenso zu Wort wie Vertreter aus Gewerkschaft und Wissenschaft, unter anderem Sarah Lillemeier und Cornelia Heintze. 06 // Schwerpunkt: Warum Frauen immer noch weniger verdienen Frauen im Einzelhandel Wenn Regina Bonne (53) die Regale der Elektroabteilung im Real-Markt in der Duckwitzstraße umräumt, würdigen sie die Kunden nur selten eines Blickes. Brauchen sie doch Hilfe, fragen sie oft patzig in ihren Rücken, wollen die schnelle Antwort. ›Die Leute haben keine Zeit mehr‹, sagt Bonne. Es sei selten, dass ihr jemand für eine Auskunft danke. Im Gegenteil werde ihre Beratung oft angezweifelt. ›Ist auch ein männlicher Kollege im Haus?‹, heißt es dann. In ihren über 30 Arbeitsjahren habe sich der Umgangston gegenüber ihr als Verkäuferin stark verändert. Im Land Bremen sind gut 28.000 Menschen im Einzelhandel tätig. 70 Prozent von ihnen sind weiblich. Regina Bonne ist eine der wenigen Frauen im Markt, die als Vollzeitkraft beschäftigt ist. Fünf Tage in der Woche arbeitet sie zwischen 7.30 und 16 Uhr. Sie hat Glück, andere Kollegen arbeiten im Schichtsystem bis 22 Uhr in den Abend hinein. Einen Samstag im Monat haben Regina Bonne und ihre Kollegen frei, wenn niemand krank wird oder jemand in Urlaubszeiten einspringen muss. Für ihre Arbeit bekommt Regina Bonne 1.500 Euro netto. ›Da ich alleine bin, kann ich Vollzeit arbeiten‹, sagt sie. ›Außerdem habe ich noch einen Tarifvertrag.‹ Im Juni ist Real aus der Tarifbindung ausgestiegen. Die Gewerkschaft ver.di hat am Beispiel einer seit sechs Jahren im Unternehmen beschäftigten Person vorgerechnet, dass damit binnen 21 Monaten fast 2.000 Euro des Bruttogehalts wegfallen. Mit der Tarifflucht ist das Unternehmen nicht alleine. Die ganze Branche krankt an sinkenden Gehältern. Das Einstiegsgehalt einer Verkäuferin liegt laut einer Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen zum Strukturwandel im Land in den tarifgebundenen Betrieben bei einer Vollzeitstelle knapp über 1.500 Euro brutto. Susanne Meister (links), Betriebsratsvorsitzende, und Regina Bonne, Verkäuferin, arbeiten im Real-Markt in der Duckwitzstraße. Nur noch jede vierte Frau im Einzelhandel könne danach von ihrem Verdienst leben. ›Minijobs, Teilzeit und Werkverträge verdrängen existenzsichernde Arbeitsplätze‹, sagt Marion Salot, Referentin für Wirtschaftspolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen. ›Dadurch können die Unternehmer flexibler auf den wachsenden Konkurrenzdruck am Markt reagieren‹, weiß auch Susanne Meister, Betriebsratsvorsitzende im Real-Markt an der Duckwitzstraße. Und für viele Frauen, die ihre Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, sei eine Teilzeitbeschäftigung für den Moment oft attraktiver. ›Doch beim Blick auf die Rentenabrechnung wird dann deutlich, dass viele Verkäuferinnen in Altersarmut landen werden‹, so Meister. Ausgelöst wurde der Wandel in der Branche durch verschiedene Faktoren. Ein Punkt sind zum Beispiel die erweiterten Ladenöffnungszeiten. Zudem wächst der Druck durch den Online-Handel, der mittlerweile bundesweit neun Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht. ›Die Wertschätzung für unseren Beruf ist nicht sehr hoch‹, sagt Regina Bonne. ›Das geht doch schon mit der immer schlechteren Ausbildung los. Wer eine Ausbildung im Supermarkt macht, ist eher ein besserer Packer als ein Verkäufer.‹ Dennoch liebt sie ihren Job und hofft, dass sich die Wahrnehmung auf ihn eines Tages wieder verbessern wird. Betriebsrätin Susanne Meister ist da optimistisch. ›Wir werden künftig wieder mehr beraten müssen – und damit werden wir für die Kunden wieder stärker zu Partnern‹, glaubt sie. ›Eltern wollen heutzutage wissen, woher ihr Fleisch kommt oder wie bestimmte Lebensmittel produziert wurden, die sie ihren Kindern zu essen geben.‹ Auch der Beratungsbedarf bei den Elektrogeräten sei enorm angewachsen. ›Das ist eine echte Chance für den Einzelhandel – wenn die Leistung angemessen entlohnt wird‹, sagt Meister. (lor) // 07 ARBEITNEHMERINNEN ERZÄHLEN MARTINA N OWA K (43) gelernte Krankenschwester Wie sieht der Berufsalltag aus? Für die individuelle Schwerstbehindertenbetreuung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) organisiere ich die Versorgung von 16 Patienten. Die Klienten werden rund um die Uhr betreut. Im Jahr fallen etwa 55.000 Stunden an, die unter 80 Assistenten aufgeteilt werden. Was ist die größte Herausforderung im Beruf? Die Schichten müssen besetzt sein. Wird jemand krank, brauchen wir einen Ersatz. Dass ein Patient unbetreut bleibt, ist keine Option. Es ist hart, die Mitarbeiter zu überreden, ihren freien Tag aufzugeben. Wie viel verdienen Sie? Nach der Geburt der Kinder habe ich über zehn Jahre als 630DM-Kraft in der Hauspflege gearbeitet. Anfangs für sechs Stunden in der Woche, meist am Wochenende oder am Abend, wenn mein Mann zu Hause war. Damals gab es noch keinen Anspruch auf einen Krippenplatz, eine Tagesmutter konnten wir uns nicht leisten. Alle vier bis sechs Wochen hatte ich Rufbereitschaft. Sobald jemand krank wurde, musste ich einspringen. Die Stunden, in denen ich draußen war, wurden voll entlohnt. Für die restliche Zeit habe ich 25 Prozent des Gehalts bekommen. Im Februar 2013 bin ich ins Büro gewechselt. Hier arbeite ich 25 Stunden in der Woche und verdiene 1.991,71 Euro brutto. Ursprünglich war das Gehalt geringer. Auf einer ver.di-Veranstaltung habe ich erfahren, dass es unter den üblichen Löhnen liegt. Das habe ich bei der Geschäftsführung angesprochen und eine Gehaltserhöhung bekommen. Allerdings sind erst vor Kurzem meine Stunden von 30 auf 25 reduziert worden. Ist das Gehalt gerecht? Es ist seltsam, dass Bürojobs, bei denen es nicht um Leben und Tod geht, mit über 3.000 Euro brutto entlohnt werden. Wenn wir mehr Geld fordern, heißt es immer: ›Das ist nicht refinanzierbar.‹ Aber darf das ein Argument sein? Für andere Dinge sind doch auch öffentliche Gelder da. Wie könnte das System gerechter werden? Der psychische Druck in der Pflegebranche insgesamt ist sehr hoch. Ich weiß noch aus meiner Zeit in der häuslichen Pflege, wie flexibel man sein, an freien Tagen doch zum Dienst erscheinen oder Überstunden in Kauf nehmen muss. Das ist bei der Arbeit mit Menschen alternativlos. Ich persönlich fände es toll, wenn es ein allgemein verbindliches Instrument gäbe, um diese Flexibilität wirklich zu würdigen – vor allem finanziell. CORNELIA BR AEUTIGAM (63) staatlich anerkannte Erzieherin Wie sieht der Berufsalltag aus? Ich bin seit 41 Jahren in Vollzeit beschäftigt. Angestellt bin ich bei Kita Bremen. Mein Arbeitsplatz ist in einer Kita, dort arbeite ich im Hort mit Schulkindern im Alter von sechs bis zehn Jahren. Die Kinder kommen nach der Schule zu mir in den Hort und werden von mir betreut, bis sie nach Hause gehen. Außerdem bin ich noch im Elementarbereich als Sprachförderin tätig. Was ist die größte Herausforderung im Beruf? Die Alltagssituationen, die jeden Tag anders sind, zu meistern und der Versuch, es jedem recht zu machen. Der Lärmpegel ist belastend. Außerdem ist es den Erziehern bisher kaum möglich, Pausen zu machen, da es keine geeigneten Räumlichkeiten gibt. Einen Internetzugang haben wir nicht und teilweise sind nicht mal geeignete Stühle für Erwachsene in den Gruppenräumen vorhanden. Auch an den sanitären Einrichtungen hapert es. Getrennte Damen- und Herrentoiletten so wie ein Besucher-WC sind nicht vorhanden. Die Gruppen mit 20 Kindern sind viel zu groß, um auf die individuellen Bedürfnisse und Belange der Kinder eingehen zu können. Wie viel verdienen Sie? Ich bin seit über 41 Jahren im öffentlichen Dienst beschäftigt und werde nach Tarif bezahlt. Netto liegt das Gehalt derzeit bei etwa 1.950 Euro im Monat. Ist das Gehalt gerecht? Verglichen mit einem Facharbeiter in der Industrie ist es zu wenig. Man muss sich fragen, warum eine Person, die Sachgegenstände herstellt und eine dreijährige Ausbildung gemacht hat, mehr verdient, als jemand, der durch eine fünfjährige Ausbildung gegangen ist und Kinder bei der Bildung, Förderung und Erziehung begleitet. Auch mit Blick auf das, was nach der Rente vom Gehalt übrig bleibt, ist das Gehalt viel zu gering. Dass viele junge Kollegen in Teilzeit arbeiten, wird sie im Alter einholen. Doch unter den aktuellen Bedingungen voll zu arbeiten, ist für viele – vor allem, wenn sie selbst Familie haben – eine große Herausforderung. Wie könnte das System gerechter werden? Wir brauchen bessere Rahmen- und Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung, um unseren Beruf aufzuwerten. Unter den aktuellen Bedingungen ist es schwierig, Nachwuchs zu bekommen. Vor allem für Männer ist der Beruf aufgrund der Bezahlung nicht so interessant. Dabei wäre das Geld bei den Behörden durchaus da – es müsste anders verteilt werden. Das ist letztlich eine Frage der Prioritätensetzung. Fragen: lor 08 // wisoak Zeit für Bildung – Zeit für mich Bildungsurlaub in der modernisierten Bildungsstätte Bad Zwischenahn Zeit für Bildung – Zeit für mich Raus aus dem Trott: In der renovierten Bildungsstätte Bad Zwischenahn der Arbeitnehmerkammer Bremen können die Teilnehmer der Seminare bis zu fünf Tage Neues lernen und gleichzeitig vom Alltag abschalten. Das Haus hat viele Stammgäste, die das Konzept schätzen. Ewald Wiesner macht regelmäßig Bildungsurlaub. Der 50-Jährige ist Hafenfacharbeiter, er transportiert im Bremerhavener Überseehafen als Van-Carrier-Fahrer im Schichtdienst Container. Wenn er seinen jährlichen fünftägigen Bildungsurlaub nimmt, gestaltet er ihn als kleine Flucht aus dem Alltagstrott. Deshalb war er schon zehnmal in der Bildungsstätte Bad Zwischenahn der Arbeitnehmerkammer Bremen. ›Man kommt von zu Hause und dem Schichtdienst mal raus‹, sagt er. Meist sucht er sich ein Seminar gemeinsam mit Kollegen aus, mit denen er abends noch zusammensitzen kann. Aber auch den Austausch mit Beschäftigten aus anderen Branchen findet er wichtig. Bis zu 70 Bildungsurlaube zur politischen Bildung bietet die Wirtschafts- und Sozialakademie der Arbeitnehmerkammer Bremen (wisoak) in Bad Zwischenahn an, dazu kommen bis zu 20 Wochenendseminare. ›Pro Jahr haben wir so über 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer‹, sagt Asmus Nitschke von der wisoak. ›Bildungsurlaub ermutigt Menschen, sich politisch zu engagieren und Standpunkt zu beziehen.‹ ›Bremen und das Meer‹ heißt das Seminar, das Ewald Wiesner zusammen mit mehreren seiner Van-Carrier-Kollegen besucht. Es geht um die Geschichte der bremischen Häfen und die damit verbundene Stadtentwicklung – ein Thema, das ihn schon allein von Berufs wegen interessiert. Bei seinem ersten Bildungsurlaub fremdelte er noch ein wenig mit der Unterrichtssituation, die ihn an seine Schulzeit erinnerte. ›Vorne stand wieder ein Lehrer‹, schmunzelt er. Doch seine Befangenheit legte sich schnell – erst recht in den Kursen von Dozent Uwe Kempf, dessen Seminare Wiesner nun schon zum vierten Mal besucht. ›Ich mag seine lockere Art‹, lobt der Hafenarbeiter. Hafen wurde zum Leib- und Magen-Thema Der 67-jährige Historiker Kempf leitet bereits seit 20 Jahren Seminare in Bad Zwischenahn. Seine Leib- und Magen-Themen sind die Stadt- und Hafenentwicklung geworden. 14 Männer und fünf Frauen sitzen in seinem Kurs ›Bremen und das Meer‹. ›Das Thema ist sehr stark männerdominiert, im Hafen arbeiten doch meistens Männer, auch wenn die Zahl der Frauen zunimmt‹, sagt Kempf. Eine der Teilnehmerinnen im Seminar ist Gabriele Halberscheid-Bergmann. ›Mich interessiert die Entwicklung von Städten‹, sagt sie über ihre Motivation für die Wahl des Bildungsurlaubs. Dozent Kempf erzählt auf anschauliche und amüsante Art und Weise, wie der erste Container per Schiff in den Bremer Hafen kam. Es war der 6. Mai 1966 und der erste Seecontainer überhaupt in Deutschland. ›Das war eine Revolution für das weltweite Transportwesen‹, sagt Kempf. Von da an veränderte sich die Hafenlandschaft rasant, Bremerhaven gewann als maritimer Standort immer mehr an Bedeutung – während Bremen diese verlor. 1971 entstand der erste Containerliegeplatz in Bremerhaven. Dozent und Teilnehmende des Bildungsurlaubs ›Bremen und das Meer‹ – hier geht es um die Entwicklung der bremischen Häfen und die damit verbundene Stadtentwicklung. ›Der Hafen ging aus der Stadt Bremen‹, betont Kempf. Und das hatte weitreichende Folgen für die Bewohner und auch für das Stadtbild. Exkursionen zur Papenburger Meyer Werft und zum JadeWeserPort in Wilhelmshaven sollen die maritime Entwicklung außerhalb Bremens verdeutlichen. ›Das war der Wunsch der Teilnehmer‹, sagt Uwe Kempf. Die technologische Entwicklung macht auch heute keinen Halt. Das wird besonders klar, als die Hafenfacharbeiter von ihren Befürchtungen erzählen, dass bald schon Van-Carrier auf Schienen und ohne Fahrer in den Häfen eingesetzt werden könnten. ›Was wird dann aus unseren Jobs?‹, lautet die bange Frage. Nicht abgelenkt von alltäglichen Dingen Rund die Hälfte der Seminarteilnehmer sind Hafenarbeiter. Die Sozialpädagogin Gabriele Halberscheid-Bergmann findet es spannend, nicht nur vom Dozenten Wissenswertes über die Häfen zu erfahren. ›Man bekommt authentische Berichte von Leuten, die dort arbeiten‹, sagt die 60-Jährige, die in einer Grundschule arbeitet. Andere Teilnehmer sind bei Mercedes, Airbus, im öffentlichen Dienst und bei der Bremer Straßenbahn AG beschäftigt. Für Halberscheid-Bergmann ist es wichtig, für den Bildungsurlaub von zu Hause weg zu sein. ›Man ist mehr bei der Sache, nicht so abgelenkt durch die alltäglichen Dinge‹, betont sie. Dozent Kempf weiß, dass es auch für die Gruppendynamik gut ist, wenn die Teilnehmer abends noch zusammenbleiben. Auch Siggi Wolfram mag es, im Bildungsurlaub ein paar Tage aus dem Alltag rauszukommen. ›Ich komme immer gestärkt mit anderen Inhalten in die Arbeit zurück‹, sagt der 62-Jährige, der bei der Gewoba beschäftigt ist. Er kann es deshalb auch nicht nachvollziehen, warum nur drei Prozent der Beschäftigten in Bremen den ihnen zustehenden Bildungsurlaub in Anspruch nehmen. Siggi Wolfram ist bereits das 17. Mal in der 1975 eröffneten Bildungsstätte Bad Zwischenahn. ›Das ist hier fast wie im Hotel‹, // 09 schwärmt er. Die 2011 begonnenen Modernisierungsmaßnahmen findet er gelungen. 30 Einzelzimmer wurden saniert. ›Sie sind jetzt hell und freundlich‹, sagt die Leiterin des Hauses, Gudrun Afken. Alle Zimmer sind mit einem Fernseher und WLAN ausgestattet, auch die Bäder wurden neu gemacht. Zudem wurden zwei behindertengerechte Zimmer hergerichtet. Die Flure und öffentlichen Toiletten wurden erneuert und die Kegelbahn und der Bierkeller ›aufgehübscht‹, wie Gudrun Afken sagt. ›Das hatte alles noch den Charme der 1970er-Jahre.‹ Eines hat sich nicht verändert: ›Das Essen war hier schon immer gut‹, sagt Siggi Wolfram und fügt hinzu: ›Und die Freundlichkeit des Personals.‹ Auch die Lage gefällt den Gästen. ›Man ist schnell im Ort oder, wenn man es ruhig mag, in der Natur‹, sagt Gudrun Afken. Viele leihen sich Fahrräder aus, um die Umgebung zu erkunden. ›Hier halten sich Bildung und Urlaub die Waage‹, sagt Teilnehmer Siggi Wolfram. Ewald Wiesner will seinen nächsten Bildungsurlaub wieder in Bad Zwischenahn verbringen. Für ihn stimmt die Mischung: ›Man bekommt Informationen, aber hat auch Spaß dabei. Das ist wichtig.‹ (bin) Bildungsurlaub ist in Bremen gesetzlich verankert: Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer, die oder der fünf Tage pro Woche arbeitet, hat innerhalb von zwei Jahren Anspruch auf einen Bildungsurlaub von zehn Arbeitstagen. Für Teilzeitbeschäftigte reduziert sich der Anspruch entsprechend. Früher musste ein Bildungsurlaub mindestens fünf Tage dauern, seit 2010 können auch ein- oder zweitägige Seminare besucht werden. Bildungsurlaube der wisoak in Bad Zwischenahn ❙ Flucht und Wanderung 7.3. – 11.3.2016 Das Seminar behandelt die Gründe für die aktuellen Flüchtlingsströme und diskutiert die Herausforderungen für die nationalen Integrationspolitiken. ❙ Terror und Gewalt im Namen des Islam? 5.12. – 9.12.2016 Das Seminar beleuchtet Hintergründe und diskutiert politische Lösungsansätze. Weitere Infos zur Bildungsstätte und zum Programm unter www.bildungsstaette-badzwischenahn.de. 10 // Aus der Arbeitnehmerkammer: Gelbe Karte Abmahnungen nicht auf die leichte Schulter nehmen Gelbe Karte destens 15 Minuten länger bleibe, habe sie gedacht, es komme morgens nicht auf die Minute drauf an. ›Das ist aber leider nicht richtig‹, sagt Rechtsexperte Thora, Solange der Betrieb keine Gleitzeit anbiete, könne sich die Arbeitnehmerin nicht das Recht herausnehmen, morgens später zu kommen. ›Wenn sie unzufrieden ist mit ihren Überstunden, muss sie gegen diese vorgehen‹, erklärt Thora. Auf den Einwand der Friseurin, dass sie doch nur minimal zu spät gekommen sei, macht der Berater klar: ›Für das einzelne Zuspätkommen wäre eine Abmahnung unverhältnismäßig, durch die Häufigkeit ist Für das einzelne sie gerechtfertigt.‹ Zuspätkommen wäre Mit einer Abmahnung hat der Arbeitgeber seiner Mitarbeiterin gewissermaßen die eine Abmahnung ›Gelbe Karte‹ gezeigt: Er kritisiert damit ein unverhältnismäßig, konkretes arbeitsvertragliches Fehlverhaldurch die Häufigkeit ten und weist darauf hin, dass im Wiederholungsfall die Kündigung folgt. Für eine ist sie gerechtfertigt. fristgerechte und verhaltensbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedarf es Eine Abmahnung hat wie beim Fußball die Funktion der ›Gelben Karte‹. Ändert der Beschäftigte sein Fehlverhalten nicht, muss er mit einer Kündigung rechnen. Doch nicht immer sind Abmahnungen gerechtfertigt, wie Fälle aus der Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer Bremen zeigen. Abmahnungen sind nicht nur ein Ärgernis, sie können einschneidende Folgen haben: ›Wenn der Arbeitgeber eine Abmahnung ausspricht, bereitet er in der Regel eine Kündigung vor‹, betont der kommissarische Leiter der Rechtsabteilung der Arbeitnehmerkammer Bremen, Sven Thora. Entsprechend aufgelöst kam eine Friseurin in die Rechtsberatung, die gerade eine Abmahnung von ihrem Chef erhalten hatte. Sie wollte ihren Job keinesfalls verlieren und war völlig fassungslos über ihre Abmahnung. Diese hatte sie bekommen, weil sie innerhalb von zwei Wochen an vier Tagen bis zu fünf Minuten zu spät zur Arbeit erschienen war. Der Laden öffnet um neun Uhr, sie muss eine Viertelstunde vorher da sein. Da sie abends in der Regel nicht pünktlich Feierabend machen könne und min- // 11 auch nicht drei Abmahnungen – eine genügt. ›Das Gerücht mit den drei Abmahnungen hält sich zwar hartnäckig, stimmt aber nicht‹, stellt Thora klar. nächsten Tag wieder für den Dienst zur Verfügung steht und eingeteilt werden kann. ›Er hätte sich laut Arbeitsvertrag bis zehn Uhr ob eine Abmahnung melden müssen, tat das aber erst eine Viertelrechtlich gültig ist oder stunde später‹, so Thora. Ob die Abmahnung Formale Fehler können Abmahnung gerechtfertigt war, konnte in der Rechtsberaungültig machen nicht, muss man sich tung zunächst nicht geklärt werden: ›Wenn der Nicht nur inhaltlich, sondern auch formal war der Verimmer den Einzelfall Dienstplan für den nächsten Tag erst am Nachweis für die Friseurin rechtlich nicht anfechtbar. ›Das mittag fertig sein muss, wäre die Abmahnung ist nicht immer so‹, sagt Thora. ›Viele Arbeitgeber anschauen. vermutlich unverhältnismäßig‹, so Thora. machen formale Fehler, die Abmahnung ist dann hinWerde der Plan aber schon um halb elf Uhr verfällig, auch wenn der Inhalt korrekt war.‹ Denn angeprangert werden muss nicht nur das konkrete Fehlschickt, hätte die späte Rückmeldung tatsächverhalten mit Orts- und Zeitangabe. Es muss auch deutlich lich Auswirkungen auf die Erstellung – und die Abmahnung seine gemacht werden, dass das Arbeitsverhältnis im wiederholten Fall Berechtigung. gefährdet ist. Wer eine Abmahnung erhält, sollte sich deshalb In der zweiten Abmahnung wurde dem Pfleger vorgeworfen, auf jeden Fall rechtlich beraten lassen. Die Arbeitnehmerkammer vor Patienten die Arbeit von Kollegen schlechtgemacht zu haben. bietet eine solche Beratung kostenlos für alle Beschäftigten an, ›Der Arbeitnehmer hatte dem Patienten gesagt, er sei von einer die in Bremen oder Bremerhaven arbeiten. ›Um die Frage zu anderen Pflegerin falsch eingecremt worden‹, sagt Thora. ›Das klären, ob eine Abmahnung rechtlich gültig ist oder nicht, muss hatte er auch zugegeben.‹ Er habe sich aber darauf berufen, man sich immer den Einzelfall anschauen‹, betont Thora. dass der Vorwurf richtig sei. ›Damit steht er aber in der BeweisDoch selbst wenn sich herausstellt, dass ein Verweis aus forpflicht. Wenn die Kollegin sagt, dass das nicht stimme, steht Ausmalen Gründen unwirksam ist, rät Thora, nicht immer dagegen sage gegen Aussage.‹ Das Gericht muss die Sachlage und damit vorzugehen. ›Manchmal ist es ratsamer, erst einmal gar nichts zu die Rechtmäßigkeit der Kündigung jetzt klären. machen.‹ Sollte später tatsächlich die Kündigung kommen, die Nicht immer kommt es nach einer Abmahnung auch zu einer sich auf die Abmahnung bezieht, sei immer noch Zeit, gegen die Kündigung. Kein Beschäftigter muss zudem befürchten, dass die ungerechtfertigte Abmahnung vorzugehen. ›Es gibt keine Frist, ›Gelbe Karte‹ für immer in der Personalakte vermerkt ist. ›Es innerhalb derer man sein Veto einlegen muss.‹ Wird dann schließgibt zwar keine Regelfrist, aber nach zwei, drei Jahren sollte man lich festgestellt, dass die vorangegangene Abmahnung aus forprüfen lassen, ob der Verbleib in den Unterlagen noch gerechtmalen Gründen ungültig war, gilt dies auch für die Kündigung. fertigt ist‹, so Thora. (bin) ›Wenn man gleich gegen die Abmahnung vorgegangen wäre, Weitere Informationen: hätte der Vorgesetzte die Möglichkeit gehabt, frühzeitig seine ❙ Wenn Sie Fragen zu Ihrem Arbeitsverhältnis haben, können Sie sich als formalen Fehler zu beheben – die Kündigung wäre dann nicht so Kammer-Mitglied kostenlos in unseren Geschäftsstellen in der Bremer ohne Weiteres anfechtbar gewesen‹, sagt Thora. Innenstadt, in Bremen-Nord und in Bremerhaven beraten lassen. Um die Frage zu klären, Gegendarstellungen des Betroffenen können sinnvoll sein Anders war der Fall eines Verkäufers, der in die Rechtsberatung kam. Er hatte eine Abmahnung bekommen, weil er das Kühlregal nicht mit einer Lieferung Joghurts aufgefüllt hatte. Damit hatte er gegen seine Leistungspflicht verstoßen – auf den ersten Blick schien der Verweis gerechtfertigt zu sein. In der Beratung der Arbeitnehmerkammer erzählte der Betroffene aber, dass er an dem Tag und an den vorangegangenen erhebliche Überstunden gemacht hatte, weil Personal fehlte. ›Am Abend vor dem Vorfall hatte er seinem Vorgesetzen gesagt, dass er die Arbeit allein nicht schafft‹, berichtet Thora. Der Vorgesetzte hatte darauf nicht reagiert. Nach elf Stunden Arbeit hatte der Verkäufer die Joghurts nicht mehr im Blick. ›Der Verkäufer war an seine maximale tägliche Arbeitszeit gekommen und hatte seine Überlastung auch schon mitgeteilt‹, sagt der kommissarische Leiter der Rechtsabteilung. ›Die Abmahnung hatte somit keine rechtliche Grundlage.‹ In solch einem Fall rät er den Betroffenen, eine Gegendarstellung zu schreiben. Darin sollte der Arbeitgeber auch aufgefordert werden, innerhalb einer bestimmten Frist die Verwarnung aus der Personalakte zu entfernen. ›Wenn das nicht geschieht, kann man seine Forderung vor Gericht einklagen.‹ Fälle von Abmahnungen und Kündigungen landen nicht selten vor Gericht. So auch bei einem Pfleger, der von seinem Arbeitgeber zwei Abmahnungen und anschließend die Kündigung erhalten hatte. Ihm wurde zunächst vorgeworfen, am letzten Tag einer Krankschreibung nicht rechtzeitig mitgeteilt zu haben, ob er am Kontakt: www.arbeitnehmerkammer.de/beratung Telefonische Beratung unter 0421·36301-11 (Bremen) oder 0471·92235-11 (Bremerhaven). ❙ Weitere Informationen auch zu Form und Inhalt einer Abmahnung finden Sie im Faltblatt ›Abmahnung‹, das in unseren Geschäftsstellen ausliegt. Download unter www.arbeitnehmerkammer.de/ publikationen (Rechtstipps und Ratgeber). R ATGEBER > MUTTERSCHUTZ druckfrisch Mutterschutz – Elterngeld – Elternzeit Mutterschutz Elterngeld · Elternzeit Wir haben die Broschüre ›Mutterschutz – Elterngeld – Elternzeit‹ überarbeitet. Hier finden Sie nun auch umfassende Informationen zum Elterngeld Plus. Mitglieder erhalten sie ab Januar kostenlos in unseren Geschäftsstellen. Download unter www.arbeitnehmerkammer.de/publikationen (Rechtstipps und Ratgeber). w w w. a r b e i t n e h m e r k a m m e r. d e Arbeitnehmerkammer Bremen 12 // Politik: Berufsbegleitendes Studieren Berufsbegleitendes Studieren ›Ohne Rückendeckung der Familie nicht zu schaffen‹ Wer neben seinem Job studiert, braucht Disziplin, Organisationstalent und möglichst die Unterstützung vom Arbeitgeber. Doch die gibt es nicht immer in dem gewünschten Maße, wie eine neue Studie der Arbeitnehmerkammer zeigt. Rainer Lehmann hat eine stressige Zeit hinter sich. Trotzdem möchte er sie nicht missen. Neben seinem Vollzeitjob als Technischer Angestellter hat der 48-Jährige an der Uni Bremen seinen Bachelor of Science im Bereich ›Berufliche Bildung‹ mit der Fachrichtung Metalltechnik-Fahrzeugtechnik gemacht – als berufsbegleitendes Studium. ›Ohne die Rückendeckung meiner Familie hätte ich das nicht geschafft‹, ist Lehmann überzeugt. Seine Frau und auch die beiden Söhne übernahmen Aufgaben im Haushalt, für die er normalerweise zuständig ist. Dennoch musste er auch zurückstecken. ›Einfach mal weggehen, das war im Semester stark eingeschränkt‹, sagt er. Rainer Lehmann ist ein sehr disziplinierter Mensch. ›Ich habe kontinuierlich immer ein bisschen gelernt und nicht blockweise vor den Prüfungen.‹ So schaffte er den Bachelor berufsbegleitend in der Regelstudienzeit von sechs Semestern. Dass er so gut vorankam, lag auch an seinem Arbeitgeber. ›Er hat mich voll unterstützt.‹ Durch Gleitzeit konnte er seine Arbeitszeit passend zu den Vorlesungen legen. Möglichkeit der Freistellung wäre wichtig Selten sind die Bedingungen für berufstätige Studierende so optimal wie für Rainer Lehmann. Das zeigt eine neue Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen in Kooperation mit dem Zentrum für Arbeit und Politik (zap) an der Universität Bremen. Darin wurden 53 Berufstätige im Alter von 23 bis 59 Jahren schriftlich befragt, 13 Berufstätige wurden ausführlich persönlich interviewt. Alle Teilnehmer der Studie absolvieren neben ihrem regulären Job ein Bachelor- oder Masterstudium an einer der staatlichen Hochschulen in Bremen. ›Nur 14 Befragte gaben an, dass sie Unterstützung in Form von flexiblen Arbeitszeiten oder Arbeitszeitkonten bekommen‹, sagt Susanne Hermeling, Referentin für Bildungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen. Von 53 Befragten arbeiten 41 mindestens 30 Stunden pro Woche, die meisten von ihnen in Vollzeit. Oft können Beschäftigte aus finanziellen oder betrieblichen Gründen ihre Arbeitszeit nicht reduzieren. Doch die Möglichkeit der Teilzeitarbeit oder gar der Freistellung hält Susanne Hermeling für wichtig, um das Studium bewältigen zu können. ›Viele unterschätzen am Anfang den Aufwand für das Studium. Wer Vollzeit arbeitet, stößt schnell an seine Grenzen.‹ Ein tarifvertraglicher Anspruch auf Bildungsteilzeit mit klaren Regeln für eine Freistellung, wie ihn die IG Metall fordert, hält deshalb auch die Arbeitnehmerkammer für richtig. // 13 ›Man muss Prioritäten setzen‹ Die meisten Studierenden gaben an, vom Studium persönlich und beruflich zu profitieren, zugleich beklagten viele aber die hohe Belastung. ›Einige haben gesagt, dass sie nur noch durchkommen möchten‹, sagt Susanne Hermeling. Am meisten leide der private Bereich. Diese Erfahrung macht auch Michael Strauß. Für ihn ist die Situation besonders belastend: Der 50-Jährige arbeitet neben seinem Bachelorstudium nicht nur Vollzeit als Bauleiter; er ist auch alleinerziehender Vater einer zehnjährigen Tochter. ›Man muss definitiv Prioritäten setzen‹, sagt er. Und die liegen nicht immer im Studium. ›Wenn meine Tochter krank ist, kann ich eben nicht zur Uni.‹ Dadurch komme er nicht so schnell voran wie andere. Dass er überhaupt die Zeit zum Studieren findet, verdankt er der Unterstützung durch seine Ex-Frau und seinen erwachsenen Stiefsohn sowie durch seinen Arbeitgeber. Er erlaubt, dass Michael Strauß auch von zu Hause aus arbeitet. Außerdem kann er sich die Zeit relativ frei einteilen. ›Es ist wichtig, dass ich die Arbeiten mache, nicht wann‹, sagt Strauß. Gerne würde er seine Arbeitszeit reduzieren, um mehr Zeit fürs Studium und für seine Tochter zu haben. ›Das kann ich mir aber nicht leisten.‹ Zur Motivation für ihr Studium gaben die meisten Befragten einen gewünschten beruflichen Aufstieg an, andere wollten in weniger belastende Arbeitsbereiche wechseln. Einige streben einen kompletten Berufswechsel an. ›Dann sind die Rahmenbedingungen im Betrieb natürlich schwieriger‹, sagt Susanne Hermeling. Manchmal informieren Studierende ihre Arbeitgeber noch nicht einmal über ihr Studium, weil sie negative Reaktionen fürchten. ›Das bedeutet, dass die Organisation des Studienalltags noch schwieriger wird‹, betont die Referentin. Strukturiert gefördert wird in vielen Industriebetrieben eher eine klassische Meisterfortbildung als ein Studium. Doch manchmal ändert sich die Sichtweise der Vorgesetzten. ›Wenn sie sehen, welche neuen Kompetenzen eingebracht werden, ist die Freistellung für ein Seminar plötzlich doch möglich‹, sagt Hermeling. Ein anderer Befragter berichtete, dass sein Arbeitgeber ihm zwar erlaubte, seine Arbeitszeit zu reduzieren. Doch in der Folge wurden ihm nur noch Hilfsarbeiten zugeteilt. ›Das hat ihn zunehmend frustriert.‹ Am Ende ließ er sich beurlauben, um sein Studium beenden zu können. Finanziell war das für ihn eine Herausforderung. Die Referentin hält es deshalb für wichtig, dass Beschäftigte beispielsweise ihren Bildungsurlaub wahrnehmen oder Arbeitszeitkonten ansparen können, um in Prüfungsphasen geballt Zeit zu haben. ›Betriebe denken meist nur daran, dass ihnen die Leistung eines Beschäftigten während eines berufsbegleitenden Studiums nicht voll zur Verfügung steht‹, beklagt Susanne Hermeling. ›So kann man aber keinen Fachkräftemangel lösen.‹ Doch auch die Angebote der staatlichen Hochschulen müssen sich verbessern. Bundesweit gibt es bisher nur relativ wenige berufsbegleitende Master- und noch weniger Bachelorstudiengänge. Und selbst bei den vorhandenen Angeboten sind die Bedingungen nicht immer optimal: Nicht alle Seminare finden am Wochenende oder abends statt. ›Weil die Ressourcen begrenzt sind, müssen die Studierenden auch auf das reguläre Studienangebot zurückgreifen‹, weiß Hermeling. Zudem können zwar alle Studienangebote der Hochschulen in Bremen in Teilzeit studiert werden. Doch Teilzeit bedeutet nicht berufsbegleitend; Seminare liegen gewöhnlich in der Woche. Unterstützung durch Kommilitonen Trotz der Schwierigkeiten kam für die meisten Befragten ein Fernstudium nicht infrage. ›Den Studierenden war es wichtig, an die Hochschule zu gehen, sich mit anderen auszutauschen und sich gegenseitig zu stützen.‹ Dass dieser Kontakt gut ist, zeigt auch die Erfahrung. ›Die Abbruchquote beim Fernstudium ist relativ hoch‹, so Referentin Hermeling. Auch für Rainer Lehmann wäre ein Fernstudium nichts gewesen. ›Mir fällt es leichter zu verstehen, wenn ich in Vorlesungen zuhöre‹, begründet er. Außerdem traf er auf einen Kommilitonen, der einen ähnlichen beruflichen Hintergrund hat wie er. Sie unterstützten sich beim Lernen gegenseitig. ›Wenn der eine mal ein Tief hatte, war der andere da, um ihn rauszuziehen.‹ Für ihn war das Bachelorstudium eine Herausforderung, die sich gelohnt hat: Für ihn persönlich, aber auch, weil er nun mehr verdient und sich seine Aufgaben geändert haben. Nun setzt er noch einen drauf: Er hat sich für ein Lehramtsstudium (Master of Education) eingeschrieben. Aber das Studium wird nicht berufsbegleitend angeboten, zurzeit besucht er deshalb nur eine Vorlesung pro Woche. ›Wenn der Master berufsbegleitend angeboten würde, würde ich das schaffen. So glaube ich aber nicht, dass ich ihn fertig kriege‹, sagt der 48-Jährige – und das findet er sehr schade. (bin) Rainer Lehmann ❙ Die Studie wird am 2. März 2016 im Beisein von Wissenschaftssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) im Kultursaal der Arbeitnehmerkammer vorgestellt. Infos können Sie per Mail anfordern unter: [email protected]. ❙ Mehr Infos über berufsbegleitendes Studieren in Bremen unter: www.offene-hochschulen-bremen.de. 14 // Politik: Arbeitslos – und jetzt? Fragen und Antworten Arbeitslos – und jetzt? Wer arbeitslos wird, steht vor etlichen organisatorischen Aufgaben. Anbei ein Leitfaden mit konkreten Tipps für diese schwierige Lebensphase. 1 Soll ich Klage einreichen? Falls ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz durch eine Kündigung verliert oder Zweifel an seiner Befristung hat, sollte er sich beraten lassen. Scheint eine Kündigungsschutzklage aussichtsreich, muss diese binnen drei Wochen nach Eingang der schriftlichen Kündigung oder Ende eines befristeten Arbeitsverhältnisses beim Arbeitsgericht eingereicht werden. muss ich mich bei der Arbeitsagentur melden? 2 Wann Grundsätzlich müssen Betroffene sich drei Monate vor Arbeitsende arbeitssuchend melden. Wenn das Arbeitsverhältnis kurzfristig gelöst wurde, beträgt die Frist drei Werktage. Die Meldung kann persönlich oder telefonisch, per E-Mail, Fax oder über die Jobbörse (www.arbeitsagentur.de) erfolgen. Die persönliche Arbeitssuchmeldung muss dann zu einem mit der Arbeitsagentur vereinbarten Termin nachgeholt werden. Wer sich nicht rechtzeitig meldet, muss mit einer einwöchigen Sperre des Arbeitslosengeldes I rechnen. Zuständig ist die Arbeitsagentur nahe des Wohnortes. zahlt die Arbeitsagentur Arbeitslosengeld I 3 Ab(ALGwann I)? Sobald die Arbeitslosigkeit eingetreten und die persönliche Arbeitslosmeldung erfolgt ist, fließt auch das Geld. ALG I wird rückwirkend für einen Monat am Ende des jeweiligen Monats gezahlt. Die erste Zahlung kann sich nach hinten verschieben, wenn zum Beispiel noch Unterlagen fehlen. Gegebenenfalls kann die Arbeitsagentur Abschläge zahlen. In den meisten finanziellen Notfällen ist es sinnvoll, parallel ALG II zu beantragen. 4 Welche Unterlagen muss ich mitbringen? Notwendig sind der Personalausweis und die Arbeitsbescheinigung. Auf ihrer Grundlage wird der ALG-IAnspruch berechnet. In dem Formular wird unter anderem die Höhe des Gehalts, Kündigungsgrund und -frist angegeben. Des Weiteren sollte mitgenommen werden: das Kündigungsschreiben // 15 oder ein Aufhebungsvertrag, Nachweise über den Bezug über Krankengeld oder Nachweise über einen früheren ALG-I-Bezug. Der Antrag auf ALG I wird dem Antragsteller erst bei der Arbeitsagentur ausgehändigt. Nach der persönlichen Meldung besteht die Möglichkeit, den Arbeitslosengeldantrag auch online zu stellen. 5 Wie hoch ist das ALG I? 6 Wie lange kann man ALG-I-Leistungen beziehen? Das Arbeitslosengeld beträgt für Menschen, die ein steuerlich zu berücksichtigendes Kind haben, 67 Prozent des Nettoentgelts, ohne Kind 60 Prozent. Die Arbeitsagentur hat einen Arbeitslosengeldrechner auf ihrer Internetseite, mit dem sich die Höhe des zu erwartenden ALG I berechnen lässt. (www.pub.arbeitsagentur.de/alt.html) Die maximale Anspruchsdauer beträgt für Menschen … maximal 12 Monate ALG I unter 50 Jahren: bis 55 Jahre: maximal 15 Monate ALG I bis 58 Jahre: maximal 18 Monate ALG I über 58 Jahre: maximal 24 Monate ALG I Um überhaupt ALG I erhalten zu können, muss man innerhalb der vergangenen zwei Jahre vor der Arbeitslosigkeit mindestens zwölf Monate beitragspflichtig gearbeitet haben. 7 Kann man neben dem ALG I noch aufstockende Leistungen bekommen? Wer das Existenzminimum nicht erreicht, kann ergänzend ALG-II-Leistungen beantragen. Ab Januar 2016 beträgt der Regelsatz für Alleinstehende 404 Euro pro Monat, für Menschen in einer Partnerschaft 364 Euro, für Kinder zwischen 237 und 306 Euro, zusätzlich werden die Kosten der Unterkunft erstattet. Das ALG II wird beim Jobcenter des eigenen Wohnortes beantragt. Gezahlt wird es nur, wenn Bedürftigkeit vorliegt. Berücksichtigt wird bei der Berechnung auch eigenes Einkommen und Vermögen sowie das der Partner oder Kinder, mit denen man zusammenlebt. Ist die Lücke zwischen dem verfügbaren Einkommen und dem möglichen Anspruch auf ALG-II-Leistungen nicht groß, kann sie gegebenenfalls durch Wohngeld geschlossen werden. 8 Lohnt sich der Wechsel der Steuerklasse? Nicht immer! Ein Beispiel: Ein Ehepaar, keine Kinder, beide verdienen 3.000 Euro brutto, beide Steuerklasse IV. Nach Eintritt der Arbeitslosigkeit der Ehefrau wechselt diese auf Steuerklasse V, der Ehemann nimmt die Steuerklasse III. Der Ehemann hat bei Steuerklasse IV ein Nettoeinkommen von 1.908 Euro/Monat, bei Steuerklasse III von 2.159 Euro, die Ehefrau hat bei Steuerklasse IV einen ALG-I-Anspruch pro Monat von 1.116 Euro, bei Steuerklasse V von 915 Euro. Die Arbeitsagentur ordnet ihr ab dem Tag des Steuerklassenwechsels diese schlechtere Steuerklasse zu. Der Ehemann hat also 250 Euro mehr pro Monat, die Ehefrau hat 200 Euro weniger pro Monat. Auf den ersten Blick ein gutes Geschäft. Doch das Ehepaar würde beim Steuerjahresausgleich bei der Kombination IV/IV die zu viel gezahlten Steuern erstattet bekommen und könnte hierdurch die steuerlichen Verluste in der Regel fast vollständig ausgleichen. Die Arbeitsagentur kennt einen solchen Ausgleich nicht. Die 200 Euro, die die Ehefrau pro Monat weniger bekommt, sind weg. jeder Job angenommen werden? 9 Muss Ab dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit müssen Arbeits- lose auch Tätigkeiten unterhalb der eigenen beruflichen Qualifikation annehmen. Auch die Einkommenshöhe ist nur bedingt geschützt. Für die ersten drei Monate muss sich der Arbeitslose gegebenenfalls mit 80 Prozent des Gehaltes zufriedengeben, vom vierten bis sechsten Monat mit 70 Prozent dieses Gehalts. Ab dem siebten Monat sind Tätigkeiten zumutbar, in denen jemand so viel verdient, wie er an ALG I zuzüglich Fahrtkosten bekommt. Auch Jobs bei einer Zeitarbeitsfirma müssen angenommen werden. Fahrtzeiten sind zumutbar? 10 Welche Wer sich Vollzeit zur Verfügung stellt, muss in der Regel pro Tag pro Richtung bereit sein, 1,25 Stunden Fahrtzeit zur Arbeit aufzubringen – von Tür zu Tür. Wer nur für Teilzeittätigkeiten zur Verfügung steht, muss pro Richtung eine Stunde an Zeit investieren. Eine Vermittlung außerhalb dieses Radiusses kann erfolgen, wenn ein Arbeitsloser dies wünscht, in seiner Tätigkeit eine überregionale Vermittlung üblich ist oder keine familiären Bindungen an den bisherigen Wohnort bestehen. passiert, wenn ich eine Abfindung 11 Was erhalten habe? Wurde eine Abfindung gezahlt und gleichzeitig das Arbeitsverhältnis vorzeitig aufgelöst, führt die Abfindung zu einem Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld. Die Dauer des Ruhens ist abhängig von der Höhe der Abfindung, dem Lebensalter, der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der von dem Arbeitgeber eigentlich einzuhaltenden Kündigungsfrist. Das Ruhen verkürzt die Anspruchsdauer nicht, sondern schiebt den Beginn der Arbeitslosengeldzahlungen hinaus. Auch die Vereinbarung einer Abfindung kann zu einer Sperrzeit führen – sowohl wenn ein Aufhebungsvertrag geschlossen wurde als auch wenn eine Kündigung plus Abwicklungsvereinbarung, in der die Abfindung geregelt ist, vorliegt. In all diesen Fällen sollte man sich dringend rechtlichen Rat einholen, bevor eine Abfindung unterschrieben wird. 12 Kann man sich zum ALG I etwas hinzuverdienen? Anrechnungsfrei kann ein Arbeitsloser 165 Euro pro Monat hinzuverdienen. Die Beschäftigungsdauer muss unter 15 Stunden pro Woche liegen. Ob eine Arbeitnehmertätigkeit oder eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird, ist egal. (lor) Wie hoch ist mein Arbeitslosengeld? Wie werden Abfindungen angerechnet und wie Einkommen und Vermögen? Muss ich eine Sperrzeit befürchten? Mitglieder der Arbeitnehmerkammer Bremen haben Anspruch auf eine kostenlose Beratung bei Rechtsfragen zur Arbeitslosigkeit. Beratungszeiten: montags, dienstags und donnerstags von 9 bis 12 Uhr und zusätzlich montags von 14 bis 18 Uhr. Weitere Infos unter Telefon: 0421·36301-23. Foto: Präventionskampagne Dein Rücken 16 // Gesundheit Service > Gesundheit Von den Profis lernen Tipps für Pflegende Menschen in häuslicher Umgebung zu pflegen, bedeutet für Pflegende immer schwere körperliche Arbeit. Das gilt für ambulante Pflegekräfte ebenso wie für Angehörige. Denn oft ist – anders als im Pflegeheim oder Krankenhaus – die Umgebung nicht auf den Pflegefall eingerichtet und Hilfsmittel stehen nicht selbstverständlich zur Verfügung. Die Kampagne: ›Denk an mich. Dein Rücken‹, die für den betrieblichen Gesundheitsschutz vielfältige Materialien herausgebracht hat, hat nun auch eine Broschüre für pflegende Angehörige zusammengestellt. Wir stellen daraus ein paar Möglichkeiten vor, wie man körperliche und psychische Belastungen verringern kann. Rückengerecht zu Hause und im Betrieb Pflegen ist Schwerarbeit und kann insbesondere für den Rücken schmerzhafte Konsequenzen haben. Pflegende Angehörige sollten daher – ebenso wie die Profikräfte in der Pflege und im Krankenhaus – alle Möglichkeiten nutzen, die Belastung zu reduzieren. Auch für die Pflege zu Hause haben Sie Anspruch auf eine Reihe von Hilfsmitteln wie Rutschbretter, Bettleitern, Toilettenerhöhungen oder Haltegriffe. Auch technische Hilfsmittel wie ein Pflegebett oder Liftersysteme können sinnvoll sein. So können Sie noch vorhandene Fähigkeiten des Pflegebedürftigen nutzen und zugleich Ihren Rücken entlasten. Wenn der Stress übergroß wird … Häusliche Versorgung kann sehr viel Zeit in Anspruch nehmen und auch die Psyche belasten. Nicht selten führen die zeitliche Gebundenheit und Konflikte in der Familie – auch mit dem Pflegebedürftigen – zu Überforderung und Frustration. Gerade die Langzeitpflege, die Unsicherheit und das Nichtwissen, wie lange die Pflegesituation andauern wird, sind eine hohe psychische Belastung. Wenn Pflegebedürftige Leistungen der Pflegeversicherung beziehen, können sich die Pflegenden durch Verhinderungs- und Kurzzeitpflege entlasten lassen. Sie helfen beispielsweise nach einer Operation des zu Pflegenden oder aber auch während eines Urlaubs oder einer Rehabilitationsmaßnahme des Pflegenden. Beruf ›und/oder‹ Pflege? Noch immer hat die Pflege von Angehörigen nicht die gleiche gesellschaftliche Anerkennung wie die Erziehung von Kindern. Unter Umständen stellen Sie sich die Frage, ob die eigene Berufstätigkeit eingeschränkt oder aufgegeben werden soll, weil die Belastung zu groß erscheint. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt es inzwischen einige gesetzliche Regelungen, die im Einzelfall geprüft werden sollten: etwa die kurzfristige Freistellung oder die (unbezahlte) Freistellung bis zu sechs Monaten oder die Reduzierung der Arbeitszeit nach dem Familienteilzeitgesetz auf bis zu 15 Stunden in der Woche. Zu beachten sind auch die Regelungen zum Kündigungsschutz. Auch in Bremen gibt es mittlerweile viele familienbewusste Betriebe, die im Rahmen des audit berufundfamilie zertifiziert sind und deren Anspruch es ist, diese Lebensphase für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so zu gestalten, dass sich Beruf und Pflege vereinbaren lassen. Auskünfte erteilen oft die Personalabteilungen, aber auch Betriebs- oder Personalräte und die Frauenbeauftragten. Kollegiale Unterstützung und Rücksichtnahme sollte selbstverständlich sein – zumal Krankheit und Pflege jede und jeden treffen kann. Carola Bury n Referentin für Gesundheitspolitik ❙ Die Broschüre ›Prävention von Erkrankungen – Informationen für pflegende Angehörige‹ kann unter www.deinruecken.de (unter: ›Pflegende Angehörige‹) kostenlos heruntergeladen werden. Informationen bietet auch die Reihe ›gesundheit!‹ der Arbeitnehmerkammer. Mitglieder erhalten sie kostenlos in allen Geschäftsstellen oder unter: www.arbeitnehmerkammer.de/publikationen (Infoblätter ›gesundheit!‹). ❙ Zu den gesetzlichen Regelungen können Sie sich als Mitglied der Arbeitnehmerkammer arbeitsrechtlich beraten lassen. Zeiten für die persönliche und die telefonische Beratung finden Sie unter www.arbeitnehmerkammer.de/beratung/arbeitsrecht. Bremen: Telefon 0421·36301-29 Bremerhaven: Telefon 0471·92235-0 Medientipps und Reihe ›Rechtsirrtümer‹ // 17 Medientipps Für KammerCard-Inhaber ist die BibCard ermäßigt! Dueck, Gunter n Schwarmdumm So blöd sind wir nur gemeinsam -Reihe ›Rechtsirrtümer‹ Campus-Verlag, 2015, 324 Seiten ›Schwarmintelligenz‹ bedeutet, dass ein Kollektiv klüger und effizienter ist als der Einzelne. Gunter Dueck zeigt auf, dass das im Arbeitsleben nicht unbedingt gilt und in vielen Unternehmen und Institutionen die Effizienz und Kreativität von Teams überbewertet wird. Er analysiert, wie es zur ›Schwarmdummheit‹ kommen kann, wenn Einzel- und Abteilungsinteressen aufeinanderprallen, vielleicht noch unter Zeit- und Ergebnisdruck, wenn endlos koordiniert wird und ein Meeting das andere jagt. Die Folge davon sind eben nicht die besten Ergebnisse, sondern oft faule Kompromisse nach dem Motto: ‹Viele Köche verderben den Brei.‹ John, Friedel n Mit Druck richtig umgehen 101 Rezepte für die Mittagspause Haufe TaschenGuide, 107, 2015, 127 Seiten Druck im Arbeitsleben kennen die meisten Berufstätigen. Was seelischer Druck im Beruf eigentlich ist, wie er sich auswirkt und wie man typische Druckauslöser erkennen kann, beschreibt dieser kompakte TaschenGuide. Dabei unterscheidet der Autor verschiedene Arten von Druck, die – je nach Persönlichkeit – belastend wirken können. Deshalb kommt es darauf an, sich und andere zu erkennen, die eigene Persönlichkeit einzuschätzen und entsprechende Strategien zu entwickeln. Ziel ist es, die eigene Souveränität zurückzugewinnen, persönliche Pläne festzulegen und zu verwirklichen. Diese Medien können Sie in Ihrer Stadtbibliothek ausleihen. 9 x in Bremen: Zentralbibliothek Am Wall • Huchting • Lesum • Osterholz Vahr • Vegesack • West • Busbibliothek • Hemelingen w w w . s t a d t b i b l i o t h e k - b r e m e n . d e ›Reduzierte Ware kann ich nicht umtauschen‹ Das stimmt so nicht. Wer auf Schnäppchenjagd im Schlussverkauf ist, liest meist: ›Reduzierte Ware ist vom Umtausch ausgeschlossen.‹ Muss ich mich also damit abfinden, dass die Bluse kaputt ist, die Uhr nicht funktioniert oder der Verschluss am Rucksack seiner Aufgabe nicht gewachsen ist? In vielen Geschäften versucht das Personal Reklamationen abzuwimmeln – mit der Begründung, dass es sich um reduzierte Ware handelt. Richtig ist: Fehlerhafte Ware kann immer reklamiert werden – auch reduzierte. Bei Mängeln muss der Verkäufer die Ware reparieren oder gegen ein fehlerfreies Exemplar austauschen. Oder Sie einigen sich auf einen Preisnachlass und reparieren das gute Stück eigenhändig. Wenn das alles nicht möglich ist, muss der Händler Ihnen den Kaufpreis erstatten – und zwar nicht in Form eines Einkaufsgutscheins (es sei denn, Sie wünschen das). Anders verhält es sich, wenn Sie zu Hause merken, dass die gekaufte Hose doch zu groß ist oder Ihnen die Farbe des Pullis nicht steht. Hier haben Sie kein Recht auf eine Rückgabe. Fehlerfreie Ware muss der Händler nicht zurücknehmen, hier läuft ein Umtausch auf der Basis von Kulanz. Übrigens: Den Vorgang mit dem Hersteller zu klären ist Aufgabe des Händlers. Sie als Käufer haben einen Anspruch gegenüber dem Händler, nämlich das Recht auf sofortigen Umtausch gegen fehlerfreie Ware, auf Reparatur und gegebenenfalls Preisreduzierung oder Erstattung des Geldes. (mol) Sie wohnen im Land Bremen und haben finanziell nicht die Möglichkeit, sich in Rechtsfragen von einem Anwalt beraten zu lassen? Sofern Ihr Einkommen eine bestimmte Grenze nicht übersteigt, können Sie die öffentliche Rechtsberatung (ÖRB) in der Arbeitnehmerkammer in Anspruch nehmen. Wir beraten Sie auf allen Rechtsgebieten, etwa dem Familienrecht, Kaufvertragsrecht, Mietrecht oder dem Verbraucherinsolvenzrecht. Auch Kammer-Mitglieder informieren wir in diesen Rechtsgebieten. Von ihnen nehmen wir für die Beratung grundsätzlich zehn Euro Gebühr. www.arbeitnehmerkammer.de/ beratung/oeffentliche-rechtsberatung Termine unter Telefon 0421·36301-41 (Bremen) / 0471·92235-0 (Bremerhaven). 18 // Aus der Beratung Hella Weise Steuer > Beratung Aus der Beratung Außergewöhnliche Belastungen in der Steuererklärung Merit Pauli* kam mit mehreren Fragen zur Steuererklärung zu mir in die Beratung. Besonders der Punkt ›Außergewöhnliche Belastungen‹ überforderte sie. An privaten Ausgaben will das Finanzamt in der Regel nicht beteiligt werden, es gibt aber Kosten, die man als außergewöhnliche Belastungen ansetzen kann. Um außergewöhnliche Belastungen geltend machen zu können, muss man zwangsläufig höhere Kosten gehabt haben, als die überwiegende Zahl der Steuerzahler in gleichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen mit gleichem Familienstand. Zwangsläufig heißt, dass man die notwendigen Aufwendungen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen hatte.** Zu den abziehbaren Kosten zählen etwa Krankheits- und Pflegekosten, Bestattungskosten, Wiederbeschaffungskosten etwa nach Brand- oder Hochwasserschäden und Unterhaltszahlungen. Von den Einkünften wird nur der Betrag abgezogen, der die zumutbare Belastung übersteigt. Diese Belastungsgrenze wird nach einem Prozentsatz der Gesamteinkünfte errechnet (siehe Tabelle rechts). Die Steuerpflichtige Merit Pauli hatte ihre Mutter im eigenen Haushalt gepflegt. Mit der Pflegestufe 3 war die Voraussetzung für den Freibetrag (hier als Pauschbetrag) – Hilflosigkeit – erfüllt. Der Pauschbetrag von 924 Euro im Jahr wird grundsätzlich gewährt. Im Laufe des Jahres verstarb die Mutter von Merit Pauli. Da kein Erbe vorhanden war, können die Bestattungskosten als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden. Hierzu zählen Kosten für das Grab, die Todesanzeige, Blumen und den Sarg. Nicht geltend gemacht werden können Kosten für die Bewirtung der Trauergäste und Reisekosten. Zusammen mit den verordneten Medikamenten und Zahnarztkosten, die für die Steuerpflichtige angefallen waren, kann Merit Pauli diese geltend machen, wenn die zumutbare Eigenbelastung überschritten ist. Die Gesamteinkünfte von Merit Pauli und ihrem Mann betragen 45.000 Euro. Sie haben ein Kind. Die zumutbare Belastungsgrenze liegt hier bei drei Prozent, also bei 1.350 Euro. Bei Krankheitskosten von 2.500 Euro und Kosten rund um die Bestattung von 3.000 Euro werden 4.150 Euro als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt. Außerdem lebt der studierende Sohn im Haushalt der Eheleute Pauli und ist im Laufe des Jahres 25 Jahre alt geworden. Kindergeld gibt es nur bis zum 25. Geburtstag, somit ist der Sohn eine unterhaltsberechtigte Person, für die im Monat 706 Euro als Unterhalt geltend gemacht werden können. Dazu kommen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, da auch eine Familienversicherung ab dem 25. Lebensjahr nicht mehr greift. Das Kind darf allerdings keine eigenen Einkünfte oder Bezüge (etwa BAföG) über 624 Euro im Jahr haben, da sonst eine Anrechnung des Einkommens erfolgt. Übrigens: Im Vordruck der Steuererklärung müssen die außergewöhnlichen Belastungen auf Seite 3 in den Zeilen 61 bis 70 eingetragen werden. *Name von der Redaktion geändert ** § 33 Einkommenssteuergesetz (EStG) Hella Weise n Beraterin Steuerrecht in Bremen Zumutbare Belastung in Prozent der Gesamteinkünfte Gesamtbetrag der Einkünfte bis 15.340 Euro über 15.340 über 51.130 Euro bis 51.130 Euro Steuerpflichtige ohne Kinder bei Grundtabelle 5 Prozent 6 Prozent 7 Prozent bei Splittingtabelle 4 Prozent 5 Prozent 6 Prozent mit 1 oder 2 Kindern 2 Prozent 3 Prozent 4 Prozent mit 3 oder mehr Kindern 1 Prozent 1 Prozent 2 Prozent Steuerpflichtige ❙ Wie ist die Steuererklärung auszufüllen? Welche Einkünfte sind zu versteuern? Wie hoch ist meine voraussichtliche Erstattung beziehungsweise Nachzahlung? Welche Steuerklasse soll ich wählen? Bei Fragen zum Steuerrecht ist die Beratung für Mitglieder der Arbeitnehmerkammer Bremen kostenlos. Wenn Sie Hilfe bei der Erstellung Ihrer Steuererklärung brauchen, vereinbaren Sie bitte einen Termin für eine persönliche Beratung. Für diese Beratungsleistung nehmen wir zehn Euro Gebühr. Terminvereinbarung: Bremen-Stadt 0421·36301-59 Bremen-Nord 0421·66950-0 / Bremerhaven 0471·92235-59 ❙ Als KammerCard-Inhaber können Sie Beratungstermine für die Steuererklärung auch online unter www.arbeitnehmerkammer.de/beratung/ steuerrecht vereinbaren. Eine KammerCard können Sie unter www.arbeitnehmerkammer.de/kammercard beantragen. Foto: iStock / TimArbaev Alles, was Recht ist // 19 Service > Recht Streitpunkt: Schimmelpilzbefall in Mietwohnung Mieter und Vermieter streiten immer wieder darüber, wer für Feuchtigkeitsmängel und Schimmelpilzbefall in der Wohnung verantwortlich ist. Ist die Feuchtigkeit in der Wohnung hauptsächlich auf bauseitige Ursachen zurückzuführen, ändert nach einer Entscheidung des Amtsgerichts Bremen* ein möglicherweise falsches Heizund Lüftungsverhalten des Mieters nichts an der Verantwortung des Vermieters für den Mangel. Aufgrund der erheblichen bauseitigen Mängel hielt das Amtsgericht den Mieter nicht für verpflichtet, die Wohnung über 18 Grad zu heizen, öfter als ein- bis zweimal täglich stoßzulüften oder die Möbel mit Abstand zu den Wänden zu stellen, um der Schimmelbildung entgegenzuwirken. Für Schimmelpilzbefall in Küche, Bad und Wohnzimmer erkannte es eine Mietminderung von 30 Prozent an. *Urteil vom 16.06.2015 – 9 C 447/13 Marion Dobner n Rechtsberaterin in Bremen Service > Steuer Abzugsfähigkeit von Handwerkerleistungen § Service > Steuer Die Steuer-ID: Eine Nummer für das ganze Leben § Auch Handwerkerleistungen, die jenseits der Grundstücksgrenze auf fremdem Grund erbracht werden, können steuerlich begünstigt sein. Bei Arbeitslöhnen etwa, die in den Anschlusskosten des Haushalts an das öffentliche Versorgungsnetz enthalten sind, ermäßigt sich die Einkommensteuer um 20 Prozent (maximal 1.200 Euro). Nunmehr hat das Finanzgericht Nürnberg entschieden*, dass auch Beiträge, die von der Gemeinde für den Ausbau oder die Erneuerung der Gemeindestraße vor dem Grundstück des Steuerpflichtigen erhoben werden, begünstigt sein sollen. Gegen diese Entscheidung ist Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt worden. Falls das Finanzamt die Anerkennung der Aufwendungen verweigert, legen Sie bitte Einspruch ein und beantragen das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs. *Urteil vom 24.06.2015 – 7 K 1356/14 Har tmut Götten n Berater Steuerrecht in Bremerhaven Jeder Bundesbürger hat seit 2008 eine individuelle Steueridentifikationsnummer (Steuer-ID), die vor allem dem Schriftverkehr mit dem Finanzamt dient. Sie finden ihre Steuer-ID im Einkommenssteuerbescheid oder auf der Lohnsteuerbescheinigung. Sie besteht aus 11 Ziffern, ist einmalig und gilt ein Leben lang. Darunter gespeichert sind alle wichtigen Daten wie Tag und Ort der Geburt, Geschlecht, Familienname, Vornamen, Anschrift und zuständige Finanzbehörden. Kinder erhalten ihre Steuer- ID bereits nach der Geburt. Die Daten liegen beim Bundeszentralamt für Steuern. Dort können Sie Ihre Steuer-ID auch neu anfordern (Bzst.de). Die Bearbeitung dauert bis zu vier Wochen und die Nummer wird dann per Brief versandt. Ab 2016 ist die Steuer-ID auch für das Kindergeld sowie für die Freistellungsaufträge bei allen Bankverbindungen in Deutschland nötig. Heike Dunker n Beraterin Steuerrecht in Bremerhaven Arbeitnehmerkammer Bremen / Bürgerstraße 1 / 28 195 Bremen / // Veranstaltungen Postvertriebsstück, DPAG, Entgelt bezahlt Programm Kontakt: Telefon 0421·36301-0 / Fax 0421·36301-89 [email protected] Weitere Infos zu den Veranstaltungen unter: www.arbeitnehmerkammer.de/veranstaltungen Arbeit und Politik 12 J a n u a r Du bleibst, was du bist Warum bei uns immer noch die soziale Herkunft entscheidet. 18 Uhr | Arbeitnehmerkammer, Kultur 20 Januar Bürgerstraße 1, 28195 Bremen Verliehen, verraten und verkauft? Diskussion zur Reform von Leiharbeit und Werkverträgen. 15 Uhr | Kultursaal der 13 Arbeitnehmerkammer Bremen, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen Januar Demografischer Wandel – Herausforderung für Politik und Wirtschaft Kooperationsveranstaltung mit der Handelskammer Bremen. 14 Uhr | Schütting, Großer Saal 14 Januar Private Altersvorsorge 15 Uhr | Forum der Geschäftsstelle Bremerhaven, Barkhausenstraße 16, 27568 Bremerhaven 19 Januar Du bleibst, was du bist Warum bei uns immer noch die soziale Herkunft entscheidet. 18 Uhr | Forum der Geschäftsstelle Bremerhaven, Barkhausenstraße 16, 27568 Bremerhaven Malerei und Architektur Ansichten – Aussichten – Durchsichten: Werke von Renate Hoffmann 12. Januar bis 29. Februar 2016 21 Januar Aufwertung von Frauenberufen Was ist meine Arbeit wert? 10 Uhr | Kultursaal der Arbeitnehmerkammer Bremen, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen 22 Januar sleep – work – eat – repeat Zur Darstellung von Arbeit in den Medien. In Kooperation mit Studierenden der Uni Bremen. 18 Uhr | Kultursaal der Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen 18. Jan. bis 26. Feb. 2016 ›Meereslandschaften‹ Ausstellung mit Fotografien des Helgoländers Franz Schensky (1871–1957). | Galerie im Foyer, Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen | Öffnungszeiten: Mo bis Do 8–18.30 Uhr, Fr 8–13 Uhr K U LT U R B R E M E R H A V E N 12 Januar Ausstellungseröffnung: Ansichten – Aussichten – Durchsichten: Werke von Renate Hoffmann Malerei und Architektur – Wohn- und Arbeitswelt. Die Ausstellung ist zu sehen vom 12. Januar bis 29. Februar 2016. | Galerie am Neuen Hafen, Geschäftsstelle Bremerhaven, Barkhausenstraße 16, 27568 Bremerhaven | Öffnungszeiten: Mo, Mi 8–18.30 Uhr, Di, Do 8–16.30 Uhr, Fr 8–13 Uhr
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