07. Dezember 2015 09:26 Uhr LANDGERICHT FREIBURG Urteil im RachemordProzess: Lebenslange Haft und Jugendstrafen In Neuenburg üben ein 18Jähriger und sein Vater blutige Rache: Sie wollen das Recht in die eigene Hand nehmen und töten den mutmaßlichen Vergewaltiger der Schwester. Nun fielen die Urteile. Der Tatort auf dem Neuenburger Pendlerparkplatz: Hier starb Patrick H. am 18. Juni 2014. Foto: dpa Das Urteil verkündete Stefan Bürgelin, Vorsitzender der Großen Jugendkammer am Freiburger Landgericht, am Montagmorgen. Der zur Tatzeit 17jährige Hauptangeklagte muss für acht Jahre in Jugendhaft. Sein Vater erhält eine lebenslange Freiheitsstrafe, ein mitangeklagter 21Jähriger fünf Jahre Haft. Der dritte Mitangeklagte erhält eine zweijährige Bewährungsstrafe. Das Landgericht Freiburg sprach den hauptangeklagten Teenager am Montag des Mordes für schuldig. Er hatte zugegeben, im Juni vergangenen Jahres in Neuenburg mit seinem 48 Jahre alten Vater den mutmaßlichen Vergewaltiger seiner Schwester in einen Hinterhalt gelockt und getötet zu haben. Für den Hauptangeklagten gilt Jugendstrafrecht Für den Hauptangeklagten gilt Jugendstrafrecht Sein Vater wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Ausschlaggebend für die hohe Strafe, so das Gericht: Er habe die Tat angekündigt, war aktiv daran beteiligt und habe die Tötung gebilligt. Dabei hätte er die Tat verhindern können und müssen, so der Richter. Bei ihm sieht das Gericht niedrige Beweggründe als gegeben an. Dies zieht zwingend eine lebenslange Haftstrafe nach sich. Keine niedrigen Beweggründe sieht das Gericht beim eigentlichen Hauptangeklagten. Er sei emotional belastet gewesen, niemand in der Familie habe ihn in die Schranken gewiesen. Gleichwohl erkennt das Gericht in ihm die treibende Kraft für den Mord. Weil der Schüler zur Tatzeit 17 Jahre und damit noch nicht volljährig war, wurde er nach Jugendstrafrecht verurteilt. Ihm drohten maximal zehn Jahre Haft. In die Falle gelockt Das Opfer, ein 27 Jahre alter Mann, starb noch am Tatort durch 23 Messerstiche in Körper, Gesicht und Hals. Die Polizei hatte nach dem mutmaßlichen Vergewaltiger in den Tagen zuvor gefahndet, konnte ihn jedoch nicht finden, weil er untergetaucht war. Die Familie, die den Mann bei der Polizei angezeigt hatte, machte sich eigenständig auf die Suche und wurde über soziale Netzwerke im Internet fündig. Neben Vater und Sohn wurden zwei Komplizen, 19 Jahre und 21 Jahre alt, verurteilt. Der 21Jährige, der das Opfer nach Überzeugung des Gerichts während der tödlichen Attacken zumindest am Anfang festgehalten hatte, muss für fünf Jahre ins Gefängnis. Ihm war die Erleichterung nach dem Urteil anzusehen, denn Oberstaatsanwalt Eckart Berger hatte für ihn lebenslage Haft gefordert. Für den 21Jährigen sprach, dass er geständig war und sich von Anfang an reuig zeigte. Gleichwohl war er damit einverstanden gewesen, sich am Akt der Selbstjustiz zu beteiligen. Der 19Jährige, der das Treffen arrangiert hatte, wurde zu zwei Jahren auf Bewährung nach Jugendstrafrecht verurteilt. Ausführliche Urteilsbegründung Richter Stefan Bürgelin brauchte für die Urteilsbegründung etwa 100 Minuten. Detailliert zeichnete er die Hintergründe des Hinterhalts nach, in den das Opfer gelockt wurde. Bürgelin verlas Auszüge aus dem Chatprotokoll, die offenlegten, wie entschlossen der jugendliche Haupttäter war, seine vermeintlich vergewaltigte Schwester zu rächen und somit die Familienehre wiederherzustellen. Mehreren Personen aus seinem Umfeld zeigte er ein glattgeschliffenes Messer, wiederholt kündigte er an, den Vergewaltiger seiner Schweister töten zu wollen. Gezielt instrumentalisierte er die beiden Mittäter für diesen Zweck – den einen als Lockvogel, den anderen als Gehilfen, um das Opfer festzuhalten. Von vorneherein stand fest, dass der Vater seinen Sohn bei diesem Vorhaben unterstützen wollte. "Bei uns im Libanon werden Vergewaltiger getötet", so seine Rechtsauffassung. Er nahm den Tod des jungen Mannes nicht nur billigend in Kauf, er war auch aktiv an der Tat beteiligt, indem er auf das Opfer mit einem Schlagstock einschlug. Die beiden Komplizen verließen den Parkplatz, als sie merkten, dass es sich nicht – wie angekündigt – nur um eine "Abreibung" handelte, sondern dass der Angeklagte mit einem Messer auf das Opfer einstach. In diesem Moment konnte sich der Verletzte kurz berappeln und versuchte, zu flüchten. Doch Vater und Sohn holten ihn ein. Der Sohn stach dann 22 Mal mit dem Messer zu. Bei der Festnahme der beiden in der Müllheimer Wohnung spielten sich tumultartige Szenen ab. Der Vater soll gebrüllt haben: "Die deutsche Polizei macht doch nichts. Wir haben die Sache selbst in die Hand genommen. Ich bin stolz auf meinen Sohn!" Während dieser bei der Urteilsverkündung äußerlich gefasst reagierte, brach sein Vater in Tränen aus. Richter Stefan Bürgelin betonte am Ende seiner Urteilsbegründung, dass Rache und Selbstjustiz in unserer Gesellschaft grundsätzlich inakzeptabel seien und lediglich eine weitere Gewaltreaktion hervorrufen könnten. Mehr zum Thema: Rückblick I: Wie aus einer Abreibung eine tödliche Abrechnung wurde (21. April 2015) Rückblick II: Täter waren schneller als die Polizei (24. Juni 2015) Rückblick III: Gewalt im Namen der Ehre war Schulthema (25. Juni 2015) Rückblick IV: Zeugenaussage belastet den Vater (27. Juni 2015) Rückblick V: Was Fahrgäste des "Blauwals" beobachtet haben (9. September 2015) Rückblick VI: War die Bluttat religiös motiviert? (30. September 2015) Rückblick VII: Angeklagter äußert sich erstmals zur Tat (13. Oktober 2015) Rückblick VIII: Noch sind viele Fragen ungeklärt(22. Oktober 2015) Rückblick IX: Ankläger sieht Mordvorwürfe als erwiesen an (25. November 2015) Rückblick X: Im "Rachemordprozess" haben die Verteidiger ihre Plädoyers gehalten: Mord sei nicht nachweisbar (2. Dezember 2015) Autor: David Weigend / dpa / bz, aktualisiert um 12.09 Uhr
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