PORTRÄT Andrea Gisler – eine Powerfrau Vielen Gossauerinnen und Gossauern ist Andrea Gisler als ehemalige Gemeinderätin bekannt. Nach vier Jahren beendete sie 2014 ihre Amtstätigkeit im Gemeinderat, um sich ganz auf ihre Arbeit als geschäftsführende Präsidentin der Zürcher Frauenzentrale und Anwältin mit eigener Kanzlei konzentrieren zu können. Auch so bleibt ein überaus grosses und spannendes Arbeits- und Aufgabenspektrum, das sie voller Engagement und Überzeugungskraft ausfüllt. Text: Geneviève Bichsel; Fotos: zvg Nichts lässt vermuten, dass Andrea Gisler im tiefen Innern der Schweiz geboren wurde und als kleines Mädchen während zweier Jahre in Andermatt gelebt hat. Sie spricht waschechten Zürcher Dialekt und ist mittlerweile auch in Zürich so gut vernetzt, dass man meinen könnte, sie sei in der Stadt gross geworden. In Wirklichkeit ist sie in einer Familie mit drei Töchtern im Zürcher Oberland aufgewachsen. Zuerst in Grüningen, seit 20 Jahren in Gossau. Seit 2000 lebt Andrea Gisler in Ottikon. Ihre Mutter, der Vater ist im Andrea Gisler mit den mittlerweile gewählten Zürcher Regierungsratskandiletzten Juli gestorben, wohnt weiter- datinnen Silvia Steiner, Carmen Walker Späh und Jacqueline Fehr (v.l.n.r.) beim Verteilen der Postkarten «Ein Drittel ist nicht genug» am Bahnhof hin in Gossau. Andrea Gisler besuchte die Schule Stadelhofen. in Grüningen, ging an die Kantonsschule Zürcher Oberland in Wetzi- Während ihrer Studienzeit arbeitete entschuldigend hiess, das Büro mit kon. Nach kurzem Liebäugeln mit sie in Teilzeit auf dem Notariat in einer Sekretärin und einer PraktiPublizistik, damals noch nicht so Wetzikon und nach dem Lizentiat, kantin von der HSG. Andrea Gisler, trendy wie heute, entschloss sie sich 1992, als Auditorin und später als der nun wahrhaftig jeder Dünkel nach der Maturität zum Jurastu- Gerichtssekretärin am Bezirksge- fern liegt, tat wie geheissen und dium, etwas Handfestem, Struktu- richt Hinwil. Mit dieser Arbeit in arbeitete mit den beiden Frauen riertem, einem Studium, das eine der Praxis erfüllte sie die Anforde- im gleichen Büro. Bis drei Monate Vielzahl von Gestaltungsmöglichkei- rungen für die Anwaltsprüfung, die später ein Mann mit vergleichbarer Ausbildung und auf gleicher Hierten offenhielt. Ihr zukünftiger Lebens- sie im Dezember 1995 ablegte. und Berufsweg zeigt eindrücklich, Der Einstieg ins weitere Berufsle- archiestufe neu in die Bank eintrat wie sehr sie mit dieser Einschätzung ben gestaltete sich reibungs- und und mit grösster Selbstverständlichdes Jus-Studiums recht hatte, wie nahtlos, sollte aber auch der Beginn keit sein eigenes Büro bekam, wie es gut sie auf Angebote, Anfragen und eines Bewusstseinsprozesses wer- ihm, nach Meinung seiner VorgeImpulse reagieren, ihre Ressourcen, den. Als Beraterin mit Schwerpunkt setzten, seiner Stellung und den AnFähigkeiten und Interessen einbrin- Erbschaft, Steuern und Vorsorge forderungen entsprechend, zustand. gen und auf dieser Grundlage ihre im Bankverein, der heutigen UBS, Ein Affront, der Andrea Gisler weiKarriere aufbauen konnte. teilte sie, aus Platzgründen, wie es ter sensibilisierte. Ein Jahr blieb sie Gossauer Info 121/Juni 2015 71 PORTRÄT ANDREA GISLER bei der Bank, dem beruflichen anfragte. So wurde sie in den Leistungsausweis zuliebe. Dann Vorstand gewählt und betreuaber eröffnete sie 1998 mit ihte ehrenamtlich das Ressort rem ehemaligen Bürokollegen Rechtsberatung, Vernehmlasvom Bezirksgericht Hinwil eine sungen und juristische Proeigene Anwaltskanzlei in Wetzijekte. kon. Ihr Partner in der Kanzlei, Es war ein enormes Pensum, zusätzlich engagiert in der Paardas Andrea Gisler zu bewälberatungsstelle des Bezirks Hintigen versuchte. Langfristig wil, und Andrea Gisler machten zu gross. Es blieb kaum Zeit sich rasch einen Namen als für persönliche BedürfnisSpezialisten des Familienrechts. se, spontane Verabredungen, Viele Klientinnen schätzen es entspannende Unternehsehr, ihre Anliegen mit einer mungen. Wirklich schwierig Frau zu besprechen, ihr famiwurde es dann ab 2011 mit lienspezifische Konflikte anzuder Wahl zur Geschäftsvertrauen und sich letztendlich führenden Präsidentin der auch im Scheidungsfall von ihr Zürcher Frauenzentrale. Sie vertreten zu lassen. legte in der Folge das Amt als 2002 wurde Andrea Gisler Personalombudsfrau ab und zur Personalombudsfrau der reduzierte ihre Anwaltstätigrömisch-katholischen Körperkeit. 2013 beendete sie ihre schaft des Kantons Zürich Aus der aktuellen Kampagne zur Lohngleich- Lehrtätigkeit in Uster und gewählt. Von 1999 bis 2013 heit, 8. März 2015 im Papiersaal Sihlcity. stellte sich 2014 in Gossau arbeitete sie ausserdem als Lehrnicht mehr zur Wiederwahl. beauftragte für Arbeitsrecht an der Kaufmännischen Berufsschule Mittlerweile war sie als versierte Sie haben sich, als Schwerpunkt Uster. 2010 wurde sie in den Gemein- Anwältin anerkannt und politisch Ihres beruflichen Engagements, derat Gossau gewählt, portiert vom und beruflich äusserst gut vernetzt. für die Frauenzentrale Zürich Politischen Frauenpodium Goss- Auch ihre Affinität für Fragen der entschieden. Warum? au. Zwischenzeitlich hatte auch die Gleichstellung, für frauenspezifi- Die Frauenzentrale beschäftigt Grünliberale Partei, der es in ländli- sche Anliegen war bekannt. Nicht sich mit Fragen der Gleichstellung. chen Gegenden an Frauenkandida- verwunderlich, dass die Zürcher Auch mein beruflicher Alltag als turen fehlte, sie für sich entdeckt und Frauenzentrale, 2001 auf der Suche Anwältin hat viel mit diesen Fragen nach einer Juristin, Andrea Gisler zu tun. So verbinden sich diese zwei 2007 in den Vorstand gewählt. 72 Gossauer Info 121/Juni 2015 PORTRÄT ANDREA GISLER Tätigkeiten ideal. Die Frauenzent- Mein Ressort war sehr vielfältig, zu ders und hat mich sehr bereichert. rale bietet z. B. eine kostengünstige vielfältig und erschwerte wirksame Es hat mich noch näher mit meiner Rechtsberatung und Budgetbera- Veränderungen. Die neue Gemein- Wohngemeinde verbunden. tung an, die allen Frauen offensteht. deordnung mit der entsprechenden Die Frauenzentrale engagiert sich Ressortaufteilung bringt viele Ver- Die Frauenzentrale hat ein Menaber weit über individuelle Anlie- besserungen. Auf Gemeindeebene toring-Programm lanciert, das gen hinaus. Sie ist seit 100 Jahren steht die Parteizugehörigkeit nicht jungen Frauen den Einstieg in die gesellschaftspolitisch aktiv und be- im Vordergrund. Es geht um Sach- Politik erleichtern soll. Eine Herteiligt sich an jenen Prozessen, die politik und weniger um parteipoli- zensangelegenheit? eine gerechtere, gleichberechtigte tisches Hickhack und Selbstinsze- Ein Mosaikstein von vielen, um längerfristig den Anteil von Ordnung in der Politik, in der Frauen in der Politk zu erArbeitswelt und in der Gesellhöhen. Wir haben auch zwei schaft anstreben. junge Oberländerinnen, aus Grüt und Bertschikon, in Die Schwerpunkte des Einsatdas Mentoringprogramm zes und der Kampagnen der 2015 aufgenommen. Ihre Zürcher Frauenzentrale? Mentorinnen, zwei KantonsHäusliche Gewalt, Lohngleichrätinnen, geben ihnen ein heit, Vereinbarkeit von Familie Jahr lang Einblick in den pound Beruf, Angemessene Verlitischen Alltag, helfen ihnen, tretung von Frauen in WirtBei einem der Jubiläumsanlässe zu 100 Jahre sich zu vernetzen, vermitteln schaft und Politik Frauenzentrale: Konzert mit Stefanie Heinzmann Kontakte und weisen sie auf mögliche Schwierigkeiten Sie haben auch in der Politik im Kaufleuten Zürich. hin. Auch mein persönlicher Verantwortung übernommen. Als Gemeinderätin in Gossau, im nierung. Dies entspricht meinem Einstieg in die Politik hat damit zu Vorstand der Grünliberalen des Verständnis von Politik sehr und tun. Ich kann nicht glaubwürdig Bezirks Hinwil und als Mitglied liess mich nicht zuletzt aus diesem andere Frauen ermutigen, politisch der kantonalen Geschäftsleitung Grund den Grünliberalen beitreten. aktiv zu sein, selber aber nichts der Grünliberalen. Welches sind Ich politisiere gerne lösungsorien- tun. Dies war mir Ansporn und Ihre Erfahrungen? tiert und pragmatisch. Die Arbeit Verpflichtung, mich bei den GrünGemeinderätin in einem kleinen, im Gemeinderat hat mir Begeg- liberalen zu engagieren. Bei einem in seiner Zusammensetzung sehr nungen mit Menschen ermöglicht, durchschnittlichen Anteil von gemischten Gremium zu sein, war die ich sonst nie kennengelernt höchstens 30% Frauen in praktisch eine spannende Herausforderung. hätte. Dies freute mich ganz beson- allen Stufen der politischen Vertre- Gossauer Info 121/Juni 2015 73 PORTRÄT ANDREA GISLER Andrea Gisler ist trotz all ihrer Er- sind für die Familie reserviert, in folge auf dem Boden geblieben. Oft meinem Fall sind das mein Partner werden ihr ihre Leistungen erst und seine Tochter. Wir sind Bewedann als aussergewöhnlich bewusst, gungsmenschen und sportlich sehr Das wäre mir wichtig Frauen (wie Männer auch) sollen ihr wenn Aussenstehende diese expli- aktiv: Bergwandern, Biken, SkitouLebensmodell frei wählen können. zit hervorheben. Sie tut, was ihr ren, Joggen. Schöne und glückliche Die Wahlfreiheit ist wichtige Vor- wichtig und richtig erscheint, prag- Momente erlebe ich auch mit meiaussetzung für ein selbstbestimm- matisch, voller Einsatz, effizient. So nen Patenkindern und in der Natur. tes Leben. Mir ist es ein Anliegen, Auch in der Freizeit sehr leisFrauen dafür zu sensibilisieren, dass tungsbewusst? ihre Wahl Konsequenzen hat. Heute, Nein, ganz bewusst nicht. Im Vormorgen, im Alter, auch oder gerade dergrund steht der Genuss, nicht unter veränderten Lebensumständie Leistung. Einzig an meinem 40. den. Es ist deshalb wichtig, dass Geburtstag wollte ich am Londonman Vor- und Nachteile abwägt, beMarathon meine Leistungsgrenze vor man sich entscheidet. Sonst gibt ausloten. Es heisst ja, dass man es irgendwann ein böses Erwachen. mit 40 ins Marathonalter kommt. Wer Freiheit will, muss auch seine Leider verhinderte eine Verletzung Eigenverantwortung wahrnehmen. Für Frauen bedeutet es oft eine Ferien im Safiental mit Patenkind meine aktive Teilnahme und ich grosse Belastung, Familie und Be- Yael (in der Mitte) und Nina, Toch- stand als Zuschauerin enttäuscht am Strassenrand. Am 50. Geburtsruf zu vereinbaren. Sie haben in ter von A. Gislers Partner. tag werde ich aber sicher nicht an Die Dinge sind nie so, einem Marathon teilnehmen, sonwie sie sind. stellt sie sich auch den Aufgaben, dern ein Fest feiern. Sie sind immer das, die ihr persönliches Leben bestimwas wir aus ihnen men. Sie ist der Überzeugung, dass Noch andere Aktivitäten und machen. gerade das Leben mit seinen oft Vorlieben? den meisten Fällen kein familiäres unerwarteten Wendungen Über- Ich spiele sehr gerne Cello. Als das «Backoffice», wie Männer es früher raschungen bereit hält, die sich mit «Gossauer Info» 2010 die Kandidahatten und auch heute noch oft ha- einer offenen Haltung als Chancen tinnen und Kandidaten für den Geben. Erwerbsarbeit, Hausarbeit und wahrnehmen lassen. Darauf kann meinderat vorstellte, wurde ich von einer Leserin kontaktiert und für Kinderbetreuung gerecht zu vertei- sie sich gut einlassen. den Orchesterverein Wetzikon gelen, ist eine gesellschaftliche, nicht frauenspezifische Herausforderung. In Ihrer Biografie waren keine wonnen. Seither spiele ich dort mit grosser Freude mit. Ich lese gern, Die Vereinbarkeitsdiskussion muss Kinder vorgesehen? Es ist gut so, wie es ist. Ich lebe ge- jeden Abend vor dem Einschlafen. deshalb breiter abgestützt werden. lassener mit dieser Haltung, gerade Ich bin aber auch eine grosse Geheute, wo alles machbar und mög- niesserin von feinem Essen. Ein Werbespot für Gossau? Gossau hat seinen dörflichen Cha- lich sein muss. Wenn das Lebensrakter bewahrt und ist umgeben von glück von der Erfüllung einzelner Lieblingszitat einer wunderbaren Natur, wo die Wünsche abhängt, habe ich Mühe. Es liegt mir fern, mit meinen ÜberErholung gleich vor der Haustüre Dadurch verengt sich der Blick und zeugungen missionarisch auftreten beginnen kann. Was gibt es Schöne- es verschliessen sich andere Mög- oder andere Menschen abqualifizieren zu wollen, also: Leben und res, als am frühen Sonntagmorgen lichkeiten. leben lassen. Insbesondere aber gilt im Ambitzgi-Ried zu joggen, die für mich: Die Dinge sind nie so, wie frische Luft zu atmen und die Ruhe Ihr persönliches Glück? und die schöne Moorlandschaft zu Ein stabiles persönliches Umfeld sie sind. Sie sind immer das, was ist mir wichtig. Die Wochenenden wir aus ihnen machen. geniessen? tung unseres Landes bleibt noch viel, sehr viel zu tun. 74 Gossauer Info 121/Juni 2015
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